Die Saga von Sigurd Svensson - Rainer W. Grimm - E-Book

Die Saga von Sigurd Svensson E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

Kaum dem Kindesalter entwachsen, verlässt Sigurd, der erstgeborene der beiden Söhne des Häuptlings Sven, den Hof seines Vaters im Tröndelag, einem Gau im Nordwesten Norwegens, um als freier Wikinger sein Glück auf See zu suchen. Er schließt sich einem gefürchteten Seekönig an und erkämpft im Alter von nur siebzehn Jahren, getrieben von ungestümem Mut, ein eigenes Schiff, mit dem er auf Raubfahrt geht. Doch das große Heil, das ihm die Götter im Kampf schenken, muss der junge Nordmann teuer bezahlen. Heftige Schicksalsschläge erschüttern das Leben des jungen Kriegers in seiner Heimat, und so begibt er sich, als neuer Häuptling des Dorfes, auf die Suche nach seinen in die Sklaverei verschleppten Schwestern und den Mördern seiner Gesippen.

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Inhalt

Kaum dem Kindesalter entwachsen, verlässt Sigurd, der erstgeborene der beiden Söhne des Häuptlings Sven, den Hof seines Vaters im Tröndelag, einem Gau im Nordwesten Norwegens, um als freier Wikinger sein Glück auf See zu suchen. Er schließt sich einem gefürchteten Seekönig an und erkämpft im Alter von nur siebzehn Jahren, getrieben von ungestümem Mut, ein eigenes Schiff, mit dem er auf Raubfahrt geht. Doch das große Heil, das ihm die Götter im Kampf schenken, muss der junge Nordmann teuer bezahlen. Heftige Schicksalsschläge erschüttern das Leben des jungen Kriegers in seiner Heimat, und so begibt er sich, als neuer Häuptling des Dorfes, auf die Suche nach seinen in die Sklaverei verschleppten Schwestern und den Mördern seiner Gesippen.

Der 1964 im Ruhrgebiet/NRW geborene Rainer W. Grimm erlernte zwei Handwerksberufe, bevor er seine Liebe zur Schriftstellerei entdeckte, und damit begann, seine erste Geschichte über die Wikinger zu schreiben. Anfangs nur zum Zeitvertreib, ist das Schreiben von historischen Geschichten und Romanen inzwischen zu einem Teil seines Lebens geworden. Er lebt immer noch mit seiner Familie und zwei Katzen im Ruhrgebiet. Mit der Saga von Sigurd Svensson „Das Schwert des Wikingers“ veröffentlichte der Autor den ersten von zwei Romanen, die die Vorgeschichte zu der, in drei Bänden erschienenen Saga von Erik Sigurdsson bilden.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Hintergrund

Im Gefolge des Seekönigs Olof

Von Arnodd und dem Wogendrachen

Die Rückkehr

Brautwerbung und Schwertgesang

Gesippenzwist

Von einem wahrlich guten Geschäft

Der Wille der Götter

Der Knabe Bjarne

Geirmunds Überfall

Von Liebe zu Hass

Häuptling im Fjord

Auf nach Britannien

Im Heerlager

Von der Rettung der Ingigrid

Historischer Hintergrund

Bis zu seinem Tode im Jahre 933 n. Chr. herrschte Harald Harfagr, den man Schönhaar nannte, als alleiniger König über ganz Norwegen. Ihm war es gelungen, die Gaue des Landes am Nordweg, die von Kleinkönigen, Jarlen1 und Häuptlingen beherrscht wurden, zu einem einzigen Königreich zu vereinen, über das er mit harter Hand regierte. Seine vielen Söhne ernannte er zu Jarlen und gab ihnen jeweils ein Gau zum Lehen. Seinen Lieblingssohn Erik bestimmte er zu seinem Nachfolger und Erben.

Dies erzürnte die anderen Königssöhne, es kam zum offenen Streit, und eine Feindschaft zwischen den Brüdern entbrannte. Nachdem König Harald dann gestorben war, forderte Erik von seinen Brüdern den Gefolgschaftseid und die Königssteuern ein, denn er wollte, wie schon sein Vater vor ihm, als alleiniger Herrscher regieren. Doch die Jarle weigerten sich und bekamen daraufhin den Zorn des Erik Haraldsson zu spüren. Zwei Brüder ließ Erik nun ermorden und erhielt vom Volk den Beinamen „Blutaxt“. Die beiden anderen Brüder, die in den Gauen Vingulmark und Vestfold im Süden des Landes herrschten, forderte er zu einer großen Schlacht, in der die Kleinkönige ihr Leben ließen. Nun herrschte Erik „Blutaxt“ in ganz Norwegen. Doch das

Volk des Tröndelag, einem Gau im Nordwesten des Landes, fiel schnell von dem neuen König ab und rief nach Hakon, dem jüngsten Sohn des Harald „Schönhaar“, der auf der Insel der Britannier weilte und dort am Hofe König Äthelstans eine christliche Erziehung genossen hatte. Und Hakon kam mit einer großen Flotte, um die Brudermorde zu sühnen. Einen Gau nach dem anderen eroberte er, und Erik „Blutaxt“ verlor letztendlich seine Herrschaft und musste fliehen. Schon bald wurde Hakon zum neuen König ausgerufen, und in die Gaue setzte er die Söhne seiner Brüder als Kleinkönige ein. Einige Sommer und Winter war nun Frieden im Land am Nordweg, und König Hakon wandte sich nach mehreren vergeblichen Versuchen, das Christentum einzuführen, sogar wieder dem Glauben an die alten Götter des Nordens zu. Doch eines Tages im Jahr 960 n. Chr. kam Harald Eriksson, den man „Graumantel“ nannte, und mit ihm seine Brüder, die Söhne des Erik „Blutaxt“, nach Norwegen, um ihren Onkel Hakon den Guten, wie der König nun genannt wurde, aus seiner Herrschaft zu vertreiben.

Mit der Hilfe des Dänenkönigs, die Erikssöhne waren Vasallen des Dänen, gelang es in vielen Schlachten, den Hakon vom Thron zu stürzen und auch den Ladejarl Sigurd, Freund und Lehnsmann des Herrschers, in seinem Gau, dem Tröndelag, zu töten. Nur die Gaue Vestfold und Vingulmark konnten Harald und seine Brüder lange Zeit nicht erobern.

Erst durch eine List gelang es, die beiden Herrscher der Gaue Gudröd Björnsson und Tryggve Olafsson zu töten. So fiel Südnorwegen, von Ranrike bis Hardanger, in die Hände des Harald „Graumantel“. Jedoch das Umland des großen Trondheimfjordes ging dem Harald nach einigen Sommern wieder verloren, denn der Sohn des Ladejarls, mit Namen Hakon Sigurdsson, den man bald selbst bald den Jarl von Lade nannte, festigte seine Macht durch die Hilfe König Harald Blauzahns von Dänemark, und ließ sich bald zum Kleinkönig der westlichen Gaue ausrufen. Der Süden des Landes dagegen fiel vollends unter die Herrschaft des Dänenkönigs, und Harald wurde dessen Vasall.

Nun war, bis auf die Gaue im Westen und Norden, das norwegische Reich von den Dänen besetzt, und es sollten noch einige Sommer und Winter vergehen, bis endlich ein Nachfahre aus dem Geschlecht des großen Harald „Schönhaar“ nach der Herrschaft über ganz Norwegen greifen würde.

*

1 Jarl – Adelstitel, Graf ( engl. Earl )

1. Im Gefolge des Seekönigs Olof

Der Mann, der vor Sigurd drohend seine Fäuste hob, war sicherlich doppelt so alt wie der junge Bursche, den er sich zum Gegner gewählt hatte. Er selbst war ein gestandener, erwachsener Mann. Ein Krieger, sicherlich erfahren im Kampf! Sigurd dagegen war fast noch ein Knabe. Groß gewachsen zwar und kräftig von Statur, muskulös von der Arbeit auf dem Hof, aber noch sehr jung.

