Der Skalde II - Rainer W. Grimm - E-Book

Der Skalde II E-Book

Rainer W. Grimm

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Beschreibung

„Odin hat bestimmt, dass du begangenes Unrecht sühnen musst. Wenn du heimkehrst, wird dein Leben jedoch nicht mehr so sein, wie du es kanntest! Was dich liebte, wird dich hassen!“ spricht der Alte, den man die Zunge der Götter nennt. Ist es wirklich der Göttervater selbst, der in Träumen zu dem Skalden spricht und ihm den Schlaf raubt? So begibt sich Rune auf den Weg, um Odins Willen zu erfüllen, um Rache zu nehmen an jenen, die ihm Unrecht taten und aus dem Skalden wird wieder der Mordknecht. Es verschlägt ihn in das Reich des Dänenkönigs Sven, wo er sich einem Jarl anschließt. Und auch hier spricht Odin durch die Träume zu Rune.

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„Odin hat bestimmt, dass du begangenes Unrecht sühnen musst. Wenn du heimkehrst, wird dein Leben jedoch nicht mehr so sein, wie du es kanntest! Was dich liebte, wird dich hassen!“, spricht der Alte, den man die Zunge der Götter nennt. Ist es wirklich der Göttervater selbst, der in Träumen zu dem Skalden spricht und ihm den Schlaf raubt?

So begibt sich Rune auf den Weg, um Odins Willen zu erfüllen, um Rache zu nehmen an jenen, die ihm Unrecht taten, und aus dem Skalden wird wieder der Mordknecht. Doch seine Familie zerbricht, und Rune selbst wird zum Gejagten. Und auch aus Freunden werden Feinde! Als ein neuer König in das Land am Nordweg kommt, beginnt für den überzeugten Asenanbeter erneut die Flucht vor dem neuen Glauben aus dem Süden. Es verschlägt ihn in das Reich des Dänenkönigs Sven, wo er sich einem Jarl anschließt. Und auch hier spricht Odin durch die Träume zu Rune.

Rainer W. Grimm wurde 1964 in Gelsenkirchen geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im Ruhrgebiet. Erst mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker die Liebe zur Schriftstellerei. Als Selfpublisher veröffentlicht er seitdem seine Bücher. Mit den beiden Bänden der Saga von Sigurd Svensson sowie den drei Bänden der Saga von Erik Sigurdsson erschien seine große Wikingersaga. Des Weiteren veröffentlichte der Autor den Roman „Pakt der Barbaren“ und bisher drei Bände der Kurzgeschichtensammlung „Wikingerwelten“. Nach dem Wikingerroman „Der Skalde“ folgt nun der zweite Band „Odins Wille“.

Inhaltsverzeichnis

Böse Träume

Die Rache des Skalden

Zerbrochenes Glück

Der gejagte Jäger

Ein missglückter Streich

Der Götter Wille

Kindesraub

Auge um Auge

Der Kampf am Berg

Im Gefolge des Jarl Vagn

Der Auftrag

Jarl Hakon, König des Tröndelag

Auf Seeland

Im Reich des Dänenkönigs

Sigruns Kampf

Von einer unerwarteten Begegnung

Ein tödliches Wiedersehen

Historischer Hintergrund

D rei lange Jahre hatte der Dänenkönig Sven Haraldsson, den man Gabelbart nannte, nun schon in seiner Burg in Yorvik1, auf der Insel der Angelsachsen, darauf gewartet endlich in das Dänenreich zurückzukehren. Denn im Sommer des Jahres 990 n. Chr. war Erik von Schweden, den man den Siegreichen nannte, mit seinem Heer in das Dänenreich und die von Sven besetzten norwegischen Gaue eingefallen und hatte den König der Dänen aus seinem Reich vertrieben.

Mit seinen Kriegern verheerte er die britannischen Grafschaften und mehrte so seinen Reichtum, denn diesen brauchte er, um sein Heer weiter anwachsen zu lassen. Und endlich, im Jahre 993 n. Chr., war die Gefolgschaft des Gabelbart so groß, das er es wagen konnte, in seine Heimat zurückzukehren.

Seinen Gott Odin2 und dessen Sohn Thor3 hatte der asentreue König angefleht und ihm ein ums andere Mal Opfer dargebracht, auf dass er ihm das nötige Heil geben mochte, den dem Christentum nicht abgeneigten König Erik aus seinem Reich zu vertreiben. Und es schien, als hätten die Asen4 das Bitten des Gabelbart erhört. Im Dänenreich wuchs der Widerstand gegen die Besatzer an jedem Tag, und die Nachrichten, die Sven streuen ließ, zeigten bald ihre Wirkung.

Im Danelag5 hatte er mehr und mehr Krieger um sich geschart. Ganze Flotten umherziehender Seekönige und Wikinger hatten sich ihm angeschlossen, so dass er den Schweden endlich zum Kampf herausfordern konnte.

Und auch in der Heimat, von der Königsstadt Ribe6 aus, hatten seine Spitzel dafür gesorgt, dass das Volk den Kampf herbeisehnte. Einzig die Jomswikinger, meist dänischer Herkunft, die weite Gebiete des Pommern- und Mecklenburgerlandes beherrschten und auf der gefürchteten Jomsburg am Oderhaff saßen, verweigerten dem König die Gefolgschaft. Sie waren Untertanen des Polenkönigs geworden und hielten sich an ihren Treueeid, trotz der Gefahr, dass ihre Gesippen in der Heimat die Wut des Gabelbart spüren könnten.

Als die warme Jahreszeit Einzug hielt, der Schnee schmolz und das Eis die Fjorde wieder freigab, segelte die Flotte des Sven Gabelbart in das Dänenreich, um den Schwedenkönig Erik zu vertreiben. Der Aufstand der Dänen begann.

Im Sommer des Jahres 993 n. Chr. saß Sven Haraldsson wieder auf dem Thron in Ribe, herrschte über das Dänenreich, das Götaland und den Süden Norwegens. Er hatte die Schweden aus seinem Erbreich vertrieben, und auch den christlichen Klerus jagte er zum Dank an seine Götter aus dem Land.

Dies aber währte nicht lange, denn die Bedrohung aus dem Reich des deutschen Kaisers war nun groß, und das Heer des Dänen war geschwächt. So ließ er die Pfaffen in seinem Reich gewähren.

Ein norwegischer Jarl aber widersetzte sich dem Dänenkönig, verweigerte die Abgaben und ließ sich zum Kleinkönig über den Gau Tröndelag ausrufen. Alle Versuche des Sven Gabelbart, den Gau wieder unter seine Herrschaft zu zwingen, scheiterten. Selbst einer großen Flotte der gefürchteten Jomswikinger wollte es nicht gelingen, Jarl Hakon aus seiner Herrschaft zu vertreiben. Doch für den König der Dänen, dessen Ziel es war, ein dänisches Großreich zu errichten, sollte es noch schlimmer kommen.

Jarl Hakon Sigurdsson regierte seinen Gau mit harter Hand, und das Volk begann sich gegen seinen selbsternannten Herrscher zu wenden. Zwar hatte er sich aus der Lehnsherrschaft des Sven Gabelbart befreit und stattdessen dem Schwedenkönig Treue geschworen, doch sein Rückhalt in der eigenen Gefolgschaft schmolz dahin.

Wie eine unersättliche Made fraß sich der König mit seiner Gefolgschaft durch die Vorratskammern seiner Bauern, und da er auch vor deren Frauen nicht halt machte, begann das Volk sich gegen ihn zu erheben.

