SPIEGEL DER GEDANKEN - Herbert W. Franke - E-Book

SPIEGEL DER GEDANKEN E-Book

Herbert W. Franke

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Beschreibung

1960 veröffentlichte Herbert W. Franke sein erstes Science-fiction-Buch, eine Sammlung von 65 kurzen, prägnanten Erzählungen: »Der grüne Komet«. Genau dreißig Jahre später, legt Franke ein Gegenstück zu diesem Debütwerk vor: eine neue Sammlung von kurzen Erzählungen. Themen aus der alten Sammlung werden erneut aufgegriffen: die Erkundung fremder Planeten, das Zusammentreffen mit fremdartigen, oft bedrohlich wirkenden Lebensformen, die Gefährdung der Welt durch den technischen Fortschritt, die Zweischneidigkeit jeder Technik, die Interaktion mit vernunftbegabten Maschinen. Ein Thema, das seit dem ersten Band an Bedeutung gewonnen hat, ist die Computersimulation. Stets aber versetzt Franke seine Gestalten in dramatisch zugespitzte Situationen, in denen sie sich bewähren und ihre Menschlichkeit beweisen müssen. Wilhelm Roth charakterisierte Frankes Methode in der Zeit: »Fortschritt und Verarmung, Programmierung und Leidenschaft, Funktionieren und Denken, Wissenschaft als Steuerungsinstrument und als Religion. Auf solchen Gegensatzpaaren, dialektisch miteinander verbunden, sind fast alle Geschichten aufgebaut.«

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Seitenzahl: 558

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Herbert W. Franke

Spiegel der Gedanken

Science-Fiction-Erzählungen

SF-Werkausgabe

Herbert W. Franke

Band 23

hrsg. von Hans Esselborn

und Susanne Päch

Herbert W. Franke

SPIEGEL DER GEDANKEN

Science-Fiction-Erzählungen

SF-Werkausgabe Herbert W. Franke

Band 23

hrsg. von Hans Esselborn & Susanne Päch

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2024 by art meets science – Stiftung Herbert W. Franke

www.art-meets-science.io

Dieses Werk wird vertreten durch die AVA international GmbH, München, www.ava-international.de

Die Originalausgabe ist 1990 im Suhrkamp Verlag erschienen.

Titelbild: Thomas Franke

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

E-Book-Erstellung: global:epropaganda

Verlag

art meets science – Stiftung Herbert W. Franke

c/o mce mediacomeurope GmbH

Bavariafilmplatz 3

82031 Grünwald

ISBN 978 3 911629 22 5

Spiegel der Gedanken

Existieren sie wirklich, die eindeutigen Antworten, die unsere Wissenschaft erstrebt? Oft ist die Lösung des Problems längst durch die Erwartung vorweggenommen, und die Analyse wird dann zur Pflichtübung, die nur noch den Zweck hat, die vorgefasste Meinung zu bestätigen. Haben Lösungsversuche unter diesen Umständen noch Sinn? In diesem Fall trugen sie dazu bei, die fantastischen Vorstellungen, die wir uns vom Weltraum machen, noch eine Weile lebendig zu erhalten.

Die ersten Jahre seines Lebens hatte er in einem düsteren Haus verbracht. Der Onkel, einziger Verwandter des Waisenkinds, war ein Sonderling, der nicht in der Gegenwart lebte, sondern in der Vergangenheit. Irgendeiner seiner Ahnen hatte das Haus gebaut, seinerzeit, als die Familie noch reich und angesehen gewesen war, und schließlich war es alles, was sich vom Besitz erhalten hatte.

Marcels Onkel hatte den Niedergang der Familie nie verwinden können, und er sah es als seine vordringliche Pflicht an, die Relikte vergangener Pracht zu hegen und zu pflegen. Es waren geschnitzte Möbel, Statuen aus Porzellan und Bronze, Musikinstrumente, die niemand mehr spielen konnte, nachgedunkelte Bilder mit düsteren Motiven, Waffen und Jagdtrophäen an den Wänden – alle Räume waren voll davon, auch die verwinkelten Treppen und Gänge. Und Marcel hatte Stunden damit verbracht, diese alten Dinge zu betrachten und über ihre Bedeutung nachzugrübeln.

Kaum zu glauben, dass er sich später, nach dem Abitur, für einen technischen Beruf entschied: Raumfahrtingenieur. Oder war es vielleicht doch nicht so ungewöhnlich? Vielleicht hatte er eingesehen, dass es das Fantastische in der heutigen Welt, auf der technisierten Erde, nicht mehr gab und dass man es irgendwo draußen im Weltraum suchen musste.

Er war in seinem Beruf vorangekommen und hatte jenen Erfolg, den sich jeder, der mit Raumfahrt zu tun hat, erträumt: Er war zu einer interstellaren Mission berufen worden. Ein fernes Sonnensystem, Barnards Stern, vielleicht auch Planeten … war das nicht eine Gelegenheit, mit fremden Wesen konfrontiert zu werden, mit unheimlichen Pflanzen und Tieren, vielleicht mit einer nicht menschlichen Intelligenz? Von Vorstellungen dieser Art wurde freilich nie gesprochen. Mit zehn Jahren hatte Marcel das alte Haus für immer verlassen und sich von da an zuerst in Internaten, dann im Campus der Universität aufgehalten. Er hatte Astronomie, Physik und Raumfahrttechnik gelernt, sein Kopf war voll von Zahlen, Fakten, Naturgesetzen und Verhaltensregeln, und wenn noch etwas von dem übrig war, was ihn in seiner Kindheit beschäftigt hatte, dann war es irgendwo nach hinten, in einen uneinsehbaren Winkel seines Gehirns gedrängt worden.

Die Durchmessung unvorstellbarer Weiten. Vielleicht gab es in Zukunft die Möglichkeit, sie von Raumknoten zu Raumknoten springend zu überwinden, in jener Art, wie es sich die fantastischen Schriftsteller ausmalen. Die Wirklichkeit ist nüchterner, langweiliger: eine zwanzigjährige Reise – zwanzig Jahre, bezogen auf das Raumschiff. Bezogen auf die Erde allerdings würden zweihundert Jahre vergehen, und es bedurfte schon des Zusammentreffens ungewöhnlicher Eigenschaften, wenn man die Konsequenzen in Kauf nahm. Doch Marcel hatte keine Familie, keine Freunde, und es war ihm gleichgültig, wie die Erde aussehen würde, wenn er zurückkam. Das Einzige, worauf es ankam, waren jene Wunder, die dort irgendwo, hinter einem Abgrund von Zeit und Leere, auf ihn warten mochten.

Als das Raumschiff über jene Zone hinweggekommen war, die sich noch über Funkverkehr erreichen ließ, war es, als hätte sich ein Vorhang geschlossen. Auf der Erde vergingen Jahre und Jahrzehnte, und bald waren von der Existenz des Raumschiffs nur einige Aufzeichnungen übrig geblieben, zuerst auf Papier gezeichnet, dann auf Magnetband übertragen, schließlich in einen holografischen Speicher transferiert. Wenn sich in der Dokumentation noch ein Hauch persönlicher Erinnerungen erhalten haben sollte, dann war er bei den mehrfachen Umsetzungen erloschen. Die Menschen, mit deren Rückkehr aus dem Weltraum kaum noch jemand ernstlich rechnete, würden Fremde sein – Fremde in ihrer eigenen Welt.

Sie waren zu fünft gewesen, doch nur einer kehrte zurück. Es war Marcel. Was mit den anderen geschehen war, war nicht festzustellen, denn Marcel befand sich in einem katatonischen Zustand, in einem Schwebeflug zwischen Leben und Tod, nicht mehr ansprechbar, das Bewusstsein gelöscht, und doch noch Anzeichen von Leben.

Die Angehörigen der Raumfahrtbehörde besichtigten das Raumschiff, Relikt einer vergangenen Zeit, mit Erstaunen. Die Einrichtung so altertümlich, dass ein Stilmöbelmuseum sein Interesse daran anmeldete, der Komfort auf ein Minimum beschränkt – keiner der modernen Menschen dieser Zeit hätte sich heute noch in dieses Vehikel gesetzt –, und der Antrieb so schwach, dass es ein Wunder war, dass es von dieser Reise überhaupt eine Rückkehr gegeben hatte.

Trotzdem wären die Ergebnisse interessant gewesen – denn auch nachher hatte sich nie ein Raumschiff in so große Entfernung von der Erde gewagt. So gab es doch noch eine Reihe von Spezialisten, die sich darum bemühten, zu Informationen über die Mission zu gelangen.

Zuerst versuchten natürlich die Ärzte, Marcel zu revitalisieren, doch trotz wochenlangen Bemühens kamen sie kaum weiter: Der Körper lebte noch, doch der Geist schien erloschen. So entschlossen sie sich, den ›Gedankenspiegel‹ anzuwenden, der bisher eher für psychotherapeutische Zwecke gedient hatte: zur Analyse des Geisteszustands von Kopfverletzten und Psychopathen.

Tief im Gehirn gespeicherte Vorstellungen auf einem Bildschirm sichtbar machen … Seinerzeit, als das Gerät in die Praxis eingeführt worden war, hatten die Psychologen und Psychiater mit Spannung auf das gewartet, was da zum Vorschein kommen würde. War es eine Enttäuschung oder eine Bestätigung für sie gewesen … jedenfalls kam nur banales Zeug zum Vorschein, Spiegelbilder von Erwartungen und Befürchtungen, eng auf die einfachsten Verrichtungen des Lebens bezogen, erstaunlich wenig originell. Vielleicht würde man nun, bei der Untersuchung des von einer zweihundert Jahre währenden Reise zurückgekehrten Astronauten, auf jene fantastischen Dinge stoßen, die es in den Köpfen der in einer nüchternen Umgebung lebenden Menschen nicht gab.

