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Vier homoerotische Kurzgeschichten aus meinen drei Buchreihen „Drachengefährten“, „Skycity“ und „Gaylaxy“. Sie erzählen die Geschichten von „Nebendarstellern“, die durchaus lesenswert sind.
„Drachenreise“ handelt von Radec, der die große Reise antritt und dabei Erstaunliches entdeckt.
„Gaylaktisches Silvester“ erzählt die Geschichte von dem Barkeeper Raffael und dem Türsteher Andreas. Irrungen und Wirrungen kennzeichnen ihren Weg.
„Einsam an Valentin“ bringt Robert und Adrian zusammen, Männer, die nie gedacht hatten, dass sie mit einem Mann ihr Glück finden könnten. „Perlen für den Drachen“ handelt von Roomer, der überraschend seinen angespülten Gefährten findet. Scheinbar stammt dieser aber aus einer völlig fremden Welt.
Als Bonus habe ich meinen Beitrag zum 19. Gay-Kiss-Wettbewerb von BookRix dazugepackt:
„Willkommen im Neandertal“
Diese Geschichten enthalten explizite homoerotische Szenen und sind daher nur für Erwachsene geeignet. Für homophobe Menschen gilt: Finger weg!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.
E-Books sind nichtübertragbar und dürfen auch nicht kopiert oder weiterverkauft werden.
Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet. Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer‐Sex!
Die Geschichten in diesem Buch gehören zu meinen drei Gay-Romance-Reihen:
Drachengefährten-Reihe
Gaylaxy-Reihe
Skycity-Reihe
Ich habe diese Geschichten geschrieben, um die Nebendarsteller meiner Bücher etwas auszuleuchten. Ich hoffe, ich treffe damit euren Geschmack.
Eure Celia Williams
Radec hat das zweite Thing seit Wiedereinführung erlebt und in seinen bisher achthundert Lebensjahren trotzdem nicht seinen Seelenverwandten gefunden. Mutlos begibt er sich auf die sogenannte „große Reise“ der Drachen. Sie führt ihn in die klirrende Kälte der Eiswüste und darüber hinaus. Was er dort findet, sprengt die Vorstellungskraft jedes lebenden Drachen. Verwirrt und hilflos findet er sich in einer ihm vollkommen fremden Welt wieder und entdeckt gerade dort das, was er in seinem Leben so sehnsüchtig vermisst: Seinen Gefährten.
Bonusband zur Drachengefährtenreihe!
Radec stand in Hastadoom auf dem großen Platz direkt vor dem monumentalen Steinpodium und betrachtete die riesigen aufgestellten Stelen. Dort hatte sich jeder lebende und zum Thing gepilgerte Gefährte eingetragen und doch gab es kein passendes Gegenstück für ihn. Seit achthundert Jahren fristete der mattrote Drache sein Leben alleine. Bisher hatte ihm dies keine Probleme bereitet. Die ganzen Jahrhunderte hatte ihn das nicht gestört. Zufrieden hatte er sein Leben gelebt und seine Aufgaben erfüllt. Doch in den letzten Jahren, mit all den glücklichen Paaren um ihn herum, fühlte er die Leere in sich und die Einsamkeit lastete schwer auf ihm. Anfangs hatte er sich über diesen bohrenden Schmerz noch gewundert, solche Anfälle von Melancholie und Verzweiflung gehörten nicht zum Wesen der Feuerspucker und doch litt er nun ab und an daran. Jetzt hatte es eine Dimension angenommen, dass er es einfach nicht mehr ignorieren konnte. Hilflos sah er den Obelisken an, an dem die Tafeln der Gefährten mit rotem Siegel hingen. Kein einziges wies die Farbkombination hellrot und weiß auf. Alleine, schrie sein Herz und seine Seele litt unter der Einsamkeit. Sein ganzer Körper wurde von eleganten Schnörkeln in hellrot, silberweiß und rabenschwarz eingenommen. Nur sein Gesicht blieb ohne Muster. Trotz intensiver Suche konnte er nirgends einen schwarzhaarigen Mann oder Frau ausfindig machen, die ihn ergänzte. Er musste etwas dagegen unternehmen. Wenn er in dieser Generation nicht fündig würde, musste er mindestens fünfundzwanzig Jahre bis zum nächsten Gefährtentreffen in Hastadoom warten. Für eine Flugechse entsprach dieser Zeitraum zwar nur einem Wimpernschlag, aber für sein wundes Herz stellte es doch ein schmerzliches Hindernis dar. Wie sollte er nur so lange aushalten?