Die Jarle des Tröndelag schickten einen Unterhändler auf die Insel der Vestmänner7, denn dort lebte ein Jarl namens Olaf. Er war der Sohn des einstigen Königs von Vingulmark und ein Enkel des großen Königs Harald Schönhaar. Somit war dieser ein legitimer Anwärter auf den norwegischen Thron.

Doch Olaf, der Sohn des Tryggve, der sich großen Ruhm als Wikinger und Seekönig erkämpft hatte, besaß nun keine große Flotte mehr, und so kam er mit nur drei Schiffen im Jahr 995 n. Chr. in das Tröndelag, um den Jarl Hakon Sigurdsson aus seiner Herrschaft zu vertreiben.

Doch als die Schiffe in den Hafen der Stadt Lade segelten, hatten die Bauern den „bösen“ Jarl bereits vertrieben, und so riefen sie Olaf Tryggvesson zu ihrem neuen König aus.

Der neue Gaukönig beschloss darauf, die dänischen Besatzer aus seinem Erbreich zu vertreiben, und die Gaufürsten waren bereit, dem neuen König zu folgen, um sich den Dänen zum Kampf zu stellen.

Bald schon hatte der Norweger eine große Flotte gesammelt, mit der er begann, die Gaue zu befreien, und da Sven Gabelbart, dessen Heer immer noch geschwächt durch die Kämpfe mit dem Schwedenkönig Erik kaum Widerstand leistete, waren aus den großen Handelsstädten die dänischen Stadthalter bald vertrieben. Sven Gabelbart aber sicherte die Grenzen seines dänischen Reiches und heerte weiterhin auf der Insel der Angelsachsen.

*

1 Yorvik - York

2 Odin – Oberster Gott der germanischen Mythologie, Gott der Dichtkunst, der Runen., der Ekstase, Gott der Weisheit und des Wissens, opferte ein Auge für einen Schluck aus dem Brunnen der Weisheit

3 Thor - Der Donnergott, Gott der Bauern und Beschützer männlicher Kinder

4 Asen – nordisches Göttergeschlecht

5 Danelag - Gebiete Nord- und Südostenglands, die von den Dänen besetzt und besiedelt worden waren

6 Ribe – dänischer Königssitz im Südwesten Jütlands gelegen

7 Vestmänner - Iren

1

Böse Träume

Vierzehnmal war der Winter gekommen und gegangen, seit Rune als Sklave aus dem Saxland8 in das Land am Nordweg gekommen war9. Seine Heimat war ein kleines Dorf gewesen, doch seine Familie hatte den Tod gefunden, denn sie hatten sich dem Glauben an den einen Gott der Christen verweigert. Hatten heimlich den alten Göttern ihre Opfer dargebracht und darum die Macht und Grausamkeit des Vogtes Herimann und seiner Schergen zu spüren bekommen. Viele Asentreue endeten in den Kerkern und unter dem Beil oder am Strang, wenn sie nicht willens waren, ihren Göttern abzuschwören.

Damals hatte der Sohn des Schmiedes Barthold noch auf den Namen Bran gehört, hatte den Flammentod der Mutter und seiner Schwestern mit ansehen müssen, und war selbst nur mühsam den Häschern entkommen. Den Vater wusste er bei seiner Flucht in den Händen der Kriegsknechte des Vogtes, und die Götter hatten es so gewollt, dass er diesen nicht mehr wiedersah.

Bis in die Handelsstadt Brimun10 im Land der Friesen war er damals gegangen, und dort hatte ihn ein Seefahrer auf sein Schiff genommen. Dem Seefahrer war sein Gott jedoch nicht gewogen, und so geschah es, dass sein Schiff von umherziehenden Sklavenfängern aufgebracht wurde. Als einer der wenigen Überlebenden wurde Bran zu einem Unfreien, und man brachte ihn auf den Markt der großen Handelsstadt Tunsberg. Doch der Gott Wotan, den Bran bald Odin nennen sollte, und an dessen Macht er fest glaubte, versagte ihm sein Heil nicht. So kam es, dass er von dem Schmied Askold gekauft worden war. Und dieser war ein guter Kerl, der Bran in seiner Schmiede aufnahm und ihn fortan Rune nannte.

Viel hatte er erlebt, Leid und auch Freude, doch Odin hatte ihm nie sein Heil verweigert. Er schenkte ihm die Gabe des Dichtens, und so wurde Rune ein Skalde11.

Der Jarl des kleinen Gaus fand bald Gefallen an dem Reimeschmied, so wie Rune Gefallen an dessen Tochter fand. Und da Jarl Siegmar ein Mann war, der seinen Willen durchzusetzen wusste, wurde Rune der Skalde des Jarls von Frigghavn. Ein Skalde mit einem dunklen Geheimnis!

Nun aber war er ein freier Mann, hatte eine Familie gegründet und nannte einen Hof in Vingulmark12 sein Eigen. Ein Bauer war Rune deswegen aber nicht geworden, denn den Hof verwaltete sein Weib Sigrun, und für die Arbeit gab es einen Knecht und eine Magd.

Bei dem Schiffsbauer Tryggve Egilsson, der ihm ein väterlicher Freund geworden war, half er als Schmied, und von diesem hatte er auch den Hof gekauft. Tryggve bezahlte seinen Schmied gut, und in seiner Nähe fühlte sich Rune auch recht wohl. Doch als Skalde ging er nur noch selten auf Reisen, obwohl er auf den Höfen der Jarls immer ein gern gesehener Gast war.

Spät war es Frühling geworden, denn zum Fest der Idun13 hatte es noch einmal zu schneien begonnen. Nun aber kam endlich der Frühling, und die Strahlen der Sonne entfalteten ihre wärmende Kraft. Der Gesang der Vögel und das frische Grün der Bäume und Wiesen zeugten davon, dass der Winter ein Ende gefunden hatte. Die christlichen Pfaffen schrieben das Jahr 993 nach der Geburt ihres Herrn Christus.

Seit dem Herbst des vergangenen Jahres hatte Rune gelangweilt auf seinem Hof gesessen, und obwohl es ihn fortzog, war er geblieben. Seinem Weib zuliebe, um diese zu besänftigen, denn die einstige Schildmaid hatte ihrem Gemahl noch nicht verziehen. Er hatte sie mit den Kindern auf dem neuen Hof allein gelassen, als er im letzten Sommer als Skalde durch den Norden zog, hatte sein Versprechen gebrochen, nicht länger als einen vollen Mond fort zu sein. Alle Arbeit auf dem Hof hatte Sigrun vollbracht, hatte Vieh angeschafft und die Ernte eingebracht, denn zu dem Haus gehörte auch ein kleines Getreidefeld. Aus der stolzen Jarlstochter, der Schildmaid, die ein Schwert genauso gut führte wie jeder Mann, war eine Bäuerin geworden. Es schien, als könnte und wollte Sigrun ihm dies nicht nachsehen, denn seither zeigte sich das Weib abweisend und hatte kaum noch mit Rune das Schlaflager geteilt.

*

Die Hitze des Feuers kroch langsam an seinem Körper empor, wurde heiß und kaum mehr erträglich. Seinen Mund wollte er öffnen und schreien! Doch kein Ton kam hervor!

Er spürte, wie die Haut auf seinem heißen Fleisch große, mit Wasser gefüllte Blasen schlug, wie die kochenden Blasen aufplatzten und sich die Haut von seinem Fleisch löste. Plötzlich sah er in ein bärtiges Gesicht. Askold!

Den Namen wollte er rufen, doch es brach immer noch kein Laut über seine Lippen hervor. Da plötzlich vernahm er eine Stimme. „Ich habe dich gewarnt! Niemand widersetzt sich meinem Willen, ohne dafür bestraft zu werden!“

Rune kannte diese Stimme, und auch das Lachen, das nun erschallte.

