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Nach vielen Schicksalsschlägen haben Daniela von Cranach und Claudio Coreny wieder zueinandergefunden. Die beiden lieben sich schon von frühester Jugend an, und doch hat das Schicksal ihre Wege für einige Jahre getrennt.
Nun sind sie endlich Mann und Frau und könnten unendlich glücklich sein, wenn nicht die Schatten der Vergangenheit zwischen ihnen stünden. Denn plötzlich gerät Daniela in den Verdacht, am Tod ihres ersten Mannes schuldig zu sein.
Für das junge Ehepaar beginnt eine Zeit der Anschuldigungen und Demütigungen, der Zweifel und Intrigen. Eine große Liebe muss sich bewähren ...
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Seitenzahl: 135
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Helles Licht wirft dunkle Schatten
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Impressum
Helles Licht wirft dunkle Schatten
Eine unschuldige Frau gerät in einen ungeheuren Verdacht
Nach vielen Schicksalsschlägen haben Daniela von Cranach und Claudio Coreny wieder zueinandergefunden. Die beiden lieben sich schon von frühester Jugend an, und doch hat das Schicksal ihre Wege für einige Jahre getrennt.
Nun sind sie endlich Mann und Frau und könnten unendlich glücklich sein, wenn nicht die Schatten der Vergangenheit zwischen ihnen stünden. Denn plötzlich gerät Daniela in den Verdacht, am Tod ihres ersten Mannes schuldig zu sein.
Für das junge Ehepaar beginnt eine Zeit der Anschuldigungen und Demütigungen, der Zweifel und Intrigen. Eine große Liebe muss sich bewähren ...
Als Daniela erwachte, wusste sie noch nicht, dass sie drei Stunden später unter Mordverdacht stehen würde.
Im Badezimmer sang Claudio: »Auf in den Kampf, Torero!« Wenn Claudio sang, war er bei bester Laune.
Daniela öffnete die Jalousien. Es war ein herrlicher kalifornischer Frühlingsmorgen.
Sie summte die Melodie mit, während sie anfing, aufzuräumen. Daniela seufzte. Im Augenblick sah es hier wie in einer Räuberhöhle aus. Claudio war sehr unordentlich.
Kopfschüttelnd angelte sie seinen Pullover von der Leselampe und hängte sein Abendjackett sorgfältig über einen Bügel. Nunni musste es zum Reinigen bringen. Daniela fischte aus den Taschen Kleingeld, ein Feuerzeug und ein nach Orchideen duftendes Briefchen.
Sie zögerte kurz, dann faltete sie es auseinander und begann zu lesen.
Ich erwarte Dich morgen um elf Uhr in unserer Bar, stand dort. In Sehnsucht und Liebe Deine Eileen.
Es war nicht so, dass solche Dinge etwas Neues für Daniela waren. Sonderbar war nur, dass es immer wieder wehtat.
Bei der Party der Masons am vergangenen Abend war Eileen Jester Claudios Tischdame gewesen. Sie war ein sehr junges Mädchen mit honigfarbenem Haar und grünen Augen. Um elf Uhr in unserer Bar, stand da in steiler Jungmädchenschrift geschrieben. Das bedeutete also, dass sich Claudio und Eileen schon öfter getroffen hatten.
Als Daniela das Schlafzimmer verließ und die Treppe zum Erdgeschoss hinunterging, schlug es neun Uhr. Die Markise auf der Terrasse war ausgefahren, der Frühstückstisch war gedeckt.
Lautlos wie ein Schatten kam Nunni aus dem Haus.
»Guten Morgen, Madame«, sagte sie. »Mokka oder Tee?«
»Bitte einen starken Mokka, Nunni! Glaubst du mir, dass ich richtig aufgeregt bin?«
»Oh, der Film wird ein großer Erfolg werden. Ich weiß es.«
»Als Drehbuchautorin weiß man leider nie im Voraus, ob ein Film ein Erfolg werden wird oder nicht.«
»Ein Film, der die Namen Daniela und Claudio Coreny im Vorspann zeigt, wird ein Erfolg, verlassen Sie sich darauf, Madame.«
Daniela ging nicht weiter darauf ein. Kurz darauf brachte Nunni den Mokka und die Post.
