Lore-Roman 174 - Viola Larsen - E-Book

Lore-Roman 174 E-Book

Viola Larsen

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Beschreibung

Sie sind erst sechs Monate verheiratet, und das Glück leuchtet ihnen nur so aus den Augen. Graf Rupert ist aber auch ein blendend aussehender Typ, auf den alle Frauen fliegen, und Tessi ist es nicht anders ergangen. Jedenfalls schwebt sie wie auf Wolken, seit sie auf Schloss Lessenfield wohnt - bis zu jenem Tag, als sie durch Zufall feststellt, dass ihr Mann sie während ihrer Flitterwochen in Venedig betrogen haben muss.
Gräfin Tessi liebt ihren Mann, aber kann sie so weiter neben ihm her leben und so tun, als sei nichts geschehen? Sie beschließt, alles auf eine Karte zu setzen ...


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Inhalt

Cover

Seitensprung in den Flitterwochen?

Vorschau

Impressum

Seitensprung in den Flitterwochen?

Prickelnder Roman um eine junge Ehe

Von Viola Larsen

Sie sind erst sechs Monate verheiratet, und das Glück leuchtet ihnen nur so aus den Augen. Graf Rupert ist aber auch ein blendend aussehender Typ, auf den alle Frauen fliegen, und Tessi ist es nicht anders ergangen. Jedenfalls schwebt sie wie auf Wolken, seit sie auf Schloss Lessenfield wohnt – bis zu jenem Tag, als sie durch Zufall feststellt, dass ihr Mann sie während ihrer Flitterwochen in Venedig betrogen haben muss.

Gräfin Tessi liebt ihren Mann, aber kann sie so weiter neben ihm her leben und so tun, als sei nichts geschehen? Sie beschließt, alles auf eine Karte zu setzen ...

Wütend rannte Tessi den endlosen Schlosskorridor hinunter. Seit einem halben Jahr war sie eine Gräfin Lessenfield, die sich eigentlich manierlicher hätte benehmen müssen, doch im Moment war ihr das wurstegal.

Ihre blonden Lockenhaare flogen, und ihre blauen Augen funkelten vor Zorn.

Es war nicht das erste Mal, dass Tessi in Rage geriet, seit sie eine Gräfin Lessenfield geworden war, und jedes Mal war es ihre Schwägerin Komtess Judith gewesen, die den Sturm des Zorns heraufbeschworen hatte. Aber noch nie war der Sturm so heftig gewesen wie an diesem Morgen!

Der Morgen konnte natürlich nichts dafür. Er war sogar ausgesprochen heiter, so frühlingsblau und sonnenhell, wie die Welt nur nach einem langen Winter war. In dem Samtrasen vor Schloss Lessenfield blühten Krokusse, Tulpen und Narzissen munter um die Wette.

Tessi hatte vom Fenster ihres Zimmers aus den fröhlichen Frühlingsboten gerade lachend zugewinkt, als der alarmierende Anruf aus dem »Schwalbennest« gekommen war.

»Ich glaube es einfach nicht!«, stieß sie außer sich hervor, als sie nun durch den Korridor spurtete. Beinahe stolperte sie über die Schnur eines Staubsaugers, die im Weg lag.

Am Vormittag waren die dienstbaren Geister überall in dem Schloss unterwegs, und man war nirgendwo vor ihnen sicher.

Eigentlich war Tessi, oder Teresa-Amalie-Desirée, wie in ihrem Taufbuch stand, ein friedlicher Mensch. Sie verabscheute Zank und Streit. Aber unterbuttern ließ sie sich nicht, auch nicht von ihrer Schwägerin Judith, die es schon tadelte, dass Tessi sich bis zum Lunch nicht an die »Kleiderordnung« hielt.

Vormittags lief Tessi nämlich immer ganz locker in Jeans und Rollkragenpullis oder T-Shirts herum, und sie dachte ja nicht daran, das zu ändern, nur weil es Komtess Judith nicht passte!

Auch in Jeans und Pullis war Tessi freilich ein durchaus erfreulicher Anblick.

Sie war ein graziler, quirliger Frauentyp. Ihr Vater hatte sie immer liebevoll seine »kleine Blitzhexe« genannt.

Ihr ovales Gesicht war fein geschnitten, wurde fast verschlungen von der blonden Lockenfülle, die es umrahmte. Tessi besaß eine natürliche Anmut, und auch wenn sie mit langen, zornigen Schritten über einen Korridor sauste, tat sie dies doch mit einer gewissen Grazie.

