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"Nun mach schon, Horaz." Jeb Bolton trat von einem Fuß auf den anderen, während sein Blick über die nächtlich dunkle Gasse schweifte. Ihm war nicht wohl dabei, in ein fremdes Haus einzubrechen. Schon gar nicht, wenn es sich um das Haus des Totengräbers handelte.
Sein Begleiter stocherte mit einem Draht im Schloss, bis ein leises Klicken seine Bemühungen belohnte. "Nur ein kurzer Blick", raunte er, "dann sind wir wieder weg. Ich will wissen, ob an den Gerüchten etwas dran ist." Langsam schob er die Tür auf und hob seine Lampe. Das Licht fiel auf einen Tisch, der mit einem schmutzigen Laken bedeckt war. Darunter zeichneten sich die Umrisse einer menschlichen Gestalt ab.
Horaz tastete nach dem Tuch, zog es mit einem Ruck beiseite - und fluchte, denn in das verzerrte Gesicht des Toten hatte sich das pure Grauen gemeißelt. "Was zum Geier ist diesem armen Teufel bloß zugestoßen?"
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Seitenzahl: 142
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Lassiter und der Feuerteufel
Vorschau
Impressum
Lassiter und der Feuerteufel
von Katja Martens
»Nun mach schon, Horaz.« Jeb Bolton trat von einem Fuß auf den anderen, während sein Blick über die nächtlich dunkle Gasse schweifte. Ihm war nicht wohl dabei, in ein fremdes Haus einzubrechen. Schon gar nicht, wenn es sich um das Haus des Totengräbers handelte.
Sein Begleiter stocherte mit einem Draht im Schloss, bis ein leises Klicken seine Bemühungen belohnte. »Nur ein kurzer Blick«, raunte er, »dann sind wir wieder weg. Ich will wissen, ob an den Gerüchten etwas dran ist.« Langsam schob er die Tür auf und hob seine Lampe. Das Licht fiel auf einen Tisch, der mit einem schmutzigen Laken bedeckt war. Darunter zeichneten sich die Umrisse einer menschlichen Gestalt ab.
Jeb rieselte ein Schauer das Rückgrat hinunter. Zögernd folgte er seinem Begleiter ins Haus, hielt sich jedoch in der Nähe der Tür. Um keinen Preis würde er sich dem Toten nähern oder gar dessen Ruhe stören. So was brachte einem nichts als Ärger ein, davon war er überzeugt.
Horaz hielt die Lampe noch ein wenig höher. Der flackernde Lichtschein schien über die Wände aus grob behauenem Holz zu tanzen. »Na los doch«, drängte er mit gesenkter Stimme. »Zieh das Tuch zur Seite.«
»Mach du das doch. Du wolltest unbedingt herkommen. Nicht ich.«
»Was ist denn los? Hast du etwa Angst, er steht wieder auf? Doc Hartley sagt, der arme Teufel ist mausetot. Also?«
Jeb konnte sich noch nicht überwinden, einen Blick auf den Toten zu werfen. Dabei waren ihm die Gerüchte natürlich ebenfalls zu Ohren gekommen. Immerhin leitete er den Gemischtwarenladen an der Mainstreet von Bodie zusammen mit seinem Geschäftspartner Horaz. In ihrem Laden blieb ihnen keine Neuigkeit verborgen. Jeder Kunde brachte welche mit. Die Geschichten von dem grausigen Ableben des Schmieds hatten bereits die Runde gemacht und, ja, auch Jeb hätte gern gewusst, was seinem schweigsamen Nachbarn zugestoßen war.
Doch deswegen dessen Ruhe stören?
No, Sir!
»Ich mach das nicht«, murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
Horaz verdrehte die Augen. »Na schön, dann lass mich mal ran.« Er streckte eine Hand nach dem Tuch aus, zog es mit einem Ruck beiseite – und taumelte im nächsten Augenblick zwei Schritte rückwärts. Weg von dem Toten.
Jebs Herz machte einen schmerzhaften Satz. Er wagte kaum, hinzuschauen, aber er konnte auch nicht wegschauen. Sein Blick streifte das verzerrte Gesicht des Toten und im nächsten Moment stieg es sauer in seiner Kehle auf.
