Krone und Blut - Robert Low - E-Book

Krone und Blut E-Book

Robert Low

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Beschreibung

Der Kampf um Schottland geht weiter

In den düsteren Jahren des frühen 14. Jahrhunderts kämpft das Schottische Königreich verzweifelt gegen die englischen Besatzer. Doch die großen Kriegsherren und Clansführer sind der Schlachten müde. Sir William Wallace, einer der Führer des schottischen Widerstands, muss nach Frankreich fliehen. Für den englischen König Edward scheint die Stunde des Sieges gekommen. Doch als der legendäre Freiheitskämpfer Robert the Bruce seinen Anspruch auf die schottische Krone geltend macht, flammt der Widerstand wieder auf. Der Kampf um die Freiheit wird für viele der letzte sein ...

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Zum Buch

Schottland kämpft um seine Unabhängigkeit – der Löwe ist erwacht ...

Die schottischen Rebellen sind besiegt und in den Staub geworfen. Der englische König Edward kämpft gegen Stirling, die letze Bastion des Widerstands. Bis auf William Wallace, den ehemaligen Anführer des Widerstands, der nach Frankreich fliehen musste, sind alle Rebellen begnadigt worden. Unter ihnen ist Robert Bruce, Baron von Carrick, der im Verborgenen weiter an seinem Plan festhält, König von Schottland zu werden. Als Bruce ein großer Rubin zugespielt wird, erkennt er, dass er einer der Königsinsignien auf der Spur ist, die seinen Herrscherstatus legitimieren würde. Sir Hal Sientcler, sein treuester Gefolgsmann, wird angesetzt, die Insignien um jeden Preis in Besitz zu nehmen, auch wenn er sich dabei gegen William Wallace wenden muss, der angeblich auf schottischen Boden zurückgekehrt ist. Der Kampf um die Krone nimmt seinen blutigen Lauf ...

Zum Autor

Robert Low ist Journalist und Autor. Mit 19 Jahren war er als Kriegsberichterstatter in Vietnam. Seitdem hat ihn sein Beruf in zahlreiche Krisengebiete der Welt geführt, unter anderem nach Sarajevo, Rumänien und Kosovo. Auf Wunsch seiner Frau und seiner Tochter hat er das Reisen mittlerweile aufgegeben. Um seine Abenteuerlust zu befriedigen, nimmt er regelmäßig an Nachstellungen von Wikingerschlachten teil. Robert Low lebt in Largs, Schottland.

Besuchen Sie den Autor im Internet unter www.robert-low.com

Lieferbare Titel

Die Königskriege:

Der Löwe erwacht

Krone und Blut

Die letzte Schlacht (erhältlich ab September 2015)

Die Eingeschworenen:

Raubzug – Runenschwert – Drachenboot – Rache – Blutaxt

Robert Low

KRONEUNDBLUT

DIEKÖNIGSKRIEGEII

Roman

Aus dem Englischen von Christine Naegele

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe The Lion At Bayerschien 2012 bei HarperCollins Publishers, London

Vollständige Deutsche Taschenbuchausgabe 04/2015

Copyright ©2012 by Robert Low

Copyright ©2014 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random Hause GmbH

Printed in Germany 2015

Redaktion: Heiko Arntz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von © Larry Rostant/artistpartners

Karte Copyright ©2011 by John Gilkes

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-12487-8

www.heyne.de

Für Monique und Simon, die mir das Beste von Schottland gaben– Lewis und Harris

Dies ist die Chronik des Königreichs aus der Zeit der großen Unruhen. Niedergeschrieben im Kloster der Greyfriars im Jahre des Herrn eintausenddreihundertneunundzwanzig, in der Oktave Septuagesimae, im dreiundzwanzigsten Jahr der Regierung unseres Königs, Robert der Erste, den Gott erhalten möge.

Im Jahre des Herrn eintausendzweihundertneunundneunzig entschied unser guter König, damals noch Sir Robert, Earl von Carrick, dass er nicht länger mit seinem Feind und gemeinsamen Regierungsrat Schottlands, dem Roten John Comyn, Lord von Badenoch, zusammenarbeiten konnte, weil dieser immer wieder neue Wege suchte, um Schottland schweren Schaden zuzufügen.

Deshalb gab Sir Robert dieses Amt auf, damit Bischof Lamberton von St. Andrews an seiner Stelle Regierungsrat werden konnte. Man hoffte, dass der Rote John von Badenoch, wenn er schon nicht mit dem Earl von Carrick zusammenarbeiten konnte, doch sicher nichts gegen einen Mann Gottes haben könne. In der Zwischenzeit war Sir William Wallace, der nach seiner Niederlage bei Falkirk in Ungnade gefallen war, nach Frankreich gegangen, teils zu seiner eigenen Sicherheit, aber auch in der Hoffnung auf Hilfe von König Philipp IV. zugunsten des Königreichs.

Das Königreich lag im Krieg mit sich selbst und sogar mit Gott– der Orden der Armen Ritterschaft Christi hatte durch seinen Stolz und seine Arroganz den Zorn der Könige und Päpste auf sich geladen, sodass man beschlossen hatte, den Orden gefügig zu machen. Der Papst wollte ihn mit einem anderen Ritterorden zusammenlegen, dem der barmherzigen Johanniter, der König von Frankreich jedoch, angetrieben von Niedertracht und Habgier, wollte ihn ganz auflösen und schickte seine Helfer aus, um dies durch allerlei Verschwörungen zu erreichen.

Zur gleichen Zeit hatte Edward sich entschlossen, den gefangenen König John Balliol, in dessen Namen Schottland sich nach wie vor widersetzte, in die Obhut des Papstes zu entlassen. Es schien, als seien die Comyns und die Balliols, gemeinsam mit Wallace in Frankreich bereit, König Edward von England zu zwingen, John Balliol wieder auf den Thron zurückkehren zu lassen.

Die Rückkehr des Königs stand unmittelbar bevor– des Mannes, der bereits abgesetzt worden war, der dem Volk, das er im Stich gelassen hatte, alles andere als willkommen war auf einem Thron, den er zudem gar nicht wollte. Diese Umstände bewogen Sir Robert, mit Longshanks, wie Edward genannt wurde, seinen Frieden zu machen, denn er war überzeugt, dass die Adelsversammlung des Königreichs sich auf einem falschen Weg befand. Es gab viele, die derselben Meinung waren. Einige jedoch, aus hinterhältigen und verleumderischen Motiven, behaupteten, Sir Robert habe sich an Longshanks verkauft, der ihm dafür die Krone Schottlands versprochen und Elizabeth de Burgh, Tochter des mächtigen Roten Earls von Ulster, zur Frau gegeben hatte.

Wie dem auch sei, es kam zu dem Pakt, und Sir Robert, jetzt frisch verheiratet und im Frieden mit dem König, ritt an der Seite von Edward Plantagenet, dem Grauen Leoparden, der Schottland Jahr für Jahr mehr in Stücke riss.

Im Jahre des Herrn dreizehnhundertundvier war das Land der Kriege müde, es war der Lords müde, die sie führten, ebenso wie des großen Elends, das der Krieg über alle gebracht hatte. Es schien, dass selbst Longshanks es satt hatte, noch mehr Blut zu vergießen, obwohl er nach wie vor entschlossen war, dem trotzigen Königreich im Norden ein für alle Mal den Fuß aufs Haupt zu setzen.

Mit Unbehagen musste Sir Robert mit ansehen, wie die letzten Reste des schottischen Widerstands zusammenfielen und die meisten der Adligen sich beeilten, mit Longshanks Frieden zu schließen. Dann, als die Feinde des Königreichs sich sammelten, um den Fall von Stirling zu erleben, der letzten Bastion der schottischen Verteidigung, erhob der Herrgott selbst seine Hände, und alles veränderte sich.

Die eine Hand Gottes schwebte über dem Lord von Annandale, Robert Bruce’ Vater, der auf den Tod erkrankte. Als Gott beschloss, ihn in Seine Herrlichkeit aufzunehmen, erbte der Sohn nicht nur die Ländereien und Titel aller Gebiete der Bruces, sondern auch den Anspruch auf die Krone Schottlands. Sir Robert, der sich der Bedeutung dieses traurigen Geschehens bewusst war, machte bereits Pläne, um auf den Thron zu kommen, als das letzte Echo der Rebellion noch nicht ganz verhallt war.

