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Im Winter des Jahres 837 n. Chr. trennt sich Jarl Einar von dem großen Heer der drei Könige vor Londinium, und wagt es die Heimreise nach Tautra anzutreten. Ein Schneesturm spült sie an die nördlichste Küste Britanniens, wo die Wikinger zum ersten Mal auf einen Stamm der Pikten treffen. Von einer Übermacht auf das Meer zurück gezwungen, muss der Wellenwolf erneut gegen die eisigen Fluten ankämpfen. In Sørhamna rettet der Biss des Hundes Freki, die kleine Tochter Einars vor der Klinge des jungen Gorm Rödesson, der für den Tod seines Vaters und seines Bruders der Familie des Jarls Rache schwört. Währenddessen erscheint in der Siedlung Borkasvik am großen Vänern ein Schiff des Gautenkönigs Hrotger. Bald darauf verschwindet Eira, die Gemahlin des Gisli, und Tochter König Grjotgards aus Siedlung. Die Weigerung des Breka Borkasson, der Schnigge des Entführers seiner Schwägerin nachzusetzen, hat für den Jarl der Götaburg ungeahnte Folgen. So ist es Jarl Einar, den die Suche nach Hibernia führt. Dort retten Jarl von Tautra und Gisli die Eira aus der Gefangenschaft der Nordmänner von Dubh linn. Zurück in der Heimat, wird Jarl Einar das Opfer eines Attentats!
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Seitenzahl: 483
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RAINER W. GRIMM wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei.
Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.
Inhaltsverzeichnis
1. ENTLANG DER KÜSTE
2. BLAUE GESICHTER
3. DER SACHSE UND SEIN WEIB
4. EINARS GNADE
5. DIE TOCHTER DES KÖNIGS
6. EIN SCHWEIN FÜR DIE RAN
7. DIE ENTFÜHRUNG DER KÖNIGSTOCHTER
8. AN DER KÜSTE HIBERNIAS
9. DIE VERFOLGUNG BEGINNT
10. BAILE Áth Cliath
11. ÜBERFALL AUF DUBH LINN
12 CARRAGHS LIST
13. ZURÜCK IM LADEFJORD
14. EINARS WUT
15. DIE RÜCKKEHR DER SCHILDMAIDEN
16. YTTEROYA
17. FRIEDEN STIFTEN
1. ENTLANG DER KÜSTE
Der von Schnee bedeckte Strand hatte gerade einmal die Breite einer Schiffslänge, und endete in einer mannshohen Böschung. Und in dieser Böschung steckte der Vordersteven des Asenzorns. Der Steuermann Kjelt hatte alles gegeben, im Kampf gegen die Gewalten des Meeres, doch gegen die Launen der Ran1 war er machtlos. Diese hatte mit dem Knarr2 des Jarls von Tautra gespielt, als sei es eines dieser kleinen Holzspielzeuge die Thoke, der Zimmermann, für Einars kleinen Sohn Ulf schnitzte. Und so hatte die Seefahrt hier auf diesem Strand geendet.
Die Pfaffen schrieben das Jahr 837 nach der Geburt ihres Herrn Jesus.
Es war der erste Tag des Monats, den die Christen Februar nannten, als sie das Heer der Norweger und Dänen auf der Insel der Angelsachsen3 verlassen hatten4. Acht volle Monde hatten sie die große Königsstadt Lunden5 belagert und diese immer wieder angegriffen. Bis sich der König von Wessex namens Egbert endlich geschlagen gab. Er zahlte eine große Summe an Silber und Gold, und die Wikinger ließen die Stadt aus ihrem Würgegriff frei. Einige der Jarls machten sich auf den Weg nach Norden in die Gegend von Nordumbrien. Andere, unter ihnen auch Jarl Einar, wagten es den Heimweg anzutreten, obwohl es nun schon Winter war. Und so segelten sie die Themse6 flussabwärts in das offene Meer hinaus. Dort nahmen sie Kurs nach Norden, folgten zuerst der Küste von Essex, und dann der von Ostanglien. Und wie es schien, sollte Jarl Einar das Heil der Götter auf seiner Seite behalten.
Die Tage vergingen, und der Asenzorn segelte bei schönstem Sonnenschein und blauem Himmel immer weiter nach Norden. Wenn es Nacht wurde, legten sie das Schiff an einem geeigneten Platz an, und gingen an Land. Dann errichteten sie ihr Lager, um die Nacht dort zu verbringen.
„Wir könnten uns hier doch mal umsehen, sicher gibt es auch hier genug zu holen“, schlug Olaf, der große, blonde Freund und Krieger Jarl Einars vor. Sie saßen zu fünft um eine Feuerstelle. Olaf und seine in Essex erbeutete Sklavin Aelthdreda, die er nur noch Dreda nannte, saßen dem Jarl und seinem Weib, der Kriegerin Ilva gegenüber. Aelthdreda war wohl die glücklichste Sklavin, die jemals ein Wikinger genommen hatte, denn sie liebte den Olaf, und drängte ihn geradezu sie mitzunehmen. So sah es nun aus, als hätte Olaf eine Gefährtin gefunden. Dass sie nur halb so alt war, wie der Norweger, störte die braunhaarige Aelthdreda überhaupt nicht.
„Sag, reicht es dir nicht, dass du den Raubzug von Lunden überlebt hast, Olaf?“, fragte Raban, der kahlköpfige Sachse mit dem dichten Bart. Auch er war einmal als Sklave in die Gefolgschaft des Jarls von Tautra gekommen. Inzwischen hatte sich der kräftige Kerl einen festen Platz an der Seite des Jarls erkämpft. Und nachdem Jarl Einar ihn vor dem Gang nach Walhalla7 gerettet hatte, schwor er, diesen zu schützen so gut es ihm möglich war. So war Raban zu Einars Leibwächter geworden.
„Was willst du damit sagen?“, fragte nun Olaf zurück, und klang ein wenig beleidigt. „Oh, das kann ich dir erklären, mein Freund. Ich bin des Kämpfens müde. Mich zieht es in die Heimat. Vielleicht suche ich mir endlich ein Weib, und mache ihr ein paar Kinder. Und freue mich, dass ich noch in Midgard8 wandele! Zum Beute machen habe ich keine Lust mehr!“
„Aber jetzt wo wir hier auf der Insel der Angelsachsen sind, sollten wir das ausnutzen, und so viel mitnehmen, wie wir können“, erwiderte Olaf. Da mischte sich der Jarl ein.
„Ihr habt beide Recht. Ich denke jedoch wie Raban. Mich schmerzen die Knochen, und ein wenig Ruhe würde mir sicher guttun“, sprach Einar, und Ilva lachte auf. „Oh ja, der alte Mann sollte sich schonen, denn ich brauche seine Kraft auf dem Schlaflager.“ Da lachten alle. Nur Einar nicht.
„Gab es für dich bisher Gründe zur Beschwerde, Weib?“ Da schüttelte Ilva ihr goldenes Haar, und schmiegte sich an den Mann, der ihr Gemahl war. „Oh, nein, mein Einar!
Bisher warst du immer ein wilder Hengst. Und das soll noch lange so bleiben!“ Wieder lachten alle. Da traten Ubbe und Gisli an das Feuer. „Ihr seid ja bester Laune“, stellte der stämmige Ubbe grinsend fest.
„Nicht alle“, antwortete Einar gespielt beleidigt. „Hier wird wohl meine Manneskraft angezweifelt!“ Er schüttelte seinen Kopf, sah dann aber Gisli an, von dem er glaubte, dass dieser etwas sagen wollte. Gisli, und fünf weitere Männer aus dem Dorf Borkasvik im Reich König Ragnars, waren an Bord des Asenzorns, denn sie hatten sich Jarl Einar angeschlossen. Einar und Gisli hatten Gislis Schwiegervater König Grjotgard9 gebeten, dass er mit seinem Weib Eira nach Lade10 kommen dürfe. Und darüber war der König der Trøndner11 äußerst erfreut. Die Vorstellung seinem Weib Andur die Nachricht zu bringen, dass ihre Tochter heimkehren würde, entzückte den König sehr. Also hatte Gisli die Gefolgschaft König Ragnars12 von Ranrike verlassen, was diesen gar nicht erfreute. Doch er ließ den Sohn seines Jarls Borka ziehen. Und damit sein Schwiegervater Grjotgard sich an Gisli gewöhnen konnte, blieb dieser zu Anfang sogar in dessen Lager. Dann aber zog es ihn zu Jarl Einar! Und da dieser ihm versprach mit Gisli nach Ranrike zu segeln, um Eira zu holen, schloss sich Gisli dem Jarl an, als dieser das Lager vor Lunden verließ.
„Es gibt ein Problem“, sprach Gisli zu dem Jarl.
„Und?“, fragte dieser.
