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Vier starke Frauen – und attraktive Männer, die sie schwach werden lassen: Die neue Reihe der Bestsellerautorin Carly Phillips
Juliette Collins lebt behütet und doch einsam im Penthouse ihres reichen Vaters. Als sie eines Tages erfährt, dass sie Schwestern hat, von denen sie bislang nichts wusste, verlässt sie New York und reist in den kleinen Strandort Rosewood Bay, um ihre Geschwister endlich kennenzulernen – und um nachzuholen, was sie alles in ihrem Leben verpasst hat. Denn da ist dieser heiße Typ, der plötzlich überall auftaucht, wo Juliette ist, und nicht von ihrer Seite weicht. Ganz neue Gefühle bestürmen die junge Frau. Doch was wird passieren, wenn Juliette herausfindet, dass Braden Clark ein von ihrem Vater engagierter Bodyguard ist?
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Seitenzahl: 260
Das Buch
Juliette setzte ein Lächeln auf und ging auf den ersten Tisch zu, blieb jedoch plötzlich stehen, als sie ihn sah. Er hatte volles, braunes, leicht gewelltes Haar, eine markante Kieferpartie und haselnussbraune Augen. Ein marineblaues T-Shirt betonte seinen muskulösen Körper. Im Vergleich zu diesem stattlichen Kerl waren die Männer in New York, die sie kannte, Klappergestelle. Sie schluckte und trat näher, wobei sie die Kaffeekanne fester umklammerte. »Guten Morgen.«
Er schaute auf, sein Blick bohrte sich förmlich in ihren und hielt so lange an, dass er sich wie eine warme Liebkosung anfühlte. »Guten Morgen, hübsche Lady!«
Seine Stimme war rau, und ihr schoss die Röte in die Wangen. »Kaffee?«, fragte sie und hob mit plötzlich zitternder Hand die Kanne.
Die Autorin
Carly Phillips, eine New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin, hat über 50 prickelnde Liebesromane geschrieben, mit heißen Männern, starken Frauen und den emotional fesselnden Geschichten, die ihre Leser*innen inzwischen erwarten und lieben. Sie ist glücklich verheiratet mit ihrer Collegeliebe, hat zwei fast erwachsene Töchter und drei verrückte Hunde, die auf ihrer Facebook-Fan-Page und ihrer Website zu bewundern sind. Carly Phillips liebt die sozialen Medien und steht in engem Kontakt mit ihren Leser*innen.
CARLY PHILLIPS
Bedingungslos
Aus dem Amerikanischen von Anu Katariina Lindemann
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
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Die Originalausgabe Freed (Rosewood Bay 3) erschien erstmals 2018 bei CP Publishing, West Harrison, New York
Deutsche Erstausgabe 10/2022
Copyright © 2018 by Karen Drogin, CP Publishing
Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Barbara Häusler
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (white snow, Galina Timofeeva)
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-26240-2V002
www.heyne.de
Was schenkt man einem Mann zum Geburtstag, der schon alles hat? Juliette Collins hatte viele der Geschenkideen für ihren Vater Andrew wieder verworfen und entschied sich schließlich dazu, ihm eine Flasche seines Lieblingsweins zu schenken. Er war der ultimative Weinkenner und -sammler und besaß sogar einen eigenen Weinkeller. Es gab nichts, was sie ihm sonst hätte schenken oder womit sie ihn hätte überraschen können, das er sich nicht auch selbst hätte besorgen können. Immerhin wäre das ein persönliches Geschenk, das ihm zeigen sollte, wie gut sie ihn kannte. Und eines, über das er sich freuen würde. Aber um seinen Lieblingswein bestellen zu können, brauchte sie Zugriff auf seine Weinliste. Und die bewahrte er in seinem Safe auf.
Sie war für die Organisation seiner Geschäftsessen und seiner gesellschaftlichen Veranstaltungen, für seine Arzttermine sowie persönlichen Verabredungen zuständig und koordinierte diese mit seiner Büroassistentin. Dennoch hatte er ihr nie die Zahlenkombination für seinen Privatsafe verraten. Gut, dass sie als Kind so viele Stunden unter seinem Schreibtisch gespielt hatte, während er in dem Queen-Anne-Sessel in der Ecke seines häuslichen Arbeitszimmers saß. Immer wenn er zu seinem Safe gegangen war, hatte er die Zahlenkombination vor sich hin gemurmelt, ohne zu ahnen, dass sie aufmerksam zuhörte. Aufgrund ihres guten Zahlengedächtnisses hatte sie sich die Kombination schon vor Jahren eingeprägt.
»Juliette!«, rief ihr Vater von der anderen Seite des weitläufigen Penthouses in Manhattan, das sie gemeinsam bewohnten und in dem Juliette ihren eigenen Flügel hatte.