Die andere Hand Gottes brachte Wallace aus Frankreich nach Schottland zurück. Gerade in dem Moment, als König Edward glaubte, alles niedergeworfen zu haben, wurde ihm bewusst, dass eine Kralle des Löwen noch scharf war.

Und die war ebenso gegen Sir Robert Bruce gerichtet wie jede englische Kralle auch.

KAPITEL 1

DAS MOOR VON HAPPREW, IN DER NÄHE VON PEEBLES

LICHTMESS-SONNTAG, FEBRUAR 1304

Kalter Regen, und dazu der Schwarze John.

Wirklich keine ermutigenden Umstände für einen erfolgreichen Krieg, dachte Sir Hal, aber wenn man dann noch Bruce’ grimmige Visage dazunimmt, den endlosen Marsch durch die Februarnässe, die Verwüstungen, den Rauchgestank und die Ruinen überall, dann konnte einem wirklich das Lachen vergehen.

Die Reiter waren tropfnass, und ihre Stimmung konnte mieser nicht sein, die Pferde standen mit hängenden Köpfen in einem Meer aus gelbbraunem Farn und verschlungenen schwarzen Heidekrautwurzeln, in dem nur hier und da etwas grünes Moos zu einer gewissen Abwechslung beitrug.

Und auch sie waren still, bemerkte Hal. Die Ritter und Sergeants waren vollkommen von der Sorge um ihre teuren, verwöhnten und warm eingehüllten Streitrosse in Anspruch genommen, auf denen natürlich niemand ritt. Die durchnässten, mürrischen Knappen mussten zum hundertsten Mal ihre Fesseln und Hufe untersuchen. Die Pferde, die jetzt tatsächlich geritten wurden, standen erschöpft und mit Schlamm verdreckt da, doch sie zählten nichts neben den Destriern, von denen jeder den Preis für ein schönes Herrenhaus in Lothian wert war.

Die Schotten saßen beklommen auf ihren zotteligen Ponys und unterhielten sich so leise, dass das Schmatzen der Pferdehufe im Schlamm, das Klirren und Klimpern von Zaumzeug und Klingen laut dagegen schien. Hal wusste, warum sie geduckt dasaßen und nur zu flüstern wagten, der Grund dafür war weder der Regen noch die vermutliche Nähe des Feindes.

Dies hier war Sheean Stank, wo niemand sich gern freiwillig aufhielt, eine plötzliche Erhebung in einer flachen Gegend, in der sich Flussauen mit tückischem Moor abwechselten, und hier lebte das Volk der Sheean – die sidhean. Obwohl kaum mehr als zwanzig Fuß höher als das umliegende Land, erschien es einem hier wie ein Berg, und jeder wusste, dass dies ein Ort war, wo man aus dieser Welt in die nächste versetzt werden konnte, wo die Elfen einen scheinbar nur einen Tag lang festhielten, doch wenn man zurückkam, waren in der Welt inzwischen sechzig oder gar hundert Jahre vergangen.

Black John Segrave seinerseits hielt nicht viel von Elfen und Feen. Kalter Stahl, davon war er überzeugt, war bei diesen gottlosen Geschöpfen genauso wirksam wie bei schottischen Rebellen, womöglich waren sie sogar ein und dasselbe in diesem Land, das schon rein äußerlich durch Form und Namen auf seine Bewohner hinwies: Foulbogskye, Slitrig, Wolf Rig, Bloody Bush. Und Sheean Stank.

Er blickte hinüber zu Bruce, dem Earl von Carrick und Erben von Annandale, und versuchte ein freundliches Gesicht zu machen, denn Bruce war der neue Günstling Edwards, und die etwa zwanzig verwahrlosten Schotten, die ihn begleiteten, stammten angeblich aus der Gegend und kannten sich in diesem Gelände aus. Außerdem galten sie als loyal gegenüber König Edward. Allerdings bezweifelte Segrave zunehmend das eine ebenso wie das andere. Doch der König hatte sie zu einem ganz bestimmten Zweck ausgesandt, nämlich um die letzten Rebellen ausfindig zu machen und ihre Anführer endlich festzunehmen. Vor allem Wallace.

Und deshalb ritten sie hier mit Schotten, die man ihrem Aussehen und ihrem Verhalten nach selbst für Rebellen halten konnte. Sie wurden von Sir Henry Sientcler von Herdmanston angeführt, den alle nur Hal nannten, selbst die zerlumpten, dreckigen Kerle in seinem Gefolge, die einem graubärtigen Raubein namens Sim Craw unterstanden, das Segrave unter normalen Umständen wegen seiner Unverschämtheit ihm gegenüber schon längst aufgehängt hätte.

Segrave traute keinem von ihnen und wünschte sich inständig, dass Sir Robert Cliffords Leute nicht von ihm getrennt worden wären. Das letzte Mal, als er einen Trupp aufgeteilt hatte, hatte er plötzlich eine unerklärliche Angst empfunden – das war voriges Jahr bei Roslin gewesen. Es hatte Tote und Verletzte gegeben – und auch da war ein Sientcler beteiligt gewesen, erinnerte er sich voll Unbehagen, ein weiterer Angehöriger dieser arroganten Sippe, diesmal aus Roslin selbst. Damals waren sich diese beiden Sientclers nicht grün gewesen, jetzt waren sie angeblich Freunde.

Er, Segrave, traute keinem Schotten, auch wenn er sich noch so englisch gab – wie dieser Earl von Carrick.

»Was denkt Ihr, Mylord?«, fragte er mit belegter Stimme. »Ist der Feind in unserer Nähe? Ob es vielleicht Wallace selbst ist?«

»Jedenfalls haben unsere Späher das berichtet«, erwiderte Bruce sachlich, und Hal sah, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Bruce hatte sich einen Bart stehen lassen, schwarz und auf eine so merkwürdige Art und Weise geschnitten, dass er einen Schnurrbart und ein Bärtchen am Kinn hatte, die Wangen jedoch frei blieben. Hal wusste, dass auf Bruce’ rechter Wange kein Barthaar wuchs, also musste er seinen Bart entsprechend stutzen, obwohl er damit aussah – wie Sim Craw leise bemerkt hatte – »wie so ein kleiner französischer Tanzmeister«.

Irgendwo hörte man einen Brachvogel rufen, im selben Moment kam ein Reiter in gestrecktem Galopp über den Hügel und den Abhang herunter, dass alle die Köpfe hoben.

Es war der Hundejunge auf einem schwer atmenden Pferd, er selbst keuchte noch mehr als das Tier und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, von seinem schwarzen Bartflaum tropfte Wasser, und die Haarsträhnen klebten ihm an den Wangen. Diesen Haarschopf kann kein Eisenhut bändigen, dachte Hal lächelnd. Er konnte nur staunen, was im Laufe der Jahre aus dem schmächtigen Stallburschen geworden war, den er von Douglas mitgebracht hatte – wie lange war das her? Kurz vor Wallace’ Aufstand. Bei Christi Wunden – acht Jahre …

»Jetzt komm erst mal zu Atem«, sagte Sim, »ehe du versuchst zu reden.«

»Obwohl es schon gut wäre, wenn wir so schnell wie möglich erfahren, warum du es so eilig hast,« murrte Segrave.

Hal sah, dass Bruce’ Augen gereizt flackerten.

»Wir sind hier nicht auf Roslin Glen, Mylord«, sagte Bruce mit betont ruhiger Stimme, und Segrave zuckte zusammen, als habe ihn etwas gestochen.

Es war fast auf den Tag genau vor einem Jahr, erinnerte sich Hal, dass Segrave einen Überfall wie diesen hier so katastrophal verpatzt hatte, dass die englischen Streitkräfte innerhalb weniger Stunden vom Roten John Comyn, Sir Simon Fraser und Sir Henry Sientcler, Hals gleichnamigem Verwandten von Roslin, in alle Winde zerstreut worden waren.

