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Kurz vor Weihnachten soll Lassiter die berüchtigte Sally Hollister zum Richter nach Helena bringen. Doch auf dem Weg durch die verschneiten Rocky Mountains schlägt das Schicksal zu: Eine Lawine reißt den Zug von den Gleisen, und bald sitzen Lassiter und die Überlebenden im eiskalten Nirgendwo fest.
Als auch noch Sallys Erzfeind mit einer schwer bewaffneten Bande aufkreuzt, muss Lassiter erkennen: Einfache Tage sehen anders aus. Ihnen bleibt nur die Flucht nach vorn - und die führt sie geradewegs zu einem Geheimnis, das ihnen jeden Moment um die Ohren fliegen könnte...
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Seitenzahl: 143
Cover
Drei Outlaws und ein Baby
Vorschau
Impressum
Die Weihnachts-Ausgabe
Drei Outlaws und ein Baby
von Katja Martens
»Wie lange noch?« Will senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Was meint ihr?«
»Still«, raunzte Lawrence ihn an. »Wenn du weiter so auf deinem Hocker herumzappelst, weiß bald jeder, dass wir etwas vorhaben. Also trink deinen Whisky und halt den Rand.«
Will zog den Kopf ein und sah sich unauffällig im Saloon um. Niemand achtete auf sie. Die meisten Gäste tranken oder spielten Karten. Einer hielt eine Zeitung in den Händen. Auf der ersten Seite war die Photographie einer rassigen Schönen abgedruckt. Was für eine Frau! Alles an ihr war üppig. Ihre schwarzen Locken, der dralle Busen ... Will leckte sich über die Lippen. Warum ihr Bild wohl in der Zeitung war? Die Buchstaben ergaben für ihn keinen Sinn. Doch wenn ihr Plan aufging, würde er bald im Geld schwimmen.
Dann könnte er Lesen lernen, sich eine Frau nehmen und einen ganzen Stall Kinder in die Welt setzen. Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Ja, verdammt, das würde ihm gefallen. Seit Monaten klebte seinen Begleitern und ihm das Pech an den Fersen wie Büffeldreck, aber an diesem Abend würde sich alles ändern ...
Ihre Wahl war auf eine Stadt namens Pines Bluff gefallen.
Sie lag im Nordwesten von Montana und trotzte den Blackfeet im Norden ebenso wie den eisigen Winden, die über die Rocky Mountains fegten. Seitdem die Eisenbahn in der Stadt war, schossen die Häuser wie Pilze aus dem Boden. Neue Geschäfte öffneten. Siedler kamen und brachten Leben und Geld mit in die Stadt.
Und genau das hatte Will, Lawrence und Ray hergelockt.
Ihr Plan war geschmiedet. Sie warteten nur noch auf den richtigen Moment ...
Durch die trüben Fenster erhaschte Will einen Blick auf die Girlanden aus weihnachtlich geschmücktem Tannengrün, die sich von Haus zu Haus über die Mainstreet spannten. Unwillkürlich knirschte er mit den Zähnen. Er konnte sich nicht entsinnen, wann ihm das letzte Mal so wenig weihnachtlich zumute gewesen war.
Der Rusty-Nail-Saloon lag an der Mainstreet, nur einen Steinwurf vom Ufer des namenlosen Sees entfernt, der sich zwischen die verschneiten Hänge schmiegte wie ein Liebhaber zwischen die Schenkel einer schönen Frau. Es war eine Spelunke, aber der Whisky war gut und billig und so waren die meisten Plätze besetzt.
Die Luft war erfüllt vom Klirren von Gläsern und dem gelegentlichen Husten des Barkeepers. Will hatte sich mit seinen beiden Begleitern einen runden Tisch am Fenster gesichert. Der Schnee auf ihren abgetragenen Mänteln war längst getaut und sie hatten kein Geld mehr, um noch eine weitere Runde Whisky zu bestellen, deshalb hielten sie sich an ihren Gläsern fest. Sie sagten nichts, behielten nur stumm die Bank auf der anderen Straßenseite im Blick.
Die Stunden zogen sich, während es zu schneien begann. Der Wind trieb dicke Schneeflocken vor sich her und türmte sie zu kleinen Hügeln auf.
»Noch 'ne Runde?« Der Salooner blieb an ihrem Tisch stehen und deutete auf ihre Gläser.
»Später«, beschied Ray ihn.