Und Sigurd wunderte sich selbst, wie es geschehen konnte, dass er diesem Fremden nun plötzlich in dieser schmutzigen, wenig einladenden Spelunke im Streit gegenüber stand.

Der junge Tröndner2 zählte erst vierzehn Sommer und Winter, als er in einer dunklen und kalten Nacht heimlich den Hof seines Vaters verließ. Sigurd Svensson hatte für sich entschieden, dass es in dem kleinen Fjord, in dem sein Vater der Häuptling einer Siedlung war, keinen Platz mehr für ihn gab. Lange genug hatte er die Willkür des Vaters ertragen, denn obwohl er der ältere der beiden Svenssöhne war, wurde Sigurd von dem Herrn des Hofes nur schlecht behandelt. Niemand in der Siedlung wusste, warum dieser so etwas tat! Vielleicht war ja das aufrührerische Wesen des jungen Tröndners der Grund, da er sich dem Vater oft in Ungehorsam entgegen stellte und nicht so folgsam war wie Eirik, sein jüngerer Bruder, der ganz nach dem Geschmack des Vaters geraten zu sein schien.

Und so hatte Sven beschlossen, dass nur sein Sohn Eirik einmal den Hof erben könne. Dies war jedoch ein Verstoß gegen das Odalrecht3, denn Sigurd war als der Ältere der eigentliche Hoferbe, und er hatte sich geschworen, eines Tages sein Recht einzufordern, und sei es mit Gewalt!

Doch bis dieser Tag kommen würde, wollte er nicht länger die Ungerechtigkeiten des Vaters ertragen und lieber dem Hof den Rücken kehren.

So hatte ihn sein Weg nach Lade, in die größte Siedlung des Gaues im großen Trondheimfjord, geführt. Denn hier hatte er die Hoffnung, einen Schiffseigner zu finden, dem er sich anschließen konnte, um auf Wiking4 auszufahren.

Also begab er sich direkt in den Hafen des großen Handelsplatzes und trat in ein Langhaus, das als Schänke bekannt war und von vielen Seefahrern besucht wurde, ein.

Doch kaum hatte der junge Bursche die Schänke betreten und sich an den Tresen gestellt, der aus zwei großen Fässern und einer breiten, darauf befestigten Holzplatte bestand, begann der Streit. Schon als Sigurd nach einem Becher Bier verlangte, begann ein angetrunkener Kerl mit blondem, ja fast gelbem Haar, den jungen Wanderer zu verhöhnen.

Der Mann saß nicht weit entfernt von dem jungen Tröndner auf einem der Podeste an der Längsseite des Hauses, die den Gästen der Schänke als Bänke dienten, und die mit dicken Fellen bedeckt waren.

„Bier willst du?“, rief er und sagte lachend, an den Wirt gerichtet: „Gib dem Knaben lieber Milch!“

Anfangs noch überhörte der junge Bursche die frechen Beleidigungen des Fremden, der sich sicher vor seinen Gefährten mit ihm einen Spaß erlauben wollte. So ließ sein aufbrausendes Wesen das Blut des jungen Tröndners brodeln. Sigurd war seit frühester Jugend ein Heißsporn und von recht draufgängerischer Natur, so hatte er sich schon als kleiner Knabe ohne Angst den älteren Burschen des Dorfes tapfer zum Kampf entgegen gestellt. Denn schließlich war er der Sohn eines Häuptlings!

Nun aber forderte ein erfahrender Seekrieger seinen Mut heraus, und dies war kein Knabe, der nur raufen wollte. Die Nichtbeachtung durch den Beleidigten spornte den Betrunkenen nun erst richtig an, und er erhob sich, um vor den jungen Burschen zu treten. Leicht wankend baute er sich vor dem Tresen auf. „He, Hasenfuss! Hast du dich verlaufen?“, spottete er abfällig. „Bist du etwa deiner Amme fortgelaufen?“

Da richtete der Wirt das Wort an den Seefahrer. „Lass den jungen Kerl in Ruhe, Björn! Er ist doch sicher kein Gegner für dich. Da erlangst du wenig Ehre, wenn du dich mit ihm schlägst!“

„Ach, halt dein Maul, Kjelt!“, schnauzte der betrunkene Krieger. „Wenn er nicht Manns genug ist, sich mit mir zu schlagen, dann hat der Knabe in einer Schänke nichts verloren!“

Da war es dem Sigurd genug. „Oh, es ist nicht die Angst, dass du mir eine ordentliche Tracht Prügel verabreichst“, sprach der junge Tröndner fast belustigt. „Es ist eher die Sorge, dich ernsthaft zu verletzen, du Saufbold!“

Nun begannen die Gefährten des Seekriegers herzhaft zu lachen und zu feixen. Dies aber ließ den Zorn in Björn aufsteigen, und er war nicht mehr zu halten.

Der Stoß des Mannes gegen die Brust des jungen Burschen war heftig und ließ diesen zurücktaumeln. Doch er fiel nicht zu Boden, wie es Björn erwartet hatte, sondern stürzte sich nun ohne zu zögern und von Wut getrieben auf den um sicherlich zehn Sommer älteren Krieger. Der betrunkene Mann überragte Sigurd um gut eine Kopfeslänge und war dem jungen Burschen an Körperkraft doch weit überlegen, das spürte dieser sofort. Doch Sigurd war bereit zu kämpfen, und ihm fehlte es nicht an Mut. Zwei oder drei heftige Fausthiebe trafen nun Björn in sein Gesicht, und das Blut begann aus seiner Nase zu tropfen. Da sprangen die Gefährten des Seekriegers erschrocken auf, doch Björn hieß sie, sich nicht in den Kampf einzumischen. Harte Schläge waren es, die Sigurd nun trafen. Die Fäuste seines Gegners bewiesen ihm, dass dieser Björn auch betrunken ein harter Brocken und diesem nicht leicht beizukommen war.

Doch der Tröndner wollte seinem Widersacher nichts schuldig bleiben, und die Lektionen, die sein Vater Sven ihm und seinem Bruder Eirik im Faustkampf, und im Umgang mit den Waffen erteilt hatte, schienen ihm nun zugute zu kommen. Sigurd erhob sich und rieb mit der Hand sein schmerzendes Kinn, trat dem Björn aber sofort wieder entgegen, um die erlittene Scharte auszuwetzen. Er wollte dem Gegner einen Hieb versetzen, doch ehe er sich versah, saß er erneut auf dem schmutzigen Boden der Schänke.

Nun tropfte auch Sigurd das Blut aus der Nase, und er war arg benommen. Langsam erhob er sich, und so, wie er auf den Füßen stand, schlug er beherzt zurück. Doch dem ersten Schlag wich Björn, der dem Sigurd nun plötzlich wieder recht nüchtern erschien, noch geschickt aus. Einen zweiten Fausthieb aber, der dem ersten sofort folgte, bekam er in seiner ganzen Härte zu spüren und taumelte nun seinerseits benommen gegen den Tresen.

„Bürschchen, Bürschchen“, brummte der Mann ärgerlich und wischte sich mit dem Ärmel seines Kirtels5 das Blut aus dem Gesicht. Noch einmal versuchte sich der Wirt in den Kampf einzumischen, denn er befürchtete nun das Schlimmste für den jungen Kämpfer. Doch diesmal hielten die Gefährten des Björn den Schänkenbesitzer zurück, und da er sich nicht mit den rauflustigen und angesoffenen Seefahrern anlegen wollte, überließ er den jungen Burschen nun seinem Schicksal. Schließlich hatte bisher niemand eine Klinge gezogen, und eine Tracht Prügel würde er sicher überstehen.

