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Zwei Frauen mit großen Träumen: Der mitreißende Freundinnenroman »London Dreamers« von Louise Bagshawe jetzt als eBook bei dotbooks. Diese beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Nina schon immer auf sich allein gestellt war und für ihre Karriere kämpfen muss, scheint der reichen Elisabeth das Glück stets geradewegs in den Schoß zu fallen. Doch der erste Blick kann täuschen: Elisabeth wünscht sich schon lange, in der Firma ihres Vaters zu glänzen – und nun hat ausgerechnet Nina ihr die begehrte Stelle in London weggeschnappt! Nur in der Liebe scheinen beide gleichermaßen vom Pech verfolgt ... Aber ist es möglich, ihre Träume zu verwirklichen, wenn sie aufhören, sich gegenseitig zu misstrauen – und das Wagnis eingehen, Freundinnen zu werden? »Bagshawe hat die wunderbare Gabe, ihre Heldinnen liebenswert zu machen, egal wie unverschämt sie sich verhalten.« Sunday Express Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwungvolle Roman »London Dreamers – In dieser Stadt ist alles möglich« von Louise Bagshawe wird Leserinnen von Taylor Jenkins Read mit seiner rasanten Mischung aus Liebe, Intrigen und unerwarteten Aussichten auf Erfolg begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 623
Über dieses Buch:
Diese beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Nina schon immer auf sich allein gestellt war und für ihre Karriere kämpfen muss, scheint der reichen Elisabeth das Glück stets geradewegs in den Schoß zu fallen. Doch der erste Blick kann täuschen: Elisabeth wünscht sich schon lange, in der Firma ihres Vaters zu glänzen – und nun hat ausgerechnet Nina ihr die begehrte Stelle in London weggeschnappt! Nur in der Liebe scheinen beide gleichermaßen vom Pech verfolgt ... Aber ist es möglich, ihre Träume zu verwirklichen, wenn sie aufhören, sich gegenseitig zu misstrauen – und das Wagnis eingehen, Freundinnen zu werden?
Über die Autorin:
Louise Daphne Bagshawe wurde 1971 in England geboren. Sie studierte Altenglisch und Altnordisch in Oxford und arbeitete anschließend bei EMI records und Sony Music in der Presseabteilung und im Marketing. 2010 zog sie als Abgeordnete der Tories ins Parlament ein. Seit ihrem 22. Lebensjahr veröffentlichte sie über 15 Romane und ist international erfolgreich.
Louise Bagshawe veröffentlichte bei dotbooks bereits die humorvollen Liebesromane »Beim nächsten Fettnäpfchen wartet die Liebe«, »Liebesglück für Quereinsteiger«, »Und morgen klopft die Liebe an« und die Romane »Massots – Die Diamantendynastie«, »Diamonds – Als wir nach den Sternen griffen« und »Glamour – Das Kaufhaus der Träume« sowie den Romantic-Suspense-Roman »Special Agent – Gefährliche Anziehung«.
Außerdem erscheinen von ihr die romantischen Großstadt-Romane: »Hollywood Lovers«
»New York Ambitions«
»Manhattan Affairs«
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eBook-Neuausgabe April 2023
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »Tall Poppies« bei Orion / Orion Books Ltd., London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Affären und Karrieren« bei Knaur. Außerdem erschien das Buch auch unter den Titeln »Wildkatze mit Samthandschuhen« und »Wildkatzen mit Samthandschuhen«.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1997 by Louise Bagshawe
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-602-3
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Louise Bagshawe
London Dreamers
Roman
Aus dem Englischen von Gabriele Fröba
dotbooks.
Dieses Buch widme ich
Rosie Cheetham, Susan Lamb,
Barbara Kennedy-Brown
und allen Mädchen mit großen Träumen,
überall auf dieser Welt.
»Nein, hör auf, das dürfen wir nicht tun!«
Nina wand sich aus seinen Armen, mit niedergeschlagenen Augen und in der Hoffnung, daß er das verräterische Glitzern in ihren geweiteten Pupillen nicht sah. Ihre glühenden Wangen spiegelten wider, wie sehr sie es wollte, aber es war zu früh.
»Komm, Süße«, sagte Jeff, »mach mal halblang.« Seine Stimme klang heiser. Nina konnte die Konturen seiner Erektion sehen, die sich gegen die graue Flanellhose drückte. Sie versucht cool damit umzugehen, so wie Judy oder Melissa es getan hätten oder eines von den anderen, allgemein beliebten Mädchen, und nicht daran zu denken, wie weh es tun würde, wenn er ihn ihr reinschob. Vielleicht kriegt er ihn überhaupt nicht rein, dachte sie erschrocken. Sie hatte sich ihr Gegenstück gestern abend im Badezimmerspiegel genau angesehen – ziemlich klein. Jeff würde sie glatt zerreißen.
»Du machst mich verrückt«, keuchte er und ließ die Hände auf der Suche nach ihren üppigen Brüsten unter Ninas burgunderroten Schulblazer und über den dünnen Baumwollstoff ihrer locker fallenden Bluse gleiten. Sie trug einen straffen Sport-BH, um die Dinger einigermaßen zu bändigen. Typisch für sie, sie trug auch den Rock eine Nummer zu groß, damit ihr bloß keiner die Wespentaille und den vollen runden Po wegguckte. Aber nicht mal Nina Roth konnte sich für immer und ewig verstecken. Er grinste triumphierend, als ihre Brustwarzen unter seinen Handflächen steif wurden. Seit dem Nachmittag, als er nach dem Basketballtraining Lust auf ein paar Runden im Pool gehabt und festgestellt hatte, daß dort zufällig gerade Nina ihre zwanzig Bahnen abstrampelte, war er hinter ihr her.
Sie war völlig in sich versunken, offenbar dachte sie, sie sei allein. Jeff hatte sich in eine Ecke gedrückt, um ein bißchen zu gucken. Mann Gottes, wer hätte das gedacht? Nina Roth – die Streberin, das Mauerblümchen, die von allen mitleidig belächelte Stipendiatin – hatte eine Figur wie das Playmate des Monats! Und Jeff ruck-zuck einen Steifen. Als sie aus dem Pool geklettert kam, wollte er seinen eigenen Augen nicht trauen. Aus dem nassen Haar lief ein Schwall Wasser über ihren billigen schwarzen Badeanzug und zeichnete die Kurven ihrer festen großen Brüste nach, die Wespentaille, den stramm gewölbten Hintern und die wohlgeformten superlangen Beine. Seine Zauberflöte hatte heftig geklopft und sich so gegen den Hosenzwickel gestemmt, daß ihm nichts anderes übriggeblieben war, als schleunigst in die Jungentoilette zu verschwinden und sich einen runterzuholen. Das war drei Wochen her.
»Nicht hier«, sagte sie, suchte mit ängstlichen Blicken den Flur ab und versuchte, sich aus Jeffs Armen zu winden. »Wenn uns jemand sieht ...«
»Na und?« murmelte Jeff mürrisch. Nina war ein hartes Stück Arbeit, wie das eben ist bei Hühnchen, die noch nie einem Kerl erlaubt haben, ein bißchen an ihren Federn zu zupfen. Manchmal fragte er sich, ob sich die Mühe überhaupt lohnte. Schließlich hatte er hundert superschlanke, blonde Cheerleader an der Hand, die mit Vergnügen durch ihre eigenen Reifen gehüpft wären, wenn sie dafür mit ihm bumsen durften. »Magst du mich nicht?«
»Du weißt doch, daß ich dich ...« Die Schulklingel läutete – die Pause vor der dritten Stunde. Nina zitterte vor Erleichterung und sprang beiseite, als ein Haufen Kids aus den Klassenzimmern gestürmt kam. »Ich muß gehen, hab jetzt Geometrie. Wir sehen uns später.«
Melissa Patton kam, beide Arme mit niedlich blauen, über und über mit Schmetterlingen beklebten Heften beladen, tänzelnd auf Jeffs Spind zu, auch so ein knackig schlankes Blondinchen, die in den meisten Fächern gerade mal so über die Runden kam. Redete dauernd davon, daß sie mal Schauspielerin oder Model werden wollte. Was Mädchen eben so durch den Kopf spukt.
»Hey, Jeffie ... ein paar von uns wollen sich Rage ansehen. Soll der Film sein. Hätt’ste Lust mitzukommen?« Melissa lächelte einladend und warf – als ging es um die Locke, die ihr keck ins Auge hing – aufreizend den Kopf zurück.
Jeff Glazer schüttelte den Kopf. Gefiel ihm, wie Melissa den Blick bewundernd über seine muskulöse Brust wandern ließ. Missy und ihresgleichen hatten einen Blick für gutgebaute Footballer.
»Nö, ich mach im Park die Beine lang.«
»Mit Nina Roth?« Melissas manikürte Fingernägel spielten mit dem goldenen Freundschaftsring. Jeff roch ihr Chanel No. 5 und den Duft ihres frisch gewaschenen Haars. Seine Mom hätte Melissa gemocht. Er zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht, was du an der findest. Die hat doch nur Mathe im Kopf«, sagte Melissa spitz und scharwenzelte mit wehenden blonden Locken den Flur hinunter.
Schon richtig. Nur, neben Nina sah Melissa wie ein Stängelchen Spaghetti aus ...
Jeff Glazer knallte die Tür seines Blechspinds zu.