Die dann alle prompt nach Herdmanston gezogen waren und das Anwesen niedergebrannt hatten. Bei dem Gedanken daran kochte in Hal wieder die Wut hoch. Verwandt oder nicht, die Sientclers von Roslin waren auf schottischer Seite gewesen und Hal Sientcler von Herdmanston war jetzt auf Bruce’ Seite. Und Bruce war aufseiten der Engländer. Wieder mal.

Der Preis dafür, dass er Bruce gefolgt war, war hoch – allerdings nicht für Bruce selbst, der die Tochter des mächtigen Earls von Ulster zur Frau genommen und dazu neue Ländereien und die erneute Gunst eines alten Königs gewonnen hatte, der sich im Winter seines Lebens befand und doch bisher schon zwei Kinder mit dem jungen französischen Ding gezeugt hatte, das jetzt seine Königin war.

Inzwischen hatten die Sientclers von Roslin natürlich auch das Knie gebeugt und dem König die Füße geküsst. Und Edward, der es für richtig hielt, den Samthandschuh über seine eiserne Faust zu ziehen, hatte ihnen gnädigst ihre Ländereien wiedergegeben.

Hal sah, wie Segrave unbewusst an seine Seite fasste, wo er sich drei Rippen gebrochen hatte, als er vom Pferd gestürzt und Sir Simon Fraser und den anderen direkt vor die Füße gefallen war, womit seine Würde und vermutlich gleichzeitig auch sein Vermögen dahin war, weil sie ihm Lösegeld abpressten.

Aber noch schlimmer war der Moment gewesen, als Fraser sich dafür aussprach, alle Gefangenen zu töten, Lösegeld oder nicht. Es war schließlich gelungen, ihn umzustimmen, aber der Schreck saß Segrave noch immer in den Knochen.

Jetzt war Sir Simon Fraser der Fels in der Brandung für die schottischen Lords, die an jenem Tag bei Roslin Glen dabei gewesen waren, und je näher Segrave ihm kam, desto dringender wurde sein Verlangen, diese Blamage wiedergutzumachen. Bruce dagegen schien entschlossen, die Erinnerung daran wachzuhalten, und Segraves Gesicht wurde immer finsterer.

»Was hast du gesehen?«, bellte Segrave jetzt, und der Hundejunge, nachdem er sich den Regen aus dem Bart gestrichen und über das schmutzige Gesicht gewischt hatte, stieß hervor:

»Frauen, Mylord. Auf der anderen Seite des Hügels.«

Eine Stille trat ein, und die Männer, die bereits begonnen hatten, ihren großen Streitrossen die warmen Decken abzunehmen, zögerten und fragten sich, ob das überhaupt notwendig sei. Die verdreckten Schotten sahen sich wortlos an und packten lediglich ihre Jedburgh-Lanzen etwas fester.

»Frauen?«, wiederholte Segrave verblüfft.

»Wie viele, Junge?«, fragte Hal.

»Ein Dutzend ungefähr«, erwiderte der Hundejunge, der endlich wieder ruhig atmen konnte, und mit der ganzen Erfahrung seiner knapp zwanzig Jahre fügte er hinzu: »Hübsche Weiber, in schönen Gewändern.«

»Was im Namen aller Heiligen macht ein Dutzend Weiber hier draußen?«, fragte Segrave ärgerlich.

Unter den Männern, die hinter Bruce standen, erhob sich leises Gemurmel. Der Earl lächelte freundlich.

»Meine Jungs hier meinen, es könnten Elfen sein, Mylord«, erklärte er. »Vielleicht sind sie das wirklich. Elfen. Feen. Zaubervolk. Hexen.«

Bei jedem dieser Worte wurden die Männer unruhiger und machten Abwehrzeichen gegen das Böse, manche bekreuzigten sich, andere vertrauten auf Gesten aus früheren Zeiten, die sie hastig und verstohlen ausführten.

»Gelobt sei Christus«, brummte Sim.

»In Ewigkeit«, murmelten die Männer. Hal seufzte. Er wusste, dass Bruce Segrave provozieren wollte, dabei aber vergaß, wie das auf jemanden wirkte, der an solche Dinge glaubte. Nur der Hundejunge hatte es gewagt, auf die Kuppe des Hügels zu reiten, und Hal war stolz gewesen, dass er den Mut dazu hatte. Jetzt war noch mehr Mut nötig.

»Vielleicht ist es ein Dorffest«, sagte er, und Bruce und Segrave starrten ihn ratlos an.

»Ein Dorffest?«

»Vielleicht sind es ja Jungfrauen«, warf Sim grinsend ein, »die da gereinigt werden.«

Der Hundejunge, dem beim Gedanken an sein Wagnis noch immer die Knie zitterten, war überzeugt, dass es Elfen waren, denn ihr Tanzen hatte äußerst merkwürdig gewirkt, und eine davon war mit Sicherheit eine Sumpfhexe gewesen, der Größe und der rauen Stimme nach zu urteilen. Doch er war sich nicht völlig sicher und wollte vor Lord Hal nicht wie ein Dummkopf dastehen.

»Sie haben getanzt«, sagte er. »In einem großen Kreis.«

Jetzt packte alle das kalte Grauen. Frauen, die allein tanzten, würden den Zorn der Kirche auf sich ziehen, denn das taten nur Sünder, Heiden und die vom Teufel Besessenen. Und das Tanzen in einem geheimen Kreis war ein so schlimmes Hexenwerk, dass alle Frauen miteinander bestimmt auf dem Scheiterhaufen landen würden.

»Sumpfhexen also«, knurrte Bangtail Hob, der hinter Hal stand, und die Männer brummten zustimmend.

»Gelobt sei Christus«, wiederholte Sim, aber die gemurmelte Antwort ging unter, als ein Mann aus dem Trupp hinter Segrave schrie: »Elfen? Zaubervolk? Wenn Ihr Angst habt, Mylords, dann überlasst die Sache braven, aufgeklärten Männern, nämlich uns englischen Christen.«

Alles drehte sich um zu Sir Roger Malenfaunt. Sein dunkles Gesicht war rot vor Zorn. Bruce’ freundliches Lächeln heizte seinen Zorn noch weiter an. Dies waren die Männer, die ihn einst mit dem Lösegeld für die Gräfin Isabella von Buchan übertölpelt hatten, und selbst wenn es ihn nichts gekostet hatte, war Malenfaunts Stolz empfindlich verletzt worden.

Hal dachte nur daran, wie er Isabel, als sie aus Malenfaunts Gefangenschaft befreit worden war, in seine Arme geschlossen hatte. Und nur ein paar Wochen später hatte das Gemetzel bei Falkirk alles zunichtegemacht, und Isabel war gezwungen worden, wieder zu ihrem Mann zurückzukehren. Hal hatte sie seitdem nicht mehr gesehen, aber es war wie eine alte Wunde, die noch immer schmerzte.

Segrave betrachtete Malenfaunt mit Widerwillen. Über diesen Ritter aus Berwick hörte man ziemlich unappetitliche Dinge. Doch jetzt musste er dem Mann zustimmen. Er merkte, dass auch andere sich bereits in die Sättel ihrer mächtigen Pferde geschwungen hatten, ihre hohen Topfhelme aufsetzten und sich von den Knappen Lanze und Schild bringen ließen.

Er wollte auf Clifford warten, doch er fragte sich, ob es sich bei den Frauen vielleicht um die Huren der Rebellen handelte, wenn ja, dann hätten sie vielleicht Informationen für sie …

»Holen wir uns also ein paar von diesen jungfräulichen Elfen«, sagte Segrave auf Französisch zu Malenfaunt, »wir werden sie dann hier schon reinigen.«

»Mylord …«, begann Hal warnend, doch er unterbrach sich, als die Kampfrosse sich schnaubend und schlammspritzend in Bewegung setzten. Jemand schrie: »Il est hault«, als ginge es auf die Jagd.

Doch Segrave sah den Zorn in Hals wettergegerbtem Gesicht mit den weißen Fältchen um die Augen. »Wir werden ja sehen«, erklärte er und hob die Hand, um sich vor den auffliegenden Erdklumpen der davonstürmenden Pferde zu schützen.

In der gespannten Atmosphäre ertönte Bruce’ Stimme.