All die zahlreichen Briefe, die sie öffnete, enthielten Absagen für die Premierenparty.
»Nunni, was hat das zu bedeuten? Diese Absagen hier, meine ich. Es sieht beinahe wie ein Boykott aus. Weißt du etwas?«
»Jeremias brachte mir heute Morgen die Zeitung aus der Stadt mit«, erwiderte Nunni zögernd. »Ich habe den schrecklichen Artikel gelesen, Madame.«
»Was für einen Artikel?«, fragte Daniela und nahm ungeduldig die Zeitung entgegen. Und im gleichen Augenblick brachte der grauenvolle Würgegriff panischer Angst ihren Herzschlag zum Stocken. Aufdringlich leuchteten die roten Lettern des »Sunset Express« im Sonnenlicht: Das verhängnisvolle »Nocturno«.
Daniela schloss die Augen. Wie in einem Filmstreifen, der zu schnell abläuft, überblendeten sich in ihrer Erinnerung jagende Bilder der Vergangenheit. Gut Ulmenruh in Deutschland. Claudio auf seinem Shetlandpony. Sylvester, der mit seinem Luftgewehr auf lebendige Vögel schoss. Claudio, der ihm das Gewehr aus der Hand schlug. Eine kleine tote Schwalbe. Anthea, eine grüne Seidenschleife in dem blonden Lockenhaar, Anthea, die sich weinend an Claudio klammerte.
In diesem Augenblick kam Claudio.
Die Liebe zu ihrem Mann brandete wie eine heiße Woge über Danielas Verzweiflung hinweg. In raschem Entschluss reichte sie Nunni die verhängnisvolle Post, und Nunni verstand.
»Guten Morgen, Danny!« Claudio beugte sich über seine Frau und küsste sie. »Was hast du denn?«, fragte er verwundert. »Premierenfieber? Aber, Liebling, es ist doch nicht die erste Premiere unseres Lebens. Sobald wir diese Premiere überstanden haben, fliegen wir zu einem langen, herrlichen Urlaub nach Deutschland. Herrgott, Danny, ich habe solch Heimweh nach Ulmenruh. Wir sind viel zu lange von zu Hause fortgeblieben. Wo bleibt nur Nunni mit dem Frühstück?«
Er warf einen raschen Blick auf seine Uhr und räusperte sich etwas verlegen.
»Du musst entschuldigen, aber ich bin in Eile. Ich habe um elf eine dringende Verabredung. Der gute Pinky will den neuesten Publicity-Feldzug mit mir beraten.«
Eileen, dachte Daniela, das Mädchen mit dem Honighaar und den Nixenaugen.
Im Haus schrillte das Telefon. Daniela stand rasch auf. Die Knie zitterten ihr, als sie durch die Halle zum Apparat hastete.
»Vandenberg hier.«
»Guten Morgen, Mr. Vandenberg.«
Sascha Vandenberg nahm sich keine Zeit für Höflichkeiten. Er war ein stimmgewaltiger Mann, und jetzt brüllte er in eines der drei Telefone auf seinem Schreibtisch, dass die Fensterscheiben des Chefbüros klirrten.
»Leben Sie auf dem Mond, Mrs. Coreny? Haben Sie den Artikel im ,Sunset' noch nicht gelesen? Dieser Zeitungsschmierer ruiniert meinen Film! Das ›Nocturno‹ ist erledigt, ehe es zum ersten Mal über die Leinwand gelaufen ist. Rufen Sie sofort Ihren Mann!«
»Mein Mann ist leider nicht da«, antwortete Daniela.
