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Im 23. Jahrhundert fliegt eine achtköpfige Gruppe zu einem Erlebnisspiel auf den Mars. Ihre Aufgabe besteht darin, die Insignien der letzten chinesischen Kaiserdynastie zu bergen und auf die Erde zurückzubringen. Im Zuge des Ost-Westlichen Krieges hatten die Chinesen auf dem Mars eine Station eingerichtet, die »Festung«, in der sie neben dem Jadeschatz vor allem Nuklearwaffen und Militärroboter lagerten und die nach einem eventuell verlorenen Krieg als eine Art Refugium dienen sollte. Anfangs glauben die meisten Teammitglieder an eine Simulation, doch als sich herausstellt, dass sie gefahrvollen Situationen ausgesetzt werden und überhaupt kein Kontakt zur Erde besteht, wird aus dem Spiel bitterer Ernst. Als bei eine Minenexplosion das Raumschiff lahmgelegt wird und sie sich zu Fuß durchschlagen müssen, entführen Androide nach und nach sämtliche Teammitglieder, mit Ausnahme von Alf und Sylvie, denen es gelingt, in die Festung einzudringen und einen Teil ihrer Gefährten zu befreien. Doch Ramses, ihr selbsternannter Anführer, treibt ein merkwürdiges Spiel und weiß viel mehr über ihre Expedition, als er zugibt. Die Marshöhlen, die Herbert W. Franke in diesem Roman und auch in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen erwähnt, sind keine Fiktion. Neueste Entdeckungen der NASA im Mai 2007 bestätigen die theoretisch fundierten Voraussagen Frankes.
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Seitenzahl: 495
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Herbert W. Franke
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke
Band 28
hrsg. von Hans Esselborn
und Susanne Päch
Herbert W. Franke
LETZTE ZUFLUCHT MARS
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke
Band 28
hrsg. von Hans Esselborn & Susanne Päch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Copyright © 2024 by art meets science – Stiftung Herbert W. Franke
www.art-meets-science.io
Dieses Werk wird vertreten durch die AVA international GmbH, München, www.ava-international.de
Die Originalausgabe ist 2007 im Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) erschienen.
Titelbild: Thomas Franke
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
E-Book-Erstellung: global:epropaganda
Verlag
art meets science – Stiftung Herbert W. Franke
c/o mce mediacomeurope GmbH
Bavariafilmplatz 3
82031 Grünwald
ISBN 978 3 911629 27 0
Es ist dunkel und ruhig … Keine Bewegung, keine Veränderung, über lange Zeit hinweg … Waren es Tage, Wochen, Monate, Jahre? Wo sich nichts regt, steht die Zeit still …
Doch in der Welt gibt es keinen Stillstand, in den Bereichen der Elementarteilchen und Quanten, wo sich die Realität in Mathematik auflöst und der Zufall eingreift, regt sich immer etwas, und diese Regungen können sich jederzeit verstärken, in die Umgebung hinein wirken, in den Makrokosmos, in den Bereich des menschlichen Vorstellungsraums, und dadurch Bedeutung gewinnen.
In dem engen, abgekapselten Raum war es der stete Puls der Atomuhr, der dafür sorgte, dass die Zeit allem Anschein zum Trotz weiterlief. Solange nichts da ist, was darauf reagiert, hat das keine Folgen. Aber schon von Anfang an war der Schalter gestellt, die Laufzeit vorherbestimmt.
Und nun ist die Marke erreicht …
Die Speicher senden Kaskaden von Impulsen aus, Schaltelemente leiten sie zu den logischen Elementen, wo die Daten verarbeitet und die Entscheidungen getroffen werden.
Sensoren aktivieren ihre Membranen, ihre Fühler, ihre lichtempfindlichen Zellen. Messgeräte tasten die Umwelt ab und wandeln Zahlen in Daten um. In Speichern werden sie verglichen, mit anderen Daten verknüpft, zu Sinnhaftigkeit verdichtet. Signale laufen durch Leiterbahnen und auch durch den leeren Raum, erreichen Relais, die Geräte in Funktion setzen: Bildschirme werden hell, Lautsprecher summen, Zeiger schlagen aus. Und einige Signale wandern auch durch die Haut der Menschen, durch die Stränge ihrer Nerven, bis zu den Synapsen in den Gehirnen, bis zum Bewusstsein, wo sie zum Handeln aufrufen.
Wie von Geisterhand beschworen, erscheint nun ein Muster, rote, grüne und blaue Punkte, ein samtiges Licht, das frei im Raum schwebt.
Die Wartezeit ist vorbei, das Abenteuer beginnt …
Natürlich war Alf die Situation vertraut: Beginn einer Reise, Ankunft, erste Eindrücke, noch schwer einzuordnen, Irritationen, Widersprüche, die Atmosphäre spannungsgeladen …
So fangen Geschichten an. Spannende Geschichten, Reiseberichte, Abenteuer, Kriminalfälle. Gelegentlich sogar wahre Geschichten.
Er kannte sie aus vielen Romanen, Filmen und Erlebnisspielen – als Leser, als Zuschauer, als Beobachter von außen. Die Ouvertüre, Signal für das Publikum, noch rasch die Tüten mit getrockneten Tomatenscheiben und Zwiebelschnitten zu holen, die Schüsseln mit getrockneten Nüssen, die Tabletts mit gekühlten Getränken. Sich nun gemächlich niederlassen, entspannen. Zuschauer wie er.
Doch diesmal war der Zusammenhang ganz anders. Er war kein passiver Zuschauer mehr. Die Situation vertraut, doch das Erlebnis neu. Alf empfand es mit dem ganzen Leib: Er spürte sein Herz schlagen, Hitze seinen Körper durchlaufen. Die Nachricht kündigte mehr an als eine Stunde passiver Unterhaltung, weitaus mehr: Sie war das Zeichen für den Beginn des großen Abenteuers.
Wie seine sieben Gefährten war er noch zu keiner physischen Aktion fähig. Gerade dass er die Augen öffnete, blinzelte, die Umgebung zu erkennen versuchte … Sein Körper war von einer mit Sensoren gespickten und von Drahtgeflecht und Mikroröhren durchzogenen Kunststoffhülle umgeben, und nur ein schmales Glasfenster vor den Augen ließ die Sicht nach außen frei.
Alf war jetzt hellwach und doch nicht fähig, sich zu befreien. Erst allmählich stellte sich das Körpergefühl ein. Das Erste, was ihm bewusst wurde und ihn zur Initiative zwang, war der Druck auf der Blase. Es war eine Herausforderung, sich seiner Starre zu entwinden, die Liegestatt zu verlassen, und unwillkürlich versuchte er, sich aufzurichten. Natürlich gelang es nicht, denn er steckte fest im Anzug, und dieser war auf der Unterlage befestigt. Doch seine vergeblichen Versuche dauerten nur einen Moment, dann erinnerte er sich, dass für einen solchen Fall die integrierte Recyclinganlage zuständig war. Und so ließ er den Dingen ihren Lauf und durfte erleichtert in das Kissen zurücksinken. Noch eine kurze Frist, um liegen zu bleiben, sich anzupassen …
»Die Phase der negativen Beschleunigung geht zu Ende. Noch zehn Sekunden, neun, acht, sieben …« Alf war diese Stimme vertraut, auch während der drei Monate Unterricht und Training hatte sie Anweisungen gegeben, präzise und teilnahmslos. Als sie bei null angekommen war, verschwand der Andruck, den man der gewohnten Gravitation zuschreiben mochte, der aber eine Trägheitswirkung war. Von einem Moment zum anderen spürte er kein Gewicht mehr, und trotz aller Trainingseinheiten im Parabelflug stellte sich das flaue Gefühl eines ungebremsten Fallens ein.
»Wir nähern uns dem Ziel, in zehn Sekunden beginnt das Landemanöver.« Und wieder begann die Stimme mit dem Abzählen der Sekunden. Dann war erneut Druck zu spüren, zuerst nur leicht, doch bald auf ein Vielfaches der Erdanziehung verstärkt. Die Richtung der an ihm zerrenden Kraft wechselte nun mehrfach innerhalb kürzester Zeit – ein Rucken und Schütteln, das Alf einmal in die Unterlage presste, das andere Mal in die Höhe riss. Während der letzten Trainingswochen hatten sie Stunden in den Zentrifugen verbracht, doch das, was er jetzt empfand, überstieg die Eindrücke der Übungsstunden beträchtlich, und Alf fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Er kämpfte dagegen an – erfolgreich, sein Unbehagen blieb im Rahmen des Erträglichen.
Doch es schien ärger zu werden: Denn nun veränderte sich die Bewegungsrichtung nicht nur nach oben und unten, sondern zusätzlich auch nach rechts und links … eine kaum erträgliche Beanspruchung, die glücklicherweise nur kurz andauerte. Dann endlich wurde es ruhig, der Andruck war immer noch ungewohnt stark, doch er wirkte – wie es sein sollte – in Richtung Boden.
Es war die Gelegenheit, sich zu erholen, den Kopf zu drehen und einen Blick auf die Gefährten zu werfen. Inzwischen war der Raum in dämmriges Licht getaucht, doch nun wurde es plötzlich heller, das Licht kam vom großen Bildschirm, dem Ersatz für ein Aussichtsfenster. Und darauf erschien nun eine weiße Scheibe, so hell, dass sich die Augen erst darauf einstellen mussten, nur allmählich schälte sich aus dem blendenden Flimmern etwas hervor, das sich zu erkennen gab: eine rötlichbraune Kugel, die etwa ein Drittel der Sichtfläche einnahm und sich langsam in die Bildfläche hineinschob. Zugleich erschienen von Schatten gesäumte Hügelketten, tiefe dunkle Täler und aufgeworfene Kraterringe.