»Da – eine Eurer Feen, Mylord.«

Sie drehten sich um und sahen gerade noch die fliegenden Röcke, dann war die Gestalt verschwunden.

»Die würde ich aber nicht wollen«, sagte Sim Craw langsam, und Segrave wandte sein Pferd um und sah in das Gesicht mit den buschigen schwarzen Augenbrauen, das hinter dem ebenso schwarzen Bart fast verschwand. Ungerührt saß Sim da und drückte die große Armbrust, die er zum Schutz vor dem Regen eingewickelt hatte, gegen seinen mächtigen Körper. »Ich hab die Weiber lieber, wenn sie geschoren sind«, sagte er trocken.

Es dauerte einen Augenblick, bis Segrave begriffen hatte, dann brüllte er seinen erschrockenen Knappen an: »Hol sie zurück! Hol sie zurück – verdammt noch mal …!«

Er wollte sich an Bruce wenden, doch es war zu spät. Er hatte dessen lautloses Signal nicht gesehen, jetzt sah er nur noch den Wappenrock, dem eine Handvoll Reiter folgten, nach Westen verschwinden.

Verrat. Dieser Gedanke drängte sich Segrave auf, und er empfand Wut und Angst zugleich. Eine Falle, bei Gott, und Clifford lag noch weit zurück, und Bruce ritt auf und davon und ließ ihn mit einer weiteren Schlacht gegen die Schotten allein, die er unmöglich gewinnen konnte. Bei dem Gedanken spürte er, wie es ihm kalt den Magen zusammenzog, und er drehte sich um und blickte auf seine letzten zwanzig Mann, während die ersten hundert über dem Hügel verschwanden.

Malenfaunt hatte die Frauen sofort gesehen, wie sie ihre Röcke zusammenrafften und in den schützenden Wald rannten wie Hühner vor dem Fuchs. Er stieß ein lautes Johlen aus, nahm den unbequemen großen Helm vom Kopf und schleuderte ihn fort, zusammen mit der Lanze, um eine Hand frei zu haben, dann setzte er mit dem Pferd hinterher und lehnte sich im Sattel zur Seite, um die Flüchtende besser packen zu können.

Die Männer hinter ihm hielten Abstand, hauptsächlich weil sein mächtiges Pferd so viel Schlamm aufwarf, während die Ritter links und rechts dem Beispiel Sir Robert Malenfaunts folgten, indem sie Helme und Lanzen mit bedenklicher Unbekümmertheit im vollen Galopp fortschleuderten.

Sie sahen, wie Malenfaunt jetzt das Tempo verlangsamte und sich herunterbeugte, um den richtigen Moment für seinen Griff nach der Frau mit dem Kopftuch abzupassen. Sie sahen, wie sich die Frau umdrehte. Kopftuch und Gebände flogen durch die Luft und gaben eine wilde, verlauste Haarmähne frei, das bärtige Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt, und Malenfaunt hatte gerade noch Zeit, seinen entsetzlichen Irrtum zu bemerken, da hockte der Mann auch schon am Boden, hatte die zweihändige Axt aus den Röcken hervorgezogen und schwang sie gegen die Beine des Destriers.

Es war Malenfaunts Rettung. Denn gerade als er durch die Luft flog und sich in einem Durcheinander aus Moos und Bäumen und Himmel überschlug, kamen von zwei Seiten des Waldes ganze Wolken von Pfeilen angeschwirrt. Dazwischen stürmte ein zerlumpter, aber entschlossener Haufen Speerkämpfer hervor, zu dem sich die als Frauen verkleideten Männer jetzt ebenfalls gesellten. Die Falle schnappte zu.

Segrave, der noch am Fuß des Hügels stand, hörte, wie das freudige Johlen sich in ängstliches Geschrei verwandelte, und fühlte fast, wie die Schläge auf die Schilde der Kämpfenden hagelten, die er zwar nicht sehen, aber selbst aus dieser Entfernung durch seinen großen Eisenhelm hindurch hören konnte. Er trieb sein großes Kampfross an und ritt den aufgeweichten Hügel hinauf, seine Handvoll Männer hinter ihm her.

Er sah mit einem Blick, dass alles verloren war, als er den Kamm erreichte. Pferde lagen wiehernd und um sich schlagend am Boden, andere galoppierten ziellos umher, Reiter bemühten sich aufzustehen. Überall steckten Pfeile, im Boden, in Menschen und Tieren, und jetzt näherte sich ein dunkles, bedrohliches Dickicht aus Speerspitzen – mindestens dreihundert Mann. Alle Männer, die mit Malenfaunt geritten waren, hatten ihre Pferde verloren und irrten wie verlorene Schafe umher.

Er sah auch den Mann in Schwarz, die silbernen cinquefoils wie Sterne auf Tunika und Schild, und sein Herz fing an, wie wild zu schlagen vor Genugtuung. Das war Fraser, der ihn in Roslin Glen fast vernichtet hätte. Bei Gott, dachte Segrave sich, das macht er nicht noch mal.

Ein Schwarm von Pfeilen warf den Mann neben ihm aus dem Sattel, und das große friesische Schlachtross galoppierte mit zwei Pfeilen in der Brust schrill wiehernd vor Schmerz weiter. Schließlich brach es zusammen, es trat um sich, und aus Nase und Maul sickerte Blut in den Moorboden.

Die Männer um Segrave zögerten, in eine Hecke aus Speerspitzen zu reiten, die von etwa sechzig Bogenschützen aus Selkirk verstärkt wurde, aber er war jetzt von einer blinden Wut getrieben und dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben.

Hal sah ihn ankommen, sah ihn angreifen – doch dann lachte Bruce plötzlich über sein ganzes breites Gesicht mit dem Tanzmeisterbärtchen und deutete auf die Rücken der Bogenschützen. Er nahm seinen großen Helm ab, ließ ihn fallen und gab seinem Pferd die Sporen.

Er hatte sie perfekt umrundet, und jetzt war es weniger ein Kampf als eine Hetzjagd. Die Bogenschützen hörten das Donnern der Hufe gerade rechtzeitig, um ihre Tätigkeit zu unterbrechen, dann sahen sie mehr als zwanzig brüllende Schotten, die von hinten auf ihren schnellen kleinen Hochlandpferden auf sie zukamen.

Hal drängte sich durch die Menge, wobei er versuchte, sein Pferd unter Kontrolle zu behalten und gleichzeitig Schwerthiebe auszuteilen, doch er war sich sicher, dass er niemanden getroffen hatte, sein Pferd war kein Schlachtross. Er sah, wie Bangtail Hob zusammen mit ein paar anderen fliehende Schotten verfolgte und sie auf ihren kurzbeinigen Pferdchen im Galopp einzukreisen versuchte, aber sie waren eher das Kämpfen zu Fuß gewohnt. Hal rief ihnen etwas zu, aber seine Stimme dröhnte ihm in dem großen Helm in den Ohren, dass er fast taub wurde.

Er nahm den Helm ab und deutete brüllend und gestikulierend in eine Richtung, bis sie alle verstanden hatten und ihre Pferde auf die Speerkämpfer zutrieben, die sich verzweifelt bemühten, einen Ring zu bilden.

Zu spät, dachte Hal und brachte sein Pferd zum Stehen, während er versuchte, seinen Helm am Gürtel festzumachen. Segraves Reiter, die einzeln oder zu zweit ankamen, gingen schon dazwischen, sie suchten nach Lücken zwischen den Speeren und ritten die Männer in den schlammigen Grasboden, und aus den entschlossenen Speerkämpfern war plötzlich ein flüchtender Haufen geworden.

Schwertklirren ertönte, und Hal drehte sich um. Er sah Bruce, der aufrecht und fest im Sattel seines mächtigen Destriers saß, der unter seiner starken Hand unruhig tänzelte und stampfte und mit den riesigen Hufen die Erde aufwarf. Und mit einem Schreck, der ihm fast das Herz stillstehen ließ, erkannte Hal den Hünen, der mit Bruce kämpfte.

