Pakt der Barbaren - Rainer W. Grimm - E-Book

Pakt der Barbaren E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

Um 15 n. Chr. kommt Aulus, der Adoptivsohn des Tribuns Claudius Marcinus, als Decurio der römischen Reiterei in die dichten Urwälder nördlich des großen Stromes. Von den Römer als fünfjähriger Knabe aus dem Land der Brukterer verschleppt und in den Lagern der Legionäre als Bursche des Tribuns aufgewachsen, tritt Aulus selbst in die Legion ein und gelangt so als junger Mann, zurück in das Land, das einmal seine Heimat war. Dort erfährt er von seiner wahren Herkunft und von dem Mann, der seine Eltern tötete. Er wendet sich von den Römern ab und findet bei dem Stamm der Brukterer seine Heimat wieder. Aus dem Legionär der Reiterei, Aulus Marcinus, wird der Germane Gerowulf. Voller Hass und Enttäuschung, auf der Suche nach der Wahrheit und um Rache zu nehmen, schließt er sich den Horden des Cheruskerfürsten Sigurd an, den die Römer Arminius nennen.

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Rainer W. Grimm wurde 1964 im Ruhrgebiet geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und zwei Katzen in seiner Geburtsstadt.

Erst mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine Leidenschaft für die Schriftstellerei.

Mit „Das Blut der Wikinger“, „Die Wölfe des Nordens“ und „Der Krieg der Könige“ veröffentlichte der Autor die Wikinger-Trilogie „Die Saga von Erik Sigurdsson“, als Fortetzung der zwei Bände der Saga von Sigurd Svensson. Des Weiteren schrieb er die Geschichtensammlung „Wikingerwelten“ mit bisher drei erschienenen Bänden.

Mit dem Roman „Pakt der Barbaren“ entfernt sich der Autor erstmals von seinem bevorzugten Metier, den Wikingern.

Inhaltsverzeichnis

In den Krallen des römischen Adlers

Ein neuer Sohn Roms

Der Anschlag

Pakt der Barbaren

Der Adler liegt im Staub

Die Saat geht auf

Flavia und Silva

Im Barbarenland

Gerowulf

Der Verrat des Segestes

Der Adler trifft den Bären

An den Langen Brücken

Die Bande des Sugambrers

Der Tod im Wald

Ein neuer Kampf entbrennt

Die Schlacht am Idistavisofeld

Am Wall der Angrivarier

Von Verrat und Rache

*

Historischer Hintergrund

Um die Zeitenwende befahl der römische Kaiser Augustus die Grenzen seines Reiches bis hoch in den Norden, an die Ufer der Elbe, zu erweitern.

Von den großen, auf der linken Rheinseite gelegenen römischen Legionslagern Castra Vetera1 (Xanten) und Mogontiacum (Mainz) aus, rückten die Armeen des Imperiums immer weiter in die nördlichen, germanischen Urwälder vor. Die einzelnen Stämme der dort ansässigen Völker, denen Julius Cäsar einst den Namen Germanen gab, hatten der gut organisierten römischen Armee wenig entgegen zu setzen. Mit all seiner Macht griff der römische Adler nach den noch freien Gebieten des Nordens. So fügten sich die meisten Stämme der Macht der Eindringlinge und wurden ein Teil des römischen Imperiums. Doch der Wille nach Freiheit erstarb nicht unter der Knute der römischen Statthalter. Erst einem Cheruskerfürsten, den die Römer Arminius Flavius nannten, und der selbst in den Legionen des Augustus gedient hatte, gelang es, die germanischen Völker zu einen und den römischen Besatzern mit Waffengewalt entgegenzutreten.

Im Herbst des Jahres 9 n. Chr. lockte die Armee der vereinten Germanenstämme das römische Heer am Ostpass in eine tödliche Falle.

Die XVII, XVIII. und die XIX. Legion zählten bis dato zu den besten Armeen des Reiches. Kampferprobte Soldaten, siegreich in unzähligen Schlachten, bildeten das Rückgrat des römischen Imperiums an den Grenzen des Barbarenlandes. Sie waren der Stolz des Kaisers, und ein jeder Bürger im weit entfernten Rom verließ sich auf den Schutz dieser Legionen, die die Barbaren in ihren Grenzen halten sollten, und sie zu Untertanen des Augustus machten.

Diese drei Armeen, unter dem Befehl des Konsuls und Statthalters in Nordgermanien, Quinctilius Varus, wurden vollständig von den nördlichen Stämmen der Germanen unter dem Befehl des Arminius aufgerieben.

Daraufhin zogen sich die Römer auf das linke Rheinufer zurück. Hier, unter den bereits befriedeten Stämmen, fühlten sie sich sicher.

Doch das große Lager, an dem Fluss Lippe gelegen (heute Haltern am See, NRW), und auch das Lager von Aliso (bei Paderborn, NRW) wurde von den Cheruskern und ihren Verbündeten völlig zerstört.

Im Frühling des folgenden Jahres schickte Kaiser Augustus seinen Adoptivsohn Tiberius als Oberbefehlshaber an den Rhein, und der Feldherr stellte acht neue Legionen auf.

Das „untere“ Heer, bestehend aus vier Legionen, stand bei Vetera ( Xanten ), das „obere“ Heer in der gleichen Stärke stand bei Mogontiacum ( Mainz ).

Im Jahre 14 n. Chr. starb aber der Princeps (Kaiser), und Tiberius ging zurück nach Rom, um dessen Platz einzunehmen.

Nun schickte man Gajus Julius Germanicus, einen Neffen des neuen Kaisers, mit dem Oberbefehl über die Truppen in das Barbarenland hinter den Alpen.

Im Herbst des gleichen Jahres überschritten die Legionen den Rhein, und die vier Armeen des „Unteren“, mit dem Befehlshaber Germanicus an ihrer Spitze, überfielen das Land der Marser2.

Im Frühjahr des Jahres 15 n. Chr. fiel das „obere Heer“ in das Land der Chatten3 ein, während das „untere Heer“ das Bruktererland4 besetzte. Die einzelnen Stämme hatten dem Feind nur wenig entgegen zu setzen, und so erinnerten sich die Häuptlinge ihrer Siege, und vereinigten sich erneut unter dem Mann, der bereits den Varus schlug.

Nun ließ Julius Germanicus das große Lippelager und das Lager Aliso an der Grenze des Cheruskerlandes5 wieder aufbauen und besetzen. Diese Kastelle sollten zur Versorgung der Legionen dienen und natürlich als

Bollwerke römischer Macht auf Feindesland.

In dem Glauben, die alte Ordnung wieder hergestellt zu haben, zog das „untere Heer“ im Herbst des Jahres 15 n.

Chr. nach Südwesten in sein Stammlager Vetera zurück.

Doch nun schlugen die Germanen zurück.

An einem Ort, den man die „langen Brücken“6 nannte, geriet der Zug der Legionäre in einen Hinterhalt. Unter großen Verlusten und nur mit äußerster Mühe gelang es den Römern, die Horden unter dem Befehl des Arminius in die Flucht zu schlagen, und das linke Rheinufer zu erreichen.

Im Frühjahr des Jahres 16 n. Chr. belagerte die cheruskische Armee das Lager Aliso. Der germanische Feldherr wollte und musste das große Lager des Feindes, das wie ein Stachel in der Haut der Cherusker steckte, vom Land seines Volkes entfernen.

Erst sechs herbeigeeilte Legionen befreiten das Lager aus dem Ring der Umklammerung und zwangen die Germanen zum Rückzug.

Nun trieben die Legionäre die Barbarenarmee immer weiter nach Norden, bis an die Ufer der Visurgis, der Weser.

Doch wieder gelang es dem Arminius, die Häuptlinge der anderen Stämme zu einem Kriegspakt zu bewegen, unter seinem Befehl zu vereinen und gegen die Römer ins Feld zu führen.

Auf einer schmalen Ebene am rechten Ufer der Weser, das „Idistavisofeld“ genannt wurde, standen sich die Armeen des abtrünnigen Tribuns Arminius Flavius und des Konsuls Gajus Julius Germanicus gegenüber. Siebzigtausend römische Legionäre und ihre Hilfstruppen gegen fünfzigtausend germanische Krieger. Doch hier, auf freiem Felde, sollte die römische Kriegsmaschinerie die Oberhand behalten, und den Barbaren eine schreckliche Niederlage beibringen. Die überlebenden Krieger flohen auf das linke Weserufer, denn nord-östlich des Idistavisofeldes war ein großer See (Steinhuder Meer). An dessen Westufer lag, von Wald umgeben, ein unwegsames Sumpfgebiet. Dieses Gebiet trennte das Land der Angrivarier7 im Norden von dem der Cherusker im Süden. Zwischen dem Flussufer der Weser und dem sumpfigen Grenzgebiet führte ein Streifen festen Bodens von Süden nach Norden, und auf diesem stand ein Grenzwall der Angrivarier.

