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Im Jahre 995 n. Chr. tritt der christlich erzogene König Olaf Tryggvesson seine Herrschaft in Westnorwegen an und verfolgt fortan das Ziel, ganz Norwegen zu christianisieren. Es bricht ein erbitterter Kampf zwischen dem König und den heidnischen Asenanbetern aus. In dieser schweren Zeit reift Erik, der Sohn des Wikingerfürsten Sigurd, zum Mann. Jarl Sigurd und seine Söhne Bjarne und Erik werden in diesen blutigen Konflikt hineingezogen, schwören König Olaf den Gefolgschaftseid und bekennen sich halbherzig zum Christenglauben. Dem Ruf des Königs folgend, vertreiben sie die heidnischen Dänen aus Olafs Erbreich. Erik schlägt seine erste Schlacht, und es soll nicht seine letzte gewesen sein. Er folgt seinem Schicksal, und keiner ahnt, dass Erik nur einige Jahre später als Jarl und überzeugter Christ seiner heidnischen Heimat den Rücken kehren muss.
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Seitenzahl: 391
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Im Jahre 995 n. Chr. tritt der christlich erzogene König Olaf
Tryggvesson seine Herrschaft in Westnorwegen an und verfolgt fortan
das Ziel, ganz Norwegen zu christianisieren. Es bricht ein erbitterter
Kampf zwischen dem König und den heidnischen Asenanbetern aus. In
dieser schweren Zeit reift Erik, der Sohn des Wikingerfürsten Sigurd,
zum Mann. Jarl Sigurd und seine Söhne Bjarne und Erik werden in
diesen blutigen Konflikt hineingezogen, schwören König Olaf den
Gefolgschaftseid und bekennen sich halbherzig zum Christenglauben.
Dem Ruf des Königs folgend, vertreiben sie die heidnischen Dänen aus
Olafs Erbreich. Erik schlägt seine erste Schlacht, und es soll nicht seine
letzte gewesen sein. Er folgt seinem Schicksal, und keiner ahnt, dass
Erik nur einige Jahre später als Jarl und überzeugter Christ seiner
heidnischen Heimat den Rücken kehren muss.
Rainer W. Grimm wurde 1964 in
Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine
Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie
und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet.
Erst mit fünfunddreißig Jahren, bedingt durch eine Rückenerkrankung,
entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei.
Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen
Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen.
Historischer Hintergrund
Im Sigurdfjord
Eriks erste Schlacht
Der Knecht Thorgeir
Bjarnes Wikingerstreich
Die Schlacht im Sigurdfjord
In Brimun und bei den Angelsachsen
Ein Streit mit Folgen
Die Geißel Gottes
Die Saga von Thangbrand dem Priester
Eine schwerwiegende Entscheidung
Begegnung in Jumne
Der Überfall
Der Tod des Jarls
Erik im Gefolge König Olafs
Ein glückliches Wiedersehen
Die schwarze Skaid
Holmgang auf Island
Flucht einer Prinzessin
Mit dem König ins Polenreich
Die Schlacht im Oderhaff
Flucht nach Island
*
Aus den eisigen Regionen des Nordens kommend, durchstreiften heidnische Krieger im 8. Jahrhundert1 die Meere an den Küsten Europas. Mit ihren schnellen, schlanken Schiffen fuhren sie auf den Flüssen in das Landesinnere und überfielen Dörfer und Städte. Selbst vor großen, gut befestigten Städten wie Hamburg, London oder Paris machten die mutigen Nordmänner nicht halt.
Sie glaubten an Odin, den einäugigen Göttervater, der das achtbeinige Pferd Sleipnir ritt. An seinen Sohn Thor, den Donnergott, der mit dem Hammer gegen die Dämonen kämpfte. An Tyr, der den Riesenwolf Fenrir an die Weltesche kettete und der dafür seine Hand verlor. Und an die schöne Freya, die die Göttin der Fruchtbarkeit war, und stets von zwei Katzen begleitet wurde.
Diese Männer nannten sich selbst „Wikinger“.
Für einen Krieger war es das höchste Ziel, mit dem Schwert in der Hand zu sterben, um dann von den Töchtern Odins, den Walküren, nach Walhalla gebracht zu werden, und in der Halle der toten Helden neben den Göttern zu tafeln.
*
Kurz vor der Wende des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt sollte ein junger König den Grundstein für die Christianisierung Skandinaviens legen.
Olaf Tryggvesson hatte seine Jugend in den christlichen Königshäusern von Kiew und später im Polenreich verbracht. Sein Ziel war es, die norwegischen Gaue zu vereinen und ein christliches Reich zu errichten. Er bekehrte sein Volk zum Glauben an den Herrn Christus, wenn es sein musste, auch mit Waffengewalt.
Doch viele nahmen den neuen Glauben freiwillig an. So auch der Grönländer Leif Eriksson, der im Jahre 1000 n. Chr. die Küste Neufundlands entdeckte.
Der norwegische König hatte aber auch viele Feinde, die sich dem Bekehrungsdrang entgegenstellten.
Im Jahre 995 n. Chr. hatte die Königsherrschaft des Olaf Tryggvesson in Westnorwegen begonnen. Im Tröndelag2 wurde der alte Herrscher Jarl3 Hakon durch einen Bauernaufstand vertrieben. Die Bauern des Tröndelag konnten die Bosheit des Jarls und seine unersättliche Gier nach den Frauen des Reiches nicht mehr ertragen.
Als Jarl Hakon einen angesehenen Bauern zwingen wollte, ihm sein Weib zu überlassen, schickten die gedemütigten Untertanen den Kriegspfeil von Hof zu Hof und von Dorf zu Dorf. So sammelten sie ein großes Heer gegen den Jarl. Doch zuvor hatten sie den Kaufmann Thorir Klakka nach Britannien geschickt, denn dieser sollte dem norwegischen Seekönig Olaf Tryggvesson, der auf der Insel der Iren weilte, die Herrschaft über das Tröndelag anbieten.
Dieser war daraufhin mit fünf Langschiffen aus Dublin aufgebrochen, um in Norwegen die Königsherrschaft anzutreten.
Olaf Tryggvesson war von Geburt ein Königssohn und ein Urenkel des großen Norwegerkönigs Harald Harfagr, der auch Harald Schönhaar genannt wurde.
Hakon, der böse Jarl genannt, ergriff die Flucht, wurde aber von einem seiner Gefolgsmänner ermordet. Der Verräter schlug seinem Herrn den Kopf vom Rumpf und hoffte so auf die Gnade des neuen Königs. Doch dieser verurteilte den Mann wegen des heimtückischen Mordes an seinem Herrn zum Tode.
König Olaf, der ein gläubiger Christ war, verfolgte fortan das Ziel, ganz Norwegen zu christianisieren und den Glauben an die alten Götter zu verbieten.
Für das Volk am Nordweg begann nun eine schwere Zeit. Der Kampf zwischen den alten Göttern des Nordens und dem Herrn Christus hatte begonnen. Es galt nun zu wählen zwischen dem Glaubenswechsel und der Flucht vor den Häschern des neuen Königs.
*
1 8. Juni 793 - Überfall auf das Kloster Lindisfarne in der Grafschaft Northumberland. Erster in einer Chronik niedergeschriebener Wikingerüberfall.