Das rotgoldene Haar war stumpf und jetzt mit Grau durchzogen, der Bart lang und zottelig, wie damals, als Hal ihn zum ersten Mal gesehen hatte und ehe er säuberlich gestutzt wurde, wie es die Würde als Regierungsrat von Schottland verlangte. Doch noch immer war er eine imposante Erscheinung – Himmel, er war noch größer, als Hal ihn in Erinnerung hatte – und noch immer ließ er seinen Anderthalbhänder ohne sichtbare Anstrengung in einer Hand wirbeln, in der anderen hielt er den ramponierten Schild mit den Spuren seines Wappens – einem weißen steigenden Löwen auf rotem Grund.

Wallace tat einen Schritt vor, täuschte an, schlug zu und sprang zurück. Bruce, der sich genauso leicht und unangestrengt bewegte wie Wallace, parierte, und die Klingen klirrten. Das Schlachtross mit dem elegant geschwungenen Hals schnaubte und versuchte sich aufzubäumen und zuzuschlagen, wurde von seinem Reiter aber zurückgehalten.

»Verschwindet«, sagte Bruce kalt. »Wenn Ihr klug seid, geht Ihr zurück nach Frankreich – aber auf jeden Fall geht! Der Krieg ist so gut wie beendet, und Ihr seid erledigt. Glaubt mir.«

»Und Ihr, mein lieber Lord von Carrick«, sagte Wallace und grinste in seinem wirren Bart, »Ihr geht am besten zum Teufel. Und wenn Ihr von diesem riesigen Viech runtersteigt, auf dem Ihr da sitzt, seid Ihr ebenfalls erledigt. Glaubt mir.«

Irgendjemand rief etwas, und Hal sah eine rennende Gestalt, die er gut kannte, einer der Männer von Wallace – der loyale Fergus, sein schwarzer Lederpanzer fleckig und zerkratzt.

Mit Fergus, der ihm mit seiner Breitaxt Rückendeckung gab, zog Wallace sich vorsichtig zurück. Er erwartete offenbar, Bruce würde ihn verfolgen, und auf seinem Gesicht zeigte sich Überraschung, als das nicht geschah. Hal sah, dass Bangtail Hob und Illmade Jock sie umkreisten, und machte ihnen mit Blicken klar, dass das nicht nötig war. Wenn dies hier in einem Zweikampf endete, dann war es allein Bruce’ Angelegenheit, obwohl ihm bei dem Gedanken daran schon schlecht wurde. Und noch schlechter wurde ihm bei dem Gedanken, dass er hier Leute niedergeritten hatte, mit denen er vielleicht einst Seite an Seite gekämpft hätte. So weit sind wir gesunken, dachte er bitter, dass selbst die Besten unter uns nur noch den einen Wunsch haben, sich gegenseitig umzubringen.

»Geht nach Frankreich, Will«, wiederholte Bruce leise. »Wenn Ihr hierbleibt, bedeutet das Euren Tod.«

»Wenn ich hierbleibe«, sagte Wallace in gutem Französisch, während er sich immer weiter unter die tropfenden Bäume zurückzog, »kommt Ihr nicht zum Zuge.«

Damit verschwand er – wie eine Geistererscheinung. Hal hörte, wie Segrave dem gerade angekommenen Clifford etwas zurief und laut fluchte, weil Wallace und Sir Simon Fraser verschwunden waren.

Bruce, der bis jetzt entgeistert auf die Stelle gestarrt hatte, wo Wallace verschwunden war, blickte zu Hal hinüber. Er wirkte niedergeschlagen.

»Kein Wort«, sagte er und wandte sich ab. Hal überlegte, ob er damit sein eigenes Vorhaben andeuten wollte oder Segrave gegenüber zugab, dass er Wallace hatte entkommen lassen. Sim Craw war gerade dazugetreten und hatte es ebenfalls gehört. Er schniefte, dann blies er Rotz und Regenwasser aus der Nase und interpretierte es auf seine Weise.

»Verdammt und zugenähnt! Wenn Black John hört, dass wir Will Wallace in der Hand hatten und dass wir ihn wieder haben laufen lassen …« Er schwieg, denn mehr brauchte er nicht zu sagen. Der Regen hörte auf. Die Sonne kam heraus, und die Brachvögel schrien, als hätte es hier bei Sheean Stank etwas wie Schrecken, Blut und Tod nie gegeben.

»Elfen«, brummte der Hundejunge Bangtail beschämt zu, als er die Toten in ihren Frauenkleidern betrachtete.

ABTEI VON CAMBUSKENNETH, STIRLING

AM TAG DES HEILIGEN TERNAN, JUNI 1304

»Ihr habt Euch eine gute Gelegenheit entgehen lassen, Mylord.«

Bruce hob nicht den Kopf, sondern ließ lediglich seine Augen zu Bischof Wisharts breit grinsendem Gesicht wandern, auf dem im flackernden Kerzenlicht groteske Schatten lagen.

»In diesem Spiel ist ein Bischof zu viel«, knurrte er, worauf Wishart leise lachte und Hal mit gerunzelter Stirn wieder einmal feststellte, dass er mit dem Schachspiel nur unzureichend vertraut war. Er war sich sicher, dass er einen Fehler gemacht hatte, aber Bruce hatte die Gelegenheit nicht genutzt. Oder war das ein raffinierter Zug gewesen, um ihn in noch größere Schwierigkeiten zu locken?

»Ja, stimmt«, hörte man Kirkpatricks raue Stimme aus dem Hintergrund. »Hier ist noch einer.«

Eine Gestalt in brauner Kutte und mit Tonsur fegte an ihm vorbei und trat ins Licht, so schnell, dass die Kerzenflamme flackerte und die Schatten wild tanzten. Hal sah, dass er für einen Prälaten erstaunlich jung war, sein rundes Gesicht wirkte glatt und weich, aber seine dunklen Augen verrieten Klugheit. Der Bauchansatz passte nicht so recht zu den schlanken Händen, von denen er jetzt eine ausstreckte.

»Gelobt sei Christus«, sagte der Prälat etwas atemlos.

»In Ewigkeit.«

Bruce erhob sich und küsste pflichtschuldigst die Hand, dann runzelte er die Stirn.

»Endlich«, sagte er mürrisch. »Wir haben gewartet, Exzellenz, und die Zeit, die ich nicht an der Seite des Königs verbringe, ist knapp bemessen.«

»Wie geht es dem edlen König von England?«, fragte Lamberton gut gelaunt.

»So gut, dass es schon fast unerträglich ist«, erwiderte Bruce mit ironischem Lächeln. »Er sitzt in Stirling und spielt mit seinen teuren Spielsachen, und seine Frau und ihre Hofdamen dürfen ihm durch ein rundes Fenster zusehen, das er extra hat einbauen lassen. Es scheint den Damen ein großes Vergnügen zu sein, während des Nähens zu beobachten, wie schwere Steinkugeln gegen Mauern geschleudert werden. Und seine zwei Kinder kreischen vor Lachen.«

»Wie ich höre, hat er zwei große Maschinen«, erklärte Lamberton. Er nahm einen Becher Wein, den Wishart ihm reichte, und ließ sich zufrieden seufzend damit nieder.

»Eine nennt er ›Segrave‹, glaube ich, die feuert große, schwere Kugeln – was ich sehr passend finde. Das weiß ich aus den Beschwerden all der Äbte, denen man zum Bau das Blei von den Dächern genommen hat.«

»Dann solltet Ihr um gutes Wetter beten, sonst werden wir alle nass«, erklärte Bruce säuerlich. »Cambuskenneth hat auch sein Dach verloren, bis auf das Stück über dem Altar, damit wenigstens Gott nicht ungehalten ist. Und Edward Plantagenet hat jetzt zwölf dieser Kriegsmaschinen. Eine davon gehört mir, sie wurde nach Lochmaben geschickt – nur der Wurfarm fehlt, der ist auf wunderbare Weise auf den falschen Weg geraten und wird zu spät kommen, um von Nutzen zu sein.«

»Er hat auch griechisches Feuer, wie ich höre«, fügte Wishart hinzu und schüttelte missbilligend den Kopf, »und Waffen, die beim Platzen Feuer und Schwefel regnen lassen.«

Einen Moment war es still. Hal wusste nicht, was die anderen dachten, aber er selbst bewunderte im Stillen diese Waffen, die mit großen Feuerstößen Erde und Steine in die Luft schleuderten. Und Feuer, das wie Wasser floss und nicht gelöscht werden konnte. Doch die Mauern von Stirling waren zwar versengt und voller Narben, aber sie hielten stand.