Vor der weißen Flügeltür angelangt, die in das Arbeitszimmer der Komtess führte, klopfte sie kurz an, stieß die Tür auf, stürmte in das Zimmer hinein und schmiss die Tür hinter sich zu.

Spornstreichs durchquerte sie den riesigen Raum und blieb in kampfbereiter Haltung vor dem Schreibtisch der Komtess stehen.

»Ich habe eben einen Anruf aus dem ›Schwalbennest‹ bekommen, der einfach unglaublich ist«, schleuderte sie ihrer Schwägerin entgegen. »Was hast du dazu zu sagen, Judith?«

»Guten Morgen«, sagte die Komtess. Sie war von Tessis wildem Auftritt vollkommen unbeeindruckt, hob gemessen den Kopf und mahnte mit impertinenter Freundlichkeit: »Zuerst sagt man ›Guten Morgen‹, meine Liebe.«

»Das ist kein guter Morgen!«, fauchte Tessi. »Logo hat mir am Telefon gesagt, dass heute Morgen alle per Einschreiben die Kündigung bekommen haben, weil das ›Schwalbennest‹ verkauft wird.« Sie rastete aus. »Ja, wie finde ich denn das? Mein Haus soll verkauft werden, und ich weiß nicht einmal etwas davon? Das ist total irre. Logo sagt das auch.«

»Und wer, bitte, ist Logo?«

»Logo ist ...« Tessi fiel sich wütend selbst ins Wort. »Ach, zum Teufel, und egal, wer er ist, außerdem weißt du es genau. Jedenfalls denke ich nicht daran, mein Haus zu verkaufen!«

»Daran solltest du aber denken, und je eher, desto besser.«

»Du hast ja daran gedacht, oder wie sehe ich das?«, schrie Tessi.

»Du siehst es richtig«, bestätigte ihre Schwägerin mit aufreizender Gelassenheit.

Judith Komtess Lessenfield verlor nie ihre vornehme Haltung und bewahrte immer Disziplin.

Wahrscheinlich, vermutete Tessi, hätte die Komtess auch nicht mit der Wimper gezuckt, wenn eine Hornisse sie gestochen hätte, und in gelegentlichen Anwandlungen von Bosheit wünschte sie sehnlichst, dass dies einmal passiert wäre. Es hätte ja nicht unbedingt eine Hornisse sein müssen, eine Wespe hätte es auch getan. Doch leider machten diese Tiere einen großen Bogen um die Komtess.

Das hätte Tessi am liebsten auch getan, doch sie lebten nun einmal unter einem Dach zusammen.

Allerdings gab Tessi sich überhaupt keine Mühe, Haltung zu bewahren, sondern sie pfefferte ihren ganzen Zorn aus sich heraus und schoss aus der Hüfte zurück.

»Ich sehe es also richtig! Na fein. Aber dann hast du es falsch gesehen oder du hast geschielt!«

Das war gemein, und Tessi wusste es, denn die Komtess hatte tatsächlich einen leichten Silberblick, der überdies nicht ihr einziger Schönheitsfehler war.

Nun gab es ja viele Menschen, sogar berühmte und beliebte Leute, bei denen ein Silberblick überhaupt nicht störte, sondern sogar reizvoll wirkte, doch bei der Komtess war dies nicht der Fall.

Es lag vielleicht daran, dass ihre schwarzen Augen so eng beieinander standen, oder es lag an ihrer langen Lessenfield-Nase, mit der sie ja nun wirklich geschlagen war. Wer hatte schon gerne eine derart lange Nase?

Aber alle Lessenfields hatten diese lange Nase im Gesicht, Graf Rupert auch, und Tessi hoffte im Stillen nur, dass ihr Baby, falls sie jemals eines bekommen sollte, keine Lessenfield-Nase haben würde.

Die Miene der Komtess blieb unbewegt, als das böse Wort fiel. Sie schielte nur noch ein bisschen mehr.

Wenn sie wenigstens sonst noch irgendwie attraktiv gewesen wäre! Aber das war sie nicht. Nur lang und dürr war sie. Das schwarze Haar trug sie in einem strengen Herrenschnitt, und immer lief sie in Reithosen und Reitstiefeln herum. Tessi hegte den Verdacht, dass sie damit auch zu Bett ging.

Ein Wunder, schoss es ihr wieder einmal durch den Kopf, war es nicht, dass Komtess Judith keinen Mann abbekommen hatte. Tessi war dreiundzwanzig Jahre jung, und für ihre Begriffe war die Komtess schon uralt. In Wirklichkeit war Komtess Judith freilich erst Mitte vierzig.