Kein Zweifel, es war der Mars.
Der Anblick des Roten Planeten rief Erinnerungen wach, Erinnerungen an die Aufgabe, an das Ziel der Expedition, an die Gefährten der weiten Reise. Drei Monate waren sie im Trainingslager zusammen gewesen, hatten einander kennengelernt, zumindest insoweit, dass sie sich ein oberflächliches Bild voneinander machen konnten. Ob diese Erfahrungen für die nächsten Tage reichen würden, wenn es darum ging, zusammen die schwere Prüfung zu bestehen?
Alf merkte, dass er wieder zu Kräften kam, körperlich und auch geistig. Sein kritisches Bewusstsein meldete sich: Befanden sie sich wirklich schon am Zielort, mitten im Geschehen, oder gehörte diese Szene, die sie eben erlebten, noch immer zur Ausbildung? Die virtuell vermittelten Eindrücke waren so nahe an der Realität gewesen, dass sich die Unterschiede verloren. Aus dem Lager heraus, als unförmiges Bündel verschnürt, war ihm kein Blick zur Seite gestattet. Doch als er nun seine Aufmerksamkeit auf die leisen Geräusche richtete, die aus seinem Helmlautsprecher drangen, konnte er Atemzüge, Räuspern und unterdrücktes Husten hören.
Und ehe er seinen Zweifeln weiter nachhängen konnte, ertönte auch schon eine Stimme, die er als jene von Ramses erkannte.
»He, seid ihr alle wach? Habt ihr es gehört? Wir sind angekommen. Ist euch das klar? Dieser Ball da auf dem Schirm, das ist der Mars.«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, es waren mehrere, die durcheinanderriefen.
Dann wieder die Stimme von Ramses: »Stopp, Leute. Das hat keinen Sinn. Ich schlage vor, dass ich der Reihe nach abfrage, vielleicht schläft doch noch einer. Hallo, Alf?«
»Ich bin wach, es geht mir gut.«
»Henrich …«
Die Antwort kam sofort: »Alles okay.«
Auch die anderen meldeten sich prompt, Gijon, Cassius, Linette und Sylvie, nur Gilbert musste wieder einen Scherz daraus machen – er tat so, als wäre er noch benommen, und bat um den Zimmerservice, der ein kräftiges Frühstück bringen sollte. Ist er wirklich so ein heiteres Gemüt, fragte sich Alf, oder hat er eine Karriere als Komiker im Auge? Was wusste er schon darüber, welche Erwartungen und Hoffnungen die anderen mit diesem Unternehmen verbanden?
Nun flogen ein paar Scherzworte hin und her, doch es wurde rasch still, als sich das Bild auf dem Schirm änderte. Die Gegend war nun aus schrägem Winkel heraus erkennbar, sie wanderte langsam nach oben.
Die ersten visuellen Eindrücke gewannen die Insassen des Raumschiffs durch eine Projektion, und nach dem, was man ihnen beigebracht hatte, würden sie auch künftig auf diese Art der Sicht angewiesen bleiben. Die altmodischen Luken waren aus Sicherheitsgründen recht klein. Einer fremdartigen Welt überantwortet, aber stets durch technische Filter von ihr isoliert. Und trotzdem empfanden sie die Bilder, die sich ihnen offenbarten, anders als sonst: stärker, nachhaltiger, zwingender.
»Aufgepasst, ihr Schlafmützen, wir setzen zur Landung an«, rief einer von ihnen, und tatsächlich war zu erkennen, dass sich der Ausschnitt langsam verengte. Der Eindruck, den der Bildschirm vermittelte, wurde durch das Gefühl eines sanften, ganz langsam stärker werdenden Andrucks bestätigt.
Das Manöver dauerte erheblich länger, als sie angenommen hatten, dafür sahen sie immer genauer, was sie dort unten erwartete: eine wüste Gegend, manchmal bergig, manchmal eben, besonders auffällig das Ringmuster der Krater. Zuletzt erschien eine gelbrote Ebene, aus der sich hier und dort Dünen erhoben. Schlagartig wurde es finster – das Schiff war in die Schattenzone eingetaucht, sodass von der weiteren Annäherung an den Boden nichts zu sehen war.
»Es wird bald wieder hell«, sagte Alf. »Wir bewegen uns in westliche Richtung und holen den vergangenen Tag ein.«
Der Landeplatz, schon vor Anbruch der Reise aufgrund der Karten ausgewählt, wurde mit Radar angepeilt, und das Echobild der elektromagnetischen Wellen war genauer als der den Menschen vorbehaltene Sichteindruck. Der Scheinwerfer hatte sich automatisch eingeschaltet, und so huschte nun ein Lichtfleck über einen leicht holprig anmutenden, aber sonst ziemlich ebenen Boden. Da und dort lagen ein paar Steine herum, sonst gab es keinerlei Hindernisse. Diese Ansicht bot sich einige Minuten lang, bis ein letzter Stoß aus den Düsen den Flugkörper zum Aufbäumen brachte, worauf er einen oder zwei Meter absackte und auf schwankenden Stelzfedern aufsetzte.
Das Raumschiff war gelandet! Diesen Augenblick hatte Alf sich vorher schon oft ausgemalt, was konnte er ihm noch Unerwartetes bieten, und nun erlebte er die Ankunft zu seiner eigenen Überraschung doch mit Staunen und Ergriffenheit.
Auf dem Bildschirm flimmerten Ziffernreihen auf und verschwanden ebenso schnell – der vorgeschriebene automatische Check aller wichtigen Instrumente, die Überprüfung der maßgebenden physikalisch-chemischen Größen. Dann klickten die Verschlüsse der Riemen, die die Menschen so lange festgehalten hatten, und sie versuchten sich aufzurichten – was nur mit größter Anstrengung gelang. Der vorangegangene Tiefschlaf forderte seinen Tribut. Doch jede der erst so mühsamen Bewegungen trug zur Belebung bei, und bald hatten sie sich in ihren Liegen aufgerichtet, einige blieben noch sitzen, andere versuchten aufzustehen.
Jetzt blinkte auf dem Bildschirm ein grünes Licht. Die Durchmusterung war beendet, die Situation geprüft und für in Ordnung befunden worden, und das bedeutete, dass die Ankömmlinge nun endlich ihre Anzüge ablegen durften. Sie klappten ihre Liegen zurück, verstauten die zusammengefalteten Hüllen in den Fächern an der Decke, und bald saßen sie auf den Bänken beisammen, die längs der Wände ausgeklappt worden waren. Sie waren gepolstert, eine beachtliche Annehmlichkeit, die man ihnen während des Trainings vorenthalten hatte, und in den Stoff waren Klettstreifen eingewebt, die besseren Halt gewähren sollten. Ein befreiendes Gefühl, das sie wohl alle ähnlich empfanden: von den Hüllen erlöst zu sein, an die sie sich zwar schon gewöhnt hatten, die sich aber auf die Dauer doch als recht lästig erwiesen. Vor allem war es die geringe Schwerkraft, rund dreißig Prozent von jener der Erde, die sie ihre Situation als dauernden Schwebezustand empfinden ließ, als hätten sie einen leichten Rausch – was keineswegs unangenehm war. Als sie später ihre Rationen auspackten, merkten sie allerdings, dass die ungewohnten physikalischen Bedingungen auch ihre Tücken hatten, denn beim Hantieren mit den Paketen, in denen die Nahrungsmittel verstaut waren, kostete es sie Mühe, die einzelnen Teile herauszunehmen und an die richtige Stelle zu rücken. Ein Glas stieg zur Decke empor, Bestecke glitten über die Tischplatte und fielen zu Boden – sie mussten sich erst daran gewöhnen, alles Bewegliche weniger kräftig als sonst anzufassen.
Erstaunlich, dachte Alf, er hatte nicht erwartet, dass man die verringerte Schwerkraft so gut simulieren konnte. Und daran schloss sich die Frage an, warum man sie nicht schon während des Trainings mit diesen Verhältnissen vertraut gemacht hatte. Doch wahrscheinlich war das nicht so wichtig, mit diesen Schwierigkeiten wurde man bald fertig, sie gaben Gelegenheit zu Gelächter und verstärkten die belebende Wirkung, die von der neu gewonnenen Leichtigkeit ausging. Und all das wurde durch den anbrechenden Tag noch unterstrichen … es war zwar nur wenig Licht, das durch die kleinen Luken ins Innere drang, aber dafür konnte man die Außenwelt viel lebensechter auf dem Bildschirm beobachten – der Effekt hatte eine überraschend starke Wirkung: Als hätte jemand die Theaterbeleuchtung voll eingeschaltet, und das von der Bühne abgestrahlte Licht fand nun seinen Widerschein im Zuschauerraum. Das alles war eindrucksvoll, aber eigentlich nichts Besonderes. Das Besondere daran war etwas anderes: die Farbe des Himmels. Er war rot!
Anbruch des Tages! Und Anbruch eines erlebnisreichen Unternehmens! Es war wie das Zeichen zum Beginn – und sie nahmen es mit einem besonderen Glücksgefühl auf. Zwar hatte keiner etwas dazu beigetragen, sie hatten sich einfach auf die vorbereiteten Systeme und Programme verlassen, waren mitgetragen worden von einer auf Automaten beruhenden Technik, und doch spürte jeder von ihnen Genugtuung, als wäre ihm eine besondere Leistung geglückt.
