Mit kalter Präzision - Prof. Dr. Michael Tsokos - E-Book
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Mit kalter Präzision E-Book

Prof. Dr. Michael Tsokos

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Beschreibung

Mutig, clever & hautnah an der Realität: Im ersten Teil von Michael Tsokos' neuer True-Crime-Thriller-Reihe »Mit kalter Präzision« ermittelt erstmals Dr. Sabine Yao aus Berlin. »Mit kalter Präzision« ist der Start der neuen rechtsmedizinischen Reihe von Michael Tsokos. Hauptfigur ist Dr. Sabine Yao, die wir bereits als Rechtsmedizinerin im Sektionssaal an der Seite von Dr. Fred Abel aus der berühmten Fred Abel-Thriller-Reihe von Michael Tsokos kennen.  Als neue stellvertretende Chefin der Abteilung Rechtsmedizin bei der BKA-Einheit »Extremdelikte« in Berlin steht sie nun vor ihrem ersten eigenen Fall: Die Ehefrau des renommierten Schönheitschirurgen Roderich Kracht wurde in ihrer Villa in einem exklusiven Berliner Wohnort stranguliert. Da Roderich Kracht ein einflussreicher Mann ist, mit vielen prominenten Freunden, die für sich, ihre Frauen oder Geliebten seine Dienste diskret in Anspruch genommen haben, zieht der Fall schnell Kreise in die Höhen von Politik und Justiz. Den ermittelnden Behörden darf kein Fehler unterlaufen, erste Ergebnisse werden von höchster Instanz erwartet. Unter Hochdruck arbeiten die Ermittler und Rechtsmediziner am Tatort. Zusammen mit ihrem Kollegen Jörgensen aus dem Landesinstitut untersucht die deutsch-chinesische Rechtsmedizinerin die tote Ehefrau. Tötungsart und Todeszeitpunkt sind schnell bestimmt. Und damit scheidet Roderich Kracht sofort als Täter aus, er hat für die Todeszeit seiner Frau ein wasserdichtes Alibi. Ein Serienkiller mit rechtsmedizinischer Expertise versetzt Berlin in Angst und Schrecken ... Aber es tauchen Unstimmigkeiten auf, denn das Stadium der Totenstarre des Opfers sorgt für große Irritationen und lässt alle Experten am festgelegten Todeszeitpunkt zweifeln. Ein rechtsmedizinisches Novum: Totenstarre und die errechnete Todeszeit stimmen partout nicht überein. Als in einem weiteren Fall, der möglicherweise mit dem Mord in Zusammenhang steht, ebenfalls Unstimmigkeiten auftreten, erkennt Sabine Yao, dass sie von nun an mit größter Vorsicht vorgehen muss. Offensichtlich ist ein Serienkiller mit rechtsmedizinischer Expertise am Werk, der Yao immer einen Schritt voraus ist. Mit der Unterstützung ihres Chefs und Mentors Prof. Paul Herzfeld und der IT-Spezialistin Sara Wittstock gelingt es Yao schließlich, dem Täter und seinen perfiden Taten immer weiter auf die Spur zu kommen. Doch der Mörder schreckt vor nichts zurück und lockt die Rechtsmedizinerin in eine tödliche Falle ... Raffiniert, präzise & weiblich: Wie auch Michael Tsokosʼ Thriller-Reihen um die Rechtsmediziner Paul Herzfeld und Fred Abel beruht der True-Crime-Thriller »Mit kalter Präzision« auf einem echten Fall. Der True-Crime-Thriller mit dem ersten Fall für die Rechtsmedizinerin Sabine Yao punktet mit Hochspannung und Gänsehaut-Garantie durch authentische Einblicke in die Forensik. »Michael Tsokos ist True Crime auf einem neuen Level!« denglers-buchkritik online über den Fred-Abel-Thriller »Zerteilt«

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Prof. Dr. Michael Tsokos

Mit kalter Präzision

Ein Rechtsmedizin-Thriller

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Der Auftakt der neuen Rechtsmedizin-Thriller-Reihe um Dr. Sabine Yao

Rechtsmedizinerin Dr. Sabine Yao wird zum Tatort eines Mordes gerufen: Die Frau des renommierten Berliner Schönheitschirurgen Roderich Kracht wurde in ihrer Villa stranguliert. Einbruchsspuren gibt es keine, und Kracht hat für den festgestellten Todeszeitpunkt ein wasserdichtes Alibi. Bei der Obduktion taucht allerdings eine unerklärliche Diskrepanz auf: Das Stadium der Totenstarre und der errechnete Todeszeitpunkt stimmen partout nicht überein. Ein rechtsmedizinisches Novum!

