Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 636 - Viola Larsen - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 636 E-Book

Viola Larsen

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Beschreibung

Henny Marquard fliegt nach London, um dort im Auftrag ihres Chefs eine Schlossbibliothek zu ersteigern. Im Gepäck hat sie die Romanskizze ihrer Mutter, einer erfolgreichen Krimiautorin, die auf wertvolle Tipps ihrer Tochter hofft, weil ihre Fantasie mal wieder mit ihr durchgegangen ist und die Geschichte ihr zu entgleiten droht.

Henny ist also bestens mit dem Romangeschehen vertraut und wie vor den Kopf geschlagen, als sie plötzlich leibhaftig Lord Percy, dem Schlossherrn, gegenübersteht, einem der Hauptverdächtigen im neuen Krimi ihrer Mutter. Und noch schlimmer ist, dass Henny sich auf den ersten Blick in den attraktiven Mann verliebt. Doch für Lord Percy regiert Geld die Welt, denn er muss eine Geldheirat eingehen, sonst kommt nicht nur die Bibliothek, sondern auch das Schloss unter den Hammer!

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Inhalt

Cover

Kein Happy End für Henny?

Vorschau

Impressum

Kein Happy End für Henny?

Wenn der Traum vom Glück in weite Ferne rückt

Henny Marquard fliegt nach London, um dort im Auftrag ihres Chefs eine Schlossbibliothek zu ersteigern. Im Gepäck hat sie die Romanskizze ihrer Mutter, einer erfolgreichen Krimiautorin, die auf wertvolle Tipps ihrer Tochter hofft, weil ihre Fantasie mal wieder mit ihr durchgegangen ist und die Geschichte ihr zu entgleiten droht.

Henny ist also bestens mit dem Romangeschehen vertraut und wie vor den Kopf geschlagen, als sie plötzlich leibhaftig Lord Percy, dem Schlossherrn, gegenübersteht, einem der Hauptverdächtigen im neuen Krimi ihrer Mutter. Und noch schlimmer ist, dass Henny sich auf den ersten Blick in den attraktiven Mann verliebt. Doch für Lord Percy regiert Geld die Welt, denn er muss eine Geldheirat eingehen, sonst kommt nicht nur die Bibliothek, sondern auch das Schloss unter den Hammer!

»Rocky, ich gehe jetzt nach oben und packe!«, verkündete Henny laut.

Frau Henriette reagierte nicht. Sie rutschte auf der äußersten Kante ihres Schreibtischsessels hin und her und war ungeheuer in ihr neuestes Werk vertieft. Es trug den vielversprechenden Arbeitstitel: »Die verschwundenen Pentelton-Juwelen«.

Da ihre Mutter fasziniert das grüne Auge ihres Tonbandgerätes fixierte, wusste Henny, dass weitere Bemühungen, sich verständlich zu machen, zwecklos waren. Frau Henriette war, wie immer, wenn sie an einem neuen Roman schrieb, nicht ansprechbar.

Henny blieb noch einige Augenblick unschlüssig stehen. Schließlich war es wichtig, was sie ihrer Mutter mitzuteilen hatte.

Frau Henriette fiel garantiert aus sämtlichen Romanhimmeln, wenn sie in zwei Stunden ohne Vorwarnung vor der vollendeten Tatsache stand, dass ihre Tochter plötzlich nach London flog.

Die Reise kam auch für Henny überraschend, doch sie freute sich darauf.

Frau Henriette, die in ihrer Fantasie ständig um den Globus düste, legte keinen allzu großen Wert darauf, richtige Reisen zu machen, die sie nur von ihrem geliebten Schreibtisch fernhielten.

Henny hingegen war recht unternehmungslustig. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt, ein brünetter, attraktiver Typ und gerne modisch gekleidet, aber nicht zu verrückt. Sie bevorzugte einen unaufdringlichen Stil.

Das Haar lockte sich kapriziös um ihr apartes Gesicht. Henny hatte auffallend große braune Augen. Ihr Lachen war mädchenhaft, ihre Stimme klang weich und angenehm. Sie war intelligent und neugierig auf alles, was das Leben an bunter Vielfalt und Überraschungen zu bieten hatte.

In ihrem Wesen war Henny zurückhaltend. Sie schloss keine schnellen Freundschaften, aber wenn sie sich für einen Menschen entschieden hatte, dann war sie ein treuer und verlässlicher Freund.

In der Liebe hatte sie noch keine Erfahrung, weil ihr an oberflächlichen Flirts nichts lag und weil sie glaubte, dass Liebe etwas Besonderes war und sie ihr gewiss eines Tages begegnen würde.