Jarl Siegmar!

Schweißüberströmt schnellte Rune empor! Schwer atmend richtete er sich von seinem Lager auf und sah in die fragenden Augen seines Weibes Sigrun.

„Ein Albtraum?“, fragte diese verschlafen. Langsam erhob sich Rune, musste seine Gedanken erst ordnen, bevor er antworten konnte.

„Schlaf, Sigrun, es war nur ein böser Traum!“

Oft überfielen den Schmied nun diese Träume, manchmal sah er sogar in das Antlitz Odins selbst, der zu ihm sprach. Seine Worte aber konnte Rune nicht hören. Und es waren immer wieder dieselben Gesichter, die ihn im Traum verfolgten und ihm den Schlaf raubten:

Der Schmied Askold, der ihm ein väterlicher Freund geworden war und der in den Flammen des Jarl Siegmar sterben musste. Der Jarl von Frigghavn, der sein Schwiegervater war und der ihm oft übel mitgespielt hatte. Sein Vater Barthold, sowie die Gesichter seiner Mutter und der Schwestern, die längst im Reich der Hel14 weilten.

Mit leisen Schritten, er wollte die Kinder Sif und Thorune nicht wecken, trat er an den Tisch und nahm einen der hölzernen Becher, mit diesem trat er an das Fass, das mit Wasser gefüllt war. Er tauchte das Gefäß in das Nass und trank hastig. Dann setzte er sich an die Feuerstelle, in der nur noch wenig wärmende Glut glimmte. Wie lange sollte er diese Träume noch ertragen, die ihm jede Nacht den Schlaf raubten? Es musste etwas geschehen!

Vielleicht wusste Tryggve einen Rat? Der Schiffsbauer war kein dummer Mann, und seit ihrer ersten Begegnung war er dem Rune in Freundschaft verbunden. Ja, den Tryggve würde er um Rat fragen, gleich morgen!

Schon früh am nächsten Tag hatte sich Rune aufgemacht zum Hof des Tryggve Egilsson, und es war Björn, der zweitälteste Sohn des Schiffsbauers, der ihn in seiner mürrischen Art vor dem Langhaus unfreundlich begrüßte. Der jüngste Sohn Thoke bewohnte einen Nachbarhof, und die beiden anderen Söhne Thoralf und Egil waren auf einer Handelsfahrt, wie Rune wusste. Björn aber, der seinen Brüdern kaum ähnlich sah, blieb meist wegen seines steifen Beines, das ihm der verhasste Nachbar Ivar15 dereinst beschert hatte, auf dem Hof und arbeitete als Bauer oder half Tryggve, wenn dieser wieder einmal ein Schiff fertigte.

„Was treibt dich denn so früh hierher, Rune?“, brummte Björn, der etwa gleichen Alters war wie der Schmied seines Vaters.

„Ich muss mit deinem Vater sprechen. Wo finde ich Tryggve?“

„Er ist im Haus“, antwortete Björn knapp und zeigte in die Richtung der Pforte des Hauses, dann humpelte er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, seines Weges. Björn war dem gebürtigen Sachsen gegenüber meist recht wortkarg, und Rune schien es, als mochte ihn der Sohn seines Freundes nicht sonderlich. Dies aber störte Rune wiederum wenig, denn auch er fand seinerseits, dass Björn ein merkwürdiger, unangenehmer Kerl war. Vielleicht lag es ja daran, dass er so anders war als seine Brüder, die sich auch äußerlich sehr von ihm unterschieden. Seinen Sohn Björn hatte Tryggve nicht mit der Frau gezeugt, die sein Weib war und die ihm schon früh verstarb. So war sein Haar dunkel, während seine Brüder blondes Haar hatten.

Kräftig klopfte Rune an die Tür, und es dauerte eine Weile, bis diese geöffnet wurde. Asta, das junge Weib des Tryggve, die einmal wie Rune eine Sklavin gewesen war, sah den Besucher verwundert an, lächelte dann aber und bat ihn einzutreten.

„Tryggve, es ist Rune“, rief sie schon in dem kleinen Vorraum, der in die Halle des Langhauses führte.

„Rune, mein Freund“, freute sich der meist gutgelaunte Hausherr, der an einem der Tische saß und sein

Morgenmahl zu sich nahm, wie es schien. „Komm, setz dich zu mir! Asta, bring einen Becher für meinen Freund!“

Kaum hatte Rune Platz genommen, hatte er auch schon einen Becher mit kühlem Bier in seiner Hand. „Ich komme zu dir, weil ich deinen Rat brauche“, begann er zu erzählen und sprach dann von seinen Träumen, die ihn nicht schlafen ließen.

„Hm,… ich glaube, die Götter wollen dir etwas mitteilen“, vermutete Tryggve und kratzte sich nachdenklich seinen Bart. „Es gibt da in Sotenäset16 einen Kerl, der behauptet, mit den Göttern zu reden. Viele Leute gehen zu dem Alten, um sich von ihm Rat zu holen!“

„Du meinst, er kann mir sagen, warum mich diese Träume quälen?“

„Das weiß ich nicht.“ Tryggve zog seine Schultern hoch.

„Aber man soll an einem Auserwählten nicht zweifeln! Du glaubst doch fest an die Götter Asgards17?“

Rune nickte, denn er war davon überzeugt, dass er ein von Odin Geliebter war. Ein Skalde, dem der Allvater sein Heil schenkte.

„Gut“, entschied der Schiffsbauer, „dann reiten wir nach Sotenäset. Noch heute!“

Es dauerte nicht lange, und die beiden Männer saßen in den Sätteln, um die Küste entlang nach Norden zu reiten.

Die Hütte des Alten, den man die Zunge der Götter nannte, lag nicht weit der alten Königshalle, in der der Kleinkönig Harald Gudrödsson residierte, der über die Gaue Vingulmark und Ranrike herrschte und ein Vasall des Dänenkönigs Sven Gabelbart war. Hier hatte einst König Tryggve Olafsson geherrscht, der wohl der Namensgeber des Schiffsbauers war und vor mehr als zwanzig Sommern im Kampf um die Herrschaft über Norwegen von seinem Vetter Gudröd Björnsson ermordet worden war.

Vor der Hütte zügelten die Männer ihre Pferde und stiegen aus den Sätteln. Tryggve nahm seinen Lederbeutel vom Sattel und hob diesen am ausgestreckten Arm empor.

„Das werden wir brauchen“, sagte er lächelnd.

„Was ist darin?“, fragte Rune neugierig.

„Warte es ab!“

Ohne anzuklopfen traten die Männer in die Hütte ein.

Rauchschwanger war die Luft, und es roch nach verbrannten Kiefernzapfen. Der Raum war nur dürftig beleuchtet, und erst beim zweiten Blick erkannte Rune die Gestalt an der Feuerstelle. In einen alten, grauen Umhang mit tief in das Gesicht gezogener Kapuze kauerte dort ein Mann. Langsam schob Tryggve den Sachsen voran.

„Was wollt ihr?“, erklang die tiefe Stimme des Hausherrn.

„Wir brauchen deinen Rat“, antwortete Tryggve. Mit einer Handbewegung forderte der Mann seine Gäste auf, Platz zu nehmen, und diese hockten sich nieder.

„Hast du, was ich will?“, fragte der Mann, und der Schiffsbauer nickte. Da ergriff die Zunge der Götter die Hand Runes. Erstaunt sah dieser dem Mann in sein Gesicht.

Woher wusste der Kerl, dass er es war, der seine Hilfe brauchte?