»Wie ihr wollt. Sagt Bescheid, wenn ihr eure Kehlen anfeuchten wollt.«
»Das machen wir.« Ray brummte. »Wir kommen nicht oft in die Stadt. Ist verdammt schade, dass Sie den Saloon kein bisschen weihnachtlich dekoriert haben.«
»Ach, wisst ihr: Ich hab es nicht so mit großen Festen. Wenn ihr die Weihnachtsglocken hören wollt, solltet ihr Miss Patty und ihre Mädchen besuchen. Ihr findet sie ein Stück die Straße runter. Da habt ihr ordentlich was zum Läuten in den Händen.« Der Salooner machte eine bedeutungsvolle Geste und grinste.
Will brachte nur ein müdes Lächeln zustande. Wenn sie sich diesen Besuch bloß leisten könnten. In ihren Taschen fand sich wenig mehr als Staub und Mäusedreck.
Noch jedenfalls.
Wenn ihr Plan aufging, würden sie diese Stadt als reiche Männer verlassen. Zeit für einen Besuch bei Miss Patty würden sie dann allerdings nicht mehr haben.
Es war Ray gewesen, der den Plan ausbaldowert hatte. Wohl war ihnen allen dreien nicht dabei, aber wenn sie nicht verhungern wollten, mussten sie schleunigst etwas unternehmen. Und mangels einer besseren Idee hatten sich Will und Lawrence breitschlagen lassen, es zu versuchen.
Ray saß zu seiner Rechten und starrte grimmig in sein Glas. Er war der Älteste von ihnen. In seinen schwarzen Schnurrbart mischte sich bereits das erste Grau. Seine kräftige Gestalt steckte in einer abgetragenen Garderobe und die Lassonarben an seinen Händen wiesen ihn als den Cowboy aus, der er jahrelang gewesen war.
Auf Wills anderer Seite saß Lawrence. Sein Mantel hatte ihm einst wie angegossen gepasst, nun jedoch hing er um ihn herum, als hätte er einmal einem weitaus kräftigeren Mann als ihm gehört. Lawrence war ein langes Elend mit schmalem Gesicht und fettigen braunen Haaren, die ihm bis zum Kragen reichten. Auf den ersten Blick wirkte er vollkommen entspannt. Lediglich der Holzspan, auf dem er herumkaute, verriet seine Anspannung.
Will selbst war so nervös, dass es sich anfühlte, als würde eine winzige Berührung genügen, um ihn zerspringen zu lassen wie Glas. Im Spiegel über dem Tresen erhaschte er einen Blick auf seine eigene drahtige Gestalt – und die Spuren des Sturzes, die sein Gesicht prägten. Seitdem war seine Nase krumm und eine Narbe zog sich quer über seine rechte Wange, kaum verdeckt von seinem wild wuchernden Bart. Ja, sie hatten alle drei schon bessere Zeiten gesehen.
Wenn alles glatt lief, würden sie das auch bald wieder.
Verloren hatte nur, wer sein Glück gar nicht erst versuchte. Das hatte ihm einmal ein alter Fallensteller gesagt. Er hatte es sich gemerkt, weil es sich für ihn verdammt richtig anhörte.
Sein Blick steifte aus dem Fenster hinüber zu dem Bankgebäude. Es war ein flacher, aus Holz errichteter Bau. Drei Stufen führten zu der Veranda. Zwei vergitterte Fenster flankierten die Eingangstür, durch die gerade ein graubärtiger Mann die Bank verließ.
»Das war der Letzte«, murmelte Ray. »Jetzt ist nur noch der Boss der Bank drin. Der wird jede Minute abschließen. Wir müssen vorher rein, wenn wir absahnen wollen.«
»Also los«, gab Will flüsternd zurück, wurde jedoch von einem Zischen von Lawrence zurückgehalten.
»Wartet noch!«
»Zum Geier! Warum denn?«
»Darum!« Lawrence deutete mit dem Kinn zu einem der Fenster.
An der Straßenecke stand ein Zeitungsjunge und schwenkte eine Ausgabe. Ein Mann war zu ihm getreten und reichte ihm eine Münze. An seiner schwarzen Jacke zeichnete sich gut sichtbar ein Marshal-Stern ab.
Will versteinerte.
Der Marshal wechselte ein paar Worte mit dem Jungen, dann klemmte er sich die Zeitung unter den Arm und stapfte die verschneite Straße hinunter. Wenig später war er nicht mehr zu sehen.
Ray leerte sein Glas. »Los jetzt«, murmelte er.