»Mein Haus gehört mir«, tobte Tessi, »und ich verkaufe es nicht. Und du hast kein Recht, meinen Freunden zu kündigen!«

»Deinen Mietern!«, korrigierte Komtess Judith. Sie hatte eine fatale Art, spöttisch die Mundwinkel zu verziehen. »Und was sind das schon für Leute!«

»Das sind ordentliche Leute, und sie zahlen ihre Miete pünktlich!«

»Miete nennst du das?« Der Tonfall der Komtess hob sich, und sie hatte sowieso schon eine etwas blecherne Stimme. »Diese ›ordentlichen Leute‹ wohnen praktisch umsonst in deinem Haus. Normale Menschen würden in das Haus freilich gar nicht erst einziehen. Es ist kein Geheimnis, dass in dem Gutshaus der Putz von den Wänden fällt!«

»Trotzdem kannst du mein Haus nicht verkaufen!«

»Oh doch, das kann ich!«, versicherte die Komtess mit einem arroganten Schulterzucken. »Das Haus ist deine Mitgift. Laut Ehevertrag ist es somit in das Eigentum deines Mannes übergegangen ...«

»Wohin ist es übergegangen?«, trompetete Tessi der Komtess dazwischen.

»In Ruperts Eigentum.«

»Das soll wohl ein Witz sein!«

»Das ist die Realität, meine Liebe.« Komtess Judiths linke Braue zuckte in die Höhe, was ein Zeichen dafür war, dass sie sich voll im Recht fühlte. »Es steht im Ehevertrag«, setzte sie noch eins drauf, »und zwar in einem Sonderpassus des Kleingedruckten.«

Tessi war, als sie den Ehevertrag unterschrieben hatte, himmelhoch verliebt und wahnsinnig glücklich gewesen. Wer las in einem solchen Zustand schon das Kleingedruckte?

Tessi hatte es jedenfalls nicht gelesen, und sie hatte das scheußliche Gefühl, dass der Parkettboden unter ihr wegrutschte.

Aber so schnell war sie nicht auszutricksen, und von Komtess Judith schon gleich gar nicht.

»Ich werde mit meinem Anwalt darüber sprechen«, trumpfte sie auf.

»Die Mühe kannst du dir sparen, das habe ich bereits getan, bevor ich den Makler mit dem Verkauf beauftragt habe ...«

»Du hast mit dem Lessenfield-Anwalt gesprochen!«, fuhr Tessi der Komtess hitzig in die Rede. »Der vertritt natürlich nicht meine Interessen. Er ist schließlich dein Anwalt und ...«

Der erstaunte Silberblick, der sie traf, ließ sie kurz verstummen.

»Du bist jetzt eine Lessenfield, meine Liebe, und somit haben wir den gleichen Anwalt.«

Das sah Tessi anders. »Außerdem ist es überhaupt unmöglich, das Haus zu verkaufen. Es ist ein Gutshaus, und es gehören Wald und Ländereien dazu.«

Wenn Komtess Judith lachte, hatte das nie etwas Gutes zu bedeuten, denn sie konnte gar nicht richtig lachen, sie bleckte nur die Zähne.

»Das Gutshaus ist keinen Pfifferling mehr wert, meine Liebe!«, führte sie kühl aus. »Jeder vernünftige Mensch wird es sofort abreißen und etwas Neues bauen. Das Gelände darum herum wäre für ein Sanatorium oder ein Kurhotel gut zu nutzen. Nun, das wird man sehen, sobald sich ein potenter Käufer gefunden hat.«

»Das lasse ich nicht zu!« Tessi hätte der Komtess am liebsten das Gesicht zerkratzt. »Ich habe mir ja schon eine Menge von dir gefallen lassen, Judith! Aber das nicht! Das geht zu weit! Das ist der absolute Gipfel!« Sie holte tief Luft. »Ich nehme deine komischen Kündigungen sofort zurück, und das Haus bleibt stehen, wo es steht. Ende der Fahnenstange!«

Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte in Richtung Tür. Aber ganz so sicher, wie sie tat, war sie keineswegs.

Auch die Komtess war ihrer Sache allerdings nicht absolut gewiss. Sie kniff die Augen zusammen, als sie der jungen Gräfin nachblickte, und das machte sie nur, wenn sie verunsichert war.

Es stimmte schon, dass der Ehevertrag im Kleingedruckten einen Sonderpassus bezüglich der Mitgift enthielt, doch einem geschickten Anwalt, hatte ihr Rechtsberater sie gewarnt, könnte es durchaus gelingen, diesen Passus anzufechten oder gar zu Fall zu bringen.