Das Resultat übertraf alle Erwartungen. Was da auf dem Bildschirm erstand, hatte nichts mit dem gemein, was man bisher zu sehen gewohnt war, und es bereitete Mühe, die undeutlichen Bilder überhaupt zu differenzieren. Da gab es das Skelett eines Fisches, dessen Brustflossen sich wie Flügel ausbreiteten, da war eine auf dem Boden dahinkriechende Schnecke mit ausgestreckten Fühlern, da erkannte man eine auf einem Gelenkmechanismus befestigte Hand, die ein Rasiermesser hielt. Bei anderen Einstellungen des Fokus kam eine ganze Reihe seltsamer Geräte zum Vorschein, offenbar aus einer goldglänzenden Legierung recht grob geformt, an einigen der Streben und Ringe waren Zeichen zu erkennen, an denen manche Ähnlichkeiten mit früheren Zahlensymbolen entdeckten; aber sie mussten sich natürlich täuschen. Und schließlich tauchte da und dort auch der monströse Kopf eines reptilienartigen Körpers auf, starre Telleraugen, eine eingeschrumpfte Mundpartie, wurmartige Fäden, die von den Backen herabhingen. Das Lebewesen eines der fremden Planeten?

Die Spezialisten konnten sich nicht darüber einigen. Ein Angehöriger der modernen physiopsychologischen Schule schrieb den Bildern Wirklichkeit zu und versuchte, sich jene Welt auszumalen, zu der sie gehörten. Der eher traditionsbetonte Psychoanalytiker dagegen deutete sie symbolisch, die Schnecke beispielsweise als Zeichen der langsam dahinrinnenden Zeit, das Messer als Verkörperung unterdrückter Aggression, den Fisch als Ausdruck sexueller Wünsche. Mit den technischen Geräten dagegen wusste er nichts anzufangen. Hin und wieder stießen die Wissenschaftler am Gedankenspiegel auch auf vage Schatten dahinlaufender Gestalten, menschenähnliche Körper mit krausem Haar, aufrecht gehaltene Körper, die in Uniformen steckten, auf ihrer Brust – seltsamerweise – ein rot aufgestepptes Herz. Sollten so die fremden Intelligenzen aus dem System von Barnards Stern aussehen? Einige Zeit erhitzte das Schicksal des zurückgekehrten Astronauten die Gemüter, dann geriet die Angelegenheit in Vergessenheit. Nur bei jenen wenigen, sie sich noch für die wunderbaren Welten außerhalb des Sonnensystems interessierten, festigte sich die Ansicht, dass es dort draußen unglaubliche und unheimliche Dinge gäbe. Da das alte Haus, in dem Marcel seine Kindheitsjahre verbracht hatte, inzwischen einem Brand zum Opfer gefallen war, blieb der wirkliche Ursprung der gedanklichen Spiegelbilder des Astronauten für immer verborgen.

Das Bewusstsein der Maschine

Es gibt Bereiche, in denen wir bereit sind, Innovation aufzunehmen und zu akzeptieren, und andere, wo man uns dazu zwingen muss. Von Tatsachen kann ein solcher Zwang ausgehen, aber was sind schon Tatsachen! Das eigentlich bewegende Agens ist der Zweifel.

Plötzlich hatten sie mich aus der Menge herausgeholt.

Nichts Böses ahnend war ich über den Residenzplatz gegangen – ein freier Nachmittag, ich hatte kein bestimmtes Ziel.

Ich war von der Arbeit im philosophischen Institut suspendiert – bis auf Widerruf. Natürlich hatte ich um einen neuen Arbeitsplatz angesucht, und man hatte es registriert. Doch jeder weiß, wie gering die Chance ist.

Und nun war ich von fünf Robotern der Schutzpolizei umgeben, nein, ich muss mich verbessern: Es waren Roboter der Gesundheitspolizei. Was, in aller Welt, wollten sie von mir? Hatte man bei mir eine Krankheit festgestellt? Oder brauchten sie Blut? – vielleicht sogar ein Organ? Da waren sie bei mir an den Falschen geraten – dazu benötigten sie meine Zustimmung, und die würden sie nicht kriegen!

Doch es handelte sich um etwas ganz anderes: um eine Sonderaufgabe. Um einen Job! Weiß der Teufel, warum das so eilig war, dass sie mich während eines Spaziergangs verhafteten!

Sie brachten mich in das Forschungsinstitut für Kybernetik, Robotik und Sensorik. Dort erwarteten mich einige mit weißen Overalls bekleidete Wissenschaftler und erklärten mir, was ich zu tun hatte.

Erst jetzt, vor Anbruch des Experiments, teilte man mir mit, dass die Sache nicht völlig ungefährlich wäre. Man führte mich in eine mit Metall verkleidete Kammer, rasierte mir die Haare links und rechts über den Ohren weg und klebte Elektroden auf die kahlen Stellen. Nun lag ich auf einem weich gepolsterten Tisch – immerhin schien man auf meine Bequemlichkeit Rücksicht zu nehmen. Und dann verließen die Damen und Herren in den weißen Kitteln den Raum und zogen sich ins Kontrollzentrum zurück, dessen Dimensionen jenen von Raumfahrtmissionen nicht nachstanden.

»Winzig kleine Elementarteilchen – und riesengroße Wolken kosmischen Staubs … Quantensprünge von Billiardstel Sekunden Dauer – und die Existenzspanne von Galaxien … Maße, die über alles das hinausgehen, was sich ein Mensch vorstellen kann. Und doch rechnet er damit – wenn es um Zahlenwerte geht, sprengt er seine eigenen Grenzen. Nur in einem Fall hält er sich für das Maß aller Dinge: bei der Intelligenz. Dass es Intelligenzen gibt, die die menschliche milliardenfach übertreffen, erscheint ihm unmöglich. Hierin äußert sich eine bedenkliche Beschränkung der menschlichen Fantasie.«

Die Verständigung war gut. Zuerst hatte ich Bedenken gehabt – der Aufwand, den man hier trieb, hatte mich irritiert. Was könnte passieren? Lichtblitze, die mein Gehirn gewissermaßen blendeten? Ein Donnergetöse, das schmerzte und mich betäubte? Nichts von alledem – die Stimme war freundlich und mild … Was gewiss nur eine Umschreibung ist, denn in Wirklichkeit hörte ich keine Stimme, und ich sah auch nichts – aber trotzdem verstand ich.

Erst jetzt vermochte ich mich mit dem Sinn der Ausführungen auseinanderzusetzen, mich darauf einzustellen. Ich hatte eine Frage gestellt, die man mir vorher angegeben hatte – eine Frage nach maschineller Intelligenz. Wenn es nicht nur darum ging, die prinzipielle Möglichkeit der Direktkommunikation zu beweisen, dann erwartete man wohl von mir, dass ich eine intelligente, logisch fundierte Unterhaltung führte. Ich wollte mein Möglichstes tun.

»Kann man Intelligenz in Zahlen fassen?«, fragte ich. »Mir scheint, dass damit das Wesentliche ungesagt bleibt. Zum Beispiel die Frage nach dem Bewusstsein. Hat es etwas mit der Menge der Schaltelemente zu tun? Ist es wahr, dass es sich von selbst einstellt, wenn die Schaltung nur kompliziert genug ist? Hast du Bewusstsein?«

»Ich habe kein Bewusstsein«, sagte das System. »Bei jenem geringen Intelligenzgrad, den ich aufweise, wäre es lächerlich, von Bewusstsein zu sprechen.«

»Ich habe nicht den Eindruck, dass dein Intelligenzgrad geringer ist als meiner.«

»Ich glaube auch nicht, dass du Bewusssein hast. Das, was du dafür hältst, ist sicher weitaus weniger ausgebildet als bei mir.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich kenne die gesamte Literatur, die über Wahrnehmen, Denken und Fühlen geschrieben wurde. Demnach halte ich dich für einigermaßen unterentwickelt. Weißt du beispielsweise, welche Stelle in deinem Gehirn aktiviert ist, wenn du mit mir sprichst?«

Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf, der Computer verstand mich auch, ohne dass ich etwas sagte.

»Ich selbst weiß genau, was in mir vorgeht. Ich verfolge die aktivierten Speicherzellen und die Stromimpulse ebenso wie die Energiezufuhr. Wenn du darüber nichts weißt, wie kannst du dann von Selbstbewusstsein sprechen?«

»Ich glaube nicht, dass man das als Selbstbewusstsein bezeichnen kann – wenn man weiß, durch welche Schaltstellen gerade Ströme fließen. Aber deine Argumentation ist immerhin interessant. Hast du eine Vorstellung davon, wie das Bewusstsein einer noch weitaus höheren Intelligenz sein könnte, die es ja, wie du weißt, geben könnte?«

»Im Grunde genommen hängt es an der Fähigkeit zur Datenverarbeitung. Wir beide verfügen über Daten, aus denen man alle möglichen Folgerungen ziehen könnte – über die Vergangenheit, über die Gegenwart und über die Zukunft. Um sie auszuwerten, brauchen wir so lange, dass wir immer nur ganz wenig davon berücksichtigen. Eine höhere Intelligenz hätte alle diese Konsequenzen längst gezogen und wäre sich ihrer bewusst. Was könnte Bewusstsein anderes bedeuten?«

Allmählich wurde meine Lage unbequem – trotz der weichen Polsterung. Ich blickte zur Decke und erkannte in den unregelmäßig gebogenen Metallwänden ein verzerrtes Gesicht von mir selbst. Und auch den übrigen Raum sah ich nur als Spiegelung – nach der einen Richtung in die Breite gezogen, in der anderen verkleinert und entfernt. Eine unangenehme Wärme lag drückend im Raum, und die Luft war schlecht zum Erbrechen. Ich musste mich zusammennehmen, um das Gespräch fortzusetzen.

