Lokis Ragnarök - Celia Williams - E-Book

Lokis Ragnarök E-Book

Celia Williams

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Beschreibung

Ragnarök – Götterdämmerung – Walhalla ist dem Untergang geweiht. Doch Odin und Freya akzeptieren nicht, dass mit ihrer Welt auch die in Asgard verbliebenen Götter mit untergehen. Sie ersinnen eine gewagte Rettungsaktion und haben Erfolg damit.

 

Ohne Vorbereitung landet Loki in einer ihm vollkommen fremd gewordenen Welt. Er muss sich auf der Erde im 21. Jahrhundert nicht nur neu orientieren, sondern sich auch noch eine Existenz aufbauen. Für Liebesdinge hat er keinen Sinn. Doch diese schleicht sich auf leisen Sohlen an den berüchtigten Luftikus an und überwältigt in vollkommen unverhofft.

 

Vieles kann man Loki nachsagen, er hatte tausende von Frauen, Dreiecksbeziehungen und eine enorme Freude daran, einem anderen Mann sein Weib zu stehlen. Aber nie, wirklich nie, hat er Interesse an Männern gezeigt. Und doch ist da dieser junge Mann in seiner schlichten Dienstuniform und nimmt all seine Sinne gefangen. Wie kann das sein?

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet.

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Celia Williams

Lokis Ragnarök

Gay Fantasy Romance

Meinen ganz besonderen Dank gilt meiner Freundin Iris, die sich kurz vor Weihnachten die Zeit genommen hat mein Buch nicht nur einmal, sondern gleich zweimal zu lesen, um mir die Stärken und Schwächen aufzuzeigen. Mit ihrer Hilfe konnte ich für meine neue Buchreihe einen guten Start hinlegen. Danke! Ebenso möchte ich meiner Familie für die anhaltende Unterstützung danken. Ihr haltet mir den Rücken frei und ermutigt mich immer weiterzumachen. Als Letztes möche ich noch euch Lesern danken. Es macht mir enorme Freude, wenn ich von euch höre und ihr mir mitteilt, wie ihr meine Texte findet. Eure Kommentare ermutigen mich und sind der beste Ansporn, den ein Autor haben kann. Danke!BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Wichtige Hinweise

 Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

E-­Books sind nicht übertragbar und dürfen auch nicht kopiert oder weiterverkauft werden.

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet.

 

Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer‐Sex!

 

Das Ende der Welt

Müde und  abgekämpft blickte Loki auf die Überreste von Walhalla. Alles brach in sich zusammen. Der sturmgepeitschte Himmel verdunkelte sich immer mehr. Wild umherspringende Tornados rissen alles mit sich, Trümmer flogen umher. Die wogenden Wassermassen schlugen meterhoch gegen die Küste und rissen ganze Stücke des Gesteins mit sich. Als gebürtiger Eisriese hatte Loki enormen Einfluss auf die Temperaturen, daher hatte er mit Hilfe dieser Fähigkeit Risse und Spalten vereist, um Asgard etwas länger zusammenzuhalten. Doch dies entsprach etwa der Wunderversorgung mit einem Pflaster bei einer Beinamputation. Es half nicht wirklich.

Resigniert wandte er dem Szenario den Rücken zu und zog sich in die große Götterhalle zurück. Auch hier herrschte ein wüstes Bild. Bänke und Tische lagen kreuz und quer. Zerbrochene Krüge und Schalen mit Essensresten dekorierten sie. Egal wo man hintrat, es knirschte unter den Schuhsohlen. Immer wieder erschütterten Erdbeben die bereits angeschlagene Asenwelt.

Die Welt der nordischen Götter war von den Menschen vergessen worden und dieser Zweig Yggdrasils, des Weltenbaums, verdorrte und starb ab. So war eben der Lauf der Dinge. Für die Bewohner Asgards eher eine unangenehme Nebenerscheinung. Früher, in den ruhmreichen Zeiten der alten Wikinger und Nordmänner, kamen Scharen von gefallenen Kriegern in ihre Welt, um ihre Leben im Jenseits bei ihnen zu Verbringen. Die Gebete und Opfergaben hielten Asgard am Leben. Doch nach und nach verdrängte der christliche Glaube die Vielgötteranbeterei und der Segen für Odin und die Seinen blieb aus.

Mit einem ebenso hoffnungslosen Lächeln empfing Thor den herannahenden Loki. Oft stritten die beiden so unterschiedlichen Götter, doch jetzt erkannten sie, wie in allen Krisenzeiten, dass sie wesentlich mehr gemein hatten und sie weniger trennte, als sie ansonsten dachten. In dieser Zeit des Umbruchs wussten beide, dass ihr ewiger Zank nun für immer endete. Sie würden mit Asgard untergehen.

 

Energischen Schrittes betrat Odin, der Allvater, gefolgt von seiner zierlichen Frau Freya die Methalle und nahm ein letztes Mal auf dem Thron Platz. Nachdem er jedem der Götter in die Augen gesehen hatte verkündete er mit seiner tiefen, volltönenden Stimme: „Wir haben einen Ausweg gefunden. Wir schicken jeden von euch nach Midgard. Heimdall weiß wohin ihr gehen müsst und wird euch dann folgen. Gehabt euch wohl und Glück auf all euren Wegen.“

Diese Worte entsprachen einem Rauswurf und trotzdem fühlte sich keiner der fünf Götter beleidigt. Odin hatte einen Weg gefunden sie zu retten, dafür schuldeten sie ihm ewigen Dank. Daher verneigten sich Thor, Vidar, Balder, Heimdall und Loki tief vor dem Allvater, bevor sie rasch die Halle verließen.