Im Sommer des Jahres 16 n. Chr. sammelten sich die Krieger des Arminius, die der Schlacht am Idistavisofeld entkommen waren, erneut hinter diesem Grenzwall. Nun war Konsul Germanicus gezwungen, den strengen germanischen Herbst vor Augen, seinen Feinden nachzusetzen, wollte er nicht im nächsten Jahr einer noch einmal erstarkten Germanenarmee gegenüber stehen. Am Angrivarierwall sollte es zu einer letzten großen Schlacht zwischen den Legionen des Germanicus und den vereinten Stämmen der Germanen kommen.

*

I. In den Krallen des römischen Adlers

Germanien im Spätsommer des Jahres 2 n. Chr.

„Diesmal haben es die Götter gut mit uns gemeint, Geromer“, keuchte Ata-ulf, und sein rotes Haar klebte schweißtriefend an seinem Gesicht. „Dieser Bursche wird uns einen vollen Mond lang die Bäuche füllen.“

Es war in der Tat ein kapitaler Hirsch, den die beiden Männer, an eine lange Stange gebunden, auf den Schultern trugen. Geromer nickte nur!

Schweißperlen standen dem großen Mann auf seiner Stirn.

„Sind wir noch weit vom Hof entfernt?“, fragte der junge Ata-ulf. „Mich schmerzt der Arm!“

Der Angesprochene blieb stehen und ließ die Stange zu Boden fallen, die auf seiner Schulter lastete. Unter dem Gewicht des erlegten Tieres hatte auch ihm der Nacken zu schmerzen begonnen, und es war wirklich eine Wohltat, als die Pein endlich nachließ.

„Wir sind weit nach Norden gegangen, und nun müssen wir den gleichen Weg auch wieder zurück“, sagte Geromer etwas streng. „Hast du dir denn den Weg nicht gemerkt?“

Beschämt senkte Ata-ulf den Kopf.

Geromer war der Häuptling der kleinen Siedlung, und er war der Herr des Gehöftes, auf dem Ata-ulf schon lange als Knecht diente. Sogar für germanische Verhältnisse war Geromer von großer Statur, größer als alle anderen Männer in der Siedlung. Auf seinen Schultern lag langes, blondes Lockenhaar und sein Mund war gerahmt von einem ebenso hellhaarigen Schnauzbart. Er hatte bisher vierunddreißig Sommer und Winter erlebt und war ein angesehener Mann und Krieger in der Gemeinschaft der Brukterer.

Ata-ulf zählte nicht einmal die Hälfte an Jahren. Er war ohne Frage froh darüber, mit Geromer auf die Jagd gehen zu dürfen. Obwohl dieser manchmal etwas schroff war, so konnte Ata-ulf doch viel lernen, denn der Häuptling galt als der beste Jäger des Dorfes.

„Wir könnten den Hirsch hier lassen und ein Pferd holen, dann hätten wir es einfacher“, schlug der junge Mann vor, und war davon überzeugt, etwas Schlaues gesagt zu haben.

„Ja, das könnten wir tun“, sagte Geromer grinsend. „Doch wir werden es nicht!“ Er setzte sich auf den weichen Waldboden, löste den ledernen Wasserbeutel von seinem Gürtel und nahm einen tiefen Schluck.

“Die Götter waren uns gnädig, als sie uns das Jagdglück schenkten. Dieser Hirsch gab sein Leben hin, um unsere Bäuche zu füllen und nun wollen Skadi und Ullr uns auch schwitzen sehen!“ Der Anführer lachte ein wenig schadenfroh, denn er sah ja, wie der junge Bursche litt.

„Nein, mein Freund! Wenn du satt werden willst, musst du die Beute schon nach Hause schleppen!“ Geromer reichte Ata-ulf den Wasserbeutel, und dieser trank gierig von dem erfrischenden Nass.

Es war ein schöner, aber heißer Sommertag. Die Sonne schien durch die Kronen der Bäume und trieb den Männern den Schweiß aus den Poren. Nicht ein Luftzug ging und selbst der Schatten des dichten Grüns machte die Hitze kaum erträglicher.

„Weißt du, Geromer“, sagte der junge rothaarige Germane, „ich wüsste schon, wie wir leichter an unseren Wintervorrat kommen könnten.“

„So?“, staunte der Häuptling. „Dann sprich, sodass auch ich an deiner Weisheit teilhaben kann.“ Ata-ulf überhörte den Spott in Geromers Stimme und ließ sich nicht beirren.

„Das Lager der Römer! Unten am Fluss“, sagte der Rothaarige altklug, als wäre dies die Lösung all ihrer Probleme. „Dort gibt es ja genug Nahrung für jeden Bruktererstamm hier im Tal!“

„Aber die römischen Händler verlangen zuviel“, seufzte er, begann aber dann zu grinsen. „Mein Oheim Arn-ulf sagt, wenn wir die Stämme vereinen, können wir das große Lager angreifen und uns ihre Vorräte holen. Schon oft hat er sich bei den Südländern bedient!“

Geromer ließ sich auf den Rücken fallen und sah zufrieden in die Kronen der Bäume. „Dein Oheim ist ein Aufschneider und ein Dummkopf dazu“, sagte er mit ruhiger Stimme.

„Arn-ulf hat noch nie einen dieser Römer aus der Nähe gesehen! Sie sind gute Krieger! Gehorsam und mutig! Wenn sie dich erwischen, hacken die Südländer dir die Hände ab, oder sie nageln dich ans Kreuz.“ Der Häuptling erhob sich und sah den jungen Germanen an. „Wenn sie mit ihren Legionen8 aufmarschieren, Mann neben Mann, Schild neben Schild, wenn der Boden unter ihren mit Nägeln beschlagenen Sandalen zu beben beginnt, dann sind sie ein angsteinflößendes und unüberwindbares Hindernis!“

„Hast du die Krieger aus dem Süden gesehen?“, fragte Ata-ulf neugierig, und Geromer nickte. „Ich war schon einige Male in dem großen Lager am Fluss.“

Der rothaarige junge Mann war beeindruckt, denn er selbst war über das Gebiet seines eigenen Stammes noch nicht sehr weit hinaus gekommen.

„Glaube mir, Ata-ulf, ein Überfall auf das Lager würde einen Krieg auslösen, und wünsche dir nicht den Tag herbei, an dem wir den Römern mit dem Schwert gegenüber stehen müssen!“ Enttäuscht sah der Bursche seinen Häuptling an, doch dieser lächelte freundlich. „Komm, wir wollen weiter, es wird bald dunkel.“ Der Häuptling erhob sich und band den Wasserbeutel an seinen Gürtel. Dann rupfte er etwas Moos von einem Stein und legte es sich auf die wunde Stelle dicht neben seinem Hals und Ata-ulf tat es ihm gleich.

Nun nahmen die Männer die Stange mit der schmackhaften Last wieder fest in ihre Hände und legten sie sich auf die Schultern, um den langen und beschwerlichen Weg fortzusetzen. Die Sonne näherte sich bereits dem Rand der Erde, als die beiden Jäger den dichten Wald verließen. Vor ihnen lagen, in goldenes Licht gehüllt, ein freies Feld und dahinter eine mit weißstämmigen Bäumen bewachsene Anhöhe.

„Siehst du die Hügel? Wenn wir die erreichen, können wir in das Lippetal sehen.“ Geromer deutete nach Süden und schritt voran. Fast die ganze Nacht waren die Männer marschiert, um die freie Ebene hinter sich zu lassen. Erst als sie die Anhöhe erreichten, schlugen sie unter einer großen Eiche ihr Lager auf. Sie entfachten ein Feuer, aßen das mitgebrachte Brot, und legten sich dann zur Ruhe.

Von den ersten Sonnenstrahlen gekitzelt, erwachte Geromer recht früh. Das Tal zu seinen Füßen lag noch unter dichten Nebelschwaden, doch die Sonne würde schon bald den nächtlichen Dunst vertreiben und den Blick auf die Senke freigeben. Der Häuptling erhob sich und streckte seinen bulligen Körper, so dass jeder Muskel angespannt hervortrat. Dicke Narben auf seinem Leib zeugten von den vielen Stammesfehden, die die Brukterer gegen verfeindete Stämme geführt hatten. Ein sägendes Geräusch verriet ihm, dass sein junger Jagdgefährte immer noch fest schlief.

Leichtfüßig kletterte Geromer den Hügel hinauf, von dem aus er das Tal gut überschauen konnte und der Schreck fuhr ihm in die Glieder, als er nach Westen sah, denn er erblickte dichten Rauch, und auch im Osten stiegen aus den Wipfeln der Bäume schwarze Rauchsäulen zum Himmel hinauf.

