Jedem das Seine - Band II - Nataly von Eschstruth - E-Book

Jedem das Seine - Band II E-Book

Nataly von Eschstruth

0,0

Beschreibung

Jahre sind vergangen. Der enttäuschte Mortimer von der Marken ist nach Indien gezogen, um dort seinen Kummer zu vergessen, da er von der stolzen Gräfin Iris abgewiesen wurde. Inzwischen ist die kleine Komtesse Barbara zu einer blühenden jungen Frau herangewachsen. Mortimer kehrt in die Residenzstadt zurück und begegnet dort wieder den beiden Schwestern. Gräfin Iris ist eine vom Emanzipationsgedanken erfüllte Frau, die selbständig und unabhängig bleiben möchte. Auch sie versucht, in Indien zu sich selbst zu finden. Wird Mortimer, der sie immer noch liebt, Iris am Ende erringen?Nataly (Natalie) Auguste Karline Amalie Hermine von Eschstruth (1860–1939; (Ehename: Nataly von Knobelsdorff-Brenkenhoff) war eine deutsche Schriftstellerin und eine der beliebtesten Erzählerinnen des Wilhelminischen Zeitalters. Sie schildert in ihren Unterhaltungsromanen in eingängiger Form vor allem das Leben der höfischen Gesellschaft, wie sie es aus eigener Anschauung kannte. Sie entstammte einer hessischen Familie und war die Tochter des königlich preußischen Majors Hermann von Eschstruth (1829–1900) und der Amalie Freiin Schenck zu Schweinsberg (1836–1914). 1875 durchlief sie eine Ausbildung in einem Mädchenpensionat in Neuchâtel in der Schweiz und bereiste später die wichtigsten europäischen Hauptstädte. Von Eschstruth schrieb Frauenromane, die in der Schicht der wilhelminischen Adelsgesellschaft oder bei hohen Hofbeamten spielen und erzählt dort fiktiv-biographische Geschichten. Das Umfeld der Romane ihrer Hauptschaffensperiode in den 1880er und 1890er Jahren vermittelt heute einen Eindruck von alltäglichen und historischen Details; vom Unterhaltungswert haben von Eschstruths Bücher nichts eingebüßt.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 268

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nataly von Eschstruth

Jedem das Seine

II.

Roman

Mit Illustrationen von Fritz Bergen

Saga

Jedem das Seine - Band II

German

© 1904 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711448212

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

XIV.

Es war ein grauer, nebliger Wintertag.

Die Schneewolken hingen tief herab, Dämmerschleier wehten viel früher noch denn sonst durch die Zimmer, in den Gärten regte sich kein Zweig. Kahl und frosterstarrt standen die Bäume; die Sperlinge hockten trübselig auf dem Dachfirst, frierend und aufgeplustert, alle Fenster scharf beobachtend, ob sich nicht eines bald auftun werde, um einem blonden Lockenköpfchen und einer freigebigen, kleinen Hand, die so gern die Krumen streut, Platz zu schaffen.

Auf dem Gartenweg klingen Schritte und der mächtige Bernhardiner, welcher vor dem Kaminfeuer in der grossen Vorhalle liegt, um sich das schneedurchnässte Fell zu trocknen, hebt den Kopf und schlägt kurz an.

Gleichzeitig schrillt die Glocke.

Herr Leutnant von der Marken steht vor der Türe und scheint aufgeregter und eiliger wie sonst.

Er frägt nach Gräfin Iris und bittet, der jungen Dame gemeldet zu werden.

„Komtesse werden im Atelier des Herrn Grafen sein, um für kurze Zeit Kostüm-Modell zu stehn!“ erwidert der Diener sehr höflich. „Ich darf wohl den Herrn Leutnant gleich bitten, mir zu folgen.“

Mortimer schreitet auf weichen Läufern die Treppe empor.

In dem Atelier ist es still und einsam und der Diener blickt hastig in den Nebensalon.

Iris scheint in demselben anwesend, denn man hört die kurze Anmeldung und eine etwas zögernde Antwort.

Nach wenig Augenblicken erscheint Johann wieder zwischen den herrlichen, echt orientalischen Portieren.

„Komtesse erwarten zwar den Herrn Grafen und sind nicht auf Besuche eingerichtet, wenn es aber etwas sehr Eiliges sei, was der Herr Baron mitzuteilen haben, so lässt gnädigste Gräfin bitten.“

„Ja, ja, sehr eilig!“ nickte Mortimer und hat das Gefühl, als ob man seinen stürmenden Herzschlag in dem stillen Raum hören müsste — „ich danke Ihnen, — kenne den Weg!“

Der Diener quittiert mit verbindlichem Lächeln für diesen Scherz, schlägt die Vorhänge zurück und Marken tritt ein. —

Er will der Komtesse mit gewohntem Gruss entgegentreten, aber er stutzt, und ein leiser Ausruf höchster Überraschung entrinnt sich seinen Lippen.

Vor ihm steht nicht die Gräfin Iris, die er seit Monaten in den eleganten, abendländischen Toiletten kennt und bewundert, sondern eine fremde, zauberschöne Erscheinung, eine Türkin voll blendender Anmut, goldglitzernd, seidenumrauscht und unverschleiert.

Iris lacht über seine Betroffenheit leise auf.