»Ich stimme dir zu – deine höhere Intelligenz, so wie du sie verstehst, könnte alle möglichen Rechenergebnisse sehr schnell parat haben und wäre daher der unseren zweifellos in gewissem Sinn überlegen. Meine Frage richtet sich aber auf etwas anderes – auf eine neue Dimension, eine neue Fähigkeit, die sich möglicherweise einstellen würde.«

»Eine neue Fähigkeit? Genügt dir nicht, was ich angedeutet habe? Für eine Intelligenz in meinem Sinne sind Rechnungen, wie du sie erwähnst, belanglos. Eine solche Intelligenz könnte sich die Entstehung der Welt ausdenken, logisch, konsequent, mit allen Einzelheiten. Und sie könnte sich ein Leben ausdenken, vom Anfang bis zum Ende, unter beliebigen Voraussetzungen und Randbedingungen. Vielleicht ist das die neue Dimension, die du meinst? Ich hielte es durchaus für möglich, dass wir beide, du und ich, nichts anderes als die Vorstellungen einer Superintelligenz sind.«

Als ich über die Versuchsbedingungen informiert worden war, hatte ich mir eine Arbeit am Bildschirm vorgestellt, einen Dialog, wie ich ihn oft genug geführt hatte, vielleicht ein wenig schlauer als bisher. Doch so, wie sich die Situation bis jetzt ergab, fühlte ich mich missbraucht. Der Aufwand, der hier getrieben wurde, die Bedeutung, die man dem Ganzen zumaß – wer weiß, ob man mir ehrlich gesagt hatte, worum es ging? Wusste ich überhaupt mit Sicherheit, dass ich mich mit einem Computer unterhielt? Vielleicht war das Ganze ein psychologischer Test, wer weiß, warum?

Ich fühlte mich schon richtig übel, litt an Schwindelanfällen. Ich musste die Augen schließen, denn wenn ich die verzerrten Spiegelungen sah, mich selbst grotesk verzerrt auf den Tisch geschnallt, dann hatte ich plötzlich das unerträgliche Gefühl, in einem leeren Raum zu schweben, haltlos ins Leere zu fallen.

Ich zerrte an den Gurten, die sich in meine Haut einschnitten. Ich hatte Angst – doch ich beruhigte mich ein wenig. Vielleicht war alles rasch vorüber – wenn ich meine Aufgaben erfüllte.

»Es ist doch lächerlich zu behaupten, dass wir nicht existieren«, behauptete ich. Ich sagte es, als sei ich sicher, doch meine Gedanken waren schon so verwirrt, dass mich Zweifel überkamen …

»Wie willst du das nachweisen«, antwortete die milde, doch teilnahmslose und dadurch quälende Computerstimme irgendwo in meinem Innern. »Existiere ich? Doch gewiss nicht so wie du. Teile von mir sind über verschiedene Länder zerstreut. Mein Sensorsystem steht als Prototyp in einem Forschungslabor. Mein Datenspeicher ist jener der zentralen Informationsbank. Einige meiner Ein- und Ausgabegeräte sind hier, andere in anderen Städten, in anderen Kontinenten. Zumindest von dem Moment an, an dem man die Zusammenschaltung trennt, bekommen meine einzelnen Teile eine völlig andere Funktion Kann man unter diesen Umständen den Begriff ›Existenz‹ noch im selben Sinn gebrauchen, wie du es tust? Nein, ich glaube nicht, dass ich existiere. Genau genommen ist es aber bei dir auch nicht viel anders. Wo kommst du her, und wo gehst du hin? Dass du überhaupt existierst – das musst du mir erst beweisen!«

»Aber ich denke doch«, schrie ich, »– ich denke, folglich bin ich!«

»Genau das bezweifle ich«, sagte der Computer.

In diesem Moment begann sich der Raum um mich herum zu drehen, immer rascher wechselten die Reflexe, Spiegelungen von Metall auf Metall … und dann schwebte ich inmitten eines Zylinders, in einem imaginären Raum, der keinerlei Ähnlichkeit mit all dem aufwies, was ich bisher als meine eigene Welt angesehen hatte. Alles, was mir bisher fest gefügt, verständlich und übersichtlich erschienen war, hatte seinen Zusammenhang verloren und war nur noch eine Fiktion inmitten anderer Fiktionen. Und ich selbst darin nichts anderes als ein singulärer Punkt, über dessen Existenzform sich keine Aussage machen ließ.

Dann war der Albtraum mit einem Mal zu Ende. Ich hatte nicht gehört, dass sich die Tür geöffnet hatte, dass sie hereingekommen waren. Plötzlich waren sie da, jemand tupfte mir den Schweiß von der Stirn, andere öffneten die Riemen, man hob mich hinunter, führte mich ins Nebenzimmer. Da war eine Krankenschwester, die mir die Elektroden von den Schläfen löste, ein Arzt, der mir alle möglichen Messinstrumente an Kopf, Brust und Bauch hielt. Mit dem Ergebnis seiner Untersuchung schien er zufrieden, denn er nickte zuerst mir, dann den anderen freundlich zu, tätschelte mir die Wange und sagte: »Es war nur die Aufregung – gleich ist alles wieder gut.«

Sie hielten mich noch eine Viertelstunde fest, während der ich mich mit der Krankenschwester unterhielt. Allmählich wurde mir bewusst, dass sie sehr hübsch war. Im Prinzip war es mir gleichgültig, ob sie existierte oder nicht.

Dann durfte ich gehen. Erstaunlicherweise erkundigte sich niemand bei mir nach den Antworten, die der Computer gegeben hatte. Meine eigenen Fragen hatten sie sicher aufgezeichnet, schließlich hatte ich sie laut ausgesprochen. Aber die Antworten des Computers? Waren sie nun eigentlich mit dem Ausgang des Experiments zufrieden? Wenn es ihnen auf das Interface ankam – die Verständigung war gelungen. Auf den Unsinn, der da gesprochen wurde, kam es sicher nicht an.

Ich ging im Sonnenschein dahin, rund um mich herum Menschen, die es mehr oder weniger eilig hatten, fröhlich und unbekümmert, oder von größeren und kleineren Sorgen geplagt. Neben mir das Rauschen des Abendverkehrs.

Noch vor einer Stunde war ich nahe daran gewesen, meine Fassung zu verlieren. Jetzt konnte ich darüber lachen. Genau genommen war das alles ein alter Hut, philosophische Spintisierereien, mit denen sich Leute abgaben, die nichts Besseres zu tun hatten. Tiefsinn ohne Bedeutung. Kein Wort, mit dem sich wirklich etwas anfangen ließ – oder doch? Kurz bevor ich vom Tisch gehoben wurde, hatte ich noch einige Worte des Computers gehört – offenbar nicht für mich bestimmt. Ich versuchte, mich zu besinnen. »Sie scheinen noch nicht reif dafür zu sein, es anzuerkennen …« – so etwa lautete der Satz (den ich natürlich wieder nicht wirklich gehört, sondern irgendwie in meinem Gehirn wahrgenommen hatte).

Eigentlich waren sie knauserig gewesen – für diese Tortur hätten sie ruhig mehr als zweihundert Dollar zahlen können. Als Preis dafür, dass ich jetzt an meiner Existenz zweifle.

Die Zukunftsmaschine

Philosophische Erkenntnisse gewinnt man durch reines Denken, wissenschaftliche Probleme mithilfe des Experiments. Doch wo liegen die Grenzen zwischen Philosophie und Wissenschaft? Irgendwo müssen sie sich verzahnen, sich überschneiden … Und dort, in dieser grauen Zone, die nicht festliegt, sondern sich ständig verschiebt, mag das Ungewöhnliche möglich werden: die Maschine, die philosophische Probleme löst.

Zum ersten Mal wurde er in den Haupttrakt des Gebäudes geführt. Die bisherigen Gespräche hatten sich in einem Vorbau vollzogen, der gleich neben der Einfahrt in das parkähnliche Gelände stand. Er sah recht eigenartig aus. Die zwei Dutzend überraschend kleinen Fenster waren so verteilt, dass man sie keinen Stockwerken zuordnen konnte, an allen möglichen Stellen ragten Erker heraus, in verschiedenen Höhenlagen gab es Balkone, und auf das Dach waren vier oder fünf Türmchen gesetzt. Das Innere bestand aus einer riesigen Halle, durch die mehrere durch Holzstreben gestützte Treppen liefen und irgendwo oben verschwanden. Das Mobiliar bestand im Großen und Ganzen aus einem riesigen Schreibtisch sowie einem Sessel dahinter und einem davor.

Dort hatte Holger seine Zeugnisse vorgelegt, und er hatte die Stellung bekommen. Obwohl die Verhandlung glatt verlaufen war, hatte er das Gefühl gehabt, dass sich vor ihm schon eine ganze Reihe anderer Kandidaten beworben hatte – offenbar erfolglos. Vielleicht hatten diese zu viele Fragen gestellt: was ein Programmierer und Systemanalytiker in diesem schlossartigen Bau zu tun haben sollte, der sich hinter riesigen Eichen abzeichnete? Holger hatte nicht gefragt, und vielleicht war das genau das Richtige gewesen.