»Ja?« Sie hörte seine Fußschritte auf ihr Schlafzimmer zukommen.
Als Anlagebankier lud er seine vielen reichen Kunden häufig zum Dinner ein, wozu er gerne auch seine Tochter mitnahm, damit sie sich mit der jeweiligen Ehefrau oder Freundin unterhielt, während Andrew Geschäftliches mit seinem Kunden besprach. Heute war mal wieder so ein Abend, dachte sie und setzte ein Lächeln auf, auch wenn sie diese Abendessen und oft auch die Gesellschaft selbst furchtbar langweilten. Immerhin war auswärts essen zu gehen besser als die Einladungen, die sie für ihn zu Hause organisierte. Bei denen kam es nämlich regelmäßig vor, dass sie von einem seiner sogenannten Freunde begrapscht wurde, wovon er allerdings nie etwas mitbekam. Sie war seine Prinzessin, und er geriete außer sich vor Wut darüber. Außerdem, was sollte es bringen, es ihm zu erzählen und er sich aufregte – sie hatte längst gelernt, mit den zudringlichen Kerlen umzugehen.
Sie war sechsundzwanzig. Seit ihrem achtzehnten Lebensjahr war sie stets an seiner Seite gewesen und hatte ihr ganzes Leben getan, was er verlangte. Sie hatte sich an der New York University für Betriebswirtschaft eingeschrieben; doch anstatt tatsächlich in die Welt hinauszugehen, worauf sie sich schon gefreut hatte, hatte sie der unerwartete Herzinfarkt ihres Vaters dazu gezwungen, zu Hause zu bleiben. Sie hatte ihn wieder aufgepäppelt und dadurch seine Überfürsorglichkeit noch befördert. Inzwischen führte sie seinen Terminkalender, wozu auch seine Besuche beim Kardiologen und in der Herzreha zählten, weil er trotz seines eigentlich noch jungen Alters von zweiundfünfzig ein schwaches Herz hatte.
Zu sagen, sie wäre behütet, war eine glatte Untertreibung. Aufgrund seiner Persönlichkeit trieb ihr Dad den Begriff Helikoptervater auf die Spitze. Er hielt sie davon ab, ihr eigenes Leben zu leben, indem er behauptete, sie bei sich zu brauchen. Und da er sie seit dem Tod ihrer Mutter, die starb, als Juliette noch ein Kleinkind gewesen war, allein großgezogen hatte und sich die Ärzte wegen seines schwachen Herzens Sorgen machten, fühlte sie sich dazu verpflichtet zu tun, worum er sie bat. Er war schließlich alles, was sie noch hatte … und umgekehrt.
Er betrat ihr Zimmer, wo sie sich gerade für den Tag fertig gemacht hatte. Er trug einen seiner üblichen dreiteiligen grauen Anzüge, dazu eine rote Krawatte. Er war ein attraktiver, vornehm wirkender Mann, mit graumeliertem Haar und Kinnbart. Allerdings täuschte sein Aussehen über seinen Gesundheitszustand hinweg. Nach einem vierfachen Bypass mit vierundvierzig Jahren und einem Herzschaden nach dem Infarkt war sie in ständiger Sorge um ihn.
»Für wie viel Uhr ist heute Abend die Reservierung bei Chez Mathilde?«, fragte er.
»Für sieben. Und bevor du dich jetzt darüber beschwerst, das wäre zu früh – der Arzt meinte, dass es ungesund für dich ist, zu spät zu essen und mit vollem Bauch ins Bett zu gehen, weißt du noch?«
Er streckte eine Hand aus, als Zeichen, dass er nicht streiten wollte. »Ja, und ich weiß es auch zu schätzen, dass du auf mich aufpasst. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.« Diesen letzten Satz ließ er gern in die meisten Gespräche einfließen, womit er sie daran erinnerte, wie sehr er sie brauchte.
Sie liebte ihren Vater über alles, manchmal wollte sie aber einfach … mehr, als sie in ihrem jetzigen Leben hatte. »Gehst du ins Büro?«
Er nickte. »Aber ich werde rechtzeitig daheim sein, um mich vor dem Restaurant noch ein bisschen auszuruhen.«
»Schönen Tag.«
Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Dir auch. Was machst du denn heute?«
»Ich komm später auch ins Büro und spreche mich mit Georgia ab.« Georgia war seine Assistentin. »Danach geh ich wahrscheinlich noch shoppen.«
»Nimm meinen Fahrer. Ich schicke dir Eric zurück, nachdem er mich ins Büro gebracht hat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann die U-Bahn nehmen.«
Er zog ein finsteres Gesicht. »Du weißt, dass ich das nicht für sicher halte.«
»Dann geh ich eben ein Stückchen zu Fuß, schnappe etwas frische Luft und nehm mir später ein Taxi. Ich brauche keinen …«
»Tu’s bitte für mich, okay? Ich möchte mir keine Sorgen machen müssen.« Er fuhr sich mit der Hand an die Brust. »Eric wird hier sein, sobald du loswillst.«
Sie seufzte. »Na schön«, erwiderte sie und gab nach. Wie immer.
