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Der Fund der Leiche des Nachtwächters auf Schacht II der Zeche Hugo, gibt den Kripobeamten Thom und Rudnick große Rätsel auf. Warum hat man den Mann getötet? Und warum hat der Wachhund Rocky sein Herrchen nicht verteidigt? Doch die Ermittlungen bringen Licht ins Dunkel! Nach dem Fußballspiel Schalke 04 gegen Bayern München findet man im Bärenpark einen toten Schalke-Fan. Und genau dieser Mann ist Johnny bereits im Stadion aufgefallen. Der Fall zieht seine Kreise bis nach Spanien, und wird Johnny Thoms Zukunft beeinflussen. Ein weiterer Fall führt Johnny in die Rockerszene, denn im Löwenpark hat man einen Mann an den Zaun gekettet, und die sterblichen Überreste tragen die Kutte eines stadtbekannten Motoradclubs. Fiel er einem Racheakt zum Opfer? Als man die Gelsenkirchener Freundin des Mannes, die einem Düsseldorfer Club angehört, ebenfalls getötet auffindet, weist dies auf einen Zwist zwischen zwei Clubs hin. Während Johnny im Alleingang ermittelt, wird seine neue Freundin bedroht.
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Seitenzahl: 292
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Rainer W. Grimm wurde 1964 in Gelsenkirchen / Nordrhein -Westfalen, als zweiter Sohn, in eine Bergmannsfamilie geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie und seinen beiden Katzen im längst wieder ergrünten Ruhrgebiet. Mit fünfunddreißig Jahren entdeckte der gelernte Handwerker seine Liebe zur Schriftstellerei. Als unabhängiger Autor veröffentlicht er seitdem seine historischen Geschichten und Romane, die meist von den Wikingern erzählen, sowie auch Science-Fiction Romane und die Krimis von Hauptkommissar Johnny Thom.
DER TOTE AUF SCHACHT II
1. Das Ende des Nachtwächters
2. Wo ist Rocky?
3. Unerwartetes Wiedersehen
4. Die Schieberbande
5. Liebschaft
6. Ein tierischer Zeuge
BLAU UND WEIß BIS IN DEN TOD
1. Der Schalke Fan im Gebüsch
2. Häusliche Gewalt
3. Das endgültige Ende
4. Der entscheidende Zeuge
5. Kiste auf dem Dachboden
THE LION SLEEEPS TONIGHT
1. Katzenfutter
2. Der Zwilling
3. Ein alter Bekannter
4. Ein Vögelchen namens Ela
5. Der Mann im Schrank
D unkelheit lag über dem Gelände, als Kurt Röber mit seinem deutschen Schäferhund Rocky die zweite Runde ging. Er war der Nachtwächter und hatte einen vorgegebenen Weg, den er mehrmals in der Nacht ablief. Irgendwann erreichte er wieder die Straße, die entlang der Halle mit der Kohlenwaschanlage, zum großen Silo führte, in dem die Wäscheberge, wie man das aus der Kohle gewaschene Geröll nannte, auf seinen Abtransport wartete. Viel war um diese Uhrzeit nicht mehr los, auf dem Gelände des Bergwerks Hugo Schacht II in Gelsenkirchen-Buer. Er ging etwas seitlich an der Wand entlang, als plötzlich eine Gestalt aus dem Dunkel einer Mauerecke heraustrat. Kurt Röber erschrak zuerst, doch sein Hund blieb ruhig. Im spärlichen Licht, der Straßenbeleuchtung erkannte er sein Gegenüber. „Watt machs du denn hier?“, fragte er erstaunt, doch statt einer Antwort, traf ihn eine Eisenstange gegen den Kopf. Ein zweiter Schlag traf den Hund, und dieser lief jaulend davon. Zwei weitere Schläge, beendeten das Leben des Nachtwächters. Der Mörder warf die Stange von sich, packte den Toten und zerrte ihn in das Dunkel der Mauerecke, in der er sich zuvor verborgen gehalten hatte.
Dann verschwand der Angreifer.
Zwei große grün-orangene Kippmulden-LKW des Subunternehmers zogen in der Nacht ihre Kreise auf dem Gelände, und beförderten die Gesteinsberge von dem großen Silo der Kohlenwaschanlage auf die Halde hinauf. Sie fuhren auf der Werksstraße zwischen den Gebäuden hindurch unter das Silo. Der Fahrer hängte sich aus dem Fenster des amerikanischen MACK Trucks, und angelte nach dem Kabel mit der Bedienungseinheit. Dann betätigte er den Knopf zum befüllen, und auf der Anzeige der Waage, auf der das Fahrzeug stand, sah er das Füllgewicht der orangefarbenen Mulde. Bei vierzig Tonnen, ließ er den Knopf los. Das Silo wurde geschlossen, und der MACK konnte wieder losfahren. In einem großen Bogen fuhr er auf die Wäschehalde zu, wo sich die Werksstraße in Serpentinen den Berg hinauf schlängelte. Im Dunkeln sah der Fahrer gut die Scheinwerfer des zweiten Trucks, der gerade den Berg hinunterfuhr. Jetzt bei Nacht gab es ausserhalb der Gebäude so gut wie keine Tätigkeiten. Einzig der Nachtwächter und sein deutscher Schäferhund streiften über das weitläufige Gelände. An einer Stelle der Straße konnte man, im Schein der Fahrzeugbeleuchtung, auf einen kleinen Teich heruntersehen, und an dieser Stelle begegneten sich die beiden LKW normalerweise. Die beiden Fahrer grüßten sich, und unterhielten sich über ihren Werksfunk, den sie an Bord hatten. Nach einer Weile bog der zweite Truck in den bebauten Teil des Geländes ein, während der andere die Straße auf den Berg hochfuhr. Die Lichtkegel der Scheinwerfer wurden während der Kurvenfahrt kurz auf die Backsteinwand des einen Gebäudes der Kohlenwaschanlage geworfen, und der Fahrer erschrack. Lag da etwa jemand? Er hätte darauf wetten können, dass da jemand gelegen hatte!