Vorm Passieren des riesigen Portals drehte sich Loki noch einmal um. Er musste diese letzte Frage stellen: „Gibt es auch eine Rettung für euch beide?“

Mit einem sanften Lächeln trat Freya nach vorne und eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel der sonst mental so robusten Göttin. „Nein, nichts was man von hier aus tun kann.“

Diese Antwort ließ nicht nur Loki stutzen. Thor trat zurück in die Halle: „Können wir von unserem Exil aus etwas tun?“

Ruckartig erhob sich Odin von seinem Thron: „Vor allem eure neue Heimat nicht als Exil sehen. Ihr müsst ein neues Leben beginnen, mit eurer neuen Heimat interagieren und dafür sorgen, dass ihr schnellst möglich ein Teil von ihr werdet. Ohne diese Verwurzelung werdet ihr niemals die Hinweise finden um Freya und mich zu retten.“

Mit schmerzlich verzogener Miene erkundigte sich Vidar, Odins Sohn: „Könnt nur ihr oder auch Asgard gerettet werden? Wir verlieren unsere Heimat nicht gerne.“

Aufbrausend stieß Odin sein magisches speerartiges Zepter auf die Halle der bereits verwüsteten Halle. Ein Riss spaltete den Boden und die Ausläufer reichten bis hinüber zu den verharrenden Göttern. „Eure Heimat ist dort. Das hier ist Geschichte. Alles vergeht, nichts währt ewig. Aber ihr könnt uns retten, ihr könnt Freya retten. Konzentriert eure Ambitionen darauf! Jetzt geht!“

 

Als der letzte das große offenstehende Tor passiert hatte, erkundigte sich Odin: „Haben wir das richtige getan, Freya? Was ist, wenn sie den Lauf der Dinge in Midgard verändern? Es dürfen keine Halbgötter geboren werden!“ Obwohl die Entsendung der übrig gebliebenen Asengötter Odins und Freyas einzige Chance auf ein Überleben darstellten, riskierten sie doch die Kontamination der Erde. Durften sie so eigennützig sein?

Mit einem leisen Lachen und einem verschmitzten Zwinkern erklärte Freya: „Mach dir keine Sorgen. Ich habe dem entgegen gewirkt und dafür gesorgt, dass jeder der Fünf in seinem neuen Leben sehr schnell auf die Liebe seines Lebens trifft. Sie werden keine Kinder zeugen, denn diese Partner werden sie ihr Leben lang begleiten.“ Freya drückte sich gerne kryptisch aus, ließ ihre Freunde und Familie rätseln, was sie wohl sagen wollte.

Stirnrunzelnd versuchte Odin die Worte zu durchleuchten. Irgendetwas entging ihm. Dann realisierte er Freyas Wortwahl. „Partner? Im Sinne von männlich?“

Entschieden nickte seine Gemahlin, worauf ihr langer geflochtener Zopf keck über ihren schmalen Rücken sprang.

„Frau, dich darf man sich nicht zum Feind machen“, kam es knurrend vom Allvater. Doch dabei blickte er sein Weib liebevoll an. Er hatte sich immer schon auf Freyas Klugheit verlassen können und auch dieses Mal hatte sie ihn nicht enttäuscht.

 

Die Reise

Heimdall betrat als erstes die Kuppel und aktivierte wie befohlen den Bifröst. All seine Konzentration richtete er auf die zu errichtende Regenbogenbrücke. Als er sein Schwert in die Sicherung der Brücke schob, konzentrierte er sich auf das Ziel der Reise.

Schon vor Jahrzehnten hatte Freya den Untergang Asgards vorausgesehen und an einer Lösung getüftelt. Notgedrungen hatte sie ihre Erkenntnisse mit Heimdall geteilt, da er die verbleibenden Götter würde auf die Reise schicken müssen. Freya und ihr Ziehsohn mochten sich nicht sonderlich, erinnerte er sie doch ständig an Odins Untreue. Trotzdem wischte sie ihr Unbehagen bei Seite und arbeitete verdrossen auf ihr Ziel zu. Sie mussten wenigstens die Asen retten, wenn Asgard schon würde untergehen müssen. Für ihrer aller Heimat gab es keine Rettung. Ohne die zusätzliche Energie durch die Gebete der Menschen fehlte ihnen die Kraft ihre Welt zusammenzuhalten. Im Gegensatz zu den anderen Welten hatte Asgard kein in sich geschlossenes System. Ihre Welt entsprach der Vorstellung der Menschen im Mittelalter. Ihre Heimat war eine Scheibe, also eigentlich ein einziger riesiger Berg. Durch das Fehlen der schützenden Atmosphäre mussten die Götter mit Hilfe ihrer Fähigkeiten einen Schutzwall zur Kälte des Alls schaffen. Doch mit dem Exil eines Großteils der Bevölkerung verteilte sich diese Pflicht auf zu wenige Schultern. Ein Versagen hatte sich lange vorher angekündigt und nur ein Narr hätte davor die Augen verschlossen.

Die Regenbogenbrücke bildete sich schnell, die funkelnden Strahlen breiteten sich schlagartig aus und überstrahlten die verfallende Umgebung. Sie mussten sich beeilen. Nur noch wenige Minuten würde dieser Teil Asgards Bestand haben und dann in den Weiten des Kosmos in einzelnen Fragmenten verschwinden. Aus diesem Grund konnten Odin und Freya nicht einfach mit ihnen gehen. Nur von Walhalla aus konnten sie ihre Kräfte zielgerichtet einsetzen und dafür sorgen, dass der Bifröst nicht in die Unendlichkeit des Kosmos gesaugt wurde.

Als Odins Blutsbruder wurde Loki als erster auf die Reise geschickt. Er betrat mutig den Strahl und löste sich auf. Jeder der Asengötter hatte bereits diese Art des Dematerialisierens kennengelernt, aber nicht jeder von ihnen schätzte diese Fortbewegungsmethode. Doch sie war immer noch eine bessere Alternative als der Tod.

Nacheinander betraten dann Thor, Balder, Vidar und Heimdall die Brücke und lösten sich ebenso wie Loki auf.