Rune wollte sprechen, erzählen, was er wollte, doch der Seher legte ihm seinen Finger auf den Mund. Jetzt erst erkannte er das Gesicht des Mannes und erschrak. Dort, wo das linke Auge einmal war, prangte eine geschwärzte, dicke Narbe, und in dem Gesicht wuchs kein einziges Haar.

Der Mann hatte weder Bart noch Augenbrauen. Hätte man Rune gefragt, wie alt dieser Mann wohl sei, er hätte keine Antwort geben können.

Die Zunge der Götter besah sich, begleitet von seinem pfeifenden Atem, schweigend die Hand des Sachsen, drehte sie, roch daran, leckte darüber, dann sprach er: „Du bist einer, der die Worte liebt, und es ist Odin selbst, der dir sein Heil schenkt. Doch vergangenes Unrecht raubt dir den Schlaf, lässt dich keine Ruhe finden, und du selbst weißt nur zu gut, dass es dein Schicksal ist, deinen Hof zu verlassen. Darum hat Odin bestimmt, dass du begangenes Unrecht sühnen musst! Wenn du heimkehrst, wird dein Leben jedoch nicht mehr so sein, wie du es kanntest! Was dich liebte, wird dich hassen!“

Wieder wollte Rune etwas sagen, doch der Seher fuhr ihm über das Maul. „Dies ist es, was du tun musst!“

Er wandte sich dem Tryggve zu. „Und nun gib mir meinen Lohn.“

Der Schiffsbauer öffnete den Lederbeutel und zog eine tote, fette Ratte hervor und reichte diese dem Seher.

„Geht jetzt“, befahl der Mann, und die beiden Gäste erhoben sich und verließen die Hütte.

Langsam ritten die beiden Männer schweigend durch die Stadt, und jedem von ihnen gingen Gedanken über das Gehörte durch den Kopf. Viel hatte der Seher nicht gesagt, doch Rune wusste nun, was zu tun war, denn er hatte die Worte verstanden. Plötzlich sah er Tryggve an. „Eine Ratte?“

Dieser zuckte seine Achseln. „Das ist der einzige Lohn, den er verlangt.“

Rune schüttelte sich, denn die Vorstellung, was der Kerl mit der fetten Ratte tun würde, ekelte ihn an. Er mochte die Nager nicht!

*

Die Verwunderung Runes war groß, als er sein Haus betrat und er Björn dort an seinem Tisch vorfand. Es war bereits dunkle Nacht, als er heimkehrte und so erstaunte es ihn umso mehr, dass noch Besuch auf seinem Hof weilte.

„Björn“, grüßte er den Sohn seines Freundes, und man merkte ihm sicher an, dass er über dessen Anblick wenig erfreut war. Nachdem er seinen Beutel, den Umhang und seinen Gürtel mit Messer und Saxschwert18 beiseite gelegt hatte, setzte er sich zu seinem Weib und dem Gast an den Tisch. Er sah Sigrun streng an, sprach dann aber freundlich:

„Gibst du mir einen Becher Bier?“ Während Sigrun sich erhob, um dem Wunsch ihres Gemahls Folge zu leisten, wandte sich der Hausherr seinem Gast zu. „Du bist ein seltener Besuch auf meinem Hof. Darf ich fragen, was dich so spät am Abend hierher treibt?“

Doch statt dem hinkenden Björn antwortete Sigrun: „Björn hilft mir ab und an auf dem Hof. Denn du bist dir ja zu fein für diese Arbeit!“

Den Vorwurf überhörte Rune des Hausfriedens wegen, doch ihm gefiel die Angelegenheit ganz und gar nicht.

„Du hast einen Knecht und eine Magd auf dem Hof. Sind die dir nicht Hilfe genug?“, fragte er herausfordernd, doch er erhielt keine Antwort. Stattdessen erhob sich Björn. „Ich denke, es wird Zeit für mich, euch zu verlassen! Wenn du wieder einmal meine Hilfe benötigst, dann scheue dich nicht, mich zu rufen“, sprach er zu der Sigrun und sah dabei ihren Gemahl mit herausforderndem Blick an. Doch dieser hielt sich zurück, denn ihm war die Freundschaft zu Tryggve Egilsson wichtig.

Kaum hatte der Sohn des Schiffbauers das Haus verlassen, da begann der Streit. Sigrun überschüttete ihren Gemahl wie so oft in der letzten Zeit mit Vorwürfen, doch Rune war es längst satt, mit ihr zu streiten. Die Kinder erwachten, doch Sigrun wies sie an, weiterzuschlafen. Rune war äußerst verärgert, doch er war längst des Streitens müde geworden, so erhob er sich und verließ das Haus. Zuerst dachte er daran, den Knecht im Stall aufzusuchen und diesen darüber auszufragen, was in seiner Abwesenheit auf dem Hof geschehen war. Da aber vernahm er plötzlich das Krächzen eines Raben ganz in seiner Nähe, und er besann sich der Worte des Alten aus Sotenäset. Dies war sein Schicksal, und es gab nichts, das er tun konnte, um das Schicksalsnetz welches die Nornen19 für ihn gesponnen hatten, zu ändern. Er begab sich zu der Koppel, und als der Braune mit der blonden Mähne seinen Herrn sah, kam er sofort angelaufen. Ruhig strich Rune dem Pferd über die Stirn. „Mein Freund, wir werden wieder auf Reisen gehen! Der Allvater hat bestimmt, dass ich Askolds Tod rächen muss!“

Lange blieb Rune in dieser Nacht bei Thoki, und als er in das Haus zurückkehrte, war Sigrun längst eingeschlafen.

So leise es ihm möglich war, suchte er seine Sachen zusammen. Er nahm Proviant und legte diesen in seinen Beutel, dann trat er an das Schlaflager seiner Kinder, schließlich konnte er nicht wissen, ob er Thorune und Sif in diesem Leben noch einmal wiedersehen würde. Sein Blick fiel auf die schlafende Sigrun, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Eigentlich war sie es gewesen, die aus dem Sklaven Rune einen freien Mann gemacht hatte, und er hatte sie geliebt. Und wenn er in sein tiefstes Inneres hörte, wusste Rune, dass er Sigrun trotz allen Ärgers immer noch liebte.

Leise wandte er sich ab, nahm seinen Gürtel, den Beutel und seinen Umhang und verließ das Haus. Schnell war Thoki gesattelt, denn Rune wollte fort von hier, und als die Sonne langsam über den Horizont kroch, war er schon weit von seinem Hof entfernt.

*

Nicht weit der großen Handelsstadt Haithabu20 im Süden des Dänenreiches, an den Ufern des Flusses Slie21 gelegen, stand das Dorf des Sklavenhändlers und selbsternannten Jarls Styrbjörn Arnarsson. Den ganzen Winter über hatte der Jarl auf dem Siechlager gelegen, doch die Götter hatten ihn nicht gewollt, und so hatte ihn der Axtstreich nicht getötet. Und es war nicht zuletzt der Wunsch, einem Mann das Leben zu nehmen, der ihm die Kraft gab, gegen den Tod anzukämpfen.

Dem Mann, der ihm dies angetan hatte, der ihm sein Eigentum genommen hatte und der auch Ubbe, seinen Schiffsführer, getötet hatte. Den Skalden Rune!