Nina Roth atmete in der blitzsauberen Stille des Klassenzimmers tief durch, nahm den Geruch von Kreide, Möbelpolitur und Desinfektionsmitteln in sich auf und versuchte, sich ganz auf Schwester Bernadette und ihren Unterricht zu konzentrieren. Eines ihrer Lieblingsfächer, normalerweise. Schwester Bernadette hatte, bevor sie den Schleier nahm, in der Forschungsabteilung am MIT gearbeitet. Bei so jemandem Unterricht zu haben, das war schon was Besonderes. Aber nicht heute.
Die Klasse saß krummbuckelig, unruhig und gelangweilt an den Tischen, malte sich ab und zu was ins Heft und schielte mit einem Auge zur Uhr. Alle in schicken burgunderroten Blazern, Blusen aus steifer Baumwolle, wie angegossen sitzenden Leinenhosen oder weitschwingenden Röcken, alle der Schwester zugewandt, den glasigen Blick aber nur scheinbar auf die Tafel und die Gleichungen gerichtet, die die Schwester mit weißer Kreide auf das schwarze Holz schrieb. Hier lief alles noch wie zu Großmutters Zeiten, das College zum Heiligen Erzengel Michael war groß, unpersönlich und teuer, eine der prestigeträchtigsten Schulen in Park Slope. Seit Jahrzehnten schickten Brooklyns reichste Eltern ihre Kids hierher und blätterten den Schwestern ein Vermögen hin für den Unterricht, die Schuluniform und die katholische Erziehung. Für die meisten Mädchen – alle mit einem goldenen Löffel im Mund geboren – war Schwester Bernadette Luft, sie gehörten der Episkopalkirche an oder waren Atheisten. Aber was soll’s? Sankt Michael war nicht die Kirche, sondern eine Institution. Die Kids rekelten sich auf ihren Stühlen. Die eine oder andere schielte hin und wieder zu Nina hinüber – ihr Blaustrümpfchen, die Stipendiatin. Ihre Schuljacke hing schlaff und formlos herunter, aber alle wußten natürlich, daß sie das Zeug aus zweiter Hand kaufen mußte. Na ja, ihr war’s sowieso egal, wie sie aussah, sie steckte die Nase ja doch nur den lieben langen Tag in die dämlichen Bücher.
»Demnach ergibt die Summe der Winkel ...?«
Stille.
»Nina?«
Nina zuckte zusammen, riß sich aus ihren Erinnerungen an das Gefühl, als Jeffs Hände auf ihren Brüsten gelegen hatten, und lief dunkelrot an.
»Entschuldigung, Schwester?«
Die Lehrerin kniff die ohnehin schon schmalen Lippen zusammen. »Nina, was habe ich gerade gefragt?«
»Ich ... ich weiß nicht, Schwester.«
»Das überrascht mich nicht, Miss Roth. Sie sind meilenweit weg. Wie wollen Sie’s im Leben zu was bringen, wenn Sie in der Schule nicht aufpassen?«
Hämisches Kichern in der Klasse. Nina spürte das Gefühl, das sie nur zu gut kannte: kleingemacht zu werden. Die anderen wußten, daß sie die einzige in der Klasse war, die sich nach oben strampeln mußte. Die anderen waren schon oben, in ihren Familien wimmelte es von Anwälten, Ärzten und Bankern. In ihrer gab’s einen pensionierten Cop, einen Herumtreiber, der sein Leben nur für Bier und Jeopardy lebte, und eine heruntergekommene Alkoholikerin, die sich, wenn sie gerade keinen Blackout hatte, um die Bruchbude kümmerte, die ihr Zuhause war.
»Miss Whitney?«
»Neunzig Grad, Schwester«, sagte Josie Whitney blasiert und warf Nina einen triumphierenden Blick zu.
Aber das machte Nina nichts aus, heute nicht. Weil sie sich heute mit Jeff Glazer traf, dem heißesten Jungen in der Schule. Vielleicht wurde jetzt alles ganz anders, dachte sie, während sie in fliegender Hast ein paar Notizen in ihr Heft kritzelte. Vielleicht war heute der Tag, an dem ihr das Glück zum erstenmal zulächelte, endlich.
Nina Roth war ein Einzelkind, und das war gut so, denn ein zweites hätten ihre Eltern sich nicht leisten können. Wenn sie ihrem Vater glaubte, der bei jedem Scheck für die Schule laut jammerte, kamen sie so schon kaum über die Runden. Mark und Ellen Roth teilten sich eine schmuddelige Wohnung in einem Apartmenthaus ohne Fahrstuhl am South Slope und ihre Verbitterung über die Enttäuschungen des Lebens. Ansonsten bestand ihr gemeinsamer Besitz aus ihrer Tochter, die jedoch, solange Nina zurückdenken konnte, nur in ihren endlosen Streitereien eine Rolle gespielt hatte. Ein Stück Inventar, um das sie sich in die Haare kriegen konnten. Pop war irgendwo Mitte Fünfzig, aus dem Leim gegangen, verwahrlost, die klassische Witzblattfigur im Lehnstuhl. Schimpfte den ganzen Tag vor dem Fernseher über die Regierung, die Yankees und das Wetter, nur daß er mal den schwabbeligen Bauch hochgebracht und irgendwas gegen irgendwelche Mißstände unternommen hätte – Fehlanzeige. Erzählte, sie hätten ihn bei der Polizei pensioniert, aber Nina hatte was ganz anderes gehört. Daß sie ihn wegen Diebstahls eingebuchtet hätten, weil er von konfiszierten Wertgegenständen und Geld hin und wieder was für sich abgezweigt hätte. Gefragt hatte sie ihn nie, sie wußte, daß es wahr war.
Und dann war da noch Mom. Nina glaubte, sich an eine Zeit zu erinnern, als Mom sie geliebt, zu Spaziergängen durch den Prospekt Park mitgenommen, ihr an der Court Street italienisches Eis gekauft und mit ihr – was Schöneres gab es nicht – im Sommer in das Wunderland von Coney Island gefahren war, wo Nina Karussell fahren und Zuckerwatte lecken durfte. Aber das war gewesen, als sie noch sehr klein war. Bevor Dad zu Hause herumgesessen hatte und Mom angefangen hatte zu trinken.
Von da an war alles sehr rasch schlechter geworden.
Heutzutage nahm Mom sie nur noch in die Arme, wenn sie sinnlos betrunken war, mit widerlichem Atem und vor lauter Selbstmitleid in Tränen aufgelöst. Nina haßte diese Umarmungen – und sie haßte Mom, sie wollte am liebsten in Ruhe gelassen werden, weil Ellen ihre Tochter in Wirklichkeit gar nicht liebte, das wußte Nina. Moms einziger Trost war die Flasche. Eine verbitterte Frau, die vor dem Elend ihres Lebens im Alkoholnebel Zuflucht suchte. Oft verdämmerte sie den ganzen Tag im Delirium. Gerade noch, daß sie sich dazu aufraffen konnte, sich um den kleinen Laden zu kümmern – ein unappetitlich schmutziges Seven-Eleven mit abblätternder Coke-Reklame an der Tür und einer geladenen Pistole unter dem Tresen. Mom verkaufte Zigaretten, billigen Fusel und Zuckerstangen und zählte in einem fort das Geld in der Ladenkasse. Dad erledigte die Lieferfahrten und räumte einmal pro Woche neue Ware in die Regale. Um die wichtigen Arbeiten, die Buchführung, zum Beispiel, und das Aufräumen, kümmerte sich Nina, seit sie dreizehn geworden war. Jemand mußte eben dafür sorgen, daß Brot auf den Tisch kam.
Jetzt war sie sechzehn. Sie wußte genau, daß ihre Klassenkameradinnen auf sie herabsahen. Sie war schon in der Grundschule nicht beliebt gewesen, im Beth Israel, wo sie wie besessen gebüffelt hatte, um das Stipendium für St. Michael zu bekommen. Die anderen hatten sie nicht gemocht, aber ihr war das egal gewesen, weil die Schule der einzige Weg aus der Armut war. Ninas ganzes Leben war von dem Gedanken beherrscht, South Slope, den Drogen, den Müllhalden, den Graffiti, den Gangs und den streunenden Hunden zu entkommen. Weg von all dem Dreck und der Verzweiflung. Weg von zu Hause.
Trotzdem, irgendwie tat es ihr weh, daß die anderen Kids einen Bogen um sie machten, sie nie zu ihren Treffs im Park einluden und sich mokierten, weil ihre Schuluniform zusammengestoppelt und ihre Blazer secondhand waren. Keine fragte sie, ob sie sich beim Lunch zu ihr setzen wolle. Keine wählte sie bei irgendwelchen Spielen in ihr Team. Sie stand im Ruf, eine Einzelgängerin zu sein, und niemand machte sich die Mühe dahinterzukommen, ob das überhaupt stimmte. Zumindest bis vor drei Wochen nicht.
Dann aber – am Tag des großen Wunders – war Jeff Glazer nach der Französischstunde auf ihren Spind zugeschlendert und hatte ganz lässig gefragt, ob sie Lust hätte, mit ihm auszugehen.