Die Welt der nordischen Götter hatte endgültig ihr Ende gefunden, zumindest fast. Zwar würde Walhalla zusammen mit Asgard untergehen, doch es war und blieb ein Teil des Yggdrasil, des Weltenbaums. Odin würde sich gemeinsam mit Freya in den Odinschlaf versenken. So konnten sie, gewissermaßen in Stase, die nächsten Jahrhunderte überdauern. Sollten die exilierten Überlebenden von Asgard eine Rettungsmöglichkeit finden, würden sie Odin und Freya zurückholen. Solange der Weltenbaum existierte, solange konnten auch Odin und Freya gerettet werden. Bis dahin würden sie schlafen und warten.

 

Mit Inbrunst hasste Loki das Reisen durch den Bifröst. Es fühlte sich an als würde es ihn innerlich zerreißen. Er hatte keine Ahnung warum er das immer wieder mitmachte. Nun ja, doch, er wusste warum er sich das antat. Er hatte schlicht und ergreifend keine Alternative. Es beschämte ihn nicht wenig, dass er als Asengott so wenig dagegen tun konnte. Doch den Untergang der Welt zu verhindern stand auch nicht in seiner Macht, ebenso wenig wie in der der anderen Götter. Selbst ihre gemeinsamen Kräfte reichten nicht für dieses Wunder. Er würde nun all seine Energie in die Rettung Odins und Freyas stecken. Zumindest das schuldete er ihnen. Sie hatten Jahrtausende lang sein wankelmütiges Wesen ertragen, hatten hingenommen, dass er nur Unsinn im Kopf hatte und selbst als Familienvater eher eine Katastrophe war. Loki konnte gar nicht zählen wie oft Freya hatte intervenieren müssen, damit Sigyn ihn nicht verließ. Jetzt konnte er endlich diese Schuld begleichen. Diesen Trost hatte er zumindest. Ständig hatte er mit den anderen gewetteifert und jetzt, im entscheidenden Moment, hatten sie alle gleichermaßen versagt.

 

Der Aufprall auf die Erde erfolgte schlagartig und riss ihn aus seinen Gedanken. Das feuchte Gras durchnässte seine Hosen und er sackte auf ein Knie hinunter, um nicht umzufallen. Als er sich auf dem Boden abstütze, entdeckte er die sehr seltsame Kleidung, die er plötzlich trug. Wo kam die denn her? Kopfschüttelnd richtete er sich auf und betrachtete sich genau. Seine Füße steckten in schwarzen Schnürschuhen, die bis über die Knöchel reichten. Sie fühlten sich weich aber fest an. Dieses Schuhwerk schützte die Füße effektiv und im Stillen dankte er Freya für ihre Umsicht. Seine Beine wurden von einem dunkelblauen festen Stoff umschlossen, den es bei seinem letzten Besuch in Midgard noch nicht gegeben hatte. Auch sein Oberkörper wurde von einem seltsamen Material bedeckt. Es war weich, leicht und elastisch. Zudem war auf der Vorderseite des hellblauen Teils das Gesicht eines alten Mannes aufgemalt, der die Zunge weit herausstreckte. Wer fand denn so etwas kleidsam? Loki auf jeden Fall nicht.

Nun verschaffte sich Loki erst einmal einen Überblick über die Umgebung. Wellige Hügel erstreckten sich soweit er blicken konnte. Unterbrochen wurden sie nur von aufgeschichteten Steinwällen und kleinen Baumansammlungen. Irland, da war sich Loki ziemlich sicher. Er hatte auf seinen früheren Reisen dieses Land oft besucht, denn hier gab es viele Anhänger der nordischen Götterwelt. Zwar hatte Loki selbst so gut wie keine Anhänger, aber es enthob ihn auch von der lästigen Pflicht sich um diese zu kümmern und ihre Gebete zu erhören oder auch nicht.

Vor ihm befand sich ein klassisch irisches Cottage. Es bestand aus rosa-hellbraunem Naturstein, gedeckt mit einem weiß gestrichenen Gebälk und schwarzen Schindeln. Auf der rechten Seite führte ein Fußweg an die ebenfalls geweißelte Haustür aus massivem Holz. Der Mittelteil des Gebäudes wurde betont durch einen zusätzlichen Giebel mit einem ebenerdigen Erker. Die Fenster des Cottages waren allerliebst. Sie bestanden aus diagonalen Holzsprossen und kleinen eingesetzten Glasscheiben. Dieses Heim hatte Charme und instinktiv wusste Loki, dass es ihm gehörte. Es fühlte sich zumindest so an.

Als er die Haustüre erreichte, konnte er sie problemlos öffnen, da er die Tür unverschlossen vorfand. Dahinter erstreckte sich ein fast quadratischer Eingangsbereich mit integrierter Garderobe und Abstellfläche für verschmutztes Schuhwerk. Automatisch entledigte sich Loki seiner Schuhe und marschierte auf Strümpfen weiter ins Hausinnere. Jede aufgestoßene Tür offenbarte ihm einen weiteren Teil seines gemütlichen Heimes. Am liebsten hätte er Freya geschnappt und ein Freudentänzchen mit ihr aufgeführt. Odins Ehefrau hatte schon immer gewusst, wie er gerne lebte und was er gerne um sich hatte. Hoffentlich hatte sie auch dafür gesorgt, dass er bald weibliche Gesellschaft fand.

Einen Augenblick erinnerte er sich an seine verstorbene Frau Sigyn. Schon vor einigen Jahrhunderten hatte sie gemeinsam mit ihren gemeinsamen Söhnen Narfi und Vali Asgard verlassen. Sie fanden keinen Gefallen mehr am feudalen Leben in Walhalla. Das Leben dort stellte für die gefallenen Krieger eine Belohnung dar und entsprach dem Grundsatz: Wein, Weib und Gesang. Doch früher oder später wurde einem jeden dieser Überfluss zu viel und sie sehnten sich wieder nach einer einfacheren Existenz. Die Krieger verließen nach und nach Asgard, suchten sich eine neue Heimat in einer der neun Welten. Einige lebten wieder in Midgard, andere zog es nach Wanaheim. Niemand begab sich freiwillig in die Welt der Eis- oder Feuerriesen. Auch die Götter folgten nach und nach den Kriegern, bis letzten Endes nur noch Odin und seine Nächsten geblieben waren. Jetzt hatten auch sie Asgard aufgegeben und sich eine neue Existenz gesucht.