Jetzt, da der Frühling gekommen war, hatte er Gunnar in seine Halle gerufen. „Du, Gunnar, wirst fortan mein Hauptmann sein“, sprach er zu dem rotbärtigen Wikinger, der für ihn schon als Sklavenfänger die Küsten unsicher gemacht hatte. „Und ich will, dass du in Erfahrung bringst, wer dieser Kerl war, der mir dies antat!“

„Glaube mir, Styrbjörn, nichts wäre mir lieber, als diesen Kerl in die Finger zu bekommen, aber wie soll ich das anfangen?“, fragte Gunnar sichtlich überrascht. Den ganzen Winter über hatte Styrbjörn über die Nachfolge des Ubbe geschwiegen, und nun, da er wieder auf seinem Hochstuhl saß, war seine Entscheidung gefallen.

„Stell dich nicht so dämlich an, Gunnar, oder soll ich etwa jetzt schon meine Entscheidung bereuen?“, maulte der Jarl.

„Nun ja, dieser Thorbart ist doch wohl ein Gefährte des Mannes gewesen. Vielleicht redet er, wenn wir ein wenig nachhelfen.“

„Wer ist dieser Kerl?“

„Er kam im letzten Sommer nach Haithabu und nun ist er die Faust der Eira“, antwortete der Rotbart.

„Eira? Wer beim Barte Thors ist nun wieder diese Eira?“ Styrbjörn hatte Probleme, dem Gunnar zu folgen.

„Eira gehört die Hurenkaschemme am Marktplatz in Haithabu. Dort haben wir den Kerl, der ein Skalde ist, und diesen Thorbart zum ersten Mal gesehen!“

„Willst du mich zum Narren halten? Muss ich dir all dein Wissen aus der Nase ziehen, du dämlicher Hund?“, keifte Styrbjörn ärgerlich.

„Die Kerle haben in der Kaschemme gesessen, damals, an dem Tag, an dem Ubbe sein Leben ließ“, sprach Gunnar kleinlaut.

„Und was taten sie?“

„Was sollen sie schon getan haben? Das was man in einem Bordell tut! Sie haben gesoffen und die Huren gefickt!“

Mit bösem Blick sah der Jarl seinen Gefolgsmann an und zischte: „Und das erzählst du mir erst jetzt!“

„Wann hätte ich es dir erzählen sollen? Du lagst den ganzen Winter auf dem Siechlager, und nur die Götter wissen, warum du noch lebst“, erwehrte sich der Hauptmann der Anschuldigungen.

Da grunzte der Jarl etwas Unverständliches, sah dann den Gunnar an und sprach: „Also, lass diesen Thorbart reden!“

*

8 Saxland – Bezeichnung der Nordleute für das Reich der Deutschen

9 Siehe Band 1 Der Skalde

10 Brimun - Bremen

11 Skalde – Dichter und Geschichtenerzähler, lebten oft an den Höfen der Jarls und Könige, um auf diese ihre Lobverse zu verfassen

12 Vingulmark – norwegischer Gau im Südosten des Reiches

13 Fest der Göttin Idun – Fruchtbarkeitsfest, die Götter aßen die Äpfel der Idun, um Unsterblichkeit zu erlangen

14 Hel – Göttin des Totenreiches, Tochter des Loki

15 Siehe Der Skalde Band I

16 Sotenäset – Königsstadt von Vingulmark

17 Asgard – Heimstatt der nordischen Götter

18 Sax – Kurzes, einschneidiges Schwert

19 Nornen – die Göttinnen des Schicksals

20 Haithabu, Hedeby – Dänische Handelsstadt, heute Schleswig-Holstein

21 Slie – Schlei in Schleswig Holstein

2

Die Rache des Skalden

Lange war Rune nach Norden geritten, bis er endlich die Küste des großen Fjordes von Vestfold erreichte. Er hatte den Gau Vingulmark durchquert, und es war ihm mehr als nur einmal in den Sinn gekommen, sein Pferd Thoki vielleicht doch nach Osten zu treiben über die Grenze in das Reich der Schweden. Dorthin, wo er die Hütte der schönen Völva Thurid wusste, die ihm prophezeit hatte, dass sie sich wiedersehen würden. Im letzten Sommer, als er seine Skaldenkunst im Norden verbreitet hatte, war sie es gewesen, die ihm in einem Unwetter Unterschlupf gewährte. Und da die junge Völva Thurid ein schönes Weib war und sie sich dem Rune zugetan zeigte, geschah es, dass er mit ihr das Schlaflager teilte. Die Worte des alten Wahrsagers aus Sotenäset aber, die ihm nicht aus dem Kopf gingen, ließen ihn auf seinem Weg bleiben. Sein Ziel war ein anderes!

Noch wusste Rune nicht, wie Jarl Siegmar bei seinem Anblick handeln würde, schließlich war er nicht nach Frigghavn zurückgekehrt, nachdem er sein Weib, die Tochter des Jarls, aus den Fängen des Sklavenhändlers Styrbjörn Arnarsson befreit hatte. Sicherlich hatte Siegmar auf die Heimkehr seiner Gesippen gewartet und war wenig erfreut, dass diese nicht kamen. Sicher glaubte er sie tot.

Als Rune endlich Frigghavn erreichte, waren einige Tage vergangen, denn er hatte fast das gesamte Ufer des großen Fjordes umreiten müssen, und so kam er nun von Norden auf die Siedlung Jarl Siegmars zu geritten. Rune hatte es unterlassen, an seinem alten Hof zu rasten. Denn diesen gab es nicht mehr! Er war niedergebrannt, so wie auch sein Knecht und sein Vieh. Nur der treue Thoki war ihm nach dem Angriff der Schweden im letzten Sommer geblieben. Und seine Familie hatte man in die Sklaverei verschleppt, doch Rune und sein Gefährte Thorbart hatten diese, mit Odins Heil befreit.

Langsam schritt Thoki auf die Siedlung zu und schon von weitem erkannte Rune den Krieger, der auf dem Weg in die Siedlung Wache stand. Gelangweilt auf seinen Speer gestützt, stand der Mann im Schatten eines Baumes. Rune kannte den Krieger und dieser erkannte auch ihn, als er heran kam. „Bei Lokis pickeligem Arsch! Rune, der Skalde!

Bist du es wirklich?“

„Ja, Gorm! Ich bin es wirklich“, lachte Rune.

„Wir glaubten dich tot! Jarl Siegmar ist in Trauer um seine Gesippen“, sprach der Wächter. „Wo hast du dich rumgetrieben?“

„Das erzähle ich dir ein anderes Mal“, rief Rune grinsend, denn er hatte Thoki nicht gezügelt, sondern war an dem Wächter vorbei geritten. Staunende Blicke begleiteten den Reiter bis auf den Hof des Jarl Siegmar. Vor dem Langhaus stieg er vom Rücken seines Pferdes und band dieses an einen Pflock.

Als Rune in die Halle des Hauses trat, wurde es still. Neben Jarl Siegmar saßen mehrere Männer an den Tische, Krieger des Jarls, aber auch Männer aus dem Dorf. Keiner sprach mehr ein Wort und sie starrten den Mann an, als stünde ein Geist vor ihnen.

„Rune?“ Die Stimme des Jarls klang zögerlich. „Skalde, bist du es wirklich?“

„Ja, Siegmar! Ich bin es!“

„Aber,… aber wir hielten dich für tot! Wir glaubten euch alle bei der Hel“, stotterte der Jarl ungläubig. „Ich lebe, wie du siehst.“

Noch immer herrschte Stille, doch als sich der Jarl erhob, fingen die Anwesenden an zu jubeln. Siegmar trat auf Rune zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Ich freue mich, dich zu sehen“, doch dann stockte er und sprach nur zögerlich weiter. „Wo ist Thorbart? Was ist geschehen?“

Nun war es Rune, der schwieg. Er versuchte seine Gedanken zu sammeln, suchte nach Worten. Er hätte den Jarl, der sein Schwiegervater war, belügen können, doch er wollte den Mann keineswegs schonen, schließlich war er gekommen, um diesem Mann Schlechtes anzutun. Ja, er war gekommen, um Siegmar zu töten!