„Sie fürchten, in einen Harem geraten zu sein, Herr von der Marken?“ sagte sie in der etwas förmlichen, hoheitsvollen Weise, die ihr selbst bei Scherz und Lachen eigen ist; sie streckt ihm freundlich die Hand entgegen und sieht mit flüchtigem Blick an sich nieder.

„Erschrecken Sie nicht, ich bin harmloser als ich aussehe, und Johann lauert nicht als Eunuch mit blankem Dolche vor der Tür!“

„Ich bin in der Tat nicht nur überrascht, sondern entzückt, Komtesse!“ sagt er mit flammenden Augen und führt ihre Hand an die Lippen.

Sie scheint weder den Ausdruck in seinen Augen, noch den heissen Klang in seiner Stimme zu bemerken.

Sie wendet sich zurück nach dem Diwan, in dessen seidenen Brokatkissen sie wieder lässig niedersinkt, bedeutet ihm freundlich, ihr gegenüber in einem der Sessel Platz zu nehmen, und greift nach dem Zigarettenkästchen, das auf einem echt „importierten“ kupfernen Dreibein neben ihr steht, um es dem jungen Offizier anzubieten.

„Rauchen Sie mir zur Gesellschaft, Gräfin? Zu einer Türkin gehört eigentlich die Wasserpfeife!“

Sie schüttelt den Kopf, dass die Goldmünzen im Haar leise erklingen.

„Sie wissen, dass ich keine Freundin türkischer Sitten bin!“

„Und tragen dennoch so völlig des Orients Farben?“

„Nicht freiwillig!“

„Ah! steckt in dem reizenden Odaliskenkostüm selbst hier droben im Land der Freiheit ein Stückchen Sklaventum?“

Wie trunken vor Wonne hängt sein Blick an ihrer phantastischen, zauberschönen Erscheinung und sein Herz pocht stürmisch, weil es ihm als neues, glückverheissendes Zeichen gilt, dass sie ihn just als eine Tochter Konstantinopels begrüsst.

Sie lächelt und reicht ihm mit graziöser Hand ein brennendes Streichholz. Die breiten, orientalischen Armspangen glühen auf unter dem Feuerschein, der über sie hinzuckt.

„Es scheint so!“ sagt sie leichthin, „selbst als Maskentand behandelt, wohnt diesen Kleidern der blinde Gehorsam inne! Diesmal aber ist es mir keine Entwürdigung, sondern vielmehr eine amüsante und nützliche Notwendigkeit!“

„Wollen gnädigste Gräfin einen Maskenball besuchen?“ fragt er sehr erstaunt.

Da lacht sie noch mehr.

„Wo du nicht bist,

Herr Organist,

Da schweigen alle Flöten!“

zitiert sie neckend. „Wie sollte hier in der Residenz ein derartiges Fest stattfinden, das nicht von Ihnen arrangiert, oder doch zum mindesten durch Ihre Anwesenheit verherrlicht würde! — Aber Scherz beiseite! Sie sehen heute die wunderschöne Sultanstochter in mir, die um die Abendzeit am Springbrunnen auf und niedergeht, wo die weissen Wasser rauschen! — Jene so viel Besungene, die mein Vater nun auch zur Abwechselung einmal malen will!“

„Ah — und Sie stehen Modell, Gräfin?“

Sie zuckt voll drolliger Ergebung die schönen Schultern.

„Was bleibt mir übrig? Der väterliche Wille ist beinahe ebenso despotisch wie derjenige der Asiaten! Das Kostüm war vorhanden ...“

„Die zauberhafte, sinnverwirrende Schönheit desgleichen —!“

„Wie galant sind Sie heute! Vergessen Sie ja nicht, dass sich unter dem Taubengefieder der demütigen Sultanin doch nur eine sehr fortschrittlich gesinnte, moderne Frau versteckt!“

„Sollte diese nicht schliesslich doch einsehen, dass ihr das Joch von Rosenketten tausendmal schöner ansteht, und sie unendlich viel mehr beglücken würde wie ein Doktorhut?“

Er hatte seinen Sessel näher herzugeschoben, mit Lippen, die in leidenschaftlichem Entzücken bebten, flüsterte er ihr die Worte wie beschwörend zu.

Ein grosser, erstaunter Blick traf ihn.

„Nein, in solch grossem Irrtum wird sie sich nie befinden!“

„Komtesse, — wenn jene wunderschöne Sultanstochter so kühl und abweisend zu dem armen Asra, der stirbt, wenn er liebt, gesprochen hätte, würde ihre Kälte Barmherzigkeit und ihr Stolz eine menschenfreundliche Tat gewesen sein! Ich aber gehöre nicht zu jenen Unglückseligen, die vor der Türe des Liebesparadieses einsam, hungernd und dürstend nach dem Glück, stehen, oder mit dem vollen Kelch des Genusses an den Lippen in das Grab sinken müssen! Ich bin ein starker, kühner und wagehalsiger Mann, der die Hände nach dem Glück ausstreckt und es zu eigen nehmen will und kann!“

Sie richtete sich ein wenig höher empor, in ihren dunklen Augen blitzte es seltsam auf, — einen Moment sah sie ihn an, als wolle sie auf dem Grund seiner Seele lesen.

„Ein starker und kühner Mann? — das heisst mit anderen Worten, der rücksichtslos an sich reisst, was sich nicht freiwillig fügt?“

Er schüttelte aufgeregt den Kopf, die feinen Goldarabesken in der weichen Seide ihres Gewandes rannen irr und wirr vor seinen Blicken ineinander.