Energisch rief sich Loki wieder zur Ordnung und durchstreifte weiter sein Heim. Im Erker entdeckte er einen massiven Schreibtisch und darauf ein modernes technisches Gerät. Als er davor stand bildete sich in seinem Verstand all das Wissen für dessen Benutzung. Freya dachte auch an alles. So wie er sich die Dinge betrachtete, erschloss sich ihm wie sie funktionierten und für was man sie benutzte. Er würde es viel leichter haben als erwartet. Erleichterung machte sich in Loki breit. Er hatte etwas Angst gehabt sich erst in einer vollkommen fremden Welt zurecht finden zu müssen. Doch auch da hatte die Göttermutter vorgesorgt. Natürlich hätte er öffentlich niemals eigestanden, dass er sich vor solch einer Lappalie fürchtete, aber im Stillen und nur für sich selbst konnte er es zugeben. Loki belog sich niemals selbst. Bei all den Lügen die sein Leben füllten musste er wenigstens mit sich selbst ehrlich sein.

Nach Beendigung seines Rundgangs kehrte er aus dem Obergeschoss, wo er ein schmuckes Badezimmer und zwei Schlafräume vorfand, zurück ins Erdgeschoss. Es zog ihn magisch an den Computer. Mit einem Tastendruck aktivierte er den PC und setzte sich auf den Bürostuhl. Schnell fuhr der Rechner hoch und auf dem Bildschirm erschien die Eingabemaske für das Passwort. Ohne lange nachzudenken tippte er „Brisingamen“ ein. Der Raub von Freyas Armband stellte in seiner Zeit in Asgard sein größter Erfolg dar, auch wenn Heimdall es der Göttermutter zurück brachte. Natürlich hatte sich Heimdall mit dieser Aktion nur Freyas Zuneigung erarbeiten wollen, doch funktioniert hatte es nicht wirklich. Jetzt dankte er dem grüblerischen Asengott für seine Umsicht. Denn ohne diese Machtverstärkung hätte Freya es vermutlich nicht zu Wege gebracht sie alle zu retten. Ein Schütteln erfasste Lokis Körper. Wenn Freya nachtragend wäre…

Seine Konzentration kehrte zurück zum Bildschirm. Er entdeckte einen Ordner mit dem Namen „Arbeit“. Leidvoll verzog er den Mund und klickte ihn an. Als Asengott hatte er nie wirklich arbeiten müssen. Er war natürlich zusammen mit Thor in Schlachten gezogen, hatte gefochten, gekämpft und das ein oder andere Mal für die Asen vermittelt, an ihm war ein Diplomat verloren gegangen. Aber die meiste Zeit hatte er damit verbracht den anderen Asen Streiche zu spielen. Oft hatte er Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre damit verbracht seinen Schabernack zu planen und dann auszuführen. Diese Tatsache hatte ihm in Midgard einen eher schlechten Ruf eingebracht. Er galt als Tunichtgut und Schlitzohr. Da sich Loki aber prinzipiell nichts aus der Meinung anderer machte, störte ihn das wenig.

Das Fenster ploppte auf und zeigte ihm seine sogenannte Arbeit. Loki warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Dieses Betätigungsfeld passte perfekt zu ihm. Er schrieb Romane, Bücher über mutige Helden, die jede Situation meisterten und jeder Lage Herr wurden. Als er die Klappentexte studierte erkannte er, dass er im Grunde nur seine und die Erlebnisse anderer Götter neu interpretierte. Er packte ihre Erfahrungen in ein modernes Gewandt, gab ihnen einen Tupfer moderner Spannung, wie ein Komplott hier und da oder eine kleine Intrige im Hintergrund, und schon war alles in Butter. Die wenigsten Asenabenteuer hatten ihren Weg in die Sagenwelt der Menschen gefunden. Einzig die Edda zeugte von dem Leben der nordischen Götter und da hatten sich durch anfangs mündliche Überlieferung so viele Fehler eingeschlichen, dass einige Teile so weit weg von der Wahrheit waren, wie der Mond von der Erde. Loki hatte also noch ein riesig großes Füllhorn an verwertbarem Material. So konnte er problemlos seinen Lebensunterhalt bestreiten ohne körperlich arbeiten zu müssen. Er stellte es sich schrecklich vor auf dem Bau, in einer Metzgerei oder gar im Verkauf arbeiten zu müssen. Wobei er sich als Verkäufer sicher gut machen würde. Loki konnte einem Eskimo sogar einen Kühlschrank verkaufen.

Der Postbote

Mit staunendem Blick näherte sich Sean der neuen Adresse auf seiner täglichen Postrute. Früher hatte hier eine alte Dame gelebt und ihre Post wurde postlagernd verwahrt, bis diese sie beim wöchentlichen Einkauf abholte. Vor einigen Monaten war die alte Lady verstorben und ihre Angehörigen hatten sich um ihren Nachlass gekümmert. Jetzt hatte das adrette Häuschen wieder einen Bewohner und zu Seans Leidwesen musste er diesem die Post zustellen. Normalerweise störte ihn sein Job wenig. Er liebte es bei Wind und Wetter draußen zu sein. Aber dieses Cottage lag sehr weit ab vom Schuss. Er hatte einen Weg von über drei Kilometern vor sich, bevor er die nächste Adresse auf seiner Rute erreichte. Leider stand ihm für seine Zustellung nur das übliche Postfahrrad zur Verfügung und er brauchte für diesen Extraweg eine gute halbe Stunde. Somit verschob sich sein Feierabend von sechzehn Uhr auf sechzehn Uhr dreißig. Aber alles Jammern half nichts. Wenn Sean Urlaub hatte musste ein anderer diesen beschwerlichen Weg hierher radeln, denn die Zufahrt bestand nicht aus Asphalt oder Pflaster, sondern war naturbelassen. Erst kurz vor der Haustür gab es einen mit Natursteinen ausgelegten Weg.