Pures Grauen hatte sich in die Züge des Schmieds gemeißelt. Sein Antlitz hatte kaum noch etwas Menschliches an sich, so verzerrt war es. Der Name des Schmieds war Paul Jeffers gewesen. Er galt als schweigsamer Mann, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Er hatte die Kraft von zehn Bullen und die Geduld einer schlafenden Schildkröte. Nicht ein einziges Mal hatte Jeb erlebt, dass sein Nachbar die Stimme erhoben oder sich aufgeregt hätte. Nein, Paul war der entspannteste Mensch gewesen, den er je getroffen hatte. Nicht einmal ein Kunde, der das Bezahlen »vergaß« konnte ihn aus der Ruhe bringen. Doch im Augenblick seines Todes musste ihn etwas völlig aus der Fassung gebracht haben.
»Die Leute haben recht«, murmelte Jeb. »Etwas ist hier ganz und gar nicht so, wie es sein sollte.«
Horaz war so blass geworden, dass sein Kinnbart besonders deutlich aus seinem schmalen Gesicht hervorstach. »Was zum Geier ist diesem armen Teufel bloß zugestoßen?«
»Das weiß ich auch nicht. Er sieht aus, als hätte er in seinen letzten Augenblicken geradewegs in die Hölle geblickt.«
»Die gibt es nicht«, brummte Horaz. »Und wenn doch, dann findest du sie hier auf Erden. Frag Doc Hartley. Seine Frau macht ihm regelmäßig die Hölle heiß, wenn er nicht pünktlich zum Essen daheim ist.«
»Dieser Mann ist ein Heiliger.«
»Warum? Weil er sie noch immer nicht vergiftet hat?«
»Nein, weil er immer für andere da ist.«
»Da ist was dran, aber diesem armen Kerl hier konnte er nicht mehr helfen. Der war immer kerngesund und ist ganz plötzlich tot umgefallen. Zumindest lautet so das Urteil des Docs. Wobei es schon ziemlich verdächtig ist, dass ihm ohne jeden Grund das Herz stehen geblieben sein soll. Ich meine, Paul war gesund wie ein Pferd.«
»Wer weiß schon, was ein plötzlicher Schrecken bei einem Menschen anrichten kann.«
»Ein plötzlicher Schrecken?«
»Na, sieh ihn dir doch an. Er war außer sich vor Panik, als er gestorben ist.«
»Aber was kann so schlimm gewesen sein, dass ein Hüne wie er einfach umfällt?«
»Das eben ist die Eine-Million-Dollar-Frage.« Jeb lehnte sich vor und zog das Laken wieder über den Leichnam. Dann bekreuzigte er sich einmal.
Horaz warf ihm einen Blick zu, verkniff sich aber jede Bemerkung.
In diesem Augenblick rumpelte draußen auf der Straße ein Fuhrwerk vorüber.
Hastig drehte Jeb die Lampe herunter. Dann zischte er: »Verschwinden wir hier, ehe uns jemand entdeckt. Ich habe keine Lust, erklären zu müssen, was wir hier getrieben haben.«
»Einverstanden.« Horaz bewegte sich mit ihm zur Tür. Nach einem kurzen Blick nach draußen, mit dem sich vergewisserten, dass niemand in der Nähe sie beobachtete, huschten sie ins Freie und zogen die Tür hinter sich zu.
Der kühle Nachtwind streifte Jebs Haut und fühlte sich angenehm an. Erst jetzt merkte er, dass ihm im Haus des Totengräbers der Schweiß ausgebrochen war.
Sie stiefelten die Mainstreet hinauf. In den meisten Gebäuden brannte noch Licht. Nach einer Weile sahen sie ein gelb gestrichenes Haus vor sich. Über der Schwingtür am Eingang waren Hörner von Longhorns festgemacht. Stimmen und das Klimpern eines Pianos drangen nach draußen.
Jebs Stimmung hob sich augenblicklich.
»Sieh mal, der Saloon hat wieder geöffnet.« Er deutete die Straße hinauf.
»Na, das sind endlich mal gute Nachrichten«, brummte Horaz. »Statten wir dem Laden einen Besuch ab. Nicht, dass er wegen zu weniger Gäste schließen muss.«
Damit war Jeb einverstanden. Doch um zu wenige Gäste hätten sie sich nicht sorgen müssen. Der Longhorn-Saloon war rappelvoll. An den langen Tischen saßen Gäste und tranken Whisky, droschen Karten oder starrten dem drallen Girl auf den Hintern, das das Essen servierte. Sie bewegte sich mit schaukelnden Hüften zwischen den Gästen hindurch, die teilweise keinen Stuhl mehr gefunden hatten und ihr Glas im Stehen leerten. Ein Billardtisch in der Mitte des Raumes war dicht umlagert. Männer schauten dem Spieler gebannt zu, der soeben versuchte, eine Kugel zu versenken. Auf einer Empore malträtierte ein Musiker die Tasten eines Pianos.