Als in einem weiteren Fall, der womöglich mit dem Mord an der Frau des Schönheitschirurgen in Zusammenhang steht, ebenfalls Unstimmigkeiten auftauchen, erkennt Sabine Yao, dass sie mit größter Vorsicht vorgehen muss. Ein Serienkiller mit rechtsmedizinischer Expertise scheint am Werk zu sein - kalt, präzise und ohne jeden Skrupel. Und er ist ihr immer einen Schritt voraus ...

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

83. Kapitel

84. Kapitel

85. Kapitel

86. Kapitel

Danksagung

Leseprobe »Mit kaltem Kalkül«

Die Handlung in diesem Rechtsmedizin-Thriller ist eine fiktionalisierte Erzählung echter Kriminalfälle und ihrer rechtsmedizinischen Untersuchungen.

Alle Figuren, Orte und Daten wurden zur Anonymisierung und zum Schutz der Personen, die in irgendeiner Form in die hier geschilderten Tötungsdelikte involviert waren, verändert.

Die erzählten Begebenheiten und Tötungsdelikte haben tatsächlich so stattgefunden.

Im Gedenken an meine Mutter

(1939–2023)

Prolog

Mit einem unterdrückten Stöhnen schob er das schwere metallene Bettgestell zur Wand neben der Zimmertür. Ganz langsam, darauf bedacht, keine verdächtigen Schleif- oder Schabgeräusche auf dem Schlafzimmerboden zu erzeugen, die vielleicht von darunter wohnenden Personen gehört würden.

Noch ein kleines Stück …

Er spürte, wie ein dünnes Rinnsal zwischen seinen Schulterblättern herunterlief und sich erste Schweißtropfen auf seiner Stirn unter der Kapuze des Polypropylen-Einwegoveralls bildeten. Ein Modell, wie es in jeder Malerabteilung eines Baumarkts erhältlich war. Mit einem weiteren gepressten Stöhnen hob er das schwere Bettgestell am Kopfende an und zog es an die Schlafzimmerwand heran.

Vorsichtig!

Der weiche Teppich dämpfte zu seiner Erleichterung das Geräusch ab, das die schweren Füße des Bettgestells auf dem Fußboden verursachten.

Geschafft!

Mit einem prüfenden Blick kontrollierte er den Abstand zwischen dem etwa neunzig Zentimeter hohen oberen Gestänge des Betts und der sich jetzt in unmittelbarer Nähe dazu befindlichen Türklinke der massiven Kassettentür in etwa ein Meter Höhe.

Er hob den verschmutzten, vom Sonnenlicht ausgeblichenen orangefarbenen Spanngurt vom Boden neben dem Bett auf. Den etwa vier Meter langen und einen Zentimeter breiten Gurt hatte er auf einem ehemaligen Fabrikgelände entdeckt, nun befestigte er ihn mit mehreren übereinandergesetzten Knoten an der obersten, längs verlaufenden Stange des kupferfarbenen Bettgestells.

Keine Knoten, die ich sonst verwende …, dachte er verächtlich. Er schlang den Spanngurt mehrmals locker um den am Türblatt endenden Teil der Klinke und drückte die sich nach außen hin öffnende Tür zu einem knapp dreißig Zentimeter breiten Spalt auf. Mit dem losen Ende des Gurts in der Hand zwängte er sich, auf dem Fußboden hockend, seitlich durch den Türspalt.

In dem weitläufigen Flur des über zweihundertfünfzig Quadratmeter großen Penthouse richtete sich der Mann nun zu seiner vollen Größe auf. Er schloss die Tür hinter sich bis auf einen handbreiten Spalt, durch den er gerade noch die Hand hindurchstrecken und die Türklinke an der Innenseite ertasten und sich somit vergewissern konnte, dass sein Plan funktionieren würde.