Leicht verschwitzt schwang Sean sein Bein über den Sattel und bockte sein Rad auf den massiven Ständer auf. Auf keinen Fall durfte sein Rad umkippen, denn dann musste er erst mühsam alle Zustellung neu sortieren. Auch das war ihm in der Anfangszeit ein Mal passiert und er würde dafür sorgen, dass es nie wieder vorkam. Aus dem Lenkerkorb zog er ein gut verklebtes Päckchen und einige Briefe unterschiedlicher Größe. Wenigstens hatte er nicht wegen unnötiger Reklame hierher kommen müssen.

Als sich Sean dem Haus näherte konnte er nirgends einen Briefkasten entdecken. Vermutlich gab es keinen, da die alte Dame ihre Post ja in Dingle abgeholt hatte. Beherzt näherte sich Sean der Haustür und betätigte die Klingel. Ein lautes schepperndes Schrillen erklang drinnen und Sean zuckte solidarisch mit dem neuen Bewohner zusammen.

Fuck! Was für ein Lärm. Loki sprang auf und umrundete seinen Schreibtisch. Obwohl er die blöde Türklingel zum ersten Mal gehört hatte, wusste er, dass es sich um nichts anderes handeln konnte. Schnellen Schrittes durchquerte er den Flur und riss die Tür auf. Auf der Fußmatte stand ein schnuckeliges Kerlchen mit einem Paket in den Händen. Häh? Kopfschüttelnd vertrieb er diese gedankliche Entgleisung. Wie es nun einmal seinem Wesen entsprach musterte Loki den fremden jungen Mann von oben herab und begrüßte ihn mit einem überheblichen „Ja?“.

Im ersten Moment hätte Sean sich am liebsten auf den Boden gekniet und die Erde angebetet auf der dieser Gott von einem Mann wandelte. Doch sein Verhalten belehrte ihn sofort eines Besseren. Der Kerl war ein arroganter Arsch und hielt sich für etwas Besseres. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte er dem aufgeblasenen Affen seine Post in die Hand und wünschte ein geknirschtes: „Schönen Tag noch“ und weg war er. Die Wut trieb ihn voran. Noch nie hatte er so energisch in die Pedale getreten. Bis er wieder zu Sinnen kam befand er sich schon am Gartenzaun seiner nächsten Anlaufstelle. Mit einem herzzerreißenden Seufzer warf er die wenigen Briefe in den Postkasten und fuhr weiter. Seine Gedanken kreisten aber weiter um den neuen Bewohner des Cottage. Der Kerl war eine Augenweide. Anders konnte man ihn nicht beschreiben. Mindestens eins neunzig groß, breite Schultern und einen fitten durchtrainierten Körper. Trotzdem wirkte er nicht bullig oder wie ein Bodybuilder. Im Grunde sah er aus wie ein Kerl, der mit seinem Körper arbeitete. Das konnte sich Sean aber beim besten Willen nicht vorstellen. Als schwuler Mann hatte er ein Auge für Mode und die Kleider, die der Fatzke trug, kosteten mehr als er in einem Monat verdiente. Wer trug schon Jeans von Armani, zum Teufel? Jemand der es sich leisten konnte. Seufzend akzeptierte Sean, dass der arrogante Arsch wenigstens gut anzusehen war. Darauf freute er sich jetzt schon, auch wenn er sich über den Typen heute so aufgeregt hatte, schließlich bekam man nicht ständig so etwas zu sehen.

 

Erstaunt betrachtete Loki den Stapel Post in seiner Hand, dann blickte er dem davon radelnden Postboten hinterher. Was war hier gerade passiert? Konzentriert rief er sich die Begegnung noch einmal ins Gedächtnis und fand schnell eine Antwort. Er hatte sich dem Kleinen gegenüber sehr unhöflich verhalten. Er hatte ihn weder begrüßt noch verabschiedet. Zudem hatte er ihm sicher das Gefühl vermittelt eine Störung zu sein. Morgen würde er sich dafür entschuldigen, schließlich kannte er hier niemanden und irgendwo musste man anfangen. Allgemein kannten Postboten und Supermarktangestellte alle wichtigen Leute, daher musste Loki mit ihnen ins Gespräch kommen.

Leise schloss er die Tür hinter sich und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Die Briefe legte er zur Seite und öffnete als erstes das Päckchen. Zum Vorschein kam ein sorgsam verpacktes hartgebundenes Buch. Als er die Front betrachtete stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Wie es aussah handelte es sich um sein neuestes Werk. In groben Zügen basierte es auf einer der vielen Thormythen. Das Leben des Hammerschwingers bot eine Fülle an Möglichkeiten, die Loki alle auszuschöpfen gedachte. Grinsend öffnete er den Buchdeckel und erstarrte. Auf der ersten Seite fand man nicht nur den klassischen Klappentext, sondern auch ein Foto von ihm selbst. Es beruhigte den ehemaligen Asengott etwas, dass Schriftsteller selten so berühmt wurden, dass man sie auf der Straße erkannte. Loki mochte sein neues Leben etwas beschaulicher und vor allem anonymer. Er hatte immer Probleme damit gehabt seinen Schabernack auszuhecken, da man ihn so genau im Auge behalten hatte. In manchen Momenten hatte Loki sogar vermutet, dass Odin seine Gabe der Voraussicht genau dazu genutzt hatte. Zwar hielt er es für übertrieben extra eine Auge zu opfern, nur um ihn beobachten zu können, aber wie sagte man so schön: Jedem das seine! Energisch klappte er das Buch zu und reihte es bei seinen anderen Werken im Regal ein. Er zählte stattliche neun Bände und da er sichtlich davon leben konnte, musste er wohl mit der Schreiberei wirklich Erfolg haben.

