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Master Sergeant Finnewacker ist bester Laune. Vor ihm haben sich die zwanzig Neuen auf dem Hof der alten spanischen Festung Fort Aldamo aufgereiht. Sträflinge, die er auf Spur bringen soll. Harte Kaliber, die sich von niemandem etwas sagen lassen. Ihm ist das recht so, sonst würde er sich ja unterfordert fühlen. "Riiicht euch! Augen geradeee-aus!" Seine Befehle hallen im Geviert der hohen Festungsmauern wider. Wen er ansieht, der hat Haltung anzunehmen. Und er sieht jeden an. Den Neuen will er mit einem Dreißig-Meilen-Gepäckmarsch durch die Wüste ein warmes Willkommen bereiten. Doch noch bevor es dazu kommt, kündigt eine Brieftaube einen unerwarteten Besucher an. Und der hat jede Menge Ärger im Gepäck ...
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Alle jagen Finnewacker
Vorschau
Impressum
Alle jagen Finnewacker
von Katja Martens
Jennifer Taylor ließ ihre Flickarbeit sinken. Von unten drang die Stimme ihres Vaters herauf. Sie konnte nur einzelne Worte verstehen, aber die ließen nichts Gutes ahnen. »Ich habe zwei Töchter ... reizende Mädchen ...« Ein gedämpfter Schlag unterbrach ihn.
Dann war eine fremde Stimme zu vernehmen, rauchig wie ein schwelendes Lagerfeuer. »Ach ja? Und wie soll das die achttausend Dollar abdecken, die Sie dem Boss schulden?«
Die Antwort ihres Vaters war undeutlich, aber Jennifer hatte genug gehört, um zu wissen, dass sie in Schwierigkeiten steckten. Achttausend Dollar! Das war ein Vermögen.
»War es wirklich so viel?«, kam es zittrig von unten.
Heiseres Lachen antwortete ihm. »Das ist nur die Hauptschuld. Dazu kommen noch die Zinsen. Also rücken Sie die Bucks raus, Taylor. Der Boss will sein Geld – und zwar noch heute!«
Jennifer rieselte ein kalter Schauer durch den Körper.
Achttausend Dollar? Wie konnte ihr Vater es wagen, um eine solche Summe zu spielen?
Die Spielschulden ihres Vaters hatten ihr schon so manche schlaflose Nacht beschert. Bisher war es immer irgendwie gelungen, das Geld aufzutreiben. Sie hatten ein paar Schafe verkauft, die goldene Halskette mit dem Kreuz, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und im vergangenen Herbst die Wiese unten am Willow Creek, auf die ihr Nachbar Mr. Palmer schon lange ein Auge geworfen hatte, weil das Gras dort besonders saftig war und gutes Futter für die Tiere ergab.
Inzwischen gab es auf ihrer Farm nichts mehr, das sie verkaufen konnten.
Und nun war wieder ein Mann gekommen, um Geld einzutreiben.
Ihre Welt drohte in tausend Stücke zu zerbrechen.
Seit dem Tod ihrer Mutter ging es mit der Farm bergab. Ihr Vater verschlief den größten Teil des Tages. Abends stieg er auf sein Pferd, um in die Stadt zu reiten, und kam erst im Morgengrauen heim. Dann stank er nach billigem Fusel, hatte keinen Cent mehr in der Tasche und schaffte es kaum noch, aus seinen Stiefeln zu kommen, bevor er in einen komatösen Schlaf fiel.
Jennifer und ihre Schwester kümmerten sich allein um die Farm. Doch alles, was sie einnahmen, gab ihr Vater mit vollen Händen wieder aus. Jennifer nahm Flickarbeiten für ihre Nachbarn an, um ein paar Dollar dazuzuverdienen. Von diesem Geld ahnte ihr Vater noch nichts. Das sparte sie eisern. Damit wollte sie eines Tages einen kleinen Laden anmieten und eine Schneiderei eröffnen. Dann könnte sie für ihre Schwester und sich selbst sorgen und müsste nicht mehr bei jedem Besucher fürchten, dass ihnen noch das letzte Hemd weggenommen wurde.