Langsam fuhr der Truck auf die Waage. Er griff aus dem Fenster und schnappte sich das Bediengerät. Mit lautem Scheppern und Krachen füllte sich die Kippermulde mit Wäschebergen. Es dauerte nicht lange, da fuhr der MACK weiter. „He, Junge“, sprach der Fahrer in das Mike seines Funkgerätes.
„Ja, Vadder, watt is?“
„Wo bisse jetz, Junge?“
„Ich komm grad den Berch runner! Wieso?“
„Wenne hinten bei dem kleinen Kohlesilo reinfährs, dann kuck ma anne Wand im Lichtkegel. Ich glaub da liecht einer!“
„Wie, da liecht einer?“
„Mensch Ingo, stell dich doch nicht doof! Datt sieht aus, als würde da einer liegen! Also, achte ma drauf!“
„Ja, Vadder, mach ich!“
Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis der MACK die Stelle erreichte, und bald darauf dröhnte aus dem Lautsprecher in dem Truck der gerade auf dem Berg seine Ladung ablud, die aufgeregte Stimme des Sohnes des Firmeninhabers. „Hallo, Pforte! Ja, Ingo Mückel hier!“
„Ja, hier die Pforte, Tor eins. Watt is los, Ingo?“, fragte eine Stimme aus dem Lautsprecher.
„Hömma, du muss ma die Polizei rufen“, sagte Ingo Mückel. „Hier am kleinen Kohlesilo liecht ein Toter. Ich glaub, datt is der Nachtwächter!“
Johnny hatte vielleicht seit einer Stunde geschlafen, als sein orangefarbenes Telefon klingelte. Er öffnete die Augen und sah auf seinen Radiowecker. Es war kurz nach Zwölf.
Langsam griff er nach dem Hörer des Telefons, und musste erstmal seinen trockenen Hals räuspern, bevor er seinen Namen nennen konnte. Auch Mr. Flocke, der weiße Kater, der neben Johnny auf dem Kopfkissen lag, hatte neugierig seinen Kopf gehoben, sich dann aber wieder schlafen gelegt.
Er kannte diese Tortur bereits, und störte sich nicht mehr daran. Der weiße Kater war Johnny inzwischen sehr ans Herz gewachsen. Allerdings erinnerte der kleine Kerl ihn auch an seine Ex-Verlobte Anja, die ihn in einer Nacht und Nebel Aktion verlassen hatte, und mit ihrer Jugendliebe nach Kanada abgehauen war. So waren ein Paar ungebrauchte Eheringe und Mr. Flocke alles, was ihm von Anja geblieben war, denn sie hatte ihm den Kater geschenkt.
„Thom“, meldete sich Johnny. „Dienststelle Buer hier. Herr Hauptkommissar wir haben leider einen Toten. Auf dem Zechengelände Hugo Schacht II, Düppelstraße.
Die Spurensicherung und der Pathologe sind unterwegs.
Kommissar Rudnick ist auch benachrichtigt.“
„Allet Kla. Ich mach mich auffen Wech!“ Er legte den Hörer auf, und setzte sich auf die Bettkannte. Sein Blick fiel auf den kleinen Kater, der wieder eingeschlafen war. „Du hasset gut!“
Johnny zog seine Socken an, und schlüpfte in seine Wrangler-Jeans. Er griff nach seinen braunen Cowboystiefeln und zog einen nach dem anderen an. Dann nahm er sein T-Shirt und ging ins Badezimmer.
Es dauerte ungefähr zwanzig Minuten bis Johnny sich die Waffe an der linken Hüfte befestigte, die Schlüssel aus der Schale auf dem Sideboard nahm, und seine Wohnung verließ.
*
Johnnys geliebter weinroter BMW Zweitausendnullzwo tii von Zweiundsiebzig, hielt an der Pforte von Tor eins. Er stieg aus dem Auto und ging zu dem Schiebefenster. Der Mann hinter der Scheibe öffnete die kleine durchlöcherte Sprechklappe. Der Hauptkommissar hob seinen Dienstausweis an die Scheibe. „Sie müssen dieser Straße folgen, und an den Gebäuden vorbei. An allen! Dann da hinten rechts, und an dem ersten Kamin wieder rechts. Dann müssten sie ihre Kollegen schon sehen.“ Johnny dankte, und stieg wieder ein. Der Schlagbaum hob sich, und der BMW fuhr auf das Zechengelände. Die Straße war in diesem Bereich noch gut beleuchtet, aber das sollte sich ändern.
Nachdem Johnny zum ersten Mal abgebogen war, wurde es ziemlich dunkel. Und der Kamin war auch nicht wirklich zu erkennen. Nur die Positionslampen im dunklen Himmel, blinkten abwechselnd auf. Zum Glück konnte er sich am Schein des Blaulichtes der Fahrzeuge der bereits anwesenden Kollegen von der Schutzpolizei orientieren.
Johnny hielt neben einem der Streifenwagen, und stieg aus.
„Gute Nacht“, grüßte er, und trat zu einem der ihm bekannten Uniformierten. „Wie sieht et aus, Andi?“
„Moin, Johnny“, erwiderte dieser. „Der Tote ist wohl der Nachtwächter.“ Er zeigte zu den beiden LKW-Fahrern. „Die beiden Fahrer haben ihn gefunden, und uns benachrichtigt.