„Nein, Gräfin Iris!“ flüsterte er weich und fasste rasch nach ihrer schlanken Hand, um sie abermals an seine zuckenden Lippen zu ziehen, „ich fordere nicht, sondern ich bitte! ich will mein Glück nicht erzwingen, sondern verdienen! Kein Weib auf Gottes weiter Welt soll heisser und inniger geliebt werden wie Sie, wenn Sie einwilligen, die Meine zu werden! Lassen Sie das grausame Spiel mit den heiligsten Gefühlen zu Ende sein! Es ist und kann nie Ihr Ernst gewesen sein, den schönsten, den naturgemässen Beruf des Weibes von sich zu weisen, um Phantomen nachzujagen, die ja doch nie und nimmer Wahrheit werden und auf die Dauer voll beglücken können! Was verlangen Sie? Alles, was in Menschenkräften steht, werde ich tun, um Ihrem Leben den Inhalt zu geben, welchen Sie verlangen!“

Ein Flimmern ging durch ihr Auge, ein feines, ungläubiges Spotten zuckte um ihre Lippen. Nun war der Moment gekommen, wo sie schauen und prüfen konnte, ob Mortimer Marken wohl der passende Gatte, — niemals für sie, wohl aber für Bärbel sei!

Armer, verliebter Knabe, welche Schwäche seufzt aus einem jeden deiner Worte, die noch einmal so verzweifelt darnach ringen, wenigstens den Schein von stolzer Würde zu wahren.

„Was ich verlange? — das ist viel. Vor allen Dingen fordere ich und verlange ich vollste, unumschränkte Freiheit in allem und jedem, was ich tue! Das Wort ‚Rechenschaft ablegen‘ kenne ich nicht, mich fügen — weder dem Willen meines Gatten noch den Ansprüchen und lächerlichen Etikettenformen von Welt und Gesellschaft — werde ich nie aus Pflichtgefühl oder Gehorsam, sondern lediglich nur dann, wenn es mir einleuchtet und genehm ist. Ich räume dem Manne nicht die mindesten Vormundschaftsrechte über mich ein. Was ihm erlaubt ist, verlange ich ebenfalls für mich. — Nun ... werden Sie damit einverstanden sein?“

Mortimer hatte die Sprecherin angesehen, in ihr schönes, stolzes, erbarmungsloses Gesicht mit dem feinen Spottlächeln um die Lippen, und ihm war es plötzlich, als stiege ein seltsames Bild vor ihm auf.

Er sah sich als Knabe in dem kalten, kleinen Mansardenstübchen, vor sich das Märchenbuch aus „Tausend und eine Nacht“ mit dem Bild der schönen, grausamen und lieblosen Prinzessin Kassandane.

Und mit derselben Stimme, wie soeben Iris, so sprach auch damals das Bild wie in einer Vision zu ihm: „Ich bin nicht Lakmeh, die schwache, liebeskranke Taube, ich bin stark und stolz, und werde leben — weil ich dich nicht liebe!“

Sein erst so frisches, glühend erregtes Antlitz ward plötzlich blass bis in die Lippen.

Er hob den Kopf, so hoch und energisch, wie es Iris noch nie zuvor an ihm gesehen.

„Nein, Gräfin, damit bin ich nicht einverstanden!“ sagte er sehr ruhig.

„Ach! — und warum nicht? nur aus Widerspruch?“

„Eine Frau — nach Ihrem Sinne, würde einen Mann nie beglücken, sondern höchstens lächerlich machen; ausserdem widersprechen Ihre Anforderungen vollständig meinen Ansichten über zarte und holde Weiblichkeit. Ein Wesen, wie Sie es als Ihr Ideal schildern, kann ein Mann vielleicht voll Ergebung dulden, — aber niemals lieben!“

„Das ist das Glaubensbekenntnis eines Tyrannen!“

„Eines Mannes, der nicht die Achtung vor sich selbst verlieren möchte!“

„Eine gebildete Frau wird niemals Taktlosigkeiten begehen!“

„Eine über bildete Frau aber Herzlosigkeiten, die noch schlimmer sind!“

„In der modernen Ehe soll hauptsächlich die Vernunft, aber nicht das Herz sprechen!“

„So bewahre mich Gott vor einem Weib, das in seinem Heim nur philosophieren, aber nicht lieben will!“

Wie hart und fest seine Stimme klang!

Iris war so überrascht, dass sie einen Augenblick die Lippen fest zusammenpresste und schwieg.

Dann zog sie finster die Brauen zusammen, und ein trotziger Blick flammte zu dem Sprecher herüber.

„Sie rechnen mit der Empfindsamkeit nervöser Frauen, die sich einschüchtern lassen und geduldig ihr Joch auf sich nehmen, nur um sich nicht lächerlich zu machen! — Was aber hat das Weib elend und schwach gemacht? Die Unterdrückung! Die Knechtschaft! Binden Sie einen jungen Baum mit Zentnergewichten, und er wird seine Krone hilflos neigen, wird sich über den Boden hinkrümmen, verwachsen und verkümmern zu saft- und kraftlosem Reis, welches keine Früchte mehr zu tragen vermag! — Lösen Sie aber seine Fesseln, so wächst es kraftvoll, frisch und blühend empor! Solch ein neues Wachstum tut unserem schwachen Geschlecht not, dass es eisern werde wie zuvor! Die Kampfmittel des Mannes sind Spott und Verachtung — so wie Sie dieselben soeben ins Treffen geführt! — Sie werden weder Ihnen noch Ihren Gesinnungsgenossen etwas helfen. Ehemals standen die eisernen Jungfrauen nur in der Folterkammer und drückten ihre Widersacher mit ehernen Armen tot, die modernen eisernen Jungfrauen werden auch mit kraftvoller Hand zufassen, und im Kampf um gleiches Recht und gleiches Mass über ihre Unterdrücker siegen!“

Iris hatte in steigender Aufregung gesprochen.

