Die Saga von Sigurd Svensson II - Rainer W. Grimm - E-Book

Die Saga von Sigurd Svensson II E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

Nach dem gewaltsamen Tod seiner Familie tritt Sigurd Svensson sein Erbe auf dem väterlichen Hof im Tröndelag, einem Gau in Nordwesten von Norwegen, an und wird trotz seiner Jugend zum Häuptling der Siedlung erhoben. Das große Heil, welches die Nornen des Schicksals dem jungen Wikinger einst schenkten, und es dann wieder von ihm nahmen, scheint nun endlich zurückzukehren. Denn, als die gefürchteten Jomswikinger in den Trondheimfjord einfallen und versuchen, den Gaukönig Hakon zu vertreiben, kämpft Sigurd mutig für den Herrscher des Tröndelag und erhält dafür von diesem den Titel eines Jarls.

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Inhalt

Nach dem gewaltsamen Tod seiner Familie tritt Sigurd Svensson sein Erbe auf dem väterlichen Hof im Tröndelag, einem Gau in Nordwesten von Norwegen, an und wird trotz seiner Jugend zum Häuptling der Siedlung erhoben. Das große Heil, welches die Nornen des Schicksals dem jungen Wikinger einst schenkten, und es dann wieder von ihm nahmen, scheint nun endlich zurückzukehren. Denn, als die gefürchteten Jomswikinger in den Trondheimfjord einfallen und versuchen den Gaukönig Hakon zu vertreiben, kämpft Sigurd mutig für den Herrscher des Tröndelag und erhält dafür von diesem den Titel eines Jarls.

Rainer W. Grimm wurde 1964 im Ruhrgebiet geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen in seiner Geburtsstadt. Erst mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine Leidenschaft für die Schriftstellerei. „Die Krieger Odins“ ist der zweite Band der Saga von Sigurd Svensson, die die Vorgeschichte zu der in drei Bänden erschienenen Saga von Erik Sigurdsson bildet. Des Weiteren veröffentlichte der Autor den Roman „Pakt der Barbaren“, die drei Bände der Kurzgeschichtensammlung „Wikingerwelten“ und den Roman „Der Skalde“.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Hintergrund

Die Heimkehr

Wem gehört der Wellentrotzer?

Das Mädchen Burga

Von einer bitteren Niederlage

Des Sigurds neue Braut

Ein Priester im Sigurdfjord

Von einer guten Nachricht

Die verlorene Schwester

Vom Ladejarl Hakon

Der Aufstand

Der König des Tröndelag

Harald Gormsson und der Gabelbart

Das Erbmahl zu Roskilde

Angriff der Wikinger von Jom

Die Krieger Odins

Jarl Sigurd

*

Historischer Hintergrund

Als im Jahre 960 n. Chr. Harald Eriksson, genannt „Graumantel“, und seine Brüder aus Dänemark nach Norwegen kamen, um sich für die Vertreibung und den Tod ihres Vaters Erik „Blutaxt“ zu rächen, war es um die Herrschaft ihres Onkels Hakon des Guten im Südwesten Norwegens geschehen. Mit der Hilfe des Dänenkönigs Harald Blauzahn gelang es ihnen, den verhassten Onkel in der Schlacht bei Fitjar zu töten. So wurde die Königsmacht in Norwegen unter den drei Erikssöhnen aufgeteilt, und Harald erhielt den wichtigsten Gau und wurde somit zum Oberkönig. Sie blieben jedoch weiterhin Vasallen des Dänenherrschers.

Doch es galt die Herrschaft zu sichern, und so überfielen die Brüder Harald und Erling im Jahr 962 n. Chr. den Ladejarl1 Sigurd Hakonsson, einen Sohn Hakons des Guten, in seinem Haus in Stjördal im Norden des Tröndelag, dem Gau im Nordwesten Norwegens, und verbrannten diesen darin. So vereinnahmte Harald „Graumantel“ das Tröndelag und somit auch all seine Abgaben in seinen Herrschaftsbereich. Doch die Machtgier des ältesten Sohnes des Erik „Blutaxt“ war noch nicht gestillt, und bald fielen auch die Gaue der Kleinkönige Tryggvi und Gudröd, Vestfold und Vingulmark unter seine Herrschaft. Sein Ziel war es, alleiniger Herrscher über die Gaue Norwegens zu werden.

Der Sohn des Ladejarls2 namens Hakon floh nach Dänemark und begab sich dort nun selbst unter den Schutz des dänischen Herrschers, und dieser empfing ihn wohlwollend. Mit Verleumdungen und hinterlistigen Ränkespielen gelang es ihm, dass Harald „Graumantel“ bei seinem Lehnsherrn noch mehr an Ansehen verlor, denn der neue König der Norweger war am dänischen Hof längst in Ungnade gefallen, hatte er doch mehr und mehr Macht an sich gerissen und sich somit schon fast der Herrschaft der Dänen entzogen.

Hakon gelang es, Harald Blauzahn davon zu überzeugen, dass nur er der rechtmäßige Erbe des Königsthrones von Norwegen sein konnte. Im Jahr 970 n. Chr. erbat der dänische König von dem Norweger Harald, ihn mit einem Heer im Kampf gegen die Franken zu unterstützen, und da der „Graumantel“ um seine gerade gewonnene Macht in Norwegen fürchten musste, sollte er dem Dänen seine Hilfe verweigern, stellte er ein großes Heer auf und begab sich in das Dänenreich. Im Limfjord geriet das Heer der Norweger in einen Hinterhalt des Harald Blauzahn und wurde vernichtend geschlagen. Harald „Graumantel“ verlor seine Herrschaft und sein Leben dazu. Norwegen fiel wieder unter die Macht des Dänenkönigs, und dieser schickte Hakon, den Jarl von Lade, als seinen Lehnsmann auf den Thron des Tröndelag. Hakon zeigte sich dankbar, war ein treuer Untertan und schlug so manche Schlacht für seinen Lehnsherrn. Doch der Tröndner war auch ein eifriger Anhänger des Odin3 und der nordischen Götter, was dem christlichen König Harald Blauzahn wenig gefiel. So kam es, dass im Jahr 983 n. Chr. der dänische Herrscher von dem Ladejarl die Taufe verlangte. Von seinen Göttern wollte der Herr des Tröndelag aber nicht lassen, und so zerbrach seine Treue zum dänischen König. Aber der Ladejarl Hakon war nicht so dumm, seinem Lehnsherrn Harald die Abgaben vorzuenthalten, denn er war sich keineswegs sicher, einen Krieg gegen den Dänen zu überstehen. Also fügte er sich und unterstellte seine Herrschaft weiterhin der des Dänen.

Erst als einige Jahre später ein von Harald Blauzahn geschicktes Invasionsheer der gefürchteten Jomswikinger4 in das Tröndelag einfiel und das Heer der Tröndner diese in einer großen Schlacht im Hjörungafjord überraschend schlug, war Hakon bereit, sich aus dem Lehen der Dänen zu lösen. Die dänische Krone hatte vorerst die Befehlsgewalt über das Land am Nordweg verloren.