In diesem nun ruhigen Moment konzentrierte sich Loki ganz auf sein Innerstes, lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag und ließ die neuen Eindrücke seines noch fremden Lebens durch sich hindurch strömen. Er musste ein Gefühl dafür bekommen, um entscheiden zu können, wie er weiter vorgehen wollte. Ihm wurden schnell mehrere Dinge bewusst. Freya hatte ihm ein komplexes imaginäres Leben verpasst. Er stammte in dieser Welt tatsächlich aus Irland und seine Eltern hatten die irrsinnige Idee ihn Loki zu nennen, da ihre Vorfahren aus Norwegen eingewandert waren. Um sich später stärker von der Masse der Autoren abzuheben, nahm Loki einen raffinierten Künstlernamen an. Er nannte sich seit Veröffentlichung seines ersten Buches L. Laufeysson. Seinen eigenen Namen Loki Jötunnsson hielt er auf diese Art geheim. Da es im Englischen gar keine Punkte über dem „O“ gab, machte er es so seinen Fans auch leichter. Das entsprach zwar nicht seiner fiesen Veranlagung, aber da hatte Freya wohl einen Kompromiss eingehen müssen.

Als Loki aufstand um in die Küche zu wechseln, fiel sein Blick fast automatisch hinaus auf die Zufahrt. Nur wenige Meter hatte der Vorbesitzer gepflastert, der Rest bis zur Hauptverkehrsstraße bestand aus festgefahrenem und grasbewachsenem Mutterboden, ein klassischer Feldweg. Mit gerunzelter Stirn musste Loki wieder an den aufgebrachten Postboten denken. Seufzend musste er zumindest für sich selbst eingestehen, dass er ebenfalls angepisst reagiert hätte, nachdem er einen solch beschwerlichen Weg auf sich genommen hätte. Vielleicht sollte er dem Kerlchen etwas Gutes tun. Konzentriert dachte er über alle Möglichkeiten nach, während er sich aus dem Kühlschrank etwas Wurst und Käse holte. Während er zwei Scheiben Brot belegte und diese auf einem Teller anrichtete, kreiste sein Verstand um die bestehenden Möglichkeiten. Am liebsten hätte er jemanden engagiert, der die Auffahrt pflasterte, doch diese hatte eine enorme Länge und es würde Unsummen kosten. Er sollte wohl etwas kleiner ansetzen. Dieser Gedankengang brachte Loki zum Lachen. Vor seinem Abstieg nach Midgard war er ein Gott gewesen, er hatte an manchen Tagen über den Tod von tausenden und abertausenden Menschen entschieden und heute scheute er die Ausgaben für Pflasterarbeiten. Aber er durfte nicht auffallen.

Stirnrunzelnd dachte er nun über diesen Gedankenblitz nach. Warum sollte er nicht auffallen dürfen? Die Antwort stahl sich wie ein Lichtstrahl zwischen dicken Regenwolken hindurch in sein Gehirn. Obwohl sie Asgard verlassen und viele ihrer Fähigkeiten verloren hatten oder sie verringert wurden, waren sie noch immer Götter. Sie hatten zu viel Macht in sich und dies würde sich zeigen. Mit einem Keuchen erkannte Loki, dass er kein normales Leben vor sich hatte. Ihre Unsterblichkeit blieb durch den Fall unangetastet. Zwar konnten sie sterben, zum Beispiel durch eine schwere Krankheit oder durch einen Unfall, aber niemals an Altersschwäche. Damit hatte ihnen Freya keinen Gefallen getan, zumal die früher exilierten Götter eine normale Lebensspanne erwartet hatte. Sie würden ewig Fremde unter Fremden bleiben. Wie sollte man sich integrieren und anpassen, wenn man im Voraus wusste, dass man alle Freunde und Bekannte überleben würde? Vielleicht sollte er einfach eine Familie gründen? Er hatte in seinem alten Leben schon Kinder gezeugt und eine Ehe geführt. Er konnte das!

Doch dieser Gedanke brachte ihn zurück zu dem rothaarigen Postzusteller. Was war nur mit dem Kerlchen? Loki schüttelte über sich selbst den Kopf. Vielleicht sollte er ihm einen Korb unters Vordach stellen, damit er die Post darin deponieren konnte, wenn Loki einmal nicht zuhause war. Ebenfalls wäre es vielleicht ein netter Zug, wenn er ihm einen Kaffee oder eine Tasse Tee anbot. Der Weg hier heraus war schließlich weit.

Im Pub

Vor sich hinstarrend saß Sean an der Theke im Pub. Das Dick Mack's gehörte zu den beliebtesten Lokalen in Dingle und bestach durch seine große Bierauswahl, sein hervorragendes Essen und die gute Live-Musik, die regelmäßig dort gespielt wurde. Doch Sean hatte heute kein Ohr für die dreiköpfige Folkband. Seine Gedanken kreisten um den Rüpel aus dem Cottage. Was bildete der sich überhaupt ein? Immer wieder tauchte das Bild des gottgleichen Adonis vor Seans innerem Auge auf und er musste sich beherrschen um nicht zu sabbern. Für jemanden der sehr kritisch seine Mitmenschen betrachtete stellte dieses Verhalten ein wahres Novum dar. Hätte der Kerl ihn angelächelt und freundlich angesprochen, wäre Sean wahrscheinlich wie heiße Butter zu dessen Füßen zusammengeschmolzen. Doch so bestand nicht die Gefahr, dass dies passierte. Der Typ war einfach unausstehlich. Normalerweise ließ sich ein O’Neill nicht so leicht kränken, sie hatten bekanntlich ein dickes Fell. Doch es hatte Sean verletzt, dass der neue Bewohner so von oben herab war. Er hatte ihn behandelt wie einen nichtswürdigen Leibeigenen. So etwas konnte Sean einfach nicht ab.

Missmutig hob Sean sein Pint an und nahm einem tiefen Schluck des Weizengebräus. Erst als sich Cormac zu ihm setzte hob sich Seans Laune. Sein bester Freund hatte schon immer die Fähigkeit ihn aus seinen Grübeleien zu reißen.