Mit einem zufriedenen Grinsen, das allerdings auch ein heimlicher Beobachter der bizarren Szenerie nicht hätte bemerken können, da er nicht nur den Plastikoverall, sondern auch Plastikhandschuhe, Einmalüberschuhe aus Kunststoff, an deren Sohlen er dicke Filzplatten geklebt hatte, und eine FFP2-Maske trug, ging er wieder ins Schlafzimmer zurück.

Jetzt ging alles ganz schnell. Er drehte den Leichnam der Frau, die er vor nicht einmal fünfzehn Minuten hier in ihrem Schlafzimmer getötet hatte, in Bauchlage und fasste die Tote von hinten unter den Achseln.

Das ist alles deine Schuld, du hättest dich in Zurückhaltung üben und ein klein bisschen bescheidener sein müssen, dann wäre es nicht so weit gekommen!

Er hob den Körper an, der noch keine Totenstarre aufwies, hievte ihn auf die zerwühlte Bettdecke, auf der zahlreiche cremefarbene Seidenkissen lagen. Ein Triumph seiner Größe, Unantastbarkeit und Gerissenheit übermannte ihn, als er feststellte, dass sein Plan aufgehen würde, dass er schon im Vorfeld an alles gedacht, jeden seiner Handlungsschritte akribisch geplant und alle Eventualitäten berücksichtigt hatte. The chase is better than the catch, der alte Motörhead-Song hatte recht. Er wusste in diesem Moment nur zu gut, wie wahr das war …

Auf dem Bett, neben der mit einem Jumpsuit aus feinem Jersey bekleideten Toten kniend, löste er nun zunächst das mehrfach locker um den Ansatz der Türklinke am Türblatt geschlungene Ende des Spanngurts. Dann zog er den rücklings auf dem Bett liegenden Leichnam noch ein Stück weiter in Richtung Kopfende, sodass der Kopf mit dem blondierten, akkurat geschnittenen Bob jetzt fast die Metallstäbe am Bettende berührte.

Sein Blick fiel dabei auf ihre leeren, toten Augen. Sie schienen so etwas wie eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen auszudrücken über das, was der Mann, den sie doch so gut zu kennen geglaubt hatte, da gerade mit ihr tat.

Du unersättliches Miststück …

Wut stieg in ihm auf. Dieselbe Wut, die er in den letzten Wochen verspürt hatte, als sie ihre verdammten Spielchen mit ihm getrieben hatte.

Erpresst hast du mich! Konntest den Hals nicht vollbekommen. Und das, obwohl du alles, was du hast, und alles, was du bist, allein mir zu verdanken hast.

Und als er jetzt wieder in ihre toten Augen sah, schienen sie nichts mehr auszudrücken, er sah nur Leere in ihrem Blick. Mit der behandschuhten Rechten wischte er von der Stirn der Toten in Richtung Nasenrücken über beide Augenoberlider, die herunterklappten und die toten Augen schlossen.

Mit beiden Händen griff er nun hinter die Schultern der Toten und zog Oberkörper und Kopf zu sich heran. Beinahe sah es so aus, als würde sich die Tote im Bett noch einmal aus eigener Kraft aufrichten, und fast hätten sich ihre und seine Nasenspitzen bei diesem Manöver kurz berührt. Er war froh, dass er einen Mund-Nasen-Schutz trug. Nicht, weil er bei dieser Berührung womöglich ein Gefühl von Ekel, Reue oder überhaupt irgendeine Emotion verspürt hätte, sondern weil jegliche Übertragung von DNA-Spuren von ihm auf ihren Körper seinen Plan womöglich zunichtegemacht hätte. Auch befürchtete er für einen Moment, dass Schweißtropfen auf die Tote vor ihm oder auf das Bett heruntertropfen würden, aber dies verhinderte seine Overall-Kapuze.

Auf keinen Fall darf ich eine biologische Spur an oder auf ihrem Körper hinterlassen. Denn ich bin ja noch nie hier gewesen …

Er schlang das lose Ende des Spanngurts, das von den Verknotungen am Bettgestell abging, nun zweimal eng um den Hals der Toten. Und zwar exakt so, dass die dort an der Vorderseite des Halses annähernd horizontal verlaufende, immer noch rötliche Drosselmarke von dem Spanngurt verdeckt wurde. Die Drosselmarke würde durch ihre zunehmende oberflächliche Vertrocknung innerhalb der nächsten Stunden eine schmutzig bräunliche Farbe annehmen.