Seufzend drehte er sich um und entdeckte Killian, seinen König, der langsam auf ihn zukam. Dessen Gesicht drückte tiefes Bedauern aus, als er neben ihm zum Stehen kam. Aufmerksam musterte Kill, wie ihn seine Freunde nannten, den Obelisken der für Radec so wichtig war. „Du hast vor, die große Reise zu unternehmen?“, erkundigte sich der Drachenkönig mitfühlend.
Ein lautes Seufzen kam von dem Drachen mit dem feuerroten Haar und den weißen Haarspitzen. Man konnte vor dem Drachenkönig einfach keine Geheimnisse haben. Der gebürtige Telepath konnte leicht die Menschen und Drachen seines engeren Umfelds durchschauen. Als einer der sechs Kommandanten der Drachenarme gehörte Radec zu Killians engstem Kreis und nachdem er sich dazu entschieden hatte, weiterhin dem Heer anzugehören und nicht in den Ältestenrat zu wechseln. Man hatte ihm schon mehrfach einen Platz angeboten, deshalb hatte sich die Verbindung zwischen ihnen noch intensiviert. Radec stand der Königsfamilie als Berater und Freund zur Seite und ging auf der Drachenfeste ein und aus. Natürlich entging seinem Herrscher nicht seine deprimierte Stimmung. „Ja, Killian. Ich möchte gerne über die Grenze hinausfliegen. Der Zeitraum bis zum nächsten Thing erscheint mir so unendlich. Es bedrückt mich und ich weiß einfach nicht, wie ich dieses Martyrium ein weiteres Vierteljahrhundert überstehen soll. Lässt du mich gehen?“
Jetzt konnte nur Killian aus tiefstem Herzen seufzen: „Natürlich kannst du gehen. Ich hoffe, du findest auf der anderen Seite, was du hier vermisst. Niemand weiß etwas über das, was du dort vorfinden wirst. Ich wünsche dir viel Glück, mein Freund.“
„Danke, mein König. Einige Drachen sind wiedergekehrt und ich werde ebenfalls alles dransetzen zurückzukommen. Ich habe Hoffnung“, entgegnete Radec und sah Kill dabei lächelnd an.
Der Drachenherrscher konnte einfach nicht gegen seinen Impuls angehen und umarmte den roten Drachen fest. Dabei vermischte er absichtlich seine Hitze mit der des anderen Feuerspuckers. So intensivierte er das zwischen ihnen bestehende Band und er würde länger mental verfolgen können, ob es ihm gut ging. Selbst wenn die Distanz für eine Kommunikation zu groß wurde, empfing er doch noch immer ein latentes Hintergrundrauschen, welches ihm verriet, dass der Kontaktierte noch am Leben war. Sanft löste er sich von seinem Kommandanten und verabschiedete ihn mit den Worten: „Ich wünsche dir eine gute und sichere Reise. Wir werden uns wiedersehen.“ Dabei klangen seine Worte absolut zuversichtlich.
Diese Worte kamen Radec fast wie eine Prophezeiung vor, doch natürlich konnte der Drachenkönig nicht in die Zukunft sehen. Lächelnd verneigte er sich ein letztes Mal vor seinem König und legte dann mitten auf dem Platz seine Kleider ab. Nackt wandelte er sich in seine beeindruckende Drachenform. Radec hatte hellrote Schuppen auf seinem Rücken, der Oberseite seines Halses und Schwanzes. Seine Flügel wiesen die gleiche flammenfarbene Färbung auf. Seine Beine und Bauch hingegen wechselten zu einem ganz hellen Weiß und die Kanten der Schuppen hatten sogar einen leichten Silberschimmer. Sein Drachenleib wirkte eher schlank als muskulös und entsprach damit voll und ganz seiner menschlichen Gestalt, auch in dieser wirkte er eher schlank und drahtig. Ruckartig hob er ab und schlug mit den großen Lederhäuten.