Ihre Mahlzeiten waren von Beamten des Amtes für Ernährung und Medizin zusammengestellt worden und enthielten vermutlich eine besondere Mischung aus Kräfte spendenden Konzentraten, mineralischen Bestandteilen, Spurenelementen, Ballaststoffen. Dazu kamen noch Präparate der Pharmazie, deren Wirkungsweise für Laien nicht durchschaubar war. Diese Kombination ergab nicht gerade ein Festessen für Feinschmecker, doch vermutlich hatte die lange Ruhezeit den Appetit angeregt, und so aßen und tranken alle mit Genuss. Und danach stand die Frage im Raum: »Was ist für heute geplant?«
»Am besten, wir brechen so bald wie möglich auf«, sagte Gijon, »wir wollen doch keine Zeit verlieren.«
»Du hast es aber eilig«, erwiderte Henrich. »Vorher gibt es doch noch einiges zu tun.«
»Vor allem anderen sollten wir uns in der Zentrale melden«, meinte Ramses. Er trat ans Pult, schaltete den Sender ein und sprach ins Mikrofon: dass sie gut angekommen seien. »Ich nehme an, dass man uns Anweisungen gibt.«
»Auf die Antwort werden wir eine Weile warten müssen«, sagte Gijon. »Inzwischen können wir ja schon mit den Vorbereitungen anfangen.«
Damit erinnerte er seine Kameraden an die Routinen, die sie bei den Vorbereitungen eingeübt hatten. Zwar hatte die Automatik ihren Check positiv beendet, doch gab es einiges, was nur die Menschen selbst prüfen konnten.
»Die Anzüge«, sagte Alf. »Wie müssen prüfen, ob sie in Ordnung sind, und zwar draußen, in der dünnen Atmosphäre und in der Kälte.«
»… und ausprobieren, wie man sich mit ihnen bewegt«, warf Sylvie ein. Sie erinnerte sich an die Erlebnisse beim Essen, an die Folgen der verminderten Schwerkraft. Etwas Ähnliches konnte ihnen bei den ersten Schritten über die Marsoberfläche auch passieren.
Ramses stimmte zu. »Richtig, doch da draußen gibt es ja noch anderes zu tun, bevor es richtig losgeht. Die Förderung von Wasser beispielsweise, die Geräte sind ja auf dem Mars noch nie eingesetzt worden. Und auch den Reaktor sollten wir einmal probeweise in Gang setzen.«
Sein Vorschlag stieß zwar nicht gerade auf begeisterte Zustimmung, doch schließlich waren sich alle darüber einig, dass man sich vor dem Aufbruch mit den wichtigsten technischen Verrichtungen in der Praxis vertraut machen musste.
So schlossen sie ihre Mahlzeit ab und schlüpften widerwillig in die hinderlichen Hüllen. Es war ein wichtiger Teil des Trainings gewesen, sich an die Anzüge zu gewöhnen, und sie hatten sie viele Stunden hindurch anbehalten müssen, während sie alle möglichen Aufgaben lösten. Das waren zur Erprobung der Anzüge absichtlich bereitete Hindernisse gewesen. Dagegen waren die Menschen hier, auf dem Mars, auf die Anzüge angewiesen, wenn sie das Raumschiff verlassen wollten.
Eigentlich waren es viel mehr als wärmende Hüllen: Es waren raffiniert ausgeklügelte Lebenssysteme, die für die Aufrechterhaltung des Luftdrucks, für atembare Luft, für eine wohlausgewogene Wärmeregulation und für manches andere sorgten. Dazu kam noch ein Kraftverstärker für Notfälle. Die nötigen Hilfsaggregate waren zwar platzsparend und überraschend leicht gebaut, doch alles zusammengenommen ergab sich ein voluminöser Packen, der die freie Bewegung erschwerte.
Es dauerte nicht lange, und sie standen neben dem Schiff versammelt. Gilbert war der Schnellste gewesen, offenbar hatte er den Ehrgeiz, als Erster den Marsboden zu betreten, und niemand verwehrte es ihm. Die Schleusenkammer war klein, und so dauerte es nicht lang, die Luft hinauszupumpen und anschließend wieder hineinzuleiten. Dann öffnete sich die innere Tür, und der Nächste war an der Reihe, das Schiff zu verlassen und seinen ersten Schritt auf dem Roten Planeten zu tun.
Währenddessen konnten die Zurückgebliebenen Gilbert durch die Luken hindurch bei den ersten Gehversuchen auf der Marsoberfläche beobachten – ein erheiterndes Schauspiel, denn er war recht wackelig auf den Beinen. Doch dann erhob er sich mühsam – und riss die Arme triumphierend hoch. Jetzt war es klar: Er wusste sehr gut, dass er Zuschauer hatte, und chargierte wie ein Schmierenkomödiant.
Bald waren alle ins Freie getreten, und so merkte jeder am eigenen Leib, dass es nicht so einfach war, mit der verminderten Schwerkraft fertig zu werden. Selbst aufrecht dazustehen musste geübt werden, und bei den ersten Schritten sah keiner besonders elegant aus. Immer wieder verlor der ein oder andere den Boden unter den Füßen, doch glücklicherweise befanden sie sich gerade auf einer mit lockerem Sand bedeckten Stelle, und so bestand wenigstens keine Gefahr, die Anzüge zu beschädigen.
Jedenfalls stellten alle fest, dass sie sich schnell den ungewohnten Bedingungen anpassten, dass sie an Standfestigkeit gewannen, sich an die veränderte Sichtweise gewöhnten, sich mit zunehmender Sicherheit bewegten und auch das Tempo ohne Schwierigkeiten erhöhen konnten. Während einige noch mit Bewegungsübungen beschäftigt waren, wandten andere ihre Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Immerhin war es Neuland, auf dem sie sich befanden.
Alf sah sich den Boden etwas genauer an. Er war mit Sand bedeckt, der aus millimetergroßen Körnchen bestand, und als Alf einige davon in der Handfläche seines Handschuhs zu sammeln versuchte, stieg Staub auf, der von einem bisher unbemerkt gebliebenen Luftzug davongetragen wurde …
Alf musste schmunzeln, als er seinen Denkfehler bemerkte: Es war natürlich kein Luftzug, sondern eine Strömung der dünnen Marsatmosphäre. Vorsichtig, um nicht allzu viel von den feinen Massen aufzuwirbeln, grub Alf ein wenig tiefer in die Oberflächenschicht hinein und stellte fest, dass sie sich schon nach fünf Zentimetern verfestigte. Er stieß auf gerundete, leicht miteinander verbackene Steine, denen es zu verdanken war, dass man hier trotz der überdeckenden Sandfläche soliden Untergrund unter den Füßen hatte und nicht in lockere Massen einsank. Jetzt war ihm verständlich, warum man diese langweilige Ebene als Landeplatz ausgesucht hatte.
Alf spürte eine Berührung am Ärmel, zugleich hörte er eine Stimme im Lautsprecher. »Dort drüben … ich habe etwas gefunden, komm mit!« Es war Linette, die ihn ein Stück in die Wüste hinausführte. Dort blinkte etwas am Boden: kleine Steinchen, die aus einer grünlich-gelben glasigen Masse bestanden und über den Sand gestreut schienen.
»Interessant«, sagte Alf. »Ich glaube, ich weiß, was das ist …«
Es war ein Ruf von Ramses, der die beiden von Linettes Fund ablenkte. Als sie sich versammelt hatten, fragte Gijon: »Steigen wir jetzt wieder ein?«
Ramses schüttelte den Kopf, doch dann fiel ihm ein, dass diese Geste von den anderen kaum zu bemerken war. »Noch nicht«, sagte er. »Wir haben doch noch einiges vor – schon vergessen?« Seinem Tonfall war Tadel anzumerken.
Es stimmte ja, es gab noch etwas für die Energie- und die Wasserversorgung zu tun. Sowohl der Reaktor wie auch das Bohraggregat waren nur von außen zu erreichen, schließlich wurden sie auch nur im Freien eingesetzt. Die kalte, mit Sonarenergie gezündete Fusion, die die Energie für das Aufladen der Akkus spendete, erzeugte eine starke Neutronenstrahlung, und deshalb musste die Anlage mindestens so Meter außerhalb der Reichweite von Menschen aufgestellt werden. Gilbert, der sich bei technischen Aufgaben als recht geschickt erwiesen hatte, entriegelte den Verschluss des Frachtraums an der Außenseite, und die Schutzbedeckung faltete sich zusammen und glitt nach oben. Henrich und Ramses traten vor und hoben den Reaktor heraus. Er stand auf Rädern, die Ballonreifen mussten erst aufgepumpt werden. Dann aber konnten sie ihn wie einen Handwagen über den Boden ziehen, und was sich bei ihren Übungen als äußerst kräftezehrend erwiesen hatte, fiel jetzt infolge der verminderten Gravitation doch erheblich leichter.
Auch die anderen Vorbereitungen gingen störungsfrei vonstatten, schließlich hatten sie diese Dinge ja lange genug geübt. Das Kästchen mit den Akkus stand bereit und war im Nu mit den Anschlüssen des Reaktors verbunden. Dann zogen sie sich zurück, und Gijon gab über Funk den Ultraschallimpuls aus, der die Kernfusion einleitete. Nun brauchten sie nur noch zu warten, nicht mehr als zehn oder fünfzehn Minuten, um sich vom Erfolg des Versuchs zu überzeugen. Der Prozess verlief ordnungsgemäß, die Akkus ließen sich aufladen. Die Geräte funktionierten also, und sie konnten sie wieder zusammenpacken und verstauen.
