Lassiter 2659 - Katja Martens - E-Book

Lassiter 2659 E-Book

Katja Martens

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Beschreibung

"Willst du hier raus?" Ein Augenpaar so schwarz wie erloschene Kohlestücke blickte Beverly hinter den Gitterstäben an. Die Stimme des Mannes war kaum mehr als ein Raunen.
Beverly spähte durch den halbdunklen Gang zum Office des Marshals. Von dem Sternträger war nichts zu sehen. Dafür trat der Unbekannte nun näher an das stählerne Gitter, das ihre beiden Zellen voneinander trennte. Er schien einen Plan zu haben, der sie beide aus diesem Jail befreien konnte.
Die Frage war nur, welchen Preis er fordern würde. Wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte stimmte, die man sich über ihn erzählte, dann hatte er mehr Menschen auf dem Gewissen als die verdammten Pocken. Beverlys Hände wurden kalt.
"Willst du hier raus?", wiederholte er und drängte sie zu einer Entscheidung. Wem wollte sie vertrauen: dem Gesetz oder einem Mörder?


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Seitenzahl: 146

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Inhalt

Cover

Auf der Flucht mit einem Killer

Vorschau

Impressum

Auf der Flucht mit einem Killer

von Katja Martens

»Komm raus und stell dich wie ein Mann!« Das Gebrüll hallte über den Vorplatz und trieb die getigerte Katze in die Flucht, die eben noch friedlich auf der Veranda gedöst hatte. Feste Stiefeltritte näherten sich. Dann trommelte eine Faust so harsch gegen die Tür des Ranchhauses, dass das Holz knirschte. »Was ist los mit dir, Cullen? Versteckst du dich etwa unter den Röcken deiner Frau? Jetzt komm schon raus, sonst komme ich rein und hole dich!«

Richard Cullen gab ein unwilliges Schnaufen von sich. Er lag auf seiner frisch angetrauten Ehefrau, die Hose noch um seinen linken Fußknöchel gewickelt, und mühte sich redlich, um die Eheschließung zu besiegeln. Sein gemurmelter Fluch verriet, dass der Zeitpunkt für eine Störung nicht schlechter gewählt sein konnte.

»Richard?« Beverly klammerte sich an seine Schultern. Während seine Haut an ihrer rieb, wünschte sie sich, sie hätte noch Zeit gehabt, um vorher zu baden. Doch die Haustür war kaum hinter ihnen ins Schloss gefallen, da hatte er sie bereits in sein Schlafzimmer geführt, ihr die Röcke hochgeschoben und sich auf sie geworfen. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie nach der langen Reise nach Staub und Pferd roch. Sein massiger Körper drängte gegen ihren, während er tat, nun, was auch immer er da unten tat.

»Verdammt noch mal«, murmelte er.

Beverly war nicht sicher, was ihm missfiel, aber etwas schien ganz und gar nicht so zu verlaufen, wie es geplant war. Sie versuchte, ihre Lage unter ihm zu verändern, und bewegte die Hüften.

»Lieg still«, knurrte er. »Sonst bekomme ich ihn nicht rein.«

Beverly erstarrte. Das Gewicht ihres Mannes lastete auf ihr und machte ihr das Atmen schwer. Es fühlte sich an, als wäre sie unter einem umgestürzten Baum eingeklemmt. Einer hundertjährigen Sumpfzypresse vielleicht.

Nein, so hatte sie sich den Liebesakt nicht vorgestellt. Daheim in New York hatte sie in einer kleinen Buchhandlung ein Handbuch der verruchten Künste entdeckt, versteckt zwischen zwei Bänden über Farmwirtschaft. Es hatte ausführliche Beschreibungen der verschiedensten Möglichkeiten des Liebesakts enthalten, dazu zahlreiche Illustrationen. Ihr Geld hatte nicht gereicht, um sich das sündteure Buch zu leisten, aber sie war immer wieder in die Buchhandlung gegangen und hatte es sich angesehen, mit roten Wangen und fliegendem Atem. Die Zeichnungen verschlungener Körper hatten Vergnügen versprochen, aber das hier, das war weit davon entfernt, vergnüglich zu sein.

Beverly war sich recht sicher, dass es weitaus angenehmere Dinge gab, um sich die Zeit zu vertreiben. Sich einen glühenden Nagel ins Knie zu rammen, beispielsweise. Oder vom Pferd zu fallen.

Wenn sie nur besser atmen könnte!

Sie versuchte, ihren Mann von sich zu schieben, aber genauso gut hätte sie versuchen können, ein Flusspferd von seinem Schlafplatz zu vertreiben.