Entsetzen schnürte ihm den Hals zu, denn ihn überkam eine Ahnung, was geschehen sein musste. Dort in der Ferne brannten Dörfer und Höfe!

Eilig lief er den Hügel zum Lagerplatz hinab. Er stieß Ataulf, der immer noch schlafend im weichen Gras lag, mit dem Fuß an. „Los, Junge! Steh auf!“

Doch der rothaarige Brukterer drehte sich nur zur Seite, pfurzte und grunzte dabei wie ein junges Schwein. Nun trat ihm der Anführer ziemlich unsanft in den Arsch, sodass der Jüngling aufsprang, wie von einer Biene gestochen.

„Was? Was ist geschehen?“, rief er erschrocken. Geromer deutete in das Lippetal hinaus. „Der Feind ist da!“

„Der Feind! Welcher?“, fragte Ata-ulf erregt. „Ich weiß es nicht“, rief der Häuptling. „Ubier9 vielleicht. Oder Cherusker. Vielleicht sind es auch die Römer!“

„Aber warum?“

„Höre doch, ich weiß es nicht! Los, Ata-ulf, hoch mit dir!“, befahl Geromer barsch, und nun gehorchte der junge Bursche sofort. Eilig brachen sie ihr Lager ab, und plötzlich war die kostbare Jagdbeute nur noch unnötiger Ballast, weshalb der Häuptling entschied, den stattlichen Fang zurückzulassen. Fest an ein Seil gebunden, zogen sie den toten Hirschen einen Baum hinauf. So war er vor Wölfen und Bären für einige Zeit sicher, und sie hatten die Hoffnung, die Beute später holen zu können. Die Sonne stand bereits im Zenit, als die beiden Germanen ihr Dorf erreichten. Doch es war längst zu spät.

*

Früh am Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, waren die erste und die zweite Kohorte10 der VIII. Legion aus der Porta Prätoriana, dem Haupttor des Lagers, hinaus marschiert. Der lange Zug hatte das große Kastell an der Lipsia11 verlassen und marschierte nun Richtung Nordwesten. Unter dem Befehl des Tribunus cohortis12 Claudius Marcinus zogen die Legionäre zu einer Strafexpedition aus. Immer wieder hatten es die Barbaren gewagt, die Nachschublieferungen der Römer zu überfallen und nun gab der Statthalter am Rhein den Befehl aus, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Die Barbaren sollten von den Legionären bestraft werden für die Missachtung des römischen Rechts.

Claudius Marcinus, Befehlshaber der zweiten Kohorte, ritt mit den zwei Hauptmännern seines ersten Manipels13 an der Spitze des Zuges. Er saß auf seinem Schimmel, trug den goldglänzenden Brustpanzer, nicht den ledernen, der für den Kampf bestimmt war, und der rote Federbusch auf seinem Helm wehte im Wind. Vor ihnen lag das dicht bewaldete Lippetal, in dem sich die Gehöfte und Wohnstätten der Brukterer befanden. Die Siedlungen der Germanen bestanden meist aus einzelnen Höfen und kleinen Dorfgemeinschaften, die sich weit über das Stammesgebiet verteilten. Die Exploratores, die Kundschafter der Römer, brauchten nicht lange, um festzustellen, dass sie von den Germanen noch nicht entdeckt worden waren.

Die Bewohner des Tales waren völlig ahnungslos, denn die römischen Legionäre, die sich ihrem Gebiet näherten, waren unbemerkt geblieben. Der Tribun14 ließ die Vorhut auf einer großen Lichtung halten und gab den Befehl aufzurücken. Sofort begaben sich die Zenturios15 zu ihren Abteilungen, um die Befehle ihres Vorgesetzten auszuführen. Die immer noch im Zug stehenden Zenturien16 begannen sich auf einer Lichtung zu formieren.

Nun kamen die Hauptmänner herbei geritten. Ihnen voran der Tribun, gefolgt von zwanzig Mann Reiterei, zum Schutz des Offiziers. Mit seiner roten Helmzier war er schon von weitem für die Soldaten gut zu erkennen. Vor den Reihen der Legionäre zügelte er seinen Schimmel.

“ Männer! Legionäre! Rom ist unsere Mutter, die uns selbst hier in diesem rauen und wenig gastlichen Land an ihre fetten Brüste presst, um unseren Hunger zu stillen!“, rief der Befehlshaber der Kohorten. Das prächtige Pferd des Römers tänzelte nervös auf der Vorderhand. „Und nun wagen es diese Barbaren, sich an den Titten Roms zu laben!“, rief er laut und zog kampfeslustig sein Gladius17 aus dem Wehrgehäng. „Dieses soll nicht ungesühnt bleiben! Ihr, meine tapferen Legionäre, werdet dafür sorgen, dass auch hier, weit entfernt von Rom, das kaiserliche Recht Geltung findet!“ Der Schimmel bäumte sich auf, und der Tribun hatte Mühe, das Tier zu beruhigen. „Ein jeder dieser Barbaren, der es wagt, sich Rom zu widersetzen, wird von euch gerichtet werden!“

Der Jubel war groß, und voller Begeisterung schlugen die Legionäre mit ihren Schwertern gegen die Schilde.

Die erste Kohorte erhielt den Befehl, die Höfe im Westen des Tales anzugreifen, um dann in breiter Front nach Osten zu marschieren. Sie sollte die Hauptstreitmacht der Germanen auf sich ziehen.

Die zweite Kohorte marschierte unter Claudius Marcinus zuerst nach Osten und dann in einem großen Bogen nach Norden, um in das Tal hinein zu stoßen und dort die Höfe und Dörfer der Germanen anzugreifen. So würden die beiden Armeen aufeinander zu marschieren und das Stammesgebiet der Brukterer einschließen.

Nun meldeten endlich die Späher der Stämme den langen Zug der Legionäre und sofort schickten die Germanen den Kriegspfeil von Hof zu Hof. Alle wehrfähigen Männer sammelten sich nun eilig an einem heiligen Platz im Norden des Tales, an dem sie ihre Versammlungen abhielten, und ihrem obersten Gott Wodan Opfer darbrachten. Es dauerte nicht lange, und das Heer der Brukterer zog dem Feind nach Westen entgegen. Mit dem Mut der Verzweiflung griffen sie die erste Kohorte an.

Als nun aber die Späher den Zug der zweiten Kohorte im Osten meldeten, war es zur Umkehr zu spät. Die Gehöfte und Dörfer dort waren dem Feind schutzlos ausgeliefert.

Im Westen stiegen bereits die ersten Rauchsäulen in den Himmel, als die zweite Kohorte in das Tal marschierte.

Das große Schlachten hatte begonnen. Die „Zweite“ überfiel jedes Dorf und jeden Hof, den sie finden konnte und die Soldaten vollbrachten ihr blutiges Handwerk, für das sie jahrelang gedrillt worden waren.

Bisher war der Widerstand der Brukterer nur gering, doch dann wuchsen auch die Verluste unter den Legionären.

Immer wieder griffen die germanischen Krieger den Zug der Römer aus dem Hinterhalt an, um dann wieder in den dichten Wäldern zu verschwinden.

Die Legionäre, die so unvorsichtig waren und den Germanen in die Wälder folgten, liefen geradewegs in die Schwerter und Lanzen des Feindes. So manch römischer Kopf wurde zur Abschreckung an einen Baum genagelt.

Erst als die erste Kohorte, die inzwischen schwere Verluste erlitten hatte, eine schmale Ebene erreichte, gelang es dem Feldherrn, seine Legionäre in gewohnter Schlachtordnung aufmarschieren zu lassen. Und die germanischen Reiter griffen die Reihen der römischen Armee weiter an. Doch schnell mussten die Brukterer nun erkennen, dass sie auf freiem Felde der Kriegsmaschinerie Roms unterlegen waren.

Im Gegensatz zur „Ersten“, die mit dem Heer der Brukterer einen nicht zu unterschätzenden Gegner hatte, sah sich die zweite Kohorte im Osten des Tales weitaus geringerem Widerstand gegenüber.

Die meisten wehrfähigen Männer waren dem Kriegsruf der Bruktererfürsten gefolgt und hatten sich dem Heer kampfeslustig angeschlossen. So waren nur noch wenige Krieger auf den Höfen. Meist stellten sich unerfahrene Jünglinge, Knechte oder alte Männer, Frauen und sogar Kinder den Legionären entgegen.

Aber allzu oft waren die Gehöfte und Dörfer bereits verlassen, denn die Bewohner hatten sich im Norden, dort wo die Sümpfe lagen, in Sicherheit gebracht. Und die Römer plünderten und setzten den roten Hahn auf die Dächer, bis sie endlich zur nächsten Siedlung weiterzogen.

*

Im Laufschritt fielen die Legionäre der „Zweiten“ in die Wohnstätten der Brukterer ein. Jeder, der es wagte, sich den Römern entgegen zu stellen, wurde erbarmungslos von ihren Schwertern und Speeren niedergestreckt.