Nun war das Bohraggregat an der Reihe.
»Gibt es denn hier Wasser?«, fragte Henrich. Er wandte sich an Gilbert, denn dieser hatte sich schon während der Trainingszeit auffällig oft mit den Geräten zur Wasserförderung beschäftigt und galt in der Gruppe als Experte.
»Der Platz ist nicht als Wasserstelle angegeben«, sagte er, »aber wenn man tief genug gräbt, stößt man früher oder später immer auf Eis führende Schichten, und das genügt uns ja hier, um die Funktion des Geräts zu überprüfen.«
Henrich wollte am liebsten unverzüglich mit dem Versuch beginnen, doch Gijon mischte sich ein. »Bisher haben wir kaum Wasser verbraucht – die Vorratsbehälter sind voll. Ich glaube, wir können uns die Erprobung sparen.«
Das kam bei den anderen gut an, die offensichtlich keine Lust hatten, sich weiter mit langwierigen Vorbereitungen zu befassen.
»Dann können wir ja wieder einsteigen«, schlug Linette vor, die sich in ihrem Anzug sichtlich unwohl fühlte. Schon während der Trainingszeit war sie durch schicke Kleider aufgefallen.
Ramses stellte fest, dass die Mehrheit einverstanden war, und verzichtete auf Protest, und auch Alf fügte sich.
Die Evakuierung des Schleusenraums ließ sich nicht beschleunigen, und auch die Zeit des Aufenthalts in der Kammer ließ sich nicht verkürzen. Im Inneren wurden die Anzüge abgesprüht und so vom Staub befreit. Die ölige Flüssigkeit enthielt Desinfektionsmittel für den Fall, dass es hier auch Bakterien geben sollte, gegen die man sich schützen musste. Dann musste unverbrauchte Luft in die Druckkammer eingeleitet werden, und erst danach ließ sich die Außentür öffnen.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis alle durchgeschleust waren. Ramses war der Letzte, und als er innen ankam, sah er, dass sich Alf bereits seines Anzugs entledigt hatte und am Schaltpult saß. So streifte auch er rasch die Hüllen ab und trat zu ihm. »Hat sich jemand von der Erde gemeldet?«, fragte er. Doch die Nachrichten, die auf dem Bildschirm auftauchten, waren alt und überholt, in den letzten Stunden waren keine mehr eingetroffen.
»Das ist merkwürdig«, sagte Ramses, »ich habe doch dringend um Antwort gebeten. Es sieht fast so aus, als wenn die Verbindung unterbrochen wäre.« Die anderen hatten die vergeblichen Versuche verfolgt, und allmählich dämmerte es ihnen, dass sich damit eine unangenehme Situation andeutete. Sie waren es gewohnt, über jeden nötigen Schritt unterrichtet zu werden, und das war es auch, was ihnen ein Gefühl der Sicherheit gab, aber auch eine gewisse Unbekümmertheit man würde sie bestimmt darauf aufmerksam machen, wenn es etwas Wichtiges zu tun gab. Doch was würde geschehen, wenn die Anweisungen ausblieben?
»Das hat sich sicher jemand ausgedacht, um die Sache interessanter zu machen«, meinte Henrich.
Darauf begann eine Diskussion, die aber bald unterbrochen wurde: durch einen Hustenanfall – es war Linette, die sich etwas zurückgezogen hatte und auf ihrem Platz auf der Bank saß. Sie kämpfte mit rotem Gesicht gegen den Kitzel im Hals an, doch er überwältigte sie immer stärker.
Sylvie hatte ein Saugfläschchen mit Wasser gefüllt und forderte Linette auf, einige Schlucke zu nehmen. Doch es nützte nichts – kurze Zeit darauf setzte der Husten wieder ein.
Alle standen ratlos um Linette herum. »Was hast du da?«, fragte Gilbert, dem aufgefallen war, dass Linette etwas in eine Papierserviette Eingewickeltes in der Hand hielt, das sie bei aller Abwehr gegen den Hustenanfall nicht losließ. Nun wurden auch die anderen aufmerksam, und Sylvie ergriff Linettes Hand und holte das kleine Bündel heraus. Sie entfaltete das Papier: Da lagen vier oder fünf jener glasig durchsichtigen Steinchen, die Linette draußen gefunden hatte – vielleicht ein bisschen größer als jene, die sie Alf gezeigt hatte.
»Was ist das?«, fragte Sylvie. »Woher hast du das?«
Obwohl Linette immer noch Mühe hatte zu sprechen, gelang ihr eine leidlich verständliche Antwort. »Dort draußen … da gab es eine ganze Menge davon …« – sie deutete auf die Steine – »sie sind so hübsch …«
»Und da hast du einige mitgenommen«, stellte Gijon fest. Er streckte die Hand nach dem Häufchen aus.
»Halt, fass das nicht an«, sagte Sylvie mit erhobener Stimme, und sie fügte zu Linette gewandt hinzu: »Vielleicht sind diese Dinger an deinen Schwierigkeiten schuld.«
»Lass sehen«, verlangte Alf. Aus dem Werkzeugkasten holte er eine Plastiktüte und nahm damit die Steine auf, indem er sie darüberstülpte, ohne sie zu berühren. So hielt er sie auf der flachen Hand, und alle drängten sich um ihn, um sie in Augenschein zu nehmen.
Alf trat an das Kommunikationspult und schob das Tütchen mit den Steinen vor das Objektiv, das normalerweise die Bilder der davor sitzenden Menschen aufnahm. Er stellte den Zoom auf starke Vergrößerung. »Da klebt Staub daran«, sagte er, und Sylvie fügte hinzu: »Vielleicht hat sie etwas davon eingeatmet.«
Die Gefährten blickten einander betroffen an.
»Vielleicht ist der Staub in die Luft geraten …«
»Wirf das Zeug wieder hinaus …«
»Vielleicht haben wir uns Bakterien eingefangen …«
»Bakterien sind gar nicht nötig – ein bisschen Nanostaub genügt. Und den soll es hier ja geben.«
Inzwischen war Alf ohne weitere Erklärungen ans Schaltpult getreten, und schon hörten sie das Geräusch der Pumpen, die die Luft umwälzten und durch die Filter pressten – zur Reinigung, die jetzt angeraten war. Dann bat er Sylvie um ein Desinfektionsspray, mit dem er die Steine und das Tütchen besprühte.
Ramses trat an Linette heran und packte sie am Arm. »Was hast du dir dabei gedacht?«, herrschte er sie an. »Willst du uns alle vergiften?«
»Lass sie los!«, sagte Sylvie und drängte ihn sanft, aber entschieden zurück. »Das bringt doch nichts!«
»Bodenloser Leichtsinn!«, schimpfte Gijon. »Sie hat die Steine in die Außentasche gesteckt und mit hereingeschmuggelt. Und dann hat sie die Tasche ohne jede Vorsichtsmaßnahme geöffnet, um sich die Klunker anzusehen.«
Linette, die sich inzwischen ein wenig gefasst hatte, sah sich angegriffen und sagte kleinlaut: »Aber sie sind doch so hübsch.«
»… tatsächlich sind sie sogar recht wertvoll«, mischte sich Alf ein. »Ich habe davon gelesen: Es sind Stücke von Gestein, das durch Meteoriteneinschläge aufgeschmolzen wurde. So etwas kommt auch auf der Erde vor, ich glaube irgendwo in der Sahara. Nun haben wir es auch auf dem Mars gefunden, eigentlich eine schöne Entdeckung! An Einschlägen von Meteoriten herrscht ja hier kein Mangel …«
»Das ist ja fein«, sagte Gilbert, »wenn wir den Schatz nicht finden, dann nehmen wir eben einige dieser Steine mit.«
Die anderen hatten im Moment keinen Sinn für seine Scherze.
»Glaubst du, dass wir etwas davon eingeatmet haben? – dass es uns geschadet hat?« Es war Henrich, der die Frage stellte; unwillkürlich hatte er sich an Sylvie gewandt, die damit als Ansprechstelle für medizinische Problemfälle anerkannt war.
»Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Aber es sollte uns daran erinnern, dass wir vorsichtig sein müssen.«
Auch Alf versuchte, Henrich zu beruhigen. »Ich lasse die Pumpen noch einige Zeit laufen«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass allzu viel in die Luft geraten ist, denn dann würden wir ja alle husten.«
Etwas unschlüssig darüber, was nun zu tun war, setzten sie sich auf die Bänke, und der schweigsame Cassius holte einige der kleineren, für Zwischenmahlzeiten bestimmten Päckchen aus dem Wandschrank und bot Süßigkeiten an. Er begann eifrig zu essen, während die anderen keinen rechten Appetit zu haben schienen.
»Vielleicht war das ein inszenierter Zwischenfall«, sagte Gijon in die Stille hinein. »Es ist doch nicht anzunehmen, dass sie uns mit Bakterien verseuchen wollen.«
Alle verstanden, wen er meinte: die Organisatoren des Spiels, nach deren Vorschriften es ablaufen sollte.