2 Tröndelag - Gau in Westnorwegen
3 Jarl - Adliger (engl. Earl)
D er kleine Korkschwimmer an der Angel tanzte in seichtem Rhythmus auf den Wellen hin und her. Der Junge saß auf dem hölzernen Landungssteg, an dem sonst die Schiffe des Dorfes festgemacht wurden. Die braune Hose, die er trug, war mit unzähligen Flecken übersät und roch heftig nach altem Fisch.
Um seine Taille hatte er einen Ledergürtel gebunden, in dem ein Messer steckte. Schweißperlen rannen an seinem Rücken hinunter und versickerten im Bund seiner Hose. In der Mittagssonne leuchtete sein Haar rot, so rot wie die Glut in der Feuerstelle des Dorfschmiedes, der sein Vater war. Der Name des Knaben war Orm!
Es war ein warmer Sommer in Norwegen. Ruhig lag der Fjord in der warmen Augustsonne, und vom Meer wehte eine kühle Brise über den Strand.
Einmal hob Orm seinen Kopf und sah gelangweilt auf das Meer hinaus und da entdeckte er ein Schiff im Fjord.
Schnell kam der Segler näher, und der Knabe erkannte sofort, dass es ein nordisches Langschiff war. Mit der Hand schirmte er seine Augen gegen das grelle Licht der Sonne ab, und nun erkannte er auch den Drachen, der das eckige, rote Segel zierte. Freudig sprang der Knabe auf, warf die Angelrute auf den Steg und rannte den Strand hinauf ins Dorf.
Dieses Dorf bestand aus einfachen hölzernen Hütten. Die Menschen, die dieses Dorf bewohnten, waren Handwerker, Fischer, Jäger und Schiffsbauer. Und alle waren sie gute Seefahrer.
Thorkill, der Schmied in der Siedlung, stand am Blasebalg in seiner Schmiede und schürte die Glut. In der rechten Hand hielt er den glühenden Schwertrohling, während seine Linke den Blasebalg auf und ab bewegte. Die Flammen schlugen hoch, und die Funken sprühten über den Rand der Feuerstelle.
„Sigurd kommt!“ Laut verkündete Orm die Neuigkeit im Dorf. Sofort legten die Bewohner ihre Arbeit nieder, um an den Strand zu laufen und die Ankommenden zu begrüßen. Orm war den schmalen Kiesweg zur Schmiede hinauf gelaufen, die ganz am Ende des Dorfes stand.
„Vater! Vater! Jarl Sigurd kommt zurück!“, rief der Knabe seinem Vater schon von Weitem zu. Da sah der Schmied von seiner Arbeit auf, hörte die Worte seines Sohnes und warf den rot glühenden Stahl, den er gerade mit heftigen Schlägen bearbeitet hatte, in einen großen, mit Wasser gefüllten Kübel, der neben der Feuerstelle stand.
Zischend und dampfend spritzte das Nass über den Rand des hölzernen Behälters.
Er legte seine speckige Lederschürze ab und trat vor die Schmiede. Die Sonne glänzte auf seinem verschwitzten, mit Russ verschmierten Körper. Seine langen, roten Haare hatte er zu einem Zopf geflochten und um den Hals geschlungen. Thorkill war Witwer, denn sein Weib war vor dreizehn Sommern, als sie Orm das Leben schenkte, im Kindbett gestorben.
„Der Jarl ist heimgekehrt“, sagte Orm nach Luft ringend, als er seinem Vater gegenüber stand. „Ich habe sein Schiff im Fjord gesehen!“
„Geh und hole Bjarne“, befahl Thorkill grinsend seinem Sohn. „Lauf zum Gehöft und melde Sigurds Ankunft!“
Der Knabe lief los, um das zu tun, was der Vater befohlen hatte.
In einem Wasserbottich wusch sich der Schmied seinen verschmutzten Körper und zog einen sauberen Kirtel4 über. Dann nahm er sein Schwert und ging den Hang hinunter zum Strand, um seinen Jarl zu begrüßen.
Der Hof des Sigurd bestand aus mehreren Gebäuden und war von einer flachen Steinmauer umgeben. Ein kunstvoll geschnitzter Giebel zierte das Langhaus des Jarls.
Bilder der nordischen Sagas, die Drachen, Schlangen, Götzen und Runen zeigten, schmückten die große, eisenbeschlagene Tür.
Jarl Sigurd Svensson war kein armer Mann!
Die übrigen Gebäude waren Schlafhäuser der Knechte, Häuser für die Mägde, Vorratshäuser und Unterkünfte für die Sklaven.
Hinter dem Hauptgebäude, dem Langhaus des Jarls, stand eine kleine Holzkirche. Einst hatte Sigurd das christliche Gotteshaus für sein zweites Weib bauen lassen, die eine glühende Anhängerin des Glaubens war, der sich - aus dem Süden kommend - im ganzen Norden verbreitete.
Er hatte sie von einer seiner zahlreichen Handelsfahrten, die ihn auch in das Sachsen- und Friesenreich führten, in den Sigurdfjord mitgebracht und zur Gemahlin genommen. Dafür hatte er sich von einem Priester taufen lassen. Aber Sigurd glaubte weiter an die Kraft der alten Götter des Nordens.
Das erste Weib des Jarls namens Gerhild hatte ihm einen Sohn geboren, dem der Jarl nach alter Sitte den Namen Sven gegeben hatte. Doch der Knabe kränkelte sehr und starb im frühesten Kindesalter. Einen Sommer später gebar sie ihm wieder einen Sohn und dieser, Bjarne genannt, war kräftig und gesund.
Doch seine Mutter hatte den Tod ihres erstgeborenen Kindes nie überwunden, und so beging sie eines Tages Ehebruch, woraufhin der Jarl sie aus dem Sigurdfjord verstieß und ihr das Kind nahm.
Nun erzählte sich im Fjord die Geschichte, dass Bjarnes Mutter Gerhild darauf hin dem Wahnsinn verfiel und sich von den Klippen gestürzt hätte.
Auch das zweite Weib Sigurds, das auf den Namen Burga hörte, gebar dem Jarl einen Sohn, der auf den drängenden Wunsch der Mutter die christliche Taufe empfing und Erik genannt wurde.
Doch Eriks Mutter war von weicher, zarter Gestalt und das raue Klima des Nordens hatte ihr immer arg zugesetzt.
Acht Sommer und Winter zählte Erik, da starb seine Mutter an blutigem Husten. Und mit ihr starb auch der Christenglaube im Sigurdfjord, und die kleine Kirche verwaiste.
*
Als Orm endlich den Hof Sigurds erreichte, saß Bjarne mit zwei Knechten vor einem der flachen, mit Grassoden gedeckten Vorratshäuser und war damit beschäftigt, ein altes Segel auszubessern. Bjarne, der ältere der beiden Jarlssöhne, zählte zwanzig Sommer. Er war von kräftiger Statur, hatte blondes, lockiges Haar, und als ältester Sohn des Jarls war ihm die Befehlsgewalt im Fjord übertragen worden. Er befahl über das Land, die Höfe und Dörfer des Gaus, solange sein Vater zur See fuhr, um in fernen Ländern Handel zu treiben und seinen Reichtum zu mehren. Da Bjarne ein mutiger und im Kampf erfahrener Krieger war, wurde er trotz seiner Jugend von allen als Anführer geachtet.
Als er den Jungen sah, der da keuchend den Weg hinauf gelaufen kam, erhob er sich, um diesen zu begrüßen.
