Lovecrafts Schriften des Grauens 18: Salzburger Albträume - Alfred Wallon - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 18: Salzburger Albträume E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Ich weiß, dass sie mich bald finden werden, und ich bin mir bewusst, dass es mein Fehler war. Ich hätte niemals mit Johann Gruber reden dürfen. Durch ihn habe ich erfahren, dass die Welt nicht so ist, wie sie erscheint. Salzburg hat eine schöne, historische Seite voller Traditionen, aber auch eine dunkle Seite voller Abgründe. Einen davon habe ich entdeckt und ich muss dafür bezahlen. Mit meinem Leben.Mit diesen Worten beginnen die persönlichen Aufzeichnungen des Journalisten Andreas Schachner, der in einem Salzburger Café 1957 zufällig einen alten und verängstigten Buchhändler namens Johann Gruber trifft. Gruber fühlt sich verfolgt, und Schachner möchte ihm helfen. Zwei Tage später liegt Gruber tot in seinem Antiquariat.Doch noch kurz vor seinem Tod hat der Buchhändler seine Aufzeichnungen an Schachner geschickt. In diesen Papieren entdeckt der Journalist eine Verbindung zwischen Hitlers ehemaliger Residenz Obersalzberg und dem sagenumwobenen Untersberg. Dazu Hinweise auf eine dunkle Macht ...

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Seitenzahl: 209

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Alfred WallonSalzburger Albträume

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett

2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens

2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume

2104 Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl Stolzenstein

2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig

2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde

2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur

2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu

2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts

2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo

2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin

2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows

2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim

2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür

2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo

2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen

2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 2

2118 Alfred Wallon Salzburger Albträume

Alfred Wallon

Salzburger Albträume

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KleudgenTitelbild: Mario HeyerUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: Jörg KleudgenSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-928-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Gegenwart

Salzburg 1. November 1957

Ich weiß, dass sie mich bald finden werden, und ich bin mir auch bewusst, dass es mein Fehler war. Ich hätte niemals mit Johann Gruber reden dürfen. Durch ihn habe ich erst erfahren, dass die Welt nicht so ist, wie sie erscheint. Salzburg hat eine schöne historische Seite voller Traditionen, aber auch eine sehr dunkle Seite voller Abgründe. Einen davon habe ich entdeckt und muss dafür bald zahlen. Mit meinem eigenen Leben!

Johann Gruber ist dafür verantwortlich, aber ihm das vorzuhalten, nutzt nichts mehr. Denn er ist tot. Umgebracht von den Männern, die nun auch von mir wissen – und mir wird das gleiche Schicksal drohen, wenn sie mich gefunden haben. Denn ich weiß um Dinge, die die Welt da draußen niemals erfahren darf. Sonst hätte das unabsehbare Konsequenzen. Aber mir ist auch bewusst, dass ich nicht schweigen darf. Deshalb werde ich alles aufschreiben, wie es begonnen hat – auch wenn ich womöglich nicht mehr erfahren werde, wie es endet. Denn wenn dieser Zeitpunkt eintritt, werde ich nicht mehr leben. Ich bin gefährlich für diese Leute. Es sind zu viele, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Man begreift es erst, wenn man die Zusammenhänge erkannt und verstanden hat – so wie es bei mir war.

Ich bin abgetaucht und habe Unterschlupf in einer billigen Pension am Stadtrand von Salzburg gefunden. Ich hoffe, dass sie mich dort nicht finden werden. Zumindest nicht während der nächsten Tage. Aber ich weiß, dass das keine Dauerlösung ist. Irgendein dummer Zufall wird sie zu mir führen, denn ich kann nicht Tag und Nacht Wache halten.