„Über was denkst du jetzt schon wieder so angestrengt nach?“, kam es auch postwendend von Cormac, der ebenfalls ein Glas Bier in der Hand hielt. Der Farbe nach trank er ein Irish Stout.

Seufzend sah Sean seinen Gesprächspartner an: „An den Schnösel aus dem Lumley-Cottage.“

„Du musst da rausfahren? Das ist eine ganz schöne Strecke. Bekommst du das zusätzlich bezahlt?“, kam es wie aus er Pistole geschossen von Cormac zurück.

Kopfschüttelnd hob Sean den Blick und meinte nur in säuerlichem Ton: „Natürlich bekomme ich das nicht zusätzlich bezahlt. Das wird durch das Porto abgegolten. Im Grunde finde ich den zusätzlichen Weg nicht so schlimm, aber der Kerl ist einfach die Höhe. Der hat mich von oben herab behandelt als wäre er der Gutsherr und ich sein Diener. Ich kann das nicht ausstehen!“ Als Sean das Wort Porto aussprach, deutete er mit den Zeige- und Mittelfingern beider Hände Gänsefüßchen an um zu verdeutlichen, dass so der extra Aufwand niemals hereinkam. Dort hinzufahren war einfach unwirtschaftlich. Vielleicht sollte er einen Antrag stellen, damit seine Vorgesetzten den Kerl anschrieben. Die Postlagerung von Mrs. Lumley war doch gut gewesen und das hatte immer funktioniert. Warum konnte der neue Besitzer es nicht auch so handhaben? Gleichzeitig zog aber auch ein dumpfer Schmerz durch Seans Unterleib. Es fühlte sich nicht richtig an solch eine Anfrage zu stellen. Vielleicht sollte er doch erst einmal abwarten, wie sich die Sache weiter entwickelte? Unter Umständen hatten sie sich gegenseitig nur auf dem falschen Fuß erwischt? Sean wollte sich eine gewisse Offenheit bewahren und sehen, wie es morgen lief.

Mit diesem Entschluss nahm er einen weiteren Schluck seines Biers und konzentrierte sich endlich auf die gute Folkmusik. Die Band hatte die klassischen Folkrhythmen mit keltischer Musik kombiniert und daraus eine sehr gut klingende homogene Mischung gemacht. Die Musiker verdienten es, dass man ihnen aufmerksam lauschte.

 

Ständig wälzte sich Loki in seinem Bett hin und her. Er fühlte sich, als würden die Wände näher kommen. Einerseits fühlte er sich in seinem neuen Schlafzimmer so heimisch, als würde er schon ewig hier schlafen, andererseits war alles auch fremd. Seine Gedanken ließen ihm einfach keine Ruhe. Immer wieder kreisten seine Überlegungen um die Entscheidung ein Bild von sich in seinem neuen Buch abzudrucken. Da er noch immer ewig lebte, konnte ihn dieser Entschluss früher oder später einholen. Seine Hybris war dann doch nicht so groß, dass er glaubte unfehlbar zu sein, zumal in diesem Fall nicht einmal er diese Wahl getroffen hatte. Freya hatte es so bestimmt und die Muttergöttin machte keine Fehler. Brisingamen sorgte dafür, dass sie im Allgemeinen keine Fehler machte. Mit gerunzelter Stirn starrte Loki an die Holzbalken über sich. Im Dunkel der Nacht wirkten die Schatten tiefer und etwas unheimlich. Als Gott brauchte er sich vor nichts zu fürchten, aber ein Gefühl des Unwohlseins durfte er sich durchaus zugestehen.

Plötzlich kam ihm ein Gedankenblitz. In seinem vorherigen Leben hatte Loki die Fähigkeit gehabt die Gestalt zu wechseln. Er hatte zu einem Tier werden können und auch zu einer anderen Person. Konnte er das noch immer? Wenn ja spielte es keine Rolle, dass es ein Bild von ihm als Autor L. Laufeysson gab. Er würde, wenn er die Identität wechselte, einfach auch sein Aussehen verändern. Instinktiv konzentrierte er sich auf seine Gesichtszüge und fühlte das einsetzende Gefühl der Umformung. Es zog und zwickte etwas. Doch bevor er wirklich sein Aussehen ändern konnte, schien sich etwas in ihm dagegen zu wehren. Freya hatte auch hier für eine gewaltige Einschränkung gesorgt. Früher hatte er beliebig hin und her wechseln können. Jetzt stellte es eine dauerhafte Veränderung dar. Wenn er sich wandelte konnte er nicht mehr zur alten Gestalt zurück, sie wurde wie die Daten auf einem Videoband gelöscht und überschrieben.

In seinen Gedanken blitzte wieder das Bild des Postboten auf. Das Kerlchen hatte ihn im ersten Moment, bevor er sich so unbeliebt gemacht hatte, regelrecht angeschmachtet. Das wollte er nicht gefährden, daher musste er seine Gestalt behalten. Warum durfte er daran nicht herumpfuschen? Seine Gefühle ließen es einfach nicht zu, doch er hatte keine Ahnung warum. Nun gut – früher oder später würde er erfahren was dahinter steckte. Bis dahin würde er den Rothaarigen noch etwas besser kennenlernen. Mal sehen, vielleicht sollte der Mann ja sein bester Freund werden?

Fürs erste war er also auf diese Gestalt festgelegt, zumindest wenn er menschlich aussehen wollte. Trotzdem musste er noch testen, ob er wenigstens seine Jötunnengestalt annehmen konnte und wieder in die aktuelle Menschenform zurück kehren konnte. Mit geschlossenen Augen rief er sich sein eigentliches Aussehen in Erinnerung und transformierte sich. Als er fühlte wie das Eis von ihm Besitz ergriff fühlte er eine tiefe Zufriedenheit. In Asgard hatte er sehr selten seine  eigentliche Form angenommen, es hatte den Asen immer in Erinnerung gerufen, dass er anders war. Doch Loki wollte sich zugehörig fühlen. Auch hier würde er darauf verzichten müssen als Eisriese herumzulaufen. Würde man ihn entdecken würden ihn die Menschen jagen und einsperren, wenn sie es fertig brachten.