Unter ihrem Bett war ein Kästchen versteckt. Darin waren genau zweihundertachtundvierzig Dollar verborgen. Ganz reichte es noch nicht, aber in ein paar Monaten würde sie genug Geld haben, um ein Ladengeschäft einzurichten und eine sichere Zukunft für ihre Schwester und sich aufzubauen.
Falls sie so lange durchhielten.
Von unten drang ein gedämpftes Rumpeln herauf. Es hörte sich an, als wäre jemand gegen ein schweres Möbelstück gestoßen. Erschrocken legte Jennifer ihre Näharbeit zur Seite und verließ das Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester teilte.
Auf der untersten Treppenstufe saß Lindy. Sie hatte die Arme um ihre Knie geschlungen und kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Im letzten Winter war sie fünfzehn geworden, aber mit ihrer zierlichen Statur und den braunen Augen, die hinter ihrer runden Brille verträumt in die Welt blickten, wirkte sie jünger. Und jetzt gerade war sie so blass, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Doch der Geist, der sie umtrieb, kam nicht aus dem Jenseits, sondern aus den Whiskyflaschen, die ihr Vater Nacht für Nacht leerte.
»Du sollst doch nicht lauschen«, tadelte Jennifer sie leise.
»Dad hat Besuch«, wisperte Lindy. »Sie reden über Geld. Ich glaube, er hat wieder gespielt. Ob wir jetzt Ärger bekommen?«
»Wie kriegen das schon wieder hin.«
»Meinst du wirklich?«
»Haben wir das nicht immer?« Jennifer war nicht sicher, wen sie überzeugen wollte – ihre Schwester oder sich selbst. »Geh wieder nach oben. Es ist spät. Du solltest längst im Bett liegen.«
»Was ist mit dir?«
»Ich komme gleich nach.«
»Ist gut.« Lindy stand auf, schüttelte ihren Rock aus und eilte nach oben.
Jennifer wartete, bis die Tür oben zufiel, dann wandte sie sich der Küche zu. Hier unterhielt sich ihr Vater mit seinem Besucher. Obwohl sie ihrer Schwester das Lauschen verboten hatte, lehnte sie sich nun selbst nah an die Tür heran und spitzte die Ohren, um herauszufinden, woher der Wind wehte.
»... habe das Geld nicht.« Ihr Vater klang hörbar zerknirscht.
»Das ist schlecht, Taylor. Sehr schlecht sogar.«
»Aber ich kann es besorgen. Wenn Sie mir nur etwas mehr Zeit geben ...«
»Ausgeschlossen. Der Boss hat Ihnen bereits zweimal einen Aufschub gewährt. Ein drittes Mal ist das unmöglich. Es wäre ein schlechtes Beispiel für andere. Sie verstehen das sicher.«
»Ja, natürlich, aber ... aber ich will ja bezahlen.«
»Dann geben Sie mir das Geld und wir trennen uns im Guten.«
»Ich kann nicht. Ich habe nicht so viel.«
»Nun, wenn das so ist ...«
»Warten Sie! Bitte! Eins meiner Mädchen!«
»Eins Ihrer Mädchen?«
»Jedermann weiß, dass Mr. Vance der Inhaber des Scarlet Rose ist. Meine Tochter Melinda könnte für ihn arbeiten. Die Schulden abarbeiten. Ich schwöre es. Das könnte sie.«
Jennifer schnappte nach Luft. Das Scarlet Rose war ein Etablissement, dessen Namen ihre Mutter zu ihren Lebzeiten niemals über die Lippen gebracht hätte. Jennifer war nicht sicher, was dort vor sich ging, aber eines wusste sie genau: Es war kein Ort für ihre kleine Schwester, deren größter Schatz ihre Sammlung von Romanen war, die sie schon so oft gelesen hatte, dass sie bald auseinanderfielen. Lindy träumte davon, eines Tages Lehrerin zu sein. Für die Schulden ihres Vaters im Scarlet Rose zu arbeiten, war nicht Teil des Plans.