Doch der Kämpfer aus dem Norden des Reiches schlug sich tapfer gegen den erfahrenen Krieger, der zur größten Verwunderung des Wirtes nicht weniger einstecken musste als sein junger Gegner. Für jeden ausgeteilten Hieb mussten die beiden Kämpfer auch einen Schlag ertragen.

Die Gefährten des Älteren begannen bereits zu feixen, da sie fanden, dass ihr Kamerad sich schwer tat mit dem leichten Gegner. Dies ärgerte den Björn sehr, und er schnauzte seine Gefährten zornig an.

Doch als Sigurd abermals auf dem Boden gelandet war und benommen versuchte, sich zu erheben, da trat Björn auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

„Lass es gut sein, Bursche“, sagte er mit blutiger Nase und geschwollenem Auge. Plötzlich begannen die Seefahrer zu murren, da sie sahen, dass der Kampf beendet war und es keinen Sieger gab. Björn aber kümmerte sich nicht um seine Gefährten. „Nimm meine Entschuldigung an und lass es genug sein!“ Er lächelte, was mit seinem verbeulten Gesicht äußerst lustig aussah. „Noch ein paar Schläge, und mich lässt keine Hure mehr auf ihr Schlaflager, da sie denkt, ich sei der Grendel6 persönlich!“

Verwundert sah Sigurd zu seinem Gegner auf, reichte diesem aber die Hand und ließ sich auf die Beine helfen. Die Gefährten des Björn grölten nun nicht mehr belustigt, und keiner wagte es, eine abfällige Bemerkung zu machen, denn der Wikinger hatte einen ehrenvollen Ruf, schien Beleidigungen nicht lange auf sich sitzen zu lassen und beglich diese schnell und ohne Gnade. Also wandten sie sich wieder ihren frisch gefüllten Bierbechern zu.

„Kjelt“, sprach der Seefahrer zu dem Wirt. „Fülle uns zwei Becher mit Bier. Der Kerl hier hat ihn sich verdient!“

Der Wirt begann zu lächeln und war froh, keinen Toten aus seiner Schänke tragen zu müssen.

„Komm!“, sagte Björn im Befehlston, und Sigurd folgte ihm ohne Widerspruch. Die beiden Kerle, die sich gerade noch mit den Fäusten ihre Gesichter blutig geschlagen hatten, nahmen nun gemeinsam auf den weichen Fellen Platz, die auf den Podesten lagen, und begannen miteinander zu sprechen.

„Du bist ein mutiger junger Bursche! Wie ist dein Name?“, fragte Björn und rieb sich die geschwollene Wange.

„Mein Name ist Sigurd Svensson“, antwortete der Tröndner, der nicht weniger lädiert aussah als sein Gegenüber.

„Mich ruft man Björn Gelbhaar“, stellte sich der Raufbold nun vor. „Dieser da ist Sturlar, unser Stevenhauptmann!“, nannte er den Namen eines der Seefahrer und zeigte auf ihn.

„Er ist ein Gesippe unseres Anführers Olof, der ein gefürchteter Seekönig ist!“

Sturlar war ein stattlicher Krieger, sicher um zwei Köpfe größer als Sigurd selbst, und er zählte sicherlich bereits dreißig Sommer und Winter. Von Geburt war er ein Norweger, und hinter vorgehaltener Hand berichtete Björn noch über den Jähzorn des Stevenhauptmannes.

Der Wikinger nickte nur kurz zum Gruß und setzte seinen Becher an, um diesen in einem Zug zu leeren. Da griff auch Björn nach einem der hölzernen Becher, gefüllt mit kühlem Bier, die der Wirt den Männern auf dem Tisch serviert hatte.

Zu Sigurds Verwunderung schien dieser Björn durch seine Schläge völlig ernüchtert zu sein, denn er begann nun zu saufen, als sei dies sein erster Becher des starken Gebräus.

Nacheinander zeigte Björn nun auf die Männer in seiner Begleitung. „Sturlar kennst du ja nun. Dieser da ist Thorstein, und der ist Odinger Einauge!“, nannte er die Namen der Männer, und diese hoben zum Gruß die Hand.

Odinger zierte eine vernarbte Wunde an der Stelle, an der sich normalerweise das rechte Auge befand, und Sigurd vermutete, dass der Wiking diesen Makel wohl einem Kampf zu verdanken hatte. Er war etwa gleichen Alters wie der Stevenhauptmann. Thorstein dagegen war sicherlich um fünf Jahre jünger und zählte ungefähr fünfundzwanzig Sommer, schätzte Sigurd. Er war nicht besonders groß, doch hatte er breite, starke Schultern, auf denen zwei dicke, braunhaarige Zöpfe lagen. Sigurd erwiderte den Gruß der Männer, da legte Björn seinen Arm um die Schulter eines noch recht jungen Gefährten. „Und dies hier ist Rögnvald, der Schwede!“

Dieser Rögnvald reichte Sigurd seine Hand, und der Tröndner schlug ein. Der Schwede war mit sechzehn Sommern und Wintern gerade einmal um zwei Sommer älter als er selbst, und er war wohl bisher das jüngste Mitglied der Besatzung. Von ihrer kräftigen Gestalt her ähnelten sich die beiden jungen Burschen sehr, beide hatten sie blondes Haar, nur der Schwede war größer als der Tröndner, er überragte diesen sicher um mehr als eine Kopfeslänge. In seinem Gesicht sprossen bereits die Stoppeln eines Bartes, worauf Sigurd noch voller Sehnsucht wartete. Denn ein Bart, so hoffte er, würde seinem Milchgesicht sicher den Ausdruck größerer Männlichkeit verleihen.

Die jungen Männer sahen sich in ihre Gesichter, und als sei es die Fügung der Götter, war es beiden sofort, als stünde ihnen ein Bruder gegenüber.

„Nun erzähle, Sigurd! Woher kommst du und wohin führt dich dein Weg?“, fragte Sturlar, der wie Björn sehr helles blondes Haar hatte, und dieses wie Thorstein zu Zöpfen geflochten trug.

„Meine Heimat ist ein kleiner Fjord im Norden. Er trägt den Namen eines meiner Ahnen, der die Bucht vor langer Zeit mit seiner Sippe besiedelte“, begann er nun zu berichten.

„Heute gibt es im Sigurdfjord eine große Siedlung und viele Höfe im Hinterland!“

Der junge Tröndner griff nach seinem Becher und nahm einen Schluck des süffigen Getränkes. „Mein Vater ist der Häuptling in diesem Fjordgau, und er nennt einen großen Hof seinen Besitz. Er ist ein treuer Gefolgsmann König Hakons des Guten!“

„Oh, da bist du ja eine gute Beute für uns“, sagte Thorstein plötzlich wenig freundlich und sah finster drein. „Du bist doch sicher ein fettes Lösegeld wert?“

Keiner der Männer lachte, denn es schien diesem Wikinger wirklich ernst zu sein.

„Ach, da muss ich dich enttäuschen, Wiking!“, antwortete der junge Häuptlingssohn, ohne Thorstein eines Blickes zu würdigen. „Für mich zahlt Sven Sigurdsson sicher keinen Silberling.“ Seine Stimme klang tief enttäuscht.