»Haben Sie den Artikel gelesen?«
»Ja.«
»Und was haben Sie dazu zu sagen?«
»Nichts, Mr. Vandenberg. Nichts, außer dass kein Wort dieses Artikels wahr ist.«
»Das nützt mir nicht viel. Zugegeben, der ,Sunset' ist ein Sensationsblatt übelster Sorte, aber er hat eine Millionenauflage. Ein Artikel im ,Sunset Express' ist Publicity, obwohl ich auf diese Art Publicity pfeife. Ich erwarte, dass Sie sofort zu dieser infamen Verleumdung Stellung nehmen.«
♥♥♥
Im Chefbüro der Palace-Filmgesellschaft starrte Sascha Vandenberg auf den verhängnisvollen Artikel des »Sunset Express«.
Gespannt erwartet Hollywood die Premiere des Palace-Filmes »Nocturno«, dessen Drehbuch Daniela Coreny schrieb und dessen männliche Hauptrolle Claudio Coreny spielt. Diese Spannung dürfte sich durch die Gewissheit steigern, dass die tragische Thematik des »Nocturno« persönliche Erlebnisse des Künstlerehepaares widerspiegelt.
Daniela Coreny schöpfte bei der Verfassung des »Nocturno«-Drehbuches zweifellos aus eigener Erfahrung. Ihr erster Gatte, René Maurizius, erlag dem gleichen Unglücksfall, wie ihn der Rivale Corenys im »Nocturno« erleidet. Merkwürdig muss es anmuten, dass auch die erste Gattin des Filmschauspielers, Anthea, beinahe einem solchen »Unglücksfall« zum Opfer fiel.
Die gepolsterten Doppeltüren zum Chefzimmer wurden aufgerissen, der Pressechef der Palace-Filmgesellschaft stürmte herein. Alle nannten den Pressechef nur »Pinky«. Sein richtiger Name lautete Pinkas Brandt.
»Was haben Sie in Erfahrung gebracht, Pinky?«, überfiel ihn Vandenberg sofort. »Wer hat diesen verdammten Artikel geschrieben?«
»Ein gewisser Sylvester Barnstett.«
»Wer ist das?«
»Barnstett ist gebürtiger Deutscher und Besitzer des ,Sunset Express'. Er hat die Zeitung aufgekauft, als er vor drei Monaten aus Südamerika nach Kalifornien kam. Er ist der Sohn eines deutschen Zeitungsverlegers.« Pinky stockte.
»Weiter!«, drängte Vandenberg ungeduldig.
»Er ist der Bruder von Corenys erster Frau.«
♥♥♥
Dreizehn Minuten nach zehn Uhr wurden die Rotationsmaschinen in der Druckereihalle des »Sunset Express« abgestoppt.
Der Redaktionsassistent Sammy stürmte mit fliegenden Haaren, die Zigarette im Mundwinkel, in die Halle.
»Stopp!«, brüllte er. »Stopp! Die Briefe werden ausgewechselt. Die Briefe der Daniela Coreny.«
Vor dem Redaktionsgebäude hielt ein Wagen. Eine Dame stieg aus. Sie setzte die gläserne Drehtür des Redaktionsgebäudes in Bewegung.
»Madame wünschen?«, fragte der Portier höflich.
»Melden Sie mich Mr. Barnstett. Ich bin Daniela Coreny.«
Der Portier starrte Daniela an, während er mechanisch zum Telefonhörer griff und eine Nummer wählte.
»Mr. Barnstett erwartet Sie, Madame. Dreizehnte Etage, bitte.«
In der dreizehnten Etage empfing sie ein pomadeduftender Jüngling mit unverhohlener Neugier und führte sie zum Chefzimmer. Es war eine Tür mit funkelndem Messinggriff. Daniela ging durch diese Tür hindurch, und dann stand sie Sylvester gegenüber.