»Wir sehen uns dann später.« Er verließ ihr Zimmer.
Sie sah ihm nach, betroffen, wie leicht er sie wieder einmal manipuliert hatte, und dass sie es jedes Mal zuließ.
Doch sie wollte die Entscheidungen, die sie in ihrem Leben traf, nicht hinterfragen. Es war nun mal so, wie es war. Er war ihr einziger Elternteil, sie liebte ihn und hatte das Gefühl, sich um ihn kümmern zu müssen. Das beinhaltete, ihn nicht aufzuregen, was ihr eigenes Leben anging.
Sie wartete noch einen Moment, bis sie sich sicher war, dass er sich auch wirklich auf den Weg gemacht hatte, und ging dann in sein Arbeitszimmer. Dessen Einrichtung hatte sie übernommen, eine der Aufgaben, die er ihr übertragen hatte. Sie hatte auch das gesamte übrige Apartment eingerichtet – Raum für Raum, eine Tätigkeit, die sie wirklich liebte. Und sie war auch gut darin. So gut sogar, dass die Ehefrauen der Freunde ihres Vaters sie diesbezüglich oft um Hilfe baten.
Sie hatte damit begonnen, Fotos von ihren Inneneinrichtungen zu machen und sie auf Instagram zu stellen, was ihr bereits eine treue Anhängerschaft verschafft hatte. Diese Fotos bildeten den Schwerpunkt ihres Instagram-Accounts, da sie nicht besonders viele Freunde hatte – zu den wenigen, die sie einmal gehabt hatte, war der Kontakt abgebrochen, als sie wegen ihres Vaters nicht mehr viel unternehmen konnte.
Das dunkelgetäfelte Arbeitszimmer ihres Vaters war mit schwarzen Ledermöbeln ausgestattet, darunter der Queen-Anne-Sessel, ein Zweiersofa sowie ein Schreibtischstuhl. Der Raum hatte immer eine einladende Atmosphäre und roch nach ihrem Vater. Seit sie ein kleines Mädchen war, brachte sie diesen Geruch mit Zuhause in Verbindung und fand ihn tröstlich und behaglich.
Sie ging zum Safe, der ganz klischeehaft hinter einem Gemälde versteckt war, und drehte am Zahlenschloss – ihr Vater war nie auf eine modernere Tastatur umgestiegen. Der Safe öffnete sich. Weil es im Inneren so dunkel war und sie nichts erkennen konnte, musste sie den gesamten Inhalt herausholen, um ihn nach der Kladde mit der Auflistung seiner Weine zu durchsuchen.
Obenauf lagen Aktenmappen, darunter befanden sich in Leder gebundene Kladden. Sie schob die Mappen, die mit Etiketten versehen waren, vom Stapel, dabei fiel ihr Blick auf ihren Namen. Neugierig packte sie alles andere auf den Tisch, und begann in der Aktenmappe zu blättern, um herauszufinden, was sie enthielt.
Es handelte sich um den Bericht eines Privatdetektivs.
Zielpersonen: Phoebe und Halley Ward, weiblich. Alter: achtzehn und zwanzig Jahre. Fotos von zwei attraktiven Frauen – eine hellblond und die andere mit hellbraunen Haaren, ganz ähnlich wie die von Juliette.
Eine andere Seite. Zielperson: Meg Ward Gifford, was der Name ihrer, Juliettes, Mutter war. Ein weiteres Foto. Sie hatte schon zuvor Bilder von ihrer Mom gesehen, eines von dem Tag, an dem sich ihre Eltern kennengelernt hatten, und ein anderes von ihrer Mutter mit Juliette als Baby auf dem Arm. Aber auf dieser Aufnahme hier war eine Frau zu sehen, die älter aussah, müder und vom Leben gezeichnet.
Juliette erstarrte. Sie las weiter und erfuhr immer mehr über die Mutter, von der sie geglaubt hatte, sie wäre tot.
Die Frau, von der sie geglaubt hatte, ihr Vater habe sie so sehr geliebt, dass es für ihn seither keine andere Frau mehr gegeben hatte. Stattdessen musste Juliette jetzt erfahren, dass diese Frau gedealt hatte, im Gefängnis gewesen war und man ihr ihre beiden anderen Kinder weggenommen und in Pflegefamilien gesteckt hatte. Der Bericht war über die Jahre bis zum vergangenen Winter in regelmäßigen Abständen aktualisiert worden. Die Schwestern – heute dreißig und siebenundzwanzig Jahre alt – lebten in einem Küstenstädtchen in Connecticut namens Rosewood Bay, ihre Mutter Meg wohnte in einer anderen Stadt, nicht allzu weit von ihnen entfernt.