Er ließ den Leichnam los, und der schlaffe Körper glitt für den Bruchteil einer Sekunde von ihm weg, bis der Teil des Spanngurts zwischen der oberen Längsstrebe des Metallgestells und ihrem Hals straff gespannt war und unter Zug stand.

Durch seine Inszenierung der Auffindesituation der Toten – auf dem Rücken liegend in ihrem Bett, den Oberkörper leicht schräg nach oben gerichtet und das Strangwerkzeug, den Spanngurt, eng um den Hals liegend, hatte er die ursprüngliche Drosselmarke in eine Strangmarke verwandelt. Sie würde von jedem auch noch so erfahrenen Leichenschauer und polizeilichen Todesermittler als solche akzeptiert werden.

Vor allen Dingen, weil sie ja allein im Raum gewesen sein muss, als sie sich das Leben nahm …

Er erhob sich vom Bett und betrachtete zufrieden sein Werk.

Der Rest ist ein Kinderspiel.

Er hob die leere dunkelbraune Papiertüte vom Boden auf, in der er seine Utensilien – Overall, Mundschutz, Füßlinge, Plastikhandschuhe und Spanngurt – in das Charlottenburger Penthouse im noblen Ortsteil Westend transportiert hatte. Er würde keinerlei Spuren hinterlassen …

Dann trat er seitlich an die mit weißem Klavierlack lackierte Heizgitterverkleidung unter der breiten Panoramafensterfront des Schlafzimmers heran. Verdeckt von den schweren, bodentiefen, cremefarbenen Seidenvorhängen warf er einen Blick hinaus. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit äußerst gering war, von einem der weit entfernt gegenüberliegenden Wohnhäuser aus gesehen zu werden, bewegte er sich langsam, immer darauf bedacht, nicht die seitliche Deckung der Vorhänge zu verlassen.

Dann drehte er den Heizkörper auf die höchste Stufe.

Die Leichenfäulnis wird ihr Übriges tun …, ging es ihm durch den Kopf, als er sich erneut der Toten zuwandte und das nach Anlegen des Stranges um den Hals der Toten noch etwa zweieinhalb Meter lange freie Ende des Spanngurts ergriff und, wie nur wenige Minuten zuvor, erneut mehrfach um die Türklinke wickelte, sodass sich die nach außen hin öffnende Schlafzimmertür nur noch einen knapp dreißig Zentimeter breiten Spalt weit öffnen ließ. Erneut zwängte er sich in gebückter Haltung durch den Türspalt in den Flur, blieb diesmal aber vor der Schlafzimmertür hocken, die er auch jetzt wieder bis auf einen nur noch handbreiten Spalt schloss. Dann schob er beide Hände zurück in das Innere des Schlafzimmers. Diesmal fixierte er die Umwicklungen der Türklinke mit einem Doppelknoten.

Er erhob sich und überprüfte ein letztes Mal sein Werk: Die Schlafzimmertür ließ sich jetzt nur noch wenige Zentimeter weit öffnen, ehe der Spanngurt zwischen Türklinke und der zweitourig um den Hals der Toten gelegten Schlinge Zug aufnahm und eine weitere Öffnung der nach außen in den Flur öffnenden Tür verhinderte.

Als sich die Frau erhängt hatte, konnte keine weitere Person mit ihr im Zimmer gewesen sein, las er schon in Gedanken in der Ermittlungsakte, die sich demnächst mit dem Suizid von Daria Diakovska beschäftigen würde.

Er drückte auf den Knopf des zu dieser Wohneinheit gehörenden Aufzugs, der ihn direkt in die Tiefgarage des Gebäudes bringen würde. Von dort würde er sich durch den nicht kamera- oder sonst wie überwachten Notausgang in den großen umliegenden Park davonstehlen, wo ihm Büsche und Bäume reichlich Deckung boten und sich seine Spur für immer verlieren würde.

1

Sonntag, 8. April, 16:44 Uhr,

Berlin-Steglitz,

Psychiatrische Fachklinik Sana Mente

Es schnürte Sabine Yao auch heute das Herz zusammen, ihre Schwester Mailin so zu sehen: die gräuliche, ungesunde Gesichtsfarbe, ihr von den Psychopharmaka aufgedunsenes Gesicht, das ihren Kopf unverhältnismäßig groß in Relation zu ihrem ausgemergelten Körper erscheinen ließ, und die im Nacken von einem Haarband nur unzureichend zusammengehaltenen und wirr vom Kopf herabhängenden schwarzen Haare. Auch wenn sich Mailins psychischer Zustand in den letzten Wochen deutlich verbessert hatte, war ihr körperliches Erscheinungsbild nach wie vor bemitleidenswert.