Er ist noch hässlicher geworden, war ihr erster Gedanke, und er sieht noch genauso gutmütig aus wie früher. Flüchtig hatte sie fast Mitleid mit ihm. Aber dieses Mitleid galt nicht dem Chef des »Sunset Express«, sondern dem rothaarigen Jungen, der Sylvester Barnstett einmal gewesen war, jenem sommersprossigen Jungen mit der unglücklich dicken Figur, der mit seinem Luftgewehr auf lebendige Vögel geschossen hatte, um ihr damit zu imponieren.
Als sie eintrat, legte Sylvester seine Brasil in den Ascher und schob sich hinter seinem Schreibtisch in die Höhe.
»Danny!«, begrüßte er sie mit seiner dünnen Stimme. »Nimm Platz. Darf ich dir einen Gin anbieten?«
»Ich bin nicht gekommen, um Gin mit dir zu trinken, Sylvester.«
Aus dem Erdgeschoss drang das dumpfe Stampfen der Rotationsmaschinen herauf.
»Denkst du noch an die Tontauben in Ulmenruh, Sylvester?«, fragte Daniela leise. »An Mutzens Apfelstrudel und an Franziskus' Gartenzwerge?«
»Gewiss. Ich habe auch jahrelang an dich gedacht.«
»Wenn du jahrelang an mich gedacht hast, warum hast du das dann getan?«
»Ich habe dich einmal sehr lieb gehabt, Danny. Aber du hast mich immer verachtet. Nicht einmal gehasst, nur verachtet.«
»Ich habe dich nie verachtet, Sylvester, das hast du dir nur eingebildet.«
»Und diese Narbe hier?« Er deutete auf eine schmale Narbe, die sich quer über seine Stirn zog. »Diese Narbe habe ich mir wohl auch eingebildet, wie?«
»Du kannst doch nicht wegen dieser Geschichte das Glück zweier Menschen vernichten.«
»Das Glück zweier Menschen? Dein Glück, Danny, und das Glück deines Claudio. Ich pfeife auf euer Glück! Ich bin nie glücklich gewesen!«
»Es war ein Irrtum«, erklärte Daniela mühsam beherrscht. »Du weißt genau, dass es ein Irrtum war.«
»Ich weiß nur, dass mich dieser Irrtum einige Jahre meiner Freiheit und meinem Vater das Leben gekostet hat.«
»Sylvester, ich bin gekommen, um Frieden mit dir zu schließen.«
»Ein fantastischer Einfall von dir. Und ein bisschen spät ist dir dieser Einfall gekommen. Findest du nicht auch?«
»Du willst keinen Frieden, Sylvester?«, fragte Daniela außer sich.
»Nein! Das heißt, ich bin unter Umständen bereit, meinen Angriff im ,Sunset' zurückzuziehen und zu behaupten, dass meine Informationen auf einem Irrtum beruhten. Natürlich unter einer gewissen Bedingung.«
»Ja?«, fragte Daniela atemlos. »Ja? Was ist deine Bedingung?«
»Du lässt dich von Claudio scheiden und wirst meine Frau!«
Sylvester beobachtete sie mitleidlos, stockte kurz und fuhr dann fort.
»Ich habe immer etwas gegen Musterknaben gehabt, und Claudio ist ein Musterknabe. Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, ihn zu Fall zu bringen, aber es wird mir gelingen. Ich muss lediglich scharfe Geschütze auffahren, und deshalb habe ich gerade die Briefe auswechseln lassen, ich meine deine Briefe, die du an Claudio schriebst. Und zwar werde ich zunächst den Brief bringen, den du als junge Witwe in Ulmenruh an ihn geschrieben hast. Du erinnerst dich doch noch?«
Eigentlich wollte Daniela etwas erwidern, aber die Zeit nahm sie sich nicht. Panische Angst trieb sie zum Äußersten. Sie riss ihre Tasche auf. Ihre Hände zitterten.
René hatte ihr die kleine spanische Pistole auf ihrer Hochzeitsreise in Toledo geschenkt. Aber sie wusste bis zum heutigen Tage nicht, wie man mit einer Waffe umging ...