Wenn Meg weitere Kinder hatte, dann bedeutete das, dass diese Frauen Juliettes … Schwestern waren! Mit zitternden Knien ließ sie sich auf den nächsten Stuhl sinken, erschüttert von dieser Neuigkeit.
Ihre Mutter lebte?
Sie hatte Geschwister?
All die Jahre hatte ihr Vater sie angelogen?
Ein Gefühl von Verrat durchfuhr sie. Ihr Vater, für den sie ihr eigenes Leben aufgegeben und dem sie bedingungslos vertraut hatte, hatte die Mutter aller Geheimnisse für sich behalten – im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte, ihre Gefühle zu ordnen. Schock – auf jeden Fall. Wut auf ihren Vater – mit Sicherheit. Und eine wachsende Aufregung, dass sie weitere Angehörige hatte.
Jahrelang hatte es nur Juliette und ihren Vater gegeben. Sie hatte sich oft allein gefühlt, aber wenigstens hatte sie einen Elternteil gehabt, und ihr Vater liebte sie – wenn auch auf seine eigene, einengende Art. Aber Schwestern zu haben? Erwachsene Frauen, Blutsverwandte, die irgendwo da draußen waren? Ob sie wohl über Juliette Bescheid wussten? Laut Bericht waren sie noch klein gewesen, als sie in Pflegefamilien gesteckt wurden. Sechs und drei. Offenbar war Juliette schon bei ihrem Vater gelandet, bevor man ihre Schwestern ihrer Mutter weggenommen hatte, andernfalls hätte ihr mit Sicherheit dasselbe geblüht.
Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Sie fragte sich, warum ihr Vater ihr etwas so Wichtiges verschwiegen hatte. Warum hatte er ihr nicht die Wahrheit über ihre Mutter gesagt? Und über ihre Schwestern? Hatte sie denn nicht das Recht, darüber Bescheid zu wissen? War er mit seiner Überfürsorglichkeit wirklich so weit gegangen? Oder gab es noch einen anderen Grund, warum er sie im Dunkeln gelassen hatte?
Sie verbrachte den ganzen Tag damit, ihre Wut zu pflegen. Weder machte sie den geplanten Spaziergang und natürlich schon gar nicht den geplanten Besuch im Büro ihres Vaters.
Stattdessen zog sie im Internet Erkundigungen über ihre Familie ein. Phoebe war heute eine Immobilienmaklerin in Rosewood Bay, Halley eine Künstlerin, die Ausstellungen in New York City hatte. So nah, und trotzdem hatte sie nichts davon gewusst, fuhr es Juliette durch den Kopf.
Tränen traten ihr in die Augen, als sie sich die Fotos von ihren Schwestern auf dem Bildschirm ansah. Sie drei sahen sich zwar kein bisschen ähnlich, aber je mehr sie über die beiden las, umso wärmer wurde es ihr ums Herz. Und plötzlich wurde ihr klar, was es mit diesem Gefühl der Leere, das sie in all den Jahren gespürt hatte, auf sich hatte. Das kalte Loch in ihrem Herzen hätte von ihren Schwestern ausgefüllt sein sollen.
Sie wartete, bis ihr Vater nach Hause kam, und begab sich dann in sein Arbeitszimmer, wohin er immer als Erstes ging.
Er legte gerade die Aktentasche auf den Schreibtisch, dann drehte er sich zu ihr um. »Juliette, du bist heute gar nicht im Büro vorbeigekommen. Geht’s dir nicht gut?«, erkundigte er sich besorgt.
Sie drückte ihre Schultern durch in Vorbereitung auf die bevorstehende Konfrontation. »Ich hätte gerne eine Erklärung«, sagte sie und hielt ihm die Aktenmappe vor die Nase, in der sie den ganzen Tag gelesen hatte. Ihre Hände zitterten.
Er starrte die Mappe an, der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Was hattest du an meinem Safe zu suchen?«
Das war seine einzige Sorge? »Ich habe nach deiner Weinkladde gesucht, um dir ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen.« Sie wedelte mit der Mappe vor seiner Nase herum. »Sag mir etwas, das einen Sinn ergibt. Nenn mir einen einzigen Grund, warum du mir erzählt hast, meine Mutter wäre tot«, verlangte sie mit lauter werdender Stimme.