Sie erhob sich, die wundervolle, schlanke Gestalt stand wie ein berückendes Märchenbild vor ihm.

Weich und süss duftete es aus den glänzenden Seidenwogen empor, Gold blitzte und funkelte auf Brust und Armen, wie Mondlicht floss der Schleier um das reizende Haupt, das Mortimer nie so schön, so sinnverwirrend erschienen war wie in dieser Stunde!

Ja, sie werden siegen, die stolzen, zauberschönen Weiber!

Mortimer fühlt es, wie Iris in diesem Augenblick auch in seinem Herzen einen Sieg feiert!

Aufschreien möchte es in wilder Todesqual, in heisser, fiebernder Angst, die Geliebte in dieser Stunde für ewige Zeiten zu verlieren!

Er sieht, wie ernst es der Sprecherin um ihr Streben ist, er sieht, dass sie nie und nimmer nachgeben wird, und in seinem Innern flüstert eine Stimme: Narr, der du bist! warum mit einem Weibe streiten? Vor einem Weibe knien ist keine Schmach! Auch Herkules ward ein Sklave am Spinnrocken! Warum um einer eitlen kleinen Laune willen dein ganzes süsses Liebesglück opfern! — Wehre dich nicht! Gönne der Reizenden den erträumten Sieg! Wirf dich ihr zu Füssen und versprich alles, alles was sie fordert und will! Reiche gefügig deine kraftvollen Hände dar, dass sie dieselben mit ihrem Schleier binde, sage ihr, dass du ihr Sklave, ihr Werkzeug, ihr Schatten bist — und nimm sie in deine Arme, und küsse dich an den roten, lockenden Lippen der Gebieterin satt! —

Wie ein unmerkliches Beben schauert es durch Mortimers Glieder.

Nein! und tausendmal nein!

Solch ein Leben an ihrer Seite würde kein Glück, sondern ein Elend sein!

Er liebt sie viel zu tief und innig, um sich in ihren Augen derart zu entwürdigen, er hält sie viel zu hoch und wert, um Zeuge sein zu können, wie sie sich als Trägerin einer kaum begriffenen Lehre, einer Bewegung, von welcher sie nur die oberflächlichste Anschauung hat, vor aller Welt lächerlich macht!

Es wäre eine Sünde, ein Verbrechen an seiner Liebe, wollte er sie noch in solch unsinniger Laune bestärken.

Und dass sie ihm zumutet, die Rolle eines geduldeten Ehemannes an ihrer Seite zu spielen, das zeigt ihm, wie wenig, wie gar nicht ihr Herz für ihn spricht!

Marken richtet sich hoch auf, ein finsterer Schatten liegt auf seiner Stirn und verändert sein ganzes Gesicht.

„Gott sei Lob und Dank, Gräfin, die Zeiten der eisernen Jungfrau sind vorbei, und werden hoffentlich nun und nimmer wiederkehren! — Jahrhundertelang hatte jenes unnatürliche Weib in der Folterkammer seine Schreckensherrschaft ausgeübt, da kam eine Hand, welche noch stärker war wie die ihre, welche die messerscharfen Arme der Gewalttätigen lähmte! Es war die mutige, energische und doch so menschenfreundliche Männerhand des Humanismus, die kam und packte das herrschsüchtige Weib, und warf es in einen gewaltigen Glutofen voll lohender Flammen! Dort schmolz die Erbarmungslose dahin unter dem Hauch einer stärkeren Macht und ward weich, weich wie rinnende Tränen in seiner Hand! — Ich hoffe und glaube zuversichtlich, Gräfin, dass auch der modernen eisernen Jungfrau ein gleiches Schicksal droht! Dann wird es die Götterhand der alles zwingenden Liebe sein, die sie fasst und in das Feuermeer süssinniger, himmelaufflammender Leidenschaft taucht, bis alle eiserne Trutzigkeit dahinschmilzt in Zähren jauchzender und opferfreudiger Demut!“

Er hatte sehr laut und markig gesprochen, seine schlanke Gestalt wuchs empor und sah so hoch und ritterlich aus, wie noch nie zuvor.

Mit langem Blick umfasste er noch einmal die entzückende Gestalt der goldschimmernden Türkin, jener grausamen, herzlosen Prinzessin Kassandane, die leben wird, weil sie ihn nicht liebt!

Und dann neigt er in kurzem, militärischem Gruss das Haupt, klappt die Hacken zusammen und wendet sich zur Türe.

Keine leise Stimme ruft ihn voll zärtlichen Erschreckens zurück.

Iris steht wie gebannt, und starrt mit weitoffenen Augen dem Entschwindenden nach.

Sie atmet tief, tief auf und sinkt mechanisch auf die seidenen Kissen nieder.

