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"Ich habe meinen Vater nicht ermordet!" Verzweifelt schiebt Callie McLane die Hände durch die Gitterstäbe ihrer Zelle. Doch ihr Flehen stößt bei den guten Menschen von River Fox auf taube Ohren. Für die Menge, die sich mit Fackeln und Flinten vor dem Gefängnis versammelt hat und wütend ihren Tod einfordert, ist ihr Ende bereits beschlossene Sache.
Schluchzend sinkt Callie an der muffigen Wand hinab, überzeugt davon, dass ihr Leben nicht mehr schlimmer werden kann... bis sie auf dem schmutzigen Boden einen Brief entdeckt. Plötzlich tritt der Lynchmob in den Hintergrund, denn in den Schatten ihrer Vergangenheit lauert ein Geheimnis, das ans Licht zu kommen droht und das ihr auch das Letzte rauben könnte - sogar den Glauben an sich selbst...
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Seitenzahl: 140
Cover
Wer bist du wirklich, Callie McLane?
Vorschau
Impressum
Wer bist du wirklich, Callie McLane?
von Katja Martens
Callie hatte noch nie jemanden umgebracht. Sie hielt sich selbst nicht für sonderlich tapfer und hatte es nicht einmal übers Herz gebracht, auf den alten Wolf zu schießen, der ihnen im letzten Winter alle Hühner gerissen hatte und weiter um das Haus herumschlich. Er schien nur darauf zu warten, seine Zähne auch in ihr Fleisch zu schlagen, sobald sie sich zeigten, um frisches Brennholz hereinzuholen. Ihr Vater hatte es übernehmen müssen, ihn zu vertreiben, obwohl er zu der Zeit mit einem bösen Husten das Bett hütete.
Doch an diesem Abend musste Callie handeln. Jemand geisterte durch ihr Haus. Jemand, der dort nichts zu suchen hatte. Und so umklammerte sie die Schrotflinte fester, die sie aus dem Schlafzimmer ihres Vaters geholt hatte, und schlich lautlos die Treppe hinunter...
Vorsichtig jetzt!
Callie ermahnte sich selbst, auf der vorletzten Stufe stehen zu bleiben und die letzte zu überspringen. Die knarrte so laut, dass es die Toten auf dem Stiefelhügel vor der Stadt wecken konnte. Ihr Vater hatte schon oft davon gesprochen, sie zu reparieren, aber dann vergaß er es doch wieder.
Aus der Küche drang das gedämpfte Knirschen von Stiefelleder und das Poltern von Sohlen, die auf den Holzboden schlugen. Der Eindringling schien sich nicht allzu viel Mühe zu geben, seine Anwesenheit zu verschleiern.
Callie klopfte das Herz bis zum Hals. Sie wischte ihre linke Hand an ihrem Rock trocken und umklammerte die Schrotflinte dann fester. Sie war gerade dabei gewesen, frisches Wasser nach oben in ihr Zimmer zu tragen, damit sie sich später waschen konnte, als sie das Rumoren unten gehört hatte.
Die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters stand offen. Callie erhaschte einen Blick in den Raum, der von einem wuchtigen Schreibtisch dominiert wurde, auf dem sich Papiere und Aufzeichnungen stapelten. Die Vorhänge am Fenster waren nicht geschlossen und ließen ihr freie Sicht zur Werkstatt ihres Vaters, die sich in einem flachen Holzhaus nebenan befand. Sie konnte ihn hinter den hell erleuchteten Fenstern hin und her gehen sehen – er war unverwechselbar mit seiner großen, kräftigen Statur, der runden Drahtgestell-Brille und den dunklen Haaren, die meist störrisch nach allen Seiten abstanden, weil er die Angewohnheit hatte, sich mit den Händen durchzufahren, wenn er nachdachte. Ja, er war zweifellos in seiner Werkstatt. Wer aber geisterte dann in ihrem Haus umher?
Außer ihnen beiden lebte niemand hier. Ihre Mutter war schon vor langer Zeit verstorben und eine andere Familie kannte sie nicht.
Waren es Banditen, die etwas stehlen wollen?
Wertsachen besaßen sie nicht, aber das wussten die Kerle vielleicht nicht.
Callie wurde der Mund ganz trocken.
Als sie auf Zehenspitzen an der Haustür vorbeilief, fegte eine Böe einen eisigen Windhauch unter dem Holz hindurch. Der Winter näherte sich mit Riesenschritten. Schon jetzt waren die Hügel rings um ihre Heimatstadt morgens mit Raureif gezuckert und in den höheren Regionen schneite es bereits.