Der Besucher schnaubte vernehmlich. »Sie haben zwei Töchter. Was ist mit der anderen? Wenn sie mitarbeitet, wird es schneller gehen.«
»Jennifer? Sie steht nicht zur Verfügung.«
»Warum nicht?«
»Ich brauche sie auf der Farm. Sie hält hier alles am Laufen. Ich kann nur ihre jüngere Schwester schicken.«
»Ihnen ist hoffentlich klar, dass es nur eine Möglichkeit gibt, in kurzer Zeit so viel Geld zu verdienen, oder? Nämlich auf dem Rücken.«
»J-ja, das ist mir klar.«
»Und Sie wollen Ihre Tochter trotzdem schicken?«
»Melinda wird tun, was nötig ist. Sie ist ein gutes Mädchen.«
»Noch jedenfalls.« Das dreckige Gelächter des Besuchers hallte von den Wänden wider.
Ihr Vater stammelte noch etwas, aber Jennifer hatte genug gehört, um vor Empörung am ganzen Leib zu beben. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass ihr Vater ihre Schwester an ein zweifelhaftes Etablissement verschacherte!
Sie stieß die Tür zur Küche auf – und prallte jäh zurück, als sie ihren Vater am Tisch sitzen sah. Seine linke Gesichtshälfte war violett verfärbt und angeschwollen, Blut sickerte seinen Mundwinkel hinab, und er wirkte so verzweifelt, als hätte er sich bereits aufgegeben.
Sein Besucher war ein ausnehmend gut gekleideter Gentleman, dessen feiner Zwirn jedoch nicht über seine groben Gesichtszüge und die Härte in seinen Augen hinwegtäuschen konnte. Eine einzelne graue Strähne zeichnete sich in seinem ansonsten schwarzen Haar ab. Bei ihrem Erscheinen heftete er den Blick auf sie und musterte sie ungeniert vom Kopf bis zu den Füßen. Jennifer rieselte eine Gänsehaut über den Rücken.
Der Besucher zog eine Augenbraue hoch und wandte sich an ihren Vater. »Das ist die ältere, nehme ich an. Ist die jüngere Schwester genauso hübsch?«
»O ja. Ja, das ist sie.«
»Dann wird sie genügen.«
Jennifer bedachte den Fremden mit einem flammenden Blick. »Meine Schwester muss niemandem genügen, weil sie nämlich nicht für Sie arbeiten wird!«
Der Besucher starrte sie finster an und kniff die Lippen zusammen. »Ich hoffe, das jüngere Mädchen besitzt nicht dasselbe Temperament wie diese hier. Die meisten Gentlemen im Scarlet Rose schätzen es nicht sonderlich, wenn die Girls aufsässig sind.«
»Melinda ist anders«, stammelte ihr Vater. »Seien Sie dessen versichert.«
Jennifer konnte nicht glauben, dass ihr Vater diesem Unhold ihre Schwester anpries wie saure Milch. Ihr Mund wurde trocken. Sie trat auf den Besucher zu. »Ich habe gehört, dass mein Vater Ihrem Boss Geld schuldet. Wir werden alle Schulden begleichen. Sie können meine Ersparnisse haben. Den Rest bezahlen wir sobald wie möglich.«
»Ersparnisse?« Die Augenbraue wanderte höher. »Davon war bisher nicht die Rede.«
»Es sind genau zweihundertachtundvierzig Dollar.«
»Peanuts. Das ist nicht genug. Nicht einmal annähernd.«
»Ich kann mehr Geld beschaffen.«
»Nein.« Der Besucher schüttelte grimmig den Kopf.
So weit war es also gekommen. Ihr Vater wollte ihre kleine Schwester an ein ... ein Bordell verkaufen. Das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Bevor sie jedoch noch etwas sagen konnte, verlangte der Besucher, ihre Schwester zu sehen.
Ihr Vater stemmte sich vom Tisch hoch, schlurfte zur Tür und rief nach ihr.
»Vater, bitte«, flehte Jennifer. »Tu das nicht!«
Er wich ihrem Blick aus und sagte kein Wort.
Kurz darauf trat Lindy ein. Den Blick auf den Boden geheftet und die Finger in den Falten ihrer Röcke verschränkt.