Wem es nicht rechtzeitig gelang, den Schutz des nahen Waldes zu erreichen, den erwartete ein Leben als Sklave oder der sichere Tod. Viel Volk, vor allem Frauen und Kinder, ereilte dieses Schicksal. Gefesselt wie Vieh, brachte man sie über den Rhein nach Vetera, um die Armen dann nach Rom zu schicken.

Auch der Hof des Geromer blieb von den Römern nicht verschont. Einige Knechte des Häuptlings leisteten erbittert Widerstand. Und sie bezahlten dafür mit ihrem Leben!

Andere versuchten gar nicht erst, den südländischen Kriegern und ihren, meist aus ubieschen und gallischen Verbündeten bestehenden Hilfstruppen entgegenzutreten.

Sie verschwanden in den tiefen germanischen Urwäldern und überließen die Frauen und Kinder dem Feind.

Die Legionäre der Vorhut hatten nicht lange gebraucht, um den Hof des Geromer und die umliegenden Hütten einzunehmen, denn ihre zahlenmäßige Überlegenheit war erdrückend. Nun warteten sie auf den Zug der zweiten Kohorte, der in dieses Gebiet vorstieß.

Der Offizier der als Vorhut ausgesandten Zenturie hatte Wachen rund um das Gehöft eingeteilt und befohlen, die Gebäude nach versteckten Überlebenden zu durchsuchen.

So trieben die gallischen Hilfstruppen jeden Germanen auf dem Hof zusammen, dessen sie habhaft wurden. Die Alten, die den Legionären zu schwach erschienen, wurden sofort mit dem Pilum18 niedergestochen, und so manches junge Mädchen bekam von den römischen Kriegern nun einen Vorgeschmack dessen, was sie als Sklavin in Rom zu erwarten hatte.

*

„Bei Junos Möse! Es ist zum Kotzen“, meckerte der dicke Legionär und spuckte verächtlich auf den Boden. Die beiden Soldaten standen etwas abseits, da, wo der Hof an den Wald grenzte. „Immer wenn es darum geht Beute zu machen, muss ich Wache stehen! Der Zenturio kann mich nicht leiden, dieser Hurensohn!“

Gelangweilt stützte sich der andere Krieger auf seinen großen, rechteckigen Schild, der mit rotem Leder bespannt und mit einem Schildbuckel und Beschlägen versehen war.

„Da geht es mir besser“, lachte er. Genüsslich popelte der Krieger, der die Uniform des römischen Imperiums trug, in seiner Nase. „Da hinten, dort, wo die einzelnen Hütten stehen, hab ich es einer jungen blonden Fotze besorgt!“

„Du hast ein Germanenweib gefickt?“, fragte der Dicke und zog erstaunt seine Augenbrauen hoch.

„Kannst mir glauben, das ist besser als immer nur marschieren. Obwohl sie stinken wie die Schafe.“ Er begann zu lachen und konnte seine Schadenfreude kaum verbergen.

„Dann ist es für dich ja nichts Neues“, lästerte der rundliche Krieger neidisch. Genüsslich wollte der Soldat damit beginnen, seine Erlebnisse genauer zu schildern, doch seinem Mund entfuhr nur noch ein kehliges Gurgeln.

Der dicke Legionär sah seinen Kameraden entsetzt an. Blut quoll aus dessen Mund, denn ein Jagdpfeil hatte seinen Hals durchbohrt. Und noch ehe er Alarm schlagen konnte, traf auch ihn ein Pfeil mitten in sein Gesicht. Geromer und der junge Ata-ulf sprangen aus einem nahen Busch und ergriffen die Schwerter der beiden getöteten Soldaten. Sie selbst waren ja nur mit ihren Jagdbögen und Messern bewaffnet.

Im Schutz von blühenden Sträuchern und Bäumen näherten sich die beiden Krieger dem Hof des blonden Häuptlings, und Ata-ulf schlug vor Angst und Aufregung das Herz so laut, sodass er glaubte, er würde sich und seinen Herrn verraten.

Als Geromer nun sah, wie die Menschen in einem Pferch zusammengetrieben wurden, wie die Legionäre die Alten mit dem Pilum niederstachen, dachte er an sein Weib und seinen kleinen Sohn. Die Angst um seine Familie raubte ihm fast den Verstand, ließ seine Kehle austrocknen, schnürte ihm den Hals zu und trieb ihm den Schweiß aus den Poren.

Die Schreie junger Mädchen und das Flehen der Alten ließ den großen Körper des Häuptlings erbeben. Blind vor Wut, jede Vorsicht vergessend, sprang er aus seinem Versteck.

Mit Entsetzen sah der junge Ata-ulf, wie Geromer, das Schwert des Römers über seinem Haupt kreisend, einer Gruppe von Legionären entgegen lief. Die römischen Soldaten in ihren ehernen Brustpanzern erkannten nicht sofort die Gefahr. Und noch bevor sie begriffen, was um sie herum geschah, lagen zwei der Männer bereits blutend im Staub. Nun entbrannte ein wilder Kampf.

Der germanische Häuptling überragte so manchen Legionär um nicht weniger als zwei Kopfeslängen und im Kampf Mann gegen Mann, war er ihnen sicher überlegen. Doch für jeden Legionär, der sterbend in die Knie sank, kamen zwei neue, die mit ihren Spießen nach dem großen Germanen stachen.

Der junge Ata-ulf saß starr vor Angst hinter dem dichten Buschwerk und sah zu, wie Geromer, einem hungrigen Bären gleich, gegen eine Meute blutgieriger Jagdhunde in der Tunika des Kaisers Augustus kämpfte.

„Kommt her und sterbt, ihr Winzlinge!“, tönte der Germane mit dunkler, kehliger Stimme. Wie der Gott Donar selbst, der seinen Kriegshammer gegen die Feinde erhob, schlug er auf die fremden Krieger ein, und die zahlreichen Wunden, die seinen Körper nun schon übersäten, bemerkte er kaum in seinem Zorn. Auch das Hornsignal, das über den Hof tönte, nahm er in seiner Wut nicht wahr.

Mit donnernden Hufen kam eine Gruppe Berittener auf das Gehöft. Der Mann, der an ihrer Spitze ritt, trug den goldenen Helm des Tribunus cohortis.

Auf seinem Brustpanzer prangten drei Phalerae19, die ihn als tapferen, erfahrenen Ritter auszeichneten, und die Helmzier mit den roten Federn wies den Legionär als hohen Dienstgrad aus. Eine Weile sah sich der Tribun den ungleichen Kampf aus der Ferne belustigt an, fast als wäre er bei den Gladiatorenkämpfen, die auf den Plätzen Roms stattfanden. Doch dann hob er die Hand, und vier Reiter aus der Leibgarde des Offiziers ritten langsam vor. Ein kurzes Hornsignal erklang, und die Legionäre, die gerade noch versuchten, mit ihren Spießen den wild kämpfenden Germanen zu bezwingen, zogen sich nun von ihrem Gegner zurück.

„Kämpft, ihr feigen Hunde, kommt her und stellt euch!“, rief Geromer schäumend vor Wut, das Schwert über dem Kopf kreisend. Nun aber trieben die Reiter der Leibgarde ihre Pferde an und preschten vor, sodass der Waldboden unter den Hufen der Tiere bebte.

„Ich bin Häuptling Geromer! Kommt und kämpft gegen mich!“

Wütend schlug der Häuptling mit dem Schwert um sich, doch die Legionäre schützten sich mit ihren Schilden.

Die vier Reiter kamen nun schnell näher. Sie ritten direkt auf den großen Germanen zu, und als sie in Wurfnähe kamen, flogen ihre Speere durch die Luft.

Der erste Wurfspieß traf Geromer direkt in die Brust, sowie der zweite auch, und ließen den stämmigen Krieger zurücktaumeln. Der dritte Speer traf die Schulter. Der vierte verfehlte gänzlich sein Ziel. Bei jedem Wurf der Berittenen klatschten die Legionäre vor Begeisterung in die Hände oder buhten den Werfer aus, wenn der Spieß nicht das Ziel traf. Der Germanenhäuptling taumelte über den Platz, aber sein Kampfeswille war noch nicht gebrochen. Doch nun war für die Legionäre die Jagd eröffnet. Die Beute war weidwund, und von ihren Schilden geschützt, begannen sie ihre Wurfspieße nach dem verwundeten Germanen zu schleudern.

Blutüberströmt, von unzähligen Speeren getroffen, stürzte der Häuptling gegen ein Gatter. Das morsche Holz zerbrach unter dem Gewicht des großen Mannes, und der schwere Körper fiel leblos in den Schlamm der Schweinesuhle.