Draußen ging es wieder einmal ziemlich geräuschvoll zu. Die vornehme Stille des Villenviertels, in dem Hennys Elternhaus stand, wurde von fröhlichem Kinderlärm erschüttert, seit die Grünanlage gegenüber in einen Abenteuerspielplatz umfunktioniert worden war.

Wenn Frau Henriette in der Anfangsphase eines Romans steckte, störte der Lärm sie empfindlich. Später, wenn sie sich mit ihrer Fantasie erst in der Welt, in der ihre Geschichten spielten, eingerichtet hatte, hörte sie ihn gar nicht mehr.

Im Moment befand sie sich in einem fortgeschrittenen Stadium ihres Romans, und somit existierte die Umwelt nicht für sie, und zwar einschließlich ihrer einzigen Tochter Henny, die sie zärtlich liebte.

Durch die Buntglas-Fenster fiel der Nachmittags-Sonnenschein eines milden Oktobertages. Nach einem verregneten Sommer war der Herbst ungewöhnlich warm und heiter. Henny dachte, dass England bei diesem herrlichen Wetter bestimmt eine Reise wert war.

Wenn die Sonne durch die bunten Scheiben fiel, war das Studio Frau Henriettes von einem geheimnisvollen Licht erfüllt.

Sie nannte ihr Arbeitszimmer beharrlich »Studio«, obwohl diese moderne Bezeichnung eigentlich nicht passte, denn es war ein Zimmer voll nostalgischer Behaglichkeit, das mit stilvollen Mahagoni-Möbeln eingerichtet war und an dessen Wänden die Bücherregale bis an die Decke wuchsen.

Frau Henriettes Schreibtisch stand in dem hellen Erker, doch sie saß – und dies war nur eine von vielen Widersprüchlichkeiten ihrer Persönlichkeit – mit dem Rücken zum Fenster, weil sie, wie sie behauptete, für ihre Arbeit den Blick in den Raum brauchte.

»Ich kann mich nicht konzentrieren«, pflegte sie zu bedauern, »wenn ich zum Fenster hinaussehe. Denn dort gibt es hundert Dinge, die mich ablenken.«

Frau Henriette diktierte ihre Romane auf Tonband, und das erforderte natürlich eine strenge Konzentration.

In der Umgebung wurde das Haus des verstorbenen Kriminalrates Henning Marquard nur das »Hexenhaus« genannt, doch das hing nicht mit den aufregenden Kriminalromanen zusammen, die Frau Henriette schrieb, sondern mit dem Aussehen des Hauses.

Es war eine alte, kleine Villa mit Erkern, Giebeln und einem zierlichen Eckturm, auf dem eine Zwiebelhaube aus Messing saß.

Die Fassade war natürlich nicht mit Lebkuchen gespickt, sondern sie wurde malerisch von Efeu umrankt, und da zwischen den Ranken rote Klinkersteine mit weißem Verputz hervorlugten, mochte dies auf einen flüchtigen Blick schon die Illusion knuspriger, mit Zuckerguss garnierter Leckereien erwecken.

Die Fenster waren klein und blitzblank, freilich bestanden sie nur im Erdgeschoss aus bunten Scheiben. Der weitläufige Garten um das Haus wirkte ungeheuer romantisch, wurde aber in Wirklichkeit sehr sorgfältig gepflegt, um diese verwunschene Atmosphäre zu bewahren. Jedenfalls stimmte das Bild des Hexenhauses genau.

Die Kinder auf dem Spielplatz in der Parkanlage gegenüber sausten von der Riesenrutsche und kreischten und lachten um die Wette.

Frau Henriette zuckte nun, durch die Geräusche aufgescheucht, doch etwas zusammen.

»Ich liebe Kinder«, murmelte sie, »aber manchmal töten sie mir den letzten Nerv!«

Henny stellte erleichtert fest, dass ihre Mutter durch die Störung der Wirklichkeit etwas näher gerückt war, und sie nahm einen neuen Anlauf.

»Adrian hat die Grippe, und ich muss ihn auf einer Auktion in London vertreten, Rocky.«

Henny nannte ihre Mutter liebevoll »Rocky«, und das hing mit Frau Henriettes männlichem Pseudonym »Rock Madras« zusammen.

Unter diesem Namen erschienen ihre Kriminalromane, in denen sogar das Papier vor Spannung knisterte und die von Frau Henriettes zahlreichen Krimi-Fans begierig verschlungen wurden.