Wir haben ihn noch nicht durchsucht. Damit wollten wir auf die Spusi warten.“
„Ok, Andi. Dann baut ma paa Lampen auf. Die vonner Spusi müssten ja gleich da sein.“ Johnny hatte noch nicht ausgesprochen, da bog ein paar Scheinwerfer um die Ecke, des Gebäudes, das sich, wenn man nach oben sah, auf Grund der rot und weiß blinkenden Lampen, als riesiger Schornstein entpuppte. Das Fahrzeug kam näher und wurde neben Johnnys BMW gestoppt. Es war Fred Rudnicks hellblauer Opel. Er stieg aus und grüßte die Anwesenden.
Und dann ging es schnell. Erst kam der Kombi von der Spurensicherung, und kurz danach der dunkelblaue Ford Transit mit der Aufschrift Pathologisches Institut Essen.
Johnny und Fred standen bei dem Toten, der an der Backsteinwand lag. Der Kopf wies eindeutig Spuren von Gewalteinwirkung auf. Auch die Spusi hatte bereits ihre Arbeit aufgenommen. Der Fundort der Leiche war durch Standscheinwerfer inzwischen hell erleuchtet. Johnny und Fred traten zu den beiden LKW-Fahrern hinüber, die ihre Arbeit unterbrochen hatten, denn ihnen war nun der Weg zum Silo versperrt. „Moin! Mein Name is Hauptkommissar Thom, und datt is mein Kollege Rudnick. Sie haben die Leiche gefunden?“
Der jüngere Fahrer nickte. „Ja, eigentlich mein Vadder hier.“ Da mischte sich Fred ein, der seinen Block gezückt hatte. „Ihre Namen bitte.“
„Wir sind die Firma Mückel & Sohn. Manfred und Ingo.
Wir fahren hier die Wäscheberge.“ Fred schrieb Namen und Adresse auf. Und dann erzählte Ingo Mückel wie er den toten Nachtwächter gefunden hatte. „Hatten sie Kontakt mit ihm?“, wollte Fred wissen, doch der Vater schüttelte den Kopf. „Nee, eigentlich nie! Wir sahen den nur manchmal.
Aber normalerweise steigen wir nicht aus dem LKW aus.
Da grüßt man sich nur.“
„Sie steigen nicht aus? Die ganze Nacht nicht?“ Fred zeigte sich ziemlich erstaunt. „Na ja, vielleicht ma zum pissen, oben auffe Halde. Ansonsten fahren wir die ganze Nacht durch.“ Manfred Mückel erklärte, dass sie nach Gewicht bezahlt wurden. Vierzig Tonnen pro Fuhre. Je mehr Fuhren sie in der Nacht auf den Berg schafften, umso mehr verdienten sie.
„Is ihnen irgend watt aufgefallen?“, wollte nun Johnny wissen. „Personen auf dem Zechengelände oder hamse watt anderet gesehen?“
Der Sohn schüttelte den Kopf. „Nee, datt nich, abba der Hund is wech.“ Johnny horchte auf. „Wie?“
„Der hatte einen Hund. Einen deutschen Schäferhund, und der is nich mehr da.“
„Na klar, der Nachtwächter hatte einen Hund!“
Das leuchtete Fred ein. „Und haben sie den Hund irgendwo rumlaufen sehen?“ Die beiden Männer schüttelten ihre Köpfe. „Na gut, dann war et datt ersma.“ Johnny wandte sich ab, und ging zu dem Pathologen rüber. „Moin, Pedder!“
Er begrüßte seinen Freund Dr. Peter Lorenz, den er schon seit vielen Jahren kannte. „Na, Sheriff. Is ja ma wieder ne angenehme Zeit.“
„Datt kannze laut sagen, Quincy!“ Den Namen des amerikanischen Fernseh Pathologen hatte Johnny ihm schon vor Jahren gegeben, und dieser nannte den Hauptkommissar dafür Sheriff. „Und?“, fragte Johnny.
„Erschlagen! Wahrscheinlich mit dem Ding da.“ Der Pathologe zeigte auf eine Eisenstange, die neben dem toten Nachtwächter lag. „Er ist noch nicht lange tot. Ich schätze so zwei Stunden, mehr nich.“
„Datt wär zwischen zehn und halb zwölf Uhr. Also wirklich noch ziemlich frisch.“
„Sein Name ist Kurt Walter Röber. Fünfundvierzig Jahre alt.
Hier ist der Personalusweis und der Ausweis vom Wachdienst.“ Peter reichte Johnny die Ausweispapiere.
„Hasse irgendwo nen Hund gesehen?“
Der Pathologe schüttelte den Kopf. „Nee, gesehen nich, aber der hat hier am Gürtel ne Tasche mit Hundeleckerlis. Kann man eigentlich von ausgehen, dass er einen Hund bei sich hatte.“
„Wo is dann der Hund?“ Johnny sah sich um, was aber kaum Erfolg versprach, denn ausserhalb des Lichtscheins der Polizeischeinwerfer war es ja stockduster. „Kann ich den abtransportieren?“, fragte Dr. Lorenz, und Johnny nickte. „Wenn du soweit fertich bist. Wir brauchen ihn nicht mehr.“
„Gut, dann schicke ich euch den Bericht von der Obduktion.“ Der Pathologe erhob sich, und rief seinen Kollegen heran. „Sach ma, Johnny, wie geht et dir eigentlich ohne Anja? Nachdem aus der Hochzeit ja nichts geworden is.“
Die beiden Männer gingen einige Schritte zur Seite. So konnten die Leute von der Spurensicherung ihre Arbeit machen, ohne dass sie im Weg herumstanden. „Die is in Kanada“, sagte Johnny. „In Kanada! Echt jetz?“ Peter Lorenz war ziemlich erstaunt. Bei ihrem letzten Zusammentreffen hatten sie wenig Zeit, und außerdem wollte er Johnny nicht bedrängen. Darum hatte er über die Sache geschwiegen. Nun war aber schon einige Zeit vergangen, und er sprach das Thema an.