„Mein jüngerer Bruder Eirik wäre da wohl die bessere Beute.“

Da sah Thorstein den Björn ernüchtert an. „Wozu dann, bei Odin, soll er uns nütze sein?“

„Halt besser dein Maul!“, fuhr Björn Gelbhaar den Mann an, der um einen Sommer älter war als er selbst und auch um einiges fetter. „Störe dich nicht um sein Geschwätz“, wandte sich der Mann mit dem gelben Haar wieder dem Sigurd zu. „Manchmal könnte man glauben, Thor selbst hätte ihm seinen Hammer auf den Kopf fallen lassen!“

„Ja, das würde auch seine Größe erklären“, rief Sturlar laut, und die Gefährten begannen sich vor Lachen zu biegen. Nur Thorstein schwieg und schüttelte beleidigt den Kopf.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Männer ihr Gespräch fortsetzen konnten, denn ein Scherz folgte nun dem anderen, und langsam zeigte sich auf der Stirn des Verunglimpften eine dicke Zornesfalte. Bald würde die Wut aus dem etwas rundlich geratenen Thorstein heraus platzen, und es würde bestimmt zum Kampf unter den betrunkenen Gefährten und Seefahrern kommen, dachte Sigurd. Dies bemerkte nun auch Sturlar, und er setzte die Unterhaltung mit dem jungen Tröndner fort, der es wohlweislich unterlassen hatte, über den Wikinger Thorstein zu lachen. Ein Kampf an diesem Tage reichte Sigurd. „Dein Vater hat dich also vom Hof gejagt?“, fragte der Stevenhauptmann, und Sigurd nickte.

„Es ist der Eirik, der den Hof einmal erben soll!“, antwortete er ein wenig bekümmert.

„Das ist nicht nach dem Odalrecht“, empörte sich der einäugige Odinger. „Oder hast du dir etwas zuschulden kommen lassen?“ Da schüttelte Sigurd seinen Kopf. „Dann ist es nicht recht, denn du bist der ältere Sohn!“

„Ach, ich hatte das Bauernleben sowieso satt! Da habe ich mein Bündel geschnürt und den Hof meines Vaters eben verlassen.“ Stolz klang in der Stimme des jungen Wanderers, als er diese Worte sprach.

„Und nun ziehst du durch das Reich am Nordweg und suchst nach einem Abenteuer? Oder willst du dein Glück etwa auf See suchen?“, fragte Björn, obwohl er die Antwort natürlich schon kannte.

Sigurd nickte nur stumm. „Ja, ich will mich einem Wikingfahrer anschließen und auf die See hinaus.“

„Das Leben auf See ist hart, und Ran7 verzeiht keine Fehler“, mahnte der erfahrene Seefahrer.

„Aber wenn du mutig und tüchtig bist, wird dich Ägir8 beschützen“, sprach da Odinger und lächelte, was bei seinem zerhackten Antlitz zu einer hässlichen, aber doch auch komischen Grimasse wurde.

„Das Wikingerleben ist nichts für Muttersöhnchen und Rockzipfelzieher. Unser Seekönig Olof ist ein harter Anführer!“, warnte Thorstein, der seine Stimme zurückgefunden hatte.

„Ach was, alles Geschwätz“, sagte der junge Rögnvald, der bisher meist geschwiegen hatte. „Bei uns bist du genau richtig, wenn du ein guter Seeschäumer und Beutefahrer werden willst!“

Sturlar, der Stevenhauptmann schlug dem Schweden auf die Schulter und stimmte ihm lautstark zu, was wohl auch an dem vielen Bier lag, das er bereits getrunken hatte.

„Dass du mit deinen Fäusten zu kämpfen vermagst, hast du uns ja bereits bewiesen“, der Schiffsführer grinste den Björn schadenfroh an, „aber kannst du auch ein Schwert führen?“

„Willst du einen Waffengang wagen?“, erwiderte der junge Sigurd forsch, doch diesmal wusste Björn einen Kampf zu verhindern. Dieser ungestüme, furchtlose Bursche gefiel dem Seefahrer, und er war der Meinung, dass Sigurd seinen Mut schon zur Genüge bewiesen hatte. Es war also unnötig, dass der junge Kerl durch einen unvorsichtig geführten Schwerthieb des betrunkenen Sturlar nach Walhalla9 ging.

„Ich denke, es wurde genug gekämpft für heute, mein Hauptmann“, sprach er zu Sturlar, dessen glasiger Blick seine Trunkenheit verriet. „Und wir wollen doch nicht, dass unser Stevenhauptmann Prügel bezieht!“, sprach er zu den Gefährten, und alle lachten ausgelassen. Auch Sturlar grinste, er hatte den Seitenhieb wohl verstanden.

„Ich bin davon überzeugt, dass der Mann, der ihm den Faustkampf lehrte, auch darauf bedacht war, dass Sigurd den Umgang mit Schwert und Axt beherrscht“, sagte Björn beschwichtigend, und der junge Tröndner nickte zustimmend, womit sich Sturlar dann zufrieden gab. Wohl auch aus Angst, er könne sich vor den Kameraden blamieren.

Björn Gelbhaar griff nach dem tönernen Krug auf dem Tisch und füllte dem Stevenhauptmann den Becher mit Bier.

„Der könnte Olof doch gefallen! Er ist sicher ein zäher Bursche!“ Der Steuermann hatte längst entschieden, sich des Tröndners anzunehmen, und diesen zu einem guten Seefahrer und Wikinger zu machen. Sturlar kratzte sich nachdenklich seinen bereits ein wenig grau werdenden Bart.

„Sage mir, bist du schon einmal auf einem Schiff gefahren, Kerl?“, fragte er streng. Nun war die Frage gestellt, die Sigurd so gefürchtet hatte. Wenn es um das Kämpfen und den Gebrauch der Waffen ging, stand er den meisten Männern sicherlich in nichts nach. Doch außer zum Fischen in dem heimatlichen Fjord hatte er noch nie auf den Planken eines Schiffes gestanden. Sein Vater Sven war kein Seefahrer, er verabscheute das Meer und brachte die Waren, die er erwirtschaftete, lieber über den Landweg zu den Handelsplätzen. So gehörten auch keine großen Schiffe zu dem Dorf, und die Männer, die es auf das Meer hinaus zog, schlossen sich, so wie nun Sigurd, Wikingern oder umherstreifenden Seekönigen an.

Traurig schüttelte der junge Bursche seinen Kopf, doch ehe Sturlar etwas sagen konnte, sprang Björn dem Tröndner beiseite, der ihm mit gerade einmal vierzehn Sommern so entschlossen entgegengetreten war. „Was soll es? Er wird es schon lernen!“ Da schlug sich der junge Rögnvald lachend auf die Schenkel und rief: „Da werden sich aber die Fische im Nordmeer freuen, wenn unser neuer Gefährte seine Mahlzeiten über die Reling kotzt!“

Nun begannen alle wieder zu lachen, nur Sigurd war es nicht mehr nach Späßen zumute.

*

Olof hatte drei voll bemannte Schniggen10 unter seinem Befehl, und er war in ganz Thule11 als Seekönig gefürchtet.

Fast zweihundert Krieger hatten ihm die Treue geschworen, und er hatte sich mit seinem Heer an den Küsten fremder Länder bereits viel Reichtum und Ehre erkämpft. Schon so mancher große oder kleine Herrscher hatte um seine Gefolgschaft gebuhlt.

Sigurd war fast ein wenig enttäuscht, als er am nächsten Morgen in dem Lager der Wikinger vor den berühmten Seekönig geführt wurde. Er hatte sich den Mann, der von Geburt ein Schwede war, als großen und hünenhaften Krieger vorgestellt. Doch Olof war keineswegs ein Hüne!

Der Wikingerfürst war nicht größer von Gestalt als die meisten seiner Männer. Auch zeichnete er sich nicht durch besondere Körperkraft aus. Nein! Er war ein normal gewachsener Mann und hatte sogar ein wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater Sven, wie Sigurd fand.