Sylvie schüttelte den Kopf. »Inszeniert? Das glaube ich nicht. Sie konnten schließlich nicht wissen, dass sich Linette für diese Scherben interessieren würde.«
»Versuchen wir doch noch einmal, mit der Erde Kontakt aufzunehmen«, meinte Gilbert, und er setzte sich ans Schaltpult. »Wenn es ein unbeabsichtigter Zwischenfall ist, dann müssen sie uns einen Rat geben, was zu tun ist.« Er sprach einige Sätze ins Mikrofon, bat um Hilfe, machte die Sache dringlich.
»Und was tun wir, wenn wieder keine Antwort kommt?«, fragte Gijon. »Wenn man uns im Stich lässt?«
Gilbert stand auf, zuckte die Schultern. »Vielleicht steht darüber etwas in den Betriebsvorschriften?«
Alle redeten durcheinander, doch Gijon beendete das Stimmengewirr, indem er mit der flachen Hand auf die Platte des Klapptisches schlug. »He, ihr vergesst wohl die Situation! Ihr wisst, dass alles mitgeschnitten wird! Schluss mit dem Gerede – wir müssen das Spiel mitspielen.«
»Ich bitte mir ein wenig Rücksicht auf die Zuschauer aus«, rief Gilbert, und es blieb offen, ob er es ernst meinte.
»Warum sollen wir besondere Rücksicht nehmen, wenn sie uns so hängen lassen?«, beschwerte sich Cassius. »Es werden doch sowieso nur Ausschnitte gesendet. Sie können ja herausschneiden, was sie wollen!«
»Aber sie dürfen uns nicht in Gefahr bringen«, sagte Linette mühsam zwischen zwei Hustenanfällen.
Henrich war der Unterhaltung mit spöttisch verzogenem Gesicht gefolgt. »Du wirst doch nicht annehmen, dass die uns wirklich auf den Mars geschickt haben«, sagte er. »Natürlich haben sie das behauptet, aber wer glaubt schon daran! Es ist eine perfekte Simulation.«
»Meinst du?«, fragte Gilbert. »Es hat doch schon mehrere Erlebnisspiele gegeben, bei denen man die Teilnehmer tatsächlich in gefährliche Situationen gebracht hat – denkt nur an die Sache mit dem versunkenen Schiff!«
»Das war ganz schön gruselig«, bemerkte Cassius, »dabei hat sich einer die Schulter gebrochen.« Aber niemand wollte jetzt auf die Erlebnisse der Crew mit Muränen und Kraken eingehen.
»Eine Unterwasserlandschaft – da gibt es keine technischen Probleme«, sagte Sylvie. »So etwas macht man im Schwimmbecken. Pflanzen aus Plastik, eingeblendete Fische … Aber beim Mars? Verminderte Schwerkraft, Strahlung, Vakuum … das lässt sich nicht so leicht simulieren.«
»Es gibt mir auch zu denken«, sagte Alf. »Akustische und visuelle Erscheinungen kriegt man so hin, dass niemand mehr unterscheiden kann, ob sie echt sind oder simuliert. Aber mit der Schwerkraft sieht das anders aus: Man kann sie nun einmal nicht beeinflussen. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass wir tatsächlich auf dem Mars sind.«
Einige Sekunden lang herrschte nachdenkliches Schweigen. Dann wandte sich Sylvie an Ramses und fragte: »Was meinst du?«
Ramses kniff die Augen nachdenklich zusammen. Dann antwortete er zögernd: »Ich bin mir nicht sicher. Die Simulationen werden immer raffinierter. Und was die Schwerkraft betrifft – vielleicht hat man dafür eine Methode gefunden. Aber«, er wirkte jetzt sicherer, »eigentlich braucht es uns nicht zu kümmern, wir müssen uns so verhalten, als wäre es der echte Mars – so einfach ist das. Und damit erübrigt sich jede Diskussion. Wir sollten uns nicht von sinnlosen Zweifeln beirren lassen. Es ist spät, der Tag war anstrengend, und ich meine, wir sollten an die Nachtruhe denken.« Damit war der Streit zunächst einmal zu Ende, allerdings war er damit noch längst nicht entschieden.
Ein Blick zu den Luken ließ erkennen, dass es draußen dunkel geworden war – offenbar hatte sich die Dämmerung rasch vollzogen. Jetzt erst wurde ihnen bewusst, dass schon ein ganzer Tag vergangen war.
Alf schaltete den großen Bildschirm ein und richtete den Fokus hinauf zum Himmel. Es war irgendwie beruhigend, dass sich dabei dieselben Sternbilder zeigten, wie sie auch von der Erde aus zu beobachten waren. Nur die Zahl der Lichtpunkte schien sich vervielfacht zu haben, sie standen so dicht, dass kaum ein Platz zwischen ihnen leer blieb. In diesen Anblick versunken, dem sich keiner entziehen konnte, ließen sie das Bild einige Zeit auf sich wirken. Doch dann mahnte Ramses, mit den Vorbereitungen zur Nachtruhe zu beginnen. Wegen der Enge des Raums war das mühevoller, als es sich anhörte, und auch die Zeit, die sie für die Abendtoilette brauchten, zog sich in die Länge, da sich in der abgetrennten Kabine stets nur eine Person aufhalten konnte.
Auch Linette hatte sich aufgerafft und war einige Zeit im Waschraum verschwunden, doch immer wieder drang ihr unterdrücktes Husten hervor. Sylvie hatte inzwischen im Medikamentenschrank nach einem Arzneimittel gesucht und auch ein Fläschchen mit einer Lösung gefunden. Sie verrührte einige Tropfen davon in Wasser und wartete, bis sich Linette wieder blicken ließ.
»Geht’s dir ein wenig besser?«
»Der Hustenreiz hat nachgelassen, aber ich fühle mich ziemlich mies.«
»Trink das«, verlangte Sylvie und deutete auf das Fläschchen mit den Tropfen. »Morgen ist es sicher vorüber.« Sie selbst schien nicht daran zu zweifeln.
»Könnte es ansteckend sein?«, fragte Henrich.
»Jeder sollte darauf achten, ob er irgendwelche Anzeichen spürt«, riet Ramses.
Endlich hatten alle auf ihren Liegen Platz genommen, und auf ein Händeklatschen hin verdunkelte sich die Beleuchtung bis auf trübes Dämmerlicht.
Wie alle anderen empfand es Alf als angenehm, die Nachtruhe in frisch gereinigter Unterwäsche verbringen zu können, ohne den Anzug mit seinen Sensoren und Messinstrumenten und dem Äderwerk der Klimaanlage. Hier im Inneren des Schiffs brauchten sie sie nicht, nur während des künstlichen Schlafs der Reise hatten sie die Anzüge aus Sicherheitsgründen anbehalten müssen.
Alf hatte erwartet, dass er rasch einschlafen würde, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Alle möglichen widerstrebenden Gedanken gingen ihm im Kopf herum, und stets dann, wenn er das Gefühl hatte, endlich einzudämmern, riss ihn eine Art Reflex in den Wachzustand zurück: Es war wie ein böser Traum, der ihm das unangenehme Gefühl vermittelte, zu schweben – wahrscheinlich lag es an der verminderten Schwerkraft.
Das führte ihn wieder zu der Frage zurück, ob sie sich in einem perfekt angelegten Simulationsraum befanden oder doch auf dem Mars, wie man es ihnen ja mitgeteilt hatte. Aber was bedeutete das schon? – Selbstverständlich hatte man allen anderen Gruppen, die bisher bei den Abenteuerspielen mitgewirkt hatten, dasselbe erzählt, ob es nun stimmte oder nicht. Schließlich sollten sich alle so verhalten, als hätten sie es mit echten Schwierigkeiten und Gefahren zu tun.
Aber sprachen einige der Unannehmlichkeiten, mit denen sie schon zu tun gehabt hatten, nicht für einen echten Aufenthalt auf dem fremden Planeten? Schließlich hatte Alf sich ja mit dem Mars schon beschäftigt, als alle anderen noch nicht wissen konnten, dass das Los auf sie fallen würde. Einige von ihnen schienen die ihnen ausgehändigten Lehrprogramme nur flüchtig durchgesehen zu haben – das war aus den Gesprächen klar hervorgegangen. Alf traute sich deshalb ein besseres Urteil darüber zu, ob eine Panne, mit der sie es zu tun hatten, eine beabsichtigte Schwierigkeit oder ein realer Zwischenfall war.
Viel hatten sie ja noch nicht erlebt, aber der Husten, den sich Linette zugezogen hatte, gab ihm zu denken. Er erinnerte sich, dass er einiges über die Marsoberfläche gelesen hatte. Dass es auf dem Roten Planeten Staubstürme gab, war schon lange bekannt, und das konnte ja nur der Fall sein, wenn die Teilchen so fein waren, dass sie von der dünnen Atmosphäre getragen wurden. So tauchte in diesem Zusammenhang der Ausdruck ›Nanostaub‹ auf, und irgendwo war auch die Rede davon gewesen, dass diese feinsten Teilchen bei den Raumfahrern Allergien auslösen konnten, wenn sie in ihre Lungen gerieten. Sollte das die Ursache für Linettes Beschwerden sein? An einer anderen Stelle hatte er aber auch einiges über Bakterien gelesen, die in den Bodenschichten des Mars leben konnten, oder unter dem Schutz von Felsbrocken. Diese Gefahr schien nicht besonders groß zu sein, da die harte Strahlung, die den Boden traf, alles organische Leben, darunter auch die Mikrowesen, abtöten würde, wenn es sich ins Freie wagte. Aber, so dachte er weiter, konnte es nicht sein, dass diese Lebewesen irgendeinen Schutzmechanismus entwickelt hatten, der sie vor den verderblichen Einflüssen der Strahlung bewahrte?