„Die Männer die du ausgeschickt hast um Fleisch heranzuschaffen sind zurück.“ Da sah Einar den jungen Gauten13 fragend an. „Wo ist da das Problem?“
„Einer ist verletzt, und einer ist in Walhalla, wie es scheint.“
„Aber… aber was ist geschehen? Sie sollten einen Hof suchen, und ein Schwein kaufen.“ Einar erhob sich von dem Stein, auf dem er gesessen hatte. „Also, was ist geschehen?“
„Wie es scheint haben sie einen Hof gefunden, und sich gedacht, warum sollen sie das Schwein bezahlen? Wir sind Raubfahrer, also stehlen wir das Schwein!“
„Und der Bauer war ein wehrhafter Mann“, stellte der Jarl fest. Gisli nickte. „Ein Mann ist tot, sagst du?“, fragte Einar, und wieder nickte Gisli. „Und ein Schwein haben wir auch nicht?“ Der Gaute schüttelte den Kopf. Einar wandte sich um. „Olaf, es scheint, als bekommst du deinen Willen. Komm!“ Der Angesprochene erhob sich, sah Aelthdreda an, und sprach: „Du bleibst bei Ilva!“ Das Weib nickte gehorsam. Auch Raban erhob sich, und die fünf Männer machten sich auf den Weg. Zuerst suchten sie den Krieger, der verwundet ins Lager zurückgekommen war. Dieser musste sie zu dem Hof führen. „Er ist sehr angriffslustig, der Bauer“, sagte der junge Krieger. Einar nickte nur. „Ah ja“, sagte er ein wenig belustigt.
„Und er hat drei Söhne.“ Wieder nickte der Jarl. „Auch diese sind sehr kämpferisch.“ Da mischte sich Olaf ein.
„Halt endlich dein Maul, Mann!“ Der junge Krieger erstarrte. „Du solltest ein Schwein kaufen, und keinen Kampf anzetteln. Dies hat uns einen Mann gekostet.“
Von einem Waldweg, den sie gingen, führte eine schmale Straße ab. „Dort entlang“, zeigte der Krieger wohin sie gehen mussten. Diese Straße war kerzengerade, und in der Ferne sah man bereits das Ende des Waldes. „Geh ins Lager zurück“, befahl Jarl Einar. Der junge Krieger nickte und kehrte um.
„Was wollen wir tun?“ Olaf sah den Anführer fragend an. Dieser zog seine Schultern hoch. „Wir werden sehen. Holen wir uns ein Schwein!“
Die fünf Männer folgten der verschneiten Straße durch den Wald. Und als sie aus dem Schatten der blattlosen Baumgerippe heraustraten, sahen sie ein Haus, aus dessen Schornstein Rauch in den klaren Himmel stieg.
Ein verschneiter Steinwall umgab den Hof, zu dem drei Gebäude gehörten. Die fünf Männer kamen näher, und gingen durch die breite Lücke in dem Wall auf die Häuser zu. Olaf näherte sich sofort einem der Gebäude, welches wohl ein Stall war. Er öffnete die hölzerne Tür, und sah hinein. Im schlug ein unerträglicher Gestank entgegen, so dass er den Kopf wieder herauszog. „Drei Schweine“, rief er. „Schön groß und fett!“
Auch an dem dritten Gebäude hatte Ubbe die Tür geöffnet.
„Drei Kühe und ein Pferd“, rief er, und trat zu Einar, Raban und Gisli zurück. Da wurde die Tür des Hauses geöffnet, und der Bauer trat heraus. Er griff neben die Tür, wo eine Forke stand. Diese nahm er, und stapfte auf die Fremden zu. Hinter ihm folgten seine Söhne, die mit Äxten bewaffnet waren. „Was wollt ihr hier, ihr verdammten Diebe! Hat euch ein Toter nicht gereicht?“ Einar sah Raban an, und hoffte, dass dieser die Worte übersetzen konnte.
Doch der Kahlkopf zuckte die Schultern. Hier in Ostanglien waren sie auf dem Land der Angeln, und deren Sprache kannte er nicht. „Ich verstehe kein Wort“, sagte er. „Aber freundlich waren die Worte bestimmt nicht.“
„Gut, sie wollen es so. Töten wir sie“, entschied der Jarl.
Er trat auf den Bauern zu, der die Forke senkte, und nach dem Wikinger stach. Doch Einar wich den drei spitzen Zinken geschickt aus. Nun zog Einar sein Schwert mit dem roten Stein im Parier aus dem ledernen Wehrgehäng, und schlug auf die Forke, die sofort zerbrach. Danach riss er das Schwert nach in die Höhe, holte aus, und ließ die Klinge niedersausen. Der Kopf des Bauern wurde am Scheitel geöffnet. Mit aufgerissenen Augen sah er den Wikinger an.
Blut lief ihm langsam über die Stirn. Dann fiel er auf die Knie, und dann auf sein Gesicht. Jetzt stürmten die Söhne auf den Mann zu, der gerade ihren Vater getötet hatte. Doch die erfahrenen Krieger des Jarl verhinderten ihre Rache, und kannten keine Gnade mit den Bauernsöhnen.
*
Drei Schweine liefen durch das Lager, und mussten wieder eingefangen werden. Dies artete in einen großen Spaß aus, der nicht nur die Zuschauer belustigte. Dann wurden die fünf Männer sichtbar, die über den Weg aus dem Wald heraustraten. Sie trieben die drei Kühe des Bauern vor sich her. Und sie brachten auch drei Weiber mit. Dies waren die Töchter des Bauern und seine Magd. Die Bäuerin hatte es vorgezogen ihrem Gemahl zu folgen, und starb durch Ubbes Saxmesser. Das Pferd hatten sie in die Freiheit entlassen, und die Frauen sollten nun ihr Leben als Sklavinnen fristen.
Später stellte sich heraus, dass die eine Tochter und die Magd achtzehn Winter zählten. Und die andere Tochter, die jüngere, zählte sechzehn Winter. Auch die Namen der Frauen erfuhr der Jarl. Denn Aelthdreda, die Sklavin Olafs, war der Sprache der Angeln mächtig. Die Magd hörte auf den Namen Ermintrude, und sie war eine Sächsin aus dem Westen von Wessex. Die beiden Schwestern hörten auf die Namen Aethel und Hrodwynn.
„Was ist geschehen?“, fragte Ilva ihren Gemahl, als sie diesen als Kuhhirte in das Lager kommen sah. „Was soll schon geschehen sein! Wir haben Beute gemacht, so wie es Olaf wollte.“ Ubbe trug eine kleine Truhe unter seinem Arm, die sie unter dem Bett des Bauern gefunden hatten.
Dazu schleppte Gisli noch einige Kelche und Kerzenständer, von denen sie vermuteten, dass diese aus Silber seien.
„Der Bauer war ein unfreundlicher Kerl. Wir verstanden seine Worte nicht, aber sie waren sicher übel und feindselig.“ Dies hörte Ilva nicht gern. „Sollten wir besser verschwinden?“
„Ach was“, mischte sich Raban ein. „Es wird dauern, bis man den Bauern findet. Wir haben den Hof ja nicht angezündet.“ Doch Raban täuschte sich, denn es war reiner Zufall, der ihnen einen weiteren Kampf bescheren sollte.
Ein fahrender Händler hatte beobachtet, wie die Wikinger mit ihrer Beute den Hof verließen. Er kam einmal in der Woche auf die Höfe der Bauern, um mit diesen zu handeln.
Daraus wurde bei diesem Bauern jedoch nichts mehr. Er fand den Herrn des Hofes, und seine Söhne, deren Seelen die Körper verlassen hatten vor dem Haus liegen. Und er fand im Haus auch die Bäuerin. Eilig machte er sich auf den Weg, denn er wusste, dass eine Burg des Königs Aethelstan nicht weit war.
Die drei Schweine fanden an diesem Abend noch den Weg auf den Spieß. Man aß sich satt, und verstaute die Reste des Festessens. Sicher würde sich das gebratene Fleisch einige Tage halten. Einar saß auf einem Stein, und sah zu den Kühen hinüber. „Was machen wir mit dem Vieh?“ Ubbe sah ihn an und grinste. „Aufessen!“
„So viel können wir nicht essen, Mann! Und der Asenzorn ist bereits vollbeladen. Ich denke, wir lassen sie frei“, sprach der Jarl. Enttäuscht sah nun Olaf den Anführer an. „Sie haben aber einen großen Wert.“
„Ja, da hast du natürlich Recht. Aber das Schiff ist voll.
Für die Kühe ist kein Platz.“
„Dann werde ich sie irgendwo verkaufen“, trotzte der blonde Krieger. „Wo bitte willst du die Kühe verkaufen?“, fragte Ubbe, und Einar fügte hinzu: „Du kennst dich hier nicht aus, und außerdem wollen wir früh aufbrechen.“ Dies musste Olaf einsehen, doch es ärgerte ihn ungemein, dass er die Kühe zurücklassen sollte.