»Ja, richtig«, sagte Lamberton plötzlich und rieb die Hände, als wolle er sie am Feuer wärmen. »Keine Angst – Stirling wird standhalten, auch wenn alles andere in Trümmern liegt. Der junge Oliphant hat dort ganze Arbeit geleistet.«

»Der junge Oliphant hält aus, weil Longshanks seine Kapitulation nicht angenommen hat«, erklärte Bruce nüchtern. »Er hat sie vor einer Woche angeboten. Der König möchte seine neueste Maschine in Aktion sehen, den großen Warwulf. Man braucht fünfzig Leute, um sie zu bedienen, und Edward ist entschlossen, Oliphant damit erst noch ein paar Steine an den Kopf zu werfen, ehe der Mann herauskommt.«

Wieder herrschte Stille, in der man das leise Schlurfen weicher Schuhe hörte. Lamberton seufzte.

»Damit hätten dann endlich alle aufgegeben«, sagte er. »Bis auf Wallace.«

Bruce warf dem Bischof einen ernsten Blick zu. Lamberton verdankte seinen Posten Wallace, der ihn eingesetzt hatte, als er Reichsverweser war und jeden Adligen brauchte, den er nur auftreiben konnte. Bruce fragte sich, wie ernst es dem Bischof mit seinem Pflichtgefühl war.

Andere sture Köpfe, die man endlich überredet hatte aufzugeben, waren anfangs noch von Edwards Bedingungen ausgeschlossen worden. Doch selbst ihnen war schließlich vergeben worden, von einem Longshanks, der aus all seinen früheren Versuchen gelernt hatte und es jetzt abwechselnd mit dem Samthandschuh und der eisernen Faust versuchte.

Allen hatte er verziehen – bis auf Wallace.

»Das ist ein Problem, über das wir jetzt sprechen müssen«, fing Bruce an, doch dann verstummte er, als eine neue Gestalt im Licht erschien. Gebeugt, mit einem Gesicht wie ein alter Habicht und strähnigem grauem Haar, das unter einem konischen Filzhut heraushing, nickte der Mann und dankte Kirkpatrick leise, der ihm auf den Stuhl half. Den Becher Wein lehnte er mit einer müden Handbewegung ab.

»John Duns«, verkündete Bischof Wishart, und der Mann mit dem gelblichen Gesicht brachte ein mühsames Lächeln zustande. Bruce kannte den Priester dem Namen nach – ein Mann mit einem messerscharfen Verstand –, aber sein Aussehen schockierte ihn, denn der Geistliche war kaum vierzig Jahre alt.

»Der neue Herr von Annandale«, sagte Duns mit leiser Stimme, wobei er Bruce ansah. »Der Titel, mit dem Ihr Anspruch auf den Thron von Schottland habt. Deshalb seid Ihr doch hier.«

»Ich bin hier, weil es für das Reich notwendig ist«, erwiderte Bruce. »Es braucht einen König.«

»Ganz richtig«, sagte Wishart ruhig, ehe jemand etwas sagen konnte. »Lasst uns erst Gott darum bitten, dass jeder Anwesende hier dieses Treffen geheim hält, damit es niemandem zu Ohren kommt, der gegen uns ist. Bei Strafe des ewigen Höllenfeuers – es darf nichts davon bekannt werden.«

»Und bei der Geldstrafe, die wir beschlossen haben«, fügte Lamberton ebenso leise hinzu, »die ein ganzes Land in den Ruin treiben würde, ganz zu schweigen von einem kleinen Prälaten. War das eigentlich unbedingt notwendig?«

»War es. Aber jetzt wollen wir zum heiligen Ägidius beten«, erwiderte Wishart fest, »dem Schutzheiligen der Krüppel und Bettler, dass es nie so weit kommen möge.«

Das leise, fromme Gemurmel der Geistlichen erhob sich, und vor Bruce’ innerem Auge erschien das Gesicht seines Vaters. Für ihn würde man auch noch Gebete murmeln, dachte Bruce, Gebete, die das Kloster von Holm umkreisten wie gefangene Vögel. Er versuchte, den Alten in einem freundlicheren Licht zu sehen, als er es für gewöhnlich tat, aber es gelang ihm nicht.

Er erinnerte sich an einen frommen, schwerfälligen alten Mann. Auch an verbrannte Bücher erinnerte er sich, und an eine zerbrochene Laute. An Prügel, wenn er den Lehren »des gottverlassenen Alten« zu viel Aufmerksamkeit schenkte.

Der gottverlassene Alte war sein Großvater gewesen, der ihm den Anspruch der Bruces auf den Thron Schottlands eingebläut und gleichzeitig verächtlich erklärt hatte, dass sein Sohn für diese Rolle völlig ungeeignet sei. Und mit Recht, wie Bruce dachte. Sein Großvater hatte unermüdlich daran gearbeitet, den Anspruch der Bruces zu festigen. Mein Gott, hatte man ihn nicht deswegen »den Mitbewerber« genannt? Sein Vater dagegen hatte bis auf eine ängstlich vorgetragene Bitte an Longshanks herzlich wenig dazu beigetragen.

Doch als er dann hörte, dass sein Vater ihm eine letzte Botschaft hinterlassen hatte, die Kirkpatrick ihm überbringen sollte, hatte Bruce’ Herz einen kleinen Freudensprung getan. Vielleicht hatte der Alte doch noch einen Funken Liebe für ihn empfunden, auch wenn ihr Verhältnis durch die gemeinsame Veranlagung zu Wutausbrüchen und zur Sturheit immer schlecht gewesen war. Doch dann war auch diese Hoffnung zerstoben, zum letzten Mal.

Nicht ehe Longshanks tot ist.

Kurz und bündig war sie, diese letzte Anordnung, und sie enthielt alles an Liebe, wozu der alte Bruce fähig war. Das war das Vermächtnis der Bruces – das und der Fluch des Malachias, fügte er im Stillen hinzu, während er über seine bartlose Wange strich.

Hal sah diese unbewusste Bewegung und wusste sofort, was in Bruce vorging.

Kirkpatrick hatte es ebenfalls bemerkt, und er und Hal tauschten einen kurzen Blick, jeder von ihnen wusste von der Geschichte, die etwas mit einem früheren Bruce von Annandale zu tun hatte. Der hatte den frommen Mann hintergangen, weil er versprochen hatte, einen verurteilten Verbrecher freizulassen, und ihn dann heimlich doch hängte. Der Priester war sehr verärgert gewesen und hatte die Bruces mit einem Fluch belegt, der noch wirkmächtiger wurde, als Malachias schließlich heilig gesprochen wurde.

Es hatte Bruce’ Vater sehr belastet, darum hatte er versucht, den Fluch zu mildern, indem er einen Teil der Pachtgelder von Annandale dafür bestimmte, die letzte Ruhestätte des Heiligen in Clairvaux für alle Zeiten mit Kerzen zu versorgen und Messen lesen zu lassen. Bruce musste öfter gegen diese Furcht ankämpfen, als er sich eingestehen wollte – was Kirkpatrick nur zu gut wusste, deshalb hatte er auch nie erwähnt, dass der Mann, der vor Jahren seinen letzten stinkenden Atemzug an der Wange des jungen Bruce ausgehaucht hatte, Malachias hieß.

Kirkpatrick. Farblos wie Haferbrei, mit einem Gesicht, dem man so ziemlich alle Eigenschaften nachsagen konnte, außer Schönheit. Für die Bruces mehr als ein Diener, aber weniger als ein Freund. Eine heimliche Waffe, ein Frettchen, das man in die dunkelsten Löcher schicken konnte, um verborgene Wahrheiten ans Licht zu bringen – besonders die Wahrheiten um den Steinmetz. Alle hier Anwesenden dachten, der Name des Steinmetzen sei Manon gewesen, ein Sterbender, der ein Geheimnis hütete, da war Bruce sich ganz sicher, und der das Geheimnis mit ins Grab nehmen würde. Deshalb hatte er sich damals ganz nahe zu ihm hinabgebeugt, in der Hoffnung, seine letzten Worte zu hören. Der Steinmetz hatte Blut herausgewürgt – zusammen mit der letzten Hostie, einer weißen Oblate, die wie ein Boot auf einer Blutwelle Bruce ins Gesicht schwappte.