Natürlich war diese Frage nur sinnvoll, wenn sie sich tatsächlich auf dem Mars befanden … Er grübelte lang darüber nach, wie man dieses Problem lösen könnte, und kam schließlich darauf, dass eine solche Möglichkeit einfach nicht bestand. Alles, was über die Sinnesorgane aufgenommen wird, kann auch manipuliert werden. Natürlich gab es Indizien dafür und dagegen, aber eben keine Gewissheit. Die einzige Hoffnung auf eine Antwort bestand darin, dass die Initiatoren dieser Spiele irgendetwas übersehen hatten, was als eindeutiger Hinweis aufzufassen war; es galt also, in den kommenden Tagen auf jede Kleinigkeit zu achten, die man vielleicht zur Aufklärung nutzen konnte.
Dieser Entschluss schien ihn etwas zu beruhigen, und als er ihn gefasst hatte, dauerte es nicht mehr lange, und er schlief ein.
Presse/dig Dok386-207nGZ-558734
Bekanntlich waren am Beginn des ostwestlichen Krieges beide Seiten bemüht, ihre wertvollsten Kulturgüter vor der Zerstörung durch Kriegshandlungen zu schützen. Das meiste davon wurde später wieder aufgefunden und ist seither in Museen und Schauräumen ausgestellt. Einiges allerdings blieb bis heute verschollen. Bei der Archivierung von Dokumenten aus der Zeit vor Beginn des Goldenen Zeitalters kam es nun kürzlich zu einer überraschenden Entdeckung.
Beamte der Dokumentationsstelle für historische Reminiszenzen waren auf einen elektronisch gespeicherten Schriftsatz gestoßen. Er war auf ungewöhnliche Weise codiert, doch gelang es schließlich, ihn zu entschlüsseln. Unter anderem enthielt er ein Verzeichnis jener besonders wichtigen Objekte, die damals von den Chinesen in einer Geheimaktion auf den Mars gebracht worden waren, vor allem Nuklearwaffen, intelligente Raketen und Militärroboter.
Weiter fanden sich dort auch nähere Angaben über eine als ›Festung‹ bezeichnete Station, die Spitzenpolitikern und Militärs nach einem eventuell verlorenen Krieg als eine Art Refugium dienen sollte. Dadurch wollten sie sich den damals üblichen Anklagen und Verurteilungen durch die Siegermächte entziehen.
Die Existenz einer solchen Station war bereits gerüchteweise bekannt, nicht allerdings ihre Lage auf dem Mars, der nach Einstellung der Raumfahrt nach dem Krieg nicht mehr besucht wurde. Völlig neu dagegen ist die Erkenntnis, dass dort einige der wertvollsten Kulturgüter der Menschheitsgeschichte versteckt liegen, darunter auch ein Satz von Jadewürfeln, der als kaiserliches Siegel diente, und eine Drachenrobe, das Zeichen der Kaiserwürde. Diese Altertümer sind von unschätzbarem Wert und galten zwei Jahrhunderte hindurch als verschollen.
Sie hatten ihn in einer Zelle eingeschlossen, und er wartete auf das Urteil. Eigentlich hatte er nichts zu befürchten, denn seine Gene waren in Ordnung, aber wer weiß – vielleicht war seinerzeit, bei der pränatalen Untersuchung, etwas übersehen worden. Vermutlich hatten sich inzwischen die Untersuchungsmethoden verbessert.
Er machte sich über die Folgen Gedanken, die die Entdeckung einer fehlerhaften Sequenz für ihn haben könnte. Gewiss, er würde den Status eines Nichtangepassten erhalten, doch da gab es immer noch Unterschiede – behandlungswürdig oder nicht, psychische Therapie oder Operation, Bewegungsfreiheit oder Internierung … Doch größer noch als seine Angst war der Ärger darüber, dass man ihn, dem ja den Gesetzen entsprechend kein Unrecht vorzuwerfen war, so behandelte. Dieser freche Schwindel, mit dem man das Publikum betrog und den er aufgedeckt hatte, gehörte nun einmal an die Öffentlichkeit gebracht, das war sogar seine Pflicht als Staatsbürger, und anderes war ihm nicht vorzuwerfen.
Eigentlich hatte alles ganz harmlos begonnen. Er war in die Spielhalle hinuntergegangen, die im Keller seines Hauses den Bewohnern zur Verfügung stand, und wie immer hatte er sich an eine der Konsolen gesetzt, die dem Cockpit eines hochklassigen Geländewagens nachgebildet waren. Das war seine Spezialität: eine Rallye durch eine wilde, mit Hindernissen gespickte Landschaft; manchmal ging es durch eine sandige Wüste, ein anderes Mal über eine Karsthochfläche und dann wieder über arktisches Eis.
Von Anfang an hatte er bemerkt, dass es diesmal gut lief. Schon nach der Hälfte der Strecke befand er sich an vierter Stelle, und wenn er die Fahrweise jener drei Konkurrenten, die noch vor ihm lagen, genauer beobachtete, dann räumte er ihnen wenig Chancen ein: Zwar hatte ihnen ihre riskante Fahrweise zu den vorderen Plätzen verholfen, aber früher oder später würden sie dafür büßen müssen. Und da hatte es auch schon einen erwischt – in einer Kurve, die heimtückischerweise in ihrem Verlauf immer enger wurde, war der violette Rennwagen an die Felswand geprallt und liegen geblieben. Man hätte es voraussagen können – Henrich kannte dieses Hindernis sehr gut, es tauchte in allen Versionen des Spiels auf, im Eis, im Sand und auf den Felsen, und er hatte dort schon rechtzeitig zu bremsen begonnen, als der andere noch aufs Gas stieg.
Nun waren noch zwei vor ihm, und er stellte mit leichter Unruhe fest, dass er allmählich zurückfiel. Doch er ließ sich nicht verleiten, das Tempo zu erhöhen, und er musste tatsächlich über fünf Minuten warten, ehe er seine Chance bekam. Er brauchte nichts dazu zu tun – der Fahrer auf dem zweiten Platz wurde ungeduldig, versuchte, an den Widersacher vor ihm heranzukommen, und als das gelungen war, drängte er ihn zur Seite … mit dem Erfolg, dass sich beide überschlugen und ausschieden. Und so konnte Henrich als Sieger über die Ziellinie fahren.
Zum ersten Mal hatte er die Rallye gewonnen! Er würde den ausgesetzten Preis bekommen, immerhin über zweitausend Credits, doch viel wichtiger war ihm die Einladung auf die Ehrentribüne des Autodroms beim Großen Rennen am kommenden Wochenende.
Natürlich genoss er es, der Veranstaltung als VIP beizuwohnen, mit Vergnügen setzte er die Schirmmütze auf, die man ihm beim Eintritt in das geschlossene Areal der Tribüne geschenkt hatte – damit sah er absolut professionell aus. Und er genoss die Leckerbissen und die Getränke, die hübsch uniformierte Mädchen austeilten. Vor allem aber konnte er von der vordersten Reihe aus die Vorstellung der Stars verfolgen, Männer, die sich real betätigten und nicht nur in der synthetischen Welt des Computerdesigns.
Nachher mischte er sich unter die Gäste und hielt nach Prominenten Ausschau. Längere Zeit hielt er sich am Souvenirladen auf und kaufte sich einen Overall, wie ihn die Rennfahrer trugen. Natürlich wählte er den mit der Nummer 1 – den Anzug von Rikko.
Für ihn war es ein besonderes Erlebnis, das er auskostete, als wäre es der Höhepunkt seines Lebens. Und nachher, als es vorbei war und die Ehrengäste mit dem Sieger plaudern durften, gelang es ihm sogar, von Rikko Gonzales ein Autogramm zu bekommen.
Er ließ sich auch nicht aus der Fassung bringen, als er neben sich eine Stimme hörte, die sich abfällig äußerte: »Der Typ übertreibt wieder einmal maßlos – man könnte meinen, dass er wirklich etwas geleistet hat.«
Henrich blickte zur Seite und sah einen Mann im dunkelbraunen Anzug der Gästebetreuer. Er verkniff sich eine böse Entgegnung, tat stattdessen interessiert, und als der andere bereitwillig antwortete, lud er ihn zu einem Drink ein. Von der Terrasse aus hatten sie einen guten Blick hinunter auf das Gelände, das hier, am Rand der Stadt, mit erheblichem Aufwand errichtet worden war. Eigentlich unterschied es sich nicht allzu sehr von den Schauplätzen der Computerspiele, nur dass es real war, die Hindernisse aus Beton geformt, die Geländeformen mit Baggern einer Berg- und Talregion nachempfunden.
Es war etwas schwül, die Sonne hatte den Nachmittag hindurch die Veranda aufgeheizt, und sein neuer Bekannter – seinen Namen hatte er nicht verstanden – hatte seine Jacke über die Lehne des Sessels gehängt. Und an den Kragen dieser Jacke war das Schildchen geheftet, das zugleich als Erkennungszeichen wie auch als Schlüssel zum Eingang in die inneren Regionen des Rennplatzes diente. Das war die Gelegenheit, auf die Henrich gewartet hatte. Als sich der Angestellte abwandte, um einige Worte mit einem Bekannten zu wechseln, und nicht aufpasste, griff er hinüber zur Jacke und zog die Plakette ab.