*

1 Jarl – Adelstitel, Graf ( engl. Earl )

2 Lade – Handels- und Königsstadt im Trondheimfjord

3 Odin – bei den Südgermanen Wodan oder Wotan, oberster Gott der Nordleute „Allvater“, Kriegsgott, Herr über die große Methalle Walhalla in die er die getöteten Krieger ( Einherjer ) aufnimmt

4 Jomswikinger – Wikingerbund, meist dänischer Krieger, bewohnten die an der Oder gelegene Jomsburg und die dazugehörige Handelsstadt Jumne, eine weit gefürchtete Wikingersiedlung

1. Die Heimkehr

Kräftig peitschte der Wind die Wellen, sodass sie hoch über die Bordwand des Wogendrachen schlugen und keiner an Bord der Schnigge5 noch einen Fetzen trockenen Stoffes am Leib trug. Bei bestem Segelwetter waren sie von der Küste des Schottenlandes in See gestochen, doch nun, da sie die halbe Strecke zur Küste Norwegens hinter sich gebracht hatten, verfinsterte sich der Himmel. Dunkle Wolken zogen auf, und die Götter schickten den Wind als Vorboten für das, was nun folgen sollte. Grau wurde der Himmel, dann schwarz, bis es dunkel war wie in der Nacht. Aus dem Wind wurde ein Sturm, und Blitze schossen aus den Wolken hervor, tauchten die aufgewühlte See für einen kurzen Moment in ein gleißendes Licht. Und so mancher glaubte am Himmel das Gesicht des Thor6 gesehen zu haben.

Björn Gelbhaar, der Steuermann der Schnigge, und mit ihm der junge Thorkill Ormsson, hielten die Stange des Seitenruders fest in ihren starken Händen und kämpften gegen die stürmischen Winde an. Das eckige Segel war zum Zerreißen gespannt, und sicher war es dem festen Netz zu verdanken, dass es noch nicht in Fetzen von der Rahe hing. Sigurd, der Anführer der Wikingerschar, hatte es auf das Tuch nähen lassen, als sie noch in ihrem Lager an der schottischen Küste weilten. Ein zerrissenes Segel hätte sicher den Untergang des Wogendrachen bedeutet, denn ein Schiff, das sich nicht manövrieren ließ, war im Sturm verloren. Doch noch gehorchte der große Schnellsegler seinem Steuermann, und der Kiel glitt über die weißen, schäumenden Spitzen der meterhohen Wellen.

„Wir hätten im Schottenland bleiben sollen“, rief Thorkill Ormsson, und seine roten Haare klebten ihm klatschnass im Gesicht. Der junge Kerl wurde von Björn in der Kunst des Steuerns unterrichtet, und Thorkill stellte sich dabei gar nicht so dumm an. Björn erkannte jetzt schon in ihm seinen Nachfolger auf dem Heckstand des Wogendrachen, wie Sigurd sein Schiff nannte. Und dies tat der erfahrene Seefahrer ohne Neid. Thorkill zählte neunzehn Sommer und Winter, und er sah in dem Sigurd nicht nur seinen Anführer, dem er den Gefolgschaftseid geleistet hatte. Für ihn war der Sigurd mehr als das! Er war ihm Freund und Bruder geworden, an dem Tag vor einigen Wintern in Lade, als Sigurd ihn aus den Händen seines Ziehvaters, einem bösartigen Schmied, befreit hatte.

Aus dem Schmiedegehilfen in Lade, der noch fast ein Knabe war, war jetzt endlich ein freier Mann und Krieger geworden. Und er war nun auch der Schmied des Dorfes. „Rede keinen Unsinn, Thorkill. Das Wetter war gut, als wir das Lager verließen“, rief Björn gegen das Rauschen des Windes an. „Die Götter werden uns gnädig sein, glaube mir! Das Heil, das Odin unserem Anführer schenkt, wird uns vor der Gier der Ran7 schützen!“

Sigurd Svensson, der Schiffsführer der Schnigge, hatte bisher zweiundzwanzig Sommer und Winter erlebt und war als Sohn eines norwegischen Häuptlings im Tröndelag8 aufgewachsen. Doch nun war er der Häuptling der Siedlung in dem kleinen Fjord, der den Namen seiner Ahnen und auch seinen eigenen trug. Die meisten seiner Gesippen waren tot. Mutter, Bruder und Vater, der Häuptling der Siedlung, waren bei einem Wikingerüberfall getötet worden, und Sigurd trug die Schuld daran, davon war der junge Krieger überzeugt. Mit nur vierzehn Sommern hatte er wegen eines Streites mit seinem Vater den Hof verlassen und zog seitdem als Wikinger umher. Und der Mörder seiner Familie kam in den Norden, um Rache zu nehmen. Rache für den Tod seines Bruders Arnodd, den Sigurd im Zweikampf tötete. Der Name des dänischen Wikingers war Geirmund, und er hatte bei dem Überfall auf den Hof Sigurds Schwestern Sigrid und Ingigrid geraubt und diese zu Sklavinnen gemacht. Nun segelten sie durch die stürmische Nordsee zurück in die Heimat, denn Sigurd war es gelungen, seine jüngste Schwester Ingigrid auf der Insel der Angelsachsen9 zu finden und zu befreien. Doch der Wunsch des Sigurd, die Klinge seines Schwertes Kehlenbeißer das Blut des Geirmund schmecken zu lassen, erfüllte sich nicht. Der Däne war aus Britannien geflohen, hatte sich mit dem Jarl, dem er den Gefolgschaftseid geschworen hatte, wegen der Sklavin Ingigrid überworfen und war in Ungnade gefallen. Und nicht anders war es auch der Besatzung des Wogendrachen ergangen, denn genau jenem Jarl, einem dänischen Heerführer Namens Skuli Eisenscharte, musste Sigurd seine Schwester entreißen. Der Jarl verlor dabei sein Leben, und auch Sigurd musste das Heerlager bei Nacht und Nebel verlassen, denn ihm drohte die Hinrichtung. Doch er hatte seine Schwester aus der Sklaverei befreit, und sie war in Sicherheit an Bord des Wogendrachen auf dem Weg in die Heimat. Trotzdem war der junge Häuptling betrübt, denn seine andere Schwester hatte man in Yorvik auf dem Sklavenmarkt verkauft, und so hatte Sigurd ihre Spur verloren.

Es war Spätherbst des Jahres 976 n. Chr., und die schlanke Schnigge pflügte mit ihrem Kiel die Gischt des Nordmeeres. Schnell wie ein Pfeil von der Sehne schoss der Segler durch das Unwetter mit Kurs Nordost, und dank des erfahrenen Steuermannes Björn Gelbhaar und der Hilfe der Götter von Asgard10 würden sie ihr Ziel sicher erreichen.

Es gab niemanden an Bord, der davon nicht überzeugt war.

Doch noch hieß es den Sturm zu überstehen, um die südliche Küste Norwegens zu erreichen, bevor es der Ran gelang, die Seefahrer in die eisige, dunkle Tiefe zu ziehen. Der Wogendrachen aber, sollte den Kampf gegen die böse Göttin des Meeres gewinnen, denn nach zwei Tagen hatten sie den Sturm hinter sich gelassen. Die See beruhigte sich wieder, und Ran, gab sich geschlagen. Für dieses Mal! Keinem an Bord war ein Leid geschehen, und auch die Schäden an dem Schiff waren gering, als sie nach einigen Tagen die Küste von Hardanger erreichten, einem Gau im Südwesten des Landes am Nordweg. Ein Stück weit segelten sie die Küste entlang nach Süden, und nicht weit der großen Handelsstadt Kap Lindesnäs ließen sie den Kiel in den Kies des Strandes gleiten und zogen das Schiff bis hinter den Heckstand auf das Land. Die Überfahrt hatte allen viel Kraft abverlangt, und so befahl Sigurd, erst einmal für einige Tage hier zu lagern, bevor man die Westküste hinauf in den Norden segeln würde.

Kaum ein Baum zeigte hier noch sein herbstliches, buntes Blätterkleid, und im Gebirge lag der Schnee schon hoch. Es war also zu erwarten, dass dies auch in der Heimat im Norden, dem Gau Tröndelag, so war. Schnell brannten die Feuer, und ein Zelt nach dem anderen wurde errichtet. Bald schon zog der Duft eines würzigen Eintopfs durch das Lager, sodass die Mägen zu knurren begannen.