Sie legten jeder eine Münze auf den Tisch, standen auf und strebten ohne große Eile aus dem Saloon. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, als sie die Straße überquerten und auf das Bankgebäude zuhielten.
Auf dem Weg dorthin zogen sie ihre Schals höher, sodass sie einen Teil ihres Gesichts verdeckten.
Ihre Pferde waren hinter der Bank angebunden. Gesattelt und bereit, die Stadt auf dem schnellsten Weg zu verlassen, sobald ihr Plan umgesetzt war.
Sie hatten keinen Plan B. Keinen Ort, zu dem sie zurückkehren konnten. Keine Reserven. Für sie gab es nur zwei Ausgänge: Geld oder Grab.
Ray stapfte mit festen Schritten auf die Eingangstür zu. Will folgte ihm vor Lawrence. Ray stieß die Tür auf und sie betraten die Bank.
Drinnen herrschte eine schläfrige Atmosphäre. Der Bankier, ein schmallippiger Mann in einem abgetragenen Anzug, saß hinter dem vergitterten Tresen und lehnte sich zurück, die Augen halb geschlossen. Er stöhnte kehlig. Noch schien er das Trio nicht bemerkt zu haben.
Ray nickte Lawrence und Will kurz zu. Will zog seinen Smith & Wesson Revolver, während seine beiden Begleiter jeweils einen Army Colt aus dem Holster zogen.
Lawrence behielt die Tür und durch einen Spalt die Mainstreet im Auge, während Will Ray deckte.
»Keine Bewegung!«, rief Ray und richtete den Lauf seiner Waffe auf den Bankier.
Der Mann hinter dem Tresen riss die Augen auf – und erstarrte.
Ray schwenkte seine Waffe kurz auf den Tresor. »Aufmachen«, knurrte er. »Schieb die Bucks rüber. Aber schnell!«
Die Hände des Bankiers zitterten, als er sie hochnahm.
»Jetzt mach schon!«, zischte Ray. »Sonst schießen wir hier alles kurz und klein!«
Der Bankier starrte ihn stumm an.
Will zielte auf den Mann hinter dem Tresen, aber plötzlich machte sich ein dunkles Gefühl in seiner Brust breit. Etwas stimmte nicht ... Der Gedanke war ihm gerade durch den Kopf geschossen, als plötzlich ein blonder Schopf unter dem Tresen auftauchte. Eine halbnackte junge Frau sprang auf und stolperte zur Hintertür, stieß sie auf und floh hinaus in das Schneetreiben.
Der Kerl hatte ein Liebchen hier!
Will konnte ihr Pech nicht fassen.
Ray stieß einen Fluch aus und schwenkte seine Waffe, ohne jedoch abzudrücken.
Von draußen drangen helle, spitze Rufe herein.
»Ein Überfall! Holt den Marshal! Die Bank wird überfallen!«
Nun entfuhr auch Will ein Fluch. Sie hatten die Bank zwei Tage lang beobachtet und herausgefunden, dass der Bankier abends allein war, kurz bevor er abschloss. Seine Clerks waren dann schon weg. Es war der perfekte Zeitpunkt für einen Überfall. Zumindest hatten sie das angenommen.
Von einer Frau war nie etwas zu sehen gewesen.
Diese verflixten Weiber! Machten einem nichts als Ärger!
»Weg hier!«, zischte Ray.
»Was ist mit dem Geld?«, warf Lawrence ein.
Im selben Moment ertönten draußen schwere Stiefeltritte.
»Der Marshal rückt an. Vergessen wir die Bucks! Wie müssen hier weg!«
Die Worte waren kaum heraus, da flog die Tür auf, krachte gegen die Wand und Revolverfeuer zerschnitt die stickige Luft.
Ray reagierte gedankenschnell. Er zielte auf das Schloss der vergitterten Tür, die hinter den Tresen führte, und drückte ab. Einmal. Zweimal. Endlich gab das Schloss nach. Die Tür schwang auf und gab den Weg nach hinten frei.
»Los!«, brüllte er, während ihnen die Kugeln um die Ohren flogen wie wütende Hornissen.
Das musste er nicht zweimal sagen.
Will feuerte ein paar Schüsse zurück und zog Ray mit sich. Der Marshal war nicht allein. Hinter ihm tauchten zwei weitere Männer auf, die Gewehre im Anschlag hatten. Will wusste, dass sie hier nicht mehr lebend rauskommen würden, wenn sie nicht sofort verschwanden. Ziellose Schüsse nach hinten abgebend, stürmten sie durch die Tür, vorbei an dem noch immer erstarrten Bankier und durch den Hinterausgang ins Freie.