„Jau Kanada! Aber da füllt se sich nich wohl. Und ihr Ehemann is wohl auch nich dat Gelbe vom Ei.“ Da sah Peter seinen Kumpel erstaunt an. „Wie Ehemann? Hat die einen anderen geheiratet?“ Johnny nickte. „Kla, den Kerl mit dem sie nach Kanada is. Irgend son Adelsfuzzi, von Drängen oder so. Ihre Jugendliebe! Abba die hat bei mir angerufen, und mir die Ohren vollgeheult.“ „Datt hätte ich von ihr nich erwartet“, zeigte sich Peter Lorenz ziemlich enttäuscht. „Ach, lass se ma. Wenn er doch ihre große Liebe wa. Hat vielleicht doch besser zu ihr gepasst. Vielleicht hat da auch ihre Mutter nachgeholfen.
Abba mir is et inzwischen egal.“ „Und die hat bei dir angerufen?“ wunderte sich Peter Lorenz. Johnny nickte. „Ja, hatt se. Is wohl doch allet nich so prickelnd in Kanada. Abba unser Oppa hat immer gesacht: Wie man sich bettet, so liecht man!“ Da grinste Peter, und nickte.
Als Johnny seine Taschenuhr aus der kleinen Tasche der Wrangler Jeans zog und die Klappe öffnete, zeigte diese halb Vier an. Er hatte noch abgewartet bis der Pathologe abgefahren war, und sich dann von Fred verabschiedet.
Doch während dieser nach Hause fuhr, machte sich Johnny auf den Weg zu der Kohlewaschanlage. Er stellte den BMW ab, und ging durch eine große Eisentür in eine riesige Halle.
Ohrenbetäubender Krach kam ihm entgegen. Aus einem seitlichen Raum, kam ein Mann mit gelben Ohrenschützern auf dem Kopf, Johnny entgegen, und fuchtelte wild herum.
Er reichte Johnny einen solchen Ohrenschutz, und dieser setzte ihn auf. Mit erfreulichem Ergebnis!
Der Beamte folgte dem Mann in den Seitenraum, und atmete auf, denn hier war es ruhig. Sie nahmen die sogenannten Micky Mäuse ab, und Johnny bekam sofort eine Standpredigt gehalten. „Mann, bisse irre? Datt is doch gefährlich! Wer bisse überhaupt, und watt willste hier?“ In dem Raum befanden sich fünf Männer, die hier wohl die Nachtschicht schoben. Da die Anlage in der Regel alleine arbeitete, hatten sie meist nur überwachende Tätigkeiten.
Als Johnny die Aussentür geöffnet hatte, ging hier in dem Raum ein rotes Licht an. Darum war ihm der Vorarbeiter gleich entgegengekommen. Hier in der Halle stand die Anlage in der die Kohle von Geröll getrennt, gebrochen, sortiert, gewaschen und abtransportiert wurde.
„Ich bin Hauptkommissar Thom“, stellte sich Johnny vor.
„Ich hätte gerne gewusst, ob ihnen auffem Gelände watt aufgefallen is?“
„Wie watt aufgefallen?“, fragte der Vorarbeiter. „Wir hamm um zwölf Uhr inner Nacht unsere Schicht angetreten, und seitdem sind wa hier drin. Watt draussen passiert, kriegen wir nich mit!“
„Ja, genau datt is abba die Zeit, in der sie vielleicht watt gesehn hamm können. Zwölf Uhr oder knapp davor. Darum frach ich.“
„Watt is denn überhaupt los?“, fragte einer der Männer nun neugierig geworden. „Tja, et wurde eine Leiche gefunden.
Nich weit von hier.“ Der Hauptkommissar sah die Männer genau an, um ihre Reaktionen zu sehen. Doch da war nichts Auffälliges. „Watt is mit der Schicht, die sie abgelöst hamm?“, wollte Johnny wissen.
„Na, um halb Zwölf beginnt die Übergabe. Danach haun die ab.“
„Gut, da bräuchte ich die Namen.“
Der Vorarbeiter nickte, und kramte aus einem Schreibtisch eine Akte heraus. Er nahm einen Zettel und notierte dem Beamten darauf die Namen der Spätschicht. „Wann fangen die an?“, fragte Johnny noch. „Um sechzehn Uhr“, bekam er zur Antwort. Dann verabschiedete er sich, setzte die Micky Mäuse auf, und wurde von einem der Arbeiter zur Tür begleitet.
*
Nachdem Johnny sich in den BMW gesetzt, und den Motor angelassen hatte, griff er nach dem Radioknopf. Er drehte diesen um, und aus den Lautsprechern erklang Murray Head und sang „One Night in Bangkok“. Dann fuhr er los, verließ das Zechengelände, und überlegte kurz, ob er direkt ins Präsidium fahren sollte.
Es war bereits halb fünf Uhr durch, als Johnny seine Bessie in den Safe in dem kleinen Sideboard neben der Eingangstür, unter dem Kleiderhaken legte. Er ging ins Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich ins Bett. Mr.
Flocke kroch auf seine Brust, rollte sich zusammen, und wollte gerade schlafen. Und plötzlich klingelte das Telefon.
„Ich glaub et nich“, stöhnte Johnny. Mr. Flocke erschrak und sprang von Johnny runter. Dieser richtete sich auf, und griff nach dem Hörer. „Thom!“
Es blieb ruhig. Nur ein leises atmen drang in sein Ohr.