Er schluckte schwer, sein Kehlkopf hüpfte auf und ab. Immerhin wich er nicht aus, das musste sie ihm zugutehalten. »Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte dir von ihrer Drogenabhängigkeit erzählt? Genau das ist sie nämlich!«
»Ja, wenn das die Wahrheit ist.«
Er begegnete ihrem Blick, sie sah keine Reue darin oder in seinem Gesichtsausdruck. »Ich wollte dich vor den harten Seiten des Lebens beschützen.«
Und da war es. Der Grund, vor dem sie sich gefürchtet hatte. Überfürsorglichkeit war die Ursache, warum er ihr Leben auf einer Lüge aufgebaut hatte. »Du hast mir keinen Gefallen damit getan. Ich hatte das Recht, es zu wissen. War meine Mom schon drogenabhängig, als du sie kennengelernt hast?« Sie wollte mehr über die Mutter wissen, die sie nie wirklich gekannt hatte.
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Jedenfalls erweckte sie damals nicht den Eindruck. Wir sind uns in einer Bar begegnet, in die ich nach einem Geschäftsessen gegangen war. Sie war dort mit einer Freundin, um etwas zu trinken. Eins führte zum anderen … Danach haben wir uns noch ein paarmal getroffen.«
»Ihre Schwangerschaft war also ein Unfall«, murmelte Juliette, eine Vermutung, die ihr irgendwie offensichtlich erschien.
»Sie sah eine Chance darin«, erwiderte er kopfschüttelnd und kniff die Augen zusammen, sein Blick wurde hart. Die plötzliche Wandlung überraschte sie. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit dir darüber reden würde, aber wenn du es unbedingt wissen musst: Sie war diejenige, die die Kondome dabeihatte. Als sie wegen Geld zu mir kam, weil sie schwanger war, wurde mir klar, dass sie es geplant haben musste – so weit man so etwas planen kann. Eine verzweifelte Frau sticht Löcher in ein Kondom. Oder zumindest war sie, falls es tatsächlich ein Unfall gewesen sein sollte, nicht sonderlich enttäuscht, weil sie zu dem Zeitpunkt bereits rausgefunden hatte, dass ich Geld habe.«
Juliette wollte nicht über die Einzelheiten des Sexlebens ihres Vaters nachdenken.
»Tatsache ist aber«, fuhr er mit eiskalter Stimme fort, »dass sie eine berechnende Schlampe war.«
So eiskalt hatte sie ihn schon erlebt, wenn es bei der Arbeit nicht so lief, wie er wollte, oder wenn sie ihn zu heftig anging, um ihren Willen durchzusetzen. Trotzdem fröstelte sie wegen der ausdruckslosen Art, in der er mit ihr sprach, als ginge es hier nicht um ihre Vergangenheit, um ihr Leben und auch nicht um ihre Mutter, sondern lediglich um eine unangenehme Lappalie, die ihn nervte.
»Eine Zeit lang habe ich ihr Geld gegeben, aber als ich merkte, dass du kein angemessenes Zuhause hattest, habe ich dafür gesorgt, dass es sich mehr für sie lohnte, dich mir zu geben und sich von dir fernzuhalten. Und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich von diesem Tag an vor ihr beschützt habe.«
Ihr traten Tränen in die Augen, weil er nicht begriff, worum es hier wirklich ging. Dass ihr ganzes Leben auf Lügen basierte. »Was ist mit meinen Schwestern?«, fragte sie. »Die hast du einfach bei ihr gelassen?«
»Sie waren nicht meine Kinder.« Das war alles, was er dazu zu sagen hatte.
»Du bist also einfach gegangen, obwohl du gerade gesagt hast, dass sie nicht dazu in der Lage war, mich aufzuziehen?«
»Ich traf sie, als ich sechsundzwanzig und gerade dabei war, mir eine Karriere aufzubauen. Ich holte dich zu mir, musste eine Nanny einstellen und mein Leben ändern. Es gab nichts, was ich für deine Schwestern hätte tun können. Du hast ja bestimmt gelesen, dass der Staat am Ende eingegriffen und sie ihr weggenommen hat. Ich bin mir sicher, dass sie so besser dran waren.«
Die Wirklichkeit war so schonungslos und brutal. Genau die Art von Wirklichkeit, vor der er sie jahrelang geschützt hatte, wie er sich ausgedrückt hatte. Die Ironie daran war, dass er sie dadurch auch vor der Erkenntnis geschützt hatte, dass er schlicht genauso eiskalt war wie anscheinend ihre Mutter.
Juliette drehte sich um und wischte die Tränen weg. »Und als ich erwachsen war? Warum hast du mir dann nicht erzählt, dass ich Schwestern habe?«
»Weil sie, soweit ich weiß, genauso sind wie deine Mutter.«
Entsetzt von dieser Bemerkung fuhr sie wieder zu ihm herum, um ihn anzusehen. »Ich hab mich über sie schlaugemacht. Du hast doch auch Nachforschungen über sie anstellen lassen. Dann weißt du, dass sie erfolgreiche Frauen sind. In Wirklichkeit wolltest du mich nur für dich alleine haben!« Er hatte sie in diesem Elfenbeinturm weggeschlossen, damit sie sich um ihn kümmerte, kein eigenes Leben führte und keine eigenen Entscheidungen traf.