Sein Gesprächspartner hatte nichts bemerkt, und als sie sich schließlich voneinander verabschiedeten, zog sich Henrich eilig ins Treppenhaus zurück, wo er eine unscheinbare, ins Innere führende Tür gesehen hatte. Er wollte unbedingt einen Blick auf die echten Autos werfen, und es würde ihm nichts ausmachen, wenn sie ihn dabei erwischen sollten.
Die von der Sperre aus seiner Plakette abgerufene Codefrequenz führte dazu, dass sich die Tür von selbst öffnete, und Henrich trat ein. Er hatte sich schon vorher eine Übersicht über das Gelände verschafft, und so wusste er recht gut, welchen Weg er einschlagen musste. Dort drüben waren die Garagen, und sie schienen nicht besonders bewacht zu sein – zumindest war kein Mensch zu sehen.
Er trat in eine dunkle Ecke und streifte die neu erworbene Rennfahrerkluft über. Nun sah er wirklich wie ein Profi aus.
Wenige Minuten später war Henrich am Ziel seiner Wünsche: Er konnte sich frei im Gelände bewegen, ohne dass ihn jemand aufgehalten hätte, und dann stand er vor dem Gefährt des Siegers, dem orangefarbenen Rennwagen, einem Wunderwerk der Technik, das schon vom Anblick her die Kräfte verriet, deren es mächtig war. Es trug noch die Spuren, die das Rennen hinterlassen hatte: tiefe Kratzer an der linken Seitenwand, Zeugnisse eines abgewiesenen Überholversuchs – Henrich erinnerte sich gut an diese Szene –, und einige Beulen, die von herumfliegenden Autoteilen eines Gegners herrührten, der einen anderen gerammt hatte.
Henrich ging um das Fahrzeug herum und blieb schließlich stehen, um einen Blick ins Cockpit zu werfen – und zuckte zusammen. Denn das, was ihm da klar wurde, war kaum zu glauben: dass in diesem Wagen niemand sitzen und lenken konnte. Die Armaturen nur angedeutet, keine Schalthebel, keine Druckknöpfe, die Messinstrumente aufgemalt – das mochte von außen genug sein, um den Eindruck von Echtheit zu erzielen und die Zuschauer zu täuschen. Doch hier, aus der Nähe … Kein Zweifel: Dieses Auto wurde ferngesteuert, wie vermutlich alle anderen auch. Das mitreißende Rennen programmiert, die atemberaubenden Szenen beabsichtigt, der Sieger vorher festgelegt! Das Ganze eine Inszenierung, die Zuschauer hinters Licht geführt.
Unschlüssig trat Henrich ein paar Schritte zurück, als wollte er zu dem, was vor ihm lag, auf Distanz gehen. Plötzlich schrak er zusammen: Da hinten, in der dunklen Ecke … lag da nicht ein Mensch? Henrich trat näher – ein orangeroter Dress, ein Helm, darunter ein Gesicht, die obere Partie vom Glasschirm verdeckt, ein Mann mit schmalem Lippenbart. Er lag regungslos da, ein wenig zusammengekrümmt … schlief er? Nein, seine Augen standen offen – und jetzt erkannte Henrich ihn auch: Es war niemand anderer als Rikko. Wie war er hierher geraten? Was war mit ihm passiert?
Und wieder zögerte Henrich, irgendetwas stimmte nicht – dieser starre Blick … und dann stellte sich die erschütternde Erkenntnis ein, dass er vor einer Puppe stand, das Gesicht nichts anderes als eine Maske, die Augen Glaskugeln, die Barthaare angeklebt – es war das Gesicht von Rikko Gonzales. Der berühmte Rennfahrer – als Dummy!
Henrich brauchte eine Weile, um sich von diesen unerwarteten Erkenntnissen zu erholen. Dann wurde ihm bewusst, dass er sich nun erst recht nicht erwischen lassen durfte, das könnte ihm übel bekommen. Rasch fand er in die Gegenwart zurück. Er verließ die Garage, und es gelang ihm, sich voll zu konzentrieren, um wieder zurück ins Stadion zu finden und dabei in Deckung zu bleiben.
Er atmete auf, als er wieder an der Tür stand, durch die er hereingekommen war; sie ließ sich von innen ohne Weiteres öffnen.
Noch immer waren die Ränge mit Besuchern gefüllt, die nun Gesänge anstimmten, um ihre Idole zu feiern. Wenn alles normal verlaufen wäre, hätte sich Henrich ihnen angeschlossen, doch unter den gegebenen Umständen wollte er nichts davon hören. Weil er jetzt nicht unter Menschen sein wollte, verzichtete er darauf, die U-Bahn zu benutzen, die sicher voller Fans war, die sich über das Rennen unterhielten, und ging zu Fuß nach Hause.
Er versuchte, seine Erkenntnis in Ruhe zu verdauen, und ließ sich die Erlebnisse der letzten drei Stunden noch einmal durch den Kopf gehen. Jetzt verstand er auch, was der Angestellte nach der Pressekonferenz mit seiner abfälligen Bemerkung gemeint hatte: Es gab keinen Rennfahrer Rikko Gonzales, dieser war nichts anderes als ein Fantasieprodukt, dessen Rolle in der Öffentlichkeit ein Schauspieler übernahm. Die Autos von einer Zentrale aus ferngesteuert, das Ganze nichts entscheidend anderes als das Spiel, das er im Keller seines Hauses spielte …
Aber alles Grübeln half ihm nichts, er wurde seine Empörung nicht los. Als Henrich die Autogrammkarte von Gonzales in der Jackentasche fühlte, zog er sie heraus und zerriss sie in kleine Schnipsel, die er auf dem Weg verstreute.
Das alles hatte sich vor zwei Wochen ereignet.
Und nun saß er in einer Zelle des Sicherheitsdienstes und sann wieder einmal über das Geschehene nach. Warum hatte er sich nur eingemischt? – Er hätte sich schließlich denken können, dass eine solche Inszenierung eines öffentlichen Spektakels nur mit dem Einverständnis der Regierungsstellen möglich war, er hätte schweigen sollen und sein normales Leben weiterführen, obwohl ihm etwas Entscheidendes gefehlt hätte: seine Begeisterung für den Rallyesport, der ihm bisher so viel bedeutet hatte.
Aber er hatte eben geglaubt, diesen Betrug aufdecken zu müssen. Er hatte im Bekanntenkreis davon gesprochen, eine Beschreibung des Schwindels mit angeschlossener Beschwerde im Netz veröffentlicht und sogar das Redaktionsbüro eines Informationscenters aufgesucht, um seine Geschichte an den Mann zu bringen – allerdings mit dem Ergebnis, dass ihm niemand glaubte, ja, dass man ihn sogar auslachte, wie einen jener wirrköpfigen Nichtangepassten, denen man das Gedächtnis gelöscht hatte …
In einem letzten Versuch wandte er sich an den Referenten für Sportveranstaltungen im Kulturamt und verlangte, seine Beschwerde bei der nächsten Sitzung mit Barbie Brain zur Sprache zu bringen, doch sein Antrag wurde abgewiesen: Es handele sich nicht um eine Sachfrage, sondern um ein ethisches Problem, das nicht in die Kompetenz der vernetzten Intelligenz fiele.
Schließlich gab er seine Bemühungen auf, und es schien, als wäre die Sache auf diese Weise folgenlos im Sand verronnen – bis er eines Tages von zwei Sicherheitsleuten abgeholt und ins Zentrum des Ordnungsdienstes gebracht wurde.
Henrich musste noch lange in seiner Zelle ausharren, bis er in einen Raum geführt wurde, der fatal an eines jener Verhörzimmer erinnerte, wie man sie in historischen Kriminalfilmen manchmal zu sehen bekam. Da gab es sogar jene Apparate, mit denen man das Gedächtnis von Tätern und Zeugen dazu anregen konnte, sich an Vergessenes zu erinnern – Kästen, aus denen Leitungen mit Elektroden heraushingen, und Bügel mit Ultraschallsendern, die man auf die Köpfe der Befragten setzte, um sie mit gezielten Impulsen zu stimulieren. Es war wie in einem Femegericht: Vor Henrich, etwas erhöht auf einem Podium, saßen drei grau gekleidete Personen, und er saß eine Stufe tiefer allein in der ersten Stuhlreihe des Saals. Die übrigen Plätze waren leer.
Die in der Mitte sitzende Frau klappte den in die Tischplatte eingelassenen Bildschirm hoch, sodass sie von dort etwas ablesen konnte, was Henrich nicht sah. »Wir haben bei der Analyse Ihres Genpools keine Fehler feststellen können«, sagte sie. »Sie gehören also zu jenen Fällen, bei denen die Ursache für die Verhaltensstörungen ungeklärt bleibt. Wir verzichten deshalb zunächst auf therapeutische Maßnahmen. Sie kommen also glimpflich davon: Bis auf Widerruf wird Ihnen der Status eines Nichtangepassten ersten Grades zugesprochen. Ab heute sind in Ihrem Personalbogen die Kennung NAP1 und Ihr Erkennungscode eingetragen. Ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt: Künftig ist es Ihnen verboten, die Grenzen Ihres Wohnbezirks zu verlassen.«
Die Beamtin hielt ihm seine I-Card entgegen, und er erhob sich, nahm sie in Empfang. Er blickte die Karte an. Äußerlich war ihr nicht anzusehen, dass sich etwas geändert hatte. Und doch war jetzt einiges entscheidend anders.