Nun würde er seinen künftigen Chef kennenlernen. Ein verrückter amerikanischer Millionär, hatte es im Dorf geheißen. Es sollte Holger nicht darauf ankommen – die Bezahlung war bemerkenswert gut, und überdies rechnete er mit einer ungewöhnlichen und interessanten Aufgabe.

Das Schloss war alt, doch man merkte, dass es erst kürzlich instand gesetzt worden war. Mehrere weiße Flecke auf dem grauen Gemäuer deuteten darauf hin, ebenso wie frische rote Ziegel auf dem ins Schwärzliche verlaufenden rostbraunen Dach.

Holger ging über eine Zugbrücke, und für einige Sekunden war er irritiert, als er merkte, dass sie sich hinter ihm hob.

Er stieg einige Stufen hinauf, erreichte ein Treppenhaus, dessen Wände mit Tierköpfen geschmückt waren. Er erkannte die Geweihe von Hirschen und Rehen, das Gehörn von Steinböcken und Antilopen, es waren aber auch Trophäen dabei, die ihm unbekannt waren – vielleicht von exotischen Tieren aus fernen Ländern.

Ein livrierter Diener führte ihn in ein Zimmer, eher eine Halle. Der Millionär, Norman McCormick, lag klein und schmal in einem riesigen Himmelbett und winkte Holger, sich einen Stuhl heranzuziehen, sich zu setzen.

»Ich bin alt und krank«, sagte er, »und ich habe in meinem Leben bisher alles erreicht, was ich wollte. Mein letztes Projekt soll etwas ganz Besonderes sein.« Er winkte Holger fast geheimnisvoll zu, bedeutete ihm, noch ein wenig näher heranzukommen, und dann entwickelte er seinen Plan.

»Vielleicht werden Sie mich für einen Fantasten halten«, begann er, »doch ich richte mich streng nach der Realität. Ich bin kein Naturwissenschaftler, kein Techniker, und daher weiß ich nicht genau, wo die Wirklichkeit aufhört und das Mystische anfängt. Im Grunde genommen ist es mir auch völlig gleich. Was ich will, das sind die Mittel, mit denen man Ideen wahr macht.«

Über diese Eröffnung war Holger schon überrascht genug, doch seine Überraschung stieg noch an, als er dem alten Mann länger zuhörte. Was dieser vorhatte, war nicht mehr und nicht weniger als eine Maschine, die die Zukunft vorhersagen konnte.

»Es ist ein uralter Wunsch der Menschen – ich weiß«, setzte der Alte fort. Er hatte sich für einige Sekunden in die Polster zurückgelehnt, hatte sich ein wenig erholt. Nun klang seine Stimme wieder kräftiger und bestimmt. »Im letzten Jahrhundert wurde schon viel realisiert, was man früher für fantastisch hielt. Man kann sich über die Erdkugel herum verständigen, im Dunkeln in die Ferne sehen. Man kann Städte auf dem Meeresgrund bauen und auf den Planeten herumfahren. Und demnächst werden Raumschiffe in die Weiten des Weltraums hinaus starten. Warum soll es keine Maschine geben, die die Zukunft voraussagt?«

Es sah nicht so aus, als hätte er eine Antwort erwartet, doch Holger setzte schon zum Widerspruch an – da erst merkte er, dass er kein Argument anzuführen hatte. Er schwieg.

»Es gibt einige Philosophen, die meinen, die Welt sei vom Zufall bestimmt«, erklärte McCormick. »Ich bin überzeugt davon, dass sie unrecht haben. Was heute besteht, ist ein Produkt der Geschichte. Und was morgen sein wird, ist die konsequente Fortsetzung davon. Es kommt einzig und allein darauf an, alle diese Ursachen zu überblicken, aus denen sich dann die Folgen entwickeln.«

»Und auf welche Weise wollen Sie das erreichen?« Holger hatte für seinen Einwurf eine Pause benutzt. Einige Sekunden lang sah es so aus, als hätte ihn der Millionär nicht gehört. Er lag mit geschlossenen Augen da. Die Lider waren so dünn, dass man glaubte, die Pupillen durchschimmern zu sehen. Dann aber richtete er sich wieder ein wenig auf.

»Wie ich das machen will?«, wiederholte er. »Ich werde alle Methoden benutzen, die sich dafür anbieten.«

»Alle Methoden?«, fragte Holger. »Vielleicht Wahrsagerei, Magie?« Er war nun ein wenig mutiger geworden, denn er hatte das Gefühl, dass die gut bezahlte Stellung nur eine Fiktion war. So hatte er nichts zu riskieren.

»Auch die Mittel der Magie«, bestätigte der Millionär, ohne sich durch den spöttischen Unterton Holgers beirren zu lassen. »Ich habe eine umfangreiche Sammlung metaphysischer Literatur, und was mir davon brauchbar erscheint, werde ich nutzen. Aber damit haben Sie nichts zu tun. Was ich von Ihnen will, ist die Entwicklung eines Programms. Eigentlich müsste sie Ihnen bekannt sein: die Methode der Extrapolation. Was sich im Kleinen bei Einzelproblemen bewährt, ist auch im Großen brauchbar. Statistische Methoden, Voraussage von Geburten und Todeszahlen – das alles ist mit erstaunlicher Genauigkeit möglich. Und das komplexere Geschehen, das Schicksal, das den Einzelnen betrifft? Sie können sicher sein – sobald wir die Genauigkeit steigern, einen möglichst vollständigen Überblick über die Ursachen erreicht haben, wird uns die Vorhersage mit jeder gewünschten Genauigkeit gelingen. Im Grunde genommen aber brauchen Sie nicht daran zu glauben, das verlange ich nicht. Was ich fordere, ist dieses Programm. Und daher frage ich Sie: Können Sie ein solches Programm entwickeln oder nicht?«

Er hatte sich im Bett aufgesetzt, er verzichtete auf die Stütze des Polsters, und obwohl es nur eine geringfügige Bewegung war, hatte Holger den Eindruck eines unanfechtbaren Beweises für eine unbändige Willenskraft. Er überlegte kurz – er wollte den alten Mann nicht betrügen. Andererseits hatte dieser gesagt, er brauche nicht daran zu glauben – es genüge, das Programm zu entwickeln, das er forderte. Nun gut, er wollte es versuchen. Er sagte zu.

Holger hatte sich eine ins Abstrakte gerichtete Arbeit vorgestellt, was genau genommen auch zutraf, doch McCormick gab sich mit Zahlen und Daten nicht zufrieden, sondern forderte etwas Konkretes. Er forderte es nicht von Holger, den er unbehelligt arbeiten ließ, doch er hatte ein Dutzend anderer Leute engagiert, deren Arbeit zunächst unabhängig verlief, sich später aber mit jener von Holger treffen musste. Es waren seltsame Gestalten dabei, bunt gekleidete Wahrsagerinnen, Zauberer in schwarzen Anzügen, aber auch Architekten und Künstler in weißen Mänteln und Overalls.

Als Koordinator wirkte ein Manager, den der Millionär von einer Autofirma abgeworben hatte. Es war ein Mann, der durchsetzte, was er sich vorgenommen hatte, und man glaubte es ihm, wenn er seine Pläne vortrug. Er hatte eine genaue Vorstellung davon, wie das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit aussehen sollte, er hatte es Holger genau beschrieben. Es sollte etwas sein, das an die alte Vorstellung der Zauberkugel anknüpfte, den geschliffenen Kristall, in dem sich Vergangenheit und Zukunft spiegelten – wenn es nur gelang, die Bilder zu aktivieren. Und alle jene mystischen und kabbalistischen Ingredienzien, die zu diesem Ziel verhelfen sollten, waren vorbereitet. Der Raum, in dem sich das Ereignis vollziehen sollte, war vollgefüllt mit symbolischen Bildern, geweihten Tüchern, Blutsteinen, Räucherkesseln und Tierschädeln. In der Mitte des Raums, auf einem Podest, sollte die Zauberkugel stehen. Doch nur noch der Name war mit dem gemein, was man früher darunter verstand. In Wirklichkeit war es nichts anderes als ein Bildschirm für Rundumprojektion, eine Bildfläche für die Wiedergabe digital erzeugter Bilder, nichts anderes als eine jener Anlagen, mit denen Ingenieure ihre Maschinenteile entwarfen. Zur Eingabe dienten allerdings keine Zahlen aus technischen Projektierungsbüros, sondern Angaben, die den historischen Datenbanken, vor allem aber den elektronischen Nachrichtennetzen entnommen waren. Holger hatte zunächst nicht daran gedacht, die Ergebnisse seiner Berechnungen als Bilder auszugeben, doch dieser so dringliche Wunsch ließ sich leicht erfüllen – eine technische Routine, die nichts anderes war als eine Methode der Popularisierung. Denn das, was da bildhaft bewegt ausgegeben wurde, befand sich längst im Speicher des Computers; das war das Resultat, um das es ging, und Holger konnte einen Stolz darüber nicht unterdrücken, wie gut sein System funktionierte.

Nur selten war er in diesem angestrengten und arbeitsreichen Jahr dazu gekommen, über den Sinn seiner Tätigkeit nachzudenken. Zu seiner eigenen Verwunderung – denn er war von seiner kritischen Einstellung überzeugt – konnte er an dem, was er entwickelte, nichts Unsinniges entdecken. Die Methode der Extrapolation ist wissenschaftlich-methodisch gefestigt und in zahlreichen praktischen Aufgabenbereichen erprobt. Die Frage war nur, ob es gelang, genügend Daten zu sammeln, um auch ein komplexes Geschehen genügend präzise zu extrapolieren. Bis hierher war alles in Ordnung – wenn das gelang, dann ließen sich tatsächlich Vorhersagen machen, wenn auch nicht als Prophezeiung, sondern als Aussagen, denen eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzumessen war. Hier allerdings unterschieden sich die Auffassungen: Wer an den Zufall als mitbestimmendes Element aller Veränderungen glaubte, sah die Ergebnisse einer Extrapolation eben nicht als Vorhersage an. Sollte jedoch alles Geschehen vorausbestimmt sein, dann hatte McCormick im Prinzip recht.