Sie hatten mit dem einen Toten auf dem Bauernhof, bei den Kämpfen nur fünf Krieger verloren. Hatten aber mit Gisli und seinen Männern sechs neue dazubekommen. Und dann waren da noch die vier Sklavinnen, die Einar auf keinen Fall zurücklassen wollte. Also musste Olaf auf die Kühe verzichten.
Die drei jungen Frauen hatten die Nacht weinend und gefesselt im Zelt des Olaf verbracht. „Was heult ihr hier herum?“, fragte Aelthdreda streng. „Wart ihr auf dem Hof eures Vaters nicht auch nur Sklavinnen? Nur das euer Vater der Herr war. Ihr könnt mir glauben, wenn ihr gehorsam seid, dann wird man euch gut behandeln.“
„Aber ich habe Angst vor dem mit dem roten Auge“, sagte die Jüngste und ihr liefen immer noch Tränen über das Gesicht. „Das ist Jarl Einar! Er ist ein gerechter Mann, und gehört zu der Ilva. Sein Auge hat ihm seinen Beinamen Blutauge eingebracht. Er ist der Herr über alle hier!“
Olaf hörte der Aelthdreda ruhig zu. Er lag auf einem dicken Fell, und hatte sich eine Decke übergeworfen. Er mochte es, wenn die junge Frau in ihrer Muttersprache redete. Auch wenn er kein Wort davon verstand.
„Du, Aethel, hattest du schon einen Mann?“, fragte Aelthdreda die junge Frau. Diese schüttelte den Kopf. „Und du, Ermintrude, hat dir der Bauer nachgestellt?“ Die Magd nickte. „Der geile Bock hat dich gevögelt, wann immer er wollte, stimmts?“ Ermintrude nickte beschämt. „Ich habe gesehen, wie die Wikinger ihre Frauen behandeln. Der Jarl ist ein guter Mann, und er scheint die Sklaven auch gut zu behandeln. Ich habe beschlossen mich zu fügen, denn ich will einmal Olafs Weib werden. Ja, er wird mich lieben!“
„Dreda, komm jetzt“, verlangte Olaf, und hob die Decke an. Die Frauen sahen zu ihm hinüber, und die drei Sklavinnen starrten erschrocken auf Olafs bestes Stück. Der Mann war nackt unter der Decke. Grinsend sah Aelthdreda zu den drei Frauen herab. „Wie man euch behandeln wird, liegt ganz allein bei euch. Wenn ihr Glück habt, wird man euch behalten. Wenn ihr störrisch seid, wird man euch ganz sicher verkaufen. Von Olaf habe ich erfahren, dass der Jarl den Sklavenhandel nicht mag, und gute Sklaven oft wie die seinen behandelt. Denkt darüber nach, und schlaft jetzt!
Morgen wird ein anstrengender Tag.“
Das sie damit durchaus Recht hatte, konnte Aelthdreda nicht wissen, denn die Reisenden sollten hier nicht unbehelligt bleiben.
Der fahrende Händler dankte seinem Gott im Himmel, als er einem Reiter begegnet war. Diesem erzählte er, was er gesehen hatte. Der Mann versprach zur Burg zu reiten, was er auch tat. So erreichte die Nachricht vom Überfall der Wikinger auf den Hof des Bauern, noch am selben Tag den Ealdorman des Kastells. Dieser zögerte nicht, und ließ seine Krieger antreten. Mit zehn Reitern und fünfzig Kriegern zu Fuß, machte sich der angelsächsische Earl auf den Weg.
Nur langsam kam wieder Leben in das Lager des Jarls Einar. Die Anstrengungen der letzten Tage verlangten nun ihren Tribut. Der Søde kam in das Zelt Olafs, und holte zwei der Sklavinnen. „Was willst du“, maulte Olaf verschlafen.
„Befehl der Ilva! Sie sollen das Fleisch von gestern zubereiten.“ Da nickte Olaf und drehte sich noch einmal um.
„Na, dann kommt mal, ihr Hübschen. Du und du“, sprach der junge Krieger. Die Ermintrude und die Hrodwynn folgten ihm ängstlich. Verstanden hatten sie ihn nicht, aber sie ahnten, was er wollte. Søde führte sie zur Ilva, und diese zeigte ihnen, was sie tun sollten. „Du gibst auf sie Acht, Søde. Lass sie nicht entkommen, dies würde Einar sehr erzürnen.“ Der junge Krieger nickte, und trieb die beiden Frauen zur Arbeit an. Und es schien, als hätte sich die junge Hrodwynn an die Worte der Aelthdreda erinnert, und so besah sie sich den jungen Kerl genauer. Dieser war etwa gleichen Alters wie sie selbst, und er gefiel ihr eigentlich ganz gut.
Die Feuer brannten, der Schnee auf der Wiese war unter den Schuhen der Nordleute geschmolzen. Der Duft von gebratenem Schweinefleisch strömte durch das Lager, und zog die Hungrigen an. Auch Olaf und Aelthdreda waren an das Feuer gekommen, und saßen nun essend auf einem Baumstamm, denn man herangeschafft hatte. Die Sklavin Aethel hatten sie mit sich gebracht. Da trat Raban ans Feuer, und nahm ein großes Stück des Fleisches, das am Rand der Feuerstelle lag. Er zog sein Messer und zerteilte das Fleisch in drei Teile. Eines reichte er der Aethel, die es sofort hungrig verschlang. Das zweite reichte er der Hrodwynn, und auch diese aß mit großem Appetit. Das dritte Stück gab er der Ermintrude. „Iss dich satt, wer weiß, wann es wieder etwas gibt.“ Erstaunt sah sie den großen Mann mit der Glatze und dem Vollbart an. Sie hatte seine Worte verstanden, denn es war die alte Sprache der Sachsen in der er sprach. „Du bist ein Sachse“, stellte sie fest. Raban nickte. „Aber du bist frei! Du bist einer dieser Teufel!“ Sie sah den Mann erstaunt an, und wieder nickte der Krieger.
„Ja, das bin ich! Und noch mehr, ich bin der Schatten unseres Jarls. Ich beschütze ihn und seine Familie.“
„Aber warum tust du das?“
„Weil Jarl Einar mir das Leben rettete. Er ist mein Freund, und ich stehe in seiner Schuld!“ Die Worte des Sachsen hatten eine gewisse Wirkung auf die junge Frau. Waren diese Menschen vielleicht doch nicht die Ungeheuer, von denen man sich in Ostanglien erzählte? *
Der Vormittag war fast vorüber, und das Lager war bereits abgebaut. Der Asenzorn war bereit abzulegen, doch die Männer, die frisches Wasser herbeischaffen sollten, waren noch nicht zurückgekehrt. Und dann kam einer der drei Wasserholer aus dem Unterholz des Waldes gestürmt. „Wir werden angegriffen“, rief er, als er auf das Knarr zu stürzte.
Zuerst hatten sie die Worte gar nicht verstanden, und schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Doch der Anblick des Kriegers sprach für sich. Er blutete, und hatte offensichtlich einen Kampf hinter sich. „Alarm“, brüllte Olaf und riss seinen Rundschild von der Außenseite der Reling. Er ergriff seine Axt, und lief über die Planke an Land. Raban folgte ihm sofort!
Der Schreck bei den Sklavinnen war groß, doch der junge Søde, der selbst erst sechzehn Winter zählte, beruhigte sie.
Doch auch er nahm seinen Schild und zog sein Schwert, um die Sklavinnen zu schützen. Die Krieger um Jarl Einar hatten sich auf der mit Schneematsch bedeckten Wiese vor dem Knarr gesammelt, als die ersten Reiter durch das Unterholz brachen, waren sie bereit zum Kampf. Raban war derjenige, der den Reigen eröffnete. Er hatte einen Speer ergriffen, und diesen einem der Reiter treffsicher entgegen geschleudert. Das Eisen schlug dem Reiter durch das Kettenhemd in die Brust, und ließ ihn nach hinten aus dem Sattel fliegen. Dann riss der Sachse seine Axt empor, und schlug sie einem Pferd zwischen die Beine. Das Tier schrie auf, und fiel im vollen Galopp zu Boden. Auch dieser Reiter landete im Matsch, wo er von einigen Wikingern unsanft in Empfang genommen wurde. Ihre Klingen bereiteten ihm ein schnelles Ende. Doch die ganze Reiterhorde stürzte nun aus dem Wald hervor, und versuchte die Feinde niederzureiten.
Keiner der Trøndner starb jedoch unter den Hufen der Pferde. Die Verteidiger verteilten sich, und suchten sich sofort ihre Gegner. Zwei weitere Reiter starben durch Speerwürfe, und andere mussten erkennen, dass die Wikinger auch im Kampf mit Reitern erfahren waren. Da zogen sich die Berittenen zurück. Wenn die Nordleute aber dachten, sie hätten den Angriff der Ostanglier überstanden, so irrten sie sich. „Woher kommen die Scheißkerle?“ Gisli sah den Jarl an, neben dem er stand. „Ich weiß es nicht.