„Was führt dich zu uns, Orm? Man sieht dich nicht oft auf dem Hof.“
„Unser Jarl, dein Vater, ist heimgekehrt. Sein Knarr5 ist im Fjord“, antwortete Orm und musste sich setzen, da seine Beine inzwischen schwer wie Blei waren.
Ohne Orm weiter zu beachten, lief Bjarne zu einem der Ställe, führte eines der Pferde heraus und schwang sich auf dessen Rücken.
„Sucht Erik und schickt ihn zum Strand! Sigurd ist da!“, rief er freudig und ritt davon.
*
Lautlos verbarg sich Erik hinter einem dichten Busch. Die Lichtung lag vor ihm, das Sonnenlicht schien durch die Wipfel der Bäume und tanzte auf dem mit alten Blättern, Moos und Gras bedeckten Waldboden.
Sein langohriges Opfer saß fressend im hohen Gras. Das Tier hatte die drohende Gefahr noch nicht bemerkt, denn der Wind stand günstig für den Jäger. Da hockte die ahnungslose Kreatur und knabberte an seiner letzten Mahlzeit. Erik legte den Pfeil an die Sehne und spannte den Bogen. Mit einem leisen Surren flog das todbringende Geschoss von der Sehne durch die Luft und schlug dem Hasen in die Flanke. Das Tier bäumte sich ein letztes Mal auf und starb. Nur selten verfehlte Erik sein Ziel!
Er verließ sein Versteck und trat auf die Lichtung, setzte seinen Fuß auf die Beute und zog den Pfeil aus dem regungslosen Körper. Dann schnürte er die Läufe mit einem Lederriemen zusammen und hängte sich das leblose Bündel über die Schulter.
„Es wird Zeit, auf den Hof zurückzukehren“, sagte er zu sich selbst. „Bjarne wird wütend sein, weil ich meine Arbeit vernachlässigt habe.“
Die Vorräte hatte er zählen sollen, da die meisten der Knechte des Schreibens und Rechnens nicht mächtig waren. Erik hatte schon früh die Schrift der Runen von seiner Mutter gelernt, die als friesische Kaufmannstochter eine gebildete Frau gewesen war. Aber das schöne Wetter hatte ihn hinausgetrieben. Schließlich war er ja der Sohn des Jarls und nicht irgendein Sklave. So zumindest versuchte er den Ungehorsam vor seinem Gewissen zu entschuldigen.
Er hatte seinen Bogen genommen und war, entgegen der Befehle des Bruders, auf die Jagd gegangen.
Erik Sigurdsson war fünfzehn Sommer und Winter jung.
Dunkelblondes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, umrahmte sein junges Gesicht.
Sein Wunsch war es, ein Krieger, ein Wikinger zu werden und zur See zu fahren, so wie sein Vater und sein Bruder es taten.
Langsam schlug Erik die Richtung ein, in der das Gehöft seines Vaters lag, als ihm einer der Sklaven keuchend entgegengelaufen kam.
„Erik!“ rief er schon von Weitem. „Erik, dein Vater ist zurück!“, sagte er und rang nach Luft. „Ich suche dich schon überall, du sollst zum Strand kommen. Man erwartet dich!“
Diese Nachricht erfreute den jungen Burschen sehr, denn er hatte schon lange auf die Rückkehr seines Vaters gewartet, und nun war es endlich soweit.
Er übergab dem Sklaven seinen Bogen und die Jagdbeute.
„Geh auf den Hof zurück“, befahl der Junge und lief dann freudig strahlend in die Richtung, in der er den Strand wusste.
Aus dem Wald hinaus lief er an der flachen Steinmauer entlang, die den großen Hof umgab. Dann rannte er zum Dorf hinunter, an der Schmiede des Thorkill vorbei.
Die Siedlung war nun wie ausgestorben. Alle Bewohner waren an den Strand gelaufen, um ihren Jarl zu begrüßen.
Als Erik den Strand erreichte hatte der Wellentrotzer, so nannte Jarl Sigurd sein Knarr, bereits angelegt. Jarl Sigurd Svensson stand auf dem Bootssteg und begrüßte freudig seinen ältesten Sohn.
Obwohl der Jarl erst dreiundvierzig Sommer und Winter zählte, ließen ihn sein graues Haar und seine vom eisigen Seewind zu Leder gewordene Haut weitaus älter erscheinen.
Er war ein hoch gewachsener, kräftiger Mann von muskulöser Statur. Bei seinen Freunden stand er in hohem Ansehen, und seine Feinde fürchteten ihn.
So hatte er im letzten Sommer, als die gefürchteten Jomswikinger6 wieder einmal für den Dänenkönig Sven Gabelbart das Tröndelag erobern wollten, in der großen Schlacht im Trondheimfjord viel Ruhm und Ehre erkämpft.
Die Herrschaft Jarl Sigurds wurde von allen Jarlen und Häuptlingen Westnorwegens geachtet.
„Bjarne, mein Sohn! Wir sind, beschützt von großem Heil, das mir Odin schenkt, in den heimischen Fjord zurückgekehrt“, lachte Sigurd, als er seinen Sohn umarmte.
„Ich danke dem Weltenlenker, dich gesund und mit allen Gliedern wiederzusehen, mein Vater“, freute sich Bjarne.
Sigurd sah sich um. „Wo ist Erik? Ich war fünf volle Monde fort, und er kommt nicht einmal, um mich zu begrüßen“,
sprach der Jarl verärgert, während er sich auf eine Holzkiste setzte, die seine Knechte gerade vom Schiff gebracht hatten.
„Ich habe einen Sklaven geschickt, ihn zu suchen“, gab Bjarne seinem Vater zur Antwort.
Sigurd begrüßte nun die Männer des Dorfes, allen voran Thorkill Ormsson, der ein guter Freund und seit vielen Jahren ein treuer Waffengefährte des Jarls war.
Thorkill fuhr als Stevenhauptmann auf dem Wogendrachen, einer der zwei Schniggen7 Jarl Sigurds. Dieser Segler war etwas kleiner als das Sturmross, das Hauptschiff des Jarls, welches eine Besatzung von vierzig Männern hatte. Wo hingegen der Wogendrachen mit nur dreißig Männern besetzt wurde. Das Knarr benutzte der Jarl für seine Handelsfahrten, die Schniggen jedoch wurden meist nur im Kriegsfall zu Wasser gelassen.
„Ich habe in Haithabu8 Gerüchte gehört, nach denen das Tröndelag einen neuen König hat, und dass eine Schlacht stattgefunden haben soll?“, fragte der Jarl mit ernster Miene.
Doch Bjarne kam nicht dazu, seinem Vater zu antworten, denn Erik kam laut rufend den Strand hinunter gelaufen. Sigurd erhob sich und ging seinem Sohn entgegen.
Herzlich umarmten sich der Vater und sein jüngster Sohn, denn die Freude des Wiedersehens war groß. Sigurd sah den Erik abschätzend an und sprach lächelnd: „Du bist auf dem besten Wege, ein Mann zu werden. Nach jeder Heimkehr bist du gewachsen!“
Dann gab Jarl Sigurd seinen Knechten den Befehl die Waren auf den Hof zu schaffen und das Knarr auf die Schiffsrollen zu ziehen. Die Männer des Dorfes rief er am Abend zu einer Versammlung in der großen Jarlshalle seines Hauses zusammen.
Nachdem sie ihr Tagwerk beendet hatten, kamen die Männer des Dorfes auf den Hof, wie es ihr Jarl vorher von ihnen verlangt hatte.