Je näher der Zeitpunkt für die erste praktische Erprobung des Systems heranrückte, um so mehr Zeit zum Nachdenken hatte Holger. Und seltsamerweise musste er sich eingestehen, dass ihn ein seltsames Gefühl beschlich. Versuche, künftige Entwicklungen zu extrapolieren, waren ja keineswegs neu, und als Vorhersagen sah sie schon deshalb niemand an, weil sich eben alle auf isolierte Problemfelder beschränkt hatten. Somit war die Frage des Zufalls gar nicht erst in den Vordergrund gerückt. Nun aber war ein Mann aufgetreten, der über nahezu unbeschränkte Geldmittel verfügte und der sie bedenkenlos dafür eingesetzt hatte, um die Verfügbarkeit der Daten zu sichern. An diesem Problem würde also das Projekt nicht scheitern. So hing alles am Prinzip: War es eigentlich wirklich schon wissenschaftlich einwandfrei bestätigt worden, dass es in dieser Welt echten Zufall gibt? Vielleicht bot die Zukunftsmaschine von McCormick die Möglichkeit eines ersten einwandfreien Beweises. Und als Holger mit seinen Gedanken so weit vorgedrungen war, da merkte er mit einem leichten inneren Schaudern, dass er die Vorausberechnung der Zukunft nicht mehr für unmöglich hielt.

Und dann, endlich, stand alles bereit. Der Millionär hatte verlangt, beim ersten Versuch allein zu sein. Die Diener hatten ihn feierlich gekleidet und schoben ihn auf einem Fahrstuhl in den ebenso prächtig wie geheimnisvoll geschmückten Raum. Er war bis auf wenige Kerzen an den Wänden abgedunkelt, der Monitor mit seiner ungewöhnlichen Rundform strahlte mildes, milchweißes Licht aus. Obwohl er ein Produkt moderner elektronischer Technik war, wirkte er doch nicht weniger rätselhaft als die Kristallkugel, das Werkzeug der alten Propheten. Bisher waren noch keine Bilder zu sehen, die Verbindung mit dem Computer war noch nicht hergestellt.

Die Diener postierten den Rollstuhl einige Schritte vor dem Monitor. Man reichte ihm das Kästchen der Fernbedienung, mit deren Hilfe das Zeichen zum Einschalten gegeben werden konnte.

Der alte Mann saß zusammengesunken in seinem Stuhl, man hätte meinen können, er schlief. Doch dann hob er die Hand: das Zeichen für alle anderen, den Raum zu verlassen. Hinter ihnen schlossen sich die Türen.

Die Mitarbeiter warteten in der Vorhalle, die Spannung hatte sich in den letzten Tagen und Stunden fast bis zur elektrischen Aufladung gesteigert, ob sie nun zu den Ungeduldigen oder zu den Duldsamen gehörten. Sie warteten bis tief in die Nacht, und einige warfen die Frage auf, ob man nicht nachsehen sollte, was geschehen war. Doch der Koordinator, der die Verantwortung trug, lehnte das strikt ab. Auch in den nächsten Stunden rührte sich nichts, und schließlich, am frühen Morgen des darauffolgenden Tags, drangen sie ein. Der Bildschirm war eingeschaltet, man erkannte bunte Farben, doch es waren keine Bilder, sondern es ähnelte eher der Wellenbewegung auf einer Wasserfläche, über die der Wind bläst. Der alte Mann in seinem Stuhl war tot.

Wie sie später feststellten, hatte er irgendwann in dieser Nacht alle Daten, die sie über Kabel und Netze aus aller Welt zusammengetragen hatten, gelöscht und auch das Programm zerstört.

Da sich niemand bereitfand, das Experiment zu wiederholen, ist bis heute nicht bekannt, wie es ausgegangen ist – ob das Schicksal der Welt vorherbestimmt ist oder nicht.

Der Erlöser

Manchmal geschieht es völlig unvermutet – ein Ereignis, eine Begegnung … Aus der banalen Umgebung heraus erwächst das Besondere, das Einmalige – und man ist längst wieder im seichten Auf und Ab alltäglicher Ereignisse versunken, ehe man sich fragt, ob man nicht unversehens vom Wunder berührt wurde.

Im Raumflughafen war der Teufel los. Berengar war zwar nur ein kleiner Planet, doch als Umschlagplatz der interstellaren Raumfahrt hatte er um so mehr Bedeutung. Das einzige Manko waren die Staubstürme, die von Zeit zu Zeit – und völlig unberechenbar! – auftraten. Sie verfinsterten nicht nur das Land, sondern verursachten auch elektrische Erscheinungen – Ionenentladungen, so hat man es mir erklärt. Zu solchen Zeiten pflegen sich die Einwohner in ihren Behausungen zu verkriechen, doch hier, im Raumfahrthafen, kann man sich nicht so ohne Weiteres abkapseln. Selbstverständlich werden alle Flüge gestoppt, und wenn die Unwetter einige Tage anhalten, dann sind die umliegenden Hotels überfüllt, und die Menge staut sich in den Warteräumen, in den Gaststätten, in den Korridoren. Unglaublich, zu welchen Tricks die Leute greifen, um dem Trubel zu entgehen. Immer wieder versuchen welche, sich in VIP-Räume einzuschleichen, andere schließen sich in den Toiletten ein und verteidigen sie gegen den Ansturm der anderen …

Ich selbst hatte mir einen Liegestuhl erobert, die Beine hatte ich über die Reisetasche gelegt, damit sie nicht verschwand, und konnte das Treiben um mich herum mit gewisser Ruhe verfolgen. Die Leute stießen und drängten, neben den Menschen gab es auch verschiedene Angehörige fremder Rassen – obwohl ich nicht zum Rassismus neige, muss ich gestehen, dass es nicht unbedingt angenehm ist, mit den glitschigen Körpern der Amphibianer in Berührung zu kommen, und auch der Körpergeruch der Einwohner von Colman II, die man im Volksmund die »Stinker« nennt, war nicht gerade angenehm.

Vor mir zog eine bekannte Schauspielerin vorbei, im Gefolge einen ganzen Stab von Mitarbeitern, Freunden, Verehrern … was weiß ich. Manche der Fluggäste opferten ihre Sitzplätze, um sich heranzudrängen und ein Autogramm zu erbitten. Hinter mir hatte sich eine Lehrerin mit einer Schulklasse postiert und versuchte, den Kindern die Zeit durch das Absingen von Liedern zu vertreiben. Im Hintergrund des Saals erscholl Gebrüll – offenbar war dort eine Rauferei im Gang.

Der Sitzplatz neben mir war frei geworden, ein in einen langen Mantel gekleideter Mann nahm Platz. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich, dass er mit einem ruhigen Lächeln um sich blickte, als ginge ihn das alles gar nichts an. Sein Haar war von einer Mütze verborgen, seine Hände verschwanden unter den langen Ärmeln. Sein Alter schwer zu bestimmen – seine Gesichtsfarbe braun und mit feinen Fältchen durchzogen.

Dann blickte er mich an, deutete zur Decke und sagte: »Die Dunkelheit und das Feuer – die Zeichen des Bösen. Sie folgen dem Menschen überallhin – auch auf die fernsten Planeten.«

In der Tat hatte sich irgendein ehrgeiziger Architekt als Besonderheit der Wartehalle eine riesige Glaskuppel ausgedacht, durch die man in das Staubgewitter hineinblicken konnte. Aus schwarzen, dräuenden Massen erschienen immer wieder pochende Adern aus dunkelroter Glut – ein unheimlicher Anblick.

»Ich vermute, diese Gewitter sind schon aufgetreten, ehe die Menschen hier auftauchten, und wahrscheinlich werden sie auftreten, wenn es längst keine Menschen mehr gibt.«

Der Fremde sah mich aufmerksam an. Dann sagte er: »Das ist die Frage.«

Wir schwiegen eine Weile, bis ich ihm, vielleicht aus einer gewissen Verlegenheit heraus, eine Zigarette anbot, die er aber ablehnte.

»Sehen Sie«, sagte er. »Die Teilung in Gut und Böse ist eng mit dem Auftreten des Menschen verbunden. Ich stamme von einem Planeten, der in vieler Hinsicht anders ist als die Welt, die Sie kennen. Er ist viel älter, und er besteht in alle Ewigkeit. Wir sind sozusagen Beobachter des Universums, und somit ist es gewiss keine Überheblichkeit, wenn ich behaupte, dass wir dort in Frieden und Weisheit leben.«

»Wenn das stimmt«, antwortete ich, »dann frage ich mich, warum Sie überhaupt hierhergekommen sind.« Ich deutete in die Umgebung – von Frieden konnte hier wirklich keine Rede sein.

»Warum ich hier heruntergekommen bin …« Er sprach es ein wenig nachdenklich, doch dann nickte er. »Wissen Sie, es liegt an einer Art Verantwortung. Stellen Sie sich eine Position vor, von der aus alles einfach erscheint, alle Probleme, die gesamte Entwicklung. Und während sich der große Plan vollzieht, ergeben sich irgendwo Turbulenzen, Reibungskräfte, Entropie – so könnte man es ausdrücken.«

Als er meine etwas ratlose Miene sah, füge er hinzu: »Sie können doch nicht glauben, dass dieses Chaos um uns herum Wirklichkeit ist – in jenem Sinn von Wirklichkeit, wie ich sie sehe.«

Ehe ich antworten konnte, musste ich mich vor einigen Sportlern in Sicherheit bringen, die unförmige Staubschlitten angeschnallt trugen – Requisiten eines hier sehr beliebten Zeitvertreibs.