Frau Henriette liebte ihr Pseudonym aus dem englischen Wort »rock«, das auf Deutsch »Fels« hieß, und aus »Madras«, einer Hafenstadt im Golf von Bengalen, und sie fand, dass es unheimlich stark klang.

»Hörst du mir zu, Rocky?«, fragte Henny fragte mit erhobener Stimme.

»Hast du etwas gesagt, Liebes?«, antwortete Frau Henriette mit einer Gegenfrage.

»Ich habe gesagt, dass Adrian die Grippe hat!«

Adrian hieß mit vollem Namen und Titel Dr. phil. Adrian Sommer, und er war Hennys Chef.

»Adrian?« Frau Henriette vergaß schlagartig ihre Romanhelden und wandte sich der Realität zu. Hoffnungsvoll erkundigte sie sich: »Hat er sich dir endlich erklärt?«

»Nein, er hat die Grippe.«

»Der Ärmste!« Frau Henriettes Wunschtraum war es, dass aus Dr. Sommer und ihrer Tochter ein Paar wurde, weil sie fand, dass die beiden hervorragend zusammenpassten. »Es ist natürlich bedauerlich, dass er die Grippe hat.« Sie blinzelte listig hinter ihrer schicken Brille. »Aber andererseits ist es vielleicht ganz nützlich, wenn er auf diese Weise endlich einmal merkt, wie gut es doch wäre, wenn er eine Frau hätte, die ihn pflegen könnte.«

»Vergiss Adrians Grippe, Rocky!«, flehte Henny.

»Wie könnte ich vergessen, dass Adrian leidet!«, entrüstete sich Frau Henriette. »Er ist vielleicht mein zukünftiger Schwiegersohn. Ich hoffe es zumindest sehr.« Sie schüttelte den Kopf. »Für mich ist es unbegreiflich, dass eure Romanze wortwörtlich in den Kinderschuhen stecken geblieben ist. Ihr seid einmal zusammen in den Kindergarten gegangen. Ihr habt später einige Semester zusammen studiert. Jetzt arbeitet ihr zusammen in diesem Literaturtempel, und was passiert? Nichts!«

In Frau Henriettes Romanen passierte immer etwas, und vor allem blieb keine Liebesromanze in den Kinderschuhen stecken.

Frau Henriette war eine reizende ältere Dame, der niemand zutraute, dass sie an ihrem Schreibtisch mit Wonne mordete.

Sie war humorig und stets verständnisbereit für fremde Sorgen und Nöte, vorausgesetzt, dass sie nicht gerade einen Roman schrieb, und dies tat sie freilich meistens.

Die Schriftstellerin hatte krauses weißes Lockenhaar und die gleichen großen braunen Augen wie ihre Tochter Henny. Sie war bienenfleißig, und sie liebte ihre Arbeit.

Den Kriminalrat hatte der Job seiner Frau teils amüsiert, teils genervt, aber natürlich hatte er ihr sein Fachwissen immer bereitwillig zur Verfügung gestellt.

Die Notizen des Kriminalrats über von ihm bearbeitete, besonders komplizierte Fälle, seine Sammlung kurioser oder auch ungelöster Kriminalgeschichten, die sich tatsächlich ereignet hatten, und vor allem seine umfangreiche Fachliteratur waren noch immer eine Quelle, aus der Frau Henriette unermüdlich schöpfte.

Henny hatte sich aus der »kriminellen« Atmosphäre ihres Elternhauses in einen friedlichen Job gerettet: Sie war Bibliothekarin geworden.

»Ich fliege nach London!«, wiederholte sie laut, weil sie befürchtete, dass ihre Mutter schon wieder in ihre Romanwelt abgetaucht war.

»Du fliegst nach London?«, fragte Frau Henriette erschüttert. »Das ist ein ungeheurer Zufall, Kind. Mein Roman spielt auch in London!«

Henny fand den Zufall nicht so ungeheuer, denn fast alle Romane ihrer Mutter spielten zumindest zum Teil in London.

»Ich muss Adrian auf einer Auktion vertreten.«

»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Weil ich es selbst gerade eben erst erfahren habe.«

Frau Henriettes Blick fiel auf die Schreibtischuhr, deren goldener Perpendikel hurtig hin und her flitzte.