Ihre Kugeln hielten die Sternträger für den Moment auf, aber das verschaffte ihnen nur einen kurzen Vorsprung.
»Verdammt!«, brüllte Lawrence, während sie zu ihren Pferden rannten. »Warum hast du das Weib nicht erschossen? Du hattest sie doch genau vor deinem Abzug.«
»Ich schieße doch nicht auf eine Frau«, keuchte Ray.
»Nicht reden!«, rief Will. »Rennen!«
Und das taten sie.
Hinter ihnen krachten Gewehrschüsse.
Verdammt! Der Marshal und seine Männer waren ihnen auf den Fersen!
Mit langen Schritten bogen Will und seine Gefährten in eine Seitenstraße ab, in der ihre Pferde warteten. Sie lösten die Zügel und schwangen sich blitzschnell in den Sattel. Jetzt kam ihnen ihre jahrelange Erfahrung als Cowboys auf dem Pferderücken zugute. Sie pressten ihren Reittieren die Fersen in die Seiten und trieben sie an.
Im Handumdrehen preschten sie aus der Stadt, dass der Schnee unter den Hufen aufgewirbelt wurde. Die Kugeln ihrer Verfolger zischten an ihnen vorbei ... und blieben bald zurück. Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Der Marshal würde ihnen folgen, das wussten sie ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Und so beugten sie sich tiefer über die Rücken ihrer Pferde und trieben sie an.
Wills Augen brannten. Enttäuschung machte sich in ihm breit wie zähe schwarze Tinte.
Es war vorbei. Ihr Plan war gescheitert. All ihre Hoffnungen waren dahin.
Aber lebendig waren sie – zumindest für den Moment.
✰
Pines Bluff duckte sich in den Schutz dichter Kiefernwälder und verschneiter Hänge, hinter denen die majestätischen Gipfel der Rocky Mountains hoch genug aufragten, um in den Wolken zu verschwinden. Lassiter saß ein verdammt langer Ritt in den Knochen. Erschöpft lenkte er sein Pferd auf die Stadt zu. Trotz der Handschuhe fühlten sich seine Finger taub an nach den langen Stunden im Sattel. Fast so, als wären sie am Zügel festgefroren. Er sehnte sich nach einer warmen Mahlzeit und einem Bett. Vorher galt es jedoch, seinen nächsten Auftrag genauer in Augenschein zu nehmen.
Seit vielen Jahren ritt er für die Brigade Sieben – eine geheime Organisation, die ihre Agenten überall dorthin schickte, wo die Kacke am Dampfen war. Oft genug schwirrten ihm die Kugeln um die Ohren. Lassiter arbeitete allein. So war es ihm am liebsten. Einsam war er trotzdem nicht. Die Ladys mochten ihn und er hatte nichts dagegen, ihnen ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen.
Im Augenblick jedoch wollte er einfach nur ankommen.
Der Winter hatte das Tal und die kleine Stadt fest im Griff. Dichte Schneedecken lasteten auf den Dächern und Eisblumen schmiegten sich an die Fenster der Häuser. Die Kälte stach in sein Gesicht wie unsichtbare Nadeln, und jeder Atemzug verwandelte sich in Nebel, der sofort im Wind verwehte.
Lassiter folgte der Mainstreet, die weiß vom Schnee war. Pferdehufe und Karrenräder hatten tiefe Spuren gegraben, die längst eingefroren waren. Die meisten Passanten waren in dicke Mäntel und Felle gehüllt, ihre Köpfe unter Hüten und Schals verborgen. Die Sonne war bereits untergegangen. Laternen kämpften gegen die Dunkelheit an und warfen orangefarbene Lichtinseln in den Schnee.
Von einigen Dächern hingen Eiszapfen so dick wie der Oberschenkel des großen Mannes.
Hier und da ragten Gerippe von Häusern auf, die gerade erst gebaut wurden. Der Bahnanschluss nach Pines Bluff war noch jung. Einen Bahnhof gab es nicht, nur eine Haltestation. Doch die gab Hoffnung auf Wachstum und eine bessere Zukunft, auch wenn der Winter mit seinen eisigen Temperaturen und Schneestürmen das Leben hier hart und entbehrungsreich machte.