„Sind sie tot?“, drängte Siegmar den Skalden. „Los, sprich endlich?“

Nun klang der Jarl nicht mehr freundlich. „Wo ist mein Weib Asrun? Wo ist meine Tochter Sigrun?“

Rune kratzte sich seinen Bart, doch dann sah er den Jarl mit festem Blick an und sprach: „Thorbart wird nicht nach

Frigghavn zurückkehren!“ „Was soll das heißen?“

„Das heißt, er hat sich von dir losgesagt“, erklärte Rune nun ohne Umschweife. „Er hat ein Weib gefunden und eine neue Heimat!“

Ungläubig sah Siegmar den Gemahl seiner Tochter an.

„Was wagt sich der Kerl? Ich bin sein Jarl, und er hat mir den Eid der Gefolgschaft geschworen“, rief er böse aus, und Rune sah, wie sich das Gesicht des Siegmar rot färbte. Es war die Farbe des Zornes!

„Du hast nur Schlechtes über uns gebracht, und darum war er nicht mehr bereit, dir zu folgen!“ Die Stimme des

Sachsen war kalt, und der Zorn und der Ärger des Jarls erfreuten ihn.

Siegmar schnaubte wie ein wütender Stier, doch er kämpfte damit, seine Wut zu unterdrücken. Er wandte sich ab und ging zu seinem Hochstuhl, um darauf Platz zu nehmen. Tief atmete er ein, und es schien, als spürte er, dass er an diesem Tage keine guten Nachrichten erhalten würde.

„Wo ist mein Weib?“, fragte er knapp. „Wo ist Asrun? Wo ist mein ungeborenes Kind? Mein Befehl lautete, du solltest nicht eher heimkehren, bis du sie und Sigrun gefunden hast!“

Der Jubel in der Halle war längst wieder verstummt, und alle horchten nun gespannt auf die Worte des Sachsen. Nicht wenige waren der Meinung, dass dieser sich um Kopf und Kragen reden würde. Rune aber blieb ganz ruhig und sprach: „Ich bin nicht heimgekehrt, denn dies ist nicht mehr meine Heimat!“

Aus schmalen Augenschlitzen sah der Jarl sein Gegenüber an. Dieser aber sprach weiter: „Deine Tochter lebt, und sie ist wieder eine freie Frau, so wie auch meine Kinder wieder frei sind! Du aber hast Schuld, dass ich meinen Hof und all mein Eigentum verloren habe. Auch ich werde nicht mehr deinen Befehlen folgen und werde Frigghavn für immer verlassen!“

„Du bist ein mutiger Mann, Rune! Mutig, aber dumm“, zischte ein Krieger namens Ragnar, der Bartlose, dem Skalden zu. „Glaubst du etwa, dass er dich jetzt noch ziehen lässt?“

Der Jarl gab ein Zeichen, und zwei seiner Krieger erhoben sich und traten neben den Sachsen. Die beiden Krieger griffen aber nicht zu, sahen den Rune nur verwundert an, denn die Drohungen des Jarls schienen ihn wenig zu beeindrucken.

„Wieviel liegt dir am Leben deines Weibes Asrun?“, fragte der Skalde frech.

„Was soll das heißen?“ Siegmar ahnte nun Schlimmes, und Rune sprach einen Vers.

Jarls Ungehorsam Übles bringt,

Schwedenwut ihn niederringt.

Weib und Tochter sind nun fort,

verschleppt an einen fremden Ort.

Odins Heil zur Fährte führt,

die Sklaven bald sind aufgespürt.

Sklavenfänger an Hels Pforte klopft,

Lebenssaft vom Axtblatt tropft.

Mit Mut und Schwert erringt das Pfand

des Jarls Weib in des Skalden Hand.

Odins Wille ist des Skalden Wut,

sie tut dem Jarl wohl wenig gut.

Wütend sprang der Jarl auf. „Du elender Hundsfott! Wenn du es wagst, Asrun auch nur ein Haar zu krümmen, wirst du es bereuen“, keifte er. „Ich lasse dich in Streifen schneiden, Skalde! Du bist nichts weiter als ein elender Sklave, eine hinterhältige Schlange!“

„Ich bin das, was du aus mir gemacht hast, Jarl Siegmar, und nun hör mir zu! Erinnerst du dich daran, wie sehr sich das Messer der Sigrun nach dem Hals deines jungen Weibes sehnt? Kehre ich nicht heim, ist das der Asrun Ende“, log Rune frech weiter. „Du siehst: Willst du dein Weib noch einmal zu Gesicht bekommen, musst du mich gehen lassen!“

Schon einmal hatte Sigrun versucht, ihre verhasste Stiefmutter Asrun zur Hel zu schicken, und Siegmar zweifelte nicht daran, dass die Schildmaid dazu fähig war.

„Du hast mich in der Hand! Aber nun sage mir, was willst du hier?“

„Ich kam hierher, um Rache zu nehmen! Rache für den Tod des Schmiedes Askold!“ Runes Blick war starr und von Hass erfüllt.

„Der Kerl hat versucht mich zu betrügen, darum starb er, das weißt du genau“, rief Jarl Siegmar wütend.

„Du lügst, das weißt du so gut wie ich“, entgegnete der Skalde, „und wir alle wissen, warum Askold damals sterben musste.“

„Ich habe dich zu einem freien Mann gemacht, Rune, und so dankst du es mir?“, verteidigte sich der Jarl.

„Du nahmst mir den väterlichen Freund, denn du wolltest den Sklaven Rune für dich. Du machtest mich zum Mordknecht, und deine Schuld ist es, dass ich alles verlor, was ich jemals besaß. Doch es ist der Götter Wille, dass wir Menschen für unsere Taten einstehen müssen!“

„Dummes Geschwätz eines Skalden! Schluss damit, packt ihn!“, entschied Siegmar wütend, und die beiden Krieger folgten seinem Befehl.

Rune aber wandte sich um, schlug dem einen Angreifer seine Faust in das Gesicht, so dass dieser zurücktaumelte, schnell zog er den Sax aus der ledernen Scheide und schlug damit nach dem Jarl. Die scharfe Klinge aber verfehlte ihr Ziel, und so kam der Jarl mit einer Schramme davon. Die Gelegenheit zu einem zweiten Streich gegen den Siegmar hatte Rune nicht, der zweite Krieger warf sich schützend vor seinen Herrn und bezahlte dies mit seinem Leben, denn die Klinge des Sachsen hatte sich in seinen Hals geschlagen. Jetzt, nachdem der erste Schreck verflogen war, stürmten die anwesenden Krieger mit erhobenen Schwertern ihrem Jarl zu Hilfe, und Rune blieb nur die Flucht. Er lief aus dem Langhaus, warf sich in den Sattel seines Pferdes und schlug diesem die Hacken in die Flanken. Gerade noch zur rechten Zeit, denn die Krieger waren ihm dicht auf den Fersen.

Thoki war ein schnelles Pferd, trotzdem war Rune, als hätte ihn der Blitz aus dem Hammer des Thor getroffen. Schmerz durchfuhr seinen Körper, und er hatte Mühe sich im Sattel zu halten, als er, vorbei an dem erstaunten Gorm, aus der Siedlung ritt.

*

Es war noch früh am Abend, als die Tür der Kaschemme am Rande des großen Platzes von Haithabu geöffnet wurde und fünf Männer den großen Raum betraten. Einer dieser Männer war der rotbärtige Gunnar!