Das Einzige, was ich tun kann, ist, alles ­aufzuschreiben und dafür zu sorgen, dass es jemand bekommt, der die Zeichen erkennt und alles dafür tut, dass diese dunkle Macht sich nicht ungehindert weiter ausbreiten kann. Deshalb nutze ich die Zeit und schreibe so viel ich nur kann. Die Pensionswirtin mag mich vielleicht für einen seltsamen Eigenbrötler halten, der sein Zimmer kaum verlässt – und wenn überhaupt, dann nur zu den ­Mahl­zeiten. Aber das ist mir egal. Soll sie ruhig von mir denken, was sie will. Hauptsache, sie stört mich nicht, wenn ich alles aufschreibe, was mir widerfahren ist.

Begonnen hat alles an einem grauen Oktobertag im Jahr 1957 – das ist jetzt gerade mal einen Monat her. Und doch erscheint es mir, als gäbe es diese Welt nicht mehr, in der ich lebe ...

Vergangenheit

1. Oktober 1957

Salzburg, im Café Bazar in der Schwarzstraße

Gegen 13:30 Uhr

Die dichten grauen Wolken, die schon vor fast zwei Stunden über Salzburg aufgezogen waren, öffneten ihre Schleusen – und es begann zu regnen. Zuerst nur feiner Nieselregen, aber dann entwickelte sich das langsam, aber sicher zu einem Wolkenbruch, der die Menschen von den Straßen vertrieb und sie einen Ort aufsuchen ließ, an dem sie vor der Nässe Schutz finden konnten.

Ich beobachtete von einem Tisch an der Fensterfront des Café Bazar, wie die Menschen davonhasteten, und genoss umso mehr den Platz, an dem ich saß. Denn hier war es warm und gemütlich, und ich hatte Zeit zum Nachdenken, denn das Wetter dort draußen passte zu meiner Stimmung.

Mein Name ist Andreas Schachner. Ich bin kein gebürtiger Salzburger. Meine Wurzeln liegen in Wien. Dort bin ich geboren und aufgewachsen, dort habe ich Germanistik studiert. Mit dem Ziel, anschließend in der Zeitungsbranche zu arbeiten. Nach Abschluss des Studiums dauerte es aber dennoch einige Zeit, bis ich schließlich bei den Salzburger Nachrichten eine Stelle als Redakteur bekam. Was für mich damals bedeutete, die Großstadt Wien zu verlassen und in die Provinz zu gehen. Wobei man Salzburg nicht unbedingt als Provinz bezeichnen sollte, denn diese Stadt war schließlich der Geburtsort von Wolfgang Amadeus Mozart. Ein Ort voller Kultur, Tradition und Geschichte.

So hatte man mir Salzburg jedenfalls schmackhaft gemacht, als ich im Verlagsgebäude der Salzburger Nachrichten mein erstes Gespräch hatte und man mir eine sichere Zukunft versprach. Ich war bereit, das zu glauben, und zog nur kurze Zeit später in die Mozartstadt Salzburg. Über den Verlag fand ich rasch eine kleine, aber gemütliche Zweizimmerwohnung unweit des Mozartplatzes, was ich sehr bequem fand. So konnte ich – wann immer mir danach war – in das kulturelle Leben am Abend und erst recht am Wochenende eintauchen und es genießen. Ich war noch jung und hatte mein ganzes Leben noch vor mir, einschließlich einer Karriere in der Zeitungsbranche. So dachte ich jedenfalls, als ich während der ersten Wochen mir einen Überblick in den verschiedenen Ressorts des Verlages verschaffte.

„Möchten Sie noch einen Kaffee, Herr Schachner?“, unterbrach die Stimme eines Kellners meine Gedanken. Ich hob den Kopf, versuchte zu lächeln und gab dem Mann mit einer kurzen, aber eindeutigen Geste zu verstehen, dass ich damit einverstanden war. Der dienst­beflissene Kellner eilte sofort los, um meine Wünsche so schnell wie möglich zu erfüllen. Schließlich war das Café Bazar ein Traditionscafé und dazu noch ein Ort, der oft und regelmäßig von Künstlern und Kulturschaffenden aufgesucht wurde. Hier tauschte man sich aus, hier plauderte man zwanglos über Gott und die Welt, und hier ­entstanden Beziehungen und Kontakte, die äußerst hilfreich sein konnten, wenn man es richtig machte.