♥♥♥
Claudios schwarzer Wagen bog in den Boulevard Santa Monica ein.
Eileen saß in der Bar an einem der kleinen Marmortische am Fenster. Sie trug ein eng anliegendes Kleid aus schwarzem Shantung, das mit viel Strass besetzt war.
»Ich habe dich warten lassen. Bist du böse mit mir, mein Kleines?«
Eileen verzog schmollend den hübschen, zu grell geschminkten Mund.
»Ein bisschen, Darling. Du hast sehr wenig Zeit für mich.«
»Am liebsten würde ich jede Stunde mit dir verbringen, aber leider habe ich noch eine Nebenbeschäftigung.«
»Und eine Frau«, sagte Eileen eifersüchtig.
»Ich hoffe, du wirst trotzdem heute Abend in meiner Premiere sein?«
»Wie kannst du nur fragen, Claudio?«, gab Eileen zurück. »Ich zerbreche mir nur den Kopf darüber, was ich dir für Blumen schicken soll. Orchideen vielleicht?«
»Orchideen sind viel zu kostbar für mich. Entschuldige, dass ich dir keine Blumen mitgebracht habe, meine kleine Nixe. Aber ich hatte eine wichtige Besprechung mit Pinky, dem Pressechef der Filmgesellschaft.«
»Ich habe mir gleich gedacht, dass der schreckliche Artikel dort viel Staub aufwirbeln wird«, warf Eileen ein.
»Was denn für ein Zeitungsartikel?«
»Der Artikel im ,Sunset' natürlich. Am besten nimmst du dir sofort einen Anwalt.«
»Ich verstehe kein Wort. Von was für einem Artikel sprichst du denn?«
»Oh Darling! Dann bin ich es also, die dir diese schreckliche Neuigkeit eröffnen muss. Warte, ich habe den Artikel hier. Lies selbst!«
Claudio fand Eileens Gebaren etwas übertrieben. Mit mäßigem Interesse überflog er die ersten Zeilen. Dann spannten sich seine Züge. Halblaut las er den Artikel.
Merkwürdig muss es anmuten, dass auch die erste Frau des Filmschauspielers, Anthea, beinahe diesem »Unglücksfall« zum Opfer fiel. In Anbetracht dieser seltsamen Umstände erachten wir es als unsere Pflicht, die Öffentlichkeit von dem skandalumwitterten Privatleben des Künstlerehepaares Coreny in Kenntnis zu setzen. Wir beginnen morgen mit der sensationellen Veröffentlichung einmaliger Beweisdokumente, mit Briefen, die Daniela ...
Claudio war aschfahl geworden. Der Zeitungsartikel entglitt seiner Hand.
»Entschuldige mich, bitte.«
Die Tür der Espressobar fiel hinter Claudio zu. Sekunden später raste sein schwarzer Wagen durch die Straßen von Los Angeles nach Beverly Hills. Es schlug halb zwölf, als er in die Auffahrt der Villa Coreny einbog. Claudio stoppte vor der Terrasse scharf ab. Er riss den Schlag auf und stürzte ins Haus.
»Danny!«, rief er. Seine Stimme klang heiser und fremd. »Hallo, Danny! Wo bist du, Danny?« Niemand antwortete. Er riss die Tür zu seinem Studio auf.
»Na, da sind Sie ja endlich«, begrüßte ihn Sascha Vandenberg.
In einem der Klubsessel saß Pinky.
Claudio strich sich verwirrt über die Stirn.
»Ich bitte um Entschuldigung, Vandenberg. Ich habe eben erst von dem Artikel erfahren. Ich hatte keine Ahnung.«
Vandenberg tauschte einen raschen Blick mit Pinky.
»Wo ist Daniela?«
Vandenberg räusperte sich.