Es war schon spät am Abend, und langsam füllte sich das große Gebäude. Die Männer saßen an langen Tischreihen, die zu beiden Seiten vor dem Hochsitz Jarl Sigurds standen, und in der Mitte der großen Halle knisterte ein wärmendes Feuer. Mägde und Sklavinnen liefen durch den Saal, um die Männer zu bewirten. Ein dicker Eintopf mit Fleisch wurde gereicht, und dazu tranken sie viel Met9 und Bier, denn Sigurd ließ sich als Gastgeber nicht lumpen.
Erst als alle Männer des Dorfes und die Knechte, die zur Besatzung des Sturmrosses gehörten, ihre Plätze eingenommen hatten, befahl Sigurd seinem Sohn Bjarne zu berichten von dem, was während seiner Abwesenheit geschehen war. Bjarne, der mit seinem Bruder Erik neben dem Hochsitz seines Vaters Platz genommen hatte, stand auf und begann zu erzählen. Augenblicklich herrschte Ruhe in der großen Halle.
„Kurz nachdem der Wellentrotzer den Sigurdfjord verlassen hatte, kam ein Bote aus Guldalen auf den Hof. Er brachte den Kriegspfeil! König Hakon hatte sich mit seinem Gefolge auf dem Hof eines Bauern eingenistet und seine Kammern leer gefressen und dann, wie schon so oft, versucht sich das Weib des Hausherrn zu nehmen. Da riefen die Jarle und Odalbauern10 zum Aufstand gegen den König“, berichtete Bjarne mit ernstem Blick.
„Ich ritt mit zwanzig Männern des Dorfes nach Guldalen, um an der Schlacht teilzunehmen. Ein beachtliches Heer zog zu dem Ort, an dem sich der Hakon aufhalten sollte. Doch der Hakon war bereits geflohen!“
„Der größte Teil seiner Gefolgschaft war in Melhus zurück geblieben und wurde von dem Heer der Aufständischen in einer großen Schlacht besiegt. Einigen gelang zwar die Flucht, doch die meisten Krieger des Königs wurden erschlagen!“ Bjarne griff nach einem Krug und füllte sein Trinkhorn. „Zur gleichen Zeit kam der junge Seekönig Olaf Tryggvesson, der auf der Insel der Vestmannen11 weilte und von den Jarlen des Tröndelag gerufen worden war, nach Norwegen.“ Nun nahm Bjarne einen tiefen Schluck Met aus seinem Trinkhorn, bevor er in seiner Erzählung fortfuhr.
„In Viggen stellte der Tryggvesson, der ein Enkel des großen Königs Harald Schönhaar sein soll, mit seinen fünf Langschiffen die drei Kriegsschiffe des Hakon. Wieder wurden die meisten Krieger des flüchtenden Königs getötet, denn die Männer des Seekönigs waren ausgezeichnete und erfahrene Kämpfer. Unter den Toten war auch Erlend, des Hakons Sohn! Sven und Erik, die beiden anderen Söhne des bösen Jarls, waren jedoch geflohen.“
Sigurd lehnte sich in seinem Hochstuhl zurück und war erstaunt über die Dinge, die während seiner Abwesenheit geschehen waren. „Und Hakon war geflohen?“, fragte Sigurd. Bjarne nickte. „Der Tryggvesson setzte eine Belohnung auf den Kopf des Jarl Hakon aus und fuhr dann nach Melhus, wo er von den Bauern als Befreier gefeiert wurde!“
Wieder nahm Bjarne sein Trinkhorn und trank es in einem Zug leer.
„Hör auf zu saufen und rede weiter“, forderte sein Vater ungeduldig.
„Einige Tage später“, er wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika den Schaum vom Mund, „da kam ein Mann nach Melhus, der behauptete, ein Berater Jarl Hakons gewesen zu sein. Er verlangte, vor den Tryggvesson geführt zu werden und als er vor dem Seekönig stand, gab er diesem einen Ledersack.“ Bjarne stockte, denn er wollte die Spannung seiner Saga noch steigern.
„Nun, was war in dem Sack?“ fragte Sigurd neugierig.
„In dem Sack befand sich der Kopf des bösen Königs Hakon!“ Ein Raunen ging durch die Halle, obwohl die meisten Männer an der Schlacht teilgenommen hatten.
„Der Berater hatte seinen Herrn getötet und ihm dann den Kopf abgeschlagen, um beim Tryggvesson eine Belohnung zu erhalten. Doch auf einem Thing12, das der Seekönig einberufen hatte, wurde der Mann wegen des Eidbruches gegenüber seinem Herrn zum Tode verurteilt und auf der Stelle hingerichtet! Da der Seekönig ein Christ war, verlangten die Jarle und Häuptlinge des Tröndelag von ihm das Recht auf Glaubensfreiheit, und erst nachdem er dies den Jarlen und Goden zugesagt hatte, wurde Olaf Tryggvesson zum neuen König des Tröndelag ausgerufen!“
Er nahm noch einmal einen Schluck. „Nach dem großen Thing kehrten wir zurück in unser Dorf.“
Bjarne setzte sich wieder auf seinen Platz, griff nach einem frisch gefüllten Horn und trank.
Björn Gelbhaar, der der Steuermann des Sturmrosses war, erhob sich und rief lauthals in die Halle: „Dieser König Olaf ist ein Christ! Er wird uns dazu zwingen, den Glauben der Heuchler13 anzunehmen! Ich kenne die Bekehrungswut ihrer Pfaffen nur zu gut. Hört auf meine Worte!“
Es wurde unruhig in der Halle. Björn war ein erfahrener Wikinger, ein alter Freund und Weggefährte des Sigurd, und seine Worte fanden bei den Männern offene Ohren. Alle sprachen durcheinander und die Empörung war groß.
Sollte der neue König wirklich von ihnen verlangen, dass sie sich von ihren Göttern abwenden, so würde es zu einem erneuten Aufstand kommen.
Jarl Sigurd stand von seinem Hochsitz auf, denn ihn ärgerte der Aufruhr, und so schlug er mit dem Griff seines Schwertes Kehlenbeißer auf die schwere Tischplatte, die vor seinem Hochstuhl stand. Und sofort kehrte Ruhe ein.
„Björn, du hast doch gehört, was Bjarne gesagt hat. Der König hat dem Volk Glaubensfreiheit zugesagt, und außerdem bin auch ich getauft. Ein Spritzer Wasser, der nicht weh tut! Mehr ist es nicht! Manchmal erfüllt so eine Taufe auch ihren Zweck, das weißt du doch genau. Ich glaube, dass wir uns auf das Wort des neuen Königs verlassen können, und wenn nicht, dann wird es ihm wie dem Hakon ergehen“, sagte der Jarl mit ruhiger Stimme.
Gelächter brach aus. Die Männer waren beruhigt.
„Mägde, bringt mehr Met. Wir wollen nun unsere Heimkehr feiern!“, rief Sigurd lauthals in die Halle.
Während die Männer und Frauen ausgelassen feierten und sich hemmungslos betranken, rief der Jarl seinen Sohn Erik zu sich.
„Mein Sohn, ich habe da etwas für dich“, sagte der Jarl und zog einen herrlich verzierten Dolch mit einer gebogenen, fein gemaserten Klinge unter seinem Hemd hervor.