River Fox lag am Fuß einer Gebirgskette in den östlichen Ausläufern der Rocky Mountains. Der Fluss, welcher der Stadt ihren Namen gegeben hatte, mäanderte durch die Landschaft; nicht weit entfernt gab es weitere kalte Gebirgsströme, in denen eine Fülle an Forellen lebte. Weiter östlich öffneten sich sanft geschwungene Graslandschaften, die sich schier endlos zu erstrecken schienen.
Callie und ihr Vater lebten etwas abseits von River Fox. Bis zu ihren nächsten Nachbarn – den Wheelers – war es ein Ritt von einer Viertelstunde. Früher hatten sie direkt in der Stadt gelebt, aber nachdem eines der Experimente ihres Vaters schiefgegangen war, war ihr altes Haus abgebrannt und er hatte entschieden, dass es sicherer für alle wäre, wenn sie einige Entfernung zu der Stadt hielten.
So gab es an diesem Abend draußen nichts als Dunkelheit und die schwarzen Silhouetten der Berge. Drinnen erhellte eine Öllampe am Fuß der Treppe den Flur genug, um die drei Bilder an der Wand gegenüber erkennen zu lassen: ein Hochzeitsbild ihrer Eltern, ein Porträt ihrer Mutter und eine Bleistiftzeichnung von Smokey, ihrem Hund, der im vorletzten Sommer verschwunden und nicht wieder heimgekehrt war. Daneben hing ein Zeitungsartikel, den Callie gerahmt und aufgehängt hatte, auch wenn ihr Vater nicht allzu begeistert darüber gewesen war. Er mochte es nicht, selbst im Mittelpunkt zu stehen.
Anwalt baut Schule wieder auf
Die kleine Stadt River Fox, die in diesem Frühjahr von einem verheerenden Hochwasser heimgesucht wurde, hat neuen Grund zur Hoffnung. Das Hochwasser, welches Anfang April die Ufer des Flusses Fox überschwemmte, richtete großen Schaden an, wobei das alte Schulgebäude vollständig zerstört wurde. Besonders tragisch war der Verlust der beliebten Lehrerin Miss Emily Ryder, die in den Fluten ihr Leben ließ.
Doch nun, wenige Monate nach dieser Tragödie, ist der Wiederaufbau abgeschlossen. Der angesehene Anwalt Joseph T. Boutland hat sich großzügig dazu bereiterklärt, das Schulhaus neu zu errichten. Dank Boutlands Spenden und seiner unermüdlichen Bemühungen steht nun ein neues Schulgebäude in River Fox. Es soll zukünftigen Generationen von Schülern ein sicherer Ort des Lernens sein. Er sorgte ebenfalls dafür, dass neue Schulbücher und Schiefertafeln beschafft wurden, um den Unterricht neu auszustatten.
Darüber hinaus war es Boutland, der die neue Lehrerin, Miss Margaret Elwood, persönlich einstellte. Die Stadtbewohner sind voller Dankbarkeit gegenüber Joseph T. Boutland, der es verstand, in einer Zeit der Not die Zukunft ihrer Kinder zu sichern. Sein Name wird in River Fox in Ehren gehalten werden...
Auf einer Fotografie über dem Artikel war ihr Vater zu sehen, umringt von einer Schar Kinder im Alter von sechs bis vierzehn Jahren und ihrer neuen Lehrerin. Er hatte seine gesamten Ersparnisse für den Bau der Schule hergegeben.
»Für die Kinder bedeutet eine gute Bildung eine gute Zukunft«, pflegte er zu sagen.
Callie war unendlich stolz auf ihren Vater. Als Anwalt verdiente er in einer kleinen Stadt wie River Fox keine Reichtümer, aber er tat Gutes, wo immer er konnte.
Sie selbst war ebenfalls auf dem Foto zu sehen. Als ihr Blick das Bild jetzt streifte, konnte sie nur mit Mühe Seufzen zurückhalten, das sie dem Eindringling womöglich verraten hätte. Der Fotograf hatte sie von der Seite aufgenommen, auf der sich ein rotes Mal an ihrem Hals abzeichnete. Es hatte die Form einer sich windenden Schlange. Callie mochte es nicht und verbarg es meist unter einem steifen Kragen, aber an jenem Tag war es so heiß gewesen, dass sie keinen getragen hatte...