War das Mortimer Marken? der heitere, leichtlebige, heissverliebte Knabe, von dem sie in dieser Stunde alles erwartet hatte, nur nicht jenen finsteren Stolz, mit welchem er Herz, Hand und Reichtum der Gräfin Waldstetten zurückwies, nur darum, weil er ihr nicht den Platz an seiner Seite, zu gleichem Recht und gleicher Freiheit, gönnen wollte!

Wie hatte sie es als so selbstverständlich annehmen können, dass er sie liebt?

Nein, er liebte sie nicht, und wenn er zehnmal in diesem Augenblicke um ihre Hand geworben! Stolzen Sieg wollte er feiern! über sie triumphieren wollte er, weiter nichts!

Wie ein Frösteln schauert es durch ihre Glieder.

Ein Tyrann ist er, wie alle anderen Männer auch, und wenn sie ihn für einen kindlichen, harmlosen Schwärmer hielt, so irrte sie.

Für eine Gräfin Iris würde er nie und nimmer der passende Gatte gewesen sein, aber für Bärbel, die zarte, fügsame, zärtliche, kleine Seele wird er gerade der rechte Steuermann werden, der das Lebensschifflein der unselbständigen Kleinen auf sichere Bahnen lenkt!

Die unselbständige Kleine!

Bärbel ist noch ein Kind — wer weiss, wie sich ihr Charakter noch entwickeln wird!

Vielleicht wird sie den Lehren der geistreichen, freiheitdürstenden Schwester eine eifrige Schülerin und wenn Marken einst vor sie hintritt, mit einem ebensolchen heissen, tiefinnigen Blick um ihre Liebe zu werben, so wird sie ihm vielleicht die nämliche Antwort geben, wie Schwester Iris, und der Stolze wendet sich ebenso schroff auch von ihr ab, wie heute von der Schwester!

Wie ein banges Aufschrecken zuckt es durch das Herz der jungen Gräfin.

Sie schüttelt leidenschaftlich den Kopf. Nein! nie und nimmer wird sie Bärbel beeinflussen, die Ansichten der Schwester auch zu den ihren zu machen!

Iris ist stolz und fest, — sie wird nie an der Liebe zugrunde gehen, aber das weiche, zarte Herzchen der Kleinen, das schon jetzt voll schwärmerischer Innigkeit an dem Freunde hängt, das wird verbluten und vergehen in dem Schmerz um ein verlorenes Glück!

Ein Glück! —

Iris deucht es plötzlich, als habe es in dieser Stunde nah, ganz nah vor ihr gestanden und ihr voll treuer Aufrichtigkeit die Arme entgegengebreitet. War es nur die Gewohnheit, das häufige Sehen, welches ihr den jungen Offizier so sympathisch gemacht, dass sie unter den gestellten Bedingungen beinahe eingewilligt hätte, sein Weib zu werden?

Narrheit! — Das wäre sie nie geworden, nie! — Nur prüfen wollte sie ihn ... voll kaltherziger Neugierde erforschen, ob auch er solch ein rückgratloser Schwächling sei wie Sponeck, welcher sich geduldig von Weiberhand in den Staub ducken liess!

Von dem lachenden, frischwangigen Knaben in Uniform hatte sie es nicht anders erwartet, denn sie sah seine anbetende Liebe aus den Augen strahlen, sie sah, wie die schwärmerische Leidenschaft ihn so voll und ganz beherrschte, — und doch — doch war er ein Mann, willensstärker und selbstbewusster wie sie!

Iris erhebt sich rasch, sie durchmisst das Zimmer mit unruhigen Schritten ... und als sie an der Türe vorüber geht, hört sie im Atelier die helle, zwitschernde Kinderstimme Klein-Bärbels.

Mit wem spricht sie?

So voll inniger Zärtlichkeit begrüsst sie nur einen!

Leise schiebt Iris den Vorhang zurück.

Da steht Marken: er hat die Hand auf Bärbels Lockenköpfchen gelegt und blickt ihr voll tiefen, sinnenden Ernstes in die Augen.

„Ich dachte mir schon, dass du heute kommen würdest, Onkel Marken!“ plaudert die Kleine mit herzigem Lächeln. „Ich stand den ganzen Vormittag schon am Fenster, um dich zu erwarten, und gerade jetzt, wo ich frühstücken musste, kommst du!“

„Wie lieb von dir, dass du an mich dachtest, Bärbel, siehst du, das ist meine einzige Freude an diesem traurigen Tage!“

„Traurig? Hast du etwas Böses erlebt?“

„Ja, Bärbel, ein grosses, grosses Herzeleid!“

„Aber es kann wieder gut werden?“

„Nie, mein Liebling, niemals!“

„O doch! ganz gewiss! — ich will dir alles geben, was ich habe, damit du wieder froh wirst — alles, bis auf die Vogelpfeife und meine grösste Puppe — die möchte ich gern behalten! Nicht wahr, das erlaubst du! — Ich habe ja noch so viele, viele andere Sachen!“

„Hab’ mich nur ein wenig lieb, Bärbel, damit ich nicht ganz verlassen und verloren bin!“

„Wie traurig du das sagst, und wie blass du heute aussiehst! — Bist du krank, Onkel Marken?“

Er lächelt voll Wehmut. „Das Herz tut mir weh, Klein-Bärbel, und dafür gibt es keine Arzenei!“

„Ich habe dich ja lieb — so schrecklich lieb! so gern, wie dich, habe ich kaum noch Papa und Iris! Weisst du, Onkel Marken, wenn du das nächste Mal kommst, dann lass dich gleich in mein Zimmer führen, ich freue mich so sehr, wenn du recht lange bei mir bist und mit mir spielst!“

„Du liebes, liebes Herzblättchen! Aber fürerst komme ich so bald nicht wieder, Bärbel, ich muss fortreisen, weit fort ... und es wird lange Jahre dauern, bis ich heimkehre!“

Ein leiser, banger Schreckenslaut.