Aber ich denke, sie haben den Bauern gefunden.“
Über den Waldweg marschierten nun die Fußsoldaten des Ealdorman heran. Da wandte sich Einar um. „Kjelt, wir legen ab!“ Dieser nickte, und lief zum Schiff. Einar sah Ubbe an, dem das Signalhorn über der Schulter hing.
„Blase zum Rückzug!“
Ubbe setzte das Horn an, und blies hinein. Der dunkle Ton, rief die Gefolgschaft des Jarls zum Rückzug. Ohne zu zögern bewegten sich die Krieger langsam Rückwärts, und liefen, einer nach dem anderen, über die Planke auf das Schiff. Zwei Männer lösten die Seile, und schoben den Asenzorn von der Böschung weg. Mit einem mächtigen Satz, sprangen sie über die Reling an Bord. Bis auf Olaf waren alle auf dem Schiff. Doch der war zu dem Pferd getreten, welches röchelnd und wiehernd im Schnee lag. Er hatte sein Messer gezogen, und stieß es dem sterbenden Tier in den Hals.
„Setzt das Segel“, hallte es über Bord, doch die Männer zogen bereits die Rahe am Mast empor, das große Tuch rollte sich ab, und der Wind blähte es auf. Der letzte zurückgebliebene Krieger sprang in das Wasser. Mit vereinten Kräften zog man den Olaf über die Reling, der sich an der Bordwand festhielt, und durch das Wasser hinterher gezogen wurde. Pfeile schlugen in die Planken des Asenzorns, doch richteten sie keinen Schaden mehr an.
Als der Ealdorman den Rückzug erkannt hatte, gab er das Zeichen zum Angriff. Doch noch hatten die Soldaten nicht einmal die große, schneebedeckte Wiese erreicht. Das Schiff wurde nun langsam von den Wellen auf die See mitgezogen.
Einige Soldaten der Ostanglier liefen auf die Wiese, brüllten den Wikingern Beleidigungen hinterher, und verfluchten diese.
Kjelt steuerte das Knarr so, dass der Wind gut in das Segel packen konnte. Von der steinigen Böschung, an der sie das Knarr angelegt hatten, segelten sie in die kleine Bucht, und dann auf die See hinaus. Die Krieger des Ealdorman konnten ihnen nur noch fluchend nachblicken.
Einar saß auf dem Mastfisch14 und sah wenig fröhlich aus.
Da trat sein Weib heran, und nahm neben ihm Platz. „Was ist mit dir, Einar?“ Er starrte auf die Planken des Schiffes.
„Ich habe zwei meiner Männer zurückgelassen!“
„Ach, das ist es, was dich bedrückt“, sagte sie mitleidig.
„Aber Einar, sie waren doch auf dem Weg nach Walhalla.
Du hättest sie nicht retten können.“
„Weißt du das genau?“ Der Jarl wurde streng, doch Ilva blieb unbeeindruckt. Sie erhob sich, und ging. Mit dem jungen Krieger, der den Angriff der Ostanglier überlebt hatte, kam sie zurück. „Los, sag es ihm“, befahl sie. „Jarl Einar, ich habe sie sterben sehen. Von Schwertern niedergeschlagen. Niemand hätte sie retten können. Auch du nicht!“ Da sah Ilva den Burschen an. „Gut, geh!“
Einar hob seinen Blick. „Du hast es gehört, sie waren beide tot. Längst auf dem Weg an Odins Tafel.“ Ilva hatte natürlich Recht. Er hatte nicht die Macht Tote zu erwecken.
Und doch machte den Jarl das Wissen um den Tod der beiden Männer traurig. Er fühlte sich für die Krieger verantwortlich, und selbst wenn sie starben, wollte er ihnen den Weg nach Walhalla ebnen.
Der Asenzorn segelte weiter an der Küste von Ostanglien entlang, und erreichte bald die Küste von Mercien. „Wie weit müssen wir noch segeln, bevor wir den Weg nach Osten antreten?“, fragte Gisli den Steuermann. Kjelt sah den Gauten an. „Je weiter wir an der Küste Britanniens nach Norden segeln, umso besser für uns. Wir müssen bis ins Piktenland, an die äußerste Spitze, und dann über das offene Meer der aufgehenden Sonne entgegen. Dann erreichen wir die Küste von Hardanger.“ Gisli nickte, als würde er genau verstehen was der Steuermann ihm sagen wollte. Doch dies tat er natürlich nicht. „Das ist sicher noch ein weiter Weg?“
Da zog Kjelt einen Strich vor seinen Füßen. Er zeigte in das untere Drittel. Hier ist Ostanglien, dessen Küste wir bald verlassen.“ Und dann zeigte er an das obere Ende des Striches. „Und da ist das Piktenland, wo wir hinmüssen.“
„Aber als wir hierherkamen, mussten wir nicht die ganze Insel entlang segeln“, wandte Gisli ein. „Ja, aber da kamen wir aus Jütland. Und wir erreichten die Küste von Nordhumbrien.“ Jetzt verstand Gisli, was Kjelt ihm erklären wollte.
Den vier Sklavinnen machte die Überfahrt sehr zu schaffen.
Aethel hielt sich von allen am besten. Sie hatte ihre Seekrankheit schon nach dem ersten Tag überwunden. Am zweiten Tag war ihr anfangs noch übel, doch dass verflog schnell. Anders bei ihrer jüngeren Schwester, und den beiden anderen Frauen. Sie hockten nach dem dritten Tag auf See immer noch mit blassen Gesichtern an der Reling.
Gegessen hatten sie schon seit zwei Tagen nicht mehr, so gab es nichts mehr, dass sie hätten auskotzen können.
Grinsend sah Gisli die Frauen an, und wandte sich dann dem Olaf zu. „Einem Seefahrervolk entstammen die aber nicht!“
„Das müssen sie auch nicht“, entgegnete der Blonde. „Sie sollen daheimbleiben und ihre Arbeit auf dem Hof machen.
Und sie sollen sich gut vögeln lassen!“
„Nachdem was ich in Lundenvik hörte, ist dir das besonders wichtig“, sagte Gisli grinsend. Da lachte Olaf, und zuckte mit den Schultern. „Sie ist ein gutes Weib, die Dreda, und ich werde sie behalten! Natürlich muss sie erstmal die Überfahrt überleben!“ Olaf sah zu Aelthdreda hinüber, die mit weißem Gesicht und Schweißperlen auf der Stirn, zusammengekauert an der Reling hockte.
Dann begab er sich wieder zum Vordersteven. Gisli trat zu dem Weib, und grinste. „Hast du gehört? Du musst nur die Überfahrt überleben, dann stehen deine Aussichten gut, weiterhin von Olaf geritten zu werden.“ Er begann laut zu lachen, und ging dem Blonden hinterher. Aelthdreda hatte zwar nicht alles verstanden, aber doch einiges, was ein gequältes Lächeln verriet.
Raban saß am Heckstand bei Kjelt, doch seine Augen lagen auf der jungen Ermintrude. Dies bemerkte der Steuermann.
„Gefällt sie dir oder bist du nur brünstig?“
„Was?“ Raban hatte gar nicht auf Kjelt geachtet, und daher seine Bemerkung nicht verstanden. „Ich fragte, ob du sie nur vögeln willst, oder ob sie dir gefällt?“
Da grinste der kahlköpfige Sachse. „Nun ja, wenn du so fragst, sicher beides!“ Da lachte Kjelt auf. „Dann solltest du den Jarl fragen, wieviel sie kostet, bevor es ein anderer tut.“
Da zog Raban die Stirn kraus. „Du hast Recht! Ja, das sollte ich tun!“ Er erhob sich, und begann nach Jarl Einar zu suchen. Dieser saß immer noch auf dem Mastfisch, und war schnell gefunden. „Raban“, sagte er den Namen des Freundes. „Jarl Einar, ich… ich hätte eine Frage“, druckste der kräftige Kerl herum. „Dann frage doch, ich höre, mein Freund.“
„Ich bin ein freier Mann“, begann er. „Ja, das bist du“, nickte Jarl Einar zustimmend. Da trat Ilva wieder heran.
„Raban hat mich gefragt ob er ein freier Mann ist.“ Da sah Ilva den Glatzkopf an. „Was soll denn diese Frage? Dass weißt du doch genau. Du bist schon lange kein Sklave mehr!“
„Dann will ich Ermintrude kaufen! Wieviel verlangst du für das Weib?“ Raban sah man an, dass er allen Mut zusammengenommen hatte. Es gab keinen Gegner dem der Sachse nicht entgegengetreten wäre, doch wenn es um schöne Frauen ging, verließ ihn immer der Schneid. Und dann begann Jarl Blutauge auch noch zu lachen. Dies wiederrum erzürnte den Sachsen. „Warum verhöhnst du mich?“ Da beruhigte sich Einar schnell wieder, denn beleidigen wollte er Raban nicht. „Ich wusste nicht, dass du nach einer Sklavin suchst.“
„Das wusste ich auch nicht“, entgegnete Raban, und Ilva lächelte ihn an. „Du willst es dem Olaf gleichtun, und dir ein Weib von dem Raubzug mitbringen“, stellte sie fest.