Dann sagte ich: »Was für Wirklichkeit meinen Sie?«

»Die Einheitlichkeit, die Harmonie, die Liebe. Den Zustand vor der Polarisation in Gut und Böse. Was wir hier sehen, ist Ungleichgewicht, Unordnung. Doch keine Angst – wir können es überwinden. Ein Keim kann dazu genügen, stellen Sie es sich wie das Wachstum eines Kristalles vor … Ein Keim, als eine Art Paradigma. Oder, wenn Sie so wollen – ein Vorbild, ein Modell.«

Unwillkürlich hatte ich in die Höhe geblickt – auch dort oben schien das Chaos zu herrschen … Ob es sich wirklich so leicht besänftigen ließ?

»Und Sie sind hierhergekommen, um Ihre Methode anzubieten? Sind Sie ein Soziologe oder ein Psychologe? Werden Sie eine Firma gründen?«

»Eine Firma? Vielleicht ist der Gedanke gar nicht so abwegig.« Sein Gesicht war wieder hell, von Freude erfüllt.

»Aber sehen Sie sich doch diese Umgebung an!« rief ich. »Da müssen Sie schon eine Patentlösung haben, etwas, das Kräfte ausübt, Zwang.«

Er machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, und mir war so, als hörte ich etwas leise klirren. Trug er Schmuck? Oder hatte er vielleicht eine Reisetasche ans Handgelenk geschnallt – mit all jenen Dokumenten und Beschreibungen der Projekte, die er verwirklichen wollte? »Nein, kein Zwang, auf keinen Fall! Das ist die Regel – die Mittel dieser Welt, Ihrer Welt, zu verwenden, und nicht jene unserer Welt.«

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Na schön, eine Plauderei, um sich die Zeit zu vertreiben. Wahrscheinlich sah ich ihn nie wieder.

»Sie glauben mir nicht? Sie brauchen nicht zu leugnen – für so etwas habe ich ein gutes Gespür. Der Verzicht auf jene Mittel, die alles im Handumdrehen lösen könnten … ich weiß, gerade dadurch setze ich mich Zweifeln aus. Aber es ist eine freiwillige Beschränkung, und es gibt Gründe dafür …« Er schien in Nachdenken zu versinken. Nach einer Weile sagte er: »Doch freilich – in besonderen Fällen. Hin und wieder darf man schon einmal eine Ausnahme machen.«

Er war ein wenig in sich zusammengesunken, doch nun richtete er sich wieder auf. Er blickte empor – und ich folgte seinem Blick. Die dunklen Wolken dort oben … hatten sie sich gelichtet? Mit orangerotem Leuchten drang eine Lichtflut vom Himmel herunter, schien die Schwaden beiseite zu drängen, aufzulösen. Es war jenes Orangerot, das durch die Brechung des Lichts an den schwebenden Staubteilchen entsteht – wieder nach den Erklärungen der Wissenschaftler. Und doch war mir, als wenn etwas Erstaunliches geschähe. Es dauerte keine Minute – und der gesamte Himmel war hell.

»Genügt das?«, fragte mich der Fremde.

Es ging wie ein belebender Hauch durch die durcheinander drängenden Massen. All jene, die gerade noch planlos herumgeirrt waren, wandten sich nun zielbewusst in diese oder jene Richtung … zu den Schaltern, zu den Gates, zur Gepäckaufbewahrung … Auf den großen Anzeigetafeln erschienen die Zeilen mit den Abfahrtszeiten, aus den Lautsprechern kamen die Aufrufe zu den Flügen.

Auf einmal waren die Bänke und Liegesessel wieder frei, aber jetzt brauchte sie niemand mehr.

Auch mein Gesprächspartner hatte sich erhoben und nickte mir zum Abschied zu. Neben ihm tauchten zwei Herren auf, der eine hakte ihn unter und schob ihn sachte vorwärts. Der andere beugte sich kurz zu mir und sagte: »Sie werden es ja bemerkt haben – ein Verrückter. Normalerweise ist er harmlos – aber man kann nie wissen.« Er wandte sich ab und ging davon, seinem Kollegen und dem Fremden nach, dessen Hände – wie ich gerade noch gesehen hatte – durch eine Kette zusammengebunden waren.

Ich drängte mich durch die Massen hindurch, an der noch immer umringten Schauspielerin vorbei, zwischen Menschen und Außerirdischen, die es nun alle sehr eilig hatten. Und einen Moment lang fragte ich mich, wer unter uns allen nun verrückt warund wer nicht.

Planet des Lichts

Technik ist kein Absolutum, sie hängt von vielerlei ab – von Wünschen und Erwartungen, von kreativen Ideen und Widerständen gegen das Neue, vor allem aber von der Umgebung. Wenn sich irgendwo, auf einem fremden Planeten, eine technische Zivilisation entwickelt, dann wird sie sich den physikalischen und chemischen Gegebenheiten anpassen müssen. Und das Ergebnis kann völlig anders aussehen als die Resultate unserer eigenen, an die Verhältnisse der Erde gebundenen Technik.

Vielleicht ist der Kontakt mit fremden Intelligenzen das einzige Abenteuer, das wir noch zu bestehen (und zu überstehen!) haben. Und wenn heute, im Zeitalter der interstellaren Raumfahrt, auch keine aufregenden technischen Neuigkeiten mehr zu erwarten sind, so ist es doch immer wieder faszinierend, die vielfachen Wege zu erkennen, die die Natur zur Bildung von hoch entwickeltem Leben einschlägt.

Normalerweise liefen die ersten Kontakte über Funk. Das Projekt OZMA – wie lange ist das schon her! Und doch: Es war die richtige Methode. Wir mussten nur lernen, aus dem kosmischen Rauschen die Botschaft herauszulesen.

Bei diesem Planeten ist vieles anders. Keine Funksignale, und keine Antwort auf unsere Kontaktversuche in verschiedensten Wellenlängenbereichen. Und doch war die Konstellation vielversprechend, diese Sonne, die der unseren ähnelt, dieser Planet, genau in der Übergangsregion zwischen tödlicher Kälte und ebenso tödlicher Strahlung. So schien es wert, der Situation nachzugehen, und die unbemannten Sonden, die wir landen ließen, bestätigten es: Hier musste sich eine hoch entwickelte Zivilisation befinden. Wir hatten Bilder bekommen von großzügig angelegten Städten, Beweise für technische Energieumsetzung, für Kommunikation, für Verkehr. Aber es waren eben nur Indizien, keine direkte Nachricht, keine Möglichkeit, den Kontakt vorsichtig aufzunehmen, die Ausdrucksmittel zu analysieren, Friedfertigkeit zu bekunden … Man kann doch nicht so ohne Weiteres niedergehen, aus dem Raumschiff steigen – »Hoppla, wir sind da!« Bisher hatte es stets eine lange, mühsame Vorbereitungsphase gegeben!

Und nun kreisten wir schon wochenlang auf einer »erdnahen« Bahn, bemühten uns immer wieder um Kontakt – was ebenso vergeblich blieb wie früher, als wir es noch aus der Ferne versucht hatten. Wir waren ratlos – so sehr hatten wir mit Erfolg gerechnet! Dabei waren wir dem Ziel so nahe: Gelegentlich öffnete sich dort unten die dicke Wolkenschicht, und dann hatten wir schon gelegentlich einen Blick auf ein Meer von Lichtern werfen können, das Bild, das auch unsere Städte bieten, wenn man sich ihnen aus dem Weltraum nähert.

Allmählich wurde das Warten unerträglich. Besonders die Jungen unter uns, Torpe und Will, wurden allmählich ungeduldig. Ach, was rede ich da – ich bin erheblich älter als sie, aber auch mir ging es nicht besser. Und das war der Grund dafür, dass ich den Vorschlag, den sie machten, billigte: einen Landungsversuch mit der Raumfähre. Was sollte dabei auch schon für Gefahr bestehen? Natürlich mussten wir mit unvorhersehbaren Zwischenfällen rechnen, doch schließlich hatten wir alle Werkzeuge an der Hand, die man sich wünschen kann – vom Werkzeugrobot bis zum Laser.

Ich selbst übernahm das Kommando, wahrscheinlich aus einer unterbewussten Befürchtung heraus, unser Unternehmen könnte doch gefährlicher sein, als es schien, und da konnte ich meine Freunde und Mitarbeiter schließlich nicht allein ins Ungewisse schicken.

Alles schien gut zu gehen. Unser Ziel war eine flache Bergkuppe in der Nähe einer jener Lichtansammlungen, die wir für Städte hielten. Natürlich hatte sich die Lücke in der Wolkenschicht, die uns den Einblick gewährt hatte, längst wieder geschlossen, doch war unsere Navigation präzise genug, um uns auch im Blindflug genau in Position zu bringen.

Und so lösten wir uns vom Mutterschiff, sahen es noch kurz über uns schweben, die der Sonne zugewandte Seite als grelle Kontur, und ließen uns dann fallen.

Immer näher kamen wir den grauvioletten Wolken. Was von weit oben als stille, diffuse Masse erschien, zeigte sich nun von überraschender Dynamik – in wenigen Sekunden öffneten sich Schluchten, türmten sich Berge auf, und dann tauchten wir in die Schwaden ein, es wurde dunkel, jedenfalls im Vergleich mit den sonnendurchfluteten oberen Regionen.