Gedämpftes Scheppern nebenan riss sie aus ihrer Versunkenheit.
Die Schrotflinte fest in der Hand, überwand sie die letzte Stufe und bewegte sich lautlos zu der offenen Küchentür. Sie schwang den auf der Flinte vor sich her in den Raum, spähte hinein... und blickte im nächsten Augenblick in ein großes, erschrockenes Augenpaar.
»Heiliger Rauch, Callie! Ich bin's nur!«
»Conrad?«
»Wer sonst?« Der Assistent ihres Vaters riss die Arme nach oben, während er sie mit kaum weniger Schrecken ansah als sie ihn.
Callies Herz wummerte so wild in ihrer Brust, als wollte es den warmen Wollstoff ihres Kleides sprengen. Conrad Wayss hatte deutsche Wurzeln, war mit seinen Eltern als Kind eingewandert und hatte in New York Rechtswissenschaften studiert, bevor er in den Westen gegangen war. Seit drei Jahren half er ihrem Vater nicht nur bei seiner Arbeit in der Kanzlei, sondern auch bei seinen Experimenten.
Er war groß und von sehniger Statur und wirkte immer ein wenig so, als würde er nicht genug zu essen bekommen. Seine Augen waren grau wie der Rauch, der in der kalten Jahreszeit aus dem Kamin in den Himmel stieg, und seine schmalen Lippen schienen immer ein wenig verkniffen, hoben sich nun jedoch zu einem Lächeln, als er Callie ansah.
»Du hast mich erschreckt«, tadelte er sie sanft.
»Ich habe dich erschreckt?« Entrüstet funkelte sie ihn an, während sie sich auf die Schrotflinte besann und sie sinken ließ. »Ich hatte nicht mir dir gerechnet. Du bist doch schon vor Stunden nach Hause geritten.«
»Stimmt, das hatte ich vor, aber dann war ich noch am Fluss zum Fischen und hatte Glück. Ich habe drei prächtige Forellen gefangen und mir gedacht, ich lade euch zum Abendessen ein.« Er deutete auf die drei Fische, die auf dem grob gezimmerten Küchentisch lagen und bereits ausgenommen waren.
»Das ist wirklich nett von dir.« Sie dachte an die winzige Kammer, die er bewohnte. Er hatte sich im Haus von Reverend Fuller eingemietet, aber sein Quartier war kaum größer als eine Hutschachtel. Trotzdem hatte er ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, über den sie noch nicht hinweg war. »Du solltest dich nicht heimlich hier hereinschleichen. Ich hätte dich erschießen können.«
»Ich wollte dich mit dem Abendessen überraschen. Ich weiß doch, wie viel zu immer zu tun hast, Callie.« Er bedachte sie mit einem sanften Blick. »Außerdem sagt dein Vater immer, ich soll mich hier wie zu Hause fühlen.«
Das stimmte wohl. Callie ließ die Schultern sinken. »Ich wünschte trotzdem, du hättest dich bemerkbar gemacht.«
»Das nächste Mal werde ich daran denken«, lenkte er ein. »Wer weiß, vielleicht muss ich eines Tages nicht mehr nach Hause reiten, weil ich hier zu Hause sein werde. Bei dir.« Seine Augen ruhten auf ihr und ein hungriger Ausdruck trat hinein, der Callie unwillkürlich einen Schritt zurücktreten ließ.
»Conrad, für mich bist du wie ein großer Bruder. Ich bin wirklich froh, dass mein Vater dich als seinen Assistenten hat...«
»Das ist doch ein guter Anfang, oder nicht?« Seine Stimme war rau und belegt, als er näher vor sie hintrat und eine Hand um ihre Wange legte. Mit einem Mal war er ihr so nah, dass sie den schwachen Geruch von Leder und Pferd wahrnehmen konnte, der ihm anhaftete. »Ich wäre gern so viel mehr für dich.«
»Ich glaube nicht, dass wir...«
»Callie«, unterbrach er sie, nahm ihr die Schrotflinte aus den Händen und lehnte sie gegen die Wand. Dann fasste er sie um die Taille und zog sie dicht an sich...
Bis von draußen plötzlich ein gedämpfter Schrei hereindrang.
»Dad?« Callie stieß Conrad von sich, wirbelte herum und raffte ihre Röcke. Mit langen Schritten stürmte sie aus dem Haus und hinüber zur Werkstatt ihres Vaters.