»Wieso bist du überhaupt schon da?«, wunderte sie sich. »Du kommst doch immer erst nach sechs Uhr abends.«

»Heute bin ich eben schon um drei Uhr nachmittags da, weil ich nach London fliegen muss. Eine Schlossbibliothek wird versteigert. Die Stiftung ist an dem Erwerb interessiert, und da Adrian die Grippe hat, fliege ich. Ich werde voraussichtlich eine Woche fortbleiben.«

»Das kannst du mir nicht antun!«, rief Frau Henriette empört. »Du weißt doch ganz genau, wie verwickelt die Geschichte um die verschwundenen Pentelton-Juwelen ist. Blut klebt an diesen Dingern, und der Täter läuft noch unerkannt und frei in der Romanlandschaft herum.«

Tatsache war, dass die Brandung der Geschehnisse Frau Henriette wieder einmal zu überrollen drohte.

»Ich brauche deine Hilfe, Kind«, jammerte Frau Henriette. »Du denkst so wunderbar logisch! Ich will nicht behaupten, dass ich nicht logisch denken kann! Aber meine Fantasie geht immer mit meiner Logik durch.«

Frau Henriette bastelte zwar sorgfältig ein Gerüst für jede ihrer Geschichten, doch spätestens nach der dritten Seite machten die Romanfiguren sich selbstständig und liefen der Autorin davon. Frau Henriette hechtete hinter den Ausreißern her und brauchte schließlich dringend die Hilfe ihrer Tochter, um die verhedderten Fäden wieder aufzuriffeln.

Die Pentelton-Story war fürchterlich verzwickt. Es gab nämlich eine Reihe von Leuten, die Mord und Raub begangen haben mochten und die auch alle gute Motive für ihr böses Handeln hatten, doch dringend tatverdächtig war eigentlich nur der ganz reizende Lord Percy.

»Und wenn es nun doch nicht Lord Percy war?«, überlegte Frau Henriette verzweifelt.

Henny seufzte. Die Romanfiguren ihrer Mutter gingen ihr manchmal entsetzlich auf den Geist, weil diese Leute sich förmlich in ihrem Leben einnisteten und sich so lange häuslich darin niederließen, bis Frau Henny das erlösende Wort »Ende« diktiert hatte.

Der dringend tatverdächtige und ganz reizende Lord Percy trieb es besonders arg. Er verfolgte Henny bis in ihre Träume, doch noch immer war sie nicht dahintergekommen, ob er nun wirklich der Täter war oder vielleicht doch nicht.

»Jedenfalls war er in der fraglichen Nacht, in der die Juwelen auf Nimmerwiedersehen verschwanden und die arme alte Lady Pentelton erdolcht wurde, in Pentelton-House!«, betonte Frau Henriette! »Und am nächsten Morgen wurde Lord Percy mit einem höchst verdächtigen kleinen Koffer in der Londoner U-Bahn gesehen. Das kann natürlich nur bedeuten, dass er ...«

Bevor ihre Mutter weiterreden konnte, ergriff Henny die Flucht.

»Entschuldige, Rocky, aber ich muss jetzt wirklich packen!«

♥♥♥

Im Eiltempo lief Henny durch die gemütliche Diele und spurtete die hölzerne Wendeltreppe hinauf, die in das Obergeschoss führte, in dem die Schlafräume lagen.

Sie schnappte ihren Koffer und überlegte, was sie alles mitnehmen musste.

Eine Auktion war kein gesellschaftliches Ereignis. Andererseits fand die Auktion in einem Castle statt, das in der unmittelbaren Umgebung von London lag, und vielleicht ergab sich doch eine Gelegenheit, ein Theater oder die Oper zu besuchen.

Natürlich bestand auch keine Garantie dafür, dass der Herbst noch eine Woche lang brav blieb. Das Wetter konnte sehr schnell umkippen, und die Londoner Nebel waren schließlich berüchtigt.

Henny entschied sich für eine kleine Abendrobe und für einige schicke Herbst-Kombinationen.

Die Tür ging auf.

»Kann ich dir beim Packen helfen, Kind?«, fragte Frau Henriette.

»Sei ehrlich, Rocky! Du willst doch nur noch schnell über Lord Percy mit mir reden!«

»Will ich nicht!« Frau Henriette erhob die Schwurfinger. »Lord Percy ist zauberhaft, und er beschäftigt meine Fantasie ganz ungeheuer. Aber du bist schließlich mein Kind! Es bricht mir das Herz, dass wir acht Tage lang getrennt sein werden!«

Mutter und Tochter, die seit dem frühen Tod des Kriminalrats allein zusammenlebten, hatten ein sehr herzliches Verhältnis zueinander, und Henny fiel es auch schwer, ihre Mutter eine ganze Woche lang allein zu lassen.