Olof zählte sicher schon fast vierzig Sommer, und das dunkle Haar des Anführers hing wohlgekämmt bis über seine Schultern hinab. Der Seekönig war ein recht eitler Mann, und so hatte er immer eine Sklavin in seiner Nähe, deren Aufgabe es war, seine langen Locken mit einem Knochenkamm zu kämmen, wann immer er es befahl. Zwar war das Haar bereits mit grauen Strähnen durchzogen, seine klaren blauen Augen aber zeugten von einem hellen Geist.

Ja, dies musste der Grund für sein großes Heil sein! Nicht seine Muskelkraft, sondern die Schläue brachte ihm den Segen der Götter ein!

„Olof! Dieser junge Kerl hier sucht einen Seekönig, dem er sich anschließen kann“, sprach Björn Gelbhaar für den Tröndner. „Er scheint mir der Rechte für uns zu sein und wird sicher einmal ein mutiger Krieger und Wikingfahrer!“

Abschätzend sah Olof den jungen Burschen an und trat dann auf Sigurd zu. Der Wikinger fasste den Arm des Tröndners und fühlte seine Muskeln. „Er ist ein kräftiger Kerl, trotz seiner Jugend“, versuchte der Steuermann den Sigurd anzupreisen. Da begann Olof der Seekönig breit zu grinsen.

„Ja, Björn, davon hörte ich bereits!“ Dann platzte es unverhofft aus ihm heraus. Er lachte laut auf, und die Männer, die um ihn herum standen, lachten mit. Das Gesicht des Björn begann sich vor Zorn rot zu färben. Sein Kampf gegen den jungen Sigurd hatte sich also schon bis zu dem Anführer herumgesprochen, und Björn sah den hämisch grinsenden Sturlar böse an. Dieser stand nicht weit von ihm und grinste ebenfalls amüsiert. Und Sturlar hielt dem zornigen Blick des Gelbblonden stand, bis Björn selbst zu lachen begann. Er rieb sich das Kinn und wandte sich wieder dem Olof zu. „Dann weißt du ja schon, dass Sigurd einem älteren Krieger gleichwertig ist!“

„Na, du musst es ja wissen“, platzte es erneut schallend aus dem Seekönig heraus. Doch er rang schnell nach um Fassung, denn er wollte Björn keinesfalls beleidigen. „Nun lass es gut sein, mein Freund“, sprach Olof beschwichtigend, wischte sich eine Träne aus dem Auge und sah dann den jungen Kerl streng an. „Sigurd ist also dein Name?“

„Ich bin Sigurd Svensson, der Sohn des Häuptlings Sven, und mein Weg führte mich aus dem Tröndelag hierher“, sagte Sigurd, doch Olof unterbrach ihn. „Bist wohl ein Bauer?“, fragte er ein wenig abfällig, und als würde ein Bauernsohn ihn unweigerlich beschmutzen, wandte er sich ab und nahm auf einem Hocker Platz. Auf ein Fingerschnippen hin eilte die Sklavin, ein außerordentlich hübsches Weib, herbei und begann, sein Haar zu kämmen.

Angesichts dieser merkwürdigen Angewohnheit des gefürchteten Mannes musste sich Sigurd zusammenreißen, um nicht lachend herauszuplatzen. Nach einem kurzen Moment aber gab er Antwort: „Der Hof meines Vaters war zu klein für zwei Söhne, und ich ging im Streit!“

„Ja, ja!“, fuhr der Seekönig dazwischen. „Behalte deine Saga für dich, sie interessiert mich wenig! Willst du mir den Eid der Gefolgschaft leisten, Sigurd Svensson?“

Wieder nickte Sigurd. „Ja, das will ich tun! Ich will dich als meinen Anführer anerkennen und deine Befehle befolgen!“

„Das ist gut so!“, sagte der Wikingerfürst grinsend. „Und du, Björn, nimmst dich seiner an. Er fährt mit dir auf dem Sturmdonnerpferd! “

Björn Gelbhaar nickte zufrieden, denn es gefiel ihm gut, dass er den jungen Burschen unter seine Fittiche nehmen konnte. „Sturlar ist der Stevenhauptmann des Sturmdonnerpferdes, und seinen Befehlen wirst du gehorchen“, sprach Olof noch an Sigurd gewandt und begab sich dann wieder in sein Zelt.

Als Stevenhauptmann des Seekönigs sorgte Sturlar dafür, dass die Befehle des Anführers Olof auf der Schnigge ausgeführt wurden. Die Besatzung des Großseglers bestand aus fast fünfzig Männern, von denen Björn der Steuermann des Schiffes war, und auch Odinger Einauge, Thorstein und der junge Schwede Rögnvald gehörten dazu.

Das Sturmdonnerpferd wurde zu beiden Seiten mit zehn Riemen gerudert. So waren genügend Männer an Bord, um die Ruderbesatzung zur Gänze auszuwechseln. Doch noch lagen die drei Schiffe Olofs am Strand, unweit des Handelsplatzes, an dem die Wikinger ihr Lager aufgeschlagen hatten. Hier in Lade wollte der Seekönig seine Beute veräußern, die er und seine Mannen in Britannien und Irland im letzten Sommer erkämpft hatten.

Noch vor dem nahenden Winter, es war bereits Spätherbst, wollte der Seekönig auf die kleine Insel vor der westlichen Küste des Dänenlandes zurückkehren. Hier hatte Olof schon vor langer Zeit ein großes Wik12 errichten lassen, in dem seine Schiffsbesatzungen die kalte Jahreszeit gut überstehen würden.

„Los, ihr faulen Säcke!“, maulte Sturlar. „Hebt eure Ärsche und baut die Zelte ab!“

Der Stevenhauptmann war an die Feuerstelle getreten, an der Sigurd und Rögnvald mit einigen anderen Männern saßen. „Es ist soweit“, rief er, „wir segeln in unser Winterlager!“

*

Der erste Schnee war gefallen, als die drei Schniggen im Spätherbst die Insel erreichten, auf der das Wik des Seekönigs erbaut war. Und es war auch so gekommen, wie es Rögnvald prophezeit hatte. Die raue See und ihre hohen Wellen, die wütend über die Bordwände schlugen, hatten dafür gesorgt, dass es dem Sigurd speiübel wurde und er die Fische mit seinen Mahlzeiten fütterte. Er hockte mit bleichem Gesicht an die Reling gelehnt und machte ein gequältes Gesicht. Nur wenn er auf der Ruderkiste13 saß und kräftig den Riemen in das Wasser tauchen ließ, verging die Übelkeit, weshalb Sigurd so oft es ging auf der Kiste Platz nahm. Und schon nach dem zweiten Tag auf See und unzähligen Ruderschlägen hatte sich der Tröndner an die wilde Fahrt gewöhnt.

Nun standen sie auf dem Platz des Lagers, und Sigurd sah sich staunend um. Eine große Methalle und dazu drei Langhäuser, die von einem tiefen Graben und einer Palisadenwehr umgeben waren, erhoben sich auf einer Anhöhe, unweit des Strandes, auf dem die Schiffe lagen.

Jedes Langhaus bot Platz für eine Schiffsbesatzung, und auch hier herrschte die gleiche Rangordnung wie auf den Schiffen, und die Stevenhauptmänner zeigten große Strenge.