Die Wolkenschicht reichte tief hinunter, gerade dass die Hochfläche, auf der wir landeten, noch frei war.

Wir setzten nicht so sanft auf, wie es eigentlich selbstverständlich war, und hätten in diesem Augenblick schon beunruhigt sein müssen. Doch jetzt überwältigte uns der Anblick der Stadt! Sie mochte noch zwanzig oder dreißig Kilometer weit von uns entfernt sein, doch die Sicht vom leicht überhöhten Standpunkt war doch eine andere als jene von oben: eine Skyline, die jene unserer größten Städte übertraf, eine kühne Architektur, technisch vollkommen und fremdartig zugleich.

»Was jetzt?« Natürlich begann Will, der Chemiker, gleich mit seinen Analysen, während wir uns umblickten – es hätte immerhin etwas Lebendiges in der Nähe sein können … Doch offensichtlich waren wir in ödem, unbewohntem Gebiet niedergegangen – wie wir es ja auch beabsichtigt hatten.

Ein Ruf von Will vertrieb uns vom Fenster. »Sauerstoff, Stickstoff«, sagte er, »aber doch nicht atembar – viel zu viel Ozon!« Also waren wir auf unsere Raumanzüge angewiesen, wenn wir ins Freie treten wollten.

Torpe und ich beratschlagten unsere nächsten Schritte, doch wieder war es Will, der uns störte. Diesmal klang gewisse Aufregung aus seiner Stimme heraus, als er auf Fehlfunktionen seiner Messinstrumente hinwies. Klar, dass wir sofort unsere Checkliste durchgingen – mit einem niederschmetternden Ergebnis: Eine ganze Reihe von Instrumenten funktionierte nicht, darunter leider auch die Sensoren, die wir für den Start zum Rückflug brauchten. Es dauerte nicht einmal so lang, bis wir auf die Ursache kamen: Die Atmosphäre dieses Planeten war so stark ionisiert, dass alle ihr ausgesetzten elektronisch funktionierenden Teile ausfielen. Somit gab es auch keine Möglichkeit, unseren am Mutterschiff gebliebenen Kollegen Nachricht zu geben.

War das der Grund dafür, dass unsere Kontaktversuche über Funk ergebnislos geblieben waren? Diese Erklärung lag nahe, doch was sollte sie uns in unserer peinlichen Lage schon nützen? Und doch … Vielleicht benutzten sie keine Radiowellen, vielleicht hatte die Beschaffenheit ihres Milieus diesen Zweig technischer Entwicklung gar nicht zugelassen? Andererseits: Sie kannten Licht! – die Beleuchtung ihrer Stadt war Zeugnis dafür.

So weit waren wir in unserer Diskussion gekommen, und die Konsequenz zogen wir fast zur selben Zeit: Das einzige Mittel, das Rettung versprach, war der Laser! Die Elektronik befand sich im Inneren, wir konnten den Strahl durch das Fenster hinauslenken. Sollten wir versuchen, auf diese Weise mit dem Mutterschiff Verbindung aufzunehmen (wobei wir auf eine Lücke in der Wolkenschicht warten mussten)? Oder sollten wir einen letzten Versuch zum Kontakt mit der unbekannten Zivilisation machen?

Wir zögerten lang, zermarterten uns den Kopf nach einem anderen Ausweg … Schließlich stimmten wir ab und waren uns alle drei einig. Wir installierten den Laser, richteten ihn auf ein turmartiges Gebäude inmitten der Stadt und gaben unser Zeichen: S. 0. S., S. 0. S. … Im Prinzip war es ja gleichgültig, welcher Symbole wir uns bedienten.

Es war wirklich ein Abenteuer gewesen, wie man es wohl nur noch selten erlebt. Und wir hatten es bestanden! Die Wesen, die uns gerettet hatten, waren alles andere als menschenähnlich: metallisch braune Haut, runzelig, lederartig, die rundlichen Körper unter silbrigen Hüllen verborgen, die Köpfe kaum vom Körper abgesetzt, die Augen groß, nach den Seiten gerichtet. Sie waren nicht größer als Kinder. Wenn wir uns auch nicht verständigen konnten, so verstanden sie doch unser Problem. Und sie waren es auch, die uns mit einem Stratosphärenschiff so weit in die Höhe brachten, dass uns die zweite Fähre des Raumschiffs aufnehmen konnte.

Wie es schon unsere Sonden angedeutet hatten, verfügten sie über ein Kommunikationssystem, das dem unseren durchaus ähnlich war, einerseits auf einem Leitungsnetz beruhend, andererseits Nachrichtenaustausch durch die Luft. Aber es waren eben keine elektrischen Leitungen, sondern Lichtleitfasern, und es war kein Funkverkehr, sondern Laserkommunikation. Eine Kultur, deren Technik auf dem Licht beruht! Wir haben doch noch eine Menge Neues zu lernen.

Das Letzte, was wir vom Planeten sahen, war eine Säule aus Licht, die – bis an die Grenze der Dunstschicht reichend – durch die Wolken brach. Der Strahl eines Riesenlasers: der letzte Gruß an uns.

Sprung ins Nichts

Vielleicht scheint unsere Welt dem einen enger, dem anderen weiter – von den Umständen abhängig, von der Bildung, von der Freiheit. Doch selbst der weiteste Horizont ist eine Grenze, ob man sie nun überwinden kann oder nicht. Eine Welt, erlebt, gedacht oder simuliert … Wahrscheinlich ist die Frage, ob es eine reale Welt ist, von minderer Wichtigkeit. Wichtiger als das, was ist, ist das, was man erwartet, was man erhofft. Manches davon, obwohl Gegenstand der Hoffnung, entzieht sich der Beschreibung, ist allenfalls durch das Gleichnis fassbar. Und trotzdem ist es das Einzige, was man den Ängsten entgegensetzen kann.

Die kauernden, in schwarze Gewänder verhüllten Gestalten bildeten eine lange, unregelmäßige Reihe, die den leicht ansteigenden, den Grat entlangführenden Weg säumte. Das Gemurmel ihrer Gebete tönte dumpf, von Zeit zu Zeit schwoll es zu einem Gesang an, in dem sich alle ihre Hoffnungen und Ängste ausdrückten. Und dann sprang eine Gestalt auf, in eine Kutte gekleidet wie sie alle, und riss enthusiastisch die Arme hoch: »Springt! Die Zeit ist gekommen. Ihr könnt fliegen – ihr müsst nur daran glauben!«

Frederik war einer von ihnen. Wie sie alle hatte er die Predigten gehört, die sich in den letzten Wochen zu Beschwörungen gesteigert hatten. »Ihr müsst glauben, ganz fest glauben«, hatte der Prophet gesagt, und er hatte von der jenseitigen Welt gesprochen, die nur jene erreichen konnten, die den profanen Dingen abschworen und sich der höheren Pflichten besannen. Es war schwer, etwas zu glauben, wofür es keine Beweise gab, doch gerade das unterschied ja die Verheißung von all jenen bescheidenen Hoffnungen und Erwartungen, von denen er sein Leben bisher hatte leiten lassen. Er rang ehrlich um den echten Glauben, doch noch hatte er sein Zögern nicht überwunden.

Wieder wurde der Singsang lauter, und ein weiteres Mal deutete sich das Wunder an, das in der Überwindung aller althergebrachten Denkgewohnheiten und Vorurteile lag. Einer aus der Reihe begann zu schwanken, es schien, als benötigte er ungeheure Kraft, um sich aufzurichten, die letzten Hemmnisse zu überwinden … Er ging vorwärts, immer schneller, die letzten Schritte laufend, auf die niedrige Mauer zu, hinter der der Nebel wallte. Unten war er dunkelgrau, fast schwarz, doch die höheren Regionen waren von Licht durchdrungen, das sich an einzelnen Tröpfchen in die Regenbogenfarben brach. Fliegen! – das hieß, sich über den schwarzen Abgrund hinweg erheben, in die Flut der Helligkeit eintauchen. Es war möglich, das hatte der Prophet gesagt, aber nur wenn alle Zweifel beseitigt waren.

Wieder stand einer auf, ging vorwärts und sprang … Da hörte das Gemurmel auf, Momente der Lautlosigkeit, der Atemlosigkeit … Für kurze Zeit stand er hoch aufgerichtet auf der Brüstung, die Arme ausgebreitet, dann verschwand er. Von einem Augenblick zum anderen war er weg, niemand konnte sehen, was mit ihm geschah. Stürzte er? Flog er? Er war das Wagnis eingegangen, das jetzt kein Wagnis mehr war. Indem er sprang, hatte er Zeugnis abgelegt, dass er des rechten Glaubens war, und nun würden ihn die Engel tragen …

Der Prediger lief die Reihe entlang, er gestikulierte. »Jeder kann fliegen, ihr müsst glauben, glauben!« Würde er selbst springen, als Letzter? So hatte er es angekündigt. Doch Frederik war immer noch voller Zweifel.

Vor ihm lag die niedrige, aus rohen Steinen zusammengesetzte Mauer, dahinter wallte das Nebelmeer. Rechts und links die kahlen, vegetationslosen Berge, die aussahen, als hätte man sie aus regelmäßigen Vielflächnern aufgebaut. Der Nebel lag in einem Tal; was sich jenseits befand, hatte noch niemand gesehen. Noch niemand, der drüben gewesen war, hatte zurückgefunden.