Henny wusste aber, dass ihre Mutter in Gesellschaft ihrer Romanfiguren gut aufgehoben war und sich ganz bestimmt nicht langweilte.

Außerdem kam morgens die Zugehfrau Ottilie. Gegen Abend holte das nette Fräulein Helga die besprochenen Tonbänder ab und lieferte gleichzeitig die abgetippten Skriptseiten ab, und den Tag über werkelte der alte Tobias im Garten herum.

»Um was für eine Auktion geht es doch gleich, hast du gesagt?«, fragte Frau Henriette.

»Um eine Schlossbibliothek, an deren Erwerb die Stiftung interessiert ist«, antwortete Henny, während sie ihren Koffer packte.

»Es ist wirklich ein Glück, dass du den Job bei dieser Stiftung bekommen hast«, meinte Frau Henriette dankbar.

Die Stiftung war durch einige sehr reiche, literaturbegeisterte Leute ins Leben gerufen worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, der Weltliteratur einen Tempel einzurichten.

Dieser Literaturtempel befand sich in einem ehemaligen großherzoglichen Palais, und unter Dr. Sommers engagierter Leitung hatte er sich zu einem kulturellen Treffpunkt entwickelt.

Es fanden Ausstellungen moderner Maler, Lesungen zeitgenössischer Autoren und Konzerte junger Komponisten und Interpreten statt. Der Nachwuchs hatte durch die Stiftung eine echte Chance.

Henny packte ihre Kosmetikutensilien ein. Ein zarter Lavendelduft breitete sich aus.

»Die arme alte Lady Pentelton benutzte auch Lavendel«, murmelte Frau Henriette versonnen. Nach einer kurzen Pause fügte sie lebhaft hinzu: »Um doch noch einmal auf Lord Percy zurückzukommen, Kind, könntest du nicht zwischendurch vielleicht ein bisschen über die Story nachdenken, wenn du mal Zeit hast? Jedenfalls ist der Lord wirklich ein ganz reizender junger Mann!«

Frau Henriettes braune Augen bekamen einen träumerischen Glanz, während sie die Vorzüge ihres Romanhelden aufzählte.

»Lord Percy ist siebenundzwanzig Jahre alt, eins achtzig lang, er hat blondes Haar und helle blaue Augen. Er ist liebenswürdig, witzig, geistvoll, nobel und charmant ...«

»... und er hat wahrscheinlich die arme alte Lady Pentelton gemeuchelt, um an ihre Juwelen zu kommen«, ergänzte Henny trocken.

»In dubio pro reo«, erwiderte Frau Henny würdevoll. »Im Zweifel für den Angeklagten, heißt es in der Rechtsprechung, und das gilt auch für Lord Percy, solange wir ihm die Tat nicht beweisen können.« Sie bekam ihr Grübelgesicht und sinnierte.

Schon nach einer kurzen Weile hatte sie eine Erleuchtung.

»Natürlich lässt Lord Percys Schuldlosigkeit sich ganz einfach beweisen, nämlich dadurch, dass er in seinem Köfferchen nur eine Zahnbürste spazieren trägt, während die Juwelen irgendwo in Pentelton-House versteckt sind.«

»Ich werde danach suchen«, versprach Henny sarkastisch.

»Das ist eine gute Idee, Kind! Du könntest dich in diesem Castle nach einem originellen Versteck für die Pentelton-Juwelen umsehen! Das könnte uns der Lösung des Falles möglicherweise näher bringen.«

»Und ich muss mich dem Flughafen näher bringen!« Henny schob ihre Mutter liebevoll zur Tür hinaus. »Wir reden wieder über Lord Percy, wenn ich von London zurück bin.« Sie sagte das freundlich und bestimmt und ahnte nicht, wie prophetisch ihre Worte waren.

Die Tür klappte hinter Frau Henriette zu.

Nunmehr ungestört und allein, packte Henny zielstrebig ihre restlichen Siebensachen ein, zog einen flotten Reisedress an und setzte sich in Marsch.

Das Taxi, das sie zum Flughafen bringen sollte, war vom Literaturtempel aus geordert worden, und sie nahm an, dass es gleich vorfuhr.

Frau Henriette wartete in der Diele und umarmte ihre Tochter.

»Gib gut acht auf dich, Liebling!«

»Dito, Rocky!« Henny schlug ganz bewusst einen etwas burschikosen Ton an, damit die Rührungstränen nicht zu fließen anfingen. »Und grüße die Penteltons von mir.«