Hölzerne Löffel klapperten in den Schüsseln, als sich alle zum Mahl um das größte Feuer versammelt hatten. Da brach Sigurd das gefräßige Schweigen. „Kap Lindesnäs ist nicht weit. Wir sollten dem Handelsplatz einen Besuch abstatten, bevor wir unsere Reise fortsetzen.“ Die meisten stimmten zu, während einige nur nickten, sie konnten nicht antworten, da ihre Münder gefüllt waren. Ingigrid freute sich besonders auf die Stadt und ihren Markt. Björn aber grinste nur. Er hatte Sigurds Hintergedanken sofort erkannt!

Kap Lindesnäs besaß, wie jeder große Handelsplatz, einen Sklavenmarkt, und das Schicksal seiner Schwester Sigrid ging dem Anführer nicht aus dem Kopf. Von hier wurden viele Menschen in die Länder des Südens verkauft, und es kamen auch viele ausländische Händler hierher. Und auch viele Kaufleute aus dem Danelag11 kamen, denn seitdem der Ladejarl Hakon dem König Harald Blauzahn den christlichen Treueschwur verweigert hatte, hatte dieser die Städte im Süden, von Hardanger bis zur Götaälv12, unter den Befehl von dänischen Hersen13 gestellt. Dies war dem Ladejarl zwar ein Dorn im Auge, denn er strebte die alleinige Macht in ganz Norwegen an. Doch da das Verhältnis zu seinem einstigen Gönner stark gelitten hatte, war er nur noch ein geduldeter Kleinkönig, ein in Ungnade gefallener Lehnsmann des dänischen Herrschers.

Im letzten Winter, man schrieb das Jahr 975 n. Chr., zu der Zeit, da die Christen die Geburt ihres Herrn und die Asenanbeter die Wintersonnenwende feierten, da hatte Harald Blauzahn von seinem Gefolgsmann den ehrlichen Glaubenswechsel gefordert. Es gäbe nur den einen wahren Gott und seinen Sohn Jesus Christus, alle anderen seien nur Götzenbilder, seien Teufelswerk. So hatte er dem Hakon mitteilen lassen. Doch der Ladejarl weigerte sich, wollte von den Göttern seiner Väter nicht ablassen, schon gar nicht um einen, wie er hörte, Zimmermann anzubeten. Nein, dies konnte doch kein Gott sein! Fortan war das Verhältnis der beiden Herrscher mehr als angespannt. Die meisten Norweger aber standen hinter dem Ladejarl, besonders die Westnorwegens, denn sie hatten es satt, die Vasallen der Dänen zu sein, und sie blieben auch vorerst unbehelligt. Anders die Gaue Südnorwegens! Vingulmark, Ranrike und Vestfold spürten den ehernen Griff der Dänen umso mehr.

An der Südküste Hardangers steuerten sie die Schnigge in einen der zahlreichen kleinen Fjorde und fanden auch schnell eine geeignete Stelle, um ein Lager aufzuschlagen. Trotz des heftigen Sturmes waren sie kaum von ihrem Kurs abgekommen, denn schon viele Seefahrer hatte es bei der Überfahrt von der Insel der Angelsachsen an die Küste des Dänenreiches oder sogar ins Frankenreich gespült. Björn aber war ein hervorragender Steuermann, dessen Erfahrung im Sturm sehr groß war, und dazu hatte er meist noch das nötige Glück auf seiner Seite. Es war eine gute und weise Entscheidung des Anführers, erst einmal zu lagern, die Besatzung war sichtlich erschöpft, vor allem das junge Weib hatte die Seekrankheit erfasst. Schnell brannten die Feuer, und der große Topf wurde herangeschleppt, sodass sie ein kräftigendes Mahl zubereiten konnten. Es sollte einen Brei aus Hirse und Korn geben, darin viele getrocknete Streifen vom Wild, das sie noch in den schottischen Wäldern erlegt hatten. Dicke Fettaugen schwammen auf dem Brei, der die Besatzung stärken sollte. Die Vorräte waren nun aufgebraucht, bis auf eine große gepökelte Hirschkeule, die in der Speisekammer auf dem Hof Sigurds landen sollte. Alle aßen sich satt, schliefen danach ein und sammelten Kraft.

Sigurd hatte nur kurz geschlafen, Ole, den Mann, der die Wache hatte, forderte er auf, sich niederzulegen, was dieser gerne tat, nachdem der Anführer sich an das Feuer gesetzt hatte. Er hatte schon einige Zeit wach gelegen und dabei seine Schwester, die im Arm des Thorfinn schlief, argwöhnisch beobachtet. Nun saß er auf einem großen bemoosten Stein, sah in die lodernden Flammen und dachte über den Mann nach, den die Ingigrid erwählt hatte. Die Vorstellung, dass der Däne Thorfinn, der gleichen Alters war wie Sigurd selbst und der aus dem Süden des verhassten Nachbarlandes kam, sein Schwager werden sollte, gefiel dem Tröndner nicht wirklich. Ihm selbst wären familiäre Bande mit dem Thorkill oder Rögnvald doch lieber gewesen. Thorfinn hatte aber großen Anteil an der Befreiung des jungen Weibes gehabt, und Ingigrid hatte ihm dafür ihr Herz geschenkt. Sigurd selbst hatte dies in Britannien befohlen. Eigentlich wusste er selbst nicht, was ihn störte. Das Thorfinn ein Däne war, hatte Sigurd vorher nicht gestört, denn viele Dänen gehörten zur Besatzung des Wogendrachen, war doch der einstige Anführer namens Arnodd, der Mann, den Sigurd im Zweikampf getötet hatte, ein dänischer Wikinger gewesen. Alle Männer an Bord hatten aber dem Sigurd den Gefolgschaftseid geleistet, daher war es dem jungen Tröndner gleich, woher sie kamen. Dieser Mann aber sollte sein Schwager werden, ein Gesippe!

Schon am folgenden Tag, der Morgen war kalt, aber trocken, begab sich der Anführer auf den Weg nach Kap Lindesnäs, und Thorfinn, die Ingigrid, Thorkill, der Schwede Rögnvald, Bork und Gunnar begleiteten ihn, denn ihnen stand der Sinn nach etwas Abwechslung. Ein großer Handelsplatz wie Kap Lindesnäs einer war, wäre da sicher genau das Richtige.

Der kleine Fjord, in dem das Lager aufgeschlagen war, lag gar nicht weit von der Stadt entfernt. Sicher hätte Björn den Wogendrachen auch direkt in den Hafen steuern können, doch ihm war es so viel lieber, sagte er. Wahrscheinlicher schien allerdings, dass die Nähe zur Stadt ein Zufall war. Die Sonne stand noch nicht im Zenit, als sie die ersten Häuser und Höfe erreichten. Man wies ihnen den Weg und plötzlich, sie hatten einen kleinen Wald verlassen und zu ihrer Rechten lag das Meer, sahen sie vor sich die Stadt. Immer dichter standen nun die Häuser, als sie dem Weg in die Stadt folgten. Zuerst die Hütten der Armen zu beiden Seiten des Weges, bis sie vor den hohen Palisaden mit dem hölzernen Tor standen. Wachleute unterhielten sich angeregt, lachten und scherzten, und ließen alles Volk ohne Kontrolle ein- und ausgehen. Die Krieger waren Dänen! Bis hierher reichte also noch die Macht des Harald Blauzahn. Der Herse dieser reichen Stadt war von dem Dänenkönig eingesetzt und sicherlich auch kein Norweger, denn die Einnahmen sollten einzig König Harald zugute kommen.