Der starke Abwind zerzauste das rabenschwarze Haar des Drachenkönigs, der es sich nicht nehmen ließ, seinem Freund nachzusehen. Killian blieb auf dem Platz, bis er Radec am Horizont nicht mehr erkennen konnte. Seufzend wollte er sich gerade abwenden, als er entdeckte, dass sich still und heimlich Einar, sein Gefährte, bei ihm eingefunden hatte. Der Kommandant der menschlichen Nordlandtruppen stand dicht bei seinem Drachen und erwiderte dessen melancholischen Blick. „Mir wird er auch fehlen. Trotzdem habe ich so ein Gefühl, dass wir ihn recht bald wiedersehen werden. Nenn mich einen Narren, aber ich glaube ganz fest daran.“
Killian lachte leise und entgegnete: „Mach dir nicht’s daraus, ich teile diese Ahnung. Etwas tief in mir sagt das gleiche. Wir werden abwarten müssen.“ Liebevoll faste Killian die Hand seines Gefährten und verschränkte seine schlanken Finger mit denen Einars.
Dieser wollte mehr Kontakt und zog den schlanken Drachen fest an seine muskulöse Brust. „Komm, lass uns in unser Quartier zurückkehren. Morgen geht es dann auf in die Heimat. Unsere Höhle höre ich bis hierher rufen, mir fehlt die Drachenfest.“
Nickend gab Killian seinem Menschen recht und folgte ihm in Richtung Kommandantur.
Noch herrschte keine winterliche Kälte in den Nordlanden und doch pendelten die Temperaturen zwischen dem Gefrierpunkt und tiefen Minusgraden. In der Eiswüste wurden selten Grade über Null gemessen, trotzdem lebten hier sowohl Menschen als auch Drachen. Mittlerweile hauste hier sogar ein Halbmagier, zumindest zeitweise. Hadar, halb Mensch halb Magier, hatte in Palato, Killians Erzeuger, ein weißer Drachen, seinen Seelenverwandten gefunden und lebte zumindest einen Teil des Jahres zusammen mit seinem Drachen in der Eiswüste. Als ehemaliger Bewohner des Magierlandes liebte er es eigentlich eher warm bis heiß, doch was nahm man nicht alles für seinen Drachen auf sich. Der Halbling hatte sich gut angepasst und lebte mittlerweile ein erfülltes und glückliches Leben. Palato tat auch alles dafür, dass sein attraktiver Zwitter glücklich und zufrieden war. Mit langen Flügelschlägen näherte sich Radec der Eisfestung und kam langsam aber sicher in telepathische Reichweite des weißen Drachen.
Wie erwartet kontaktierte dieser ihn auf mentalem Wege: <Guten Flug bisher gehabt, Radec?>
<Ja, danke, wie geht es Hadar?>, erwiderte Radec in Gedanken.
Als Antwort erhielt er ein Schmunzeln: <Uns geht es beiden hervorragend. Wie weit willst du in den Norden fliegen?>
<Weit, Palato, über die Grenze hinaus.> Radec log nie, wenn er es nicht aus strategischen Gründen musste. Wie jeder Drache schätzte er die Wahrheit und Aufrichtigkeit. Lügen gingen so sehr gegen die Drachennatur wie das Leben von Fischen an Land.
<Gib auf dich acht. Hoffentlich sehen wir uns wieder. Gute Reise>, sendete Palato seine und Hadars Wünsche.
Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen, daher erwiderte Radec nichts und setzte direkt seinen Weg fort. Als er die Festung überflog warf er fast automatisch einen Blick auf die hell erleuchteten Fensteröffnungen der Eisfestung und Wehmut machte sich in ihm breit. Hätte er vielleicht bei den Beiden rasten sollen? Nein, nichts hielt ihn mehr hier, es zog ihn weiter und er musste herausfinden, warum die Sehnsucht nach der Fremde mittlerweile so dominant, so stark in ihm war. Energisch verstärkte er seine Flügelschläge und beschleunigte seine Reisegeschwindigkeit. Bald überflog er das Drachenheiligtum, in dem beim ersten Mal die Erweckung durchgeführt worden war. Hier, an diesem Ort, hatten die Drachen erneut das Drachensiegel auf der Haut aller potentiellen Gefährten sichtbar gemacht. Trotz der Vereinfachung fand nicht jeder Flugakrobat sein Gegenstück und manch einer musste sich Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gedulden. Venec hatte sogar eineinhalb Jahrtausende warten müssen, bis er in Loreanna, Einars älterer Schwester, seine Seelenverwandte gefunden hatte. Der Älteste der Drachen beteuerte immer, dass es dies wert gewesen sei und er jederzeit wieder so lange warten würde, wenn er so einen Preis dafür in Aussicht gestellt bekommen würde. Jetzt wo er nicht mehr alleine leben musste, hatte dieser leicht reden, dachte Radec. Im selben Moment schalt er sich für diesen gemeinen Gedanken. Niemand wählte sein Schicksal selbst. Man musste nehmen, was einem Fortuna zuteilte, ob Partnerschaft, Einsamkeit oder gar Tod. Nicht jeder Drache wurde von seinem Gefährten oder seiner Gefährtin angenommen. Da ein Feuerspucker aber nicht ohne seinen Seelenpartner überleben konnte, verendeten die betroffenen Echsen elendig an dem darauf folgenden Organversagen. Gottseidank kam dies nur sehr selten vor und stellte keine Regel dar. Die Menschen wussten mittlerweile ganz genau, dass es keine erfülltere Partnerschaft als die mit einem Drachen gab, also suchten die meisten selbst aktiv nach ihrem Gegenstück oder ließen sich gerne finden. Doch all diese Überlegungen brachten Radec nicht weiter. Auch er hatte alles versucht, um fündig zu werden, doch das Glück war ihm einfach nicht hold. In der großen Reise sah er den einzigen Ausweg. Also flog er konstant Richtung Norden. Bald würde er die Grenze passieren. Die Drachen, die sie überquert hatten und zurück kehrten, schwiegen sich über das Dahinter aus. Keiner gab Informationen preis und kein Feuerspucker würde einen Erleuchteten, so nannte man die Rückkehrer, bedrängen.
Eine eisige Weite erstreckte sich vor Radec. Konstant hielt er den Kurs und steuerte ins Ungewisse. Plötzlich fühlte er sich, als würde ihn etwas packen und durch die Luft werfen. Panisch riss er die Flügel auseinander und versuchte krampfhaft nicht an Höhe zu verlieren. Sollte er mit dem Boden kollidieren, könnte er sich sämtliche Knochen brechen und seine Reise schneller beenden als sie angefangen hatte. Hinzu kam noch das Risiko, dass ihn hier niemand fand und er erfror. Selbst ausgewachsene Feuerspucker, die ihre innere Hitze perfekt beherrschten, konnten in diesen frostigen Teilen des Nordlandes ohne Probleme am Erfrierungstod sterben. Doch genauso schnell wie die Turbulenzen ihn durch die Gegend geschleudert hatten, hörten sie auch schon wieder auf.