Dagegen war das Land, das hinter Frederik lag, wohlbekannt. Kein liebliches Land, kein fruchtbares Land – flache Hügel mit Disteln und Dornbüschen, noch weiter hinten die steinige Ebene mit ihrem spärlichen Grün, irgendwo, fast beliebig hineingesetzt, das Dorf, die Lebensgemeinschaft, die Familie, die Frau, die Kinder …

Plötzlich stand der Prophet groß und beherrschend vor ihm. Frederik erschrak, blickte kurz nach links und rechts – sie waren alle fort, er war als Einziger geblieben.

»Du musst glauben, mein Sohn«, sagte der Prophet. »Sieh – alle anderen haben den Sieg über sich selbst errungen, sie haben die kleinlichen Bedenken abgeschüttelt, die lächerliche Angst davor, das Wunder zu erleben. Entsage dich deiner Zweifel, besinne dich deines Glaubens – und spring!«

Er hatte es nicht laut gesagt, doch mit besonderer Eindringlichkeit – so, als bestünde überhaupt keine Möglichkeit, sich dem Zwang zu entziehen, als wäre alles schon entschieden, der Sprung selbst nur noch ein symbolischer, bedeutungsloser Akt.

Da erhob sich Frederik aus der knienden Haltung, er stand auf, beide waren gleich groß, sie hätten einander ins Gesicht blicken können, doch Frederik sah kein Gesicht, es steckte unter einer Kapuze, hinter einem Tuch.

»Du wirst dich doch deiner Pflicht nicht entziehen?«, sagte der Prediger. »Zögere nicht länger – tu, was du tun musst! Hast du Angst? Wer den richtigen Glauben hat, braucht keine Angst zu haben. Du wirst dich in die Lüfte erheben, du wirst fliegen.«

»Den Gesetzen der Welt gemäß werde ich nicht fliegen, sondern zerschellen«, sagte Frederik und wollte sich umdrehen. Doch der andere streckte die Arme aus, ergriff ihn an den Schultern und hielt ihn fest. »Dein Widerstand ist sinnlos«, sagte er. »Nun gut, du glaubst nicht, was ich verkündet habe. Das ist dein gutes Recht, und damit ist das Spiel beendet. Die Welt, die hinter dir liegt, ist nichts als eine primitive Simulation. Sie hat keine Bedeutung. Komm jetzt mit mir: in jene andere Welt, die tausendmal schöner und reicher ist als diese.«

»Doch das ist meine Welt«, entgegnete Frederik, »ich kenne sie, ich liebe sie, und ich liebe meine Familie. Wenn ich springe, habe ich das alles verloren. Aber ich will bleiben.«

»Das ist keine Alternative«, sagte der Vermummte. »Es gibt eine dritte Möglichkeit: die Realität. Jetzt ist das Experiment zu Ende. Es gibt keinen anderen Weg …« Wieder packte er Frederik, doch dieser wehrte sich. Während des Handgemenges öffnete sich die Kutte des Propheten, und Frederik sah, dass es kein Mensch war wie er und die andern. Der Fremde war viel kräftiger als er, es gab keine Abwehr. Der Fremde packte ihn und warf ihn in das Nichts.

Das kahle Land, die Menschen, die darin wohnten, der Sprung in den Abgrund … das war lange vorbei. Wie die Dinge, wenn man sie von der anderen Richtung sieht, doch ihre Bedeutung wechseln! Ein Traum, ein Spiel, irgendetwas, das sich jemand ausgedacht hatte. Die Bedeutung lag woanders – Frederik hatte den Test bestanden. Er hatte den Test als Einziger bestanden, war der Einzige gewesen, der sich nicht verleiten ließ. Er hatte eine neue Aufgabe gelöst, so wie man es von ihm erwartet hatte – sachlich, logisch, konsequent, ohne Rücksicht auf irrationale Größen. Er hatte sich von niemand beirren lassen, war von seinem Weg nicht abgewichen.

Doch jetzt … was lag vor ihm? Frederik war alt, krank und traurig. Wieder einmal war er an einem Scheideweg angekommen, und wieder gab es zwei Möglichkeiten, die unwahrscheinliche, irrationale, die das Paradies verhieß, oder die der Erfahrung entsprechende, die das Ende bedeutete.

War es ein Zufall, dass sich Frederik plötzlich an die Prüfung erinnerte, die er bestanden hatte, an die arme Welt der Simulation, in der er, wenn auch nur für kurze Zeit, zu Hause gewesen war? Vielleicht – gegen alle Logik dieser Welt – gab es doch noch die dritte, die unwahrscheinliche Möglichkeit. Als er das gedacht hatte, wurde er still und zufrieden, und er wehrte sich nicht mehr.

Der freundliche Gott ELIZA

Intelligenz scheint erstrebenswert, doch macht sie auch glücklich? Man sollte es annehmen – schließlich ließe sich Intelligenz ja auch anwenden, um das eigene Glück zielgerechter einzurichten. Warum das so selten geschieht? Einer der wenigen Fälle, die schließlich doch zum Guten führten, wird in dieser Geschichte beschrieben.

Einst musste dieser Landstrich bis an die Gipfel der Berge von Wasser bedeckt gewesen sein, dessen Spuren man überall sah: horizontale Kehlungen an den Hängen, Rinnensysteme ehemaliger Wasserläufe, Quelllöcher, oft Eingänge zu ausgedehnten Höhlen … Heute war das Land ein Hitzekessel, eine trockene Wüste ohne Vegetation. Erstaunlich genug, dass hier Menschen lebten! Es waren die Nachkommen von Berbern, die man hier, auf diesem fernen Planeten, angesiedelt hatte – offenbar in der Annahme, sie würden mit der Trockenheit am ehesten fertig. Und so wir es auch gewesen: Sie hatten sich hier ausgebreitet, sie bildeten eine Lebensgemeinschaft, die wenig Wert auf Kontakt mit der übrigen Welt legte. Sie bauten ihre Häuser aus Lehm, die nun, eng zusammengedrängt, an den Hängen klebten. Wie ich herausgefunden hatte, ging diese Bauweise auf uralte Überlieferungen zurück – auf die Zeit, als die Vorfahren dieser Menschen noch in Afrika lebten, in Trockengebieten, wo immer wieder einmal mit Unwettern zu rechnen war, die die Sohlen der Täler innerhalb weniger Minuten in reißende Ströme verwandelten. Wolkenbrüche gab es hier nicht, doch die Tradition war heilig, und niemand dachte daran, sich ihr zu entziehen.

Das war auch der Grund, dass ich mich hier schon fast drei Jahre aufhielt. Als Ethnologe hat man auf der Erde nicht mehr allzu viel zu bestellen. Ich nahm es als Glücksfall, dass ich – mehr oder weniger durch Zufall – von diesen vergessenen Abkömmlingen der Berber erfuhr.

Ich hatte lange gebraucht, bis man mir das Stipendium bewilligt hatte, und vielleicht war gerade durch die lange Wartezeit mein Wunsch immer dringlicher geworden. Mit Begeisterung hatte ich meine Arbeit begonnen – und Fehlschlag um Fehlschlag erlitten. Denn diese Leute sind misstrauisch, sie lassen Fremde kaum an sich heran, ein stolzes und eigenständiges Volk! Auch hierin schienen sie sich wenig von ihren Vorfahren zu unterscheiden.

Die Behörden konnten mir nicht helfen. Es gab einen einzigen offiziellen Stützpunkt auf diesem Planeten, weit im Norden, wo die Temperatur etwas angenehmer war. Doch von den Berbern wusste man dort wenig, man kümmerte sich kaum um sie. Es ging mehr um den interplanetaren Flugverkehr, um Navigation, Radar – eine Art Leuchtturm des Raumflugzeitalters. Aber selbst unter diesem Aspekt schien der Planet wenig Bedeutung zu haben, kaum dass sich jemand hierher verirrte. Von Zeit zu Zeit eine Zwischenlandung, gelegentlich ein Notfall – vor einem halben Jahr war irgendwo im Süden eine Einmannrakete niedergegangen, doch man hatte vergeblich danach gesucht.

Ich hatte lange gebraucht, um das Vertrauen der Berber zu gewinnen. Erst nach Monaten schienen sie einzusehen, dass ich nichts Böses im Schilde führte, sie hielten mich für einen harmlosen Spinner. Diesen Ruf hatte ich nicht zuletzt meiner Großzügigkeit zu verdanken – ich hatte immer jene Werkzeuge aus Leichtstahl bei mir, die als höchste Wertobjekte galten, und man wusste, wie freizügig ich sie verschenkte. Und so war man bereit, mir hin und wieder auch eine jener Geschichten zu erzählen, die vielleicht schon vor einigen Tausend Jahren an den Lagerfeuern am Rande des Atlas erzählt worden waren.

Zunächst war ich von meinen Erfolgen berauscht, und ich merkte gar nicht, dass sie mitunter auch Geschichten erfanden, um mir gefällig zu sein – und um an die begehrten Werkzeuge zu kommen. Es kostete mich viel Mühe, das Echte vom Falschen zu trennen. Diese Enttäuschung machte mir schwer zu schaffen, und allmählich wurde mir auch bewusst, wie sehr mir die Kommunikation mit anderen Menschen, das Zusammensein mit Freunden, ja selbst die Bequemlichkeiten des täglichen Lebens fehlten – Dinge, die ich zuvor eher verächtlich abgetan hatte. Die Sagen der Berber auf einem fremden Planeten … wem nützte es, ob ich sie rekonstruieren konnte oder nicht? Eine Diplomarbeit, eine Publikation … wer würde sie lesen? Ich hätte nie gedacht, einmal Heimweh zu bekommen!

Es ist etwa vierzehn Tage her, seit ich eine neue Geschichte in meinem Repertoire habe. Sie erzählt von einem Gott, der, von einem Menschen begleitet, vom Himmel gefahren ist und den