Zuerst stand Nina verdutzt blinzelnd da, überzeugt, daß das nur ein besonders grausamer Scherz sein konnte. Jeff war siebzehn, Quarterback der Schulmannschaft, einziger Sohn stinkreicher Eltern und ein Prachtstück von einem Kerl: muskulös, groß, mit schwedenblondem Haar und eisblauen Augen – alle Mädchen in der Schule flirteten ständig mit ihm. Mit der Hälfte aller auch nur einigermaßen hübschen Babes war er eine Weile gegangen. Und wenn er eine nach einiger Zeit wieder fallenließ (die ihn dann verfluchte und einen Hengst nannte, der nur auf sein Vergnügen aus wäre), hielt ihn das nicht davon ab, sich aus dem kichernden Hühnerhaufen die nächste rauszupicken. Nina hätte geschworen, von ihm gefragt zu werden, das käme nur im Traum vor, weil das so war, als wollte sie sich einreden, sie könne zum Mond fliegen.
Aber da stand er auf einmal. Und fragte.
»Meinst du so was wie ein Date?« stammelte sie.
Jeff reagierte mit seinem rätselhaften Achselzucken. »Ja, natürlich. Hast du Lust?«
Also gut, es war nicht direkt Romeo und Julia, aber als er sich dann beim Lunch neben sie setzte – als es plötzlich Rosen vom Himmel regnete –, hätte sie die neidischen Blicke von Judy Carling und ihrer Clique um nichts in der Welt missen wollen. Sie steckte den Zirkel ins Papier und maß, ohne bei der Sache zu sein, ein paar Winkel aus. Lange konnte es nicht mehr so bleiben wie jetzt, das war ihr klar. Jeff wollte Liebe mit ihr machen, und wenn sie ihn nicht ließ, gab er ihr den Laufpaß. Da konnte sie ihm noch sooft sagen, sie sei zu jung. Jeff antwortete dann nur, alle täten es und sie sei einfach zu verklemmt, und wenn sie ihn wirklich liebhätte, würde sie’s auch mit ihm tun.
Nina mußte an das Gekicher denken, als Schwester Bernadette sie gefragt hatte, wie sie’s denn im Leben zu was bringen wolle. Lauter Snobs – ach, wie sie die haßte! Aber wenn sie Jeff hatte, wenn er sich für sie und nicht für eine von den anderen entschied, sollte ihr das alles egal sein. Zumal ein paar Jungs vom Footballteam und sogar ein paar von den Mädels sich, seit sie mit Jeff ging, ihr gegenüber ganz anders verhielten. Und das alles soll ich aufs Spiel setzen, bloß weil ich ein verklemmtes Hühnchen bin? dachte sie. Er liebt mich wirklich. Wenn’s nicht so wäre, weshalb würde er mich dann so anfassen und streicheln? Und ich liebe ihn auch, das weiß ich genau.
Sie atmete tief ein und aus, damit ihr Herz endlich aufhörte, so verrückt zu schlagen. Sie konnte Jeff eine genauso gute Freundin sein wie Melissa oder Judy oder Josie – oder irgendeins von diesen reichen Babes. Heute abend im Prospekt Park erwartete Jeff eine Antwort von ihr. Und diese Antwort konnte nur ja lauten ...
Pechschwarz ragten die Türme von Caerhaven Castle vor dem Zwielicht des von Regen und Wind verhangenen Himmels auf. Den ganzen Tag über hatte der Sturm getobt, die Brandung in wilder Wut gegen die Klippen geschleudert und hinten im Obstgarten zwei alte Birnbäume entwurzelt. Aber heute abend scherte sich niemand ums Wetter. Licht flutete aus den Fenstern des mittelalterlichen Gemäuers, es drang aus dem festverpflockten Zelt auf dem Krocketrasen, und auch der schier endlose Blechwurm der Bentleys und Rolls-Royce, der, vorbei an steinernen Drachen, durch das Eingangstor und dann die drei Kilometer der kiesbestreuten Zufahrt heraufgekrochen kam, schob ständig neue tastende Lichtfinger vor sich her.
Die Countess of Caerhaven gab einen Ball.
»Himmel noch mal, Monica, wo bleibt dieses ungeratene Kind?«
Tony Savage, der dreizehnte Earl of Caerhaven, zupfte nervös an der Weste des makellos sitzenden Fracks. Er konnte es nicht ausstehen, wenn jemand aus der Reihe tanzte. Schließlich war er der Träger eines der ältesten walisischen Adelstitel, Herr über Caerhaven Castle sowie knapp dreitausend Hektar fruchtbaren Ackerlands und zudem alleiniger Geschäftsführer der Dragon PLC., des Familienkonzerns, der sich, dereinst mit Blutgeld aus dem Sklavenhandel gegründet, zu einem weltweit operierenden Pharmariesen gemausert hatte. Auf der Basis einer Aktiengesellschaft, in der Tony Savage elf Prozent hielt.
Monica, die neben ihm stand und gerade die Hand einer Gruppe neuangekommener Gäste entgegenreckte, zuckte nur stumm die Achseln. »Joanna, was für eine Freude, daß Sie kommen konnten. Richard, wie schön, Sie zu sehen ...« Die zweite Lady Caerhaven, eine großgewachsene, elegante Erscheinung, trug bei diesem Fest ein meergrünes Ballkleid, eine wunderschöne Perlenkette um den Hals und funkelnde Saphirclips an den zierlichen Ohren. Das bezaubernde Lächeln, mit dem sie ausnahmslos alle bedachte, egal, ob sie ihre Gesichter einzuordnen wußte oder nicht – Minister und Staatssekretäre, Industrielle, Investmentbanker, die Crème de la crème der Society –, machte ihrem vielgerühmten Charme alle Ehre. Nichts konnte für Tonys Geschäfte wichtiger sein.
Der Earl nickte sich im Geiste selbst zu. Monica sah umwerfend aus und beherrschte die gesellschaftlichen Regeln aus dem Effeff. Ihretwegen mußte er sich keine Sekunde lang Sorgen machen. In ihrem hübschen Kopf geisterte nichts von all dem feministischen Unfug herum, ihr genügte es vollauf, sein Geld auszugeben, auf seinen Partys als Gastgeberin zu glänzen und stets auf dem laufenden über den neuesten Klatsch zu sein. Frauen beneideten sie, Männer begehrten sie. Eine maßgeschneiderte Ehefrau.
Monica war ihren Pflichten in jeder Beziehung nachgekommen. Wobei Tony insbesondere an die beiden Söhne dachte – Charles, Lord Holwyn, den Erben, und Lord Richard, sozusagen die Reserve im zweiten Glied. Und daß sich mit Monica im Bett nichts mehr abspielte, machte ihm nichts aus. Eine Frau fand Tony Savage, wann immer er wollte, mühelos auch anderswo. Monica tat so, als merke sie nichts, und ließ sich als Belohnung irgendeinen niedlichen Schnickschnack von Tiffany oder Garrard’s mitbringen.
Tony grinste. Hätte er sich gleich für die Honorable Monica Fletcher entschieden, wäre sein Leben von Anfang an problemlos verlaufen. Denn wenn es heute doch Probleme gab, dann nur wegen Elizabeth.
Er schielte zu seinen Söhnen hinüber. Charles, Lord Holwyn, der Dreizehnjährige, kam mit seinem dunklen Haar und dem zwingenden Blick äußerlich immer mehr auf seinen Vater heraus. Von seiner Mutter hatte er das hübsche Gesicht und die emotionslose, berechnende Art, die Skrupellosigkeit dagegen eher von ihm. Gerade mal dreizehn und schon so großspurig und von sich eingenommen. Charles war der Erbe des Titels, des Schlosses, des Anwesens in London und eines gewaltigen Vermögens. Der elfjährige Richard bekam selbstverständlich auch seinen Anteil, aber bei weitem nicht soviel. Gut, daß Richard das so locker und gelassen sah, sonst hätte leicht Neid aufkommen können. Aber so war Richard eben nicht, er hatte sich von Kindesbeinen an klaglos von seinem älteren Bruder Charles gängeln lassen. Bei den Mädchen kam er, weil er so unverschämt hübsch war, groß raus. In der Schule reichte es gerade mal zu mittelmäßigen Noten. Der geborene Gentleman, der – dank seiner Veranlagung zu Phlegma und Müßiggang – im Leben bestimmt gut zurechtkam. Der Junge war zwar erst elf Jahre alt, aber in dem Punkt war sich Tony sicher. Das leibhaftige Abziehbild seiner Mutter.
Wenn sie bloß Elizabeth nicht gehabt hätten.
Der Earl sah verstohlen auf die Uhr und spürte, wie er innerlich vor Wut zu kochen anfing. Elizabeth kam zu ihrem eigenen Ball zu spät.
Elizabeth, Countess of Caerhaven, war die Tochter aus seiner ersten Ehe – mit Louise, der einzigen Frau, die es je geschafft hatte, ihn wie einen Trottel dastehen zu lassen. Dafür haßte er das Miststück bis zum heutigen Tag. Louise hatte darauf bestanden zu arbeiten, obwohl er sie gebeten hatte, es nicht zu tun, und sich schlichtweg geweigert, die Rolle der Schloßherrin zu spielen. Aber ihm statt dessen mit Jay DeFries, der bis dahin sein bester Freund gewesen war, die Hörner aufgesetzt. Die beiden hatten sich sogar ohne jede Scheu in der Öffentlichkeit gezeigt und damit Tony Savage zum allgemein belächelten Hahnrei gemacht. Und dann hatte Louise auch noch, ehe er’s tun konnte, die Scheidung eingereicht. Seither haßte er alles, was mit ihr zu tun hatte, sogar seine erstgeborene Tochter. Typisch für ihren perversen Sinn für Scherzchen, daß sie sich insgeheim darüber gefreut hatte, eine Tochter und nicht etwa einen Sohn zur Welt zu bringen. Um das Maß vollzumachen, war Klein-Elizabeth ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Dasselbe flaumweiche, dunkelblonde Haar, dieselben grünen Augen und groß und gertenschlank wie sie. Vom Vater hatte sie absolut nichts. Insgeheim argwöhnte Tony, daß sie gar nicht von ihm war. Aber offen den Verdacht auszusprechen, seine Frau hätte womöglich dem Kind eines anderen Mannes das Leben geschenkt – nein, das wäre dann doch zu peinlich gewesen.