Die Luft hatte sich schlagartig um einige Grade erwärmt und es roch anders, ganz anders. Radec sah sich neugierig um und der Schreck ließ ihn fast das Flügelschlagen vergessen. Irritiert, verängstigt, ja, regelrecht panisch sah er sich um und versuchte zu verstehen, was er da sah. Es herrschte Dämmerung, die Nacht stand dicht bevor, eben war noch Tag gewesen. Unter ihm lag ein breites trübes Gewässer und darüber spannte sich ein steinernes Bauwerk enormen Ausmaßes. Die Brücke bestand aus Stein und Stahl. Dicke Drahtseile schienen die steinerne Überquerung zu halten und diese hatte eine Breite, wie sie Radec noch nie gesehen hatte. Der Belag glänzte schwarz und leuchtete im funkelnden Licht der seltsamen Fahrzeuge die darüber brausten. Die Dinger bestanden wahrscheinlich ebenfalls aus Metall, zumindest rochen sie so, aber die vielen verschiedenen Farben erstaunten den Drachen. Widerlich roch das, was die Dinger ausstießen, jedes gab hinter sich seltsamen Rauch ab und der legte sich wie ein schmieriger Belag auf Radecs Lunge. Mit flatterndem Flügelschlag landete er auf der einen Spitze des Brückenturms und betrachte die fahrenden Blechkästen unter sich. Verdammt schnell glitten die pferdelosen Kutschen dahin und dabei brummten sie so seltsam. Der Feuerspucker ahnte, dass es sich hierbei um eine Form von Magie handeln musste, doch durchschauen konnte er das Prinzip nicht. In jedem dieser Fahrzeuge saß einer oder mehrere Menschen und Radec frage sich, wo sie alle so schnell hinwollten. Da er darauf keine Antwort finden konnte, blickte er sich weiter um. Wie es aussah verband die Brücke zwei Landstücke, entweder Inseln oder Landzungen. Dies könnte er nur erkennen, wenn er sehr hoch flog, doch dazu wollte und konnte sich Radec nicht aufraffen. Vor ihm lag eine eng gebaute Siedlung, wie sie der Drache noch nie gesehen hatte. Häuser, die regelrecht in den Himmel ragten, lagen dicht an dicht und beeindruckten ihn durch ihre erstaunliche Architektur. Die Drachenfeste war ihm bisher monumental erschienen, im Vergleich hierzu, war sie aber eher klein. Die oberste Höhle befand sich etwa zweihundert Meter über dem Rundhof, doch diese Türme ragten weit höher in den Himmel.
Zwischen den Gebäuden befand sich ein Turm der spitz in den Himmel ragte und, so wie es aussah, befand sich ziemlich weit oben eine Aussichtsplattform. Diese wählte der Drache als Ausgangspunkt für seine weiteren Erkundungen. Schnell stieß er sich von dem Brückenträger ab und flog in Richtung Zentrum der Siedlung. Durch die Höhe, die er konstant hielt und den Umstand, dass die Menschen auch hier nicht aufmerksam den Himmel beobachteten, konnte er fast ungesehen das gewünschte Gebäude anfliegen. Er befand sich etwa zwanzig Meter über der Plattform, als er sich an der Schräge des spitz zulaufenden Daches festklammerte. Jetzt musste er sich noch überlegen, wie es weitergehen sollte. Unter ihm auf der Aussichtsterrasse befanden sich mindestens hundert Menschen und keiner von ihnen hatte seine Ankunft bemerkt. Entweder gab es in dieser Welt keine gefährlichen Raubtiere in der Luft oder die Menschen gehörten hier an die Spitze der Nahrungskette. Diese Frage konnte Radec nicht beantworten, daher beschloss er einfach weiter zu beobachten. Sein hervorragendes Gehör ermöglichte es ihm, den Gesprächen unter sich zu folgen. Die Besucher unterhielten sich in unterschiedlichen Sprachen, soviel konnte er erkennen. Ebenso erstaunte ihn, dass er fast alles verstand, was die Leute sagten, egal in welcher Mundart das Gesagte daherkam. Kopfschüttelnd akzeptierte er diesen Umstand und schob ihn bei Seite. Er würde alles ignorieren, was ihn verunsicherte. Mit den Ungereimtheiten konnte er sich später auseinandersetzen. Wenn er hier Fuß fassen wollte, würde er sich unter die Passanten mischen müssen. Doch auch hier herrschten niedrige Temperaturen und wie er vermutete, hatte noch keiner dieser Menschen einen Drachen gesehen. Also würden sie sich sehr wundern, wenn er plötzlich nackt zwischen ihnen auftauchte und einfach losmarschierte. Doch er hatte nicht wirklich die Möglichkeit dies zu ändern. In Echsengestalt hatte er nicht die Fähigkeit, sich unerkannt zu bewegen. Als Mensch fiel ihm dies schon leichter, auch wenn er genau wusste, dass er mit seinem leuchtend roten Haar und den Hautmustern sehr auffallen würde. Doch daran konnte er nichts ändern, daher verschwendete er auch keine Gedanken darauf. Da er auf keinen Fall unauffällig bleiben würde, beschloss er es zu handhaben wie in seiner Heimat. Er würde hier seine menschliche Gestalt annehmen und sich hinuntergleiten lassen. Dann würde er sich erst einmal einen Überblick verschaffen und dann eine Weg in die Tiefe suchen. Es musste eine Möglichkeit für diese vielen Menschen geben, denn keiner von denen würde wohl Millionen von Stufen steigen, denn sie schienen alle nur zum Vergnügen hier heraufgekommen zu sein. Zumindest konnte er nirgends Wachen oder ähnliches entdecken. Dies schien eine recht friedliche Welt zu sein, denn niemand trug Waffen bei sich, zumindest konnte er keine erkennen.