„Welche ist es?“, fragte Einar, und sah zu den Sklavinnen hinüber. „Es ist die mit dem schwarzen Haar. Es ist Ermintrude.“ Für einen Moment überlegte Jarl Einar, er sah sein Weib an, und diese knipste mit einem Auge. „Ich werde dir genau so viel abnehmen, wie ich Olaf für Aelthdreda abnehme. Ihr zahlt jeder ein Silberstück für die Sklavinnen.
Ich ziehe es von eurem Beuteanteil ab.“ Einar spuckte in seine Hand und hielt diese dem Raban hin. Der Sachse tat es dem Jarl gleich, und ergriff die Hand. Der Handel war besiegelt. Ermintrude gehörte nun Raban!
Als Olaf von dem Handel hörte, trat auch er zu seinem Jarl.
Und er war wenig erfreut. „Ich hörte, du hast Raban für die schwarzhaarige Sklavin ein Silberstück abgenommen, und erwartest dasselbe von mir?“ Da nickte der Jarl, und lächelte den Freund an. „So ist es, mein Freund. Und ich denke, dass ist ein guter Preis.“
„Ich habe Aelthdreda gefangen, und nun soll ich für sie zahlen“, beschwerte sich der blonde Krieger verärgert. Da nickte Jarl Einar. „Es ist ein Raubzug, und du kennst die Regeln. Alles was erbeutet wird, gehört dem Jarl, und dieser verteilt die Anteile. Das gilt auch für die Sklaven.“
Grummelnd sah Olaf seinen Freund an. Er wusste natürlich, dass Einar im Recht war. Es würde einen riesigen Aufstand geben, wenn die anderen erfahren würden, dass er einige Krieger bevorzugte. „Hör mir zu, Olaf. Deine Aelthdreda ist Teil unserer Beute, und gehört allen die an dem Beutezug teilgenommen haben. Willst du sie für dich, musst du sie kaufen. So ist die Regel!“ Olaf war immer noch nicht einsichtig, wusste aber, dass er nichts tun konnte. „Ich werde es halten, wie ich es bei Raban tat. Ich werde ein Silberstück von deinem Anteil einbehalten. So hast du das Weib bezahlt, und keiner kann sich beschweren. Nimm mein Angebot an, oder lass es. Dann wird Aelthdreda vielleicht an jemand anderen verkauft. Das wirst du nicht wollen!“ Diese Worte waren klar und deutlich. Verärgert willigte Olaf ein. „Gut, ich bin einverstanden! Aelthdreda gehört mir!“ Sie reichten sich die Hand, in die sie vorher gespuckt hatten, und besiegelten so das Geschäft. Somit war die Angelegenheit für den Jarl erledigt.
Raban trat lächelnd zu den Frauen, und sah Ermintrude an.
In seiner Muttersprache sagte er zu ihr: „Ermintrude, du gehörst jetzt mir. Ich bin ab sofort dein Herr! Und wenn du folgsam bist, soll es dir gut ergehen.“ Das Weib sah den Kahlkopf an, der etwa doppelt so alt war, wie sie selbst. Die Übelkeit verhinderte, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte, und so schwieg sie lieber. Doch da sah Aelthdreda sie an. „Hast du ihn nicht gehört? Du gehörst jetzt dem Sachsen.“
„Ich bin eine Sklavin! Oh, ihr Götter! Ich bin die Sklavin eines alten, kahlköpfigen Mannes. Soll ich mich darüber etwa freuen?“ Ermintrude konnte die Worte der Aelthdreda nicht verstehen. „Du hast es immer noch nicht verstanden, du dummes Weib“, schimpfte diese nun verärgert. „Du könntest es doch schlimmer treffen. Viel schlimmer!“ Da sprang Ermintrude auf und hielt ihren Kopf über die Reling, um sich zu erbrechen. Der Sachse sah die Aelthdreda an, und war ein wenig enttäuscht. Der Anblick Olafs mit seiner Sklavin, hatte wohl falsche Erwartungen in ihm geweckt.
„Gib ihr etwas Zeit“, bat Aethdreda. Raban schüttelte seinen Kopf, und ging. Da kam Olaf zu den Frauen.
„Aelthdreda“, sagte er ihren Namen. „Du gehörst jetzt mir.
Ich habe dich von Jarl Einar gekauft.“ Erstaunt sah das Weib den blonden Krieger an. War sie doch der Meinung, längst dem Olaf zu gehören. Schließlich beackerte er ihr Feld schon seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
„Ich dachte, ich bereits deine Sklavin sei.“
„Das dachte ich auch, doch Jarl Einar belehrte mich eines Besseren.“ Olaf war tatsächlich über seinen Freund und Jarl erzürnt. „Nun aber habe ich für dich bezahlt!“ Da lächelte sie, immer noch von der Seekrankheit gequält. „Ich gehöre jetzt dir, Olaf?“ Der Blonde nickte. „Oh, geliebter, blonder Krieger. Dies ich tat schon vorher.“
*
Tage und Wochen vergingen, und je weiter sie nach Norden vordrangen, umso kälter wurde es jetzt. Dicke, graue Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, und es begann immer öfter zu regnen und an einem Tag sogar zu schneien.
Und dann sahen sie einer schwarzen Wolkenwand entgegen, auf die sie zu segelten. Einar war zu Olaf an den Vordersteven getreten, und stand nun an der Reling, auf die er einen Fuß gesetzt hatte. „Das sieht sehr bedrohlich aus“, sagte Olaf, und blickte in die Wolken. „Ich denke, wir gehen besser an Land. Solange wir noch können“, sprach Einar besorgt, und begab sich zum Heckstand. Hier stand Kjelt an der Stange des Seitenruders. „Wir müssen an Land, bevor uns der Sturm erreicht.“ Kjelt nickte, und steuerte den Asenzorn näher an die Küste.
Sie waren inzwischen weit in den Norden vorgedrungen, und die Stimmung wurde immer gespannter und bedrückter.
Es war ruhig geworden an Bord, denn keiner konnte die Wolken am Himmel ignorieren. Eine aber quälten andere Gedanken. Aelthdreda hatte natürlich bemerkt, dass sie auf das Festland zu steuerten. Da trat sie, immer noch recht blass im Gesicht, neben den Olaf, und sagte zu diesem: „Dies muss Piktenland sein!“ Sie zeigte zur Küste, und er sah die braunhaarige Frau fragend an. „Daheim ich hörte oft Geschichten von den Blaugesichtern. Sie sind ein grausames Volk, und sie sehr feindselig. Man erzählte, sogar König Egbert würde nicht wagen in das Piktenland zu gehen.“
Erstaunt sah Olaf seine Sklavin an. „Wie kann es sein, dass du so etwas weißt?“ Da grinste sie. „Oh, mein schöner Herr, deine Sklavin hat Ohren und sie nicht ist… äh, wie sagt man? Dumm? Ja, ich sein nicht dumm.“ Da lächelte Olaf, teils auch über ihre mutigen Versuche, die nordische Sprache fehlerfrei zu sprechen. „Komm, das sollten wir Jarl Einar erzählen.“
Aufmerksam hörte Einar den Worten der Aelthdreda zu.
„Wir wollen nicht hierbleiben, und Beute machen wollen wir auch nicht“, sagte der Jarl. „Vielleicht bemerken sie uns nicht einmal!“ Doch da schüttelte die Sklavin ihren Kopf.
„Herr, sie uns sicher bemerken werden! Vielleicht die Blaugesichter uns schon gesehen!“ Sie zeigte an Land, auf die Wälder. „In jedem Baum kann ein Blaugesicht sitzen!“
Da sah Einar den Olaf an. „Wir warten es ab! Es wird jedenfalls Zeit, dass wir an Land kommen, sonst ist es zu spät.“
Näher und näher brachte Kjelt den Asenzorn dem Ufer, wo er nach der Mündung eines Flusses Ausschau hielt. Da begann es zu schneien, und der Wind wurde merklich kälter und stärker. Schneeflocken peitschten in die Gesichter, und schmerzten auf der Haut. Das große Segel an der Rahe, spannte sich fast bis zum zerreißen.
„Los, Steuermann, bring uns an Land! Schnell!“ Jarl Einar brüllte gegen den Wind an, und Kjelt kämpfte an der Seitenruderstange. Der Wind wurde nun immer heftiger, und der Schnee peitschte in die Gesichter. Da endlich zeigte Olaf, der auf der Reling am Vordersteven stand, zur Küste hinüber. Eine Bucht oder die Mündung eines Flusses tat sich auf, die ihnen nun Schutz bieten musste. Ubbe erkannte sofort, dass Kjelt Hilfe brauchte und fasste zu. Gemeinsam gelang es ihnen den Asenzorn auf direkten Kurs zu bringen.
Die Männer der Besatzung hingen an den Seilen des Segels.