Olof selbst lebte nicht in dem Wik! Zu Sigurds Erstaunen besaß der Seekönig auf der anderen Seite der Insel einen großen Hof, auf dem er mit einem Weib und vielen Kindern lebte. Und wie der junge Tröndner später erfuhr, war Olof der Sohn eines der Inseljarle, die das Land als Lehen von dem Dänenkönig erhalten und dies unter sich aufgeteilt hatten. Bald, wenn sein altersschwacher Vater zu Hel gerufen würde, dann wäre Olof der Jarl, und er würde alles daran setzen, die gesamte Insel unter seinen Befehl zu bekommen. Das war Sigurd schnell gewahr geworden, denn dies war sicher auch der Grund, dass der Mann als Wikinger hinausfuhr, um seinen Reichtum zu mehren.

Es war das Frühjahr des Jahres 969 n. Chr., und der lange, kalte Winter zog sich endlich zurück. Der Schnee schmolz, und das tauende Eis gab die Fjorde und die Flüsse, aus denen Rinnsale geworden waren, wieder frei.

Sigurd Svensson hatte die eisige Jahreszeit in dem Wik des Seekönigs Olof gut überstanden. Er hatte ein trockenes Schlaflager, und es gab Nahrung im Überfluss, sodass niemand zu hungern brauchte. Ausgelassen hatten sie das Fest der Wintersonnenwende gefeiert und den Göttern von Asgard14 ihre Opfer dargebracht, in der Hoffnung, dass sie nun alle mit großem Heil bedacht würden. Björn und auch der junge Rögnvald hatten damit begonnen, Sigurd die Kunst der Seefahrt und die der Navigation zu lehren.

Und der Tröndner war ein gelehriger Schüler, wusste bald schon viel über die Kursbestimmung mit Hilfe der Peilscheibe in einem Wasserkübel oder wie man sein Schiff nach den Sternen segelte.

Zwar hatte man den Neuen zu den niedrigsten Tätigkeiten abkommandiert, doch dies störte den jungen Tröndner wenig. Er war ja mit der harten Arbeit auf dem Hof seines Vaters aufgewachsen und scheute daher weder Dreck noch Anstrengung. Kaum aber war die kalte Jahreszeit gewichen, da hielt es den Wikingerjarl nicht mehr am warmen Feuer, und er gab den Befehl, die Schiffe seeklar zu machen.

Bald darauf segelten die Schniggen Richtung Süden, und nur wenige Männer blieben in dem Wik zurück.

Bei ruhiger See erreichte die kleine Flotte die Küste des Saxlandes15, und alsbald war auch schon ein Opfer ausgemacht: Eine kleine Stadt, die in der der Nähe eines Flusses lag, versprach fette Beute. Die Wikinger errichteten ihr Lager an den Ufern des Flusses, und Olof gab ohne langes Zögern den Befehl zum Angriff.

„Das gefällt mir nicht!“, maulte Björn Gelbhaar vor dem Sturlar. „Die Sachsen haben uns doch längst bemerkt, und die Stadt ist dazu noch zu groß für unser kleines Heer!“

„Scheiß dir nicht in die Beinkleider, Björn!“, tadelte Sturlar herablassend den Steuermann und lachte. „Hast du etwa Angst?“

„Angst?“, erwiderte der Krieger mit dem gelben Haar.

„Du weißt genau, dass ich kein Feigling bin“, schnauzte Björn, „doch habe ich Augen im Kopf!“ Er wandte sich wütend ab und ging. Den beiden jungen Kriegern Rögnvald und Sigurd gab er den Befehl, in seiner Nähe zu bleiben.

Und es kam, wie es der als Feigling gescholtene Steuermann des Sturmdonnerpferdes bereits erahnt hatte.

Zu lange hatte Olof gezögert, sich mit dem Lagerbau aufgehalten, und den so wichtigen Moment der Überraschung verstreichen lassen. Die Feinde waren nun gewarnt, schließlich hatten sie die Wikinger längst entdeckt.

Und die Sachsen zeigten sich als äußerst wehrhaft, denn schnell hatte der Vogt des Gaues ein Heer aufgestellt, das sich nun den Angreifern entgegenwarf. Noch bevor die Wikinger in die Stadt einfallen konnten, marschierten die sächsischen Krieger auf einem großen Feld vor den Toren der großen Siedlung auf. So drohte bereits der erste Beutezug des Wikingerheeres, den sie in diesem Frühjahr wagten, an der Gegenwehr der Verteidiger zu scheitern.

Mehr und mehr sächsische Krieger kamen aus dem Umland auf das Schlachtfeld gezogen und stellten sich den Räubern aus dem Norden entgegen.

An der Seite des Björn Gelbhaar und der des Schweden Rögnvald stürmte Sigurd mit erhobenem Schwert gegen einen Wall von Sachsenleibern. Gemeinsam mit der gesamten Besatzung des Sturmdonnerpferdes griffen sie die Verteidiger der Stadt an der rechten Flanke an. Und so nahm das blutige Fest seinen Lauf!

Ein Krieger aus den Reihen der Wikinger, den Sigurd nicht kannte, der aber neben ihm in den Kampf stürmte, lief einem Sachsen direkt in dessen herabgeneigte Lanze, die ihn zur Gänze durchbohrte, sodass die eherne Spitze aus dem Rücken hervortrat. Daraufhin traf den Sachsenkrieger mit heftiger Wucht die Klinge des Tröndners gegen seine, Hals, und aus einer hässlichen Wunde strömte das Blut hervor.

Dem Mund des Mannes entfuhren Geräusche, die wenig menschliches an sich hatten, er sank auf die Knie und fiel dann sterbend zu Boden. Plötzlich aber, im Gewühl des Scharmützels, wurden die drei Krieger von der Seite ihrer Gefährten abgedrängt und mussten sich inmitten der feindlichen Kämpfer ihrer Haut erwehren.

Der Rand des buntbemalten Rundschildes, den Sigurd schützend vor seinen Körper hielt, war bereits mit tiefen Kerben übersät, und auch der junge Krieger selbst war schon vom Kampf gezeichnet. Eine Wunde klaffte in seinem Schwertarm, der Kirtel und die Tunika waren zerschnitten, und sein Gesicht war mit Dreck und Blut beschmutzt. Doch er kämpfte tapfer und hielt sich die Feinde, so gut es ihm möglich war, vom Leib.

„Dieser Bissen ist zu groß für uns!“, rief Rögnvald außer Atem und ließ seine beiden kurzstieligen Äxte kreisen. „Wir werden sicher noch daran ersticken!“

Der Schwede kämpfte ohne einen Schild und hatte daher wenig Schutz, doch mit den Äxten in seinen Händen wehrte er die Angriffe der Sachsenkrieger geschickt ab und teilte dazu noch heftige Schläge aus, die den Feinden meist schlecht bekamen.

Björn Gelbhaar, der gerade einem Gegner seine Klinge auf das Haupt geschlagen hatte, welches nun aufplatzte wie ein fauler Apfel, sah sich suchend um und erkannte, dass die Männer ihrer Schiffsbesatzung nicht mehr in ihrer Nähe waren. Die meisten Krieger, die an ihrer Seite kämpften, kannte Björn zwar mit Namen, und daher wusste er auch, dass sie zu der Besatzung einer anderen Schnigge des Olof gehörten. Aber dies gefiel dem Steuermann keineswegs, und er hielt Ausschau nach den eigenen Männern. „Wir müssen zurück, zu unseren Leuten!“, brüllte er gegen den Lärm an und versuchte, sich einen Weg durch die Kämpfenden zu bahnen. Rögnvald und auch Sigurd wollten ihm folgen, als der Schwede plötzlich von einem sächsischen Krieger eine Lanze in die Seite getrieben bekam. Ein Schmerzensschrei entfuhr ihm, er strauchelte und fiel auf die Knie.

Noch einmal wollte der Feind zustoßen, doch Sigurd reagierte schneller, und der Sachse verlor seine Lanze und den Arm, der sie hielt, dazu. Mit einem kräftigen Stoß trieb er dem schreienden Gegner noch sein Schwert in die Brust.