Ihre sechs Jahre jüngere Schwester hatte schon als kleines Mädchen eine gewisse Instabilität, etwas Zorniges, in sich getragen. Als Jugendliche hatte sie die Schule vernachlässigt, sich immer wieder geritzt und dann als junge Erwachsene schließlich versucht, ihre eigene Zerrissenheit im Alkohol zu ertränken. Erst mit der Gründung einer eigenen Familie hatte sich ihr Verhalten geändert, und es war ihr viel besser gegangen. Doch seit über einem Jahr war alles anders und sie nicht mehr dieselbe.

Mailins tragisches Schicksal hatte vor fast fünfzehn Monaten am Flughafen BER seinen Lauf genommen, als ihr Mann Thanh Zhou während seiner Frühschicht im Cargo-Bereich des Flughafens BER unter einem tonnenschweren Container begraben und getötet worden war. Von einem Tag auf den anderen war Mailin mit ihren damals eineinhalb Jahre alten Zwillingstöchtern Sina und Siara auf sich allein gestellt gewesen. Und als ob sie an diesem Schicksalsschlag nicht schon schwer genug zu tragen gehabt hätte, wurde ihre Tochter Siara ein halbes Jahr später Opfer eines brutalen Gewaltdelikts, bei dem sie schwerste Kopfverletzungen und irreparable Hirnschäden davontrug. Anfangs stand Mailin sogar selbst unter polizeilichem Verdacht, ihrer Tochter das angetan zu haben. Daraufhin war sie völlig abgestürzt, auch wenn sich kurze Zeit später herausstellte, dass sie zu Unrecht verdächtigt worden war. Mailin hatte allerdings auch nach dem Beweis ihrer Unschuld weiterhin Unmengen an Alkohol konsumiert, die autoaggressiven Tendenzen aus ihrer Pubertät wieder aufgenommen und sich geritzt. Während der Untersuchung des Vorfalls um ihre Tochter war sie sogar auf eine Jugendamtsmitarbeiterin losgegangen und hatte sich zu allem Unglück auch noch ihrer darauffolgenden Ingewahrsamnahme durch Polizeibeamte widersetzt.

Und auch wenn Yao insgeheim hoffte, dass der exzessive Alkoholmissbrauch und die damit verbundenen impulsiven Ausfälle und Selbstverletzungen nun der Vergangenheit angehörten und das Leben ihrer Schwester und ihrer Kinder mit den entsprechenden therapeutischen Maßnahmen und Betreuung durch Mitarbeiter der Familienhilfe in nicht allzu ferner Zukunft wieder in geordnete Bahnen geraten würde, wusste sie als Medizinerin nur zu gut, dass ihre Schwester zeit ihres Lebens eine suchtgefährdete, labile Person bleiben würde, die durch persönliche oder familiäre Niederlagen jederzeit wieder aus der Bahn geworfen werden konnte.

Sabine Yao lehnte sich auf der Couch im Besucherzimmer zurück und suchte Augenkontakt mit Mailin, die schräg neben ihr in einem geräumigen Sessel saß. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte Yao ihrer Schwester zu.

Ich muss ihr Kraft geben. Zuversicht. Im Moment bin ich der einzige Mensch, den sie hat, die einzige Unterstützung.

»Ich habe mit Doktor Schweiger gesprochen. Er meint, die Dosisreduktion deiner Medikamente verträgst du gut, und wenn du in den nächsten vier Wochen weiter so erfreuliche Fortschritte machst, wird er die Medikamente weglassen können. Und er sagt auch, wenn du dich dann ein paar Wochen stabil zeigst, kannst du vielleicht schon Ende Mai oder Anfang Juni entlassen werden. Das hört sich doch ganz gut an, oder?«

Mailin nickte zur Erwiderung nur stumm und presste dabei die Lippen so fest aufeinander, dass sämtliche Farbe aus ihnen wich.