»Du hattest doch ein schönes Leben, oder etwa nicht?«, fragte er, seine Stimme wurde wieder sanfter. »Du und ich? Zusammen?«
Seine Frage bestätigte, was ihr soeben klargeworden war. Das Ausmaß seines Egoismus’ wurde ihr jetzt erst so richtig bewusst. Weil er – als sie achtzehn war – krank geworden war, hatte sie sich eingeredet, dass er sie wirklich brauchte, aber die Realität war, dass er sie nur in seiner Nähe haben wollte. Sie bezweifelte nicht, dass er sie liebte. Aber seine Sorte Liebe war nicht gesund.
»Du hattest kein Recht, mir die Wahrheit vorzuenthalten«, sagte sie. »Kein Recht!« Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ den Raum.
* * *
Juliette machte in dieser Nacht kein Auge zu. Schlaflos wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her und dachte daran, dass sie irgendwo da draußen eine Familie hatte, die sie nicht kannte. Ihre Mutter wollte Juliette wahrscheinlich auch gar nicht kennenlernen, aber ihre Schwestern? Ihr Herz hüpfte angesichts der Möglichkeit, die beiden ausfindig zu machen und sie zu treffen, eine richtige Familie zu haben – jenseits ihres Vaters und den Mauern dieses Penthouses.
Als die Sonne aufging und in ihr Zimmer schien, wusste sie, was sie zu tun hatte. Rosewood Bay wartete auf sie, ebenso wie die Schwestern, die sie unbedingt kennenlernen wollte. Und vielleicht würde jetzt ein ganz neues Leben für sie beginnen.
In den nächsten Tagen nahm sie sich die Zeit, ihren nächsten Schritt zu planen. Es war schwierig für den Sommer noch eine Ferienwohnung in Rosewood Bay zu bekommen, da diese jetzt, Ende Juni, bereits alle belegt waren. Doch sie schaffte es, eine möblierte Einzimmerwohnung in der Innenstadt zu finden, die zwar sehr klein zu sein schien, aber das war ihr egal. Sie mietete sie unbesehen. Außerdem wollte sie sich auch noch einen Job suchen. Sie glaubte zwar nicht, dass ihr Vater ihr den Geldhahn zudrehen würde, aber wenn sie sich ihm schon widersetzte, konnte sie genauso gut gleich Nägel mit Köpfen machen und eine unabhängige Erwachsene sein. Welche Art Job sie sich suchen würde, würde sie sich überlegen, wenn sie dort war.
Sie war gerade beim Kofferpacken, als ihr Vater an der Tür klopfte.
»Komm rein.« Sie ließ sich nicht stören und packte weiter, faltete ihre Sommerkleider und legte sie in den Koffer.
»Was machst du denn da?« Das erste Anzeichen echter Panik, seit sie die Wahrheit herausgefunden hatte, klang aus seiner Stimme.
»Ich gehe.«
Er eilte zu ihr und legte eine Hand auf ihren Koffer. »Juliette, nein! Wir kriegen das schon wieder hin. Lass mich das wieder in Ordnung bringen.«
»Das kannst du aber nicht.« Der Schaden war bereits angerichtet, indem er ihr Informationen über ihre Familie vorenthalten hatte.
»Sei doch vernünftig, bevor du jetzt drauflos stürmst! Du warst noch nie allein von zu Hause weg. Du hattest noch nie einen Job. Was hast du denn jetzt überhaupt vor?«
»Und wessen Schuld ist das? Du hast mich von dir abhängig gehalten, aber jetzt wird’s Zeit, endlich erwachsen zu werden, meine Schwestern zu finden und mein eigenes Leben zu führen!« Sie schloss ihren Koffer und zog den Reißverschluss zu, bevor sie sich zu ihm umdrehte. »Mir wird schon nichts passieren, versprochen!«
»Ich wollte immer nur dein Bestes, das musst du mir glauben.« Geschlagen trat er einen Schritt zurück. »Was hältst du von einem Bodyguard?«, fragte er dann. »Jemand, der aus der Ferne auf dich aufpasst?«
Sie schnaubte. »Nein! Ich bin erwachsen und es wird Zeit, dass du mich auch so behandelst. Ich nehme mir für den Sommer eine Auszeit. Ende August werde ich mich dann entscheiden, wie es weitergehen soll. Bitte respektiere bis dahin meine Privatsphäre!«
Er zögerte, sah dann aber vielleicht die Entschlossenheit in ihrem Gesichtsausdruck und hörte an ihrer Stimme, wie sicher sie sich ihrer Entscheidung war. Er hob eine Hand und gab nach. »Na schön. Ich erwarte, zwischendurch mal was von dir zu hören. Beziehungsweise oft.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Dad. Aber du wirst mir nicht mehr sagen, was ich zu tun habe.« Sie zögerte, denn sie wusste, dass er ein schwaches Herz hatte. Sie wollte ihn nicht noch mehr aufregen, so verletzt und wütend sie auch war. »Ich weiß, dass du mich liebst«, sagte sie dann, und ihre Stimme wurde sanfter. »Und ich liebe dich auch. Aber es ist höchste Zeit, dass ich mein Leben in die eigene Hand nehme.«
»Dann soll es eben so sein.«
Sie kniff die Augen zusammen, überrascht, dass er kapitulierte. Sie hätte eher mit einem Wutanfall gerechnet, aber er ließ sie ohne allzu große Diskussion gehen.