Unbehelligt ging die Besatzung des Wogendrachen durch die Gassen der Stadt, deren Gebäude, je weiter sie in den Stadtkern vordrangen, immer größer und ansehnlicher wurden. Als sie dann aus einer Gasse heraustraten, lag vor ihnen der große Marktplatz, auf dem einige Stände, die meisten mit einem Dach aus buntem Tuch versehen, aufgebaut waren. Käfige mit allerlei Federvieh standen herum, kleine Gatter waren errichtet worden, in denen Kleinvieh, Schafe und Schweine eingepfercht waren. „Welch ein Zufall“, sagte Sigurd Svensson lachend. „Es ist Markttag!“

Es ging zu wie in einem Ameisenhaufen, die Menschen liefen umher, Händler boten lautstark ihre Waren an, doch auf Grund des nahen Winters lagen nicht mehr viele Schiffe im Hafen. Der größte Teil der Händler kam also nicht von außerhalb des Landes. Die meisten von ihnen waren Bauern, die jetzt im Herbst noch einmal ihr überschüssiges Vieh, das sie nicht durch den Winter füttern wollten, zum Verkauf anboten. Genauso erging es einigen Sklaven, für die der Bauer keine Verwendung mehr fand. Und genau danach suchte der Tröndner. Nach den Sklavenhändlern des Marktes!

Doch Sigurd wurde enttäuscht, denn es hatten nur wenig Menschenhändler den Weg nach Kap Lindesnäs gefunden, und nur ein einziger war aus dem Danelag hierher gekommen. Und dieser wusste dem Sigurd nichts von einem Norwegermädchen zu berichten, das in Yorvik14 als Sklavin angeboten wurde. „Warum schaust du so enttäuscht?“, fragte Rögnvald und sah den Sigurd verständnislos an.

„Hast du wirklich geglaubt, dass Odin ein Wunder geschehen lässt?“ „Ach“, seufzte Sigurd. „Ich hatte gehofft...!“ Er sprach den Satz nicht aus. „Du hast recht, mein Freund, die Sigrid ist fort, und ich sollte den Göttern dankbar sein, dass ich Ingigrid fand. So bleibt mir doch wenigstens eine Schwester.“ Der Schwede schlug dem Norweger freundschaftlich zustimmend auf die Schulter.

„Genau so ist es, Freund!“ Sein Lächeln wurde immer breiter. „Und nun wäre mir nach einem großen Krug voller Bier!“ Der junge Häuptling, Sigurd zählte gerade einmal zweiundzwanzig Jahre, sah den um zwei Jahre älteren Schweden an, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und stimmte nickend zu. „Ein Bier also. Dann lass uns zum Hafen gehen. Unter den Seefahrern fühle ich mich wohler als unter Kaufmännern!“ Der Schwede schüttelte nur noch seinen Kopf, ahnte er doch die Gedanken des Tröndners, denn sicher lagerten auf dem Strand im Hafen noch einige Händler, die ihre Schiffe an den zwei Landungsbrücken festgemacht hatten, die weit in die Bucht ragten.

Die Gruppe hatte sich getrennt, einige Männer um Thorfinn und die Ingigrid blieben in der Oberstadt auf dem Markt, während sich die anderen um Sigurd, Rögnvald und Thorkill in den Hafen begaben. Sie traten durch ein Tor in der Palisade, die die Stadt umgab, und zu ihren Füßen lag ein langer, heller Sandstrand. Wie ein Halbmond zog er sich von der einen Seite der Bucht bis hinüber zur anderen Seite, wo er an einen Wald stieß. An den Landungsbrücken lagen nur wenige Schiffe, meist nordische Knarren15. Anders als im Sommer, denn da lagen die Schiffe dicht gedrängt auf dem Strand. Jetzt aber war der Strand frei von ihnen, und die Anlegestege reichten für die wenigen Schiffe aus, die jetzt noch den Weg in die Handelsstadt gefunden hatten. Händler sah man keine auf dem Strand. Zu beiden Seiten der Palisade standen Häuser und Hütten, die sicher den Fischern in der Stadt gehörten, und es waren auch einige Kaschemmen und zwielichtige Wirtshäuser darunter.

Das Bier war schön würzig und kühl, obwohl der eine oder andere sich lieber warmen Met gewünscht hätte, denn es war kalt geworden. Sie waren in eine einfache Seefahrerkaschemme eingekehrt, und Met gab es hier sicher nicht. Der Schankraum war nicht gerade klein, und die Tische und Bänke, auf denen sie Platz nahmen, waren sauber. Nur wenige Leute saßen an den Tischen. Ein Weib kam heran, sie hatte sich wohl in einem der hinteren Räume aufgehalten, beugte sich dem Rögnvald entgegen und gewährte ihm einen tiefen Einblick auf ihren drallen Busen. „Na, Seefahrer? Du darfst sie gerne mal anfassen, und wenn du willst, zeig ich dir noch mehr, es kostet dich nicht viel“, bot sie sich dem Schweden an. Dieser grinste und war fast geneigt, dem Weib zu folgen. Da wandte sich ein Mann an Rögnvald und Sigurd, der bereits an einem der Tische ganz in der Nähe gesessen hatte. „Ihr seid wohl Kaufleute?“, fragte er mit schwerer Zunge. Der Fremde war allein, hatte aber keine Scheu, die Männer anzusprechen, jedoch erntete er von dem Weib eine Schelte. „He, du versoffener Kerl. Siehst du nicht, dass ich hier Geschäfte mache?“, beschwerte sie sich lautstark. Da schlug ihr der Schwede auf das Hinterteil, dass es laut klatschte. „Los, verschwinde! Zu dir komme ich vielleicht später!“ Beleidigt zog sich das Weib zurück. Ohne die Hure zu beachten, sprach der Fremde weiter und beantwortete seine Frage selbst. „Ja, ihr seid sicher Kaufleute!“ Die Männer um den Sigurd sahen sich fragend an. „Oder doch nicht?“, zweifelte er plötzlich an seinen eigenen Worten. Thorkill wollte schon das Wort ergreifen, doch der Rögnvald legte ihm seine Hand auf den Arm und schüttelte leicht mit dem Kopf. Ohne eine Aufforderung nahm der betrunkene Kerl seinen Hocker und setzte sich frech an die Seite des Sigurd. Ohne es zu wissen, hatte er sich den Anführer für sein Gespräch gewählt. „Sag, Freund, seid ihr vielleicht Seefahrer ohne Schiff?“ Er wartete gar nicht auf eine Antwort des blonden Mannes, dessen Haar bis auf die Schultern reichte. „Ach“, seufzte er mit traurigem Blick. „Ihr werdet es nicht glauben, beim Barte des Allvaters Odin! Aber mir ist meine Mannschaft fortgelaufen! Ja, glaub es oder nicht, Freund. Einfach abgehauen sind sie!“

Er legte dem Sigurd seine Hand auf die Schulter, doch Rögnvald entfernte diese mit einem kräftigen Griff und einem drohenden Blick. Der Fremde sah den schwedischen Krieger vorwurfsvoll an, wandte sich aber wieder Sigurd zu, der ihm bei weitem zugänglicher erschien. „Nenn mich Hallfred, Freund! Ich komme aus dem Limfjord16 im Reich König Haralds.“

„Ein Däne also“, stellte Rögnvald etwas abfällig fest und erntete die bösen Blicke seiner dänischen Gefährten. „Nur ein Knecht ist mir geblieben“, schüttelte Hallfred traurig seinen Kopf. „Seit König Harald mich zu dieser Taufe zwang, haben mir die Götter mein Heil genommen.“ Er nahm seinen Becher und hielt diesen dem Sigurd entgegen. Der Anführer, der bisher geschwiegen hatte, hob verwundert eine Augenbraue, begann aber zu lächeln, griff nach dem Krug und füllte den Becher des Fremden mit Bier. „Warum liefen dir deine Männer fort?“, fragte Thorkill, den nun doch die Neugier gepackt hatte. „Ja“, hakte auch Ole nach. „Bist du ein so schlechter Anführer?“

„Ach was“, winkte Hallfred ab. „Ein Kerl kam und nahm sie mit ins Danelag, um für König Haralds Knecht Jarl Gorm zu kämpfen. Er versprach ihnen Reichtum, und schon waren sie fort, diese Blödmänner!“ Die Männer des Sigurd begannen allesamt zu grinsen, denn sie hatten ja selbst vor nicht allzu langer Zeit das Heerlager dieses Jarl Gorm verlassen.