Der Tröndner nahm die Axt des Schweden vom Boden auf, die diesem entglitten war, und schob sie sich in seinen Gürtel. Die andere Axt hielt der Rögnvald fest umklammert, als Sigurd seinen Arm um ihn legte und dem Schweden auf die Beine half. Nun bemerkte Björn, dass die Gefährten zurückgeblieben waren.

„Los, kommt schon! Wir müssen fort von hier!“ Da erst sah der Steuermann mit dem gelben Haar, dass der Rögnvald verletzt war, trotzdem trieb er die jungen Kerle zur Eile an und schlug mit dem Schwert eine Bresche in die Reihen des Feindes.

Drohende, graue Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, und es begann bereits zu regnen, als sich die drei Gefährten am Rande des Weges, der sie durch einen dichten Wald führte, zur Rast niederließen. Björn war sich sicher, dass dies der Weg war, auf dem sie gekommen waren, und der sie an das Ufer des Flusses, an dem ihre Schiffe lagen, zurückführen würde. Jetzt erst, da sie die Stadt und den Kampflärm weit hinter sich gelassen hatten, wagte es der erfahrene Björn, eine Atempause einzulegen. Nun besah er sich auch in aller Ruhe die Wunde des schwedischen Kriegers. „Ach, das ist halb so schlimm. Nur ein tiefer Kratzer!“ Rögnvald lächelte gequält, denn er wusste nur zu gut, dass Björn log, um ihn aufzurichten.

Da fiel der Blick des Steuermannes auf den Sigurd, der bedrückt dreinsah. „Was ist dir, Bursche?“, fragte er streng, obwohl er den Grund genau kannte. „Warum schaust du so niedergeschlagen? Du lebst, und all deine Knochen sind noch unversehrt!“

Er schlug ihm leicht gegen die Brust. „Also, warum so griesgrämig? Odin schenkt dir großes Heil!“

Verschämt starrte Sigurd auf den Boden. „Ich habe den Mann getötet! Ich habe ihm mein Schwert direkt in die Brust gestoßen!“ Es klang Entsetzen und sogar Traurigkeit in seiner Stimme. Da entfuhr dem Rögnvald ein lautes Lachen, das aber sofort von einem Schmerzenslaut beendet wurde, und er sich vor Pein krümmte.

„Natürlich hast du ihn getötet! Er hätte dasselbe mit dir und dem Rögnvald getan, dämlicher Kerl!“, empörte sich Björn über das Mitleid, das er glaubte aus Sigurds Stimme herauszuhören. „Dieser Mann war vielleicht der erste Feind, den du getötet hast. Aber er war sicher nicht der letzte!“

Nach einer Weile kamen vereinzelt nordische Krieger des Weges, und die meisten von ihnen waren verwundet. Auch sie hatten diesen Weg gewählt, und Björn war sich nun sicher, so an den Fluss zu gelangen. Dies mussten die Kämpfer sein, die Olof zu den Schiffen schickte, weil sie nicht mehr kämpfen konnten. Und Björn erfuhr von diesen, was er längst befürchtet hatte! Die Schlacht war verloren und weit über dreißig Krieger des Seekönigs waren an diesem Tage nach Walhalla gegangen, aber der Seekönig Olof gab sich nicht geschlagen. Olof sann auf Rache!

Einen vollen Mond lang verheerte er nun das Sachsengau, ließ Dörfer und Höfe brennen, bis die Beute groß genug war, um die Schiffsbesatzungen zu bezahlen.

Viele Sachsen fanden in diesen Tagen den Tod, bis der Rachedurst des Olof für die verlorene Schlacht gestillt war.

*

2 Tröndner – Bewohner des Tröndelag, einem Gau im Nordwesten Norwegens

3 Odalrecht – Gesetz der Erbfolge bei den freien Bauern

4 Wiking – Raubfahrt der Nordmänner

5 Kirtel – meist bis zu den Knien reichende Hemdjacke, ähnlich einer Tunika, die meist darunter getragen wurde

6 Grendel – Troll aus der Beowulf Saga

7 Ran – düstere Meeresgöttin. Sie zieht die Seefahrer mit dem Netz an sich und gebietet über die Seelen der Ertrunkenen, Weib des guten Ägir

8 Ägir – Meeresgott vom Geschlecht der Asen, ihm wurde für ruhige See gedankt. Er war auch der Gott des Bierbrauens, der die anderen Götter zum Trunk einlud

9 Walhalla – die Methalle des Gottes Odin, in die die gefallenen Krieger zu einem letzten Trunk geladen werden

10 Schnigge – schlanke Kriegsschiffe mit bis zu 40 Riemen

11 Thule – Bezeichnung aller skandinavischen Reiche

12 Wik – Lager bzw. Winterlager der nordischen Seefahrer

13 Ruderkiste/Seekiste – diente den Nordmännern zum Verstauen der Habseligkeiten und als Ruderbank

14 Asgard – Sitz der Götter, der Asen, mit der obersten Gottheit Odin an ihrer Spitze. In Asgard steht auch Walhalla, die Halle der gefallenen Krieger. Heimstatt des Göttervaters Odin

15 Saxland – altnordische Bezeichnung für das deutsche Kaiserreich

2. Von Arnodd und dem Wogendrachen

Die politische Lage in Norwegen hatte schon im Jahre 960 n. Chr. auf das Heftigste zu wanken begonnen.

Harald Eriksson, den man „Graumantel“ nannte, und seine Brüder waren aus der dänischen Verbannung in das einstige Reich ihres Vaters Erik zurückgekehrt und fielen mit der Unterstützung des Dänenkönigs über Westnorwegen her, um Hakon den Guten, der ein Onkel der Erikssöhne war, vom Thron zu stürzen. Zwei Schlachten hielt der Hakon stand, doch in der dritten Schlacht bei Fitjar ließ der König sein Leben. Harald war nun Herrscher über Westnorwegen, doch er strebte nach der Alleinherrschaft über das Land am Nordweg. So, wie es vor ihm schon sein Vater Erik Blutaxt tat!

Kaum zwei Sommer und Winter vergingen, da zog es den Graumantel und seinen Bruder Erling in das Tröndelag. Hier herrschte der Ladejarl Sigurd, ein Sohn Hakon des Guten.

Sie trieben den Jarl nach Norden, und in seinem Haus in Stjördal, wohin er geflohen war, ließen sie ihn den Flammentod sterben. Nun war der ganze Nordwesten dem Harald Graumantel abgabepflichtig, und er wandte sich nach Süden.

Jetzt rief er seinen Bruder Gudröd aus dem Danelag16 zu Hilfe, und dieser folgte willig dem Ruf seines Gesippen. Mit einem Heer kam er nach Norwegen, und aufgehetzt von den Worten ihrer Mutter Gunnhild, die nach Rache für den Tod ihres Gemahls dürstete, begannen die Brüder, ein noch größeres Heer zu sammeln. Sie fielen in die benachbarten südlichen Gaue ein, die von ihren Onkeln oder anderen Gesippen regiert wurden, und führten gegen diese Krieg.

Nun forderten die Söhne der Gunnhild allen Gaukönigen den Gefolgschaftseid ab, doch der Kleinkönig Tryggve, der das Gau Vingulmark im Südosten des Landes beherrschte, verweigerte dem Harald Graumantel und seinem Bruder den Treueschwur, diese waren Vasallen des dänischen Königs und nur durch dessen Hilfe erfolgreich in ihrem Streben.

So wandten die Erikssöhne eine List an, und es gelang ihnen doch noch, den Widersacher zu töten, und nicht besser erging es dem Gaukönig Gudröd Bj örnsson, der über Vestfold regierte. Im Jahre 970 hatten sie ihre Macht vom Tröndelag im Norden bis zur Götaelv17 im Südosten des Landes ausgedehnt.