Erleichterung und Aufregung erfüllten sie. Sie würde ihre Familie treffen, alles erleben und erfahren, was ihr bisher entgangen war, und endlich ihr eigenes Leben führen.
Nur für sich selbst und für niemanden sonst.
* * *
Braden Clark, der seine Füße auf den Schreibtisch gelegt hatte, beendete das Telefonat. Er wunderte sich, wie weit manche Leute gingen, um nicht die Kontrolle über gewisse Menschen in ihrem Leben zu verlieren. Doch wenn Andrew Collins, ein Anlagebankier aus New York City, von Braden wollte, dass er seine Tochter im Auge behielt, die den Sommer über nach Rosewood Bay kommen würde, schätzte Braden, dass es sich dabei um einen Job handelte.
Einen verdammt gut bezahlten noch dazu, dachte er, bedachte man die Summe, die er dem Mann genannt hatte, und wie schnell dieser eingewilligt hatte. Der Auftrag erforderte allerdings auch echten Einsatz, weshalb er parallel nichts anderes würde machen können. Insofern war der Preis absolut fair. Ganz zu schweigen davon, wie sehr er das zusätzliche Geld brauchte, da er seinen Vater bald in ein Pflegeheim geben musste – etwas, worüber er nur sehr ungern nachdachte.
»Neuer Auftrag?«, erkundigte sich Mike Graham, sein bester Freund und neuer Partner, von seinem Platz auf der anderen Seite des Schreibtischs.
Braden hatte Clark Investigations von seinem Vater Jonathan übernommen, bei dem kürzlich Alzheimer diagnostiziert worden war und der deshalb schon jetzt in den Ruhestand gehen musste. Braden war vor etwas über einem Jahr nach Rosewood Bay zurückgekehrt, als sein Vater begann, erste Anzeichen von Vergesslichkeit an den Tag zu legen. Braden gab daraufhin seinen Job bei der New Yorker Polizei auf, um bei seinem Vater sein zu können. Da Mike eine berufliche Veränderung brauchte, war er dazugekommen, hatte sich in die Firma miteingekauft, die jetzt den Namen Clark und Graham Investigations trug. An diesen neuen Fall war er durch einen Privatdetektiv aus Manhattan gekommen, den Braden noch aus seinen Tagen bei der New Yorker Polizei kannte.
»Ein neuer und leichter Auftrag«, erwiderte Braden auf die Frage seines Partners. »Ich soll diesen Sommer die Tochter eines reichen Typen aus Manhattan im Auge behalten.«
»Wie alt ist sie denn? Unter achtzehn? Das sollte Spaß machen, in den billigen Bars der Stadt abzuhängen. Besser du machst das als ich«, lachte Mike.
Mit dreißig bevorzugten beide Männer das gehobenere Blue Wall, in dem es ein Restaurant sowie eine Bar gab. Es war etwas ganz anderes als die billigeren Teenie-Treffs, die näher am Strand gelegen waren.
Braden schüttelte den Kopf. »Sie ist sechsundzwanzig.«
Mike riss die Augen auf. »Und Daddy muss immer noch auf sie aufpassen? Verwöhntes, kleines, reiches Mädchen macht Sommerurlaub am Strand?«
»Hört sich ganz danach an. Behütet und zum ersten Mal alleine draußen.« Braden zuckte mit den Achseln. »Klingt nicht gerade nach einem schwierigen Auftrag.«
»Außer wenn sie hässlich ist.« Mike grinste bei dem Gedanken an diese Möglichkeit.
»Er schickt mir gleich noch ein Foto.« Braden schaltete seinen Laptop an und checkte seine E-Mails. »Jepp. Ist schon da.« Er klickte auf den Link, um sich das Foto anzusehen. Beim Anblick der Frau auf dem Bild schnappte er nach Luft.
»So schlimm?«, fragte Mike.