Dieser hätte Sigurd nur zu gerne seinen Hals lang gezogen, schließlich hatte er einen der Jarle in dessen Gefolgschaft erschlagen17. Aber von Reichtum redete in dem Heerlager schon lange keiner mehr, denn außer Sigurd hatte kein Schiffsführer den Sold für seine Krieger oder einen Anteil an der Beute erhalten.

„Ihr sucht also keinen Schiffseigner, dem ihr euch anschließen könnt?“ Die Stimme des Hallfred klang enttäuscht, doch plötzlich erhellte sich sein Gesicht. „Sag, junger Freund, kannst du vielleicht ein Knarr gebrauchen?“ Sigurd sah den Mann verwundert an. „Es ist in einem guten Zustand und liegt dort hinten an dem langen Steg“, fuhr Hallfred fort und zeigte hinaus in Richtung des Strandes. Da sah Rögnvald den Sigurd an, und es huschte ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht, sodass sich für einen Moment sein blonder Schnauzer kräuselte. „Du willst uns dein Schiff überlassen?“ Hallfred nickte und kippte dabei den Becher mit Bier in seinen Mund. Er schlug dem Schweden auf die Schulter und rief: „Jawohl, du hast richtig verstanden, mein Freund! Ich verkaufe euch meinen Wellentrotzer!“ Nun sahen die Männer den Dänen allesamt mit großem Erstaunen an. „Seht mich nicht an wie eine Kuh, wenn’s donnert!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Es scheint, als wolle mich Odin damit strafen, dass er mich hier stranden ließ. Er ist sicher erbost wegen dieser unsäglichen Taufe, die mir Harald abrang.“ Hallfred drehte den Becher, und ein einzelner Tropfen fiel auf die Tischplatte. Da nahm Ole einen der Krüge, die auf dem Tisch standen, und schenkte dem Dänen noch einmal ein. „Bist ein guter Mann“, sagte Hallfred dankend und wandte sich wieder Sigurd zu. „Soll ich das Knarr etwa allein nach Hause rudern?“ Er wurde so laut, dass die wenigen Gäste und auch der Schankwirt aufmerksam wurden. „Ja, du sollst es haben!“ Er nannte dem Sigurd seinen Preis, und dieser war höchst erstaunt, denn der Däne verlangte nicht viel. Sigurd aber zögerte, da stieß der Rögnvald den Tröndner mit seinem Ellenbogen in die Seite, um ihn anzuspornen. „Na gut, lass es uns ansehen, dein Knarr“, willigte Sigurd ein, obwohl seine Bedenken groß waren und er eigentlich auch kein zweites Schiff brauchte.

Als die Männer den Strand hinunter gegangen waren und auf den langen Steg traten, kam ihnen ein Mann entgegen gelaufen. Er trug ärmliche Kleidung, war etwa gleichen Alters wie der Däne Hallfred, also mehr als dreißig Jahre, und kam direkt auf die Männer zu. „Der da ist Slavor, mein Sklave und treuer Begleiter“, wies Hallfred auf den Mann, der allen sichtlich nervös erschien. „Nun, Slavor, gab es etwas während meiner Abwesenheit?“, fragte der Herr den Sklaven lallend, und dieser verneinte die Frage. Dann zeigte er auf das Schiff, das wenige Schritte von ihnen fest vertäut am Landungssteg lag. Es war ein nicht allzu großes Knarr mit acht Rudern auf jeder Seite, doch es war in gutem Zustand und sicher noch nicht alt. „Das ist nicht schlecht“, stellte Rögnvald fest, der mit fachmännischem Blick bereits ein Auge auf das Schiff geworfen hatte. „Der Preis ist angemessen!“

„Angemessen?“, rief Hallfred erbost, und er erschien den Männern gar nicht mehr so betrunken wie in der Schänke. „Es ist geschenkt“, sagte er und bedachte den Rögnvald mit einem strafenden Blick. „Was ist nun? Willst du es haben, Norweger?“ Er hatte sich wieder an den Sigurd gewandt und wurde nun zusehends unruhiger. Unschlüssig sah der Anführer seine Gefolgschaft an, und alle nickten zustimmend. Sein ganzer Anteil an der Beute aus Britannien wäre dann fort, und er musste darauf hoffen, dass Pokas, sein Knecht, auf dem Hof gute Arbeit geleistet hatte. „Gut! Der Handel gilt“, sprach er mit fester Stimme und hielt dem Hallfred seine Hand entgegen, die dieser sofort ergriff. Das Geschäft war besiegelt. „Du wirst uns in unser Lager begleiten müssen, denn dort liegt mein Geld.“

„Dann lass uns das Segel setzen“, drängte der Däne, doch Sigurd schüttelte seinen Kopf. „Da wirst du dich noch gedulden müssen. Erst müssen wir die anderen holen.“

„Welche anderen?“, fragte Hallfred überrascht, da klopfte ihm Thorkill auf seine Schulter. „Die anderen eben. Was geht es dich an?“ Sigurd schickte nun Thorkill zurück in die Oberstadt, um Thorfinn, seine Schwester Ingigrid und die anderen zu suchen, während sie das Knarr bestiegen, um es seeklar zu machen. Immer wieder fielen die Augen des Schweden auf den Hallfred und seinen Begleiter, und er sah die Unruhe, die die beiden trieb. Nach einer Weile trat er neben den Sigurd und neigte sich diesem entgegen, sodass die anderen seine Worte nicht verstanden. „Wir sollten zusehen, dass wir von hier verschwinden. Irgendetwas stinkt hier ganz faul!“

Sigurd nickte nur, hatte er doch längst ein ungutes Gefühl bei diesem Geschäft. Und nun, als er sah, dass der Wellentrotzer, wie Hallfred das Knarr nannte, noch mit Waren beladen war, die allein den Kaufpreis, den Sigurd zahlte, wert war, wurden seine Zweifel nur noch stärker. Es verging einige Zeit, bis Thorkill die Gesuchten gefunden hatte und nun mit ihnen den Strand hinunter lief. Da kam ihm auf halbem Weg ein junger Bursche entgegen gelaufen, der es furchtbar eilig hatte, denn er hatte den Thorfinn beinahe umgestoßen. „He, Dreckskerl! Pass doch auf, wo du hintrittst!“, rief der Däne dem Burschen erbost hinterher, doch dieser verschwand bereits durch das Tor in die Stadt. Er hatte auf dem Strand gestanden und die Männer beobachtet, die sich an dem Wellentrotzer zu schaffen machten, ehe er wie von einer Biene gestochen davon rannte. „Es wird Zeit, dass ihr kommt“, begrüßte Sigurd die Ankommenden. „Wir sollten hier schnell verschwinden.

Also kommt an Bord!“ Thorfinn, Ingigrid und auch die anderen sahen sich fragend an, denn Thorkill hatte nicht viel erzählt, doch sie folgten den Worten des Sigurd und kletterten an Bord des Knarrs. Ohne länger zu zögern, machten sie die Leinen los, stießen von dem Anlegesteg ab, senkten die Ruderpinne in die Fluten, und Thorkill steuerte das Knarr aus der Bucht. Der Wellentrotzer hatte das offene Wasser noch nicht ganz erreicht, da liefen im Hafen von Kap Lindesnäs einige Männer auf den Anlegesteg. Sie fluchten, verlangten nach einer Schnigge und schwenkten erbost ihre Schwerter.