Vorsichtig rutschte er hinunter und setzte seine nackten Fußsohlen auf dem glatten Untergrund auf. Der Steinboden fühlte sich kalt und feucht an, trotzdem schritt er nackt und hüllenlos auf die ummauerte Brüstung zu, diese hatte man mit senkrechten Metallstäben zusätzlich gesichert, damit keiner der Besucher in die Tiefe stürzte. Radec kam direkt neben einer seltsamen Konstruktion zum Stehen. Das Metallding neben ihm erreichte fast seine Körpergröße und bestand aus einer erhöhten Metallplattform, auf der höchstens ein Mensch stehen konnte, wenn er sich an dem seltsamen Apparat an Ende der armdicken Metallstange festhielt. Das klobige Etwas am oberen Ende hatte zwei parallele Vorrichtungen, die dazu einluden, hindurchzuspähen. Doch als der Drache dies tat, konnte er nur Schwärze erkennen. Zwar drehte sich der Apparat, aber an der fehlenden Sicht änderte sich trotzdem nichts. Kopfschüttelnd wunderte er sich, beschloss aber auch dies zu ignorieren. Alles andere um ihn herum war mindestens so verwirrend, also konnte er genauso gut über wichtigeres nachdenken.
„He, Sie? Sie können hier nicht nackt herumlaufen!“, rief ein Mann hinter Radec.
Als dieser sich umdrehte, um nach dem Rufenden zu sehen, entdeckte er einen Mann in einer dunkelblauen Uniform, die mit dem Wort „Sicherheitsdienst“ beschriftet war. So, konnte er nicht? Brummend erwiderte er: „Scheinbar doch. Entschuldigung, ich wollte niemanden in Verlegenheit bringen, aber mir ist meine Kleidung abhanden gekommen.“ Was hätte er auch sagen sollen, die Menschen hier würden ihn vermutlich für verrückt erklären, wenn er erklärte, dass er als Drache immer nackt endete, wenn er die Gestalt wechselte. Sein Geruchssinn hatte ihm bereits verraten, dass es um ihn herum nur Menschen gab. Er hatte keine Ahnung, ob die hiesigen Menschen über die Existenz von Feuerspuckern Bescheid wussten. Auch konnte er nicht abschätzen, welche Folgen es nach sich ziehen würde, wenn er sich einfach offenbarte. Vorsicht galt allgemein als Drachentugend und er beschloss ihr akribisch zu folgen.
„So geht das nicht! Folgen sie mir. Ich gebe Ihnen aus den Fundsachen etwas zum Anziehen“, nach diesen Worten deutete der ältere Mann an, dass er ihm folgen sollte.