*

Ata-ulf stand wie gelähmt hinter einigen hohen, mit langen Dornen bewehrten Büschen, als er den großen Bruktererhäuptling sterben sah. Weinend fiel er auf die Knie und rief nach seinen Göttern. „Wodan, hilf!“

Er sah das Schwert, das er fest umklammert in seiner Faust hielt und er schämte sich seiner Feigheit. Er hatte Geromer in Stich gelassen, da seine Angst größer gewesen war als sein Mut. Plötzlich holten ihn die Stimmen der Legionäre, die fremde Sprache, die er nicht verstand, aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. „Fort von hier“, schoss es dem jungen Brukterer durch den Kopf. „Nur fort von hier!“

Er war auf sich allein gestellt, und Flucht war sein einziger Gedanke, doch gerade, als der rothaarige Bursche im Schutz des dichten Buschwerks davonschleichen wollte, wurde er noch einmal auf das Johlen der Legionäre aufmerksam.

An den Beinen zogen zwei Soldaten lachend und feixend ein junges Weib aus einer der Hütten, ergriffen sie und schleppten sie auf den Platz.

In Todesangst schrie sie immer wieder auf und rief hilfesuchend den Namen des hünenhaften Häuptlings, der, mit starrem Blick und von römischen Wurfspießen durchbohrt, in der Schweinesuhle lag. Sie strampelte und wehrte sich verbissen, doch die sie konnte sich dem Griff der Soldaten nicht entwinden. Schnell wurden weitere Legionäre auf das Geschehen aufmerksam, und wer nicht für Wachdienst oder andere Arbeiten eingeteilt war, kam nun näher, um zu sehen, was da vor sich ging.

Die zwei Soldaten lachten und rissen dem Weib das wollene Kleid vom Leib. Der Anblick ihrer schönen Brüste ließ die umstehenden Legionäre jubeln. Sie warfen das junge Weib zu Boden, und einige Männer kamen hinzu und hielten ihre Arme. Zwei weitere spreizten ihre Beine, so dass ihr blond gelockter Schoß für jeden sichtbar war. Die junge Frau strampelte und versuchte, sich dem Griff der Soldaten zu entwinden. Doch es war hoffnungslos. Mehrere schwere Schläge eines Legionärs trafen sie in ihr schönes Gesicht und raubten ihr fast die Besinnung, während das Blut aus ihrer Nase rann. Ein älterer Soldat begann hastig an seinen Beinkleidern zu zerren und drang in sie ein.

Hatte sich das Weib anfangs noch heftig zur Wehr gesetzt, so lag sie nun regungslos am Boden. Mit starrem Blick sah sie, wie einzelne Wolken über den blauen Himmel zogen.

Wie sich die weißen, weichen Gebilde zu Gesichtern ihrer Liebsten formten.

Die Geschehnisse um sie herum, die Schreie der jungen Mägde, die das Schicksal mit ihr teilten, waren plötzlich in weite Ferne gerückt.

Die umstehenden Soldaten lachten und klatschten vor Begeisterung. Einige stritten gar, wer als nächster das Vergnügen haben sollte. Drei oder vier Männer hatten sich bereits in das junge Weib entleert, als der Tribun Claudius Marcinus auf die Geschehnisse aufmerksam wurde.

„Was geht da vor sich, beim Mars?“ fragte er einen Optio20, der nicht weit von ihm stand und belustigt die Geschehnisse beobachtete.

„Tribun, die Männer suchen Zerstreuung und holen sich ihre Beute“, lachte der Optio und machte dabei eine obszöne Geste. „Sie zeigen einer Germanenhure, dass ein Römer nicht nur ein guter Soldat ist!“

Streng sah der Tribun den Unteroffizier an, denn von dieser Art der Kriegführung hielt der Mann im Range eines Obersten wenig. Die Vorstellung, dass sich seine Disziplin und Gehorsam gewohnten Legionäre wie Tiere verhielten, war ihm zuwider.

Erbost trat er seinem Schimmel in die Flanke, so dass er den Optio zur Seite stieß und dieser unsanft zu Boden fiel.

Als die Legionäre ihren Befehlshaber im gestreckten Galopp auf sich zu reiten sahen, sprengten sie erschrocken auseinander. Claudius Marcinus riss an den Zügeln, der Sand unter den Hufen spritzte, und der Schimmel kam vor den Männern laut wiehernd zum Stehen. Nun sah der Tribunus cohortis, was vor sich ging, er sah das junge Germanenweib, das nackt und regungslos im Staub des Hofes lag. „Macht Platz und lasst den Tribun an die Möse!“, rief ein Legionär frech und erhielt prompt einen Schlag mit der Gerte eines Zenturios, der neben ihm stand. „Fünfzig Peitschenhiebe für den Kerl!“, rief der Befehlshaber wütend.

Streng sah der Tribun die Männer an. Totenstille herrschte nun auf dem Platz vor der Hütte des Häuptlings. Keiner der Legionäre wagte es, auch nur ein Wort zu verlieren.

Langsam schwang sich der Oberst aus dem Sattel und ging wortlos auf das junge Weib zu, dabei riss er einem Legionär den Pilum aus der Hand. Die römischen Soldaten bildeten eine Gasse für ihren Befehlshaber. Nun stand der Mann mit der roten Helmzier direkt über der jungen Germanin, und der Brustpanzer des Tribuns glänzte in der Sonne.

Der Führer der zweiten Kohorte sah auf sie hinab, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich werde dein Leiden beenden“, sagte er in germanischer Sprache, die er im Laufe seiner langen Dienstzeit in diesem wilden Land erlernt hatte.

Dann holte er aus, und mit einem kräftigen Stoß rammte er der Germanin den Spieß in die Brust.

„Geromer“, hauchte sie mit ihrem letzten Atemzug. Dann war auch ihr Leben beendet.

Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen hatte der junge Germane im Schutze eines mannshohen Busches das Geschehen beobachtet. Tränen rannen ihm über die Wangen, und er konnte das Gesehene kaum fassen.

Die Wut in ihm war groß! Mit dem Gladius wollte er die Schädel dieser Männer spalten und sie ausnehmen, wie noch vor wenigen Tagen das Jagdwild. Furchtbar grausame Dinge wollte er ihnen antun! Den Tod des Geromer und seines Weibes Erla würde er rächen!

Doch er tat nichts von alledem und stand wie angewurzelt da. War es Vorsicht oder Feigheit, die ihn das Schwert von sich werfen ließ? Die ihn laufen ließ, ohne sich noch einmal umzuschauen? Nach Norden wollte er, dorthin, wo in den Sümpfen die Fluchtburgen der Brukterer lagen.

„He, seht, was ich hier noch habe!“ Ein Legionär mit rundlichem Gesicht trat aus der Hütte, in der kurz zuvor seine Kameraden die junge, unglückselige Germanin gefunden hatten. „Das kleine Wiesel hatte sich in einem Erdloch versteckt.“

Er riss einen etwa fünfjährigen Knaben an dessen blonden Haaren ins Freie. „Ich kenne einen Patrizier in Vetera, der findet gefallen an blonden Knaben“, freute sich der Soldat.

„Der Frischling ist jung, da hat er noch lange Spaß dran. Er wird sicher einige Goldstücke für ihn springen lassen.“

Doch der Legionär hatte sich zu früh gefreut!

Den Schimmel am Zügel führend, trat der Befehlshaber Marcinus heran und blieb vor dem einfachen Soldaten stehen. Dieser schlug sich die Faust gegen die Brust und hob den Arm zum Gruß.

„Wie ist dein Name, Soldat?“ fragte der Tribun streng.

„Legionär Tillo, mein Tribun!“, rief der Krieger in der roten Tunika.

Marcinus beugte sich herab und musterte den nur mit einer wollenen Hose bekleideten Knaben. „Wie heißt du, Junge?“, fragte er in germanischer Sprache und lächelte freundlich.

Doch der kleine Germane reagierte nicht auf die Worte des Römers. Geistesabwesend starrte er auf den Leichnam der jungen Frau, die im Staub des Hofes lag, und eine Träne rann über sein Gesicht.

Der Tribun fasste den Knaben bei den Schultern. Er öffnete ihm den Mund, besah sich die Zähne, so wie es die Käufer auf dem Sklavenmarkt taten. Betastete die Arme des Knaben und untersuchte ihn nach körperlichen Gebrechen.

Nur ein großes, kreisrundes Muttermal auf dem linken Oberarm fiel dem Tribun ins Auge. Doch sonst konnte er an dem jungen Körper keine Makel entdecken.

„Wie ist dein Name?“, wiederholte er seine Frage mit ruhiger, freundlicher Stimme.

„Gerowulf“, gab der Junge zögerlich zur Antwort.

Die Ähnlichkeit des Knaben, mit dem hünenhaften Krieger war dem Führer der zweiten Kohorte sofort aufgefallen.