Das rote Haar des Thorkill wehte im Wind, als er die Ruderstange fest in Händen hielt, und mit viel Geschick bewies, was er von Björn gelernt hatte. Er ließ das Knarr, mit straff gespanntem Tuch die Küste entlang nach Westen segeln. Und schon bald erreichte das Schiff den kleinen Fjord, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.

Die Männer, die dort zurück geblieben waren, trauten ihren Augen kaum, als der Kiel knarrend auf den Strand rutschte, und sie erkannten, wer sich da an Bord befand.

Björn Gelbhaar staunte nicht schlecht, als er die Geschichte vom Kauf des Knarrs hörte. Hallfred der Däne aber machte sich mit seinem Sklaven schleunigst aus dem Staub. Da trat Sigurd neben den Rögnvald. „Es ist sicher besser, wenn auch wir von hier verschwinden.“ „Da magst du wohl recht haben, mein Freund. Wenn ich mich nicht täusche, haben wir soeben in Kap Lindesnäs ein Schiff geklaut!“ Der Schwede prustete los und begann laut zu lachen. Doch Sigurd sah ihn mit ernster Miene an. „Du irrst, Rögnvald! Der Hallfred war der Dieb, denn ich habe das Schiff ehrlich bezahlt und es gehört mir! Wer etwas anderes behauptet, dem werde ich es zeigen!“ Er hob drohend seine Faust, da trat Björn, sein Freund und Ziehvater, neben ihn. Er sah Sigurd grimmig an und fragte: „Bist du ein Wikinger, ein Seeschäumer?“ Da nickte Sigurd, verstand aber die Frage nicht. Was sollte das? Natürlich war er ein Raubfahrer, er zählte gerade vierzehn Sommer und Winter, als er zum Wikinger wurde, und Björn war derjenige gewesen, der ihn gelehrt hatte, was er auf See und im Kampf wissen musste. „Natürlich bin ich ein Wikinger! Was soll diese blöde Frage?“ Da tippte Björn dem Sigurd gegen seine Brust und rief: „Dann weiß ich nicht, was es dich schert, ob das Knarr gestohlen ist oder nicht. Besser wäre es gewesen, du hättest es selbst gestohlen, wie es sich für einen Raubfahrer geziemt. Wer sein Schiff ohne Wache lässt, hat es nicht besser verdient!“ „Was soll das Gerede?“ Thorkill schüttelte sein feuerrotes Haupt. „Das Knarr ist dein, und nun sollten wir unsere Zelte abbauen, damit wir in die Heimat segeln können.“ Alle stimmten dem jungen Schmied zu. „Morgen, wenn es hell wird, werden wir in See stechen“, sagte Sigurd, und alle zeigten sich einverstanden.

Der Morgen graute. Raureif überzog Moose und Gräser. Das Feuer war heruntergebrannt und Thorkill erwachte frierend, denn er kauerte neben der Feuerstelle. Er hatte die letzte Wache, doch irgendwann, nachdem er Ole abgelöst hatte, musste er eingeschlafen sein. Er hatte nicht einmal Holz nachgelegt, denn die Glut war erkaltet. Erschrocken sah sich Thorkill um, doch niemand schien seinen Schlaf, während er eigentlich wachen sollte, bemerkt zu haben. Im Lager herrschte noch Ruhe, bis auf das Schnarchen, das aus den Zelten heraus drang. So erhob er sich, nahm von dem Reisig und dem trockenen Holz, das dicht bei der Feuerstelle lag, suchte in dem Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing, nach seinem Feuerstein und entfachte die Flammen erneut. Langsam kam wieder Leben in das Lager des Sigurd Svensson, denn nach und nach kamen auch die anderen aus ihren Zelten ins Freie.

Es war kurz nach dem Morgenmahl, sie hatten gerade damit begonnen, ihre Zelte abzubauen, als ihnen das entfernte Dröhnen von Hufen eine Reiterschar ankündigte. Die Männer erhoben zuerst ihre Köpfe und lauschten, legten dann ihr Wehrgehäng um, und der Schwede Rögnvald schob seine beiden kurzstieligen Äxte, deren Namen Odin und Thor er in die Schäfte geritzt hatte, in seinen Gürtel. Die junge Ingigrid schickte Sigurd auf den Wogendrachen, und Thorfinn sollte sein künftiges Weib beschützen. Über den Weg, den Sigurd und seine Begleiter gestern noch nach Kap Lindesnäs gegangen waren, kamen nun die Fremden auf den Lagerplatz geritten. Es waren fünfzehn Krieger, und alle trugen das lederne Wams mit dem Wappen des Stadthersen darauf, einen Rundschild auf den Rücken geschnallt, und in der Hand eine Lanze. Sigurd, Björn und Rögnvald, sowie weitere zehn Männer stellten sich den Ankommenden entgegen, während die anderen den Befehl erhalten hatten, die Schiffe weiter zu beladen.

Die Berittenen zügelten ihre Pferde dicht vor den Männern, und der Anführer nannte seinen Namen und frug. „Wie ist dein Name, Fremder?“ „Man nennt mich Sigurd“, antwortete der Schiffseigner gleichgültig lächelnd. „Ihr baut das Lager ab?“, fragte der Reiterhauptmann. „Wie du siehst.

Es geht in die Heimat, aber ich wüsste nicht, was es dich angeht?“, sprach der Tröndner trotzig. „Es geht mich etwas an“, erwiderte der Hauptmann des Hersen in strengem Ton. „Im Hafen von Kap Lindesnäs ist ein Knarr gestohlen worden, und die Beschreibung der Diebe trifft ziemlich genau auf einige von euch zu!“ Da wurde Rögnvald böse, trat vor den Hauptmann und sprach drohend: „ Du wagst es, uns Diebe zu heißen! Ich rate dir, besser auf deine Worte zu achten, Hauptmann. Man beleidigt mich nur einmal!“

Er strich mit der Hand über das Blatt seiner Axt Odin. Der Hauptmann zeigte auf das Knarr und überhörte die Drohung des Schweden. „Auch die Beschreibung des Schiffes war sehr genau, und dieses da könnte es wohl sein!“ „Könnte“, sprach Björn nun in scharfem Ton. „Gab es denn keine Schiffswachen auf dem Knarr?“, fragte Sigurd und tat verwundert. Da zog der Reiter seine Schultern hoch und schüttelte seinen Kopf. „Wohl nicht.“

„Du hättest mehr Männer mitbringen sollen, wenn du uns des Schiffsraubes bezichtigst! Dieses Schiff gehört mir, beim Barte Odins“, sprach Sigurd und ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht gewillt war, den Befehlen des Hauptmannes zu folgen. Doch der dänische Soldat war ein mutiger Mann, und die drohenden Worte schreckten ihn nicht, und sie hinderten ihn auch nicht daran, das zu tun, was sein Herr von ihm erwartete. „Der Bart Odins interessiert mich nicht, und ob dies dein Schiff ist, wird sich bald zeigen. Wir bringen das Knarr in den Hafen von Kap Lindesnäs!“, befahl er und senkte seine Lanze, sodass die Spitze auf die Brust des Sigurd Svensson zeigte. Dies aber war der letzte Fehler, den der Krieger in seinem Leben

begangen hatte, denn dem Rögnvald war nach Streit zumute. Schon hielt er die beiden Äxte in seinen Fäusten und während die in der linken mit einem Schlag den Schaft der Lanze durchtrennte, schlug die Axt in der rechten Faust gegen die Brust des Reiters. Das Pferd bäumte sich auf, der Helm flog in hohem Bogen davon, und der Soldat fiel rücklings aus dem Sattel. Benommen drehte er sich auf die Knie und versuchte sich zu erheben, doch da traf ihn die Axt im Nacken. Es knackte, als zerbräche man einen trockenen Ast, eine Fontäne roten Blutes entströmte der Wunde, und der Anführer der Reiterschar sackte leblos zu Boden. Sein Kopf, nur noch von wenigen Muskeln gehalten, lag unnatürlich verdreht neben dem Rumpf. Das Entsetzen der Berittenen über das Gesehene war groß, und als sie sich endlich zum Angriff entschieden, waren die ersten bereits vom Rücken der Pferde gezogen. Zwei der Krieger suchten ihr Heil in der Flucht, die anderen nahmen den wohl ausweglosen Kampf auf, und er sollte alle das Leben kosten.