Als Louise mit siebenundzwanzig an Brustkrebs gestorben war, hatte er die kleine Lady Elizabeth wieder zu sich genommen. Und so wuchs sie nun bei ihm heran – ein grünäugiges, rebellisches Luder, das ihn mit jedem Atemzug an ihre Mutter erinnerte, an dieses Flittchen, das ihn noch auf dem Totenbett ausgelacht hatte.
Mit Jay DeFries war Tony schnell fertig, er trieb ihn in den Ruin. Kein Problem, wenn man einen Giganten wie Dragon im Rücken hat. Er kaufte DeFries’ Firma auf, manipulierte die Bücher und hetzte ihm das Dezernat für Wirtschaftskriminalität auf den Hals. Sein einstmals bester Freund verschwand bankrott für acht Jahre hinter Gittern. Und nahm sich in der Zelle den Strick.
Je größer Dragon wurde, desto mehr verstummte das Gemunkel. Bald wagte niemand mehr, Louises oder Jays Namen auszusprechen; alle strichen dem Wall-Street-Raubritter Tony Savage geflissentlich um den Bart. Aber da war eben noch die junge Elizabeth mit ihrem unbezähmbaren Temperament. Flirtete mit allen jungen Burschen im Ort, kleidete sich schamlos und wuchs zu einer erlesenen, geradezu gefährlichen Schönheit heran. Ein Stachel in seinem Fleisch, jeden Tag, den Gott werden ließ. Mit ihrer Stiefmutter und ihren Brüdern wollte sie – ganz das Kind ihrer Mutter – nichts zu tun haben. Der Kuckuck in Tonys goldenem Nest.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Monica und winkte Charles zu sich. »Liebling, geh mal und such deine Schwester. Sag ihr, sie soll sofort herunterkommen. Es ist ihr sechzehnter Geburtstag, und David Fairfax wartet schon den ganzen Abend auf sie.«
Tony Savage ließ den Blick durch die große Halle schweifen, über die grauen, von den lodernden Flammen in der offenen Feuergrube und den flackernden Fackeln in schmiedeeisernen Haltern beleuchteten, mit Samt und Seide drapierten Steinwände, bis dahin, wo er die gedrungene Gestalt des jungen Mannes ausmachen konnte, der, das obligate Glas Champagner in der Hand, im Kreise eines Schwarms von Speichelleckern hofhielt: seine Hoheit, der Duke of Fairfax.
Und nun hatte dieser David Fairfax, einer der begehrtesten Junggesellen Englands, doch tatsächlich ein Auge auf Tonys einzige Tochter geworfen.
»Ich verstehe nicht, was er an ihr findet«, murmelte er.
In ihrem Schlafzimmer im Westflügel beugte sich Lady Elizabeth Savage über den kalten Steinsims des Turmfensters und starrte in die Nacht hinaus. Ihre Augen waren an das düstere Halbdunkel gewöhnt, sie hatte keine Mühe, die Merkmale der Landschaft zu erkennen – die Scheunendächer, den schwarzen Umriß des Waldes jenseits der Schloßmauern und die geduckten Hügel in der Ferne. Das rauschende Fest unter ihr und die Geräusche, die von dort zu ihr hochdrangen, ignorierte sie, sie konzentrierte sich ganz auf das unaufhörliche Seufzen des Meeres und schmeckte die kalte Salzluft auf den Lippen.
Granny war tot. Noch vor zwei Tagen hatte sie drüben im Ostflügel mit ihr zusammengesessen und über Gott und die Welt geplaudert – über Geschäfte, Politik und die ausgelassenen zwanziger Jahre. Granny machte es nichts aus, wenn Elizabeth redete wie ein Wasserfall, sie ausfragte und ihr von ihren Plänen für die Zukunft erzählte. Ach, die zwei Tage ohne sie kamen Elizabeth jetzt schon wie eine kleine Ewigkeit vor. Nur wenn Granny auch immer gesagt hatte: »Sei nicht albern, Kind, alle haben dich gern«, sie machte sich keine Illusionen, sie wußte, daß sie Dad und Monica gleichgültig war. Wahrscheinlich, weil sie kein Junge war.
Sie wuchs übermütig wie ein junges Fohlen auf, schloß – weil es ihr, wie alle sagten, auf skandalöse Weise an Standesbewußtsein mangelte – Freundschaften mit den Kids der Bediensteten, kletterte in Kniehosen und einer Joppe auf Apfelbäume und hatte sich in Cheltenham viermal einen Verweis eingehandelt, zweimal, weil sie geraucht hatte, und zweimal, weil sie unverschämt gegenüber einer Lehrerin geworden war. Einmal war sogar ein kühler Brief auf Caerhaven Castle angekommen, in dem ihr das Consilium abeundi angedroht wurde. Sie steckte nun mal nicht gern die Nase in die Bücher, aber alles, was mit Handel und Geschäften zu tun hatte, faszinierte sie. Das war das einzige, das sie an ihrem Vater bewunderte. Als Tony eines Tages dahintergekommen war, daß sie brieflich um die Zusendung von Geschäftsunterlagen der Dragon PLC gebeten hatte, war ein Riesendonnerwetter auf sie niedergegangen.
»Was soll dieser Unsinn, junge Dame?« hatte er sie angefahren.
Elizabeth erklärte es ihm bereitwillig. »Ich interessiere mich eben dafür, Daddy. Ich dachte, ich könnte anhand der Unterlagen studieren, wie das Marketing bei Dragon abgewickelt wird. Weißt du, ich find’s interessant, wie Leute etwas verkaufen ...«
»Wie Leute etwas verkaufen? Was bist du denn? Eine Verkäuferin?«
»Ich will eine Stelle bei Dragon«, sagte Elizabeth trotzig.
»Du hast doch keine Ahnung, was du überhaupt willst.«
»Hab ich doch. Ich bin fünfzehn. Ich will in der Werbeabteilung von Dragon arbeiten.«
»Nur über meine Leiche.« Tony brach sogar in Gelächter aus.
»Die Firma geht irgendwann an deinen Bruder über. Und jetzt benimm dich gefälligst einmal im Leben wie eine Lady.«
Kreideweiß im Gesicht hatte Elizabeth ihm den Rücken zugekehrt und war die Steinstufen zu Großmutter hinaufgerannt, während ihr Vater sich mit zornroten Wangen in sein Arbeitszimmer zurückzog. Mit jedem Jahr wurde seine Vorahnung, daß Elizabeth, genau wie Louise, eines Tages Schande über die Familie brachte, mehr und mehr zur Gewißheit.
Aber – nein, ein zweites Mal würde er das nicht zulassen.
Elspeth, die Countess-Witwe, bewohnte seit zwanzig Jahren, seit dem Tode ihres Mannes, den Ostflügel. Sie liebte Elizabeth, obwohl auch sie davon überzeugt war, daß das Mädchen Jay DeFries’ Bastard war. Jahr für Jahr, je deutlicher sich zeigte, daß Elizabeth das jüngere und noch hübschere Ebenbild von Louise war, wurde Elspeth das Herz schwerer. Eine Ahnung sagte ihr, daß Tony seiner Tochter keine faire Zukunftschance geben würde.
Als Elizabeth schluchzend berichtete, was ihr Vater über ihre Aussichten gesagt hatte, je eine Stelle bei Dragon zu bekommen, hüstelte die alte Dame trocken und nahm das Mädchen in die Arme.
»Nimm’s nicht so tragisch, Lizzie, er wird schon zur Besinnung kommen.«
»Bestimmt nicht.« Elizabeth barg das Gesicht in Großmutters steifen Baumwollunterröcken. »Er will überhaupt nicht, daß ich arbeite! Weil das nicht ladylike ist. Und wenn ich in Cheltenham rausfliege, läßt er Dolphin einschläfern, hat er gesagt.« Dolphin war Elizabeths Labradorwelpe. Sie liebte ihn über alles, er durfte sogar in ihrem Bett schlafen.
»Hat er das gesagt?« Granny runzelte die Stirn. »Nun, Liebes, mich haben sie auch mal rausgeworfen.«
»Dich? Wann? Warum?«
Elspeth betrachtete Elizabeths rotfleckiges, vom Weinen aufgedunsenes Gesicht. Ihr Sohn war, wenn ihm niemand in den Arm fiel, drauf und dran, das Kind seelisch kaputtzumachen. Und dabei war Liz doch so ein fröhliches kleines Ding. O nein, sie duldete nicht, daß Tony alle Hoffnungen des Mädchens zunichte machte.