»Sie haben eine großartige Frau, Coreny«, sagte er langsam. »Nur hat sie leider vor einer halben Stunde den Chef des ,Sunset' erschossen.«
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Die Uhr auf dem Schreibtisch von Kommissar Solis tickte gleichmäßig. Danielas Blick war unverwandt auf das Zifferblatt dieser Uhr gerichtet. Es war drei Minuten nach halb zwölf.
Kommissar Solis sah auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Protokollaufnahme. Der Fall Coreny.
Mechanisch griff er zu einer Zigarette. Er überflog die spärlichen Aussagen: Daniela Coreny, geborene Baronesse von Cranach, verwitwete Frau Maurizius, verheiratet mit Claudio Coreny. Wohnhaft in Beverly Hills. Schriftstellerin. Deutsche Staatsangehörigkeit. Sechsundzwanzig Jahre alt.
Kommissar Solis' breitflächiges Gesicht wirkte desinteressiert. Er bot Daniela eine Zigarette an.
»Madame«, fragte er, »Sie haben Sylvester Barnstett heute Vormittag mit der Absicht aufgesucht, ihn zu erschießen?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Warum haben Sie dann Ihre Pistole zu der Unterredung mit Sylvester Barnstett mitgenommen?«
»Ich habe die Pistole immer bei mir.«
Kommissar Solis machte sich eine Notiz. Das Tonbandgerät auf dem Schreibtisch summte. Die Uhr tickte.
»Madame, wann sind Sie Sylvester Barnstett zum ersten Mal begegnet?«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube, ich war drei oder vier Jahre alt. Damals kaufte der alte Herr Barnstett das Landhaus in der Nähe von Gut Ulmenruh.«
»Sie kannten Sylvester Barnstett also von Kindheit an, Madame?«
»Ja.«
»Seit wann befand sich die Waffe in Ihrem Besitz, Madame?«
»Mein erster Mann hat mir die Pistole auf unserer Hochzeitsreise durch Spanien in Toledo geschenkt.«
»Danke, Madame. Und was haben Sie beabsichtigt, als Sie heute diese Waffe gegen Sylvester Barnstett erhoben?«
»Ich wollte ihm damit drohen. Ich wollte ihn zwingen aufzuhören«, stammelte sie tonlos.
»Sie wollten verhindern, dass Barnstett seinen Angriff gegen Sie und Ihren Gatten im ,Sunset Express' fortsetzte?«
»Ja.«
»Barnstett ging auf die Vermittlungsvorschläge, die Sie ihm vermutlich unterbreitet haben, nicht ein?«
»Nein.«
»Und dann haben Sie ihn erschossen?«
»Nein«, wehrte sich Daniela verzweifelt. »Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, ich wollte ihn nicht erschießen, ich wollte ihm nur drohen. Ich wusste überhaupt nicht genau, wie man mit der Waffe umgeht.«
»Wer ist Ihr Anwalt?«
»Onkel Sam«, antwortete Daniela mechanisch.
Kommissar Solis lächelte flüchtig. Er kannte den Spitznamen des bekanntesten Strafverteidigers von Los Angeles.
»Also Samuel Willmont.«
»Ja, natürlich. Entschuldigen Sie bitte.«
»Wenn Sie es wünschen, können Sie Mr. Willmont sofort anrufen, Madame.«
Daniela antwortete nicht.
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Während Pinky am Steuer seines Wagens saß und über die Boulevards von Los Angeles fuhr, war seine Miene ruhig.
Ihn beschäftigte die Frage: Wer war Sylvester Barnstett? Er wusste bereits einiges von ihm. Barnstett war gebürtiger Deutscher. Er war vor drei Monaten aus Südamerika nach Los Angeles gekommen und hatte den »Sunset Express« aufgekauft. Demzufolge musste Barnstett reich gewesen sein. Und außerdem wusste Pinky, dass Sylvester Barnstett der Bruder Anthea Corenys war.
Seit ihrer Scheidung von Claudio Coreny lebte Anthea in einer Villa am Rande von Los Angeles.