„Sach ma, willste mich verarschen oder watt?“, wurde Johnny böse. „Johannes, ich bin es“, sprach eine Stimme leise. „Anja, biss du datt? Weißt du eigentlich wie spät datt is?“ Dass er gerade erst ins Bett gekrochen war, wollte er ihr natürlich nicht auf die Nase binden. „Tobi schlägt mich. Er hat es tatsächlich getan. Er hat mich geschlagen!“
„Äh, warum erzählst du mir datt? Erzähle et deinem Vadder, der wird sich doch sicher darum kümmern“, schlug Johnny vor, doch sie widersprach ihm. „Nein, das tut er nicht.
Meine Eltern haben mir davon abgeraten nach Deutschland zu fliegen.“ Eigentlich wunderte sich Johnny gar nicht darüber. Für Elke und Werner Gerhalt war diese Adelslarve Tobias von Drängen genau der richtige Ehemann für ihre Tochter. Normalerweise hätte es Johnny völlig egal sein können, was da in Toronto passierte. Aber Anja war ihm alles andere als egal! Beinahe wäre sie seine Frau geworden, und er hatte sie wirklich geliebt. Natürlich waren seine Gefühle zu ihr abgekühlt. Schon des Ärgers und der Enttäuschung wegen. Aber abgestorben waren sie noch nicht! „Anni, wenner dich schlägt, hatter die rote Linie längst überschritten. Setz dich in einen Flieger, und komm zurück nach Buer. Deine Eltern werden dich sicher nich vor der Tür stehen lassen.“
„Ja, meinst du?“, fragte sie schluchzend. „Natürlich meine ich datt. Du kanns doch nich bei so nem Arsch bleiben.“
„Aber er sagt doch, dass er mich liebt, und es ihm leidtut.“
„Mensch ja, Anni, datt tun se alle“, begann Johnny sich aufzuregen. „Die meisten Kerle, die ihre Frauen schlagen, machen danach auf Mitleid. Der wird sich nich ändern!“
Noch mehr als eine halbe Stunde musste Johnny mit Anja sprechen, bis es ihm endlich gelang sie abzuwimmeln. So war es fast halb sechs, und bereits wieder hell draußen, als er seinen Kopf in das Kissen drückte.
*
J ohnny saß an seinem kleinen Tisch in der Küche, und aß sein Frühstück. Irgendwie hatte er es mal geschafft halbwegs auszuschlafen, und sich ohne Hast fertig zu machen. Jetzt trank er in Ruhe seinen Kaffee, und aß seinen Toast mit Honig. Dies war in den letzten Tagen zu einer Art Ritual geworden. Toast mit Honig!
„Irgendwie geht mir der Anruf nich aussem Kopp“, sagte Johnny zu dem Kater, obwohl die Chance, dass dieser ihn verstand, doch recht gering war. Aber Mr. Flocke hörte aufmerksam zu. „Watt hat sich Anni bloß dabei gedacht?“
Dass sein Telefon in den Morgenstunden geklingelt, und die ziemlich frisch vermählte Frau von Drängen, ihm erneut die Ohren voll gejammert hatte, gefiel Johnny überhaupt nicht.
So hatte der Hauptkommissar den Rest der Nacht damit verbracht, sich das Wehklagen der ehemaligen Frau Gerhalt anzuhören. Schon nach dem ersten Anruf, hatte er immer wieder daran denken müssen, und das gefiel Johnny gar nicht. Nun aber, nachdem er erfahren hatte, dass dieser Tobi Anja schlug, war er schon ziemlich erbost. Es wäre sicher nicht gut gewesen, wenn sie sich begegnen würden, Johnny und dieser Adelssprößling.
Den Wecker hatte er daher heute Morgen ignoriert, und einfach weitergeschlafen. Erst um elf Uhr war Johnny aufgestanden. So hatte er wenigstens etwas Schlaf bekommen, in dieser Nacht. „So mein Freund, ich muss jetz los. Freddie wird schon warten, und bestimmt nicht erfreut sein.“ Er erhob sich, stellte das Geschirr auf die Spüle, und ging in den Korridor. Dort öffnete Johnny die rechte Tür des Sideboards, und entriegelte den kleinen Safe. In diesem lag sein Revolver, ein Kaliber 38 von Smith & Wesson mit einem sechs Zoll Lauf. Diese Waffe war natürlich etwas Besonderes im Polizeidienst, und ein Entgegenkommen seines Chefs Polizeirat Friedrich Kaltenberg, der Johnny als so etwas wie seinen Schützling sah. Er nahm den Holster aus dem Safe, und befestigte ihn wie gewohnt an der linken Hüftseite an seinem Gürtel. Dann griff er seine alte, braune Lederjacke und den Wohnungsschlüssel aus der hölzernen Schale, die auf dem Sideboard stand. „Bis heut Abend.
Mach keinen Mist, mein Junge!“ Johnny verließ die Wohnung und verschloß die Tür.
Vier Stockwerke musste er nach unten, und zum Glück war der Fahrstuhl mal nicht kaputt. Dies kam nämlich öfter mal vor, und hatte ihm schon so manchen ärgerlichen Moment beschert!
Es schien die Sonne, als der Kripobeamte über den Betonplattenweg zum Parkplatz lief. Zum Glück hatten sie die heißen Sommertage nun hinter sich, und der September ließ die Tage mit um die zwanzig Grad merklich kühler werden. Es war Donnerstag der dreizehnte Neunte, im Jahr Vierundachtzig. Johnny trat an seinen geliebten Wagen. Ja, dieses Auto war alt, aber es war sein erstes Auto gewesen, und er hegte und pflegte es wie seinen Augapfel.
Er beseitigte einige Blätter, die auf dem Lack lagen, und stieg dann ein. Der Motor röhrte leicht, als er den Schlüssel drehte, und aus dem Blaupunktradio sang Hubert Kah seinen Song über eine gewisse „Rosemarie“.