„Dies ist ein Sarazenendolch. Er kommt von weit her, aus einem Land, in dem die Menschen eine Haut haben, die so dunkel ist wie das Gefieder eines Raben!“
Langsam wiegte er die schöne Waffe in seiner Hand. „Ein sächsischer Kaufmann in Haithabu gab ihn mir. Er soll nun dir gehören!“
Eriks Freude über diese kostbare Waffe war groß. Er wollte sich bei seinem Vater bedanken, doch dieser hatte sich bereits wieder abgewandt, um ein weiteres Horn voll Met auszutrinken. Der köstliche Trunk lief ihm dabei durch seinen grauen Bart, und Sigurd lachte schallend auf, denn der Alkohol stieg ihm bereits gehörig in den Kopf.
Der junge Jarlssohn besah sich den Dolch von allen Seiten.
Er hatte einen silbernen Griff, der mit Runen verziert war, die Erik nicht kannte. Die gebogene Klinge war sehr scharf.
Es war wirklich eine schöne Waffe!
Er nannte den Dolch fortan Bärenkralle, weil er gebogen war wie die Kralle dieses mächtigen Tieres. Erik befestigte den Dolch an seinem Gürtel und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Es wurde eine sehr lange Nacht, und als der letzte Mann völlig betrunken eingeschlafen war, blickte die Sonne schon über den Rand der Welt.
*
Seit dem Gelage in der Jarlshalle waren fünf Tage vergangen, als eine Schnigge in den Fjord kam und am Steg anlegte. Sie trug das Banner des neuen Königs am Mast.
Zwanzig bewaffnete Männer verließen das Schiff, und der Rest der Besatzung blieb als Schiffswache an Bord. Die fremden Männer gingen den Strand hinauf ins Dorf.
Der Wachposten auf der Anhöhe hatte mit dem Signalhorn längst das fremde Schiff angekündigt, und sofort wurde ein Bote auf den Hof geschickt, um Jarl Sigurd die Nachricht von der Ankunft der Fremden zu überbringen.
Thorkill Ormsson und einige Männer des Dorfes standen mit voller Bewaffnung - Helm und Rüstzeug - am Tor, um die ankommenden Fremden in Empfang zu nehmen.
„Ich bin Thorvald Einarsson, Gesandter König Olaf Tryggvessons. Wo ist euer Häuptling?“, stellte sich der Anführer der fremden Krieger vor, als sie das Dorf erreichten.
„Man nennt mich Thorkill Ormsson“, antwortete der Schmied und nahm seinen Helm vom Kopf. „Folgt mir, wenn ihr in friedlicher Absicht kommt. Ich will euch zu unserem Jarl führen!“ Der Anführer der Fremden nickte, sprach aber kein Wort. Die Männer des Dorfes nahmen die Fremden in ihre Mitte und brachten sie hinauf zum Gehöft ihres Jarls.
Als Sigurd von der Ankunft des fremden Langschiffes gehört hatte, ließ auch er seine Knechte zu den Waffen greifen. Dann schickte er Bjarne, die Ankommenden zu begrüßen.
Der junge Wikinger trat vor das Langhaus. Er trug ein ehernes Kettenhemd und darüber einen schwarzen Wollumhang. Das Gesicht war durch den mit Runenbildern verzierten Nasenschutz seines Helmes verdeckt. Lediglich der blonde Bart und seine Locken waren noch zu erkennen. In der linken Hand hielt er einen bemalten Rundschild, in der Rechten eine langstielige Streitaxt. Um ihn herum standen mehrere bewaffnete Knechte.
„Ich bin ein Gesandter eures Königs“, sagte Thorvald Einarsson, als er vor Bjarne trat. „Führt mich zu eurem Jarl!“
Der junge Wiking führte Thorvald und zwei Männer aus seinem Gefolge in die Jarlshalle. Sigurd der Jarl, saß auf seinem Hochsitz, als die Männer die Halle betraten.
Thorvald trat vor und grüßte den Jarl. „König Olaf Tryggvesson will sein Erbreich Vingulmark von den Dänen befreien und zurückgewinnen“, sprach er mit fester Stimme.
„Er verlangt, dass seine Jarle sich mit ihrem Gefolge in Kap Lindesnäs sammeln, um endlich die Dänen zu vertreiben!“
Diese Nachricht erfreute den Jarl aus dem Norden keineswegs. Nachdenklich kratzte er sich seinen grauen Bart. „Wir sind erst vor einigen Tagen zurückgekehrt, und meine Männer sind erschöpft von der langen Reise“, sagte er ruhig, aber bestimmt.
„Denkt an den Gefolgschaftseid“, drohte da der Thorvald Einarsson offen. „Ein Eidbruch könnte euch den Kopf kosten!“
Höchst erregt über die Drohung des Gesandten König Olafs sagte der Jarl mit scharfer Stimme: „Ich habe deinem König keinen Eid geschworen!“
„Aber dein Sohn hat, wie die anderen Jarle, den Eid der Gefolgschaft geleistet, und du weißt, welche Strafe auf den Schwurbruch steht“, mahnte der Gesandte des Königs.
Jarl Sigurd wusste, dass es besser war, sich dem Willen und vor allem der Macht des Königs zu beugen.
„Nun gut! Das Wort meines Gesippen zählt“, sagte er, nachdem er sich von seinem Wutanfall beruhigt hatte. „Wir fahren nach Kap Lindesnäs!“
Sigurd wandte sich an Thorkill, der neben der großen Tür stehen geblieben war. „Macht den Wogendrachen seeklar.
Wir gehen auf Kriegsfahrt!“ Thorkill verließ sofort die Halle und ging mit den Männern in das Dorf, um die Befehle seines Herrn und Freundes auszuführen.
Am Abend klopfte Erik an der Tür der Schlafkammer seines Vaters. „Wer ist da?“, hörte er Sigurd fragen.
„Ich bin es, dein Sohn Erik!“
Die Tür wurde geöffnet, und Sigurd trat heraus. „Was willst du, mein Sohn?“
„Nimm mich mit dir“, bat Erik seinen Vater eindringlich.
„Wir ziehen in den Krieg! Dies ist keine Handelsfahrt, und es gefällt mir nicht, dass deine erste Fahrt eine Kriegsfahrt sein soll“, gab der Jarl zu bedenken.
„Ich bin kein kleiner Knabe mehr. Ich bin ein Mann und ich will kämpfen wie alle Männer des Dorfes“, sprach der Junge trotzig.
Der Jarl sah seinem Sohn tief in die Augen und der junge Bursche hielt dem strengen Blick mannhaft stand.
„Ich werde darüber nachdenken. Lege dich nun schlafen“, befahl Sigurd und beendete das Bitten seines Sohnes.
Erik wollte noch etwas sagen, denn die Antwort seines Vaters befriedigte ihn nicht und zügelte kaum seine Ungeduld. Doch er wusste, es war besser zu schweigen, wenn er seinen Vater nicht erzürnen wollte.
Sigurd lag noch lange wach in dieser Nacht und dachte über den Wunsch seines Sohnes nach. Wie sollte er sich entscheiden? War Erik wirklich noch zu jung, um sie zu begleiten?
Bjarne hatte er mit sechzehn Sommern zum ersten Mal auf eine Wikingfahrt mitgenommen. Und er hatte sich bewährt, und Sigurd war stolz auf seinen Sohn! Aber Bjarne war aus einem anderen Holz geschnitzt als Erik, den er für weichherziger hielt. Und Sigurd selbst hatte mit fünfzehn Sommern den ersten Feind getötet, doch das waren andere Zeiten! Waren es wirklich andere Zeiten - damals?