»Verdammt, Kleine. Das ist doch eine Perspektive. Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Aber du musst nach vorne schauen. Nicht zurück. Für Sina und Siara, und …«, fuhr Yao fort und überlegte kurz, ob sie sagen sollte, dass Thanh es definitiv auch so gewollt hätte, aber das Thema war immer noch so hochemotional für Mailin, dass sie sich dagegen entschied und stattdessen hinzufügte: »… und du hast mich. Wir müssen nach vorne schauen. Ich werde immer an deiner Seite sein.«

Du musst aufstehen, wieder laufen lernen, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber für dich ist es eigentlich viel mehr, als nur wieder laufen zu lernen. Du musst wieder leben lernen. Dich zurechtfinden in einem Leben ohne den Vater deiner Kinder und mit der riesigen Bürde, zwei kleine Mädchen, eines davon mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen, großzuziehen.

»Und dann? Was mache ich dann, Bine?«, fragte Mailin mit brüchiger Stimme und sah Yao aus verquollenen Augen an.

Ihr viel zu großes hellgraues Sweatshirt hing an ihr herunter wie ein unförmiger Sack, und sie leckte sich immer wieder mit der Zunge über die blassen Lippen – eine Nebenwirkung der Psychopharmaka.

Auch wenn Mailin immer noch ein Bild des Jammers war, war Yao glücklich, dass ihre Schwester antwortete und dabei auch noch adäquat reagierte auf das, was sie zu ihr gesagt hatte. Die Verzweiflung über ihre jetzige Situation schwang jedoch in jedem ihrer wenigen Worte mit. Noch zu Anfang des Jahres war mit Mailin keinerlei Kommunikation möglich gewesen, weder auf verbaler noch auf nonverbaler Ebene, an ein Gespräch gar nicht zu denken. Bis vor etwa drei Monaten hatte sie ihr Krankenzimmer nicht selbstständig verlassen, war auf Unterstützung bei der Körperpflege und Nahrungsaufnahme angewiesen gewesen und hatte immer nur apathisch dagesessen. Yao hatte sie dennoch regelmäßig zweimal die Woche besucht. Mit ihrer eingefrorenen Mimik, die keinerlei Rückschlüsse auf ihr Gefühlsleben zuließ, und mit ihrer totalen motorischen Antriebslosigkeit hatte sie dem Erscheinungsbild einer völlig entkräfteten, vor sich hin siechenden Greisin geglichen.

»Dann kommt der nächste Schritt«, beantwortete Yao die Frage ihrer jüngeren Schwester. »Rehabilitation. Du gehst ganztägig in eine ambulante Behandlung in einer – wie Doktor Schweiger es nannte – wohnortnahen Einrichtung. Es gibt in Marzahn wohl mehrere solcher ambulanten Therapieeinrichtungen. Doktor Schweiger will mir zwei oder drei nennen, die er uns empfehlen würde. Die werde ich mir ansehen und dir davon berichten. Dann entscheidest du, in welche du gehen möchtest. Es sei denn, du willst nicht zurück nach Marzahn in deine Wohnung, was ich durchaus verstehen könnte. Dann werde ich dir eine neue Wohnung suchen, und es würde auf ein ambulantes Therapiezentrum dort in der Nähe hinauslaufen. Wichtig ist nur, dass sich die ambulante Therapie nahtlos an deinen Klinikaufenthalt hier anschließt. Das ist entscheidend, damit es weiter bergauf mit dir geht. Aber wo du zukünftig mit deinen Töchtern wohnen möchtest, das entscheidest du.«

»Ich weiß es nicht, Bine. Ich weiß wirklich nicht, was ich möchte. Was ich weiß, ist, dass ich für Sina und Siara da sein möchte und dass ich es ohne deine Hilfe nicht schaffe …«

Als Yao die psychiatrische Fachklinik verließ, die neben der Behandlung psychischer Erkrankungen auch auf Entzugsbehandlungen bei Suchterkrankungen spezialisiert war, hatte die Abenddämmerung bereits eingesetzt. Der kaum bewölkte Himmel über Berlin erstrahlte in einer spektakulären Farbmischung aus intensivem Pink und hellem Lila, ein Phänomen, das auf Staub aus der Sahara zurückzuführen war. Dieses Farbspektakel war von den Meteorologen auch für die nächsten Tage angekündigt worden.