»In dem Jahr, ehe ich deinen Großvater geheiratet habe. Ein Jahr vor meinem Schulabschluß in der Schweiz.« Sie kicherte böse. »Weil ich mir die Nägel rot angemalt hatte.«
»Wegen so was haben sie dich rausgeworfen?«
»Oh, das war seinerzeit was ganz Verruchtes.« Elspeth legte lächelnd die faltige Hand auf Elizabeths glatthäutige Mädchenhand. »Du willst also arbeiten, Kind? Nun, wenn du das wirklich willst, dann sollst du’s auch tun.«
Elizabeth schüttelte den Kopf. »Daddy sagt, die Firma gehört zu Charlies Erbteil. Für mich gäb’s da nie einen Platz.«
»Das kann er nicht allein entscheiden. Fünfzehn Prozent der Aktien gehören mir – es war ein Hochzeitsgeschenk. Ich kann dir einen Sitz im Aufsichtsrat verschaffen, wenn du willst. An deinem achtzehnten Geburtstag. Ich rufe meinen Anwalt an und ändere mein Testament.« Tausend Lachfältchen ließen Grannys Gesicht zerknittern. »In meinem Alter muß ich nicht mehr die Industriemagnatin spielen.«
Elizabeth starrte Granny an. »Im Ernst? Aber was wird Daddy dazu sagen?«
»Er kann einverstanden sein oder sich grün und blau ärgern«, sagte die alte Dame forsch. »Mach dir darum keine Sorgen, Liebes, ich werde morgen mit ihm sprechen. Kann sein, daß er einen Wutanfall kriegt, aber davor hab ich mich noch nie gefürchtet.«
Elizabeth wußte, daß Daddy bei dem Gespräch tatsächlich sehr laut geworden war.
Und als er am nächsten Morgen wieder zu ihr hoch in den Ostflügel gestiegen war, hatte er Granny steif in ihrem Lehnstuhl vorgefunden. Tod durch »altersbedingtes Herzversagen« hatte der Hausarzt gesagt.
Nein, sie wollte nicht runter zum Ball gehen, die grinsenden Idioten dort unten waren ihr zuwider, einer wie der andere. Sie wollte allein sein und still trauern. Ohne Granny waren all ihre Hoffnungen wegen Dragon zerstoben.
Wie könnte ich unter diesen Umständen mit den anderen ein Fest feiern? dachte sie und blinzelte durch den Tränenschleier, der ihr den Blick verhängte.
Ein lautes Knarren, als die alte Eichentür ihres Schlafzimmers aufgestoßen wurde.
»Hätt ich mir denken können, daß du dich hier verkriechst«, sagte Charles vorwurfsvoll. »Alle warten auf dich. Soll ja wohl eigentlich deine Party sein, Lizzy.«
»Mich hat niemand gefragt, ob ich eine will.«
»Du machst wieder mal alles kaputt. Mamma kann’s gar nicht fassen, wie eigensinnig du bist. Weißt du denn nicht, daß David Fairfax da ist? Er wartet darauf, daß du endlich runterkommst.«
»David ist mir sowieso schnuppe.«
»Was hast du da eigentlich an? Das ist doch nie und nimmer das Ballkleid, das Mamma dir gekauft hat.«
Er war richtig ärgerlich. Elizabeth drehte den Kopf zur Seite und schielte auf das grasgrüne, hochgeschlossene Laura-Ashley-Kleid, das sie achtlos über den Regency-Stuhl geworfen hatte. Weil sie im stillen ahnte, daß sie doch nicht darum herumkam, an diesem gräßlichen Ball teilzunehmen, war sie – vergangene Nacht, damit niemand vom Personal sie sehen konnte – hoch in den Ostflügel geschlichen und hatte sich ein ganz bestimmtes Kleid aus Grannys Kommode geholt, das dort seit beinahe sechzig Jahren, in viele Lagen Seidenpapier gehüllt, versteckt in einer der Schubladen schlummerte – das Kleid, von dem Elizabeth schon immer geträumt hatte. Eine Wolke aus blaßgoldener, von cremefarbener Borte gesäumter Seide. Unterhalb des Fischbeinkorsetts bauschte sich ein weitgeschwunger, mit elfenbeinfarbenen Petticoats unterfütterter, von hauchzarten Goldfäden durchwirkter, dezent mit Perlen besetzter Rock. Wie eine zweite Haut schmiegte sich das Kleid an Elizabeths hochaufgeschossenen, schlanken Körper, gab ihren kleinen Brüsten den genau richtigen, winzigen Schubs nach innen und nach oben und wirbelte bei jeder Bewegung mit atemberaubendem Schwung um ihre langen Beine. Sie sah – das dunkelblonde Haar zu einem strengen französischen Knoten hochgesteckt, mit topasgeschmückten Ohrringen und in apricotfarbenen Pumps – einfach hinreißend aus.
Sollte Dad doch mal versuchen, sie jetzt noch links liegenzulassen!
»Es hat Granny gehört«, sagte sie. »Und nun verschwinde bitte, Charles.«
»In Ordnung, ich gehe. Aber du kommst besser nach. Anderenfalls kommt Vater hoch und schleift dich vor aller Augen an den Haaren runter.«
Ja, das brachte Dad glatt fertig, das wußte sie. Und so mußte sie wohl oder übel nach unten gehen – zu ihren Eltern und all den nichtssagenden Figuren aus deren Freundeskreis.
Sie gab sich einen Ruck und holte tief Luft, bevor sie, ganz Lady Elizabeth Savage, die Schlafzimmertür öffnete und langsam die Wendeltreppe hinunterstieg, dahin, wo die Gäste ihren sechzehnten Geburtstag feierten.
»Ich hab’s dir doch schon gesagt«, sagte Nina, »ich kann heute abend nicht so früh da sein, ich hab Wirtschaftslehre.«
»So? Und was soll aus uns werden? Das Vorratslager muß überprüft werden.«
Nina zuckte die Achseln. Sie standen Schulter an Schulter in der winzigen, bis in den letzten Winkel mit viel zuviel Krempel vollgestopften Küche. Nina wusch das Geschirr ab, Ellen wischte – eher symbolisch – einmal mit dem Tuch über Teller, Becher und Schüsseln, bevor sie sie halbnaß ins Regal stellte. Ihre übrige Energie brauchte sie, um Nina ins Gewissen zu reden.
»Du bist nie da«, jammerte sie. »Du hockst immer über deinen Büchern oder treibst dich mit deinen Freundinnen rum. Für deine Mutter hast du nie Zeit.«
»Mom, ich muß für die Schule arbeiten, und dann hab ich auch noch den Job bei Duane Reed angenommen«, wollte Nina sie abfertigen. Sie war viel zu müde, um sich auf Diskussionen einzulassen. In zwei Monaten waren die Semesterprüfungen, am Wochenende und zweimal abends jobbte sie im Drugstore unten im Ort, und an den drei Abenden, die sie sich für Jeff freihielt, wollte sie nicht völlig abgespannt sein. Da war Moms Schnapsladen einfach eine zusätzliche Belastung, die sie nicht mehr verkraften konnte. Ihre Eltern mußten zusehen, wie sie allein fertig wurden.
Mr. David, ihr Mathelehrer, hatte ganz recht gehabt mit seiner Gardinenpredigt im letzten Semester.
»Nina, ich muß Ihnen sagen, daß ich mir wegen Ihrer nach unten tendierenden Leistungen Sorgen mache.« Sein ernstes, unter dem üppigen Wust aus rabenschwarzen Haaren winzig klein wirkendes Gesicht sah vor Kummer ganz zerknittert aus. »Sie scheinen mit Ihren Gedanken woanders zu sein. Sie sind ständig müde. Und Schwester Agnes hat mir berichtet, daß Sie letzte Woche im Chemiesaal eingeschlafen sind.«
»Es tut mir leid, Sir. Ich werd mir mehr Mühe geben.«
»Ich glaube, das ist nicht das Problem.« Er zögerte. »Gibt’s irgendwelche Schwierigkeiten zu Hause?«
Nina wurde stocksteif. »Nein, Sir.«
Peter David deutete freundlich auf einen Stuhl und versuchte, sich darüber klarzuwerden, wie er seiner Lieblingsschülerin am besten helfen könnte. Ninas Wohlergehen lag ihm sehr am Herzen. Das Mädchen hatte eine natürliche, nahezu instinktive Begabung für alles, das mit Wirtschaftswissenschaften zusammenhing. Seit seiner Zeit in Harvard hatte er nicht mehr erlebt, daß ein junger Mensch sich so für dieses Fach interessierte. Fast alle anderen Lehrer hielten Nina Roth einfach nur für schüchtern und in sich gekehrt, er dagegen glaubte, bei ihr den eisernen Willen zur Konzentration und zum Erfolg zu erkennen. Nina mochte unfertig sein – ein Rohdiamant, wie die meisten Teenager, aber er hegte keinen Zweifel, daß sie zu Höherem berufen war.
Und nun ließ sie sich gehen und setzte alles aufs Spiel. Ihre Noten wurden schlechter. Ihren schriftlichen Arbeiten fehlte der zündende Funke. Und so war es fraglich geworden, ob aus dem Stipendium an einer der Eliteuniversitäten im Osten, für das er sie vorgeschlagen hatte, wirklich etwas wurde.