Da sich Harald Graumantel aber wieder nach Hardanger zurückzog, griff im Tröndelag ein anderer Jarl als Kleinkönig nach der Macht. Hakon, der Sohn des Ladejarls Sigurd, kam, genau wie einst der Graumantel selbst, aus dem Dänenreich zurück nach Norwegen. Durch Verleumdungen und Intrigen war es ihm gelungen, dass der Graumantel am dänischen Hof in Ungnade gefallen war. Die Machtgier des Harald Graumantel war dem Dänenkönig längst ein Dorn im Auge. Und auch sein zögerliches Verhalten, was den Glaubenswechsel betraf, den der Blauzahn von seinen Vasallen verlangte, ärgerte den dänischen Herrscher sehr.

Schon im Jahre 970 n. Chr., während sich Harald und Gudröd Eriksson mit der Eroberung des Südostens befassten, hatte der der neue Ladejarl Hakon damit begonnen, die Macht im Trondheimfjord an sich zu reißen.

Und seine Herrschaft sollte stetig wachsen, sodass er sich bald zum König über das Tröndelag bis hinauf in das Helgeland und die Finnmark ausrufen ließ. Der Graumantel und seine Brüder aber fielen einer List des Dänenkönigs Harald Blauzahn zum Opfer und starben durch den Verrat des Lehnsherrn. So war der Weg für Hakon den Ladejarl frei, und es sollte auch nicht mehr lange dauern, da würde man ihm den Beinamen „der Böse“ geben.

*

Es war Spätsommer im Jahr 971 n. Chr. geworden, und seit mehr als einem Sommer und einem Winter hatte es den Seekönig Olof nun mit seinem Gefolge in das Danelag verschlagen. Hier hatte er sich einem dänischen Wikingerführer und dessen großem Heer angeschlossen.

Vom Danelag aus drangen die nordischen Krieger immer wieder in die angelsächsischen Grafschaften ein, um die dort herrschenden Kleinkönige und Earls zu bekämpfen.

Sogar nordische Jarle, die sich im Grenzgebiet zu den Angelsachsen angesiedelt hatten und mit ihren neuen Nachbarn Frieden hielten, bekamen die Übergriffe der Wikinger zu spüren.

Um die Herrschaft des Olof über sein Gefolge stand es inzwischen schlecht. Das Kriegsglück hatte den Seekönig verlassen, viele Schlachten und Überfälle gingen verloren, denn die Gegenwehr der Verteidiger war groß. Schon bald fiel es ihm zusehends schwerer, sein Heer zusammenzuhalten, da einige Krieger behaupteten, Odin hätte ihm sein Heil genommen. Dazu kam die Aufteilung der Beute, die die Männer als wenig gerecht empfanden.

Olof achtete stets darauf, dass er nicht zu kurz kam.

Hatte er einen Sommer zuvor noch so viele Männer befehligt, dass er die Schiffe doppelt bemannen konnte, so reichte es in diesem Sommer gerade noch, um die Ruderbänke einmal zu besetzen. Dies war wohl auch der Grund dafür, dass sich Olof in die Gefolgschaft eines anderen Wikingerführers begeben hatte und auf Beute hoffte, die es ihm ermöglichen sollte, wieder viele Krieger hinter sich scharen zu können. So zogen sie nun in die Gebiete der Britannier, denn der Wikingerfürst, dem Olof folgte, hatte sich zum Ziel gesetzt, die Grenzen des Danelag zu erweitern und die Eroberung ganz Britanniens voranzutreiben.

Es war bereits dunkle Nacht, als die Krieger des großen Wikingerheeres ihr Lager erreichten. Viele Tage hatten sie die Burg im Landesinneren der Grafschaft Wessex belagert und einen verlustreichen Angriff nach dem anderen gegen die gut befestigten Wälle der Festung geführt. Die Krieger des heimischen Grafen jedoch verteidigten sich gut und erfolgreich, und so kehrten viele nordische Krieger in Walhalla ein. Als dann eines Morgens, die meisten Nordmänner schliefen noch in den Zelten und Frühnebel lag über dem Lager der Angreifer, ein britannisches Heer den Belagerten zur Hilfe eilte, da war die Überraschung bei den Wikingern groß!

Ohne zu zögern griffen die britannischen Lanzenreiter das Lager an und töteten viele Belagerer, noch bevor die große Schlacht begonnen hatte. Jetzt entbrannte ein heftiger Kampf vor den Mauern der Burg, und es wagten sich nun auch die Truppen des belagerten Grafen wieder vor die Festung. Als die Sonne im Zenit stand, war die Schlacht so gut wie entschieden. Zwar war es den Nordmännern gelungen, das Blatt zu wenden und die Britannier mussten sich wieder hinter die Mauern zurückziehen, doch hatte sich das Heer des Wikingerführers bedenklich verkleinert.

Einige Schiffsführer und Häuptlinge hatten sich mit ihren Abteilungen bereits zu den Schiffen begeben, da sie fürchteten, ihre Besatzungen völlig zu verlieren. Doch der Wikingerkönig trieb die verbliebenen Krieger immer wieder gegen den Feind an, und diese folgten willig dem Anführer.

Als aber den Wikingerkönig, der seinen Männern mutig vorausschritt, eine Lanze in die Brust traf und er starb, versiegte auch der Kampfeswille der verbliebenen Abteilungen. Die Seekönige und Jarle die sich in den Dienst des Wikingerkönigs gestellt hatten, um in Britannien Land zu erobern und Beute zu machen, sahen die Schlacht nun endgültig verloren und gaben den Befehl zum Rückzug.

Große Freude herrschte in der Grafschaft, als sich die Kunde verbreitete, dass die Nordmänner zurückwichen.

Viele Schiffsbesatzungen begaben sich nun eilig auf ihre Drachenschiffe und Schniggen, verließen Wessex und segelten in das Danelag.

Nicht weit der Stadt Yorvik18 befand sich ein großes Lager, das den freien Wikingern als Sammelpunkt diente, und zu dem nun die meisten Schiffe zurückkehrten.

So auch das Sturmdonnerpferd unter dem Stevenhauptmann Sturlar. Elf Männer der Besatzung hatten den Tod gefunden oder waren verschollen, und dazu waren viele verwundet.

Darunter auch der Thorstein, dem ein Bolzen den Oberschenkel durchbohrt hatte. Doch diese Wunde war nicht lebensgefährlich, und die Männer waren sicher, dass der Krieger bald genesen würde. Anders aber war es mit der Laune der Wikinger bestellt!

Viele waren der Herrschaft des Olof nun endgültig überdrüssig und suchten sich andere Schiffsführer, denen sie sich anschlossen. Sie waren freie Krieger und konnten dies tun. Niemand im Norden hätte es ihnen übel genommen, wenn sie sich von einem glücklosen Anführer abwandten.

Um nicht auch noch seine gesamte Gefolgschaft zu verlieren, denn es waren nicht einmal mehr genug Männer geblieben, um seine drei Schiffe ordentlich zu bemannen, gab Olof den Befehl zum Aufbruch und sie verließen das Danelag und die Insel der Angelsachsen, um nach Norden zurückzusegeln.

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Sigurd, der junge Tröndner, der nun siebzehn Sommer zählte, hatte den Feind in seinem Rücken zu spät bemerkt, denn seine Klinge beschäftigte sich gerade mit einen anderen Gegner. So durchbohrte eine Lanzenspitze von Hinten seine Schulter. Wie ein Blitz schoss ein brennender Schmerz durch den ganzen Körper und ließ Sigurd erzittern.