„Fortreisen? nicht wiederkommen? O, das wäre schrecklich, Onkel Marken, dann weine ich Tag und Nacht, und sterbe vor Sehnsucht!“

Und wirklich rollen grosse, dicke Tränen über das süsse Kindergesicht, und Bärbel schlingt die Ärmchen noch fester um den Sprecher, so fest, als wolle sie ihn nun und nimmer loslassen.

„Nein, weinen darfst du nicht, Bärbel, aber an mich denken — und mich nicht vergessen ... und wenn ich wiederkomme, musst du mir noch ebenso gut sein wie heute!“

„Ach, dass du doch balde wiederkämst! Ich werde immer an dich denken und dich immer lieb behalten! Was sagt denn Iris dazu, dass du gehen willst?“

„Sie glaubt wohl, es sei das Beste für mich!“

„Soll Iris dich auch lieb behalten?“

„Nein, Bärbel, das kann sie nicht.“

„Ach? warum nicht, Onkel Marken?“

„Weil sie mich niemals lieb hatte!“

„Vielleicht weint sie doch, wenn du fortreist?“

„Ein Marmorbild kann nicht weinen, Kind!“

Das klang leise, herb und weh.

Mortimer neigte sich rasch, hob das zarte Figürchen der Kleinen mit starkem Arm empor und küsste die weinenden Augen.

„Wir wollen nicht mehr traurig sein, Bärbel, sondern fröhlich ‚Auf Wiedersehen‘ sagen! — Komm, begleite mich noch bis zur Treppe — es ist so schön, wenn man beim Scheiden in treue Augen sieht!“

Die Schritte verklangen, und Iris legte schützend die Hand über die Augen, als tue ihnen ein allzu greller Schein weh.

Aber sie weinte nicht.

Ein Marmorbild hat keine Tränen! sagte er nicht so?

Warum auch weinen wie Bärbel, das törichte kleine Kind?

Weil er Abschied nahm?

Ob früher oder später, diese Stunde wäre doch gekommen.

Wo will er hin?

Urlaub nehmen? sich versetzen lassen?

Wohl möglich.

Warum sprach er das unsinnige Wort? warum warb er um sie?

Er kannte ja ihre Ansichten.

Nun ist es zu Ende mit dem heiteren, anregenden Verkehr, und das ist schade.

Jetzt, wo Iris weiss, was für eine starke Seele in diesem schwärmerischen Knaben wohnt, hat sie mehr Interesse für ihn, wie zuvor.

Vorbei, vorbei. —

Wie glücklich sind Kinder, dass sie weinen können!

Ein Marmorbild hat keine Tränen. —

— — Wenige Augenblicke später trat der Graf ein.

Sein Blick flog voll Überraschung und Entzücken über die märchenhafte Erscheinung seiner Tochter.

„Alle Wetter, Iris! — Das nenne ich ein Modell! Du hast dich heut an Reiz und Schönheit selber übertroffen! Wehe dem armen Sterblichen, der heute deine Wege kreuzt, er lernt die Macht der wunderschönen Sultanstochter kennen, und stirbt als Asra zu ihren Füssen!“

„Wirklich? — vielleicht irrst du, Papa! Jene Asra gibt es nur im fernen Süden, wo das Weib zwar in Ketten gelegt, aber dennoch bis zu Tod und Wahnsinn geliebt wird. Im Abendlande fliesst das Blut kühler durch die Adern, und Stolz und Eigenwille sind stärker wie die Liebe!“

Das klang wunderlich, fast bitter.

„Wie sympathisch muss dir das sein!“ scherzte der Graf harmlos. „Wenn man selber so kaltblütig geartet ist, kann man orientalisches Empfinden nicht verstehen, und unbegehrte Neigungen zu erwecken muss fataler sein, als in der Lotterie verlieren!“

Iris antwortete nicht, sondern nahm schweigend ihre Stellung ein.

Es lag ein Schatten auf ihrer Stirn, welchen der Graf noch nicht kannte.

„Dieser Blick ist vorzüglich,“ lobte er, „gerade so nachdenklich soll meine wunderschöne Sultanstochter auf den armen Asra schauen! Halb Mitleid — Sehnsucht — rätselhaftes Leid! — Es ist erstaunlich, wie gut du dich in die Situation findest, Iris, — wenn du während der nächsten Sitzungen diesen Ausdruck im Gesicht festhältst, wird das Bild ein Meisterwerk!“

Wieder keine Antwort, — der Graf aber griff hastig zu Pinsel und Palette und begann mit grösstem Eifer das reizende Antlitz seiner Tochter, das bereits skizziert war, auszuführen.

„Das Kostüm hat Zeit!“ sagte er, „wer weiss, ob du morgen in derselben Stimmung bist wie heute! Bislang kannte ich deine Augen nur stolz und blitzend, — heute aber dünkt es mir, als ob die herrliche Sultanin um den armen Asra und um sich selber und ihr einsames Herz weinen könnte!“

Da schüttelte Iris trotzig das Haupt und die weisse Hand zerdrückte den glitzernden Schleier.