Ich war kein Künstler im eigentlichen Sinne, aber ich glaubte an den Einfluss von Zeitungen und deren Bedeutung. Der Optimismus, den ich mir von Anfang an vorgenommen hatte, erfuhr schon vier Wochen später eine herbe Dämpfung. Denn ich hatte einen Fehler gemacht, den man mir sehr übelnahm. Ich hatte es gewagt, im Vorfeld der Wahlen zum Amt des Oberbürgermeisters einen zu persönlichen Artikel zu schreiben. Das schien dem jetzigen Amtsinhaber Stanislaus Pacher nicht ganz gepasst zu haben, denn er hatte den Verleger persönlich kontaktiert und sich über mich beschwert. Mich hatte man anschließend herbeizitiert und mir ordentlich die Leviten gelesen und dass dies keine Art sei, wie ein ernstzunehmender Journalist seine Artikel schrieb. Deshalb hatte ich mich notgedrungen entschuldigt und hoffte, dass diese auch so angenommen wurde – obwohl ich nach wie vor meine Meinung darüber hatte, wie gewisse Dinge eben geschildert werden sollten. Aber wenn ich es riskierte, erneut mit der Verlagsleitung in Konflikt zu kommen, dann würde man mir unmissverständlich zu verstehen geben, dass man Leute wie mich bei dieser bekannten Zeitung nicht brauchte. Und diese Warnung hatte ich klar und deutlich verstanden!

Um etwas Abstand zu gewinnen, hatte ich um eine Woche Urlaub gebeten. Dem hatte man nur zu gerne zugestimmt, denn in den Augen mancher Kollegen bedeutete das nichts anderes, als dass ich in dieser Zeit keinen Unfug anstellen und einseitige Artikel schreiben konnte. Auch wenn ich ein ziemlich ungutes Gefühl hatte, Anfang der kommenden Woche wieder in den Verlag zurückzukehren und so zu tun, als sei überhaupt nichts geschehen, entschied ich mich doch dafür, das Beste daraus zu machen, und tat somit genau das, was in letzter Zeit – zumindest meiner Meinung nach – viel zu kurz gekommen war. Und dazu gehörte auch ein Besuch im Café Bazar. Vielleicht sogar in der Hoffnung, hier jemanden zu treffen, der mir helfen konnte, eine andere berufliche Perspektive zu finden. Allzu hoch durfte ich jedoch meine Wünsche und Erwartungen nicht stellen, denn wir schrieben das Jahr 1957, und erst ganz langsam begannen sich die Beziehungen mit den angrenzenden Ländern allmählich zu normalisieren. Dazu gehörte auch ein neues Grenzabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland, das vieles vereinfachte. Auch darüber hatte ich natürlich schreiben wollen. Aber mit diesen Dingen hatte man einen älteren und weitaus erfahreneren Redakteur betraut.

Und so saß ich nun hier im Café Bazar, trank mittlerweile schon den dritten Kaffee und versuchte, mir die Zeit auf halbwegs angenehme Weise zu vertreiben. Aber die einflussreichen Mitglieder der Salzburger Kulturszene schienen es zumindest heute vorgezogen zu haben, lieber zuhause zu bleiben. Was ich verstehen konnte, denn bei diesem Wolkenbruch jagte man ja noch nicht einmal einen Hund vor die Tür.