Der Besucher näherte sich ihr. »Ah, Sie haben nicht zu viel versprochen, Taylor. Haare wie Honig und eine Haut wie Milch. Die Männer werden Schlange stehen, um sie zu nehmen.« Er gab ein zufriedenes Schmatzen von sich. »Du hast eine halbe Stunde, Mädchen. Pack deine Sachen. Du kommst mit mir.«
Lindys Kopf fuhr hoch. Aus weit aufgerissenen Augen suchte sie Jennifers Blick. Stumm flehte sie sie um Hilfe an. Da trat der Besucher vor sie hin und strich prüfend über ihre Wange ...
»Nehmen Sie Ihre Finger von ihr!« Jennifer schob sich zwischen ihre Schwester und den Fremden. Im nächsten Moment traf sie etwas Hartes am Kinn. Ihr Kopf flog zurück. Grelle Sterne explodierten vor ihren Augen. Und plötzlich raste der blank gescheuerte Boden auf sie zu. Sie hörte Lindy schreien ... dann versank sie in einem Meer aus Dunkelheit.
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»Nennt ihr das etwa Laufschritt?« Master Sergeant Finnewacker verschränkte die Hände auf seinem Rücken und beobachtete, wie die beiden Nachzügler ihren Platz in der vorderen Reihe einnahmen. »Ich habe schon tote Maultiere gesehen, die schneller unterwegs waren!«
Seine Stimme hallte vom Geviert des Innenhofes der alten spanischen Festung Aldamo wieder. Die beiden Gescholtenen zogen die Köpfe ein. Wenn sie hofften, seiner Aufmerksamkeit damit zu entgehen, so nutzte es ihnen wenig. Finnewacker entging nicht einmal ein einzelnes Staubkorn in seinem Fort.
Gemessenen Schrittes stapfte er über den kopfsteingepflasterten Innenhof der Festung, die seit dem Kriegsende der Strafkompanie der US-Kavallerie als Standort diente. Vor dem ersten Nachzügler blieb er stehen.
»Name!«
»Infanterist Winters, Sir.«
»Hat sich was mit ›Sir‹. Ich bin Master Sergeant Finnewacker und werde auch so angesprochen!«
»Jawohl, Si ... Master Sergeant.«
Finnewacker sah den Nebenmann an, der ebenfalls zu spät gekommen war.
»Infanterist Winters, Master Sergeant«, kam es zackig zurück.
Noch ein Winters? »Du willst mich wohl verulken.«
»Mitnichten, Master Sergeant.«
»Verwandt? Verschwistert? Verschwägert?«
»Nicht, dass wir wüssten.«
Schweigend zückte Finnewacker sein Notizbuch, das aus der Knopfleiste seines sauber gebürsteten Feldrockes ragte. Er schlug es auf und leckte seinen Bleistift an.
Einige der Langjährigen schluckten trocken, andere grienten. Sie wussten, was jetzt kam.
Festungserweiterungskommando!
Dazu gedacht, die Männer sinnvoll zu beschäftigen und sie zu läutern. Seitdem Finnewacker es eingeführt hatte, gab es in Aldamo nichts Gefürchteteres. Wer seinen Dienst vernachlässigt oder die große Klappe gehabt hatte, wurde zur Arbeit im Festungserweiterungskommando abkommandiert. Finnewacker ließ die Strafsoldaten die Hänge des Hügels, auf dem das Fort stand, abtragen und durch eine Mauer ersetzen, die ebenso wie die Festungsmauern selbst zehn Meter hoch werden sollte. Angreifer zu Pferd sollten auf diese Weise dann nicht einmal mehr an die Festung herankommen.
Für die Männer war es die Hölle. Sie mussten dem Sand und dem Erdreich mit Schaufeln und Hacken zu Leibe rücken. Was sie abtrugen, wurde in Säcke verladen und weit entfernt in der Wüste verstreut, damit keine neuen Hügel entstanden, die Angreifern Deckung bieten konnten.
Die Steine für die Mauer wurden in einem ehemaligen Steinbruch gewonnen, in einem Gebirgszug im Osten, in dem einst schon die Konquistadoren selbst das Material für den Festungsbau abgebaut hatten. Sieben Meilen war der entfernt.
Die Arbeiten wurden ohne Sprengstoff verrichtet, nur mit Meißeln, Hämmern und Schaufeln. Ein Zuckerschlecken war das nicht. Erst recht nicht in der heißen Wüstensonne Arizonas.