Und dem Kjelt gelang es tatsächlich das Knarr in die Mündung des kleinen Flusses zu steuern.
Von Wald umgeben zog sich der Fluss nach Norden in das Landesinnere. Hier waren sie vor dem Sturm ein wenig geschützt. Unter der Zeltplane, die sie auf Deck gespannt hatten, drängten sich die Seefahrer. Eine Zeit lang folgte das Knarr dem Strom landeinwärts, und dann steuerte Kjelt den Asenzorn an die Böschung. Birk und Leif sprangen über Bord, und machten das Schiff an zwei Bäumen fest, die nahe an der Böschung standen. Dann schoben zwei Männer die Planke über die Reling. Doch eigentlich wollte noch niemand das Schiff verlassen. Der Schneesturm war an Land zwar nicht so heftig wie auf dem Meer, doch angenehm war er auch hier nicht. Jeder auf dem Knarr war froh, nun an diesem geschützten Platz zu liegen, doch die vier Sklavinnen hatten große Angst. Und ihre Angst sollte sich noch begründen!
*
1 Ran - düstere Meeresgöttin, zieht die Seefahrer bei Sturm mit ihrem Netz in die Tiefe, gebietet über die Seelen der Ertrunkenen, Weib des Ägir
2 Knarr, Knorr - dickbauchiges Handelsschiff der Nordleute
3 Insel der Angelsachsen - England
4 siehe Band 8
5 Lunden – Lundenvik, Londinium, London, an dem Fluss Themse gelegen
6 Themse – Die Themse ist ein durch Essex und Wessex fließender Fluss, der London mit der Nordsee verbindet
7 Walhalla – die große Halle Odins, in der die gefallenen Krieger an die Tafel des Göttervaters geladen werden
8 Midgard – eine der neun Welten, die Welt der Menschen
9 Grjotgard Herlaugsson – 790 – 867 n. Chr. König des Trøndelag
10 Lade – Königsstadt im Trøndelag, später von König Olaf Tryggvasson in Nidaros umbenannt und erweitert, heute ein Stadtteil von Trondheim
11 Trøndner – Bewohner des Trøndelag im Norden Norwegens
12 Ragnar Sigurdsson – gelebt in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts, Sohn des dänischen Kleinkönigs Sigurd Hring, trug den Beinamen Lothbrok (Lodenhose)
13 Gauten – Bewohner des nördlichen Götland, heute zu Schweden gehörend
14 Mastfisch – schwerer Holzblock in dem der Mast steckte
2. BLAUE GESICHTER
Durch den starken Schneefall war es den Trøndnern kaum möglich zu erkennen, was um sie herum geschah. Dies wäre erst wieder der Fall, wenn dieser starke Schneesturm, der über sie hinweg zog, endlich nachlassen würde. So sahen sie auch nicht die beiden Männer, die nicht weit des Schiffes in einem der kahlen Bäume saßen.
Eingehüllt in Umhänge aus weißem Leinenstoff, die Kapuzen tief in ihre mit blauen Mustern bemalten Gesichter gezogen, beobachteten sie das Schiff der Fremden. Doch es geschah nichts, außer, dass einige Fremde auf den Strand gesprungen waren, und das Schiff mit Holzpfosten abstützten. Und diese verschwanden auch wieder, nachdem sie dies getan hatten.
Die Ankömmlinge blieben auf dem Schiff unter der Zeltplane. Die beiden Männer mit den seltsamen blauen Zeichnungen in ihrem Gesicht, sahen sich an, und zuckten überrascht mit den Schultern. Als sich nach einer Weile immer noch nichts verändert hatte, kletterten die beiden Männer von dem Baum, und zogen sich zurück. Von alledem hatten die Nordleute jedoch nichts bemerkt.
Erst als der Schneesturm nachließ, wagte sich Jarl Einar über die Planke auf festen Boden. Raban, Olaf und Leif folgten ihm. Nun, da der Jarl auf Piktenland stand, kamen ihm die Worte der Aelthdreda wieder in den Sinn.
Misstrauisch sah er sich um, doch Einar war sich sicher, sie waren allein. Aber der Jarl täuschte sich!
Verborgen hinter einem schneebedeckten Erdhügel, unter seinem Umhang, den er zusätzlich mit Schnee bedeckt hatte, lauerte ein Späher der ansässigen Pikten. Denn was die Nordleute nicht wussten, sie waren nicht weit entfernt einer Siedlung der Blaugesichter.
Dann endlich hörte es auf zu schneien. Der Schnee lag nun hoch, und ließ die Männer und Frauen bis zu den Knien versinken. Leif und Søde begannen damit ein großes Stück des Bodens von dem Schnee zu befreien. Birk und zwei andere machten sich auf, um am Ufer nach Steinen zu suchen. Ihnen schlossen sich noch Sigrid und Gunnhild an.
Die Steine schleppten sie heran, und schichteten sie in einem großen Kreis auf. So entstand bald eine große Feuerstelle. Andere suchten nach Holz, was auch die vier Sklavinnen tun sollten. Doch diese kauerten auf den Planken des Schiffes, und wagten sich nicht von Bord.
Und plötzlich wurde es unruhig! Geschrei und aufgeregte Rufe hallten durch den kahlen Wald. „Kommt her, schnell!“
Es war Sigrid, die nach den anderen rief. Jarl Einar, Raban und Olaf liefen sofort zu dem Weib, das auf einem kleinen, verschneiten Erdhügel stand. Vor ihr, halb von Schnee bedeckt, lag ein Mann.
Auf der Suche nach großen Steinen, war Sigrid langsam auf den Erdhügel zu gegangen. Und ihr war plötzlich, als würden Blicke auf ihr ruhen. Langsam führte sie ihre Hand auf den Rücken, wo im Gürtel ihre Axt steckte. Suchend schlenderte sie mal zu der einen Seite, dann wieder zu der anderen Seite. So näherte sie sich der Erderhebung. Und je näher sie kam, umso sicherer war sie, dass dort jemand lag, und sie beobachtete aus den Augenwinkeln ob sich etwas bewegte. Und als sie nahe genug herangetreten war, schlug sie zu. Aus dem Erdhaufen tönte ein dumpfes „Uff“ und Sigrid wusste, dass sie getroffen hatte.
Sie griff beherzt zu, und drehte ihre Beute auf den Rücken.
Ein schlanker, bärtiger Mann lag vor ihr im Schnee. In seinem Gesicht waren seltsame Kreiszeichnungen in blauer Farbe. Ein rotes Rinnsal lief ihm von der Stirn über das Gesicht. Aber er atmete!
„Was haben wir denn da?“, fragte Jarl Einar grinsend, als er näherkam. „So wie es aussieht, waren wir nicht allein“, stellte Olaf fest. „Ich denke, wir sollten Aelthdredas Worte besser ernstnehmen, Einar.“ Der Jarl nickte, und trat heran.
„Was für ein seltsamer Vogel!“ Er kniete nieder, und packte den Kerl an seinem wollenen Umhang. „He, wach auf, Mann!“ Er schüttelte den Pikten, bis dieser seine Augen öffnete.
Allerdings brauchte der Mann einen kurzen Augenblick, um zu begreifen, was um ihn herum geschah. Und dann versuchte er nach seinem Messer zu greifen. Dies brachte ihm einen Faustschlag des Jarls ein, und er sank wieder in sich zusammen. „Fesselt den Kerl“, befahl Einar. „Vielleicht hat er uns ja etwas zu erzählen.“
Als der Pikte erwachte, lag er gefesselt unter der Zeltplane auf dem Schiff der Fremden. Und er ärgerte sich natürlich, dass er den Fremden in die Hände gefallen war. Er war nicht allein, doch dies bemerkte er erst nach einer Weile. Ein großer, blonder Krieger und eine viel kleinere braunhaarige Frau saßen an die Reling gelehnt, und sprachen miteinander.
Da bemerkte Olaf, dass der Gefangene erwacht war. „Aha, da ist er ja wieder“, sagte der Trøndner, und erhob sich.
„Unser Jarl will mit dir reden, Pikte.“
Fragend sah der blaugesichtige Mann den Blonden an. Da trat die junge Frau heran. „Er will, dass du mit seinem Jarl sprichst“, sagte sie in der Sprache der Angelsachsen. Doch der Pikte sah sie ebenfalls fragend an. Es schien, als verstünde er die Sprache der Angelsachsen genau so wenig, wie die der Nordleute. Er sprach nun einige Worte in der Sprache seines Volkes, und wirkte angriffslustig. „Er scheint mich nicht zu verstehen“, sagte Aelthdreda, und sah Olaf an. „Ich hätte gedacht, dass er meine Sprache spricht.“
Noch einmal wandte sie sich dem Gefangenen zu. „Ich rate dir, mit mir zu sprechen, Pikte. Ich kann nicht glauben, dass du meine Sprache nicht verstehst. Darum wird dir Olaf jetzt ein Ohr abschneiden.“
Erstaunt sah der Pikte die Frau an. Er verstand, dass dieses Weib keine dieser Nordleute war. Sie war aus dem Süden, vom Volk der Angelsachsen, und war sicher eine Gefangene wie er einer war!