Peter David war dem Mädchen sehr zugetan. Er hatte sich, als Nina ins St. Michael’s kam, ein bißchen umgehört und wußte daher bestens Bescheid – über den faulen Vater und die schlampige Mutter und daß das Wohl und Wehe des kleinen Familienladens im Grunde von Ninas Tüchtigkeit abhing. Kein Wunder, daß das Mädchen das kleine Einmaleins der Wirtschaftslehre im Schlaf aufsagen konnte. Man mußte kein Psychologe sein, um zu sehen, daß Nina durch ihre Tüchtigkeit das Versagen des Vaters wettmachen wollte. Er bewunderte das. Aber nun war irgend etwas anders geworden. Irgend etwas nahm sie so in Anspruch, daß ihr die Kraft für die Schule fehlte.
Er wußte, daß Nina zu stolz war, um ehrlich mit ihm über die Gründe zu sprechen. Aber er mußte mit ihr darüber reden, sonst konnte sie all ihre hochfliegenden Pläne in den Wind schreiben.
Er versuchte es in nachsichtigem Ton. »Sie arbeiten für Ihre Eltern, nicht wahr? Haben Sie darüber hinaus noch andere Pflichten übernommen? Vielleicht in einer Arbeitsgruppe hier an der Schule? Theater, Volleyball – irgendwas in der Art?« Nina schmunzelte. Theater und Volleyball – ausgerechnet! Anscheinend verwechselte er sie mit Missy oder Josie oder irgendeinem von den anderen Gackelchen.
Seit sie mit Jeff ausging, brauchte sie Geld. Er wollte, daß sie sich hübsch anzog, schicke Levis und modische Boots kaufte, lauter Dinge, die für andere Kids selbstverständlich waren. Und obwohl er normalerweise das Kino und die Drinks bezahlte, wollte sie ihn eben auch mal einladen, wenigstens hin und wieder. Nur, von ihren Eltern konnte sie keine Unterstützung erwarten.
Früher, in der Zeit vor Jeff, war sie nie ausgegangen. Jetzt war eben alles anders geworden, jetzt brauchte sie Geld.
Das College, Jeff, ihre Eltern – alle lehrten sie dasselbe: Geld regiert die Welt. Geld bedeutete schicke Klamotten, schnittige Autos, American Express Cards und Ansehen. Geld bestimmte, ob man in einem Haus an der North Slope wohnte und einem seriösen Beruf nachging oder in einer schäbigen Wohnung an der South Slope hauste und sich recht und schlecht mit einem Schnapsladen durchschlug. Geld machte den Unterschied zwischen Jeffs Familie und ihren Eltern aus. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Leute, die sich Sprüche wie »Geld ist nicht alles« leisten konnten, hatten eines gemeinsam: Sie waren nie arm gewesen. Nina hatte schon als Kind gelernt, daß es nichts Schlimmeres geben konnte, als so zu werden wie ihre Eltern: rumzusitzen und zu warten, daß irgendwas passierte oder irgend jemand kam und ihnen aus der Patsche half. Vor Menschen, denen der Mut fehlte, sich selber zu helfen, konnte sie keine Achtung haben. Den Weißen Ritter gab’s nur im Märchen. Als sie unten im Drugstore eine junge Verkäuferin gesucht hatten, hatte sie sich vorgestellt, bei der Frage nach ihrem Alter ein bißchen geschwindelt und war auf der Stelle genommen worden. Vom ersten Gehaltsscheck hatte sie sich ein Konto bei Wells Fargo eingerichtet. Und wenn sie einmal im Monat den Kontostand überprüfte und die grünen Ziffern auf dem Bildschirm aufleuchten sah, leuchteten ihre Augen mit. Da sie nie mehr ausgab, als sie hatte, kletterte ihr Guthaben beharrlich nach oben. Nicht gerade steil, aber es kletterte.
Geld bedeutete Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit.
Ninas Augen verengten sich, als sie ihren Lehrer ansah. Wenn er etwa darauf hinauswollte, daß sie ihren Job aufgab – da wurde nichts draus.
»Ich jobbe als Teilzeitkraft in einem Drugstore.« Sie drückte das Kreuz durch, als wollte sie ihre Entschlossenheit demonstrieren. »Ich brauche das Geld, Mr. David.«
»Nun ja«, erwiderte der Lehrer, »Geld brauchen wir alle. Es könnte nur sein, daß Sie, wenn Sie so weitermachen, viel mehr Geld aufs Spiel setzen.«
Nina sah ihn verblüfft an. »Ich verstehe nicht ...«
Mr. David war eine Respektsperson für sie. Und nicht nur das – sie spürte, daß er sich mehr um sie kümmerte als andere Lehrer, die ihr lediglich eine Eins unter die Arbeit schrieben, und damit hatte sich’s. Bei Mr. David war das anders, er hatte ihr in der ersten Zeit für Arbeiten, bei denen andere eine Eins bekommen hätten, eine Drei gegeben. Und als sie sich beklagte, hatte er ihr erklärt, sie sei begabter als andere, also erwarte er von ihr von vornherein bessere Leistungen. Bei ihm müsse sie schon eine hervorragende Arbeit abliefern, um eine Eins zu bekommen. Und wenn ihr das nicht passe, müsse sie eben die Klasse wechseln.
Nina hatte danach nie wieder eine Drei bekommen.
»In Kürze findet die Semesterprüfung statt. Da geht’s um die Punkte und die Beurteilung, die Sie fürs Studium brauchen. Nun, daß es bei Ihnen fürs Stipendium an der NYU, am Mount Holyoke, in Brandeis oder vielleicht sogar in Vassar reicht, wissen wir beide. Aber Sie könnten nach höheren Zielen streben, Nina.«
Sie machte große Augen. »Höher als Vassar?«
»Aber ja.« Peter David nickte eifrig. »Ich rede von Harvard oder Yale. Vielleicht auch das MIT, wenn Sie sich spezialisieren wollen.«
Im Glanz von Ninas rabenschwarzem Haar schienen, als sie den Kopf schüttelte, alle Lichtstrahlen zu tanzen, die durchs Bürofenster fielen. »Dafür würde ich ein Vollstipendium brauchen, und von der Sorte gibt’s jedes Jahr nur ein halbes Dutzend.«
»Das ist richtig. Nur, eines davon könnte leicht Ihres sein. Aber nicht, wenn Sie so weitermachen.« Den Widerspruch, den sie schon auf den Lippen hatte, wischte der Lehrer mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. »Nein, Ausreden habe ich jetzt genug gehört. Sie sind mathematisch weit überdurchschnittlich begabt. Sie haben eine Ader für Wirtschaftswissenschaften. Sie sind gut in Physik und Chemie. Aber Sie holen einfach nicht alles aus sich raus.«
Mr. David beugte sich vor.
»Es verblüfft mich, daß jemand wie Sie die goldene Nase, die er sich später verdienen kann, für ein paar Dollar Taschengeld opfern will. Sehen Sie, Nina, das Examen ist so was wie eine Wertanlage. Für einige Ihrer Klassenkameradinnen mag das keine große Rolle spielen, aber wenn’s um Sie geht – wollen Sie das College irgendwo im Mittelfeld abschließen oder als Beste?«
Nina starrte ihn sprachlos an.
Peter David sagte: »Irgendwas werden Sie aufgeben müssen.« Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf, sah ihm in die Augen und streckte ihm die Hand hin. Peter Davids trockenes Akademikerherz war angerührt von dem Ernst, den dieses großgewachsene, schlaksige Mädchen ausstrahlte. Sie besitzt so eine natürliche Würde, dachte er.
Er schüttelte ihr herzlich die Hand.
»Ich habe Sie verstanden, Sir. Ich laß mir was einfallen.« Von jetzt an, dachte sie grimmig, sind Mom und Dad auf sich gestellt.
Noch am selben Tag fing sie an, die Stunden, die sie in Moms kleinem Laden verbrachte, drastisch zu reduzieren. Dad erklärte sie, daß er sich ab sofort darum kümmern müsse, die Bücher in Ordnung zu halten, und ihrer Mom, daß sie künftig länger hinter dem Verkaufstresen stehen müsse. Aber das paßte ihren Eltern absolut nicht, und das rieben sie ihr fortan Tag für Tag unter die Nase.
»Du arbeitest für fremde Leute, und dabei brauchen wir dich hier dringend«, brummelte ihr Dad, in den Sessel gelümmelt und die Augen auf die Glotze gerichtet, in der gerade eine von seinen geliebten Seifenopern lief.
»Du brauchst mich nicht, Dad«, sagte Nina. »Du kommst allein mit den Büchern zurecht. Du bist genauso schlau wie ich.«
»Das weiß ich, Miss. Komm mir ja nicht frech«, schnauzte ihr Vater sie an. Dad hielt sich ohnehin für ein verkapptes Genie, zum Beweis warf er ständig mit Shakespeare- und Whitman-Zitaten um sich. Und gerade das war’s ja, was Nina so an ihm verachtete: daß er intelligent war und so stolz auf seine Bildung, aber einfach nichts daraus machte. »Ich hab mit den Warenlieferungen genug zu tun.«
»Die kommen doch nur einmal pro Woche«, sagte Nina.
»Aber dann muß ich den ganzen Krempel in die Regale räumen. Das ist ein verdammt hartes Stück Arbeit.«
Nina wartete darauf, daß ihre Mutter sich laut lamentierend auf ihre Seite schlug. Aber da kam nichts. Auf einmal waren sie ein Pott und ein Deckel, weil es gegen sie ging.
»Du verplemperst zuviel Zeit mit diesem geschniegelten Footballfanatiker, mit dem du dich neuerdings triffst«, sagte ihre Mutter giftig.