Auch die Wikinger des Sigurd, die mit dem Beladen der beiden Schiffe beschäftigt waren, hatten nun auch ihre Schwerter gezogen, und somit war die Überzahl der Wikinger für die Krieger des Stadthersen erdrückend. Gellende, schmerzverzerrte Schreie hallten über den Strand in der kleinen Bucht an der Südküste Norwegens. Blut floss aus unzähligen Wunden, und zerschundene Leiber von Mensch und Tier lagen im Sand. Die meisten Krieger waren bereits tot, andere erwarteten ihr nahendes Ende mit schmerzverzerrtem Gesicht. Keinem der Reiter des Hersen war mehr der Rückzug gelungen, und die meisten Pferde hatten ohne ihre Reiter die Flucht ergriffen. Ole und Tjörd gingen über den Strand, ihre blutigen Schwerter in Händen, und stachen hier und da in die Körper, in denen sie noch Leben vermuteten. „Lasst das bleiben, Ole!“, rief Sigurd erbost, und die beiden Wikinger ließen von ihrem blutigen Tun ab. Der Häuptling wischte sich den roten Lebenssaft aus dem Gesicht, es war zu seinem Glück nicht sein eigenes, sah Björn an und sprach: „Es tut mir leid, mein Freund, dass ich uns diese Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ich hätte mir denken können, dass Hallfred ein Spitzbube ist.“ „Ach was“, grinste der Gelbhaar. „Das war doch ein heftiger Spaß, und das Knarr ist und bleibt dein!“

„Wir sollten trotzdem von hier verschwinden, bevor Verstärkung hier anrückt!“

„Pah, sollen sie doch kommen“, fuhr Rögnvald dazwischen.

„Björn hat doch recht, es war ein Spaß, und die anderen erschlagen wir auch noch!“ „Ich weiß nicht, ob es denen wirklich Spaß bereitet hat zu sterben“, sagte Thorkill zweifelnd und zeigte auf die vielen Toten. Dann erblickte er den jungen Thorstein, der zwischen den Feinden lag. Er war einer der jungen Burschen aus dem Hinterland des Sigurdfjordes, für den der Hof des Vaters zu klein geworden war, und der sich im letzten Frühjahr der Expedition des Sigurd angeschlossen hatte. Nun ragte die Lanze eines Reiters aus seiner Brust, und seine Seele war längst, geleitet von den Walküren18, auf dem Weg an die Tafel des Allvaters Odin. „Er hatte sicher keinen Spaß daran.“,

Thorkill nickte mit dem Kopf dorthin, wo Thorstein lag. „Ach, wer weiß das schon? Vielleicht hat er jetzt seinen Spaß mit den Töchtern des Graubarts“, mutmaßte Rögnvald grinsend. „Wir nehmen ihn mit uns, damit ihn seine Gesippen nach alter Tradition verbrennen können“, befahl Sigurd, und einige Männer verschnürten den Leichnam in einer alten Decke. Dann schoben sie die Schiffe in das tiefere Wasser, sodass kein Land mehr unter den Kielen war, kletterten über die Reling an Bord und verließen die kleine Bucht in Hardanger mit Kurs nach Norden.

Den Wellentrotzer hatte Sigurd mit neun Männern bemannt.

Thorkill stand auf dem Heckstand und hielt die Ruderstange in Händen, während die anderen acht Seefahrer auf ihren Seekisten saßen und in gleichmäßigem Rhythmus die Ruderpinne in die See tauchten. Einer von ihnen war Sigurd Svensson selbst, der es sich nicht nehmen lassen wollte, auf seinem neuen Schiff heimzusegeln.

Leichter Regenfall ging auf die Seefahrer nieder, als die beiden Schiffe in den Sigurdfjord hinein segelten. Es war ein kalter Wind, der aus Westen blies und der die Segler schnell vorangetrieben hatte. Nun zogen sie vorbei an steilen, kahlen Felswänden und an Hängen, die mit Wäldern von Kiefern und Fichten bewachsen waren, und die bis hinunter an das Wasser des Fjordes reichten. Schon bald erreichten sie die hohe steile Klippe, die wie die Nase eines Riesen in den Fjord ragte, und die dereinst dem Weib des Sigurd den Tod gebracht hatte. Sie folgten der Biegung, die um die Klippe in die Bucht führte, in der das Dorf lag. Kaum hatten sie sich der Biegung genähert, hallte auch schon der Klang des großen Signalhornes, das oben auf der Spitze der Klippe stand, durch den Fjord. Sie waren daheim, fast ein ganzes Jahr später, als es Sigurd seinen Männern versprochen hatte.

*

5 Schnigge – Langschiff der Nordmänner, hatte bis zu 40 Riemen

6 Thor ( Donar )– Sohn des Odin, rotbärtiger Gott, der gegen die Riesen kämpft, Herr über Blitz und Donner, großer Kämpfer und Gott der Bauern, Beschützer der männlichen Kinder

7 Ran – düstere Meeresgöttin. Sie zieht die Seefahrer mit ihrem Netz in die Tiefe und gebietet über die Seelen der Ertrunkenen. Weib des Asengottes Ägir

8 Tröndelag – ein Gau im nördlichen Teil Westnorwegens gelegen

9 Insel der Angelsachsen, Britannien - England

10 Asgard – Sitz des Göttergeschlechtes der Asen, deren oberste Gottheit Odin ist

11 Danelag – Gebiete Nord- und Südenglands, die von den Dänen besetzt und besiedelt worden waren

12 Götaälv, Götaelv – Grenzfluss zwischen Norwegen und dem dänischen Reich

13 Herse – Stadthalter, Bürgermeister

14 Yorvik - York

15 Knarr, Knorr oder Knorre – dickbauchiges Handelsschiff der Nordmänner

16 Limfjord – Fjord im Nordwesten Dänemarks

17 siehe Die Saga von Sigurd Svensson Band 1

18 Walküren – die Töchter Odins, sie geleiten die gefallenen Krieger an die Festtafel in Walhalla, der Gästehalle des Göttervaters

2. Wem gehört der Wellentrotzer?

Sigurd Svensson staunte nicht schlecht, als er auf seinen Hof kam, denn sein Knecht Pokas, der ein Sklave aus dem Pommernland war, und schon zu Zeiten seines Vaters Sven auf dem Hof gearbeitet hatte, war das Jahr über nicht untätig gewesen. Er hatte mit dem anderen Knecht namens Lubomir, der etwa achtzehn Sommer zählte, und der Magd Danika, die genau wie Lubomir vor vier Jahren als slawische Sklaven von Sigurd gekauft worden waren, dafür gesorgt, dass das Lager für den Winter gefüllt war.