Es waren nur wenige Gäste in dem Schankraum, so dass die jungen Huren an einem Tisch zusammen saßen. Mit ihnen saßen Eira und Thorbart an dem Tisch. Sofort schweiften die Blicke der Anwesenden zur Tür, und während sich die Augen der Gäste wieder abwandten, blieben die Blicke der Eira und des Thorbart auf den neuen Besuchern haften. Eira erhob ihren üppigen Körper und trat auf die Männer zu.

„Gunnar! Du hast dich lang nicht sehen lassen. Sei mir willkommen“, sprach sie und grinste dabei frech, denn sie wusste ja, warum der Rotbart nicht mehr aufgetaucht war. Schließlich hatte Thorbart ihm und seinen Gefährten im letzten Sommer die Zechprellerei ausgetrieben. Woraufhin das Weib den einstigen Hauptmann Jarl Siegmars in ihr Bett holte und ihn dazu brachte, an ihrer Seite zu bleiben.

„Geh mir aus dem Weg, Eira, wir sind nicht wegen deiner Huren hier.“ Unsanft stieß er das Weib zur Seite, und die Männer stürmten auf den Thorbart zu. Gunnar traf die Faust des dunkelhaarigen Mannes mit dem grauen Bart, der einmal der Hauptmann des Jarls von Frigghavn gewesen war. Der Rotbart fiel stöhnend auf den staubigen Boden der Kaschemme, doch die anderen vier Männer hatten sich auf den Thorbart geworfen und schlugen nun auf den großen Mann ein. Die Huren schrien vor Entsetzen, stoben auf wie erschrockene Hühner und flatterten aus der Kaschemme. Eira keifte die schlimmsten Flüche, wollte nach den Männern treten, doch sie erhielt einen kräftigen Hieb von Gunnar, der sich erhoben hatte. Daraufhin flüchtete auch sie in einen der beiden hinteren Räume des Hauses.

„Ich hätte größte Lust, dich totzuprügeln, du Dreckskerl, aber Jarl Styrbjörn will, dass du redest“, zischte Gunnar den Thorbart an. „Das wird dich nicht retten, aber vorher wirst du mir noch einige Fragen beantworten.“

Die vier Kerle hatten alle Hände voll zu tun, Thorbart zu halten, obwohl dieser bereits ziemlich übel zugerichtet war.

„Wo ist der Kerl, der Ubbe getötet hat? Dieser Skalde!“ Der Dunkelhaarige schwieg und spuckte stattdessen seinem Gegenüber das Blut aus seinem Mund in sein Antlitz.

Da traf ihn erneut die Faust des Gunnar in sein Gesicht.

„Rede, oder wir schicken dich zur Hel! Du stinkender Hurentreiber!“

Unbeachtet von den Schergen des Styrbjörn Arnarsson war es Eira gelungen, das Schwert des Thorbart aus der Wohnkammer zu holen. Nun stürmte sie mit der erhobenen Klinge in den Schankraum, und die Kerle ließen von dem Thorbart ab, um selbst zu den Schwertern zu greifen. Diesen Moment nutzte Thorbart, um sich einen der Kerle zu greifen. Noch bevor dieser sein Schwert aus dem Wehrgehäng ziehen konnte, hatte Thorbart sein Messer in der Faust, und die Klinge bohrte sich tief in den Hals des Gegners. Gurgelnd sackte der Mann zu Boden, und noch ehe sein Leichnam den Boden berührte, hatte Thorbart dessen Schwert gezogen.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und eine der geflohenen Huren rief herein: „Es naht Hilfe! Die Stadtwache kommt!“

Eines der Mädchen war hinüber gelaufen zu den Langhäusern in der Nähe der großen Methalle, in der sie die Krieger des schwedischen Hersen von Haithabu wusste, und hatte diese um Hilfe gebeten. Und da das Bordell auch bei den Kriegern höchste Wertschätzung genoss, waren sofort einige Männer bereit, nach dem Rechten zu sehen.

Als Gunnar und seine Männer die Worte der jungen Sklavin hörten, stürmten sie aus dem großen Raum ins Freie und verschwanden in den Gassen von Haithabu.

„Ihr lebt“, atmete das junge Weib auf. „Ich befürchtete schon, ich komme zu spät!“

Kurz darauf erschienen auch zwei Männer der Wache, sie sahen sich um und traten vor die Eira. „Was ist hier los,

Weib?“, fragte der eine streng, und Eira berichtete von dem Überfall der Männer des Styrbjörn Arnarsson. Doch Thorbart unterbrach das Weib, mit dem er seit dem letzten Sommer das Schlaflager teilte.

„Es war eine Prügelei, wie sie in einer Kaschemme nun einmal vorkommt“, log er. „Die Kerle sind fort, und damit soll es gut sein!“

„Du siehst ja schön aus, Thorbart. Die haben dir ziemlich übel mitgespielt“, stellte der Wachmann grinsend fest. „Die Männer von diesem Möchtegernjarl Styrbjörn machen immer wieder Ärger.“

„Ach was, nur ein paar Kratzer“, wiegelte der stämmige Kerl ab, da zogen die beiden Krieger grinsend wieder ab.

„Was soll das, Thorbart?“, fragte Eira erstaunt.

„Bei allen Riesen von Jotunheim22, der Arsch dieses Gunnar gehört mir“, grunzte Thorbart böse. Er setzte sich wieder an den Tisch, und die junge Hure kam mit einem Kübel kalten Wassers und begann damit dem Mann seine Wunden auszuwaschen.

„Ich muss Rune finden“, sagte er plötzlich, nahm dem jungen Weib den feuchten Lappen aus der Hand und warf diesen in den Kübel zurück.

Eira sah ihn erschrocken an. „Du willst mich verlassen?“

„Ach was! Ich werde nicht lang fort sein, denn ich weiß ja, wo ich Rune finde. Er muss erfahren, dass dieser Styrbjörn noch lebt! Also werde ich nach Vingulmark segeln!“

*

Vornübergebeugt lag Rune auf dem Rücken seines Pferdes, und das schlaue Tier brachte ihn an einen sicheren Ort.

Fernab von dem Weg, der in die Siedlung führte, war Thoki in einen Wald gelaufen.

Auf einer kleinen Lichtung machte er halt und verharrte, bis sein Reiter langsam aus dem Sattel rutschte. Unsanft fiel dieser zu Boden, doch der Schmerz ließ ihn erwachen. Er richtete sich auf und es dauerte einen Moment, bis Rune seine Gedanken geordnet hatte. Umständlich begann er die Schulter abzutasten und zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, als er den Schaft des Pfeils berührte, der ihm aus seinem Rücken ragte.

Rune griff nach dem Schaft und brach das obere, befederte Ende des Geschosses ab. Wieder durchzuckte ihn ein heißer Schmerz, und er sank stöhnend auf die Knie. Langsam robbte er zu einem Baum und entledigte sich mühsam seiner Tunika, dem Hemd mit der schönen Borte.

Dann fischte er nach dem Stück eines abgebrochenen Astes, der vor ihm auf dem Waldboden lag, diesen schob er sich zwischen die Zähne.

Mit aller ihm verbliebenen Kraft ließ er sich rücklings gegen den Baumstamm fallen.

Die Spitze des Pfeils bohrte sich durch die Schulter des Skalden, das Holzstück mit den Bissspuren seiner Zähne fiel ihm aus dem Mund, und ein gellender Schrei entfuhr seiner Kehle. Vögel erhoben sich erschrocken krächzend aus den Wipfeln der Bäume und flogen davon.