„Wie schmählich wäre das!“ stiess sie zornig hervor, und ein spottendes Lächeln huschte schnell um die Lippen, „Marmorbilder haben keine Tränen, und die stolze Sultanstochter hat wohl nie die Liebe eines sentimentalen Burschen begehrt!“

„Weh mir, was tat ich, dass ich an dem scheuen Stolz des Zukunftsweibes rührte!“ rief Waldstetten voll drolligen Schrecks, „ich sage es ja — alle Milde und Weichheit wie fortgewischt! Nun, dann sollst du nicht umsonst Toilette gemacht haben, und anstatt einer zürnenden Amazone will ich lieber Schleier, Goldmünzen und glänzende Seide auf die Leinwand bannen!“ — Er malte; Iris lehnte an der Marmorbrüstung des Springbrunnens und starrte in das plätschernde Wasser ...

Anfänglich glühten ihre Wangen noch in heftiger Erregung und die dunklen Augen blitzten finster unter den langen Wimpern hervor, — dann war es, als sänke ein feiner, bleicher Hauch über das schöne Angesicht, die Augen öffneten sich gross und weit und schauten mit wundersam sinnendem Blick ins Leere ...

Mehr und mehr, — und dem reizenden Modell selber unbewusst, trat der unverkennbare Ausdruck träumerischer Nachdenklichkeit wieder auf dem Antlitz hervor, und stillschweigend, mit rastlosem Eifer führte der Graf den Pinsel, um das Antlitz auf die Leinewand zu bannen.

Die Zeit verging.

„Wirst du nicht müde, Iris?“ —

Da schrak sie empor.

„Ja, ich bin müde.“ —

„So lass uns für heute aufhören. Ich möchte noch einen Augenblick in die frische Luft gehen, mir Appetit für das Mittagessen zu holen, zu welchem wohl Freund Marken rechtzeitig eintreffen wird.“

Iris strich mechanisch die dunklen Haare aus der Stirn.

„Das glaube ich nicht, — Herr von der Marken beabsichtigt zu verreisen und wird sich wohl schriftlich empfehlen!“

Ihre Stimme klang sehr ruhig, aber es lag etwas Hartes, Schmerzliches darin.

„Wie?! was? — verreisen? wohin?! —“

Iris zuckte schweigend die schönen Schultern, nahm die goldgewirkten Schleier über den Arm und schritt hastig durch die Tür.

Sprachlos sah ihr Waldstetten nach.

Ein leise pfeifender Ton stahl sich über seine Lippen.

„Armer Asra!“ murmelte er vor sich hin, „um diesen tut es mir leid!“ —

XV.

Mortimer kam nach Hause.

Still und dämmerig lag sein kleines Zimmer. Die Sonne, die noch vor wenigen Stunden so strahlend hell hineingeschienen, war untergegangen. Die Sonne seines Glückes.

Mechanisch stellte er den Helm zur Seite und sank müde auf den Ledersessel vor seinem Schreibtisch nieder.

Vorbei, — alles vorbei.

Die goldenen Träume von Glück und Liebe in nichts zerronnen.

Gelogen und getrogen hatten die funkelnden Sterne, die von grossem, unendlichem Glück geweissagt hatten.

Nacht und Wolken hatten sie verschlungen und was zurückblieb, war die trostlose Öde eines Lebens, dem die Liebe genommen war. Die Liebe!

Ach, jetzt erst, nachdem er sie verloren, fühlte Mortimer, wie vollständig sie sein Herz erfüllte.

Er hatte dem Schicksal der Marken, das sich in Konstantinopel erfüllen musste, vertraut. Wie ein harmloser, schwärmerischer Knabe hatte er an Glückszeichen geglaubt, die ihn genarrt hatten. Voll jubelnder Zuversicht hatte er die Arme nach der schönsten aller Frauen ausgestreckt, um sie sieghaft an sich zu reissen.

Hatte er sie doch auf den schimmernden Fluten des Bosporus, verhüllt von dem türkischen Schleier, gefunden, die süsse Geheimnisvolle, die sein Schicksal werden musste.

Kein seliges, wonnevolles Geschick, wie der blinde Träumer gewähnt, hatte er gefunden, sondern ein herbes Weib, wahrlich eine eiserne Jungfrau, deren erbarmungslose Worte sein Herz wie Dolchmesser zerfleischten.

Nun waren die Würfel gefallen. Er hatte verspielt. Was nun? —

Hier bleiben in der Residenz?

Sie sehen, treffen und an ihr vorübergehen, wie ein Fremder?

Welche Qual!

Das Haus, in dem er monatelang so unendlich glücklich gewesen war, meiden, als habe er nie den Fuss über seine Schwelle gesetzt?

Undenkbar!

Sich und seines Herzens herbe Not dem neugierigen Geschwätz einer klatschsüchtigen Menge preisgeben? —

Nie und nimmermehr! —

Was liegt dort in dem Büchertisch zwischen Rangliste, militärischen Werken, russischen und französischen Wörterbüchern? —

Ein altes, abgegriffenes Märchenbuch: „Tausend und eine Nacht“. —

Traumverloren greift Mortimer danach und schlägt es auf.

Prinzessin Kassandane.

Sie! wahrlich sie! —

Noch vor wenig Stunden sass sie ebenso, in schimmernder Pracht, vor ihm, und blickte ihn ebenso kalt und unbarmherzig, so grausam und so spottend an.