»Er ist kein Fanatiker, er spielt selber Football«, erwiderte Nina und merkte, daß sie sich nicht mehr müde und erschöpft fühlte. An Jeff zu denken, das genügte schon, um hellen Sonnenschein in ihr sonst von düsteren Wolken verhängtes Leben zu bringen. Heute abend wollte sie sich wieder mit ihm im Park treffen ...
In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge, so sehr sehnte sie sich nach seinen Berührungen. Manchmal schämte sie sich, daß er sie so heiß machte. Nachts, wenn sie in ihrer engen Schlafkammer lag, auf die Stockflecken an der Decke starrte und an Jeff dachte – wie glatt seine muskulöse Brust sich anfühlte ... und wie hart sein flacher Bauch mit dem Fellchen aus drahtigen, gekräuselten Haaren, die bis zum Penis hinunterreichten –, wurde sie so unruhig und heiß und verrückt auf ihn, daß sie sich die Hand zwischen die Beine schob, um das Kribbeln loszuwerden. Komisch ... irgendwie war’s, wenn sie sich’s vorstellte, schöner, als wenn es passierte. In ihren Träumen fuhr Jeffs Zunge zärtlich über ihre unerträglich steifen Brustwarzen, und seine Hände liebkosten ihren Po und ihre Schenkel genauso, wie sie’s selber tat. Und dann verloren sich ihre Hände immer mehr in das Spiel, dessen Rhythmus von der Glut ihres Körper bestimmt wurde, ihre Lippen brachen auf, und ihr Atem wurde hastiger, wenn sie sich vorstellte, daß Jeff in ihr war und sie küßte und ihr wunderschöne Dinge sagte, dabei aber härter und immer härter zustieß, bis sie sich nicht mehr beherrschen konnte und sich krümmte und reckte und von einem lodernden weißen Feuer verzehren ließ ...
In Wirklichkeit war es, wenn sie’s mit Jeff trieb, gar nicht so, und manchmal litt sie deshalb, wenn sie anfing, sich selbst zu befriedigen, unter Schuldgefühlen. Andererseits, sie dachte ja dabei an Jeff, und sie liebte ihn doch so sehr, da konnte es eigentlich nichts Schlechtes sein.
»Der interessiert sich doch gar nicht für dich«, knurrte ihr Vater vor sich hin, »für den bist du nur ein Spielzeug.«
»Jeff liebt mich eben doch!« sagte sie zornig.
»Ach ja?« Das schwammige Gesicht ihres Vaters wurde zu einer höhnischen Fratze. »Hat er dich schon mal mit nach Hause genommen, damit du seine Familie kennenlernst? Hat er nicht. Weil wir nämlich für die nur weißer Abschaum sind. Und wenn du denkst, daß er das anders sieht, machst du dir was vor.«
»Da liegst du voll daneben«, sagte Nina wütend und riß ihren Mantel vom Türhaken.
»Hey, Nina Roth«, schrie ihre Mutter, »wo willst du hin? Auf dich wartet hier eine Menge Arbeit!«
»Kindes Undank härter trifft als des Schlangenzahnes Gift«, murmelte ihr Vater.
»Ich bin mit Jeff verabredet«, ließ Nina ihre Eltern wissen und deutete mit dem Kopf auf den Papierstapel, der sich auf dem Sofa türmte. »Kümmere du dich darum, Mom, ich hab keine Zeit.«
Und sie schlug die Tür so heftig hinter sich zu, daß sie in den Angeln zitterte.
Ellen Roth starrte auf die Tür. »Das kleine Flittchen denkt, wir wären nicht gut genug für sie«, sagte sie verbittert.
»Ja«, murmelte ihr Mann, »da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen.«
Der frische Wind, der durch den Prospekt Park wehte, wirbelte das goldene Laub auf den Wegen auf, als Nina zu ihrem üblichen Treffpunkt an der Long Meadow eilte. Es kam ihr wie eine Erlösung vor, der Enge ihrer elterlichen Wohnung entronnen zu sein. Sie konnte es kaum noch erwarten, sich in Jeffs Arme zu schmiegen. Ein Joggerpärchen trabte schnaufend an ihr vorbei, sie bedachte die beiden mit einem strahlenden Lächeln. Ach, wenn sie mit Jeff zusammensein konnte, war das Leben wunderschön!
»Hey!«
Sie fuhr herum, der Wind zauste ihr rabenschwarzes Haar, und da sah sie ihren Freund unter einer Ulme stehen. Ihr Herz fing übermütig zu hüpfen an. Ach Gott, er war so ein Prachtkerl, unter dem Navy-Sweatshirt nichts als harte, durchtrainierte Muskeln ... und wie seine kornblumenblauen Augen blitzten! Trug die neuesten Nike-Runners und eine Stahl-Rolex am Handgelenk. Nina kuschelte sich gegen die Kühle der Nacht enger in ihren abgetragenen Dufflecoat und sagte sich, daß Kleidung nur zu den Äußerlichkeiten gehörte, auf die es nicht ankam.
»Hey«, machte Jeff noch einmal, als Nina auf ihn zukam. Sein Blick huschte über Ninas billigen Mantel, aber er lächelte. »Wo hast du gesteckt?«
»’tschuldige, daß ich so spät komme.« Sie wußte, daß Jeff es nicht leiden konnte, wenn er warten mußte. »Ich konnte zu Hause nicht früher weg.«
»Kein Problem«, sagte er großzügig, wandte sich um und ging los, zum Westausgang und weiter Richtung 8th Street – zu dem billigen Hotel, in dem sie jedesmal ein Zimmer nahmen. »Besser, als wenn wir versuchen, uns bei mir zu Hause reinzuschleichen«, hatte er ihr erklärt und ihr zärtlich den Nacken geküßt. Daß er das Zimmer, obwohl sie nur ein paar Stunden blieben, immer für die ganze Nacht nahm, fand Nina cool. Oft bestellte er auch was beim Zimmerservice, und Nina kam sich dann maßlos verwöhnt und ein bißchen verrucht vor, obwohl’s ja nur um Cheeseburger und zwei Flaschen Bier ging.
Was den Sex anging, das lief meistens ganz gut. Anfangs war sie jedesmal unheimlich scharf auf ihn, aber wenn Jeff sich am Schluß mit diesem gurgelnden Keuchen, schweißgebadet und völlig ausgelaugt, auf sie fallen ließ, dann ... dann kamen ihr Zweifel. Ob dieses Aufflackern von Erregung und innerer Anspannung, das sie manchmal spürte, vielleicht schon der ganze Orgasmus war? Vielleicht konnte, wenn sie’s sich nicht selber besorgte, nicht mehr dabei herauskommen? Sie hätte das gern genau gewußt, aber eine innere Stimme sagte ihr, daß sie Jeff auf keinen Fall fragen durfte. Mit ihm allein zu sein, von ihm geküßt und gestreichelt zu werden und aus seinem Mund zu hören, wie wunderschön sie wäre, das war’s, was sie an den Stunden in dem billigen Hotel so liebte. Wenn sie mit Jeff im Bett lag, fühlte sie sich anerkannt. Und begehrt. Und das machte alles andere wett.
Aber heute nagte etwas in ihr. Eine Stimme – die schneidende Stimme ihrer Mutter, die sie im Geiste hörte. Auf einmal hatte das Hotelzimmer seinen Zauber verloren. Es kam ihr plötzlich so ... so billig vor, so schäbig.
»Hey, Jeff?« Sie stemmte sich auf den Ellbogen hoch und legte ihm die Hand auf den Arm. »Könnten wir heute mal woanders hingehen?«
Er stutzte und runzelte die Stirn.
»Gefällt dir das Payne nicht? Wo willst du denn hingehen?«
»Ich dachte, wir gehen vielleicht mal nirgendwohin.« Aber da sah sie den dunklen Schatten, der sich über sein Gesicht legte, und zögerte. »Ich würde gern ... mit zu euch nach Hause kommen und deine Mom und deinen Dad kennenlernen.«
Jeff sah sie irritiert an. »Ja? Wozu denn?«
Zugegeben, Nina sah ziemlich scharf aus, trotz ihrer billigen Klamotten und obwohl ihr Make-up nicht perfekt war und ihre Hände rauh und abgearbeitet wirkten. Ihren gesunden Teint hatten ihr Wind und Wetter auf die Haut gemalt. Und wenn sie die schweren Lider senkte, glänzten ihre Augen wie polierter Schiefer. Und ihr volles schwarzes Haar schmiegte sich wie ein funkelnder Helm um ihre Wangen. Aber wenn er sie mit nach Hause nahm – o Gott, er konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Eltern da reagierten! Mom ging bestimmt hoch wie eine Rakete. Sie nervte ihn sowieso schon die ganze Zeit, er solle sich endlich »ein nettes Mädchen« suchen. Aber für die Glazers hieß das, jemanden wie Melissa oder Josie – ein Mädchen aus ihren Kreisen. Kein jüdisches Mädchen von der South Slope, aus ärmlichen Verhältnissen. Keine Stipendiatin mit einer Säuferin als Mutter.