Deshalb hatte die Komtess über Tessis Kopf hinweg den Mietern gekündigt und einen Makler mit der Abwicklung der Angelegenheit beauftragt. Sie hatte dabei auf den Überrumpelungseffekt gesetzt. Doch bei Tessis rasantem Abmarsch kamen ihr nun Zweifel, ob der Effekt überhaupt gegriffen hatte oder nicht etwa schlicht verpufft war?

***

Tessi stolperte wieder über die Staubsaugerschnur, als sie durch den Korridor zurücklief. Sie zitterte vor Empörung, aber die Angst saß ihr auch im Genick.

Warum nur, schalt sie sich aus, hatte sie das verflixte »Kleingedruckte« nicht gelesen? Sie glaubte freilich, dass Graf Rupert es auch nicht gelesen hatte. Er mochte seine Eigenheiten haben, aber ganz bestimmt war er kein Mensch, der finstere Intrigen spann.

Noch als sie die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufriss, war Tessi felsenfest davon überzeugt, dass der Graf mit allem nichts zu tun hatte, sondern dass es sich lediglich um einen bitterbösen Alleingang der Komtess handelte.

Stutzig hätte es sie machen müssen, dass Graf Rupert weder erstaunt noch gar bestürzt über ihr plötzliches Eindringen in sein Studio war.

Das Studio war nämlich sozusagen verbotenes Terrain für jeden Unbefugten. Wenn Graf Rupert mit seiner Arbeit beschäftigt war, wünschte er, nicht gestört zu werden, von niemand, nicht einmal von seiner Schwester Judith und auch nicht von seiner jungen Frau.

»Tut mir leid, Rupert, wenn ich dich störe, aber ich muss sofort mit dir reden!«, stieß Tessi hervor.

Er reagierte etwas merkwürdig. Bevor er den Kopf hob, wandte er erst noch eine Seite der Korrekturbögen um, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.

»Himmel, kannst du das Zeug nicht liegen lassen und mir eine Minute zuhören?«, rief Tessi aufgebracht.

»Doch, natürlich, Teresa.« Wenn Graf Rupert »Teresa« zu ihr sagte, war nicht gut Kirschen mit ihm essen, das wusste Tessi inzwischen, aber auf derlei Feinheiten konnte sie im Moment keine Rücksicht nehmen.

»Ich arbeite gerade an einer sehr wichtigen Expertise für das Britische Museum«, erklärte er und legte nur widerstrebend den roten Korrekturstift zur Seite.

Endlich sah er Tessi an, und sie erschrak, denn er hatte wieder jenen »kalten Blick«, der sie schon einmal furchtbar erschreckt hatte. Das war in einem Palazzo in Venedig gewesen, es war um ein Gemälde gegangen, und der Blick hatte einer blonden Italienerin gegolten, einer Galeristin, die sich auch für die Gemälde interessiert hatte.

»Ich nehme an, es handelt sich um die leidige Geschichte des Verkaufs deiner Mitgift!«, äußerte er kühl.

»Du hast es also gewusst?«, stammelte Tessi. »Du hast gewusst, was Judith macht, und du hast mir kein Wort davon gesagt?«

Er zuckte etwas gereizt mit den Schultern.

»Um derlei Dinge kümmere ich mich nicht, das weißt du doch. Judith regelt das alles, und sie hat mir gesagt, was auch immer sie in dieser Sache unternehmen werde, es habe seine Ordnung und Richtigkeit.«

»Wenn ohne mein Wissen, über meinen Kopf hinweg, meinen Freunden gekündigt und mein Haus samt der Ländereien zum Verkauf angeboten wird, das hat seine Ordnung und Richtigkeit?«

Graf Rupert senkte kurz den Blick. »Juristisch in jedem Falle«, betonte er. »Juristisch hat es seine Richtigkeit.«

»Ja, wusstest du das denn auch?«, flüsterte Tessi ganz entgeistert. »Ich meine, hast du das Kleingedruckte des Ehevertrages gelesen, bevor du den Vertrag unterschrieben hast?«

»Nein, das habe ich nicht getan.« Ein Lügner war Graf Rupert nicht. »Aber Judith hatte mich in kurzen Zügen über den Inhalt des Vertrages unterrichtet.«

Tessi fasste es einfach nicht. Eine scheußliche Schwäche befiel sie, und es wurde ihr schwarz vor den Augen.