Doch bevor Radec dies tat, wollte er unbedingt noch über die Brüstung spähen. Dort unten wuselte es regelrecht vor Menschen. Die Straße weit unter ihm war in helles glitzerndes Licht getaucht und neben den Straßenlampen, deren Lichtquelle er nicht kannte, leuchteten die Fenster in schimmerndem Glanz. Leuchtende Sterne spannten quer über die befestigte Straße und neben dem seltsamen Gestank, den die pferdelosen Kutschen von sich gaben, erkannte er den Duft von karamellisiertem Zucker und gerösteten Kastanien. Diese Glitzerwelt hatte ihren ganz eigenen Reiz und er beschloss, in sie einzutauchen und sie zu erkunden. Doch dazu benötigte er unbedingt Kleidung und die erhielt er von dem Sicherheitsmann. Also folgte er diesem ins Innere des Gebäudes. Die Menschen um ihn herum beäugten ihn und dabei spiegelten sich verschiedene Emotionen und Empfindungen in deren Gesichter, von Ungläubigkeit, Geilheit, Unverständnis und Abscheu war alles zu entdecken. Radec seufzte verhalten.
Drinnen hielt der ältere Mann vor einer breiten Metalltür. Als diese sich öffnete erkannte Radek, dass die Tür so dick wie sein Arm war und trotzdem nahtlos in die massive Wand glitt. Wie ging das? Der nun sichtbare, eher kleine Raum dahinter gab dem Drachen Rätsel auf. Er konnte nicht erkennen wozu dieser dient, doch nachdem der Mann, dem er folgen sollte, unbekümmert hineintrat, beschloss er diesem zu folgen. Die dickwandige Tür schloss sich mit einem leisen Bling und Radec fühlte ein Rucken. Warum bewegte sich der Raum? Sofort spannte er alle Muskeln an und sah sich aufmerksam um. Doch der Sicherheitsmann zuckte nicht einmal mit der Wimper, also schien dies normal zu sein. Die Musik, die die kleine Kammer beschallte, klang ganz nett. Da es keine Musiker und Sänger gab, musste es sich dabei auch um irgendeine Art von Magie handeln. Der unsichtbare Sänger sang von weißen Weihnachten und einer besinnlichen Zeit, auch wenn Radec nicht wusste, was damit wohl gemeint sein konnte. Die weiße Zeit war für ihn der Winter und besinnlich waren zu dieser Jahreszeit die Abende, aber mit dem Begriff Weihnachten konnte er nichts anfangen. Der Temperatur nach konnte hier durchaus Winter sein, auch wenn im Moment kein Schnee lag. Nun gut, vermutlich würde er auch dies noch herausfinden. Erneut öffnete sich die Tür mit einem leisen klingelnden Geräusch und der andere Mann ging voraus. Radec folgte ihm kommentarlos. Dieser führte ihn durch eine große hübsch dekorierte Halle. Mitten in dem mit Marmor ausgekleideten Saal stand ein großer Nadelbaum. Die Art kannte Radec nicht, aber er befand sich schließlich in einer fremden Welt, also wunderte er sich darüber eher weniger. Doch warum hatten die Menschen den über acht Meter hohen Baum mit Lichtern, Kugeln, Päckchen und Sternen behängte? Vermutlich ein Brauch dieser Welt, schulterzuckend akzeptierte er auch dies und folgte dem Menschen, der ihm Kleidung geben wollte. In einem kleinen Nebenraum befanden sich viele Regale und in jedem stapelte sich Kleidung aller Art. Auch Dinge deren Zweck sich Radec nicht erschloss.
Der ältere Mensch nahm den nackten Körper des Drachen noch einmal in Augenschein, dann wand er sich dem Regal zu und brummte leise: „Die Menschen sind seltsam und vergessen alles Mögliche und Unmögliche, aber Unterwäsche hat noch keiner verloren. Hier probier die!“ Mit diesen Worten reichte er Radec eine blaue Hose aus recht festem strapazierfähigem Stoff. Schnell schlüpfte Radec hinein und zog die Beinlinge über seinen Hintern. Das Kleidungsstück passte, doch er musste jetzt erst einmal herausfinden, wie man sie schloss. Es befand sich ein Ding dort wo in seiner Heimat die Verschnürung beginnen würde. Es bestand aus einem Metallplättchen und darüber befand sich eine Zahnung aus nebeneinander aufgereihten Metallstiftchen. Die zwei Zahnreihen, die weit aufklafften und Radecs bestes Stück fressen wollten, waren für ihn ein Rätsel. Als er an dem Metallplättchen ganz unten ruckelte, verbanden sich die zwei Zahnreihen und die Hose schloss sich. Genial! Begeistert schob er das Metallplättchen auf und ab.