Sollte dies der Sohn des Häuptlings sein? Soweit es der Tribun beurteilen konnte, war der Bursche für sein Alter recht groß gewachsen.

„Legionär Tillo, du wirst mir auf den Knaben gut achtgeben!“ Der Befehl ließ den Soldaten endgültig alle Hoffnung auf seine Beute verlieren, und ihn überkam ein Gefühl von Wut und gleichzeitigem Entsetzen, denn daran, dass dem Tribun der Sinn nach Knaben stand, hätte er nicht geglaubt.

„Wenn wir wieder im Lager sind, bringst du ihn zu mir!“

Beleidigt packte der Mann den Jungen im Nacken und schob ihn unsanft vor sich her.

„Und… Soldat Tillo!“, rief Claudius Marcinus. „Dass mir dem Knaben kein Leid geschieht. Du haftest mit deinem Kopf dafür!“

Der Legionär mit dem runden Gesicht wurde bleich wie Kreide und nickte nur stumm.

*

II. Ein neuer Sohn Roms

Germanien, Winter im Jahre 7 n. Chr.

Die kalte Jahreszeit neigte sich ihrem Ende zu.

Doch Felder, Wiesen und Auen lagen immer noch unter einer dicken, weißen Schneedecke. Blattlose Bäume, knochigen Gerippen gleich, ließen den sonst so dichten germanischen Urwald nicht mehr ganz so bedrohlich erscheinen.

„Nun ist es soweit, mein junger Aulus. Morgen werden wir aufbrechen“, sagte Claudius Marcinus sichtlich erfreut.

Die Dienstzeit des Tribuns neigte sich seinem Ende zu.

Zwanzig Jahre hatte er nun in der römischen Legion gedient, allein sieben davon in Germanien. In diesem kalten und unfreundlichen Barbarenland.

Doch nun war es genug und die Heimat wartete. Der Duft der üppig mit Blumen bewachsenen Wiesen und die in der Sonne golden schimmernden Weizenfelder. Die vielen Olivenhaine auf den Hügeln vor der großen Stadt.

Bald würde er von Ostia, der Hafenstadt etwas westlich gelegen, direkt in das Herz des Universums reiten, hinein in das pulsierende Leben der mächtigsten Stadt der Welt.

Nach Rom!

Nicht mehr lange und der Tribunus cohortis würde das Lagerleben endlich hinter sich lassen. Fort von diesem grässlichen Ort, an dem er solange weilte. Und fort von Matsch und Schnee. Fort von der Kälte, die einem Mann in die Glieder fuhr, und den undurchdringlichen Urwäldern, in denen hinter jedem dieser riesigen Bäume ein Feind lauern konnte. Fort von diesen übel riechenden Germanen und von Barbarenfürsten, denen man keinen Steinwurf weit trauen konnte. Von ihren Frauen, die sich mit Bärenfett einrieben und daher nicht besser rochen als ihre Männer.

Von Germanen, die einen Römer freundlich anlächelten, um ihm im nächstmöglichen Augenblick ihr Schwert in die Rippen zu stoßen. Und fort von den Millionen blutrünstiger Mücken, die den Sommer genauso unerträglich machten wie die erbarmungslose Kälte den germanischen Winter.

Wenn es nach Claudius gegangen wäre, hätten die Barbaren ihr Land behalten können. Schon oft hatte er sich gefragt, was Gaius Octavius Augustus, der Princeps von Rom, sich von den Ländereien im Norden erhoffte. Hier gab es wirklich nicht viel, wonach einem Imperator der Sinn stehen könnte. Doch Claudius Marcinus war kein Politiker.

Er war Soldat! Ein römischer Legionär, und er hatte nur Befehle auszuführen. Nicht mehr und auch nicht weniger!

Obwohl er enttäuscht darüber war, dass man ihn in seiner langen Dienstzeit nicht zum General gemacht hatte.

Schließlich kam er aus einer reichen, römischen Patrizierfamilie, und sein Vater hielt einst einen Platz im Senat.

All dies sollte aber nun vergessen sein. Er hatte seinen letzten Befehl in Germanien ausgeführt, und nun ging es endlich heim. Heim in sein Haus, etwas außerhalb Roms gelegen. Heim in die Wärme des Südens.

Vor seinem inneren Auge sah er die Cypressenallee, die zu seiner Villa rustica, seinem Landhaus, führte. Er sah die blühenden Olivenhaine, die rings um sein Haus gepflanzt waren. Ja, er spürte sogar die wärmende Sonne Roms auf seiner Haut und roch das betörende Parfüm der römischen Frauen.

„Hast du alles gepackt, Aulus?“ fragte Claudius den Jungen.

„Ja Herr, alles! Wie du es befohlen hast“, antwortete der blonde Knabe.

„Oh Aulus, Aulus. Es wird dir gefallen, mein Rom.“

Claudius strich dem Jungen über sein kurz geschorenes Haar und lächelte.

Vor zwei Jahren war der Tribun endlich vom großen Lippelager in die Garnison nach Vetera befohlen worden.

Vetera war ein riesiges, gut befestigtes Legionskastell.

Drei Legionen waren hier stationiert. Dazu mehrere Kohorten an Hilfstruppen. Eine große Canabä21 war dem Kastell vorgelagert und entwickelte sich langsam zu einer richtigen römischen Stadt, mit mehrstöckigen Häusern und Läden, in denen die Händler ihren Geschäften nachgingen.

Hier, auf der linken Seite des Rheinufers, hatten sich die Fürsten der Germanenstämme Rom unterworfen, und sie passten sich mehr und mehr der römischen Lebensart an.

Claudius Marcinus hatte den Befehl über eine Kohorte Auxiliarier22 erhalten. Viele waren Gallier aus den besetzten Provinzen westlich des Rheins, aber auch römerfreundliche Germanen hatten sich der Legion verpflichtet.

Die meisten waren Ubier, auf dessen Stammesgebiet Vetera lag, und einige waren Bataver von der Westküste. Aber auch Chauken und Chamaven, die weit im Norden an den Ufern der Nordsee und der Wesermündung ihr Stammesgebiet hatten, schlossen sich der Legion an. Sogar einige Brukterer, Cherusker und Marser, deren Stämme den Römern größtenteils feindlich gegenüber standen, gehörten zu den Truppen des Tribuns. Doch waren diese oft im Kindesalter, als Geiseln Roms, in das große Lager gekommen. Die Söhne germanischer Fürsten dienten als Pfand für den Frieden. Dafür wurden sie zu guten, römischen Soldaten ausgebildet.

Den Knaben Gerowulf hatte der Tribun mit sich genommen.

Zuerst in das Lager an der Lipsia und später dann nach Vetera. Und nun würde der Bursche ihn nach Rom begleiten. Er mochte den Jungen schon fast wie den Sohn, den er nie hatte.

Gerowulf! Der Nachkomme des Bruktererhäuptlings Geromer, war nun zehn Jahre alt, und die Hälfte seines jungen Lebens hatte er in den Lagern der römischen Legion verbracht. Er wurde nun „Aulus“ gerufen, sprach nur noch in der Sprache der Legionäre, sein Haar war kurz geschoren, und er trug die Kleider der Römer. Als Bursche eines Tribunus cohortis musste er keine Hänseleien oder gar Schläge von Seiten der Legionäre fürchten, und da er ein freundliches Wesen hatte, war der Knabe trotz seiner germanischen Abstammung sehr beliebt unter den Soldaten.

Oft verbrachte er seine freie Zeit in den ledernen Zelten der einfachen Legionäre. Lernte, wie sie kochten, wie sie spielten, und auch den Gebrauch der Waffen, hatten ihm die Soldaten schon früh beigebracht. Hierbei war dem Aulus seine Körpergröße dienlich, denn er überragte die Knaben seines Alters um eine Kopfeslänge. Reichte den meisten Legionären bereits bis zu den Schultern, und es würde nicht mehr lang dauern, da sollte er auch sie überragen.

Die Erinnerung an das Leben in den Urwäldern Germaniens, an die Sprache die sie in den Dörfern der Brukterer sprachen, war in ihm völlig verblasst. Ja, sogar die Erinnerung an seine Eltern war nach und nach aus seinem Gedächtnis verschwunden. Er hatte es verlernt, ein Germane zu sein! Aus Gerowulf war Aulus geworden! Ein Römer, der bald mit seinem Herrn nach Rom gehen würde.

*

Es war noch früh am Morgen, als sich der Tribun auf den Weg in das Prätorium, den Sitz des Lagerpräfekten machte, um dort seinen Marschbefehl zu erhalten. Da die offizielle Verabschiedung des Offiziers bereits stattgefunden hatte, konnte Claudius Marcinus ohne Verzögerung aufbrechen.