Von draußen schallte wieder das Gebrüll des Besuchers herein.

»Ich zähle jetzt bis zehn, Cullen! Wenn du bei zehn nicht hier unten stehst, wirst du mich kennenlernen!«

Beverly rieselte ein Schauer die Wirbelsäule hinunter. Sie war erst seit wenigen Stunden in Coulters Mill, aber diesem Mann war sie bereits bei ihrer Ankunft begegnet. Sein Name war Elias Crockett. Und er versprach jede Menge Ärger.

»Hör gut zu, Cullen! Ich fange jetzt an! Eins... zwei...«

Während der Besucher draußen weiterzählte, schien das Zimmer um sie herum allmählich zu verschwimmen. Beverly schnappte nach Luft, aber das Gewicht ihres Mannes drückte ihren Brustkorb zusammen. Sie japste, drückte und schob an ihm herum und fragte sich, ob ihr erster Tag als Ehefrau auch ihr letzter sein würde.

Sie war Richard Cullen erst an diesem Tag begegnet. Bisher hatten sie sich nur geschrieben. Aus seinen Briefen wusste sie, dass er Mitte vierzig war, eine Ranch führte und seine erste Frau an das Fieber verloren hatte. Sein Sohn hieß Adam und war ungefähr in Beverlys Alter. Adam war der Hochzeit ferngeblieben. Was vermutlich bedeutete, dass er die neue Heirat seines Vaters nicht guthieß. Ein Problem, um das sie sich würde kümmern müssen.

Ihre Ehe ließ sich bei weitem nicht so gut an, wie sie es sich erträumt hatte.

Sie hatte mit Widrigkeiten gerechnet – mit Angriffen während der langen Reise nach Texas, mit Unwettern, Schlangen, Hunger und Wassermangel. Jedoch nicht damit, in ihrer Hochzeitsnacht jämmerlich zu ersticken, während ihr Stiefsohn grollte und ein Nachbar das gesamte Valley zusammenbrüllte.

»... zehn! Komm jetzt raus, Cullen, sonst mache ich deine Frau zur Witwe und heirate sie selber!«

Nicht einmal diese Drohung schien ihren Mann von seinen Bemühungen abzubringen. Jedenfalls ackerte er weiter, als gäbe es kein Morgen.

Vor dem Fenster war inzwischen nicht nur das Zirpen der Insekten verstummt, sondern auch das Mundharmonikaspiel aus dem Bunkhouse. Dafür knirschten nun Schritte auf dem sandigen Boden, dann war ein dumpfer Schlag zu vernehmen und Ruhe kehrte ein.

Offenbar hatte sich einer der Ranchhelfer der Sache angenommen.

Beverly krallte die Finger in das Laken und kämpfte um einen weiteren Atemzug.

Im Osten hatte sie nichts mehr gehalten. Ihre Tante war gestorben, und eine andere Familie hatte sie nicht. Ihre Arbeit als Lehrerin brachte sie durch, aber sie hatte sich nach Anschluss gesehnt und vor zwei Monaten ein Inserat im New York Chronicle entdeckt: Rancher sucht Frau. Sie hatte ihm geschrieben und nach einigen Briefen hatte er ihr das Geld für die Reise in den Westen geschickt und sie hatte sich auf den Weg gemacht.

Nun war sie hier. Auf einer Ranch, die größer war, als alles, was sie sich je hätte vorstellen können. Sie konnte frühmorgens losreiten, den Tag im Sattel verbringen und wäre abends noch immer auf Cullen-Land. Arbeit gab es reichlich. Sie würde immer etwas finden, um ihre Tage zu füllen. Und Richard Cullen war ein gut aussehender, stattlicher Mann mit seinen dunklen Haaren und dem dichten Bart, über den sich das erste Grau wie Raureif gelegt hatte. Sie wusste, dass er Longhorns züchtete und etliche Cowboys beschäftigte.

Und sie wusste auch von seiner... Sammlung.

Sie hätte geseufzt, wäre ihr genügend Atem dafür geblieben.

Stolz hatte er ihr in einem seiner Briefe davon geschrieben. Nein, eigentlich in jedem seiner Briefe. Er sammelte Skalps wie andere Menschen Messer oder feines Porzellan. Skalps von elenden Indianern, wie er es bezeichnete. Und er stellte sie an einer Wand hinter seinem Schreibtisch aus. Beverly war nicht sicher, ob sie jemals einen Fuß in sein Arbeitszimmer setzen würde. In ihrer Vorstellung waren die Wände übersät mit den Kopfhäuten.