Die enthielt nicht nur Werkzeuge, Kessel und Säcke voll mit Materialien, sondern auch einen großen Arbeitstisch, der mit Papieren und Skizzen übersät war. Ein großes Feuer prasselte in der Mitte der Werkstatt.
Joseph T. Boutland war Anwalt geworden, weil es der Wunsch seines Vaters gewesen war. Dabei lag sein Interesse immer bei der Wissenschaft, und so verbrachte er jede freie Minute in seiner Werkstatt, wo er an Neuerungen tüftelte, die das Leben voranbringen sollten. So mancher Nachbar nannte ihn dafür »Professor«, auch wenn er den Titel nicht offiziell trug.
Als Callie in seine Werkstatt stürmte, stand er auf einem Bein und hielt sich den anderen Fuß.
»Dad? Was ist denn passiert?«, stieß sie atemlos hervor.
»Mir ist der Hammer auf den Fuß gefallen«, schnaufte er, stellte sein Bein wieder ab und trat probehalber auf. Dann nickte er bedächtig. »Aber ich hab´s geschafft, Callie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir diesmal gelungen ist.«
»Das Material hält?«
»Es stehen noch einige Tests aus, aber ja, es hält.« Ihr Vater nahm seine Brille ab, rieb sich den Nasenrücken und setzte seine Brille wieder auf. Ein zufriedenes Lächeln wärmte sein Gesicht und grub zahlreiche Falten um seine Augen ein.
Callie hob den Hammer auf und legte ihn auf die Arbeitsplatte neben den grauen Klumpen Beton. Ihr Vater hatte das Material mit einem Geflecht aus Draht und Stäben verstärkt, das weitaus beständiger war als Beton allein.
Die Idee war nicht ganz neu. In Frankreich war bereits versucht worden, Betonbauteile durch Eiseneinlagen zu verstärken, damit sie nicht so leicht zerbrachen. Ihr Vater hatte eine bestimmte Form der Eiseneinlagen erfunden, welche das Material noch stabiler machte und eine höhere Zugkraft aushielt.
»Wir müssen Ihre Entwicklung zum Patent anmelden«, ließ sich Conrad Wayss vernehmen. »Und dann fahren wir damit zur Weltausstellung nach Paris und zeigen sie der ganzen Welt.«
»Gemach, gemach«, bremste ihr Vater. »Noch sind nicht alle Untersuchungen abgeschlossen. Das Material muss sich erst noch bewähren.«
»Das wird es, aber wenn wir es nicht vorstellen, macht es jemand anderes. Die Entwicklungen schreiten so schnell voran. Wir müssen dranbleiben.« Conrad Wayss deutete energisch auf die Arbeitsprobe. »Paris ist unsere beste Chance. Die sollten wir nicht verpassen. Ebenso wie die Ausstellung an sich. Es heißt, sie zeigen dort den Kopf einer kolossalen Statue, der Freiheitsstatue.«
»Wir sind noch nicht so weit.«
»Aber mit diesem Material lässt sich ein Vermögen machen. Die Gebäude im Osten werden immer höher und höher. Die Welt lechzt nach festen, unverbrüchlichen Materialien. So wie das, welches Sie geschaffen haben. Sie müssen es der Allgemeinheit vorstellen.«
»Erst, wenn die Zeit dafür reif ist.«
Conrad öffnete den Mund und schien noch einen Einwand vorbringen zu wollen, schloss ihn dann aber wieder und nickte kaum merklich.
Callie bemerkte seinen finsteren Blick und eine jähe Sorge erfasste sie. Doch der grimmige Ausdruck in seinen Augen verschwand so schnell, wie er gekommen war, und sie fragte sich, ob sie sich nicht vielleicht getäuscht hatte.
Just in diesem Moment drehte ihr Vater den Kopf zum Fenster und spähte nachdenklich hinaus.
»Ist alles in Ordnung, Dad?«
»Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich ist es nichts... Ich hatte nur den Eindruck, da draußen wäre jemand.«
Callie trat ans Fenster und spähte hinaus, aber der Hof lag verlassen im silbrigen Mondschein. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Trotzdem rieselte ihr plötzlich ein Schauer über den Rücken und sie zog unwillkürlich ihr Schultertuch enger um sich.
Es fühlte sich an wie der eisige Hauch einer tödlichen Bedrohung...