Bald bog der Nullzwo von der Breitestraße nach links auf die Crangerstraße, die Johnny meist Mainestreet nannte, und fuhr in Richtung Norden. Jetzt brauchte er nur noch der Straße zu folgen, bis er den Stadtteil Buer erreichte. Einst war dieser Stadtteil mal eine selbstständige Stadt, eine Freiheit seit dem fünfzehnten Jahrhundert, und angeblich älter als die Stadt Gelsenkirchen selbst. Aber nach der Reform vom Ersten April Neunzehnhunderachtundzwanzig wurden die Städte Buer und Horst mit Gelsenkirchen vereint. Annektiert, wie Johnny das immer grinsend nannte.
Der BMW fuhr auf das Präsidium mit den steinernen Bergmannsfiguren an den Ecken, und der großen Freitreppe zu. Und bog dann rechts neben dem Gebäude auf den Hof ab. Vor dem Schlagbaum hielt Johnny an. Durch das heruntergekurbelte Fenster griff er hinaus, und drückte den Knopf der Gegensprechanlage. „Hauptkommissar Thom.
Mach ma auf“, verlangte er. Kurz darauf hob sich der Schlagbaum, und Johnny fuhr auf den großen Parkplatz des Präsidiums. Hier standen neben Einsatzfahrzeugen, auch die privaten Autos der Belegschaft.
Nach dem er seinen Wagen neben dem hellblauen Opel Kadett seines Kollegen Fred Rudnick geparkt hatte, stand er nun im Parterre vor dem Fahrstuhl und wartete. Da trat eine junge, uniformierte Kollegin neben den Beamten mit dem schulterlangen Haar. Zwei grüne Sterne prangten auf ihren Schulterklappen, und wiesen sie als Polizeimeisterin aus.
Ein Greenhorn, dachte Johnny grinsend. Sie besah Johnny von oben nach unten, und schüttelte dann leicht mit dem Kopf. Ihr schienen die Cowboystiefel, denen Johnny seinen Namen zu verdanken hatte, nicht zu gefallen. Und auch die Jeans, das schwarze T-Shirt, und die braune Lederjacke, waren wohl nicht nach ihrem Geschmack. Ihm war das sofort aufgefallen, darum grinste er sie herausfordernd an, und sagte nur trocken: „Moin!“
Die Fahrstuhltür ging auf, und er stieg ein. Sie folgte ihm, und ein junger Mann sprang noch im letzten Moment in den Fahrstuhl. Auch er in Uniform, mit zwei grünen Sternen.
„Na, auch in Gelsenkirchen-Buer gelandet?“, fragte er die junge Frau, und sprach den Stadtteilnamen mit einem Ü aus.
Johnny war schon in Versuchung den jungen Mann zu korrigieren, denn man sprach es mit einem U. Aber er mischte sich lieber doch nicht in das Gespräch der beiden Greenhorns ein.
„Wie man sieht“, sagte sie ein wenig arrogant. „Hatten sie nicht gesagt, dass sie nach Münster wollten?“, stellte der junge Mann fest, der die Frau zu kennen schien.
Johnny vermutete, dass die beiden sich wohl von der Polizeischule kannten. Ohne Zweifel musste heute der Tag sein, an dem die Frischlinge neu ins Revier kamen.
„Das hat leider nicht geklappt“, sagte sie und schwieg dann.
Im zweiten Stock stieg der junge Kollege aus. Bis in den dritten Stock blieb die Frau an Johnnys Seite, ohne ein Wort zu verlieren, und folgte auch in den Gang der zum Büro mit der Nummer Dreihundertundzwölf führte. Nun aber blieb Johnny stehen, und ließ sie vorgehen.
Er nahm vor Dreihundertundzehn Platz, und wartete ab. Die junge Beamtin richtete ihre grüne Jacke, klopfte an die Tür von Dreizwölf, sah nochmal zu Johnny hinüber, und trat dann, nachdem Fred hereingerufen hatte, in das Büro ein.
Jetzt erhob sich Johnny und ging weiter. Doch vor seinem Büro wartete er noch einmal.
Fred Rudnick saß an seinem Schreibtisch, und wandte sich der jungen Kollegin zu. „Ja, was kann ich für sie tun?“, fragte er freundlich, wie es so seine Art war. Kommissar Rudnick war eigentlich gebürtiger Niedersachse, und in Hannover zuhause. Doch eine freie Kommissarstelle hatte ihn in den Kohlenpott gelockt. Und dass er an der Seite von Hauptkommissar Thom gelandet war, empfand er inzwischen als ein Riesenglück. Denn dessen Nähe zum Chef hatte eine Unmenge an Vorteilen.
„Polizeimeisterin Silvia Wolf. Ich soll mich in dieser Abteilung bei Hauptkommissar Thom melden.“ Ihre Körperspannung zeigte dem Kommissar, dass diese Polizistin gerade erst aus der Ausbildung diesem Revier zugeteilt worden war. Sie hatte noch den Stock im Arsch, wie sein Kollege Johnny zu sagen pflegte. Und er hatte damit durchaus Recht. Den Debütanten fehlte noch die nötige Gelassenheit. „Äh… bei uns?“ Fred sah die junge Frau verwundert an. „Was wollen sie denn bei uns?“ Nun war es die junge Polizistin, die verwirrt schaute. „Heute ist mein erster Tag in diesem Präsidium, und ich bin ihnen zugeteilt worden, Herr Hauptkommissar Thom. Ich dachte sie wüssten das bereits!“ Da holte Fred tief Luft und wollte erstmal den Irrtum aufklären.
*
„Mahlzeit“, sagte Johnny, nachdem er in das Büro eingetreten war. Er ging zu den Kleiderhaken, warf gekonnt seine Jacke daran, und trat dann an die Fensterbank. Dort nahm er sich eine Tasse, und füllte diese aus der Glaskanne mit Kaffee. Nachdem er die Kanne wieder auf die Kaffeemaschine gestellt hatte, machte er das Kassettenradio an, das danebenstand. Es liefen gerade die zwölf Uhr Nachrichten.