Erst der ältere Mann unterbrach sein Tun: „Mann, hast du noch nie einen Reißverschluss gesehen?“
Reißverschluss nannte sich diese Vorrichtung? Lächelnd schloss er besagten und schob auch den Hosenknopf darüber durch die Öse. Dazu würde er sich auf keinen Fall äußern. Damit konnte er nur angehen und das wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Als nächstes reichte ihm der Mensch einen Pullover. Dieser fühlte sich weich und flauschig an, bestand aber nicht aus Wolle. Das Material war ganz glatt und roch irgendwie künstlich. Radec wusste mit Sicherheit, dass man dies nicht von einer Pflanze oder einem Tier gewonnen hatte, doch aus was es bestand, konnte er nicht ergründen. Egal, später!
Stirnrunzelnd blickte der Mann auf Radecs Füße und wühlte etwas in dem Regal. Kurze Zeit später zog er ein paar Schuhe daraus hervor. Sie bestanden aus einem Radec ebenfalls unbekannten Material und hatten gleich mehrere Farben. Die Grundfarbe war dunkelrot und mit schwarz und weiß hatte jemand Kontraste geschaffen. Wenigstens erschloss sich ihm sofort, wie man diese verschloss. Ösen zogen sich daran entlang und dadurch hatte man eine feste rote Schnur gezogen. Nachdem er hineingeschlüpft war, zog er die Bänder straff und band eine Schleife. Sitz, passt, wackelt und hat Luft, entschied Radec und lächelte den Mann vor sich an.
Dieser erwiderte das Grinsen und wühlte erneut im Regal, dabei flüsterte er dauernd: „Da war doch noch, da war doch noch…“ Plötzlich riss er etwas aus dunkler Wolle von einem der Holzböden. Ein beherztes Schütteln präsentierte das Kleidungstück in seiner vollen Pracht.
Bewundernd besah sich Radec das Teil. Lang, dunkel und sehr weich fühlte sich das Kleidungsstück an. Zudem wirkte es sehr warm, sicher sehr angenehm für einen Menschen, doch für einen Drachen vollkommen überflüssig. Aber das Material gefiel dem Feuerspucker.
„Ich kann zwar nicht verstehen, wie man einen Mantel aus echtem Kaschmir vergessen kann, aber für dich soll es jetzt kein Schaden sein. Leider passt mir diese Kostbarkeit nicht, sonst hätte ich sie schon vorm Winter mit nach Hause genommen. Doch so kommst jetzt du in den Genuss.“ Dabei hielt er dem Drachen den Mantel so hin, dass dieser direkt hineinschlüpfen konnte.
Vorsichtig schob Radec seine Arme in die langen Ärmel. Der Mantel schmiegte sich perfekt an seine athletische Gestalt und brachte seine kantige Figur perfekt zur Geltung.
Bewundernd seufzte der ältere Mensch und lächelte selig: „Dies ist definitiv meine gute Tat des Tages. Ich war früher ein Pfadfinder. Tagesaufgabe erledigt!“ Pure Befriedigung klang in der Stimme des Älteren mit.
Auch wenn der Feuerspucker den Ausspruch nicht verstand, so erschloss sich ihm zumindest der Gedanke, der dahinter stand. „Danke für Ihre Güte. Ich weiß gar nicht, was ich hätte machen sollen.“
„Junge, ich gebe dir einen guten Rat. Sieh zu, dass du nicht mehr trinkst oder andere Drogen nimmst, dann kann man dich zu leicht ausrauben. Am besten gehst du auch noch zur Polizei, um die Diebe anzuzeigen, die dir alles weggenommen haben. Pass in Zukunft besser auf dich auf.“ Mit diesen Worten hielt der großzügige Mann ihm die Tür zur Lobby auf.