»Nee, so gut.« Braden pfiff leise und spürte Schmetterlinge im Bauch, als er die schöne Frau auf dem Bildschirm betrachtete.
Hellbraunes Haar, eine Haut wie Porzellan und ein graziles Profil, das ihm schier den Atem raubte. Auf dem Foto trug sie ein Diadem, offensichtlich war sie gerade auf irgendeiner Feier, und sie sah wirklich aus wie eine Märchenprinzessin.
Sein Penis, der seit der Enttäuschung mit seiner Ex untätig und – wie er meinte – immun gegen Frauen gewesen war, wurde steif.
Verdammt.
»Zeigst du mir mal das Bild?«, fragte Mike.
In Braden meldete sich plötzlich ein Besitzerimpuls, was das Foto und die Frau darauf anging. Nur widerwillig drehte er den Bildschirm zu seinem Freund.
Mike pfiff anerkennend. »Du wirst einen verdammt spaßigen Sommer haben.«
Mürrisch blickte Braden ihn an. »Dir ist schon klar, dass sie ein Job und deshalb tabu ist, oder?«
Mike kippte den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. »Ja, genau. Dann mal viel Glück dabei.«
Sein Freund hatte recht. Allein die Frau anzuschauen reichte, und sein Schwanz war hart und bereit. Die offensichtliche Anziehungskraft zu ignorieren würde nicht einfach werden, wenn er ihr erst einmal persönlich begegnete. Aber trotzdem: Er war ein Profi.
Er käme mit dem Job schon klar. Und mit der Frau auch.
»Wie geht’s deinem Vater?«, fragte Mike und wechselte damit zu einem Thema, über das Braden wirklich nicht reden wollte. Aber nichts konnte etwas an der schmerzhaften Wirklichkeit ändern, die das Leben seines Vaters mittlerweile bestimmte. Und sein Leben.
Aber Mike meinte es nur gut, als er sich nach Jonathan erkundigte. »Dads Zustand ist stabil. Er kann noch zu Hause bleiben, wenn Mrs. Mulligan von nebenan bei ihm ist. Sie kümmert sich um ihn, wenn ich nicht da bin.« Mrs. Mulligan war eine ehemalige Krankenschwester, und Braden bezahlte sie für die Betreuung, auch wenn sie ihm angeboten hatte, es unentgeltlich zu machen. Aber durch den zusätzlichen Verdienst konnte sie ihr Einkommen aufbessern und half ihm zur gleichen Zeit aus. Er wollte, dass sein Vater so lange wie möglich zu Hause bleiben konnte, vor allem so lange dieser noch wusste, wer und wo er war.
Mike nickte. »Gut. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so. Es wird bestimmt hart, sich für ein Pflegeheim zu entscheiden.« Er nickte, während er zu dem Broschürenstapel auf Bradens Schreibtisch herüberschaute.
Braden hatte sich schon ein paar Pflegeheime angesehen, war also vorbereitet. Aber er hoffte, die Entscheidung noch so lange wie möglich hinausschieben zu können. Denn sie würde ihm das Herz brechen.
Er war ein Einzelkind und stand seinem Vater sehr nah. Er hatte es immer zu schätzen gewusst, als Kind diese Vater-Sohn-Momente mit niemandem teilen zu müssen, die Ausflüge, die sie unternommen hatten oder die Spiele, die sie gespielt hatten. Erst jetzt als Erwachsener verstand er den Wert von Geschwistern. Denn man teilte nicht nur die schönen Momente miteinander, sondern auch die schweren. Seine Mutter war bereits vor zehn Jahren gestorben, und er musste ganz allein mit der Krankheit und Pflege seines Vaters zurechtkommen.
Jetzt wollte er jedoch nicht länger über seine Probleme nachdenken, sondern sich lieber auf die Arbeit konzentrieren.
Sein Blick richtete sich wieder auf den Bildschirm seines Laptops und auf den angenehmeren Teil in seinem Leben. Seinen nächsten Auftrag. Als Erstes musste er Miss Juliette Collins in Rosewood Bay ausfindig machen. Aber trotz der vielen Sommergäste sollte es eigentlich kein Problem sein, einen Neuankömmling ausfindig zu machen, der noch dazu nach einem Job in der Stadt suchte und versuchte sich einzuleben. Neulinge fielen normalerweise auf.
Und bei ihrem Aussehen würde er zumindest ihren Anblick in diesem Sommer genießen können – auch wenn er seine Finger bei sich behalten musste.
Rosewood Bay war ein hübsches Städtchen, der Geruch nach Salzwasser hing in der Luft und in der Ferne war das Meer zu sehen.
Die Schaufenster der Läden boten ein kunterbuntes Gemisch – ganz anders als die Fachgeschäfte, die Juliette von der Madison Avenue kannte. Sie verliebte sich auf den ersten Blick in diese Stadt.