Verwundert starte die junge Frau den langhaarigen Kerl an, der mit ihr im Fahrstuhl gefahren war, sagte aber kein Wort.
„Bist aber ganz schön spät dran heute“, sprach Fred das verspätete Erscheinen seines Kollegen an. „Wa ja auch ne lange Nacht, ne. Während du dich in den Kissen gewälzt hass, hab ich noch Zeugen befracht.“ Nun sah Fred seinen Kollegen erstaunt an. „Wie, noch Zeugen befragt?“
„Ich wa noch inner Kohlenwäsche.“ Er zog den Zettel aus der Tasche, den er von dem Vorarbeiter bekommen hatte, und legte diesen auf den Schreibtisch. „Die Zwölfuhrschicht hat nix mitgekricht. Die waren zu dem Zeitpunkt wohl schon inner Kohlenwäsche. Und da krichste wirklich von der Aussenwelt nix mehr mit. Datt da is die Schicht, die um halb Zwölf Feierabend hatte.“ Er zeigte auf den Zettel. „Die könnten watt gesehen hamm. Die werden wir mal befragen.“
Fred nickte, und zeigte dann auf die Polizeimeisterin. „Das ist Silvia Wolf. Erster Tag heute!“ Dann sah er die junge Frau wieder an. „Hauptkommissar Johannes “Johnny“ Thom“, stellte er seinen Kollegen vor. Johnny setzte sich auf seinen Stuhl, und trank einen Schluck Kaffee. „Tach“, sagte er in aller Ruhe. „Oder besser nochma Moin“, spielte er auf die arrogante Begrüßung im Fahrstuhl an. „Dann setzen se sich ma, junge Frau.“ Er schob ihr den Stuhl, der neben dem Schreibtisch stand, mit dem Fuß entgegen. Sie sah Johnny an, als hätte sie einen Geist gesehen, nahm aber Platz. „Ja… dann erzählnse ma!“ Fragend sah die junge Frau den Hauptkommissar an. „Äh… was?“
„Na, wo kommense her? Watt wollnse hier? Wer hattse hergeschickt? Und allet so interessante Sachen.“ Fred schüttelte grinsend den Kopf.
„Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und komme aus Minden“, begann sie zu erzählen. „Ja, und ich möchte irgendwann mal zur Kriminalpolizei. Und der Kommissar unten in der Zentrale hat mich hierhergeschickt.“
„Tja, und ich frach mich, watt sich der Witzbold dabei gedacht hat? Wir sind doch keine Ausbildungsabteilung.“ „Dann kriegt der Andi sie“, schlug Fred vor. „Datt seh ich auch so“, stimmte Hauptkommissar Thom zu. „Na gut, Silvia Wolf, Polizeimeisterin, jetz gehsse ma nach nebenan in Zimmer Dreihundertundzehn. Da sitzt unser uniformierter Kollege Polizeihauptmeister Andi Grünwald. Wenn er jetz dasitzt. Bei dem meldeste dich jedenfalls, denn der wird jetz dein neuer Partner.“
„So ist es“, fuhr Fred nun fort. „Wenn ihr nicht zur Steife eingeteilt seid, habt ihr für uns Bereitschaft. Verstanden?“
Sie nickte. „Na, dann ab!“ Sie drehte sich um und verließ Dreizwölf.
„Die hat mich tatsächlich für Hauptkommissar Johannes Thom gehalten. Scheint vorher noch nichts von dir gehört zu haben“, erzählte Fred lachen. Da musste auch Johnny grinsen, ging aber nicht weiter darauf ein.
„Wir fahren nochmal zur Zeche Hugo?“, fragte Fred, doch Johnny schüttelte den Kopf. „Is noch zu früh. Die Schicht von denen fängt ers um Vier an.“ Er tippte auf den Zettel.
„Dann das Unangenehme?“ Fred spielte darauf an, dass es Zeit wurde, der Witwe des Opfers einen Besuch abzustatten.
„Wie, datt Unangenehme? Du meins die Witwe?“ Fred nickte. „Du bis noch nich bei der gewesen?“, fragte Johnny ein bisschen angesäuert. „Nein, ich dachte, das machst besser du.“
„Die Frau sitzt zuhause, und hat noch keine Ahnung, datt ihr Oller nich mehr Nachhause kommt? Die wartet da jetzt auf ihren Mann?“ Johnny zeigte sich ziemlich angefressen, und das kam selten vor. Eigentlich war es ja tatsächlich seine Aufgabe, aber wenn er nicht da war, musste Fred Rudnick ran. Und die Frau im Ungewissen zu lassen, gehörte sich ganz und gar nicht.
Sie fuhren nach Süden, durch Erle und über den Kanal.
Dann über die Bismarckstraße durch den gleichnamigen Stadteil. Bogen irgendwann nach links ab, und erreichten den Stadtteil in dem Kurt Röber wohnte. In einer Hochhaussiedlung suchten sie nach einem Parkplatz, und begaben sich zum Wohnhaus des Opfers. Johnny drückte auf die Klingel, und nach einer Weile meldete sich jemand.
„Ja, wer is da?“, fragte eine männliche Stimme. Die beiden Beamten sahen sich an. Johnny zuckte mit den Achseln.
„Guten Tag, hier ist die Polizei. Wir müssten sie sprechen.“
Fred hielt sich noch zurück, wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. „Dritter Stock“, sagte die Stimme und es summte. Johnnys Fahrstuhlfluch schien zu pausieren, denn das Ding funktionierte. Normalerweise versagten Fahrstühle immer den Dienst, wenn Johnny Thom sie benutzen wollte.