Drei Tage, darunter tat Finnewacker es nicht. Manchmal ließ er vierzehn Tage antreten. Manchmal einen Monat. Wenn er jemanden »bis auf weiteres« zum Festungserweiterungskommando schickte, sah die Sache düster aus. Bei dieser Order waren schon Männer in Tränen ausgebrochen.
Finnewacker notierte gewissenhaft.
Winters & Winters.
»Wer zu spät kommt, bringt die Abläufe durcheinander. Dann bricht´s zusammen«, bellte er. »Damit ihr euch das hinter die Ohren schreibt, gibt es für den Anfang drei Tage Festungserweiterungskommando. Kommt mir das noch einmal vor, tretet ihr einen ganzen Monat an, verstanden?«
Die beiden Winters blickten ratlos drein. Sie waren erst an diesem Morgen mit dem Transport angekommen und noch nicht vertraut mit den Abläufen im Fort.
»Verstanden?«
»Jawohl, Master Sergeant.«
»Und noch drei Tage zur Stärkung des Gehörs. Ich wiederhole mich nicht gern.« Finnewacker machte sich eine Notiz. Neunzehn Namen waren für den nächsten Tag auf seiner Liste für das Festungserweiterungskommando eingetragen. Das war nicht übel, aber ausbaufähig. Na, der Tag war auch noch nicht herum.
Er schob das braune Notizbuch zurück in seine Feldjacke. Dann streckte er die Brust raus und schritt die Reihen der Neulinge ab. Achtundzwanzig Männer waren mit dem Transport angekommen.
»Kompaniiie – stillgestanden!«, brüllte Fitzgerald. Der kleine Krauskopf war Finnewackers Stellvertreter und hatte antreten lassen. »Zur Meldung, Augen – rechts!«
In der nachfolgenden Stille trommelten die Schritte des Sergeants. Er salutierte und rasselte die Meldung herunter.
Finnewacker grüßte zackig zurück.
»Danke dir. Zurück ins Glied«, brummte er.
Prompt machte Fitzgerald kehrt.
»Augen geradeeee-aus! Rührt euch!«
Wie das Stampfen einer Büffelherde klang es, als die Männer den linken Fuß vorsetzten. Finnewacker schnaufte.
»Gleich noch mal!«, rief er. »Diesmal aber ein bisschen flott!«
Fitzgerald trat vor.
»Kompaniiie – stillgestanden! Augen geradeeee-aus! Rührt euch!«
Noch dreimal ließ Finnewacker Haltung annehmen, bevor das Rühren wie aus einem Guss war und wie ein einzelner Kanonenschlag klang.
Schon besser.
Finnewacker stellte die Füße zwei Handbreit auseinander.
»Guten Morgen, Kompanie!«, tönte er.
»Guten Morgen, Master Sergeant«, kam es von den Männern im Chor.
»Alle Neuen schlagen sich eine Extrabehandlung unverzüglich aus dem Kopf. Hier seid ihr alle gleich. Mir ist egal, welchen Rang ihr früher hattet, jetzt seid ihr Infanteristen. Bewährt euch, dann wird die Zeit hier für euch erträglich. Bewährt euch nicht, dann stehen euch verdammt lange Monate und Jahre bevor.« Sein Blick bohrte sich in die Männer im grauen Drillich. Blau trugen in Aldamo nur die Chargierten. Die Strafsoldaten gingen in Grau.
Das Militärgericht hatte sie nach Aldamo geschickt, weil sie Kameraden bestohlen hatten, Vergewaltiger, Betrüger oder Pferdediebe waren. Für sie war Fort Aldamo die letzte Bastion. Wer hier nicht die Kurve bekam, war so gut wie am Ende.
Doch nicht mit Finnewacker. In den Jahren, denen er Aldamo vorstand, war nicht ein einziger Mann ein zweites Mal bei ihm eingerückt. Anders als in anderen Gefängnissen, in denen es eine stattliche Anzahl von »Stammgästen« gab, die rückfällig wurden und immer wieder antraten, war bislang noch keiner als Sträfling nach Aldamo zurückgekehrt.