Mit einem Wagen, auf dem die Habseligkeiten des Tribuns verstaut waren, und sechs Reitern als Eskorte, sowie dem Oberst auf seinem Schimmel und dem Knaben Aulus auf einem Braunen, verließ der kleine Tross zur Mittagzeit durch die Porta Prätoriana23, die Garnison Castra Vetera.

Im Sommer wäre die Reise weitaus einfacher gewesen. Man hätte in Vetera eine Galeere bestiegen, wäre den Rhein abwärts in die Nordsee gefahren, und hätte Kurs nach Süden genommen, die iberische Küste entlang bis in das Mare Mediterranum, das Mittelmeer.

Doch es war noch Winter. Die Stürme an den Küsten Germaniens waren heftig, und die römischen Schiffe, die den Rhein und die anderen Flüsse des Nordens befuhren, waren eigentlich nicht hochseetauglich. So wäre die Überfahrt mit der Galeere, an der Küste der Nordsee entlang, äußerst gefährlich gewesen. Auch der direkte Landweg über die Alpen nach Italien war im Winter kaum möglich, da die meisten Pässe durch den hohen Schnee unpassierbar geworden waren.

Also entschied sich Claudius Marcinus einen Umweg in Kauf zu nehmen, denn bis zum Frühjahr, was eine weitere Möglichkeit war, wollte er keineswegs warten.

Richtung Südwesten ritten sie in die Provinz Gallien hinein.

Zahlreiche römische Militärlager und Kastelle, die auf ihrem Weg nach Süden lagen, dienten den Reisenden dort als Quartiere. In Marsillia24, einer großen gallischen Hafenstadt am Mittelmeer, trennte sich der Tribun von der Eskorte Auxiliarier, und schickte den gallischen Optio und seine fünf Berittenen zurück nach Germanien. Auch seine Uniform, die der Oberst bis dato getragen hatte, legte er nun ab, um fortan zivile Kleidung zu tragen. Nur einmal noch würde er die prächtige Uniform des Tribunus cohortis überstreifen. Dann, wenn er in Rom vom Kaiser seine honesta missio25 empfangen würde.

Mit einer kostbaren Tunika bekleidet, über der er eine weiße Toga mit den purpurnen Rändern trug, die seinen Träger als Persönlichkeit auszeichneten, bestiegen der Veteran Claudius Marcinus und sein junger Bursche eine Galeere, die sie nach Ostia bringen sollte.

*

Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war angenehm warm, als sie Marsillia, die gallische Hafenstadt, verlassen hatten. Des wollenen Umhangs hatte sich Aulus längst entledigt, denn nun, da sie im Hafen von Ostia angekommen waren, wärmten sie die Strahlen der Sonne, sodass Aulus glauben mochte, es wäre Sommer. Doch es war noch nicht einmal Frühling, und es hatte geschneit, als sie vor gut zwanzig Tagen das Kastell Vetera verlassen hatten.

Mit weit aufgerissenen Augen stand der germanische Junge an der Reling der Galeere, als diese, unter den kräftigen Ruderschlägen der Sklaven, in die Hafenstadt Roms einlief.

Er sah große Gebäude, soweit sein Auge reichte. Hohe ockerfarbene Bauwerke, mit roten Dachziegeln gedeckt. Drei und mehr Stockwerke hoch. Sie standen so dicht wie die großen Eichen in den Wäldern Germaniens.

„Da staunst du, Aulus!“ Claudius Marcinus fasste den Knaben bei der Schulter und wies mit dem Finger auf die Stadt. „Bald sind wir in Rom. Endlich!“

Der Hafen glich einem Ameisenhaufen. Seefahrer und Kaufleute aus vielen Ländern, die dem Imperium angehörten, kamen hierher. Handelsschiffe aus dem Orient, von der iberischen Halbinsel oder aus Ägypten lagen hier neben römischen Kriegsschiffen vertäut und löschten ihre Waren.

Es war schon spät am Nachmittag, als endlich ihr Gepäck auf einen Wagen verladen worden war, und sie den Hafen verlassen konnten. Claudius Marcinus hielt die Zügel und trieb das Pferd an. Genauso gehorsam, wie er den Tribun die letzten Jahre durch Germanien getragen hatte, zog der Schimmel nun den Wagen seines Herrn.

Wie ein ausgetrockneter Schwamm saugte der junge Aulus das Gesehene in sich auf, als sie den Wagen durch die Straßen von Ostia lenkten. Dann verließen sie den Ort und fuhren auf einer staubigen Straße in das Landesinnere.

Bald hatten sie einen kleinen Hügel hinter sich gelassen, und Claudius hielt den Wagen an. Der blonde Junge hatte sich vom Kutschbock erhoben, denn nun lag vor ihnen der Glanz des Imperiums, die prächtigste Stadt der Welt.

„Da ist es! Mein Rom!“, sprach der Tribun fast andächtig.

„Ist es nicht großartig?“

„Dort werden wir wohnen?“, fragte Aulus etwas kleinlaut, denn diese große Stadt bereitete ihm doch ein wenig Angst.

Hatte er das Kastell Vetera mit seiner Canabä bereits für groß und den Hafenort Ostia für riesig gehalten, so fand er für das, was er nun sah, keine Worte mehr.

„Nein, mein Hof liegt außerhalb von Rom“, Claudius zeigte mit dem Finger nach Süden. Dann wandte er sich wieder der großen Stadt zu und sprach mit eisiger Stimme: „Aber meine Familie lebt in Rom, ganz in der Nähe des Palastes des Augustus.“

Der Veteran der Legion lenkte den Wagen durch einige Vororte am Rande Roms, und hier, aus der Nähe betrachtet, verschwanden schnell die Schönheit und der Zauber, die Rom umgaben. Hier lebten meist die wenig betuchten Bürger. Die verarmten Veteranen, die Kriegsversehrten, die Diebe und die Huren. In den Vorstädten spielte sich das wahre Leben der großen Stadt ab, denn hier gingen die Schmiede, die Metzger, die Tuchfärber mit ihren Pissbecken vor den Läden, in die die Leute sich entleeren konnten, da das Urin zum Färben benötigt wurde, und alle anderen Handwerker ihrer Arbeit nach. Hier gab es die Schänken und die Bordelle, in denen sich die einfachen Männer und Frauen vergnügten.

Ein unangenehmer Geruch nach Blut, gemischt mit Urin, Schweiß und dem süßlichen Duft von fauligem Obst, zog durch die Straßen, und die Erleichterung war dem Marcinus anzusehen, als sie eine breite, von säulenförmigen Cypressen gesäumte Allee erreichten. Dieser folgten sie nun in südlicher Richtung und kehrten der großen Stadt den Rücken. Claudius Marcinus deutete der Straße nach, die auf eine Anhöhe führte. „Wir folgen der Via Appia und dort oben…“, er zeigte auf den Hügel, der vor ihnen lag, und bemerkte, dass der Knabe ihm gar kein Gehör schenkte.

Immer noch starrte dieser gebannt auf das Meer von Dächern, das sie nun hinter sich gelassen hatten.

„He!“, rief Claudius und gab Aulus einen Klaps auf den Hinterkopf, so dass dieser erschrak.

„Von dort oben kannst du meine Felder und meine Olivenbäume sehen“, vollendete der Römer seinen Satz.

Bald darauf verließen sie die Straße, die von Rom in den Süden des Landes führte und erreichten über einen staubigen Feldweg den Kamm der Anhöhe. Nun sahen sie hinunter auf den Hof des Claudius Marcinus, der umgeben von kleinen Hügeln in einer Senke lag.

Ein flaches, mit roten Ziegeln gedecktes Haus war das Hauptgebäude des quadratisch angelegten Hofes. Zu linker und rechter Seite der Villa des Claudius standen sich die Wirtschaftsgebäude und Stallungen gegenüber. An ihrer Kopfseite waren diese mit einer hohen Mauer verbunden, die von einem großen Holztor unterbrochen war. Um den Hof waren Weizenfelder angeordnet, und ein großer Olivenhain mit stattlichen Bäumen, die sicherlich guten Ertrag brachten, grenzte daran.

„Siehst du, Aulus“, sagte Claudius stolz. „Dies ist mein Zuhause! Und nun wird es auch dein Heim werden. Sechs volle Jahre war ich nicht mehr hier.“

Das hölzerne Tor stand weit geöffnet. Claudius lenkte den Wagen in den Innenhof. Zwei Männer, der eine etwa gleichen Alters wie Claudius, der andere wesentlich jünger, arbeiteten in den offenen Stallungen. Als sie den Wagen durch das Tor kommen sahen, lief der Jüngere sofort in das Haupthaus.

Kurz darauf erschien ein weiterer Mann und trat langsam aus der kleinen Eingangshalle der Villa heraus. Er war sehr schlank und groß gewachsen. Der Mann hatte dunkles, kurz geschorenes Haar, trug eine helle, wollene Tunika, und sein schmales Gesicht zierte ein schwarzer Kinnbart. Als er den Mann auf dem Kutschbock erkannte, begann er freudig zu lachen.