Sie hatte schon von Männern gehört, die Jagd auf die dunkle Haarpracht machten, um eine Prämie zu kassieren. Ihr Mann jedoch behielt die Stücke, ohne eine Prämie zu verlangen, einfach, weil es ihm Genugtuung verschaffte. Er hatte ihr seitenlang darüber geschrieben, wie er früher selbst geritten war, um sich Skalps zu erobern. Mittlerweile machte ihm seine Leibesfülle die Jagd zu beschwerlich, deshalb bezahlte er Männer dafür. Und er bezahlte sie gut.

Nun, damit würde sie sich arrangieren. Das Leben war eine Aneinanderreihung von Kompromissen, das wusste sie, und so war sie entschlossen, das Beste aus ihrem neuen Leben zu machen.

Falls sie so lange überlebte.

Ihr Mann rutschte auf ihr herum, schnaufte und keuchte. Als das nicht den gewünschten Erfolg brachte, fasste er zwischen ihre Körper und rieb an seinem Genital. Doch was auch immer er erwartete, schien nicht zu passieren. Dabei wurde sein Körper auf ihrem immer schwerer. Beverly japste. Ihr Mann beantwortete es mit einem zufriedenen Brummen. Er schien ihr Keuchen als Ausdruck ihrer Leidenschaft zu deuten. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Bett unter sich knarren, sah rötliche Sterne vor ihren Augen flackern. Ein schmerzhaftes Brennen breitete sich in ihrer Lunge aus. Beverly stemmte die Hände gegen die breite Brust ihres Mannes und versuchte, ihn von sich zu schieben, aber er rührte sich nicht vom Fleck.

»Richard, bitte... ich brauche...«

»Ich weiß, Darling. Ich brauche es auch, aber das verdammte Gebrüll hat mich aus dem Konzept gebracht. Ich muss erst wieder...«

»Luft... ich brauche Luft!« Selbst in ihren eigenen Ohren waren die Worte kaum mehr als ein undeutliches Nuscheln.

Ihr Mann wogte weiter auf ihr, während es in ihren Ohren rauschte und der Drang, zu entkommen, schier übermächtig wurde. Sie musste atmen! Jetzt! Jetzt!

Sie tastete blind umher, fühlte einen kalten Griff und schloss die Finger darum. Bevor sie sich darüber klar werden konnte, was sie da in der Hand hielt, schwang sie den Gegenstand hoch und ließ ihn auf ihren Mann niedersausen. Es gab einen dumpfen Schlag.

Mit einem leisen Ächzen sackte der Rancher auf ihr zusammen und begrub sie unter sich.

O nein! Nein! Beverly bäumte sich auf und stemmte sich gegen ihn. Er lastete so schwer auf ihr, dass ihr Herz wild gegen ihre Rippen pumpte. Mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte sie weiter. Irgendwie gelang es ihr, ihn von sich zu wälzen. Er rollte auf die andere Seite des Bettes und blieb dort reglos liegen.

Eine deutliche Schwellung zeichnete sich an seiner Schläfe ab.

Gierig sog sie die Luft in ihre Lungen. Sie atmete tief ein, bis sich der Nebel um sie lichtete und das Rauschen in ihren Ohren einer wohltuenden Stille wich.

Erleichterung machte sich in ihr breit – gefolgt von der Erkenntnis, dass es vielleicht nicht der beste Start ins Eheleben war, ihren Mann in der Hochzeitsnacht bewusstlos zu schlagen.

Er war doch nur bewusstlos, oder?

Beverly starrte alarmiert auf den Gegenstand, den sie immer noch in der Hand hielt. Es war der Nachttopf, den sie ihrem Mann über den Schädel gezogen hatte.

Hastig ließ sie ihn fallen und beugte sich über ihren Mann.

Er lag vollkommen reglos auf der weichen Matratze.

O nein, bitte nicht... Beverly senkte den Kopf über sein Gesicht und lauschte auf seinen Atem... Bevor sie sich jedoch Klarheit darüber verschaffen konnte, ob er noch atmete, vernahm sie hinter sich das gedämpfte Knarzen der Bodenbretter.

Im nächsten Augenblick wurde sie von hinten gepackt. Während sie sich noch erschrocken fragte, wer da unbemerkt in ihr Schlafzimmer eingedrungen war, presste ihr jemand einen stinkenden Lappen vor das Gesicht. Beverly ruderte mit den Armen, wollte den Angreifer wegstoßen, spürte, wie ihre Nägel über Haut kratzten, aber dann verließen sie die Kräfte. Etwas stimmte nicht. Sie konnte sich nicht einmal mehr aufrecht halten. Stattdessen sackte sie auf die Matratze, während sich schwarze Schwaden um sie herum zusammenzogen.