Einen Moment lang war Henrich still, und als er etwas sagen wollte, merkte er, dass die drei Beamten schon im Begriff waren, den Raum zu verlassen. Für Fragen oder Proteste war ihm keine Gelegenheit geblieben. Offenbar war er entlassen und durfte selbst sehen, wie er aus dem Gebäude kam.
Henrich Allister, Genpool ohne nachweisbare Abnormitäten
Anpassungswert: 27
Phänotyp: leptosom
Größe: 176 cm, Gewicht: 73 kg, Pigmentierung: hell, Haarfarbe: fahlblond, Augenfarbe: grau
Intelligenzbereich: 75–80
Von den Standardwerten abweichende Eigenschaften:
› leicht erregbar
› zaghaft
› Neigung zu Pedanterie
› übersteigertes Rechtsgefühl
Charakteristische Eigenschaften:
› gute Reaktionsfähigkeit
› nachdenklich
Die weiteren Befunde in den Grenzen des Normalen
Auffällig geworden durch die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen sowie üble Nachrede betreffend Beamte des Kulturamts
Eingestuft als NAP1
Es war nicht die erste Nacht gewesen, die die acht Auserwählten in beengten Verhältnissen verbracht hatten, schon während der Vorbereitungen hatten sie eine ganze Woche lang in einer Raumschiffattrappe eingeschlossen gelebt, und trotz der Unbequemlichkeit, die sich unter diesen Umständen nicht vermeiden ließ, hatten sie die Nächte gut verbracht. Hier auf dem Mars aber war das etwas anderes: Alle hatten schlecht geschlafen. Es mochte an der geringen Schwerkraft liegen, aber auch an der Tatsache, dass nun der Ernstfall eingetreten war. Zwischen Spiel und Wirklichkeit besteht eben ein Unterschied, selbst wenn es sich um eine simulierte Wirklichkeit handelt.
Als sich Alf am Morgen aus seinem dösenden Zustand löste und sich aufrichtete, sah er Ramses am Schaltpult sitzen, und das weckte seine Neugier – vielleicht würden sie heute etwas Neues, etwas Richtungweisendes erfahren. Er ging zu seinem Gefährten nach vorn und erkundigte sich nach Neuigkeiten, doch Ramses wehrte ab. »Später«, sagte er. »Lass mir noch ein bisschen Zeit.«
Auch gut, dachte Alf. Nun hatte er das Bedürfnis nach einer warmen Dusche.
Er musste ein wenig vor dem Waschraum warten, und bald kam auch Sylvie hinzu.
»Linette geht es besser«, berichtete sie, »doch Henrich fühlt sich krank. Er klagt über Hustenreiz, aber ich bin mir nicht sicher … Ich habe den Eindruck, dass er sich sein Unwohlsein nur einbildet.«
»Kann man sich Unwohlsein einbilden?«, erwiderte Alf. »Wenn du dich schlecht fühlst, dann fühlst du dich schlecht, ob das nun eingebildet ist oder nicht.«
Sylvie stutzte ein wenig – das war eine Bemerkung, über die man lange streiten konnte. Dann lächelte sie, und Alf lächelte zurück. Sie verstanden einander.
Aus einem Impuls heraus bot Alf Sylvie an, ihr bei der Morgentoilette den Vortritt zu lassen, doch sie nahm es nicht an.
Eine halbe Stunde später waren die Liegen zurückgeklappt, und sie saßen an der schmalen Kunststoffplatte, die als Tisch diente. Auch Linette war dabei; sie wirkte noch ein wenig angegriffen, war aber ansonsten schon wieder recht munter. Henrich dagegen sah leidend aus; er hustete und betupfte immer wieder seine Nase. Sylvie bot ihm Tabletten an, und er schluckte einige davon, doch das Frühstück schien ihm nicht zu schmecken.
»Der Mann ist völlig gesund«, sagte Sylvie leise zu Alf, der neben ihr Platz genommen hatte. »Ich habe ihm ein Placebo gegeben. Bei solchen Typen wirkt das gut.«
Dann meldete sich Ramses zu Wort, er hätte etwas mitzuteilen.
»Ich habe eine Nachricht von der Station vorgefunden …«
Er wartete, bis alle zuhörten, und sah in erwartungsvolle Gesichter. »Freut euch nicht zu früh: Es ist keine Antwort auf unsere Meldung. Ich lese vor:
Mitteilung an das Team MARS MISSION. Mit der Landung auf dem Mars hat das Erlebnisspiel begonnen. Wie bereits mitgeteilt, besteht die Aufgabe darin, die in der sogenannten Festung gelagerten Insignien der letzten chinesischen Kaiserdynastie zu bergen und auf die Erde zurückzubringen. Der Weg ist von den Beteiligten selbst festzulegen, doch findet ihr im Nanospeicher unter ›Dokumente‹ ausreichend Kartenmaterial. Während der Dauer des Spiels ist die Verbindung zwischen Mars und Erde unterbrochen, die Besatzung hat ihre Aufgabe ohne Hilfe von außen durchzuführen. Diese Nachrichtensperre wird aufgehoben, sobald uns die Meldung über eine positive Lösung der gestellten Aufgabe erreicht.
Diese Mitteilung wurde nach der Landung automatisch ausgegeben. Ende.«
Die Mitteilung über eine Nachrichtensperre kam überraschend. Zwar hatten sie schon beim Vertragsabschluss über ihre Mitwirkung am Spiel ihr Einverständnis mit vielerlei Bedingungen erklärt und durch ihre Unterschrift besiegelt, und da war die Rede davon gewesen, dass sie ihre Aktivitäten ›selbstständig‹ abzuwickeln hätten. Doch jetzt löste diese Nachricht Unruhe aus – in der neuen Umgebung gewann sie eine ganz andere Bedeutung.
Bevor eine nutzlose Diskussion einsetzen konnte, sagte Ramses: »Ich gebe zu, das klingt ein wenig schroff, aber es besagt nichts, was uns nicht bereits bekannt ist. Wir sollten uns nicht davon beirren lassen, sondern alles daran setzen, unser Ziel zu erreichen.«
Das hinderte seine Gefährten natürlich nicht daran, Fragen zu stellen und Bedenken zu äußern.
Alf hörte sich das eine Weile an, dann sagte er: »Das hat doch keinen Sinn, jetzt müssen wir in den sauren Apfel beißen. Etwas anderes bleibt uns ja gar nicht übrig. Wahrscheinlich wird es nicht immer leicht sein, aber schließlich waren doch alle ganz scharf darauf mitzumachen.«
Cassius nickte. Er richtete sich in seinem Sitz auf; er sah ungewöhnlich entschlossen aus. »Schluss mit dem Geschwätz, wir verlieren nur Zeit. Wir müssen endlich los, das ist alles.«
»Bravo Cassius«, sagte Gilbert. »Das musste einmal ausgesprochen werden. Du solltest die Leitung übernehmen. Denn es stimmt ja: Wir müssen endlich aktiv werden. Machen wir uns auf den Weg. Wo müssen wir hin?«
»Ich kann es dir auf der Landkarte zeigen.« Ramses griff hinter sich zum Schaltpult, holte einen farbigen Reliefplan hervor und breitete ihn auf der Tischplatte aus. »Das habe ich mir schon ausdrucken lassen. Wir sind ein ganzes Stück von unserem Zielort entfernt. Aus Sicherheitsgründen – der Landeplatz muss eben und frei von Hindernissen sein, deshalb diese Wüste. Unter dem Sand liegt eine feste Gesteinsschicht, die das Raumschiff trägt. Sonst wäre das Risiko bei der Landung zu groß, und unsere Reise wäre beendet, bevor sie begonnen hätte.«
»Früher gab es auf dem Mars doch eine Andockstation«, wandte Alf ein.
»Und da wartet jemand auf uns«, sagte Sylvie und blickte Alf ein wenig spöttisch an.
»Das ist doch wieder ein Trick, um uns Schwierigkeiten zu machen«, rief Henrich.
Gijon mischte sich ein: »Das wissen wir eben nicht, daran ist nichts zu ändern, und wir müssen uns damit abfinden. Schwierigkeiten gehören nun einmal zum Spiel. Das Publikum erwartet, dass etwas Aufregendes geschieht. Du hast dir die Sache doch wohl nicht als Spaziergang vorgestellt! Die Suche nach dem Schatz ist nur ein Vorwand.«
»Weißt du etwas darüber, wo die Sachen versteckt sind? Wie sind sie aufbewahrt?«
»Wahrscheinlich steht da irgendwo ein Koffer im Sand«, warf Gilbert ein. Einige lachten, andere forderten ihn auf, seine Witze zu unterlassen.
Alf wartete, bis sich die Gemüter beruhigt hatten, dann bat er Ramses, etwas über die Fahrt zu sagen, die vor ihnen lag. »Hier gibt es ja keine Straßen. Ist wenigstens ein Weg eingezeichnet?«
»Den Weg müssen wir uns selbst suchen. Die Koordinaten der Station sind uns bekannt. Wir wissen also, welche Richtung wir einschlagen müssen. Das Problem liegt im weglosen Gelände – unsere Reliefkarte stammt aus der Pionierzeit der Marsforschung. Sie ist sicher nicht sehr genau. Aber immerhin hilft sie uns, größere Hindernisse, Gebirge oder Schluchten, zu vermeiden.«
»Und wie weit ist es?«
»Luftlinie? Rund hundert Kilometer.«
Die Zuhörer sahen einander an. Hundert Kilometer – war das viel oder wenig?
Ramses versuchte, die benötigte Zeit abzuschätzen. »Wir könnten in drei oder vier Tagen dort sein.«