„Dominus, Ihr seid zurückgekehrt…“, rief der Dürre.

“Claudius Marcinus! Willkommen in Eurem Heim!“

„Sei mir gegrüßt, Barrabeus!“ Claudius stieg von dem Kutschbock herunter und streckte seine verspannten Muskeln. „Das, mein Aulus, ist Barrabeus, mein treuer Verwalter“, er klopfte dem großen Mann, der den Marcinus um eine Kopfeslänge überragte, auf die Schulter. Der Verwalter war der Einzige, der heraustrat, um den einstigen Tribun zu begrüßen. Es gab keine Herrin auf dem Hof, die ihren Gatten sehnsüchtig erwartet hätte. Claudius Marcinus hatte weder Weib noch Kinder. Ihm war es als Soldat der Legion nicht gestattet gewesen, ein Weib zu ehelichen. Er hätte es auch nicht gewollt.

„Und dieser junge Mann hier ist Aulus. Seit fünf Jahren ist er mein treuer Bursche“, stellte der Hausherr den jungen Germanen vor. Barrabeus trat an den Wagen und fasste Aulus in sein blondes Haar. „Ein Germane?“ fragte der schlanke Mann kühl, bekam aber keine Antwort.

Barrabeus war vom Vater des Claudius, dem alten Konsul Marcinus, ähnlich wie es Aulus widerfahren war, als Knabe aus Phönizien nach Rom gebracht worden und stand seitdem als Sklave im Dienste der Familie. So hatten Claudius und der phönizische Sklave Barrabeus schon ihre Jugend gemeinsam im Hause des Konsuls verbracht. Als Claudius Marcinus dann das elterliche Haus verließ, schenkte ihm der Konsul den Sklaven, der ihn seit seiner Jugend begleitet hatte.

Nun stand Barrabeus seit zwei Jahrzehnten in Diensten des Claudius, und er genoss sein vollstes Vertrauen.

Als Verwalter führte der Mann aus der Provinz im Osten den Hof während der Abwesenheit seines Herrn, des Tribuns. Barrabeus ging es gut. Sogar ein Weib hatte ihm sein Herr gestattet, und dies war ungewöhnlich für einen Sklaven. Saritah war um einige Jahre jünger als ihr Mann.

Auch sie war in Phönizien aufgewachsen und als junges Weib geraubt worden. Claudius hatte sie gekauft und Barrabeus zum Weib gegeben. Nun war auch sie schon seit zwölf Jahren auf dem Hof, und in dieser Zeit hatte sie dem Barrabeus eine Tochter geboren.

Zwei weitere Sklaven gehörten noch zum Hausstand des Claudius Marcinus. Kario, der um einige Jahre älter war als sein Herr, und sein Sohn Mimo, waren fast zur selben Zeit wie Saritah auf den Hof gekommen. Sie waren Iberer26, aus dem nördlichen Teil der Halbinsel. Der Alte hatte sich den Legionen entgegengestellt und so seine Familie, ja sein ganzes Dorf verloren. Nur sein jüngster Sohn, der damals sechsjährige Knabe Mimo, war ihm geblieben und begleitete ihn als Sklave nach Rom. Es war ein seltener Glücksfall für den Vater und sein Kind, dass man sie auf dem Sklavenmarkt nicht getrennt hatte.

Durch die Eingangshalle hatten sie die Villa betreten. Nun stand Aulus im Atrium, einem Innenhof des Gebäudes, in dessen Mitte sich ein großes Wasserbecken befand.

Über diesem Becken, Impluvium genannt, war eine große Öffnung im Dach, und die Ziegel waren so angeordnet, dass das Regenwasser in das Becken floss, und es so immer wieder füllte. Um das Atrium herum waren die Schlafräume für Gäste, Essräume, Vorratsräume und die Küche angeordnet.

„Hier wird dein Schlafraum sein, Aulus“, sagte Claudius und zeigte auf eine der hölzernen Türen. Sie durchschritten das Tablinium, eine kleine Empfangshalle. Dann betraten sie den hinteren, weitaus größeren Teil des Gebäudes, und so etwas hatte Aulus noch nie gesehen. In der Mitte des Hauses befand sich ein herrlich gepflegter Garten, dessen Ränder üppig mit verschiedensten Blumen und Ziersträuchern bewachsen waren. Ein betörender, süßlicher Duft der den Blüten entströmte, mischte sich mit dem der vielen Kräuter, die in den Beeten wuchsen, und drang dem jungen Germanen in seine Nase. Auch dieser Teil des Gebäudes war quadratisch angeordnet. An Aulus linker Seite befanden sich einige Räume, zu seiner Rechten führte ein Säulengang direkt in den privaten Bereich des Hauses.

Hier hatte Claudius Marcinus seine Gemächer.

Kostbare Truhen standen in den Ecken. Überall lagen und hingen Mitbringsel aus den Ländern, in denen Claudius während seiner Dienstzeit stationiert war. Den Boden des Wohnraumes zierte ein Mosaik, auf dem ein Mann gegen ein wildes Tier kämpfte. Dieses Bild faszinierte den blonden Knaben sofort, und immer wieder starrte er darauf.

„Das ist ein Gladiator“, erklärte ihm der Hausherr.

Aulus nickte wissend, er kannte dieses Wort, das er oft in den Lagern der Legionäre gehört hatte.

„Ein Kämpfer! Er kämpft in der Arena gegen einen Löwen“, erklärte Claudius und musste erkennen, dass der Knabe nicht wusste, wovon er sprach. „Was… was ist ein Löwe?“, fragte Aulus kleinlaut.

„Ach, Aulus“, begann er zu lachen. „Du wirst es noch mit eigenen Augen sehen!“

Langsam neigte sich die Sonne dem Rand der Erde zu.

Claudius Marcinus klatschte in die Hände, und Barrabeus, der Phönizier, betrat den Raum. „Bereite mir ein Bad! Und zeige Aulus seine Kammer“, befahl er. „Und lass das Abendmahl anrichten!“

Willig folgte Aulus dem großen Diener ins Atrium. Der Dunkelhaarige öffnete eine der Türen, hinter der sich ein nicht allzu großer Raum befand. Sonnenlicht, das durch ein kleines Fenster fiel, erhellte die Kammer. An der einen Wand stand ein Bett mit fein geschnitzten Pfosten.

Außerdem gehörten zwei Stühle und ein Tisch, nicht weniger aufwändig gearbeitet als das Bett, zur Einrichtung des Raumes.

„Man wird dich holen, wenn das Essen aufgetragen ist“, sagte Barrabeus weitaus weniger freundlich als in der Gegenwart seines Herrn.

*

Die Sonne war bereits untergegangen, als es an die Tür klopfte. Aulus schreckte auf! Müde von der Reise, war er auf dem weichen Bett eingeschlafen, doch irgendwann wurde die Tür geöffnet und ein junges Mädchen trat ein.

Mit ihren dunklen Augen musterte sie den blonden Knaben.

Sie war etwa gleichen Alters wie Aulus selbst und hatte rabenschwarzes Haar.

„Wie ist dein Name?“, fragte sie und verschlafen nannte er den römischen Namen, mit dem man ihn rief.

„Mich nennt man Silva. Ich soll dich holen, denn das Mahl ist angerichtet!“ Sie wandte sich ab und verließ den Raum.

Aulus sprang auf und folgte ihr. Zielstrebig lief er auf die kleine Empfangshalle zu, die den vorderen Teil des Hauses mit dem hinteren Teil, den Privatgemächern des Marcinus, verband. „He!“, rief Silva. „Wo willst du hin?“

„Zu meinem Herrn! Wohin sonst?“, sagte Aulus verwundert über diese, seiner Meinung nach, dumme Frage.

„Dieser Teil des Hauses ist uns Sklaven verboten, und nur mein Vater Barrabeus darf ihn betreten.“ Der Stolz in ihrer Stimme ärgerte Aulus. Er war der Bursche des Tribuns und hatte fast immer mit seinem Herrn die Mahlzeiten eingenommen. Er verstand nicht, warum dies nun anders sein sollte. „Ich bin der Bursche des Claudius und kein Sklave“, sagte Aulus trotzig, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. „Nein, du warst in Germanien der Bursche des Tribuns“, sprach sie mit ernster Miene. „Doch nun bist du in Rom und nur noch der Sklave des Claudius Marcinus.

Genau wie wir!“

Sie fasste den Knaben an seiner Tunika und zog ihn mit sich in den Essraum.

Langsam senkte sich die Karaffe, und der Wein floss in den reich verzierten Becher des Claudius. „Dominus, es ist gut, dass du den Germanenknaben mitgebracht hast“, sagte Barrabeus, während er seinem Herrn den roten Rebensaft in das silberne Trinkgefäß eingoss.