Aber er würde Erik wieder viele Monde nicht sehen und das gefiel Sigurd keineswegs. Dass der jüngere der Söhne die Kriegsfahrt nicht überleben könnte, daran wollte der Jarl keinen Gedanken verschwenden. Also beschloss er, seinen jüngeren Sohn mit sich auf See zu nehmen.
Am nächsten Morgen ließ der Jarl den jungen Erik in die Halle rufen. „Mein Sohn, ich habe beschlossen, dass du mit uns auf Wikingfahrt gehen wirst“, sprach Sigurd, als sein Sohn vor den Hochsitz trat. „Du wirst rudern müssen, und du wirst kämpfen, genau wie die anderen Männer. Erwarte keine besondere Behandlung!“
Die Worte des Jarls waren streng, doch Eriks Freude war groß. Seine erste Wikingfahrt! Er dankte seinem Vater und verließ in bester Laune die Halle, um eine Seekiste14 zu packen.
Eine Weile, nachdem Erik gegangen war, wurde die große eisenbeschlagene Tür geöffnet, und Thorvald Einarsson betrat die Jarlshalle. Er und sein Gefolge hatten die Nacht im Knechtehaus verbracht. Jetzt wollte er sich von Jarl Sigurd verabschieden, denn er sollte noch anderen Jarlen und Häuptlingen den Kriegspfeil bringen.
Bevor er den Hof verließ, erkundigte sich der Gesandte des Königs jedoch noch nach der kleinen Kirche, die hinter dem großen Langhaus stand, und die das Interesse des Christen geweckt hatte.
Thorvald zeigte sich sehr erfreut, als er nun hörte, dass Sigurd Svensson bereits getauft war. Der Jarl hatte das kleine silberne Kreuz längst bemerkt, dieses Zeichen der Christen, das Thorvald Einarssons um den Hals trug. Der Gesandte des christlichen Königs war natürlich ein Anhänger des neuen Glaubens. Zufrieden bestieg der Einarsson mit seinen Männern das Schiff und segelte kurz darauf aus dem Fjord.
*
4 Kirtel - Langärmelige Jacke die bis zu den Knien reichte und von einem Gürtel zusammen gehalten wurde
5 Knarr, Knorr – dickbäuchiges Handelsschiff der Nordleute
6 Jomswikinger – meist dänische Seekriegger. Sie bewohnten die, an der Oder gelegene Jomsburg. Eine weit gefürchtete Wikingerfestung.
7 Schnigge – Langschiff der Wikinger, hatte bis zu vierzig Riemen
8 Haithabu – auch Hedeby genannt, war eine Handelsstadt an dem Fluss Schlei, gegenüber dem heutigen Schleswig
9 Met – ein starkes, weinähnliches Getränk aus Honig und Gewürzen, wurde kalt oder warm getrunken
10 Odalbauern – freie Bauern mit dem Recht den Hof zu vererben
11 Vestmannen, Insel der – Iren, Irland
12 Thing – Ratsversammlung der Nordmänner
13 Heuchler – Schimpfwort der Asenanbeter für die Christen
14 Seekiste – diente zum verstauen der wenigen Habseligkeiten, die ein Wikinger mit auf See nahm. War zugleich auch die Ruderbank.
Am Tag darauf wurden die Schniggen zu Wasser gelassen, und bald waren beide Langschiffe seeklar. Die Männer verabschiedeten sich von ihren Familien und gingen an Bord. Erik fuhr mit dem Sturmross, dem Schiff seines Vaters, und sein Bruder Bjarne hatte die Befehlsgewalt über das zweite, weitaus ältere Schiff des Jarls, den Wogendrachen.
Die Schniggen segelten aus dem Fjord, die Küste entlang Richtung Südwesten. Es wehte eine leichte Brise und die Segler kamen nur langsam voran. Doch als sie den Fjord von Trondheim passiert hatten, wurde der Wind endlich stärker. Nach wenigen Tagen erreichten die Langschiffe Kap Lindesnäs im Süden von Norwegen.
Der junge Erik traute seinen Augen kaum, als er die vielen Kriegsschiffe am Strand liegen sah, denn es war eine Flotte von nicht weniger als vierzig Großseglern. Die Jarle folgten dem Befehl des neuen Königs, und an jedem neuen Tag trafen mehr Großsegler ein. Schon bald war die Flotte auf über fünfzig voll bemannte Langschiffe angewachsen.
Die Tage vergingen, bis eines Abends die Jarle und Häuptlinge vom König zu einem Thing gerufen wurden.
Auch Jarl Sigurd und sein Sohn Bjarne machten sich auf den Weg zum Versammlungsplatz. Erik aber musste an Bord des Sturmrosses bleiben.
Als Sigurd Svensson und sein ältester Sohn den mit Fackeln hell beleuchteten Platz betraten, saßen die Jarle schon auf den grob gezimmerten Bänken und unterhielten sich angeregt.
Die meisten der Männer kannten sich bereits seit Langem, waren Waffengefährten und hatten schon manche Schlacht zusammen geschlagen. Sigurd begrüßte einige der Jarle und setzte sich ebenfalls auf eine Bank. Bjarne folgte dem Beispiel seines Vaters.
Wo vorher lautes Stimmengewirr herrschte, wurde es plötzlich ruhig. Bewaffnete Männer erschienen und stellten sich neben einem mit Schnitzereien reich verzierten Hochstuhl auf. Dann betrat ein junger Mann den Platz und setzte sich auf den hölzernen Thron. Es war Olaf, der Sohn des Kleinkönigs Tryggve, der neue Herrscher des Tröndelag. Sigurd war dem König vorher nie begegnet, daher erstaunte ihn dessen Jugend. Er war sehr jung!
Für Sigurds Geschmack zu jung, um ein König zu sein. Olaf Tryggvesson zählte sechsundzwanzig Sommer und Winter. Er war von kräftiger Statur, hatte eisblaue Augen, langes, blondes Haar und einen Bart, in den zwei Zöpfe eingeflochten waren. Er trug einen kostbaren Kirtel und einen fein gewebten Umhang, mit einer kostbaren Fibel, und auch seine Waffen waren von bester Machart.
Der junge König hielt eine glühende Rede von einem starken, vereinten Königreich. Davon den verhassten Feind aus dem Land zu jagen, und von der Macht einer großen norwegischen Flotte, die das Reich im Norden zu schützen vermochte.
Die Jarle hörten gebannt seine Worte, und viele hingen an seinen Lippen wie Verdurstende, denen man Wasser versprach. Und auch Jarl Sigurd musste sich eingestehen, dass er von der Erscheinung des jungen Mannes sehr beeindruckt war.
Bevor er seine Ansprache beendete, sagte der König mit fester Stimme: „Ihr habt mich gerufen, und ich kam, um Norwegen zu vereinen, so wie es mein Gesippe, der große König Harald Schönhaar, vor mir tat. Und ich kam, um das Reich meines Vaters Tryggve für mich zu gewinnen. Mit der Hilfe des Herrn Christus werden wir die Dänen aus Ranrike, Vingulmark und Vestvold15 vertreiben. Morgen ziehen wir gegen die Stadt Tönsberg!“
Die meisten Jarle jubelten ihm zu.