Neben ihr murmelte jemand etwas, aber sie konnte die Worte nicht mehr verstehen. Ihr Bewusstsein driftete davon wie ein entwurzelter Baum auf den Wogen des Rio Grande. Dann gab es nichts mehr. Nur noch Schwärze.

Nach allem, was Beverly wusste, gab es genau zwei Arten von Frauen, welche die beschwerliche Reise in den Westen wagten: die Abenteuerlustigen und die Verzweifelten.

Sie selbst hatte sich immer zur ersten Gruppe gezählt. Sie liebte neue Erfahrungen, scheute sich nicht, Risiken einzugehen und war bereit, für ihren Herzenswunsch – eine eigene Familie – ein Wagnis einzugehen.

Als sie jedoch im hell erleuchteten Schlafzimmer ihres neuen Zuhauses zu sich kam und in die leblosen Augen ihres Gemahls sah, dessen Blick in eine Ferne gerichtet war, in die sie ihm nicht folgen konnte, wurde sie von Verzweiflung gepackt.

Richard Cullen war tot.

Er lag auf dem Rücken im Bett, ein Arm hing herunter. Blutiger Schaum zeichnete sich auf seinen Lippen ab, seine Augen waren voller Qual weit aufgerissen. Es war jedoch nicht ihr Hieb mit dem Nachttopf gewesen, der seinem Leben ein Ende bereitet hatte. Nein, auf seiner Brust zeichneten sich mehrere blutige Stichwunden ab. Der Griff eines Messers ragte daraus hervor.

Er war erstochen worden!

Und ihr blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken, wie das hatte geschehen können, denn die ließ man ihr nicht. Sie war nicht länger allein mit ihrem Mann. Nein, rings um ihr Bett standen sechs Männer versammelt. Allesamt große, kräftige Burschen mit karierten Hemden und Lasso-Narben an den Händen. Das mussten die Cowboys von der Cullen-Ranch sein. Sie hielten ihre Hüte in den Händen und blickten ratlos drein, schienen nicht recht zu wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollten. In ihrer Mitte stand ein siebter Mann – groß, hager, mit dunklen Haaren und schwarzen Augen, deren stechender Blick sich auf Beverly heftete, als wollte er sie damit erstechen. Sie hatte ihn auf einer der Fotografien gesehen, die ihr Mann ihr mit einem seiner Briefe geschickt hatte, deshalb erkannte sie ihn nun: Das war Adam, ihr Stiefsohn. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, als würde er am liebsten auf irgendetwas einschlagen. Oder auf irgendjemanden.

Er ließ keinen Blick von Beverly.

Sie wollte etwas sagen, doch da stieg es sauer in ihrer Kehle hoch. Sie konnte sich gerade noch aufrichten und nach dem Nachttopf greifen, bevor sich ihr Magen umdrehte und sie das Wenige erbrach, das sich darin befand.

Matt wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund.

Ein gallebitterer Geschmack lag auf ihrer Zunge.

»Könnte ich etwas Wasser haben, bitte?«, flehte sie.

»Den Strick kannst du haben«, knurrte ihr Stiefsohn. »Miststück.«

»Bitte, ich habe das nicht getan. Ich...« Sie durchforstete ihren Schädel nach einer Erinnerung, irgendeinem Hinweis, der ihr verraten würde, was sich zugetragen hatte. Jemand war in ihr Zimmer gekommen und danach... wusste sie nichts mehr. Alles war schwarz in ihrem Kopf. Als wäre die Erinnerung fortgewischt worden wie Kreide von einer Schiefertafel. Lediglich ein seltsamer Geruch hing noch in der Luft und ließ sie schon wieder würgen.

Die Männer hatten sämtliche Lampen im Zimmer entzündet. Jeder Winkel war ausgeleuchtet. Die Blutspritzer an den Wänden schienen Beverly anzuklagen.

»Richard...« Mit Tränen in den Augen beugte sie sich über ihren Mann, wurde jedoch jäh am Arm gepackt und zurückgerissen.

»Weg von ihm!«, herrschte Adam sie an.

»Ich habe ihm nichts getan. Bitte...« Sie begegnete der Wut in seinen Augen und brachte kein Wort mehr hervor.