Vielleicht hätte ich trotzdem auch besser zuhause bleiben und die triste Einsamkeit meiner kleinen Wohnung ertragen sollen. Denn dann wäre wahrscheinlich all das nicht passiert, was an diesem Tag noch geschah. Aber woher hätte ich denn ahnen sollen, dass eine einzige – und in meinen Augen anfangs eher zufällige – Begegnung dafür sorgen würde, dass mein ganzes bisheriges Leben sich ganz und gar ändern würde! Und das hatte mit einem alten Mann namens Johann Gruber zu tun, der nur wenige Minuten später aus dem Regen kam und das Café Bazar betrat.

Ich registrierte den alten Mann zunächst nur am Rande, als er hastig eintrat und seinen nassen Regenschirm in einem Ständer platzierte. Er war hager und ein wenig gebrechlich. Eben wie ein Mann, der die Siebzig schon überschritten und gewiss seit einiger Zeit mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Seine Gesichtsfarbe war blass, und die Augen lagen tief in den Höhlen und waren gerötet. Unsicher blickte er sich in den Räumen des Cafés um, als wolle er sich irgendwie versichern, dass sich keine ihm bekannte Person jetzt hier aufhielt.

All dies registrierte ich, während ich einen weiteren Schluck Kaffee zu mir nahm und dabei einen Blick in die neueste Ausgabe der Salzburger Nachrichten warf, die man hier kostenlos lesen konnte. Aber irgendwie war ich nicht ganz bei der Sache, und daran war der alte Mann schuld, der jetzt zwei Tische entfernt von mir Platz nahm und den Kellner zu sich winkte. Was er zu ihm sagte, konnte ich nicht hören, denn seine Stimme klang sehr leise und wurde immer wieder von einem kurzen Husten unterbrochen. Selbst der Schirm schien ihn nur notdürftig vor dem prasselnden Regen da draußen geschützt zu haben.

Ich machte mir seltsamerweise Gedanken darüber, was wohl geschehen würde, wenn sich der alte Mann jetzt noch eine Lungenentzündung zuzog, die in seinem Alter sicher nicht ganz ungefährlich war. Aber dann sagte ich mir, dass es mich nichts anging, und konzentrierte mich wieder auf das Lesen der Tageszeitung vor mir. Zumindest versuchte ich es, aber aus einem mir unerklärlichen Grund drifteten meine Gedanken immer wieder ab.

„Entschuldigen Sie bitte, aber darf ich mich zu Ihnen setzen?“, erklang plötzlich eine Stimme seitlich von mir. Im ersten Moment war ich erschrocken, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass der alte Mann auf einmal vor mir stand. Er gab sein Bestes, um mir freundlich zuzulächeln, aber irgendwie wollte der gehetzte Ausdruck in seinen Augen nicht weichen. Das grenzte schon fast an purer Verzweiflung!

„Ich möchte nicht aufdringlich sein“, fuhr der alte Mann fort. „Sie sind doch Andreas Schachner, oder?“

„Kennen wir uns?“, fragte ich überrascht und legte die Zeitung beiseite, während er einfach einen Stuhl nach hinten schob und mir gegenüber Platz nahm.

„Nicht persönlich“, lautete seine Antwort. „Pardon, ich bin unhöflich. Mein Name ist Johann Gruber, Herr Schachner.“

„Das erklärt immer noch nicht, woher Sie mich kennen, Herr Gruber“, erwiderte ich mit einer gehörigen Portion Skepsis, weil sich der alte Mann förmlich aufgedrängt hatte. „Vielleicht sollten Sie jetzt etwas deutlicher werden ...“

„Aber natürlich“, versicherte er. „Sie sind doch derjenige, der einen Artikel in den Salzburger Nachrichten über die bevorstehende Wahl des Oberbürgermeisters verfasst hat? Ein sehr gelungener Artikel, wie ich fand – und kritisch dazu.“

Er lächelte auf eine Art und Weise, die mir sagte, dass ich zumindest jetzt einen Leser kennengelernt hatte, der mir nicht die Pest an den Hals wünschte.