Die Festung befand sich mitten in der Wüste von Arizona. Wie ein drohender schwarzer Klotz thronte Aldamo auf einem Hügel – inmitten einer sandigen Ebene, die im Osten und im Westen von zwei gewaltigen Gebirgszügen begrenzt wurde. Erbaut vor Hunderten Jahren von spanischen Konquistadoren, wurde die Festung von einer hohen Steinmauer geschützt. Von Süden führte eine Rampe zum Tor, über dem ein Torhaus mit einem Turm aufragte. Der Innenhof war gepflastert. Rechts vom Küchenhaus befand sich der Brunnen, an dem ein Stab von jeweils drei Sträflingen rund um die Uhr damit beschäftigt war, Wasser nach oben zu befördern.
Wasser war in der Gegend ein rares Gut.
Im Umkreis von zwei Tagesmärschen gab es nur Schlangen, Skorpione und Staub. Schon etliche Sträflinge hatten versucht, aus der Festung zu entkommen. Ein jeder war am Ende froh gewesen, als er von einem Trupp aus Aldamo wieder eingesammelt worden war. So manch einer hatte sein Abenteuer mit dem Leben bezahlt und lag nun auf dem Friedhof vor den Festungsmauern.
Das konnten die Neuen natürlich noch nicht wissen.
Finnewacker entschied, ihnen mit einem Dreißig-Meilen-Gepäck- und Eilmarsch durch die Wüste ein warmes Willkommen zu bereiten.
»Ihr seid nun Infanterie, und die muss marschieren können«, bellte er. »Sergeant Gammer, antreten lassen. Zehn Stunden und siebenunddreißig Minuten sind zu unterbieten. Ich zähl auf dich.«
»Verstanden.« Gammer grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Wir werden uns ranhalten.« Er ließ die Männer losspritzen, um ihr Gepäck zu holen. Im Laufschritt. Auf Aldamo gab es kein Trödeln. Selbst zum Abtritt hatten sich die Männer im Laufschritt zu bewegen.
Wenig später ließ Gammer in Dreierreihe antreten. Der Begrüßungsmarsch ging in Richtung Süden. Jede erste und jede fünfte Meile war im Laufschritt zu absolvieren. Nach der Hälfte der Strecke gab es eine Pause. Dann dasselbe retour. Das hatte schon Tradition, und Finnewacker hatte was übrig für Traditionen.
»Rekord unterbieten«, bellte er. »Sonst tretet ihr morgen wieder an, verstanden?«
Spätestens jetzt wurde auch der letzte Neuling blass.
Na also. Allmählich wurden sie warm mit dem Betrieb in Aldamo.
Finnewacker beobachtete zufrieden den Abzug des Trupps.
Dann ließ er den Rest der Kompanie wegtreten.
Die Männer verteilten sich. Festungserweiterungskommando, Küchen- und Brunnendienst, Turmwache. Alles lief wie am Schnürchen.
Finnewacker stapfte zur Kommandantur hinüber. Er nahm seinen Platz an dem langen Tisch ein und rief nach seiner Ordonnanz. Nach einem Moment trat Hastings ein. Ein stämmiger Kerl mit braunen Haaren und Pranken, die problemlos ein Loch in die Festungsmauern schlagen könnten. Er balancierte erstaunlich behutsam ein Tablett mit einer Kanne Kaffee in den Händen.
»Ihr Kaffee, Master Sergeant.«
»Stell ihn da hin.« Finnewacker schob ein paar Kladden auf seinem Schreibtisch zur Seite. Hastings hatte anderthalb Jahre in Aldamo abgerissen, weil er sich an den Lebensmittelvorräten seiner Kompanie vergriffen hatte. Hier im Fort hatte er nicht einen Krümel Zucker mitgehen lassen. Hatte sich immer anständig verhalten. Darum hatte sich Finnewacker dafür eingesetzt, dass er die letzten Monate seines Strafdienstes erlassen bekam. »Schon gepackt?«, brummte er nun.
»Jawohl, Master Sergeant.« Hastings gestattete sich ein breites Lächeln. »Mit dem nächsten Transport geht es für mich nach Hause.«