Als sie aus dem Aufzug traten, stand an einer geöffneten Wohnungstür ein junger Mann. Er war etwa zwanzig Jahre alt, und sah dem Toten ziemlich ähnlich. „Mein Name ist Thom, Hauptkommissar Thom“, stellte sich Johnny vor. Er zeigte auf Fred. „Das ist Kommissar Rudnick, mein Kollege.“ Fred zeigte seinen Ausweis, Johnny die goldene Marke, die er an einer Kette aus seiner Jeans zog. Der junge Mann nickte. „Wir müssten mit Frau Röber sprechen. Leider haben wir eine schlechte Nachricht für sie.“
„Ich bin Markus Röber, der Sohn“, stellte sich der Mann vor. „Kommen se rein.“ Die beiden Beamten folgten der Aufforderung und betraten die Wohnung. „Wir wissen schon Bescheid. Die vom Pütt haben angerufen. Heute Morgen schon!“ Mit vorwurfsvollem Blick sah er die beiden Kripomänner an. Sie traten in die Küche, wo eine Frau mit verweinten Augen am Tisch saß. „Mama, datt is die Polizei.“
„Sie kommen ja verdammt früh“, sagte Frau Röber spitz.
„Ja, das tut uns leid, aber die Ermittlungen am Tatort dauerten recht lange“, versuchte sich Fred in einer ziemlich wackeligen Erklärung. „Frau Röber, wir müssen ihnen mitteilen, datt ihr Mann heute Nacht ermordet wurde.“
„Ermordet?“, fragte Frau Röber überrascht. „Wieso ermordet?“ Da mischte sich der Sohn ein. „Von Mord hat niemand watt gesacht. Die hamm watt von Unfall gesacht.
Die vom Pütt.“
„Ich denke ma, die wollten uns nich vorgreifen“, mutmaßte Johnny. „Leider isset abba so. Ihr Mann wurde getötet.“
„Frau Röber, gibt es jemanden, der ihren Mann bedroht hat?“, fragte Fred. „Jemanden, der einen Grund gehabt hätte, ihren Mann anzugreifen?“ Da schüttelte die Frau ihren Kopf, sah aber ihren Sohn recht merkwürdig an. Dies war Johnny aufgefallen, doch er behielt es ersteinmal für sich.
„Ähm… hatte ihr Mann eigentlich einen Hund bei sich?“
Frau Röber nickte. „Ja, natürlich hatte er Rocky bei sich.“
„Rocky?“, fragte Johnny. „Ja, unseren Schäferhund. Der is immer mit Kurt auf Streife.“ Sie sah Johnny fragend an.
„Wo is der eigentlich?“
„Tja, Frau Röber, das fragen wir uns auch. Der Hund ist verschwunden. Keine Spur von dem Tier“, sagte Fred. „Wir vermuten, dass er auf dem Zechengelände rumläuft oder sich dort irgendwo versteckt hat. Oder er is…“ Johnny sah den Sohn an. „Vielleicht is datt Tier ja verletzt.“
„Gibt es irgend etwas womit man Rocky locken kann?“,
wollte Fred wissen. „Irgend etwas dem er nicht widerstehen kann?“ Da ging Markus Röber zum Kühlschrank, öffnete die Tür und nahm ein Glas Wiener Würstchen heraus. „Für die Dinger geht Rocky durchs Feuer!“ Er reichte Fred Rudnick das Glas, und dieser nahm es entgegen. „Danke, vielleicht können wir ihn ja damit finden.“
„Wie ist mein Mann gestorben?“, fragte Frau Röber plötzlich, und Fred wollte gerade etwas sagen, da fuhr ihm Johnny über den Mund. „Dazu können wa ihnen im Moment noch keine Angaben machen. Wir müssen noch den Bericht aus der Pathologie abwarten. Dann bekommen sie auch Bescheid von uns, wegen der Freigabe des Leichnams.“
„Äh… ja, das verstehe ich“, sagte sie leise. Kurz darauf verabschiedeten sich die beiden Beamten, und verließen die Wohnung.
*
Von Süden aus Gelsenkirchen kommend, fuhren sie nach links auf die Crangerstraße, und folgten dieser nach Norden.
Etwa fünfzig Meter hinter der Erler Post auf der rechten Seite, suchte sich Johnny einen Parkplatz. „So, ersma watt schnabbulieren“, sagte er grinsend, und Fred wusste was das hieß. Sie stiegen aus, und gingen in die Imbisstube, vor der der BMW jetzt stand. „Tach Rosie“, grüßte Johnny die Bedienung mit den roten, kleinen Locken. „Na, Johnny!
Ganz schön spät dran heut.“ Johnny sah in den hinteren Bereich des Restaurants, wo die Tische und Stühle standen, und wo die Treppe zu den Toiletten nach unten führte.
Genau dort, neben dem Treppenabgang war eine runde, große Sitzecke, neben Musikbox und Space-Invaders-Kiste.
Hinter der Bank stand ein riesiger Gummibaum, dessen Topf gerne als Aschenbecher missbraucht wurde.
Im Gegensatz zu sonst, war da aber alles leer. Keine Jugendlichen, die den Imbiss mit ihrem Krach beschallten.
Und auch die Musikbox schwieg. Johnny zeigte nach hinten.
„Watt is denn hier los? So kennt man euren Laden ja ga nich.“ Da lachte Rosie. „Der Chef wa grade hier, und hatt ordentlich aufgeräumt. Der hatt die ersma widda alle rausgeschmissen. An denen verdienen wa sowieso nich viel.
Und die machen nur Radau!“ Da mischte sich Fred ein. „Na ja, das würde ich aber so nicht sagen. Die kommen ja jeden Tag wieder. Und was bestellen die? Einige Cola, und Bier.
Und sicherlich auch ein paar Pommes. Also Einnahmen mit denen man täglich rechnen kann.“