Jeb rieb sich die Hände, die trotz der Wärme kalt waren.
»War Zeit, dass wieder jemand den Laden übernimmt«, murmelte er. »Nachdem Harris das Zeitliche gesegnet hat, war der Saloon geschlossen. So was ist doch kein Zustand für eine Stadt.«
»Seh' ich auch so«, stimmte Horaz ihm bei, an die Theke tretend.
Hinter dem Tresen stand ein großer, kräftiger Mann mit sandfarbenem Haar und blauen Augen, die freundlich, aber auch eine Spur prüfend blickten. Kein Detail schien ihnen zu entgehen. Seine Haut war sonnengebräunt und von Wind und Wetter gegerbt, was es schier unmöglich machte, sein Alter zu schätzen. Er unterhielt sich gerade mit einem Paar, das sich offenbar nicht entscheiden konnte, was es trinken wollte. Die Lady ließ kein Auge von ihm.
»Hey, den Burschen kennen wir doch«, murmelte Horaz. »Der ist erst kürzlich in die Stadt gekommen. Wusste gar nicht, dass er den Saloon übernehmen will.«
Jeb brummte etwas Undeutliches in sich hinein, als er bemerkte, wie die Lady den Fremden anlächelte. Ja, sicher, das hat Bodie gebraucht, dachte er grimmig. Noch so ein großer, gut gebauter Kerl, der die Damen mit einem Blick becircen kann. Wo soll man da bleiben, wenn man nicht gerade groß und muskulös ist, hä? Er strich seine sich bereits lichtenden Haare glatt und seufzte leise.
Seinen Begleiter schienen solche Bedenken nicht zu plagen. Er grinste den Mann hinter der Theke freundlich an, als der sich ihnen zuwandte. »Howdy. Sie sind also der neue Salooner?«
»Der bin ich. Mein Name ist Lassiter.« Der Fremde erwiderte das Grinsen. »Was darf's denn sein, Gentlemen?«
✰
Eine Woche zuvor
»Hier können wir leider nichts mehr ausrichten.« Marshal Jim Dodson stemmte die Fäuste in seine Hüften, während er sich zu seinen Deputies umdrehte und in vier grimmige Gesichter blickte. Die vergangenen Stunden hatten ihnen allen zugesetzt.
Einen wie dem anderen.
An diesem Morgen hatten Reisende auf dem Weg nach Bodie einen grausigen Fund gemacht: Während einer Rast hatte Toby Shoemaker, der elfjährige Sohn der Familie, einen menschlichen Fuß im hohen Gras entdeckt. Die Spuren legten nahe, dass er von einem Raubtier abgebissen und dorthin geschleift wurde. Weil laut dem Doc eine – wenn auch geringe – Chance bestand, dass das Opfer trotz der schweren Verletzung noch am Leben war, hatte Dodson unverzüglich einen Suchtrupp zusammengestellt und war aufgebrochen. Mit der Hilfe seines Hundes waren sie den Spuren gefolgt, die sie zur alten Miller Bridge geführt hatte. Diese Brücke wurde schon lange nicht mehr genutzt. Es war Monate her, seit Dodson zuletzt dort gewesen war. Damals war sie noch intakt gewesen. Nun nicht mehr. Sie war eingestürzt und hatte mehrere Männer und ihre Pferde mit in die Tiefe gerissen.
Am Grund des Canyons hatten Dodson und seine Begleiter ein Bild des Schreckens vorgefunden. Mehr als ein Dutzend Tierleiber lagen unter den Trümmern der Brücke begraben. Aus ihrem Fleisch ragten zersplitterte Knochen und Gedärme – umschwirrt von Fliegen und anderem Geschmeiß. Einige Tiere waren von Pfeilern und Brückenbauteilen aufgespießt worden, andere von den Trümmern erschlagen. Ihren Reitern war es nicht besser ergangen. Der Geruch von Blut und Tod wehte durch den Canyon.
Dodson sah seine Männer an. Niemand sagte auch nur ein Wort.
Er hatte nach dem Totengräber schicken lassen. Der war mittlerweile mit seinen Gehilfen angekommen und machte sich schweigend daran, die Toten auf Fuhrwerke zu laden, um sie in die Stadt zu karren und anständig zu begraben.
Sieben Männer. Sieben Pferde. Dazu die Packtiere. Alle tot.
Dodson hatte plötzlich einen gallebitteren Geschmack im Mund.