Nachdem der König den Versammlungsplatz verlassen hatte, gingen auch die Jarle zu ihren Schiffen zurück. Sigurd und Bjarne wollten sich auch gerade zurückziehen, als ein Mann ihnen den Weg versperrte. Um seinen Hals trug der Mann ein silbernes Kreuz. Es war Thorvald Einarsson, der Bote des Königs.
„Der König grüßt dich, Jarl Sigurd und er befiehlt, dass du mit fünf Langschiffen vor Tönsberg landest und die Wälle der Stadt von der Landseite angreifst“, sprach der Bote zu Sigurd. „Du wirst die Männer befehligen. So will es der König!“
„Warum gerade ich, ich bin dem Tryggvesson unbekannt?“, fragte der Jarl erstaunt, denn er hatte den König und der König ihn vorher noch nie zu Gesicht bekommen.
„Dem König ist zu Ohren gekommen, dass du getauft bist, und es gibt nur wenige Jarle, die eine kleine Kirche ihren Besitz nennen. Er will, dass nur christliche Anführer Befehlsgewalt erhalten, Sigurd Svensson“, gab Thorvald grinsend zur Antwort und ließ den Jarl ohne Gruß stehen.
Sigurd überkam ein ungutes Gefühl, und ihm fielen die Worte seines alten Freundes und Steuermannes Björn wieder ein. Würde der König es wirklich wagen, das Volk zum Christenglauben zu zwingen? Dies würde wohl einen erneuten Aufstand heraufbeschwören. Schweigend gingen der Jarl und sein Sohn zu ihrem Schiff zurück.
Als der nächste Morgen dämmerte, brach die große Kriegsflotte des Königs von Kap Lindesnäs auf und segelte die Küste entlang nach Osten. Die zwei Langschiffe Jarl Sigurds und drei weitere Schiffe trennten sich von der Flotte, als sie das Gau Vestfold erreichten.
Einige Seemeilen vor der Stadt Tönsberg ließ der Jarl die Küste ansteuern, und sie gingen an Land. Sigurd teilte für jedes Schiff zehn Männer als Wache ein. Dann zog er mit einhundertvierzig Kriegern über Land gegen die große und reiche Handelsstadt. Tönsberg war die Königsstadt von Vestfold. Jetzt, da die dänische Fahne über dem Stadttor wehte, befahl ein Lehnsmann des dänischen Königs Sven in dem Gau.
Als die Norweger die Stadtmauern erreichten, war die Sonne bereits untergegangen. Jarl Sigurd gab den Befehl, die Wachen am Haupttor der Stadt zu überwältigen, und im Schutz der Dunkelheit wurden die ahnungslosen dänischen Soldaten überfallen und getötet. Das Stadttor wurde nach einem kurzen Kampf von den norwegischen Wikingern besetzt.
*
Erik hatte seine erste Schlacht geschlagen. Er war an der Seite seines Bruders in ein Wachhaus gestürmt und hatte einem der Wachmänner seinen Pfeil direkt in den Hals geschossen.
Entlang der Mauer waren die Krieger bis an das große Tor geschlichen. Die Dänen fühlten sich sicher, und nur zwei schlaftrunkene Wachen standen auf ihre Spieße gestützt an dem großen, weit geöffneten Tor. Zwei kurze Schnitte mit dem Messer, und der Lebenssaft der Wachmänner floss in den Sand.
Mit lautem Gebrüll, nicht wenige riefen die Namen ihrer Götter, fielen die Wikinger nun in die Wachstube ein und hieben mit ihren Äxten und Schwertern jeden ohne Gnade nieder, der sich ihnen in den Weg stellte.
Während der Schlacht versuchte der junge Erik, in der Nähe seines erfahrenen Bruders Bjarne zu bleiben, doch wurde er von den Kämpfenden immer weiter zurückgedrängt, bis er über einen der Toten, die nun in der Stube lagen, stolperte und fiel. Als er sich erheben wollte, stand plötzlich einer der dänischen Vasallen mit erhobener Klinge über ihm, um dem jungen Leben Eriks ein jähes Ende zu bereiten. Vor Angst schwanden ihm fast die Sinne. Er spürte keine Kraft mehr in den Armen, war zu keiner Gegenwehr mehr fähig, schloss nur noch seine Augen und wartete auf den Schmerz, der ihm den Tod bringen würde. Doch nichts geschah!
Nach Momenten, die einer Ewigkeit glichen, öffnete Erik die Augen. Der große Däne stand immer noch über ihn gebeugt, seine blauen Augen waren weit aufgerissen, und aus seinem Mund floss ein kleiner Bach tiefroten Blutes.
Plötzlich fiel er zur Seite, und aus seinem Rücken ragte Bjarnes Streitaxt.
Erik zitterte am ganzen Körper und musste sich übergeben, sodass sich sein Mageninhalt über den Sterbenden ergoss.
Nachdem endlich alle dänischen Wachmänner erschlagen oder geflohen waren, saß Erik erschöpft und mit blutverschmiertem Gesicht in der Wachstube. Er hatte die Schlacht unverletzt überstanden.
„Du solltest deine Feinde töten und nicht vollkotzen“, rief Bjarne und schüttelte sich vor Lachen. „Außerdem musst du vorsichtiger sein, mein kleiner Bruder. Um ein Haar wäre es dein Ende gewesen. Sei wachsam und kämpfe ohne Gnade, nur so kannst du in der Schlacht überleben! Oder steht dir der Sinn nach einem Gelage an Odins Tafel?“
Erik schwieg. Ihm steckte der Schreck immer noch tief in den Knochen, und es war ihm speiübel.
Immer wieder griffen die Dänen aus dem Inneren der Stadt an und versuchten, das Tor zurückzuerobern. Doch die norwegischen Wikinger hielten den hartnäckigen Angriffen stand. Sigurd hatte seine Bogenschützen mit großem Geschick auf der Stadtmauer rund um das Tor postiert. Jeder Angriff der Dänen wurde von einem Pfeilhagel eingedeckt und zurückgeschlagen. Die wenigen Angreifer, die bis zum Tor vordrangen, wurden Opfer der norwegischen Äxte. Und dann endlich erstarben die Angriffe.
Die Flotte König Olafs war gelandet und griff Tönsberg nun von der Seeseite an. Doch die Kämpfe waren nur von kurzer Dauer, und schnell wurde die dänische Fahne eingeholt, die auf einem der Wehrtürme wehte. Die Übermacht der Norweger war zu groß für die dänischen Krieger, und schon bald wehte das Banner König Olafs über den Mauern von Tönsberg. König Olaf Tryggvesson versprach den Besiegten freien Abzug. Der dänische Stadtherse16 musste erkennen, dass er den Kampf und somit die Stadt verloren hatte. Und so willigte er in den ehrenvollen Abzug ein. Eilig bestiegen die Dänen ihre Schiffe und verließen den norwegischen Boden.
Nach einigen Tagen kehrte endlich wieder Ruhe in Tönsberg ein, und das Leben in der großen Stadt ging wieder seinen gewohnten Gang. Der König schickte eine Schar Männer aus, um auch die umliegenden Dörfer und Höfe von den Dänen zu befreien. Aber die Wikinger kamen unverrichteter Dinge in die Stadt zurück. Denn nach dem Fall der schützenden Mauern von Tönsberg waren auch die vielen Dänen, die sich in der Umgebung angesiedelt hatten, voller Angst, getötet oder versklavt zu werden, aus dem Land geflohen.