 

***

 

Mit ausdruckslosem Gesicht blickte Odin in die zerfallende Methalle. Alleine das Gefühl von Freyas Hand auf seiner Schulter hielt ihn im hier und jetzt fest. Lächelnd sah er zu seiner Frau auf: „Sie finden sich in ihren neuen Leben zurecht. Noch hat keiner von ihnen erkannt, dass du ihre Veranlagung verändert hast.“

Schnaubend schüttelte Freya den Kopf: „Ich habe dafür gesorgt, dass sie es nicht sofort auf mein Eingreifen zurückführen. Ein jeder von ihnen würde es aus Prinzip ablehnen, wenn sie es von außen veranlasst vermuteten. Sie müssen zumindest am Anfang glauben, dass es ihre ureigenen Empfindungen sind. Vor allem bei Loki ist es wichtig. Als geborener Jötunnen fühlte er sich immer minderwertig und kaschierte dies erfolgreich durch seine Eroberungen und Bettgeschichten. Der einzige Ausrutscher zum eigenen Geschlecht hatte er als er Sleipnir gebar und das sieht er nicht so, schließlich war er zu diesem Zeitpunkt weiblich.“ Ein Kopfschütteln begleitete Freyas Äußerung.

Nickend stimmt Odin zu. Loki würde sich damit am schwersten tun. Er war sich seiner Göttlichkeit am unsichersten und kompensierte dies oft mit Arroganz und unangemessenem Verhalten. Obwohl er zu den intelligentesten Asen gehörte, machte er aus Leichtsinnigkeit die meisten Fehler. Allein die Geschichte mit Balder bewies dies augenfällig. Fast hätte er zugelassen, dass der beliebte Gott durch einen Mistelzweig starb. Dies hätte weitreichend Konsequenzen zur Folge gehabt und konnte in letzter Minute durch Heimdall verhindert werden. Freya zeigte keine Nachsicht, wenn ihre leiblichen Kinder zu Schaden kamen und Balder liebte sie sehr.

„Er wird es schon schaffen, er muss“, kam es nachdenklich von Odin. Zwar sollten die früheren Götter keinen bewussten Einfluss auf das Geschick der Menschheit nehmen, würden es indirekt aber doch tun. Wenn Odin richtig vermutete, würden die fünf Abgesandten dafür sorgen, dass der Menschheit Jahrzehnte an Krieg, Leid, Hunger und Armut erspart blieben.

„Wollen wir es hoffen“, entgegnete Freya in traurigem Ton. Ihre Augen lagen auf dem bröckelnden Boden. Die vordere Wand und das ehemals beeindruckende Eingangstor Walhallas war schon dem Untergang zum Opfer gefallen. Nur noch wenige Stunden und von ihrer ehemals so strahlenden Welt würde nichts übrigbleiben.

„Denkst du, sie finden eine Möglichkeit uns zu retten?“, kam es nachdenklich vom Allvater.

Erstaunt sah Freya ihren Gatten an: „Das fragst du mich? Du bist der mit der Fähigkeit in die Zukunft zu sehen, sag du es mir!“

Ein trauriges Lächeln erschien auf Odins Gesicht: „Du weißt, dass ich meine eigene Zukunft und die meiner Lieben nicht sehen kann. Es ist wie es ist.“ Tröstend zog er seine Gemahlin an sich.

Seufzend schmiegte sich Freya in Odins starke Arme. „Sie sind klug, vor allem Loki und ihn erwartet die schwierigste Aufgabe. Er muss die Möglichkeit finden und auf eine Lösung hinarbeiten.“

„Was denkst du, wie lange wird Loki brauchen, um zu erkennen, dass Fenrier uns retten kann?“

„Ich hoffe, er erkennt es schnell. Er hat wegen der Einschränkung Tyrs noch immer ein schlechtes Gewissen und möchte mit seinem Sohn daher wenig zu tun haben.“ Freyas Stimme klang fatalistisch, fast schon etwas hoffnungslos.

Doch Odin straffte die Schultern und erklärte im Brustton der Überzeugung: „Tyr hat sein Schicksal selbst gewählt und zudem in Wannenheim ein glückliches Leben verbracht. Noch nie hat sich Loki vor seiner Verantwortung gedrückt. Er mag ja ein Hallodri sein, der mehr Frauen beglückt hat als Casanova, aber er hat noch nie gekniffen, zumal das Problem mit dem Wolf nicht bei Loki lag. Wir haben uns falsch verhalten, unserer Angst nachgegeben und Tyr hat dafür den Preis bezahlt. Wir hätten uns vor Fenriers Stärke nicht fürchten dürfen. Er ist Lokis Sohn und man hätte ihn entsprechend formen können. Dass unsere Rettung jetzt in Fenriers Händen liegt ist pure Ironie.“

Ein lauter Donnerschlag erschütterte die Wände der Methalle und Freya zuckte unwillkürlich zusammen. Ihre Fingernägel krallten sich Odins Arm und sie sah furchterfüllt zu ihrem Gatten auf. „Es ist mehr als Ironie. Es ist typisch für das Schicksal, denn Fenrier kann uns sowohl endgültig vernichten als auch retten. Im Odinsschlaf sind wir leider sehr verwundbar. Es gibt aber keine andere Möglichkeit die Zeit bis zu unserer Rettung zu überdauern. Wenn wir beide sterben und Walhalla untergeht, wird das auch Loki und die anderen in Mitleidenschaft ziehen.“

„Was für Auswirkungen hat es auf die Fünf?“ In Odins Worten klang Sorge mit.

Kopfschüttelnd entgegnete Freya: „Ich weiß es nicht. Es könnte alles Mögliche sein.“