„Danke“, erwiderte ich erleichtert. „Es sieht aber ganz danach aus, als wenn Sie bis jetzt der Einzige sind, der das so sieht.“

„Das dachte ich mir fast“, antwortete Gruber. „Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen? Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Ich ahnte, dass selbst eine Ablehnung meinerseits nichts daran ändern würde, dass Johann Gruber fest entschlossen war, an meinem Tisch sitzenzubleiben und mir ein Gespräch aufzuzwingen. Aber weil der Wolkenbruch da draußen immer noch nicht nachgelassen hatte und ich somit gezwungen war, im Café Bazar noch etwas länger zu verweilen, stimmte ich dieser Einladung schließlich zu. Gruber lächelte und bestellte beim Kellner sofort zwei Kaffee, während ich gedankenverloren aus dem Fenster blickte und mir die verregnete Altstadt – zumindest an diesem Tag – so trist und verloren erschien wie noch nie zuvor.

„Ich habe Ihren Artikel mit großem Interesse gelesen, Herr Schachner“, sagte Gruber. „Endlich hat jemand mal die Dinge beim Namen genannt. Ich fürchte allerdings nur, dass es einige Leute in der oberen Etage Ihres Hauses gab, die nicht glücklich darüber waren?“

„Kann sein“, sagte ich ausweichend. Aber mein Gesicht schien in diesem Moment viel mehr zu verraten, als ich es wollte. Gruber schien dies als Bestätigung seiner Vermutung aufzufassen und fuhr fort, nachdem der Kellner den Kaffee serviert hatte.

„Vielleicht ist es Schicksal, dass Sie hier sind, Herr Schachner. Glauben Sie an so etwas?“ Er bemerkte, dass mein Blick ablehnende Züge annahm, und sprach rasch weiter. „Ich habe gehofft, einen kritischen Journalisten zu treffen. Jemand, der nicht gleich alles ablehnt, was man ihm vorträgt. Ich glaube, dass Sie so ein Mann sind.“

„Deswegen sitze ich auch im Café und schlage die Zeit tot“, seufzte ich. „Herr Gruber, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich habe im Moment selbst einige Probleme, die ich erst einmal lösen muss, bevor ich ...“

„Mann hat sie gewarnt, nicht wahr?“, fiel er mir ins Wort. „Sie haben eine Grenze überschritten, von der Sie bisher nicht wussten, dass sie existiert. Ist es nicht so?“

Mit blieb nichts anderes übrig, als das zuzugeben. Gruber fasste dies als Zeichen auf, mit seinen Erörterungen fortzufahren.

„Es gibt hier einen bestimmten Personenkreis, der ­möglichst nicht ins Licht der Öffentlichkeit geraten möchte, Herr Schachner“, sagte Gruber, nachdem er einen Schluck von dem heißen Kaffee zu sich genommen hatte. „Ah, tut das gut! Es vertreibt wenigstens ein bisschen die Kälte. Aber es gibt wesentlich gefährlichere Dinge, als durch den Regen zu gehen und trotz eines Schirmes nass zu werden.“

„Wer sind Sie eigentlich, und was wollen Sie genau von mir, Herr Gruber?“, fragte ich voller Ungeduld. „Sie kommen mir vor wie jemand, der andauernd um den heißen Brei herumredet. Sagen Sie endlich, was Sie zu sagen haben, und dann lassen Sie mich bitte in Ruhe.“

„Ich möchte Sie nicht bedrängen, Herr Schachner“, sagte Gruber in einem Ton des Bedauerns. „Im Gegenteil – ich brauche Ihre Hilfe. Weil Sie ein Mann sind, der Fragen stellt und den Dingen auf den Grund gehen will. Das ist eine gute Charaktereigenschaft. Auch wenn man sich dadurch zwangsläufig mehr Feinde als Freunde macht.“ Er strich sich verlegen übers Kinn, weil er ­meinen ­kritischen Blick offensichtlich nicht auf Dauer ertragen konnte. „Hören Sie, ich mache Ihnen jetzt einfach einen Vorschlag, und ich hoffe, dass Sie ihn nicht ablehnen werden. Es kostet Sie lediglich etwas Zeit.“

„Was heißt das genau?“, wollte ich wissen.