Als die Rechtsmedizinerin über den an diesem Sonntagabend fast leeren Klinikparkplatz zu ihrem Mini Cooper ging, spürte sie endlich wieder Hoffnung in sich aufsteigen. Anders als bei ihren zahllosen vorherigen Besuchen schien sich etwas getan zu haben. Zum ersten Mal empfand sie kein Gefühl von Hilflosigkeit oder Leere mehr.

Es geht aufwärts mit Mailins psychischer Gesundheit, dachte die Rechtsmedizinerin, als sie zu dem funktionalen quaderförmigen Bau mit der dunkelgrauen Klinkerfassade zurückschaute. Und da sah sie eine kleine Gestalt in einem grauen Oberteil an einem Fenster des Flurs im zweiten Stock, in der auch das Besucherzimmer lag. Dieses Mal winkte Mailin ihr zum Abschied.

2

Montag, 9. April, 14:37 Uhr,

Berlin,

Treptowers, BKA-Einheit »Extremdelikte«

Sektionssaal

Professor Paul Herzfeld, Chef der rechtsmedizinischen Abteilung »Extremdelikte« des Bundeskriminalamts, warf einen Blick durch das große runde Sichtfenster der Sektionssaaltür, das an das Bullauge eines Schiffs erinnerte. Auf dem äußeren rechten der drei Sektionstische, die er von hier einsehen konnte, nahm Assistenzarzt Doktor Tomas Tomski, der erst vor einem knappen Jahr in Herzfelds Team gekommen war, unter den kritischen Blicken des erfahrenen Doktor Alfons Murau zusammen mit Sektionsassistent Hermann Vogel die Obduktion der sterblichen Überreste einer Frau vor. Der Begriff Überreste war hier zutreffend, denn viel hatten die Wildtiere, die sich offensichtlich mehrere Wochen über den Körper hergemacht hatten, nicht übrig gelassen. Den feinen Rillen und Knochenabsplitterungen an den nur noch von wenig vertrockneten, jetzt lederartig verhärteten Weichgewebsresten bedeckten langen Röhrenknochen und den Bissspuren am Schädel nach musste es sich um Füchse und Wildschweine gehandelt haben. Aufgrund einiger Verdachtsmomente, die darauf hindeuteten, dass es sich bei der Toten um die seit knapp sechs Wochen vermisste Frau eines Berliner Bezirksabgeordneten handelte, waren die rechtsmedizinischen Experten der »Extremdelikte« ins Spiel gekommen. Trotz Todesdrohungen gegen ihn und seine Familienangehörigen hatte sich der Bezirksabgeordnete nicht von seinem harten Kurs gegen die organisierte Kriminalität in seinem Bezirk abbringen lassen. Nach Bekanntwerden des Leichenfunds und der möglichen Identität der Toten hatte sich der Berliner Generalstaatsanwalt persönlich der Sache angenommen und in einer eilig anberaumten Pressekonferenz – natürlich öffentlichkeitswirksam – unmissverständlich verlautbaren lassen, dass seine Behörde den Fall schnellstmöglich aufklären und etwaige Tatbeteiligte unter vollständiger Ausschöpfung aller Mittel des Rechtsstaats zur Verantwortung ziehen werde. Somit war dieser Todesfall von den Berliner Ermittlungsbehörden auch als High Profile Case eingestuft worden und bei Herzfeld auf dem Schreibtisch gelandet.

Herzfeld hatte in der heutigen Frühbesprechung dem im Hinblick auf das Alter wie auch die Berufserfahrung jüngsten Mitglied der rechtsmedizinischen Abteilung diesen Fall zugewiesen. Allerdings nicht, ohne dem Youngster Tomski den rechtsmedizinischen Routinier Murau zur Seite zu stellen. Getreu seinen zwei Leitsprüchen Mit seinen Aufgaben wächst man und Trau ihnen was zu war er in seiner verantwortungsvollen Position als Chef der »Extremdelikte« bisher nicht nur immer bestens gefahren, sondern bei seinen Mitarbeitern auch gut gelitten.