„Hast du mich verstanden, Blaugesicht?“ Sie sah Olaf an, und sagte dann er solle dem Pikten ein Ohr abschneiden.
Olaf zeigte sich verwundert. Nicht, dass es für ihn ein Problem war, dem Kerl ein Ohr oder sonst was von seinem Körper abzuschneiden. Er zuckte mit den Schultern, und zog sein Saxmesser15 aus der Scheide. Noch einmal sah er die braunhaarige Frau an, und diese nickte. So trat der Blonde auf den Gefangenen zu. Zornig sah dieser die Aelthdreda an.
„Du bist ihre Gefangene, Angelsachsenweib! Warum hilfst du ihnen!“ Da staunte Olaf, und hielt inne. „Schau an, er spricht ja doch deine Sprache. Was sagt er?“
„Warum ich euch helfe, will er wissen“, antwortete sie, und trat an den Olaf heran. Sie umarmte den Kerl, und küsste ihn innig. Da verstand der Pikte! Er spuckte vor dem Weib aus. „Ihr könnt mich töten, aber ich werde euch nichts verraten!“
„Er will dich nicht töten!“ Aelthdreda übersetzte dem Olaf die Worte des Gefangenen. Dieser ließ sein Messer wieder in die Lederscheide gleiten und griff zu. Er stellte den Pikten auf dessen Beine. „Na, dann komm mal mit.“ Er schob den Gefangenen vor sich her, drückte ihn die Reling hoch, und schob ihn über die Planke. Um die Feuerstelle, über der ein großer Kessel hing, stand die Besatzung des Asenzorns, und machte sich über ein warmes Mahl her. Einige Krieger standen Wache, damit sie nicht überrascht würden. Da kamen Olaf, Aelthdreda und der Pikte an das Feuer. „Einar“, sprach Olaf zu seinem Jarl.
„Hier ist der gefangene Kerl!“
„Ah, du hast Sigrids Schlag also überlebt. Das ist gut so!“
Der Jarl sah Aelthdreda an, und diese verstand, dass sie die Worte übersetzen sollte. Erstaunt sah der Pikte den Mann an, der wie ihm schien, sicher der Anführer der Fremden war. Sein Blick ging zurück zur Aelthdreda, und diese übersetzte ihm die Worte Einars. Er schaute immer noch düster drein, aber er nickte.
„Wir sind nicht hier, um gegen euch zu kämpfen“, sprach Einar ruhig. „Der Sturm zwang uns hierher. Ich will, dass du diese Nachricht deinem Anführer überbringst. Wir werden euer Land in Frieden verlassen! Frag ihn nach seinem Namen, Aelthdreda.“ Die angelsächsische Sklavin Aelthdreda übersetzte Einars Worte, und fragte den Blaugesichtigen ob er sie verstanden habe. Der Mann sah den Jarl streng an, nickte aber. Doch sein Mund blieb verschlossen. „Nun sag schon wie du heißt“, drängte die Angelsächsin. Mürrisch antwortete der Mann: „Ulik!“
Da trat Einar heran, zog sein Messer und zerschnitt dem Pikten die Fesseln. „Höre mir zu, Ulik. Sage deinem Häuptling, dass wir euer Land schnell wieder verlassen werden. Wir wollen Frieden.“ Während Aelthdreda dem Mann die Worte übersetzte, kam Birk heran, und reichte dem Mann in der braungrün karierten Hose und der braunen Tunika seine Waffen. Auch Sigrid trat heran, und reichte dem Mann seinen weißen Umhang, und grinste ihn dabei frech an. Der Pikte hängte sich den Umhang um, verschloss die eherne Spange, welche einen Keiler darstellte. Einar machte mit der Hand eine Bewegung, die dem Mann zeigen sollte, dass er frei war. Aelthdreda zeigte in den Wald. „Du kannst gehen, Ulik!“ Und der Mann mit den kreisförmigen Bemalungen in seinem Gesicht, zog sich eilig in den Wald zurück.
*
Freki, der graue Hund Thorbergs, lag vor der großen Feuerstelle, an der Ferun das Essen zubereitete. Hier fühlte sich das Tier wohl, schließlich war es hier warm und trocken. Warum sollte er da auch nach draußen in die Kälte laufen. Allerdings war es genau das, was Ferun von dem großen Tier erwartete, bevor er ihr in das Haus pinkelte.
Und so brachte sie Freki zur Tür, und schmiss den winselnden Hund kurzerhand hinaus. „Und komm erst zurück, wenn du dein Geschäft erledigt hast!“
Sif, die obodritische Sklavin, die schon seit Jahrzehnten zum Hausstand Jarl Einars gehörte, hatte den kleinen Thord auf dem Arm, und hütete auch den kleinen Ulf, der zu ihren Füßen mit einem hölzernen Pferd spielte. Thorvi, die Tochter des Jarls, zählte nun schon fast zehn Winter. Hrana, die zwei Winter jüngere Tochter der Ferun, spielten auf dem Hof im Schnee. Polk der Sklave, der schon genau so lange zur Familie des Jarls gehörte wie die Sif, versorgte das Vieh und arbeitete auf dem Hof, der zum Jarlshaus gehörte. Er sorgte, auch in der Abwesenheit des Jarls dafür, dass der Hof erblühte, und niemand hungern musste. Über dem Dorf lag eine winterliche Ruhe, die nur durch das lautstarke Treiben im Hafen, und gelegentliche, krächzende Schreie der Raben am Himmel unterbrochen wurde. Thorberg hatte sich an seine Rolle als Vertreter seines Schwagers nur langsam gewöhnt. Doch mit der Hilfe seines Weibes, führte er das Dorf anstelle des Jarls, und dies inzwischen mit fester Hand. Der Jarl von Tautra, und die Besatzung des Asenzorn war fast schon ein ganzes Jahr fort. Und niemand erwartete sie im Winter zurück. Es gab seitdem sich die Blätter der Bäume gelb und braun gefärbt hatten, keine Nachrichten von der Insel der Angelsachsen. Auch nicht in der Königsstadt Lade, wo man längst sehnsüchtig auf die Rückkehr von König Grjotgards Flotte wartete. Besonders Andur, die Königin, wartete auf ihren Gemahl. Sie war nicht besonders erfreut gewesen, als Grjotgard ihr im Winter des letzten Jahres mitteilte, dass er mit dem Dänenkönig Horik, und dem König von Ranrike, Ragnar Sigurdsson, nach Westen segeln wollte, um Lunden16 die große Stadt der Angelsachsen zu belagern. Doch sie ließ ihren Gemahl ziehen, denn sie wusste, dass Grjotgard ein Kriegerkönig war. Und er brauchte die Achtung und Ehrerbietung seiner Gefolgschaft, darum zeigte sich Grjotgard gern als einer von ihnen.
Thorberg konnte es nicht unterlassen, die Händler und Fischer, die vom Festland nach Tautra herüberkamen, immer wieder auszufragen, ob es Neuigkeiten gab. Er sehnte dem Tag entgegen, an dem sein Schwager heimkehren würde. Doch die letzte Nachricht, die sie erhalten hatten, kam am Ende des letzten Sommers. Drei dänische Händler, hatten mehrere Verletzte nach Lade gebracht. Die waren mit einem Schiff König Horiks aus den Heerlagern in Britannien nach Ribe gekommen. Von dort mussten die Verletzten sehen, wie sie in ihre Heimat kamen. Die verletzten Trøndner hatten Glück, denn sie fanden diesen Händler, der nach Lade reisen wollten. So erfuhr man im Trøndelag, von den Vorgängen in Britannien. Doch seit einem halben Jahr gab es keine Nachrichten mehr. Dass die Kämpfe vor Lunden beendet waren, dass Ragnar Sigurdsson die beiden anderen Könige verraten hatte, und dass Jarl Einar sich inzwischen auf dem Heimweg befand, wusste man jetzt im Februar des Jahres 837 n.Chr. natürlich nicht.
Auf der Insel Tautra herrschte nun Ruhe. Die Hinrichtung der Männer, die versucht hatten den Jarl während seiner Abwesenheit zu stürzen, hatte für Ruhe gesorgt. Sie hatten sowieso wenige Unterstützer, und die Familien hielten sich seitdem bedeckt. Sie wollten nicht auffallen, und außerdem war ihre Zukunft noch offen, denn Jarl Einar wusste ja noch nichts von den Vorfällen. Nur einem der Verschwörer war die Flucht gelungen. Eisi Varnasson, der Fischer von der Nordküste. Er hatte die Flucht angetreten, als es ihm noch möglich war. Sein Sohn Varn, die drei Töchter und sein Weib, hatte Eisi mit sich genommen, als er in der Nacht mit dem Skuder17 von der Insel fortsegelte. Seitdem stand sein Haus leer. Fast seinen gesamten Hausstand hatte er zurückgelassen. Doch davon war nun nichts mehr da. Die Netze und Boote des Fischers, waren zuerst in den Besitz anderer übergegangen. Und bald darauf folgte auch der Rest. Das Eisi noch einmal zurückkehren würde, glaubte niemand auf Tautra.