»Womöglich sagt sie die Wahrheit, Adam«, murmelte einer der Cowboys. »Ich kann mir nicht denken, dass sie hätte bleiben und in aller Ruhe schlafen können, wenn sie deinen Vater erstochen hätte.«

»Sie hat nicht geschlafen«, grollte der junge Rancher. »Sie war bewusstlos. Wahrscheinlich hat mein Vater sie im Todeskampf bewusstlos geschlagen.«

»Das hat nicht.« Beverly fand ihre Stimme wieder. »Es war jemand in unserem Zimmer. Ich glaube, er hat mich betäubt und dann...«

»Erzähl keine Märchen!« Kräftige Hände packten Beverly bei den Schultern, zerrten sie aus dem Bett und deuteten anklagend auf ihr Kleid. »Seht sie euch an! Sie hat sein Blut noch an sich!«

Beverly starrte an sich hinunter, sah den blutbesudelten Stoff und musste wieder würgen. Diesmal brachte sie nur noch gelbe Galle hervor. Ihr zitterten die Glieder und sie wäre wohl haltlos zurück aufs Bett gesunken, hätte ihr Stiefsohn sie nicht festgehalten.

»Du!«, gellte er. »Du hast ihn umgebracht! Bringt sie raus! Sie hat jedes Recht verwirkt, hier im Haus zu sein!« Das Letzte rief er den Cowboys zu.

Beverly bat ihn, ihr zuzuhören, aber da zerrten fremde Hände sie bereits aus dem Schlafzimmer und die Treppe nach unten. Unsanft zogen die Cowboys Beverly mit sich hinaus ins Freie, wo sie ihr die Hände mit einem Strick zusammenbanden. Der grobe Hanf schnitt schmerzhaft in ihre Haut, aber darauf nahmen die Kerle keine Rücksicht. »Tun sie das nicht«, flehte Beverly.

»Du hast unseren Boss umgebracht«, raunte einer der Cowboys. »Er hat dich aufgenommen, wollte dir ein Heim geben und du hast ihn ermordet.« Er starrte sie an, als wäre sie vom Leibhaftigen persönlich geschickt worden.

»Bitte, ich habe Richard kein Leid zugefügt.« Flehend hob sie die gefesselten Hände. »Das ist ein schrecklicher Irrtum.«

»Wir haben seine Schreie gehört, aber wir sind zu spät gekommen, um ihm zu helfen. Es war niemand weiter im Zimmer. Nur du.«

»So war es nicht. Es war noch jemand da.« Wenn sie den Eindringling nur gesehen hätte, dann könnte sie ihn beschreiben und die Männer würden ihr vielleicht glauben. So jedoch hatte sie nichts als das Geräusch von Stiefeltritten und den seltsamen Geruch des Lappens, den man ihr vor Mund und Nase gedrückt hatte.

»Wir bringen dich zum Marshal, der wird entscheiden, wie mit dir zu verfahren ist.«

»Nein, bitte...« Sie sträubte sich, aber der Cowboy legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah sie beschwörend an.

»Wenn du hierbleibst, wird Adam dich eigenhändig umbringen. Er ist außer sich. So habe ich ihn noch nie gesehen. Glaub mir, der Marshal ist im Moment deine beste Option, eine faire Verhandlung zu bekommen.«

Beverly starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Dann ließ sie die Schultern sinken und gab ihren Widerstand auf. Vorerst zumindest. »Kann ich mich wenigstens umziehen? Bitte... Das Kleid...« Sie brachte es kaum über sich, die Blutflecken auch nur anzusehen. Ein Schauer nach dem anderen rieselte ihr die Wirbelsäule hinunter, als sie sich vorstellte, dass es das Blut ihres toten Ehemannes war.

»Fort mit ihr«, dröhnte Adam hinter ihr.

»Aber...«

»Auf der Stelle! Ich wusste, dir ist nicht zu trauen. Ich habe meinen Vater davor gewarnt, eine Fremde zu heiraten, von der er nichts wusste, als einen Namen. Er wollte dich glücklich machen, aber du wolltest nur sein Geld. Seine Ranch. Nicht einmal eine Nacht hast du ihn sein Glück als Ehemann genießen lassen. Nicht einmal das!«

Beverly schüttelte den Kopf. Ihre rotbraunen Haare hatten sich im Lauf des Abends aus dem Haarknoten gelöst und hingen wirr um ihr Gesicht. Sie strich sich mit den gefesselten Händen eine Strähne aus dem Gesicht.

Blanke Verzweiflung hatte sie gepackt.

Diese Männer glaubten, sie hätte ihren Mann umgebracht.

Und sie hatte nichts, um ihre Unschuld zu beweisen.

Rein gar nichts.

Und sie hatte hier keinen Freund, der ihr hätte helfen können.