Die Überreste der Miller Bridge ragten wie Zahnstummel zu beiden Seiten des Tales in den grauen Abendhimmel. Vor einigen Jahren hatte die Holzkonstruktion den kürzesten Weg von der Parker-Mine herunter nach Bodie markiert. Die Mine war inzwischen längst verlassen und so hatte sich schon lange niemand mehr um die Brücke gekümmert. Sie war in Vergessenheit geraten.
Bis zu diesem Tag.
Einen der Toten hatte der Marshal erkannt: Francois Dupont. Anführer einer Schar Banditen, die vor einer Woche einen Goldtransport überfallen hatten. Seitdem waren sie auf der Flucht und irgendwie in seine Gegend geraten. Er ging davon aus, dass sie über die Brücke ins entlegene Hinterland gelangen wollten, jedoch allesamt den Tod gefunden hatten. Ihnen konnte niemand mehr helfen. Das war ihm klar. Die Packtaschen der Pferde jedoch gaben ihm ein Rätsel auf.
Sie waren so leer wie sein Magen.
Die Beute der Banditen war spurlos verschwunden.
»Und das ist wirklich merkwürdig«, murmelte er und starrte in eine der leeren Satteltaschen. »Hier drin sollte ein Vermögen in Gold versteckt sein.«
»Vielleicht ist das hier gar nicht die Dupont-Bande«, grübelte einer seiner Deputies laut. »Vielleicht sind es einfach nur harmlose Reisende.«
»Nein, ich erkenne Dupont. Hab' genügend Steckbriefe mit seiner Visage in meinem Büro. Er ist es – und damit auch seine Bande, ohne jeden Zweifel.«
»Dann müssten sie das Gold bei sich haben, oder?«
»Müssten sie, haben sie aber nicht.« Dodson knirschte mit den Zähnen. Sie hatten in dem Canyon jeden Stein umgedreht, ohne auch nur ein Krümel Gold zu finden. Geschweige denn eine ganze Kiste voll. Das begehrte Metall war spurlos verschwunden. Wie war das nur möglich?
»Womöglich ist jemand vor uns hier gewesen und hat es an sich gebracht. Es hat zwischendurch geregnet. Gut möglich, dass die Spuren weggespült wurden.«
»Hier draußen ist kaum mal jemand unterwegs. Es wäre schon ein riesengroßer Zufall, wenn jemand ausgerechnet jetzt hier vorbeigekommen wäre, und an Zufälle glaube ich nicht. Wir wären ohne den Fund von dem Jungen ja auch nicht hier.«
»Also haben die Banditen das Gold vielleicht unterwegs irgendwo versteckt?«
»Dann müssten sie später wiederkommen, um es sich zu holen. Viel zu gefährlich. Sie würden eine Entdeckung riskieren, obwohl sie das nicht müssten.«
»Tja, eine andere Erklärung habe ich im Moment nicht.«
»Ich auch nicht. Reiten wir zurück.«
»Noch nicht, Boss. Das Gold muss hier irgendwo sein. Wir müssen es bergen. Wenn wir jetzt aufgeben, holt es sich ein anderer und wir finden es nie mehr.«
»Wir haben aber schon alles abgesucht.« Dodson breitete die Arme aus. »Hier gibt es nicht viel mehr als Staub und Steine. Ein paar Klumpen Gold würden auffallen wie ein Grizzly in einem Freudenhaus. Wir hätten es längst finden müssen.«
»Vielleicht wurde es davongeschleudert.«
»Es ist Gold und kein herumflatterndes Huhn«, grollte der Marshal. »Nein, es hat keinen Zweck, weiterzusuchen. Aufsitzen. Wir kehren nach Bodie zurück.«
»Nicht ohne das Gold.« Gier glitzerte mit einem Mal in den Augen seines Gegenübers. »Wir wollen die Belohnung kassieren.«
»Ihr seid Deputies. Eure Belohnung ist ein reines Gewissen.«
»Davon können wir uns aber nichts kaufen. Die Girls in Lunas Heaven interessieren sich auch nicht dafür. Gold jedoch...« Ed leckte sich die Lippen.