„Sie verfügen über Möglichkeiten, die ich nicht habe“, lautete Grubers Antwort. „Helfen Sie mir einfach, Herr Schachner. Es ist eine dringende Bitte meinerseits. Urteilen Sie anschließend selbst, was Sie tun wollen.“

„Na gut“, gestand ich schließlich ein. „Dann erzählen Sie, was es angeblich so Wichtiges gibt. Ich werde mir die Zeit dafür nehmen.“

„Aber nicht hier!“, stieß Gruber auf einmal hervor, während er einen kurzen Blick aus dem Fenster warf und seine Gesichtszüge auf einmal einen angespannten Ausdruck annahmen. Ich folgte kurz seinem Blick, konnte aber nichts Auffälliges bemerken. Ich sah lediglich einen Mann im dunklen Mantel, der aus einer Seitenstraße kam und versuchte, die Tram zu erreichen, deren Schienen direkt am Café Bazar vorbeiführten. Zum Glück schaffte er es noch, einzusteigen, bevor sie weiterfuhr.

„Was ist mit Ihnen?“, fragte ich, als ich sah, wie sich Gruber auf einmal erhob. Er machte einen gehetzten Eindruck, und ich begriff nicht, warum das so war. Ich wollte mich ebenfalls erheben, aber er gab mir mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass ich lieber sitzen bleiben sollte, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen.

„Kommen Sie in mein Antiquariat“, bat er mich so leise, dass nur ich das hören konnte. „Sie finden es in der Judengasse. Bleiben Sie bitte noch sitzen und kommen Sie erst am späten Nachmittag. Es darf niemand merken, dass Sie mir folgen.“

Im ersten Moment hielt ich den alten Mann für geistesgestört. Eben wie jemand, der nicht mehr vollständig Herr seiner Sinne war. Auch der Kellner schaute schon öfters herüber zu mir an den Tisch, und sein Blick war eindeutig.

„Gut, ich komme“, versprach ich ihm schließlich. „Aber dann sind Sie mir eine Erklärung schuldig – und zwar eine, die Sie sich gut überlegen sollten, Herr Gruber.“

„Die werden Sie bekommen“, versprach mir der alte Mann, der sich bei meinen Worten wieder beruhigt hatte. „Ich danke Ihnen sehr dafür. Bitte kommen Sie kurz vor 18:00 Uhr. Nach Ladenschluss wird uns niemand mehr stören.“

„Dann will ich nur hoffen, dass die Geschichte, die Sie mir erzählen wollen, wirklich so wichtig ist, Herr Gruber“, sagte ich zu ihm.

„Das ist sie, Herr Schachner“, lautete seine Antwort. „Das ist sie in der Tat.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab von mir, bezahlte seinen Kaffee an der Theke, nahm seinen Schirm und verließ das Café Bazar. Wenige Augenblicke später verschwand er in den Regenschleiern, die der Wind noch immer vor sich hertrieb.

„Hat der Mann Sie irgendwie belästigt?“, wollte der besorgte Kellner wissen, als er zu mir kam.

„Aber nein“, versicherte ich ihm. „Wir hatten nur ein kurzes Gespräch. Kennen Sie den Herrn?“

„Ich weiß, wer er ist“, antwortete er. „Aber nur, dass ihm ein Antiquariat in der Judengasse gehört. Er war in den letzten Tagen öfters hier. Ich hatte den Eindruck, dass er Kontakt suchte. Sie wissen ja vielleicht, dass unser Haus einige bekannte Gäste hat, die gerne immer wieder mal vorbeischauen. Vielleicht wollte er den einen oder anderen kennenlernen und anbetteln.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte ich erstaunt. „Sagten Sie nicht, der Mann besäße ein Antiquariat?“