Der Schweinestall war voller Ferkel, und auch eine der Kühe hatte gekalbt. Der hinkende Knut, Gefolgsmann des Sigurd und dereinst der Besatzung des Wogendrachens angehörend, nun aber der Herr des Drachenhofes, den Sigurd und die Männer nach ihrer Ankunft im Sigurdfjord bewohnt hatten, hatte Pokas und die anderen Sklaven im Auge behalten. Obwohl sich dies als unnötig erwies. Sigurd zeigte sich äußerst zufrieden über das, was er sah, und er nahm sich vor, seine Sklaven für diese Arbeit zu entlohnen. Fackelschein erhellte den Steg, an dem die Schiffe festgemacht waren, und so mancher aus dem Dorf hatte sich über das neue Knarr gewundert, das die Männer mit sich brachten. Es zeigte sich, dass der Wert der Waren, die das Schiff geladen hatte, den Preis des Wellentrotzers fast aufwog. Diese Waren würden nun den Winter über im Lager des Häuptlings verschwinden, um im kommenden Jahr auf einer Handelsfahrt veräußert zu werden.

Es war bereits dunkle Nacht, als endlich die Arbeit getan war und die Männer des Drachenhofes sich zurückzogen, um Ruhe zu finden. Die Gefolgsmänner, die aus dem Hinterland des Sigurdfjordes kamen, blieben Gast in der Halle des Häuptlings. Aber nach einem Gelage war in jener Nacht keinem mehr zumute. Ingigrid hatte mit Tränen in den Augen die Kammer bezogen, die sie einst mit ihrer Schwester Sigrid bewohnt hatte. Zu der Zeit, als das Leben auf dem Hof noch nicht diese schreckliche Wendung genommen hatte. Nun aber waren die Eltern tot, sowie auch der Bruder Eirik, und die Sigrid war fort. Thorfinn hatte es vorgezogen, diese Nacht auf dem Drachenhof bei den Weggefährten zu verbringen und wollte erst in einigen Tagen auf den Hof des Mannes kommen, der wohl bald sein Schwager werden würde. Sigurd hatte ihm aus diesem Grund seinen Hof als Heimstatt angeboten, denn der Gemahl seiner Schwester gehörte an die Seite seines künftigen Weibes, und der Hof war ja groß genug.

Auch Sigurd zog sich bald darauf in seine Kammer zurück, denn das Langhaus besaß außer der Gästehalle im hinteren Bereich noch einen Raum, in dem gekocht wurde, und mehrere Kammern, die einmal Ställe für das Vieh waren.

Eine davon, die die einst seine Eltern bewohnt hatten, gehörte nun Sigurd. Der Raum war nur karg eingerichtet, mit einem Bett, einem Hocker und einer großen Truhe, in der sich seine Habseligkeiten und ein wenig Kleidung befanden. Nun lagen Hose und Kirtel19 auf der Truhe, und Sigurd hatte sich in sein Bett gelegt. Mit starrem Blick stierte er auf die Balken des Giebels und grübelte darüber nach, ob es nicht doch ein Fehler war, die Sklavin Danika zurückzuweisen, die sich ihm nach der langen Reise zum Beischlaf angeboten hatte. Doch noch bevor er dazu kam, sich über seine voreilige Entscheidung zu ärgern, war er eingeschlafen.

Er hatte sehr lange geschlafen, es war längst ein geschäftiges Treiben auf dem Hof, als er aus seiner Kammer trat und sich in die Halle begab. Dabei ging er an dem Hochstuhl vorüber, der am Kopfende der Halle stand, und hinter dem sich der Eingang zu den hinteren Räumen befand. Seine Hand glitt über die reichlich mit Schnitzereien verzierte Armlehne. Es war ein sehr schöner Stuhl, den sich Sven einst hatte von einem Tischler bauen lassen. Eigentlich war der Hochstuhl zu schön für einen einfachen Fjordhäuptling, wie Sven einer gewesen war. Dies war ein Thron, gut genug für einen reichen Jarl oder Gaukönig.

Ohne einer Menschenseele zu begegnen, ging er durch die große Gästehalle zur Pforte, zog seinen Kirtel aus und warf diesen auf einen der Podeste, die an den Längswänden angebracht waren, und die als Sitz oder Schlafplatz dienten.

Dann öffnete er die große Tür und trat mit nacktem Oberkörper hinaus ins Freie. Der Himmel war grau, von Wolken verhangen, und Regen, vermischt mit einzelnen Schneeflocken, fiel auf den Boden nieder. Sofort stellten sich die Haare auf seinem Arm auf, und Sigurd bekam eine dicke Gänsehaut. Doch er trotzte der Kälte und tauchte seinen Kopf in das große Regenfass, das neben dem mit Schnitzereien verzierten Eingang stand. Kleine Eisschollen schwammen auf dem gut gefüllten Fass und ritzten ein wenig seine Haut beim Eintauchen. So würde der gesamte Fjord bald aussehen, dachte er, tauchte ohne zu zögern ein zweites Mal in das eisige Wasser und begann seinen Körper zu waschen. Eigentlich fror Sigurd nicht so schnell, und Kälte machte ihm wenig aus, doch diese morgendliche Tortur hatte es wahrlich in sich. Sie war äußerst unangenehm, aber sie machte Sigurd wirklich wach.

Es war längst Mittagszeit geworden, als die Besatzung des Wogendrachen zusammentraf, um die Schiffe mit den Schiffsrollen auf den Strand zu ziehen und winterfest zu machen. Obwohl Björn gedrängt hatte, noch einmal auf Raubfahrt zu gehen, und Sigurd war meist gleicher Meinung mit dem Mann, den er wie einen Ziehvater achtete, zog der junge Häuptling es vor, sich nun um seinen Hof und die Siedlung zu kümmern. „Nein, mein Freund! Wir waren einen ganzen Sommer fort, und die Männer sind müde. Jeder von ihnen wird heute seinen Anteil erhalten, und wir werden feiern“, sagte er zu dem Gelbhaar. „Im Frühjahr werden wir dann weitersehen.“

Da brummelte sich Björn einige Beleidigungen in seinen Bart, wandte sich ab und ging. Verwundert trat Thorkill neben den Häuptling. „Welche Laus ist denn dem über die Leber gelaufen?“ Sigurd zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht, doch ich beginne mich um Björn zu sorgen.“ „Ach was“, mischte sich Rögnvald ein. „Der Kerl wird langsam alt, und das merkt er. Vielleicht ist es ja die Angst, den Strohtod20 zu sterben, die ihn hinaus auf das Meer treibt!“

„So ein Blödsinn“, erwiderte Sigurd und grinste. „Alter Mann! Björn ist nicht viel älter als dreißig Sommer und Winter!“ „Ach, was weiß ich denn? Vielleicht juckt es ihn, und er braucht ein Weib“, winkte der Schwede ab.

Als es Abend wurde, füllte sich die Gästehalle des Hauses. Tische standen entlang der Podeste, die mit Fellen bedeckt waren, und zu beiden Seiten des Hochstuhles standen zwei Stühle, und auch davor stand ein großer Tisch. In der Mitte der Halle brannte in einer länglichen Feuerstelle, über der ein großer Rauchabzug hing, ein wärmendes Feuer, und darüber briet an einem ehernen Spieß ein großes Schwein, das von Lubomir schon seit einiger Zeit gedreht wurde. Es hatte schon die nötige Bräune, und es roch im ganzen Haus nach der Köstlichkeit, die den Gästen bei dem Fest ihre Bäuche füllen sollte. Auch in dem Küchenraum hatten Ingigrid und die slawische Magd Danika alle Hände voll zu tun gehabt, um weitere Speisen herzurichten. Einige Mägde von umliegenden Höfen waren in das Langhaus gekommen, sie sollten der Schwester des Sigurd zur Hand gehen und später die Männer bedienen.