Dodson hatte keine Geduld mehr übrig. Er war müde, hungrig und verschwitzt, und er wollte zurück in die Stadt. Also packte er seinen Deputy am Schlafittchen, brachte sein Gesicht so nah an seines, dass sich ihre Schnurrbärte berührten, und knirschte: »Entweder steigst du jetzt auf dein Pferd oder ich übernehme das für dich und bringe dich geradewegs in mein Jail, wo du ein paar Tage über die Bedeutung eines Befehls nachdenken kannst. Also? Wie hättest du es gern?«
Ed wurde eine Spur blasser und hob die Hände. »Ist ja schon gut. Reiten wir zurück, wenn es sein muss, aber ich sage euch, das wird uns noch leidtun.«
»Halt die Klappe, Ed«, brummte einer der Männer.
Sie schwangen sich auf ihre Pferde und machten sich auf den Weg zurück nach Bodie. Nach dem langen Sommertag war der staubige Boden aufgeheizt. Es war, als würden sie über glühende Kohlen reiten. Die Luft war heiß und trocken, der Wind schien winzige Sandkörner über ihre Gesichter zu reiben, dass ihre Haut brannte und ihre Augen tränten.
Die Stadt war von vier Goldsuchern gegründet worden. Einst lediglich ein Lager, war die Siedlung rasch gewachsen, als sich die ersten reichen Funde im Erdreich einstellten: Quarzit, Silicium, Silber und natürlich Gold. Eine Hügelkette begrenzte den Ort und schien ihn vor allzu rauen Winden zu beschützen. Die Stadt selbst wuchs von Jahr zu Jahr. Mittlerweile gab es sogar eine Seilbahn, welche von einem der Schachtausgänge in den Hügeln bis zum Stadtrand mit dem Erzbrecher führte.
Mit dem Erfolg stellten sich auch allerlei Abenteurer und Glücksritter ein, die den Minern ihren hart erarbeiteten Lohn abknöpfen wollten. Für Dodson gab es immer etwas zu tun. Und nun musste er sich noch um sieben tote Banditen und eine verschwundene Kiste mit Gold kümmern...
Der Marshal packte die Zügel seines Braunen fester und stieß ihm die Fersen in die Seiten. Eine gute Dreiviertelstunde später tauchte die Stadt in den Hügeln vor ihnen auf. Bäume suchte man hier vergebens. Die wenigen, die es einst gegeben hatte, waren für den Bau der Häuser und Minen draufgegangen. Nun wucherte hier nur noch stacheliges Gras, das nur von den Eseln und Maultieren gern gefressen wurde. Die Pferde verschmähten es.
Die tief stehende Abendsonne tauchte die Häuser in sattgoldenes Licht, als der Marshal und sein Trupp in die Stadt einritten. Der Totengräber würde mit seinen Helfern später folgen.
An der Mainstreet reihten sich Geschäfte und Vergnügungslokale aneinander. Ein Zeitungsjunge stand an einer Straßenecke und pries das Abendblatt an.
»Dupont-Bande ausgelöscht!«, rief er. »Ein Unglück auf ihrer Flucht gibt Rätsel auf. Lesen Sie das Neueste über den spektakulären Raub!«
Dodson fluchte in sich hinein.
Diese Schreiberlinge! Wussten oft noch vor ihm Bescheid, was in seiner Stadt passierte. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Irgendjemand hatte wieder geplaudert. Wenigstens schien das Verschwinden der Beute noch nicht bekannt zu sein. Das war auch gut so. Er konnte sich an allen zehn Fingern abzählen, dass viele losstürmen und sich auf die Suche nach dem Gold machen würden. Wusste der Himmel, wozu das führen würde. Zu nichts Gutem jedenfalls.
Unruhig rutschte er im Sattel herum. Diese verdammten Hämorrhoiden. Sein Hintern juckte, als würde er auf einem Termitenhügel sitzen.
Er presste die Kiefer aufeinander und ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. Langsam ritt er am Longhorn-Saloon vorüber, bog am Gemischtwarenladen ab und machte schließlich mit seinem Trupp vor seinem Office Halt. Hier verabschiedete sich mit knappen Worten von seinen Helfern und brachte sein Pferd in den Stall.
Er rieb den Braunen trocken und gab ihm Wasser und Futter. Hier draußen konnte ein Pferd über das Leben und den Tod eines Mannes entscheiden. Er war gut beraten, sein Reittier gut zu versorgen, das hatte er schon früh gelernt.
»Bist heute wieder gut gelaufen, Großer. Hast dir eine Pause redlich verdient.« Er klopfte dem Braunen den Hals, ehe er den Stall verließ.
Statt zu seinem Büro lenkte er seine Schritte zu einem kleinen Haus am Rand der Stadt. Sich nach allen Seiten vergewissernd, dass niemand zusah, hob er die Faust, um anzuklopfen, doch da schwang die Tür bereits vor ihm auf.