„Wer will denn heute noch diese verstaubten Wälzer lesen, die er in seinem Schaufenster ausliegen hat?“, meinte der Kellner abwinkend. „Auf mich jedenfalls macht er einen sehr bedürftigen Eindruck. Ich weiß zwar nicht, was er von Ihnen gewollt hat – aber am besten sehen Sie sich vor. Sonst werden Sie den so schnell nicht mehr los.“

„Immerhin war er wohl gut genug für Sie, um ihn als Gast zu dulden, oder?“, konnte ich mir diese Bemerkung nicht verkneifen. „Und wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich jetzt gerne etwas zu essen bestellen. Es sieht wohl ganz danach aus, als wenn ich noch etwas länger hierbleiben muss“, sagte ich mit einem kurzen Blick auf die nasse Schwarzstraße, auf der sich schon einige Pfützen gebildet hatten.

„Sehr wohl, der Herr“, antwortete der Kellner und zog sich diskret zurück. Während ich mir einen Blick über die Speisekarte und die reichhaltige Kuchenauswahl verschaffte, fragte ich mich mehr als nur einmal, welcher Teufel mich eigentlich geritten hatte, dass ich Johann Gruber versprochen hatte, ihn gegen 18:00 Uhr in seinem Antiquariat noch einmal aufzusuchen. Aber irgendwie hatte er meine journalistische Neugier geweckt, dass er mir vielleicht doch noch etwas Interessantes zu berichten hatte. Etwas, das einen guten Zeitungsartikel wert war, mit dem ich mich beim Verleger wieder ins rechte Licht rücken konnte.

Hätte ich gewusst, dass ich dadurch vom Regen in die sprichwörtliche Traufe geraten würde, dann hätte ich nicht nur Grubers Einladung abgelehnt, sondern hätte mich sogar darum bemüht, so schnell wie möglich die traditionsreiche Mozartstadt wieder zu verlassen und alle Brücken hinter mir abzubrechen. So aber geriet ich in etwas hinein, dessen Ausmaße ich nicht erahnen konnte.

Gegenwart

2. November 1957

Ich bin ein verdammter Narr gewesen, nachdem ich mir noch einmal vor Augen gehalten habe, wie alles begonnen hat. Und jetzt muss ich sehr auf der Hut sein. So langsam kann ich diesen gehetzten Blick des Antiquars verstehen, der hinter jeder Straßenecke eine Gefahr lauern sieht. Und wahrscheinlich hat er auch recht gehabt damit, denn ich habe ein ganz ähnliches Gefühl. Es stellte sich nicht von heute auf morgen ein, sondern kam ganz langsam. Menschen begegnen einem, von denen man irgendwann glaubt, dass man sie schon mehrmals an derselben Stelle gesehen hat – und vor allem häufiger, als es normalerweise der Fall ist.

Jetzt weiß ich, dass ich mich nicht getäuscht habe, sondern dass man wirklich auf der Suche nach mir ist. Fast hätten sie mich entdeckt, als ich gestern kurz nach Einbruch der Dämmerung noch die Pension verließ, um mir wenigstens für eine halbe Stunde die Beine zu vertreten. Dabei hätten sie mich fast entdeckt. Ich vergesse das Gesicht des bärtigen Mannes nicht, der direkt unter einer Straßenlaterne stand und von dort aus Passanten beobachtete. Zum Glück hatte er nicht gesehen, wie ich die Pension verlassen hatte, denn es gab einen zweiten Ausgang, der über einen Hinterhof führte. Nur das rettete mich davor, entdeckt zu werden.

Ich habe abgewartet, bis der Mann wieder verschwunden war, und wagte mich dann erst in die Pension zurück. Ob er oder einer seiner Gehilfen irgendwann wiederkommen wird? Suchen sie womöglich jeden einzelnen Bezirk nach mir ab und hoffen darauf, dass ihnen der Zufall den entscheidenden Hinweis gibt? Ich hätte viel dafür gegeben, wenn ich darauf eine Antwort gewusst hätte.