Lassiters Brauner trat vorsichtig durch den tiefen Schnee, seine Hufe knackten an den zugefrorenen Stellen. Der Wind blies unaufhörlich, und Lassiter zog den Kragen seiner Jacke unwillkürlich höher. Sein Ziel war das Marshals Office, das sich irgendwo in diesem verschneiten Ort befinden musste.
Aus einem Eckgebäude drang munteres Pianoklimpern. Rusty-Nail-Saloon, stand in schwarzen Lettern auf dem Holz über der Schwingtür. Scherzbolde hatten die beiden O-s mit Kugeln durchsiebt. Eine Holzveranda breitete sich vor dem Saloon aus. Nebenan befand sich der Generalstore. Vor dem Gemischtwarenladen lag ein leeres Karrenrad halb versunken im Schnee.
Ein Stück die Straße hinunter, baumelte ein Schild vom Vordach eines flachen Gebäudes und verriet, dass sich um das Marshals Office handelte. Es war ein flaches Gebäude mit einer schweren Holztür und zwei vergitterten Fenstern, die fast vollständig vom Schnee verdeckt waren. Neben dem Eingang lehnte ein Besen an der Wand. Offensichtlich hatte jemand versucht, dem vielen Schnee Herr zu werden ... und war grandios gescheitert.
Lassiter lenkte sein Pferd vor das Gebäude, stieg ab und schüttelte den Schnee von seinen Schultern. Dann band er den Braunen an den Holm und stapfte die tief verschneiten Stufen zum Eingang des Marshals Office hinauf.
Als er die Tür öffnete und eintrat, wurde er von behaglicher Wärme empfangen. Ein Ofen knisterte und knackte in einer Ecke. Das Arbeitszimmer des Marshals wurde von einem massiven Schreibtisch mit einem Berg Papier dominiert. Dahinter saß ein kleiner, drahtiger Mann – vor sich eine Zeitung und ein dampfender Becher mit Kaffee. Der Stern an seiner Brust wies ihn als Marshal aus. Hinter ihm zeichnete sich eine Wand ab, an die zahlreiche Steckbriefe gepinnt waren.
Das Who's Who der örtlichen Halunken, wie es schien.
Als Lassiter die Tür hinter sich schloss und die Kälte damit aussperrte, faltete der Marshal seine Zeitung und legte sie beiseite.
»Marshal Reid?«, fragte Lassiter.
»Das bin ich«, antwortete der Mann hinter dem Schreibtisch und musterte ihn prüfend. »Was führt Sie bei diesem Wetter hierher?«
»Ein Auftrag.« Lassiter zog das Telegramm aus seiner Tasche und strich es glatt. Es kam aus Washington und instruierte ihn, den örtlichen Marshal aufzusuchen und eine Gefangene von ihm zu übernehmen. »Mein Name ist Lassiter. Ich soll Miss Sally Hollister zum Richter nach Helena bringen.«
»Ein Auftrag, um den ich Sie weiß Gott nicht beneide, Sir.« Der Marshal nahm das Telegramm und studierte es sorgfältig. Dann nickte er. »Ich habe Sie schon erwartet.«
»Dann haben Sie Miss Hollister hier in Gewahrsam?«
»Das habe ich. Und als wäre das nicht schon Ärger genug, musste ich mich heute auch noch mit drei Halunken herumschlagen, die unsere Bank überfallen wollten.«
»Haben Sie die Kerle geschnappt?«
»Nein, der elende Schnee hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bis wir unsere Pferde bereit hatten, hatten die Kerle bereits einen Vorsprung. Der Neuschnee hat alle Spuren zugeweht. Sie sind entkommen. Fürs Erste jedenfalls. Morgen schicke ich einen Trupp los, um sie zu finden.« Der Marshal gab Lassiter das Telegramm zurück. »Irgendwann erwischen wir jeden. Auch Sally Hollister haben wir geschnappt. Viele Sternträger waren ihr seit Jahren auf der Spur, haben sie aber nie erwischt. Diese Frau wechselt ihre Namen und Ehemänner öfter als so mancher Cowboy seine Unterhosen.«
»Verstehe.« Lassiter rieb sich das Kinn. »Das Telegramm hat nicht allzu viel hergegeben. Was hat sie getan?«
»Drei Ehemänner unter die Erde gebracht. Drei, von denen wir wissen. Könnten auch mehr gewesen sein. Zuletzt hieß sie Sally Sheffield und war die Frau eines Farmers. Der arme Teufel hatte keine Ahnung, wen er da geheiratet hatte.«
»Eine Frau, die das Geld ihrer toten Ehemänner gut gebrauchen konnte?«