Später hatten sich auf Bruce’ Gesicht rote Pusteln gebildet, die aber schnell weiß geworden waren – und jetzt wuchs an der Stelle kein Bart mehr. Bruce hielt dieses kleine Unglück bereits für einen Teil des Fluches – doch wenn er alles wüsste, dachte Kirkpatrick, würde es ihn in größte Unruhe versetzen.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, ließ Bruce die Hand sinken und kehrte wieder zurück in die Gegenwart dieses dunklen, unheimlichen Raumes.

»Ich kann auf die Unterstützung Eurer Lordschaften zählen«, sagte er in Wisharts letztes Amen hinein. »Atholl und Lennox sind mir auch sicher, dazu ein großer Teil des niederen Adels wie zum Beispiel Hay von Borthwick und Neil Campbell von Lochawe.«

»Auch die Bischofssitze von St. Andrews, Glasgow, Dunkeld und Scone sind Euch sicher«, erklärte Wishart mit einigem Stolz, wobei er Lamberton eindringlich ansah, der lächelnd über sein bartloses Kinn strich.

»Vielleicht auch Moray«, sagte er. »Und ganz bestimmt Brechin. Den Abt von Inchcolm muss ich noch fragen, aber wie ich höre, schätzt er Euch sehr, Mylord.«

»Und den Abt von Arbroath könnt Ihr auch haben«, warf John Duns ein, »vorausgesetzt, dass es sich dabei um meinen Schreiber Bernard von Kilwinning handelt. Das ist ein guter Mann, der weiß, wie ich denke, und diesen Posten verdient. Longshanks hatte ihn wegen seiner Loyalität zu Schottland seines Amtes im Kloster Kilwinning enthoben.«

»In diesem Spiel werden keine Bauern gekrönt«, sagte Lamberton streng. »Nur Könige.«

Duns zuckte die Schultern.

»Dies ist kein Schachspiel, Mylords. Eher ein Pferdemarkt, obwohl Bernard keinerlei Ähnlichkeit mit einem Pferd hat, auch wenn er wie ein Pferd schuftet – und wahrhaftig auch einen ähnlichen Appetit hat. Obwohl es mir schwerfällt, ich versichere Euch, er ist zu gut für einen Schreiber, der nach meiner Rückkehr nach Paris abgeschoben werden würde.«

Es war schwer, dies alles zu verarbeiten, dachte Hal. Der englische König war nur noch ein paar Meilen entfernt und schleuderte Steine auf Stirling, die letzte Festung des fehlgeschlagenen Aufstands, die noch standhielt – und hier, in diesem engen Raum hoch oben im Glockenturm von Cambuskenneth, wurden bereits wieder Pläne geschmiedet und gegenseitige Gefälligkeiten ausgehandelt, um Robert Bruce zum neuen König Schottlands zu machen.

Doch es war nicht genug, dachte Hal. Zwei Earls, ein paar Bischöfe und eine Handvoll kleiner Lords reichten nicht als Anhängerschaft, wenn ein Mann König werden wollte. Er war sich nicht bewusst, dass er diesen Gedanken ausgesprochen hatte, bis es plötzlich still wurde und er merkte, dass alle ihn anstarrten.

»Kirkpatrick dort kenne ich«, sagte John Duns leise, indem er Hal mit seinen dunklen Augen misstrauisch ansah. »Aber diesen hier nicht.«

»Hal – Sir Henry Sientcler«, sagte Bruce kurz. »Von Herdmanston.«

John Duns zog die Augenbrauen hoch und nickte.

»Ah ja – der junge Mann, der dem Earl von Buchan Hörner aufgesetzt hat. Wie ich höre, wird seine Frau, die Gräfin Isabel, deshalb jetzt hinter Schloss und Riegel gehalten wie eine Preiskuh. Diese Sünde hat Euch beiden wenig Glück gebracht.«

Hal starrte ihn einen Moment an, ein Blick, der Bruce nicht gefiel, denn er erinnerte an die Ruhe vor dem Sturm auf See.

»Und Ihr müsst John Duns sein, der von der Universität Paris relegiert wurde«, erwiderte Hal schließlich. »Wegen Hurerei, wie ich hörte. Und der jetzt langsam an den faulen Säften stirbt, die sich dadurch in seinem Körper gesammelt haben.«

Die Antwort war leise und boshaft gekommen, und Dun spitzte verärgert die Lippen. Wie ein Katzenarsch, stellte Bruce amüsiert fest. Hal lächelte bitter.

»Ich bin sicher, dass unsere Einmaligkeit noch mehr für uns bereithält als diese Episoden«, sagte er. Duns sah ihn überrascht an, dann wich die zornige Röte aus seinem Gesicht, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.

»Ihr kennt meine Lehre?«, fragte er, und Hal machte eine unbestimmte Handbewegung.

»Wir haben es hier mit keinem gewöhnlichen kleinen Lord zu tun«, unterbrach Bruce, indem er Hal leicht auf die Schulter schlug, als wollte er einen besonders klugen Hund vorführen.

»Und Ihr kennt sie natürlich auch«, sagte Duns trocken zu Bruce gewandt, »oder zumindest weiß ich, dass Euer Bruder damit vertraut ist.«

Bruce starrte ihn verständnislos an. Der junge Alexander Bruce galt als der Gelehrte der Familie und war angeblich der beste Student der Universität Cambridge. Bruce selbst hatte im letzten Jahr das Festgelage für ihn ausgerichtet, mit dem man den frischgebackenen Magister Artium gefeiert hatte – aber die Anspielung, dass der junge Mann der einzige Gebildete der Familie sein könnte, ärgerte ihn.

»Ich kenne Eure Lehre von der haecceitas, der Einmaligkeit eines jeden einzelnen Menschen«, erwiderte er kurz. »Was allerdings Eure Argumente bezüglich Mariä unbefleckter Empfängnis betrifft, so bin ich nicht so recht überzeugt. Das ist Sophisterei … Nun, aber deswegen sind wir nicht hier.«

»Ihr habt recht, Mylord«, unterbrach Hal, worauf Bruce, der sich beleidigt fühlte, erst recht mürrisch dreinblickte. »Ich weiß nur zu gut, warum wir hier sind: ich und Kirkpatrick, weil der Lord von Annandale es befiehlt, und die Bischöfe, weil wir ihren Rat und ihre Unterstützung brauchen. Aber warum dieser Master Duns hier ist, das weiß ich nicht.«

Kirkpatrick, der während dieser Erklärung von einem zum anderen geblickt hatte und bei der unverschämten Bemerkung vom »kleinen Lord« von Herdmanston unwillig aufgefahren war, bewunderte jetzt den Mut, mit dem dieser seine Meinung gesagt hatte. Er war ungehalten über Duns’ Bemerkung, »Kirkpatrick kenne ich«, das hatte so nebensächlich geklungen, wie wenn man einem Hund beruhigend das Ohr krault. Es stimmte ja, er war Bruce’ Spürhund, aber ganz so schonungslos wollte er nicht daran erinnert werden.

Er wollte gerade die scharfe Antwort geben, die er sich inzwischen zurechtgelegt hatte – da fing er einen Blick von Wishart auf. Der Bischof runzelte die Stirn, dass seine buschigen Brauen sich berührten.

»Master Duns hat einen scharfen Verstand«, warf er beruhigend ein, ehe Kirkpatrick etwas sagen konnte, »und den werden wir bei dem schweren Problem der Quadratur des Kreises brauchen.«

»Richtig«, erwiderte Bruce lakonisch. »Wir müssen versuchen, die Comyns ins Boot zu holen, ohne ihnen wirklich zu sagen, was wir vorhaben.«

»Das ist tatsächlich ein Problem«, erwiderte Wishart. »Und es gibt noch eins.«

Lamberton seufzte und machte eine müde Handbewegung. »Es hat keinen Zweck, um die Sache herumzureden«, sagte er bestimmt. »Wir müssen es schaffen, die Comyns davon zu überzeugen, dass unsere Sache rechtens ist und dass der Earl von Annandale einen Anspruch auf die Krone hat. Und noch mehr – wir müssen es natürlich vor ihnen und allen anderen rechtfertigen können.«

»Rechtfertigen?«

Bruce hatte aufsässig das Kinn vorgeschoben, aber die trotzige Unterlippe von früher war längst vergessen. Jetzt wirkte er streng, wie ein Lehrer, der einen Schüler zurechtweisen muss.