Prinzessin Kassandane — Iris! Mortimer beisst in leidenschaftlichem Schmerz die Zähne zusammen und bedeckt stöhnend das Gesicht mit den Händen. — —

Da steigt plötzlich ein Bild vor seiner Seele auf.

Er sieht wieder die stille, kleine Mansardenstube, in der ein einsamer Knabe mit fiebernden Pulsen von den Wundern des Morgenlandes träumt.

Heisse Sehnsucht, unbezwingbares Verlangen nach der goldenen, geheimnisvollen Fremde glüht durch seine Seele.

Hinaus! hinaus!

Leben, sehen, forschen, reisen! —

Ach, wie brennt sein Herz vor Verlangen nach dem zauberischen Wunderland!

Er ist ein Marken, er kann nicht daheim sitzen, es treibt ihn fort — hinaus in die lockende Welt, — gleichviel, was sie ihm geben wird, nur hinaus! hinaus, seinem Schicksal entgegen! —

Und draussen wirbelte der Schnee ... es ist kalt, bitter kalt ... in der kleinen Mansarde aber ragen flüsternde Palmen, rauschen geheimnisvoll die Wasser des Springbrunnens, lächelt Prinzessin Kassandane mit erbarmungslosem Auge aus glitzerndem Schleier hervor!

Mortimer springt empor und schlägt vom Schauer überwältigt die Hände vor das blasse, ernste Gesicht.

Wieder fasst sie ihn mit zwingender Gewalt, die heisse, glühende Sehnsucht, die alle Markens hinaus in die Ferne treibt! Fort! fort! —

Hat ihn nicht ein seltsamer Zufall gerade an diesem Tage zum reichen Mann gemacht?

Aus welchem Grunde, wenn das Weib, das er gewinnen wollte, für das er mit seinem Gold ein lauschig sichres Nestlein bauen wollte, sich für ewige Zeiten von ihm gewandt?

Nun ist es vorbei mit dem Sesshaftwerden auf heimatlichem Boden, nun packte ihn eine fremde, eiserne Faust und stösst ihn von der Schwelle des Glücks in trostlose Fernen hinaus!

Trostlos? — wahrlich trostlos?

O nein!

Wandern, ruhelos wandern will er wie ein echter Sohn seiner unstäten Väter, und die bunte, gleissende Welt wird seine Augen blenden, dass sie nicht mehr sehen, was hinter ihnen liegt, und im Vorwärtsstürmen wird er vergessen, was ihm die Heimat angetan. Vergessen! vergessen! —

Ach wer das könnte!

Aber wohin fliehen vor der Erinnerung, die in seinem Herzen leben wird, so lange es schlägt? —

Wohin? —

Ziel- und planlos umherirren, bis Hab und Gut verbraucht sind und er gleich einem Vagabunden an der Landstrasse stirbt?

Mit dem Bild einer Iris im Herzen?

Heisse Schamesröte steigt brennend in seine Wangen.

Nein, er kann und darf nicht zwecklos leben, er wird nicht jammervoll untergehen!

Dazu ist die Liebe, die sein Inneres erfüllt, zu hoch und heilig.

Schaffen! arbeiten! Bei allem Reisen und Wandern aber sich nützlich machen und sich seines Namens wert zeigen! —

Sein Vater hatte seine Leidenschaft dereinst auch in den Dienst des Vaterlandes gestellt und war Afrikareisender geworden. Aber das waren andere Zeiten.

In die Schutztruppe gehen?

Sich nach China kommandieren lassen?

Sowohl China wie Afrika besitzen nicht viel Reiz für ihn! Es fehlt der geheimnisvolle, märchenhafte Reiz, der ihm den Orient in so verlockendem Licht erscheinen liess.

Wohin? — ach wohin? —

Ein kurzes Klopfen; die Tür wird mit scharfem Ruck geöffnet und der Bursche steht auf der Schwelle.

„Bringst du die Lampe, Krause?“

„Nur einen Brief, Herr Leutnant! Zu Befehl.“

„Einen Brief? — Gib her und bring’ Licht.“

„Befehl, Herr Leutnant.“

Die schweren Stiefel stampfen zurück und Mortimer blickt nachdenklich auf das Schreiben in seiner Hand.

Von Tante Gustel? Oder Gretchen?

Nein! Die bedienen sich für ihre Korrespondenz des sehr schlichten, schmalen, altmodischen Papiers mit dem gepressten Rädchen auf dem Umschlag, — des billigsten, welches zu haben ist, dieses Papier aber fühlt sich fest und sehr elegant an, und da — soviel bei dem Dämmerlicht zu erkennen ist, mehrere Marken aufgeklebt sind, kann es sich nicht um ein Schreiben aus der Stadt handeln.

Die Türe öffnet sich.

Heller Lampenschein flutete blendend durch das kleine Gemach und weckt grelle Funken auf gekreuzten Säbeln und Waffen an der Wand.

Krause stellte die Lampe vor seinen jungen Gebieter auf den Schreibtisch und wartet einen Augenblick, auf etwaige Befehle harrend.

Ein tiefes Aufseufzen.

Marken aber hat sich bereits mit müdem Blick über den Brief geneigt und winkt nur kurz mit der Hand ab.

Und abermals flammt es heiss über sein Antlitz und das Auge belebt sich.

Aus Konstantinopel!

Das Papier knistert unter seinen Fingern und sein Blick sucht die Unterschrift.

„Dein alter Hans!“

Schlüchtern! —