Einen kurzen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen, doch er kämpfte gegen die Ohnmacht an. Sein Blut floss ihm über die nackte Brust, während Rune tief atmend an den Baustamm gelehnt dalag. Nun griff er nach dem Pfeil und zog diesen aus seinem Körper. Ein großes Stück Moos, das auf einer der dicken Wurzeln des Baumes wuchs, riss er ab und drückte dieses fest gegen die Wunde. Dann schloss er seine Augen.

Es war Thoki, der dicht neben Rune an Flechten knabberte, welcher den Sachsen erwachen ließ. Langsam öffnete er seine Augen und ihn fröstelte. „Thoki, mein Freund“, sprach er leise und legte dem Pferd seine Hand auf die Stirn.

„Odin hat uns wohl sein Heil genommen. Was werden wir jetzt tun?“ Er griff nach dem Moosklumpen, der blutgetränkt auf seiner Schulter lag, und hob diesen vorsichtig von der Wunde ab. Es schien, als würde das Blut langsam verkrusten, doch was wusste er schon, er war ja kein Heiler.

„Eines steht fest,… wir müssen fort von hier! Sicher suchen die Krieger Jarl Siegmars längst nach mir!“ Noch einmal riss er ein Stück Moos von der Wurzel ab und legte dieses auf die Wunde. Dann griff er nach seiner Tunika und zog diese über.

„Thurid“, entfuhr es ihm leise. Als wolle Thoki seinem Herrn zustimmen, begann dieser zu wiehern.

„Es wird ein langer Ritt, mein Freund, doch sie wird wissen, was zu tun ist!“

Am Abend desselben Tages hatte Rune das Grenzgebiet zum Gau Vingulmark erreicht und ritt dann nach Osten. Nun aber schwanden seine Kräfte, und er begann daran zu zweifeln, die Hütte der jungen Völva je zu erreichen. Im Schatten eines kleinen Hains lagerte er und verbrachte dort die Nacht.

Das Feuer in seinem Körper brannte heiß, schüttelte den entkräfteten Leib, ließ den Mann stöhnen. Langsam trat der Alte auf ihn zu. Sein Bart war lang, und das windgegerbte Antlitz war kaum zu erkennen, denn seinen Schlapphut hatte er tief in sein Gesicht gezogen. Sein Finger zeigte auf Rune, und seine Lippen bewegten sich, doch der Sachse vernahm kein Wort. Plötzlich aber verschwamm das Bild des Alten, und vor Runes Augen erschien ein weißes Pferd, geritten von einem schönen, jungen Weib. Ihr langes, blondes Haar lag auf ihren Schultern, und in der Hand hielt sie einen langen, geschmückten Stab. Eine zarte Hand berührte sein Gesicht, und wie durch einen dichten Schleier vernahm er ihre liebliche Stimme.

Zögernd öffnete Rune seine Augen. Sein Blick fiel auf die Balken, die das Dach einer Hütte stützten. Bündel von getrockneten Kräutern hingen daran herunter. Jetzt erst bemerkte er, dass er sich auf einer Bettstatt befand, und als er an seinem nackten Körper herabsah, erkannte er auch, dass seine Schulterwunde versorgt worden war.

Langsam hob er seinen Kopf, sah sich um und erkannte den Raum. Ja, er kannte diese Hütte!

Plötzlich wurde die Tür geöffnet und ein junges Weib trat ein. Auf ihren Armen trug sie einige Holzscheite, und als sie sah, dass Rune erwacht war, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Lege dich nieder“, befahl sie mit gespielter Strenge, legte das Holz neben die Feuerstelle und trat dann an das Bett heran. Sie legte ihm ihre zarte Hand auf die Stirn. „Dein Fieber ist gesunken“, sprach sie leise. „Du wirst gesunden!“

„Thurid,… schöne Thurid, wie komme ich hierher?“

„Ich holte dich“, antwortete sie ruhig.

„Aber woher … wie konntest du wissen …?“, stotterte Rune.

„Ich bin eine Völva, hast du das vergessen? Ich spreche mit den Göttern.“ Sie lächelte ihn an und schob ihn zurück auf das Lager. „Und hast du vergessen, Skalde, du bist ein von Odin Geliebter?“

Er versuchte zu lächeln, schloss seine Augen und schlief ein.

Rune wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, er wusste auch nicht, wie viele Tage er schon in der Hütte der Völva verbracht hatte, doch er fühlte sich besser. Seine Schmerzen hatten nachgelassen, und er spürte, wie die Kraft und das Leben in seinen Leib zurückkehrten.

Thurid saß mit geschlossenen Augen und völlig entkleidet an der Feuerstelle, aus einem ehernen Töpfchen stieg duftender Qualm auf, der die Völva umgab.

Sein Blick lag wie gebannt auf dem Weib, auf ihrem goldenen Haar, auf ihrem schönen Antlitz, auf ihren Brüsten. Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit und er dachte an die Zeit im letzten Herbst, die er mit Thurid verbracht hatte. Da öffnete sie ihre Augen, sah Rune streng an und erhob sich. Sanft drückte sie ihn zurück auf das Schlaflager und schwang sich auf den nackten Leib des Skalden, als bestiege sie ein Pferd.

Aller Schmerz war vergessen, während er in das schöne Weib eindrang und es kam ihm vor, als hätte er die junge Völva nie verlassen.

„Wie lange bin ich schon dein Gast, schönste Dienerin der Freya?“, fragte Rune erschöpft, und das Weib, welches immer noch schwitzend auf ihm saß, antwortete: „Es sind fünf Nächte vergangen, seit ich dich hierher brachte. Ich gab dir einen Trank, der dich in einen tiefen, heilsamen Schlaf fallen ließ. Deine Wunde wird heilen, so dass nur eine Narbe zurückbleibt. Und wie ich spüren konnte, kommen auch deine Kräfte zurück.“

Langsam begann sie noch einmal ihre Hüften kreisen zu lassen, und den Rune durchströmte ein wohlig-warmes Gefühl, das sogleich seine Männlichkeit erregte.

Einen vollen Mond blieb der Skalde bei dem Weib, und wie sie es versprochen hatte, heilte seine Wunde gut. Doch es kam so, dass ihm die Götter erneut den Schlaf raubten, ihn die bösen Träume heimsuchten und er das Antlitz Odins sah.

„Lies mir aus den Runen, Thurid“, bat er eines Abends.

„Sage mir, ob die Worte des alten Weissagers die Wahrheit sprachen. Warum nahm mir Odin mein Heil?“

Die kleinen Knochen, in die die Runen geritzt waren, fielen in den Staub, und die Völva begann darin zu lesen. Gebannt starrte Rune in ihr Gesicht, doch er konnte in ihrem Antlitz nicht lesen.

„Das Feuer brennt, und es erlischt erst, wenn Unrecht gesühnt wurde“, sprach sie leise. „Das Heil des Göttervaters zu erlangen, soll deine Pflicht sein.“

Plötzlich sah sie den Rune streng an. „Vieles ist Trug, das der Skalde glaubt!“

Fragend sah der Skalde das Weib an. „Ich verstehe die Worte nicht. Was wollen die Götter mir sagen?“

Mit flinken Fingern verstaute die Völva die Knochen in einem kleinen Fellsäckchen. „Es wird der Tag kommen, an dem du verstehst!“

Zwei Tage vergingen, da trat Thurid vor den Skalden. In ihren Händen hielt sie seinen Gürtel mit dem Messer und dem Sax. Fragend sah Rune die schöne Völva an, und diese reichte ihm den Gürtel. „Es ist an der Zeit für dich zu gehen.

Du musst dem Willen Odins folgen, denn es gibt für dich noch etwas zu tun!“

„Werde ich dich wiedersehen, schöne Thurid?“

Das Weib lächelte. „Geh nun!“