Olaf Tryggvesson war sehr zufrieden mit dem Verlauf der Schlacht, denn mit Tönsberg war ihm eine reiche Stadt in die Hände gefallen. Der dänische Herse hatte einen beträchtlichen Schatz zusammengerafft, den er nun zurück lassen musste.
Nachdem er sein Gefolge, so wie es üblich war, reich beschenkt hatte, setzte der König einen der christlichen Jarle als Stadthersen ein. Für den Fall eines dänischen Überfalls ließ er vier voll bemannte Langschiffe zur Verteidigung zurück. Dann brach die Flotte nach Vingulmark auf, um das Erbreich König Olafs für den Herrscher zurückzugewinnen.
Einige Tage später lag die Kriegsflotte vor Sotenäset, König Olaf Tryggvessons Geburtsstadt.
Doch diesmal waren die Dänen gewarnt, denn die Nachricht vom Überfall auf Tönsberg war auch nach Sotenäset getragen worden.
Die Wälle der Stadt waren von vielen dänischen Soldaten besetzt, die auf den Angriff der Norweger warteten.
Die Wikinger waren auf dem langen Kiesstrand vor der Stadt gelandet. Nun zogen sie gemeinsam ihre Langschiffe auf festen Grund. Schiffswachen wurden eingeteilt und große Feuer entfacht, so war der Strand bald mit Lagerfeuern übersät. Einige Tage belagerte das Heer des Königs die Stadt, dann zogen die Norweger gegen die Mauern von Sotenäset.
Mutig kämpfte der König an der Seite seiner Krieger und schritt ihnen voran, denn die Stadt sollte - wie zuvor schon Tönsberg - von mehreren Seiten gleichzeitig angegriffen werden.
Als die norwegische Bevölkerung der Stadt nun das riesige Heer des neuen Tröndnerkönigs sah, sammelte sie sich zum Aufstand gegen die Besatzer. Männer, die von den Dänen wie Sklaven zur Arbeit gezwungen worden waren, griffen nun zum Schwert und erhoben sich gegen ihre Herren.
Kleinere Horden dänischer Soldaten, die sich auf den Weg zu den Stadttoren befanden, fielen schnell der aufgebrachten norwegischen Bevölkerung zum Opfer.
So gaben die Besatzer die Verteidigung der Wälle auf, und es gelang den norwegischen Kriegern, an einem der Seitentore durchzubrechen und sich nun, aus dem inneren der Stadt kommend, zum Haupttor durchzukämpfen.
Als die Dänen, die das große Tor bewachten und verteidigten, nun auch von der Stadtseite angegriffen wurden, flohen sie zur Königshalle, um sich dort zu verschanzen.
An anderen Stellen des Stadtwalles waren die Angreifer nun ebenfalls durch die Reihen der Verteidiger gebrochen und hatten die wenigen überlebenden dänischen Soldaten gefangen genommen. Auch von hier versuchten einige Flüchtige die Königshalle inmitten der Stadt zu erreichen.
Nachdem sich das norwegische Heer gesammelt hatte, wurde das große Langhaus mit der Königshalle gestürmt.
Die dänischen Besatzer konnten sich der Übermacht nicht mehr erwehren und wurden bis auf wenige erschlagen.
Unter den Toten von Sotenäset war auch der vom Dänenkönig Sven Gabelbart als Stadtherse eingesetzte Jarl.
Wieder wurden die wenigen überlebenden Dänen in ihre Heimat geschickt, damit sie dem Gabelbart berichten konnten. Die Bevölkerung von Sotenäset empfing, wie schon die Bewohner von Tönsberg, den Sohn ihres einstigen Königs Tryggve als Befreier. Für sie war er es, nur er allein, der die Dänen aus dem Land gejagt hatte.
Der König des Tröndelag bezog mit seinem Gefolge das alte Königshaus, das einst seinem Vater gehörte, und obwohl er damals, als seine Mutter nach dem Tode des Tryggve aus Sotenäset floh, noch nicht geboren war, kam ihm dieses Haus vertraut vor.
Sein Stammheer, das nur aus christlichen Kriegern bestand und das dem König treu ergeben war, wurde in der Nähe des Königshauses einquartiert. Einige Jarle und ihre Schiffsbesatzungen wurden in den Siedlungen und Dörfern oder auf den Höfen in der Umgebung untergebracht. Doch die meisten Wikinger errichteten ihr Lager am Strand, denn sie wollten in der Nähe ihrer Schiffe bleiben.
Schon bald wurde Olaf Tryggvesson, als rechtmäßiger Erbe König Tryggves, zum Herrscher über Vingulmark ausgerufen.
Jarl Sigurd und die Krieger aus dem Sigurdfjord bezogen Quartier auf einem Gehöft außerhalb der Stadtmauern, das einem dänischen Bauern gehört hatte. Dieser Bauer und seine Gesippen waren geflohen. Jetzt lebten nur noch ein alter norwegischer Knecht und seine Enkelin sowie einige Mägde und ein paar Sklaven auf dem Hof.
Sigurd und seine Söhne betraten, ihre Schwerter in Händen, das Langhaus. In der Halle brannte ein kleines Feuer in der Feuerstelle, und es standen einige Tische und Bänke darin.
Kleidungsstücke, Waffen und andere persönliche Gegenstände der Dänen lagen verstreut auf dem staubigen Boden und deuteten auf eine eilige Flucht ihrer Besitzer hin.
Jarl Sigurd setzte sich auf den Hochstuhl, der, geschmückt wie ein Königsthron, in der Mitte der kleinen Halle stand.
Dann ließ er den alten Knecht vor den Hochstuhl rufen. Der Alte fiel vor dem Stuhl des Hausherrn auf die Knie und zitterte am ganzen Leib.
„Du hast nichts zu befürchten, Alterchen“, sprach der Jarl in ruhigem Ton. „Wir sind gekommen, um euch von den Dänen zu befreien!“
„Sklave oder Freier?“, fragte da Bjarne schroff.
„Ich bin Norweger. Ein freier Norweger! Wie du!“, stammelte der Alte.
„Sage mir, wer war der Herr auf diesem Hof?“, fuhr Sigurd mit seiner Befragung fort.
„Der Name des Bauern war Snorri. Er war ein Gesippe des dänischen Stadthersen“, antwortete der Knecht mit ängstlicher Stimme. „Als die Krieger des Tryggvesson kamen, ist er mit seinen Männern hinter die Stadtmauern zu seinem Gesippen geflohen!“
„Er wird nicht mehr zurückkehren, das steht fest!“, lachte Bjarne.
„Du bist nun wieder ein freier Mann, Alter“, sagte Jarl Sigurd. „Du kannst jetzt tun, was du willst!“
Da erhob sich der Alte und sprach mit fester Stimme: „Bei Thor, der den Bauern seinen Schutz gewährt! Ich bin Thorbjörn Gormsson. Dies war mein Hof, bis ihn mir die Dänen nahmen und all meine Gesippen töteten. Meine Enkelin und ich, wir sind die einzigen Überlebenden aus meiner Sippe!“
Sigurd sah den Alten erstaunt an, der nun doch rasch seine Angst verloren hatte und aufrecht und voller Stolz vor ihm stand.
„Wenn wir abgezogen sind, wird der Hof wieder dir gehören. Bis dahin nehmen wir deine Gastfreundschaft in Anspruch!“ Er erhob sich von dem Hochstuhl, packte den Alten und setzte ihn lachend darauf.