»Ihr seid drauf und dran, einen Thron zu usurpieren, Mylord«, gab Lamberton trocken zu bedenken. »Es wird allerdings ein gutes Argument nötig sein, um Strathearn und Buchan und die Dunbars der Mark zu überzeugen – und das sind nur einige –, dass Ihr ein Recht darauf habt.«

»Einen Thron zu usurpieren?«, bellte Bruce zurück, sodass Wishart beschwichtigend die Hand hob, doch seine Stimme klang fest.

»König John Balliol«, erklärte er und ließ den Namen im Raum stehen, ein Störfaktor inmitten ihrer Pläne. Balliol, in dessen Namen der Aufstand angefangen hatte und der Grund, warum Bruce sich von den Rebellen losgesagt und vor zwei Jahren seinen eigenen Frieden mit Edward geschlossen hatte.

Hal wusste, das war die Zeit, als es Gerüchte von Balliols Rückkehr gab, den der Papst angeblich nach Schottland zurückschicken wollte. Gerüchte, die von Longshanks in die Welt gesetzt worden waren, der verzweifelt versuchte, sich gleichzeitig der Franzosen und der Schotten zu erwehren, die an beiden Enden seines Reiches für Unruhen sorgten. Die Rückkehr des alten Königs passte absolut nicht in Bruce’ Pläne, also hatte er Longshanks’ Friedensangebot und seine Belohnung angenommen. Er hatte gehofft, seinen Anspruch auf den Thron aufrechtzuerhalten, indem er Edward überzeugte, dass ein Bruce eine bessere Gewähr für ein friedliches schottisches Königreich sei als ein Balliol.

Doch durch eine unglückliche Verkettung von Umständen war es nicht lange danach zur Schlacht der Goldenen Sporen gekommen, in der die Flamen bei Courtrai die Blüte der französischen Ritterschaft ausgelöscht hatten. Gewöhnliches Fußvolk war in riesigen Karrees mit Stangenwaffen angerückt, wie Hal gehört hatte, und hatte so viele französische Ritter getötet, dass deren vergoldete Sporen allein einen kleinen Berg bildeten.

Die fassungslosen Franzosen waren gezwungen gewesen, mit Edward Frieden zu schließen, worauf Longshanks frei war, sich dem Norden zuzuwenden. Das Ergebnis stand jetzt vor den Mauern Stirlings und schleuderte Feuer und Steine, und man hielt Siegesfeiern ab, die die frisch begnadigten schottischen Lords mit grimmiger Höflichkeit zur Kenntnis nehmen mussten.

Damit waren alle Pläne zunichte, Balliol wieder auf den Thron zurückzubringen – und trotzdem hatte das Königreich bis jetzt in seinem Namen gekämpft. Und war gescheitert. Doch Bruce war entschlossen, das zu ändern.

»Balliol sind die Kroninsignien abgenommen worden«, erinnerte Bruce die Anwesenden leise. »Von demselben König, der ihn eingesetzt hatte.«

»Er war mit Zustimmung aller Lords des Königreichs eingesetzt worden«, gab Lamberton zurück, was Bruce mit einer wegwerfenden Handbewegung abtat.

»Trotzdem«, fuhr Lamberton leise fort, »für die, die so beharrlich für ihn gekämpft haben, ist Balliol noch immer der König. Und zu denen gehört auch Wallace.«

»Die Adelsversammlung des Reiches hat das Kämpfen satt«, fauchte Bruce wütend. »Sie sind die Ersten, die endlich ihren Frieden mit Edward machen wollen. Und Wallace ist auch erledigt. Auch wenn es grausam klingt, es ist die Wahrheit. Dies ist kein Königreich mehr, Mylords. In allen Dokumenten aus Westminster ist nur noch von einem Land die Rede, weiter nichts. Es wird jetzt von Edward regiert, und die Bedingung, um wieder liebevoll an seinen Busen gedrückt zu werden, ist, dass jeder Lord dieses Landes Jagd macht auf William Wallace. Und Wallace ist nicht mehr so beliebt, dass dieser Befehl lange unbefolgt bleiben wird.«

»Die Sache mit Balliol ist einfach«, sagte John Duns, und alle sahen ihn an. Sein gelbliches Gesicht wirkte hochmütig, er hatte die schlanken Hände gefaltet. Wishart merkte, wie die Arroganz des Mannes ihn wütend machte, gleichzeitig aber musste er seinem scharfen Geist und diesem unbeugsamen Willen auch Respekt zollen.

Duns war nicht wegen Hurerei von der Universität Paris relegiert worden, wie Hal gehört hatte, sondern dafür, dass er sich dem König widersetzt hatte. Und er litt an einer langsam fortschreitenden Krankheit, von der Wishart inständig hoffte, dass sie bei Duns besonders langsam fortschritt, denn der Verlust des Mannes würde für sie alle eine Tragödie bedeuten. Dennoch, er war wirklich schwer zu ertragen …

»Wir müssen die Grundsätze des Thrones neu bestimmen«, fuhr Duns fort. »Es muss ein Vertrag sein, zwischen dem König und der Adelsversammlung, und zwar in dem Sinne, dass die Adelsversammlung ermächtigt wird, einen ungeeigneten König abzusetzen. Ein ungeeigneter König ist natürlich jemand, der zulässt, dass ein äußerer Feind nach dem Thron greift. So wie John Balliol es jetzt tut, der es vorzieht, in seinem goldenen Käfig zu hausen, statt für die Freiheit zu kämpfen. Denn die Freiheit, meine Herren, gibt man nicht auf, man verteidigt sie mit dem Leben. Und solange es auch nur hundert von uns gibt, um sie zu verteidigen, werden wir es tun.«

Sie starrten ihn an. Er setzte sich und neigte eitel den Kopf, denn er wusste, dass er den Gordischen Knoten durchschlagen hatte. Selbst Kirkpatrick, der sich noch immer bemühte, das alles zu verstehen, ahnte, dass hier ein genialer Kopf am Werke war.

»Letzteres ist übrigens nicht von mir«, fügte Duns beiläufig hinzu, »sondern von Bernard von Kilwinning.«

Bruce zog warnend eine Augenbraue in die Höhe.

»Das alles klingt recht schön«, sagte er ruhig. »Aber solche Reden sind gefährlich. Die beste Verteidigung des Königreichs war das Chaos, die Uneinigkeit Englands. Denkt Ihr wirklich, dieses Reich braucht eine derartige Einschränkung der königlichen Gewalt?«

»In diesem Vertrag gäbe es nur eine einzige Verfügung«, erwiderte Duns ruhig, »und die wäre nur da, um die Freiheit des Königreiches zu verteidigen. Es ist im Grunde gar keine Einschränkung der königlichen Gewalt. Der Vertrag würde nur darauf bestehen, dass ein König tut, was ein guter König ohnehin tun würde.«

Bruce nickte widerwillig. John Balliol hatte das Königreich verteidigt und dafür gebüßt. Doch seitdem hatte er sich am Hof von Frankreich herumgetrieben und dem Papst am Rockzipfel gehangen. So gesehen hatte Duns recht und Balliol war kein guter König.

Doch Bruce war Engländer genug, um zu sehen, dass die Krone dieses Königreichs keine Krone wie jede andere war. Er hatte bereits gemerkt, dass schottische Könige sich von anderen Königen unterschieden, weil sie hatten einsehen müssen, dass Gott nicht als Einziger bestimmte, wer regierte. Die Wirklichkeit für einen König Schottlands war, dass über die Adelsversammlung des Reiches praktisch jedem Grundbesitzer und Bürger bis zum letzten Kleinbauern und Viehtreiber Macht über den König gegeben war, und wer klug war, der fand sich damit ab.

ENDE DER LESEPROBE