✰
Das Gefängnis ragte aus dem Staub auf wie die zornige Faust Gottes.
Ein wuchtiger Bau war es, errichtet aus grauem und schwarzem Stein, mit Mauern, die unüberwindlich schienen. In früheren Zeiten war es ein Fort gewesen, aber vor gut zehn Jahren war der Army-Posten weiter hinauf in den Norden verlagert worden, und so diente das Gemäuer nun als Zuchthaus.
Selbst aus einer Meile Entfernung wirkte das Bauwerk inmitten der Einöde erdrückend, und als Lassiter näher heranritt verstärkte sich der beklemmende Eindruck noch. Der Geruch von trockenem Gras und verwittertem Stein hing in der Luft, aber darunter lag etwas Moderiges, wie ein Hauch von Verfall.
Es war eine Endstation – für die Gefangenen und ihre Träume.
Sein Brauner schien das Unbehagen ebenfalls zu spüren, denn er verlangsamte seinen Schritt und musste mit einem kräftigen Schenkeldruck ermuntert werden, den Weg überhaupt fortzusetzen.
Ein bitterkalter Wind fegte von Westen heran und schnitt in die Haut des großen Mannes. Vereinzelte Schneeflocken rieselten aus dem trüben Himmel, der sich über der hügeligen Landschaft aufspannte, und die bleigrauen Wolkentürme, die sich im Westen ballten, kündigten kräftige Schneefälle an.
Lassiter saß seit den frühen Morgenstunden im Sattel. Er war den Tag hindurch geritten und hatte seinem Pferd und sich selbst nur die nötigsten Pausen gegönnt. In dem Telegramm, das ihn erreicht hatte, war er um Eile gebeten worden.
Er wusste, was das hieß: Die Kacke war am Dampfen.
Wieder einmal.
Seit vielen Jahren ritt er im Auftrag der Brigade Sieben und schaffte überall da den Ärger aus der Welt, wo sich die örtlichen Sternträger die Zähne ausbissen. Er arbeitete allein, und wenn er sich Probleme einhandelte, stand er mit dem Rücken zur Wand und musste sich selber wieder befreien, weil die Brigade Sieben eine geheime Organisation war, von der nur wenige Menschen wissen durften.
Über Kontaktleute und Telegramme aus Washington bekam er seine Aufträge. Diesmal war er zum Blackrock Prison gerufen worden und angesichts der berüchtigten Insassen ahnte er nichts Gutes. Hier wurden ein paar der schlimmsten Banditen des Territoriums weggesperrt. Wenn Washington ihn zur Unterstützung hierherschickte, musste etwas wirklich Übles vorgefallen sein.
Bei seiner Ankunft wurde er von zwei schwer bewaffneten Sternträgern und einem Stalljungen empfangen. Letzterer versprach, sich um sein Pferd zu kümmern. Die beiden anderen nahmen ihm seine Waffen ab und überprüften ihn sorgfältig, bevor sie ihn zu dem Gefängnisdirektor führten.
Robert Davenport war ein kleiner, unscheinbarer Mann von Mitte fünfzig. Alles an ihm schien grau zu sein: sein Bart, seine Augen und auch sein Anzug. Sein Haar lichtete sich bereits und selbst seine Haut wirkte grau und die Schatten unter seinen Augen verrieten, dass ihn der Schlaf in der vergangenen Nacht gemieden hatte.
»Lassiter.« Direktor Davenport stand hinter seinem Schreibtisch auf und bedeutete ihm, Platz zu nehmen. »Möchten Sie einen Kaffee? Oder lieber etwas Stärkeres?«
»Später vielleicht.« Lassiter streifte die vergitterten Fenster mit einem Blick, bevor er seinen Hut abnahm und sich auf den mit abgewetztem Leder bezogenen Stuhl sinken ließ, der genauso hart und unbequem war, wie er aussah. »Wie kann ich helfen, Mr. Davenport?«
»Eine unserer Gefangenen ist geflohen.« Die Stimme des Direktors war rau und er sprach so schleppend, als würde ihm das Geständnis nur schwer über die Lippen kommen.
»Eine Frau?« Lassiter war überrascht, dass eine Frau in dem wohl berüchtigtsten Gefängnis des Territoriums untergebracht worden war.
»Keine Frau«, murmelte sein Gegenüber. »Ein Monster.«
Lassiter schwieg und zog lediglich eine Augenbraue höher, um ihn zum Weitersprechen zu ermuntern.