Es war ein schöner Wintertag. Der Himmel war wolkenlos und blau. Die Sonne schien, und ließ den Schnee glitzern.
Die Kinder des Dorfes spielten auf dem kleinen Hügel hinter Jarl Einars Haus. Schlittenfahren war ein beliebter Spaß. Thorvi hatte einen guten Schlitten, extra für sie von Thoke, dem Zimmermann, gebaut. Und mit diesem schlitterte sie am weitesten. Fast bis zum Stall des etwas weiter entfernten Nebengebäudes, wo sie vor dem Gatter zum Stehen kam. „Das ist aber ein guter Schlitten!“ Ein junger Bursche war aus dem Schatten des Stalles an das Gatter getreten, und lehnte nun darauf. Misstrauisch sah Thorvi den jungen Burschen an. „Hat Thoke für mich gebaut!“ Bewundernd nickte der Kerl. „Der Zimmermann baut einen Kinderschlitten? Du bist wohl was Besonderes?“
Thorvi erhob sich von dem Schlitten, und wollte gehen. Sie packte die Leine und zog den Schlitten hinter sich her. „He, warte doch“, rief der junge Kerl, und sprang über das Gatter.
Nach wenigen Schritten war er neben dem Mädchen. „Bist du Thorvi, die Tochter von Einar?“
„Von Jarl Einar“, sagte sie fordernd. „Ja, ich bin Thorvi!“
Da zog der Bursche sein Saxmesser aus dem Wehrgehäng, und wollte ihr drohen. „Du kommst jetzt mit mir, oder ich steche dich ab.“ Er wollte nach dem Mädchen greifen, als er plötzlich aufschrie. Ein grauer Schatten war wie ein Blitz hinter dem Gatter hervorgeschossen, und hatte den jungen Burschen bei der Hand erwischt. Die spitzen Zähne des Hundes gruben sich tief in das Fleisch, und sogar ein Finger fiel zu Boden. Wild zog der Kerl, um seine Hand aus dem Maul des Hundes zu bekommen. „Freki, lass ihn“, rief Thorvi, und erst jetzt ließ der Hund den Mann frei. Drohend stellte sich das Tier neben das Mädchen. Jammernd und fluchend lief der Bursche davon. Jetzt kamen die anderen Kinder angelaufen, die durch das Geschrei aufmerksam geworden waren. „Was ist geschehen?“, wollte Hrana wissen, und starrte auf den Finger, der in dem rotgefärbten Schnee lag. „Er wollte, dass ich ihm folge. Aber Freki hat ihn gebissen.“ Da begann die kleine Hrana zu lachen, und streichelte den grauen Hund. „Bist mein guter Hund“, sagte sie und schmuste den Grauen liebevoll. Gemeinsam gingen sie zurück zum Haus Jarls Einars.
Ferun fiel sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Und so fragte sie die Mädchen, was vorgefallen sei. Doch Anfangs zögerte Thorvi, und wollte nichts sagen. Aber Hrana schwieg nicht. „Freki hat einem Kerl in die Hand gebissen“, sagte sie knapp. Da wurde Ferun böse, und wollte den Hund bestrafen. Dies wollte Thorvi aber keineswegs zulassen, und so sprach sie. „Freki, hat mich beschützt!“
Da wurde Thorberg aufmerksam. „Was willst du damit sagen, Thorvi?“ Das Mädchen mit den blonden Locken setzte sich zu ihrem Onkel an den Tisch, und erzählte, von den Vorkommnissen. Thorberg hörte aufmerksam zu, und ihm schwante Böses. Mit besorgtem Blick sah er zu seinem Weib hinüber. „Kanntest du den Mann?“, fragte er das Kind, und diese schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich weiß nicht wer er ist. Aber ihm fehlt jetzt ein Finger.“ Thorvi begann zu grinsen, und strich Freki über den Kopf. Da blickte Thorberg sein Weib an, und sprach: „Du solltest den Hund besser belohnen. Ich glaube, er hat Schlimmes verhindert.“
Noch zur selben Stunde, machte er sich auf den Weg zu Thure in das Haus der Krieger. Dieses war ein großes Langhaus, welches der Jarl hinter der großen Methalle von Sørhamna hatte errichten lassen, und in dessen Schatten nun auch ein flacher Bau stand, der als Kerker genutzt wurde. In dem Langhaus lebten die alleinstehenden Krieger, die zur Leibwache des Jarls gehörten. Zwanzig Krieger, darunter drei Schildmaiden die einst der Thordis folgten, gehörten zu der Leibwache, die normalerweise dem Thoke, als Hauptmann, unterstellt waren. Da dieser aber mit Jarl Einar auf Kriegsfahrt war, hatte nun Thure den Befehl.
Er trat durch die weitgeöffnete Tür des Langhauses, in dem einige Leute saßen, und sich beschäftigten. Dort saß auch Olf, einer der Krieger, und spielte mit einer Kriegerin ein Brettspiel. Diese waren sehr beliebt in dem Quartier, sorgten aber manchmal für ordentlich Streit unter den Bewohnern.
„Wo ist Thure?“, fragte Thorberg, und Olf zeigte in den hinteren Teil des Gebäudes. Dort gab es die Schlaflager für die Krieger, wo sie auch ihre persönlichen Gegenstände lagerten. Thure lag tatsächlich auf einem der Schlaflager und schnarchte vor sich hin. „Am hellen Tag schläft der“, kopfschüttelnd trat Thorberg neben den Schlafenden. Er verzichtete darauf Thure anzufassen, und setzte sich gegenüber auf das Schlaflager. „Thure, los erwache! Ich brauche dich“, sprach er laut, und der Schlafende begann zu zucken. Er schlug seine Augen auf, und sah an die Decke.
Erst dann bemerkte er denn Mann, der ihn beobachtete. „Oh, Thorberg.“ Er setzte sich auf, und schlug die Beine über den Rand des Bettes. „Es gab einen Vorfall, der mich beunruhigt“, begann nun Thorberg den Hauptmann der Wache aufzuklären. „Ein Kerl hat sich Thorvi genähert, und wollte sie dazu bringen ihm zu folgen.“ Da sah Thure den Schwager des Jarls erstaunt und besorgt an. „Aber es gelang ihm nicht?“
Thorberg schüttelte mit dem Kopf. „Nein, es gelang ihm nicht. Stattdessen hat ihm Freki wohl einen Finger abgebissen.“ Da lachte Thure auf. Dies gefiel ihm. „Guter Hund!“ Thorberg nickte. „Ich frage mich, wer kann das gewesen sein, und warum?“ Da erhob sich Thure, und griff nach seinem Wehrgehäng, mit dem Schwert und dem Messer. „Wir werden es herausfinden, Thorberg. Wir finden es heraus!“
*
Es war einer der fünf Gauten, die sich mit Gisli dem Jarl Einar Blutauge angeschlossen hatten, der am frühen Morgen am Bug des Asenzorn Wache stand. Ein weiterer Mann stand am Heck des Schiffes. Es war noch nicht lang her, als sie die anderen Wächter abgelöst hatten. Eigentlich hatten die Trøndner erwartet nicht behelligt zu werden. Schließlich hatten sie guten Willen gezeigt, friedlich zu lagern. Doch sie sollten sich täuschen!
Ein gut gezielter Pfeilschuss reduzierte die Zahl der Gauten an Bord um einen Mann. Der Pfeil bohrte sich in den Hals des Kriegers, und er fiel röchelnd in den Schnee. Während der Gaute auf seinen Speer gestützt mehr geschlafen hatte, als dass er wach war, zeigte sich Birk hellwach und Herr über seine Sinne. „Wir werden angegriffen“, brüllte er los.
Er riss das Signalhorn an den Mund, und blies hinein. Sofort kam Leben auf das Schiff. Jeder kannte diesen Ton, und wusste was er bedeutete. Birk lief über die Planke, und warf sich hinter die Reling, denn nun regnete es Pfeile auf das Knarr herab. Die schneebedeckte Wiese, reichte in dreifacher Länge des Wikingerschiffes, bis zu einer mannshohen Böschung, auf der Bäume wuchsen. Jetzt im Winter waren sie natürlich kahl. Von dort wurden die Pfeile abgeschossen.
Diese schlugen in das Holz und den dicken Stoff des Zeltes.
Auf allen Vieren kroch Einar unter der Plane hervor, und hielt sich unterhalb der Reling. „Was ist geschehen?“, fragte er den Birk. „Na, was wohl? Plötzlich fiel Yngvar um und war tot.“ Er lehnte sich an die Reling, während immer wieder Pfeile in die Planken des Schiffes schlugen.