So ist und bleibt es ein Spiel mit der Zeit, und ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt, diese Aufzeichnungen noch weiterzuführen. Damit derjenige, der das liest, überhaupt die Ausmaße dieses Entsetzens begreifen kann. Falls es nicht schon zu spät dazu ist ...

Kapitel 2

Vergangenheit

1. Oktober 1957

Salzburg, Judengasse

Gegen 17:45 Uhr

Zum Glück hatte es mittlerweile aufgehört zu regnen, sodass ich das Café Bazar trockenen Fußes verlassen konnte. Dort noch länger zu verweilen und die Zeit totzuschlagen, in der Hoffnung, irgendwie ins Gespräch mit einem der anderen Gäste zu kommen, brachte nichts mehr. Ich beschloss, noch ein Stück an der Salzach entlangzugehen und mir Gedanken darüber zu machen, was das denn eigentlich so Dringendes war, was Johann ­Gruber unbedingt mit mir besprechen wollte.

Die Sonne senkte sich allmählich gen Westen, und die Festung Hohensalzburg wurde in diesem Moment in ein eigenartiges Licht getaucht. Eigentlich nichts Außer­gewöhnliches, aber merkwürdigerweise empfand ich dies jetzt irgendwie bedrückend. Ohne dass ich hätte erklären können, warum das so war. Aber dann ignorierte ich diesen Gedanken und schob das meiner Stimmung zu, denn um die war es nicht gerade gut bestellt. Schließlich würde ich nach der Woche Urlaub wieder mit der Wirklichkeit konfrontiert werden und mich auf Dinge einstellen müssen, die mir höchstwahrscheinlich nicht gefallen würden.

Über die Staatsbrücke setzte ich meinen Weg in die Altstadt fort und erreichte gut zehn Minuten später die Judengasse. Sie war schon seit vielen Jahren eine wichtige Straße, weil es vor dem Krieg ein Zentrum für die in Salzburg lebenden Juden gewesen war, die dort ihren vielseitigen Geschäften nachgegangen waren. Aber ­Hitlers dunkle Ära hatte nicht nur Salzburg und Österreich ins Chaos gestürzt, sondern ganz Europa. Der Krieg hatte auch jetzt noch – zwölf Jahre später – einige Spuren hinterlassen. Aber Salzburg wäre nicht Salzburg gewesen, wenn die Bewohner nicht das Beste daraus gemacht und nach dem Krieg wieder mit dem Aufbau begonnen hätten. Schließlich durfte eine solch berühmte Stadt nicht auf der Stelle treten, und deshalb erstrahlte an vielen Stellen wieder die Stadt im alten Glanz.

In diesem Jahr hatte Österreich mit der Bundesrepublik Deutschland einen Vertrag über ein vereinfachtes Grenzabkommen geschlossen, und dies würde der Entwicklung der ganzen Region zu beiden Seiten der Grenze einen positiven Schub geben. Berchtesgaden befand sich nur wenige Kilometer entfernt auf der deutschen Seite. Dort befand sich auch der Obersalzberg, auf dem Hitler seine Bergresidenz errichtet hatte. Diese war nach dem Einmarsch der Alliierten gesprengt worden, aber die Erinnerungen an diese Zeit lasteten noch heute über der Stadt und ihren Bewohnern, und nicht nur auf der anderen Seite der Grenze.

Ein Gutes hatte die ganze Sache dann doch, und das war der erleichterte Grenzverkehr zwischen Salzburg und Berchtesgaden. Wo sich noch bis vor kurzem Warteschlangen am Übergang Walserberg gebildet hatten, lief jetzt so manches zügiger. Eine Einreise nach Bayern und der Besuch von Berchtesgaden und der Region war somit etwas Alltägliches geworden.