»Möchtest du dich nicht setzen?«, fragte Graf Rupert.

Das mochte Tessi eigentlich nicht. Aber sie tat es, weil ihre Knie zitterten. Sie setzte sich in den steifen Besuchersessel, der vor dem Schreibtisch stand.

Während des halben Jahres ihrer Ehe war sie noch nicht oft in dem Studio des Grafen gewesen. Im Stillen nannte sie es respektlos die »heilige Kuh«, weil niemand daran rühren durfte, ohne Aufsicht nicht einmal einer der dienstbaren Geister.

Jeden Morgen überwachte Graf Rupert höchstwahrscheinlich die Säuberung des Raumes. Allerdings hatte Tessi auch noch nie sonderlich das Verlangen gehabt, sich in dem Studio aufzuhalten.

Das Studio war kühl, streng und vollgestopft mit kostbaren Sammlerstücken mannigfacher Art. Wertvolle Gemälde und Lithographien verschiedener Stilrichtungen hingen dicht neben- und übereinander wie in einem Museum. Erlesene Schwerter schmückten eine ganze Wand. Auf einem Regal prangten edle China-Porzellane, und in einer Vitrine war ein ganzes Heer von Zinnsoldaten aufmarschiert.

Graf Rupert war ein leidenschaftlicher Sammler und ein gefragter Kunstexperte auf verschiedenen Gebieten.

Der Schreibtisch war wie eine Insel in dem Meer der Sammlerstücke, aber auch er war beladen mit Büchern, Abbildungen, Schriftsätzen, Notizzetteln und den Korrekturabzügen, die vor dem Grafen lagen.

Wie kann es ein Mensch hier drinnen nur stundenlang aushalten?, ging es Tessi ganz langsam durch den Kopf.

Sie stand wie unter Schock, und es dauerte eine Weile, bis sie sich gefasst hatte.

Graf Rupert griff wieder zu seinem roten Korrekturstift und wartete höflich, wenn auch mit leiser Ungeduld, bis die unliebsame Unterbrechung beendet war, damit er mit seiner Arbeit fortfahren konnte.

Unverwandt sah Tessi ihn an, und sie hatte das schreckliche Gefühl, einen Fremden zu sehen.

War das der Mann, in den sie sich Hals über Kopf heillos verliebt und dem sie aus überströmenden Herzen heraus ihr Jawort gegeben hatte? Nicht vor dem Altar freilich, denn davon hatte er nichts wissen wollen, weil ihm derlei Zeremonien nicht gefielen und weil er sie für überflüssig hielt.

Sie waren nur standesamtlich getraut worden, und das war eine recht nüchterne Angelegenheit gewesen.

Alles war an ihrer Hochzeit überhaupt nicht so verlaufen, wie Tessi sich das in ihren Jungmädchenträumen ausgemalt hatte. Kein rauschendes Fest hatte stattgefunden, sondern es war im engsten Kreis lediglich ein kleines Champagnerfrühstück gereicht worden. Auch die wenigen Flittertage, die sie zusammen verlebt hatten, waren nicht gerade das Paradies auf Erden gewesen.

Zwar war Graf Rupert mit seiner jungen Frau in das Paradies aller Flitterwöchner, nämlich nach Venedig gereist, doch er hatte das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und gleichzeitig die Besichtigung einer zum Verkauf stehenden Gemäldesammlung vorgenommen, die sich in einem uralten zum Abriss freigegebenen Palazzo befunden hatte.

Für Tessi war das ziemlich langweilig gewesen, und außerdem hatte sie sich in dem kalten, zugigen Palazzo einen tüchtigen Schnupfen geholt. Auch Flittertage hatten in ihren Träumen eigentlich ganz anders ausgesehen!

Aber zum Glück war ja nicht immer Tag gewesen, und an die Romantik der sternenhellen Nächte in der Lagunenstadt, dachte sie noch immer mit wohligem Erschauern zurück. Gewiss war Graf Rupert manchmal etwas seltsam, aber ein zärtlicher und leidenschaftlicher Liebhaber war er bestimmt.

Außerdem war er ein auffallend gut aussehender Mann.

Graf Rupert war schlank und hochgewachsen. Er hatte dunkles Haar und eisblaue Augen. Sein längliches Gesicht und die lange Lessenfield-Nase passten irgendwie zu seiner gesamten, vornehmen Erscheinung. Komtess Judith und er sahen sich ähnlich, doch Graf Rupert hatte keinen Silberblick wie seine ältere Schwester, und er konnte auch richtig lachen.