»Das ist eine blöde Idee. Wir können doch nicht einfach bei meinen Eltern reinplatzen.«
»Warum nicht?« fragte Nina störrisch. »Schämst du dich etwa mit mir? Genau das hat meine Mutter mir vorausgesagt.«
»Ach, die spinnt ja«, sagte Jeff gereizt. Es machte ihn völlig verrückt, wenn sie ihn so aufsässig anstarrte. Wenn auch nicht so verrückt wie ihr Körper, seitdem er sie rumgekriegt und endlich zu sich ins Bett gelotst hatte. O nein, so was wollte er auf keinen Fall wieder verlieren. Jedenfalls nicht so schnell. »Schau mal, heute abend können wir nicht hingehen, weil – äh – wir haben Gäste zum Dinner. Aber ich kann ja mal mit Mom reden. Vielleicht mal zum Tee oder so was, ja?«
»Aber ja!« Nina lächelte ihn an, sie war vor Glück ganz aus dem Häuschen.
Er liebt mich, dachte sie und mußte sich auf die Lippen beißen, um nicht laut zu jubeln. Er-liebt-mich, er-liebt-mich, er-liebt-mich ...
Ringsum Raunen und Murmeln, als Elizabeth in ihrem weitschwingenden Traum aus blaßgoldener Seide die Treppe herunterkam. Die apricotfarbenen Schuhe, die Topasohrringe, die Korallenkette – alles perfekt auf ihr gelbbraunes Haar und den zarten Schimmer ihrer Wangen abgestimmt.
Monicas anfängliches Stirnrunzeln, als sie feststellen mußte, daß Elizabeth das Laura-Ashley-Kleid verschmäht hatte, machte rasch einem warmen Lächeln Platz. Das einzige, worauf es ihr ankam, war, dieses Kind so schnell wie möglich loszuwerden. Tony drückte sanft ihren Arm und deutete diskret mit dem Kopf auf den jungen Duke of Fairfax, der sich an der Tür zur großen Halle aufgebaut hatte und kollerte wie ein Truthahn kurz vor dem Kollaps. Die Countess of Caerhaven nickte unmerklich, sie hörte Hochzeitsglocken läuten.
»Alles Gute zum Geburtstag, mein Liebes. Du siehst fabelhaft aus, das muß ich schon sagen«, dröhnte Tony und faßte Elizabeth fest am Arm, als das Mädchen anfangen wollte, einigen Gratulanten die Hände zu schütteln. Wirklich, da konnte es einem glatt die Sprache verschlagen. Seine sonst so burschikose Tochter war heute anmutig weiblich. David Fairfax war ja durchaus interessiert, und da die Liebe bekanntlich blind macht – nun, es konnte sein, daß das Mädchen der Familie zur Abwechslung mal was anderes als immer nur Ärger machte. Er schob Elizabeth mit festem Griff durch die Schar der festlich gekleideten Gäste.
»’n Abend, David. Schön, daß Sie’s einrichten konnten«, sagte der Earl warm und herzlich.
Elizabeth lief rot an. Wie konnte er nur so plump und direkt sein? Sie war drauf und dran, die Kaskaden ihrer Röcke zu raffen und sich klammheimlich davonzustehlen, bloß um nicht länger ertragen zu müssen, wie Vater sich bei David Fairfax einschmeichelte und sie wie eine preisgekrönte Jungkuh präsentierte.
»Überaus aufmerksam von Ihnen, mich einzuladen, Lord Caerhaven«, erwiderte Fairfax, ließ den Blick über Elizabeths figurbetontes Kleid gleiten und ihn zu guter Letzt auf dem mit winzigen Sommersprossen gesprenkelten Ansatz ihrer schwellenden Brüste ausruhen. Sodann versuchte er sich in sprühendem Witz. »’löchen, ’lizbeth. Glückwunsch zum Geburtstag. Sensationelles Kleid, das.«
Elizabeth sah ihn gelangweilt an. Sie wußte, daß David seit Jahren in sie verknallt war. Er sah ziemlich alltäglich aus mit seinem sandfarbenen Haar und dem kantigen Kinn. Hatte sein Examen am Polytechnikum gemacht und sich zusätzlich ein gefälschtes Landwirtschaftsdiplom beschafft. Reine Augenwischerei – ein David Fairfax hält sich sowieso einen versierten Argrarwissenschaftler, der sich um seine Ländereien zu kümmern hat. Sie waren sich oft auf Partys begegnet und später auch bei Jagdfesten oder irgendwelchen Veranstaltungen, bei denen es vornehmlich um Spenden für die Tory-Parteikasse ging – zum Einschlafen, aber ihr Vater schleppte sie eben unerbittlich mit hin. David war kein übler Kerl, nur ein ausgemachter Langweiler, und außerdem war er vierundzwanzig, während sie heute gerade mal ihren sechzehnten Geburtstag feierte. Im stillen hatte sie immer gedacht, ein Kerl, der hinter einem acht Jahre jüngeren Mädchen her war, müsse irgendwie pervers sein.
Dad hatte seine Meinung klipp und klar deutlich gemacht, für ihn konnte ein Duke gar kein Langweiler sein. Aber David war in jungen Jahren schon von gestern. Lief doch tatsächlich in Tweed rum und hörte Cole Porter, statt Bowie oder T-Rex. Grannys boshafter Schalk schlug Purzelbäume in ihr.
»Hichen, Danny. Hängt alles, wie’s hängen soll?« erkundigte sie sich grinsend.
Ihr Vater erstarrte. Aber als David Fairfax lachte, bedachte er sie nur mit einem finsteren Blick und trollte sich.
Elizabeth plauderte kurz mit David und wollte dann ebenfalls weitergehen. Aber da hatte sie die Rechnung ohne ihre Stiefmutter gemacht, die wie eine Furie auf sie zugeschossen kam.
»Was fällt dir denn ein? Merkst du nicht, wie David dich ansieht?« fauchte sie.
Elizabeth drehte sich seufzend zur Feuergrube um. Ja, Monica hatte recht, seine Hoheit geruhte, mit dem glasigen Blick eines verärgerten Mondkalbs hinter ihr herzustarren. Wie ein Spaniel, der wieder nichts von seinem Lieblingskäse abgekriegt hat. Ein stumm bettelndes Häufchen Elend.
»Ich will mit Richard Villiers tanzen«, sagte sie patzig.
Richard war der Sohn des Finanzmanagers der Dragon PLC., ein bißchen derb, aber gutmütig – und ein fanatischer Anhänger der Blackburn Rovers. Lieber unterhielt sie sich den ganzen Abend über Football, als sich Davids Gewäsch über Rosenzucht und Kartoffelanbau anzuhören.
»Nun mach schon, Elizabeth, zum Donnerwetter!« zischte Monica ihr zu.
Elizabeth zog einen Flunsch. Wenn sie keine Szene riskieren wollte, mußte sie sich wohl oder übel fügen. Sie ging also brav auf die Feuerstelle zu und sah in Davids verschlafenem Blick so etwas wie das Funkeln in den Augen eines übergewichtigen Terriers aufleuchten, der soeben einen Hasen erspäht hat.
»Sensationell, dein Kleid. Sen-sa-tio-nell«, wiederholte David sich. »Wie wär’s mit einem Tänzchen?«
Gottergeben fügte sie sich ins Unvermeidliche, sehr zum Ärger all der hoffnungsvollen Debütantinnen, die sich fest vorgenommen hatten, an diesem Abend nie weiter als zwei Schritte von der Seite des Dukes zu weichen.
»Ja doch, David, das wär echt gut.«
David wirbelte sie mit Schwung durch die Halle, wobei er ihr immer wieder auf die apricotfarbenen Schuhe trat. Elizabeth war stinkwütend. Warum nahm der unbeholfene Flegel eigentlich keine Tanzstunden? Steckte die Nase in alle möglichen Belanglosigkeiten, aber dafür hatte er keine Zeit!
»Ich sag mal einfach Bessie zu dir. Darf ich?«
»Nein«, erwiderte Elizabeth schnippisch.
»Weißt du, du in der Schule – das ist vergeudete Zeit, ehrlich. Du bist sehr hübsch. Hast du noch nie daran gedacht, daß dich einer wegheiraten könnte?«
Elizabeth rückte so weit von ihm ab, wie das bei einem Walzer möglich ist, merkte aber, daß Davids Arm sich um so fester um sie legte und sie wieder zu sich heranzog.
»Bestimmt nicht. Ich bin erst sechzehn. Und noch nicht mal auf dem College.«
Der Duke blinzelte nervös, versuchte es aber noch mal. »Warum soll ein hübsches Mädchen wie du auf dem College rumsitzen? Ich wette, deine Ma und dein Pa wären einverstanden.«
»Mach dir bloß keine Hoffnungen«, sagte sie bissig, »ich hab einen festen Freund. Joe Sharp, hier aus dem Dorf.«
»Sharp? Nie von ihm gehört.«
»Das kann ich mir denken.« Sie grinste, als sie sich Joe im ölbefleckten Overall vorstellte – ein Muskelpaket, immer einen derben Spruch auf den Lippen, und beim Küssen schmeckte er so schön verboten nach Zigaretten. »Er ist Lehrling, unten in der Autowerkstatt. Und geht in die St.-Josephs-Schule.«
»Ha-ha«, machte Fairfax kehlig, was Elizabeth sofort auf die Palme brachte. »Mach dich nicht lächerlich.«
Und plötzlich – während sie sich weiter im Takt des Straußwalzers drehten – packte er sie und zog sie an sich. Sie spürte seine Lippen auf ihrem Hals und hörte seinen schmatzenden Kuß. Sie drückte ihn empört weg.
»Was fällt dir denn ein? Laß mich los!«