Doch natürlich ließ es sich Herzfeld von Zeit zu Zeit nicht nehmen, das, was er an seinem Job am meisten liebte, nämlich die Untersuchung von Opfern von Kapitaldelikten am Tatort und im Sektionssaal, dem vorzuziehen, was er in seinem Job am meisten hasste: nämlich stundenlange Videokonferenzen mit Controllern, die jeden Cent des ihm jährlich für seine Abteilung zur Verfügung gestellten Budgets regelmäßig hinterfragten, oder langweilige Empfänge von Berliner Politikern, ihrer Entourage und den üblichen Lobbyisten, bei denen sich stets dieselben Gestalten am Büfett drängelten, um sich zu späterer Stunde bei Schaumwein und Häppchen gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und dabei Ämter zu vergeben, Begünstigungen zu verschaffen oder Aufträge zuzuschanzen. Herzfeld hegte eine tiefe Aversion gegen jegliche Vetternwirtschaft, für ihn zählte einzig und allein das Leistungsprinzip.

Der mittlere Sektionstisch war bereits verwaist. Nur die letzten im kalten Neonlicht der Deckenlampen wie kleine Perlen glänzenden Wassertropfen auf dem blanken Stahl des Sektionstischs legten Zeugnis darüber ab, dass hier vor wenigen Minuten ein toter Mensch nach den Regeln der rechtsmedizinischen Kunst und den Vorgaben der Strafprozessordnung, die eine Öffnung aller drei Körperhöhlen – Kopf-, Brust- und Bauchhöhle – gesetzlich vorschrieb, untersucht worden war.

Herzfeld ließ den Blick nach links wandern. Dort arbeitete sich seine Stellvertreterin Doktor Sabine Yao gerade mit präzisen und routinierten Handgriffen durch die verschiedenen Organe und Organpakete des Toten auf dem Sektionstisch vor ihr. Nach der Exenteration, der Entnahme aller Organe aus dem Körper, lagen diese jetzt vor ihr auf dem sogenannten Organtisch, der über dem Wasserbecken am Fußende des Sektionstischs angebracht war. Gerade griff die Rechtsmedizinerin nach dem Herz des Toten.

Aber der Chef der rechtsmedizinischen Abteilung des BKA war nicht in den Sektionstrakt gekommen, um seinen Mitarbeitern bei der Arbeit zuzuschauen oder gar, um ihre Arbeit im Sektionssaal zu überprüfen. Er wusste, dass sein zwar kleines, dafür aber sehr leistungsstarkes Team forensischer Pathologen – alle von ihm persönlich ausgewählt und eingestellt – seine Arbeit im Sektionssaal nach dem ebenfalls von der Strafprozessordnung bei gerichtlichen Obduktionen vorgegebenen Vieraugenprinzip zuverlässig und tadellos erledigte.

Nein, Herzfeld war hier, weil er Sabine Yao an den Tatort eines Tötungsdelikts schicken wollte, das sich erst vor wenigen Stunden in Nikolassee ereignet hatte. Einem Ortsteil von Berlin Steglitz-Zehlendorf, in dem die besser betuchten Berliner in denkmalgeschützten Villen oder extravaganten Architektenhäusern entlang der dortigen Alleen hinter hohen, blickdichten Hecken residierten. Üblicherweise nahmen seine Mitarbeiter nicht an der Rufbereitschaft der insgesamt acht Mordkommissionen des Berliner LKA teil, die für die versuchten und vollendeten Tötungsdelikte in der Hauptstadt zuständig waren. Doch nachdem Herzfeld den Namen der Toten gehört und sich daraufhin kurz vergewissert hatte, dass es sich bei der Verstorbenen um dieselbige handelte, war ihm sofort klar gewesen, dass es sich bei dieser Todesermittlung um eine höchst delikate Angelegenheit handeln würde. Und er wollte den rechtsmedizinischen Anteil an dieser Todesermittlung von Anfang an in den richtigen Händen wissen.

Herzfeld hatte schon den Zeigefinger an dem automatischen Türöffner neben ihm, als er innehielt und noch einmal einen Blick auf Sabine Yao warf.

Jeden der routinierten Handgriffe der siebenunddreißigjährigen Fachärztin für Rechtsmedizin mit den pechschwarzen Haaren und den feinen, blassen Gesichtszügen verfolgte er mit regem Interesse. Er hatte Yaos Ausnahmetalent für die Rechtsmedizin nicht erst vor neun Jahren erkannt, als er sie aus der Kieler Rechtsmedizin abgeworben und zu seiner rechtsmedizinischen Spezialeinheit nach Berlin geholt hatte. Nein, das war schon viel früher gewesen, schätzungsweise vor sechzehn oder siebzehn Jahren, als er selbst noch als Professor für Rechtsmedizin in Kiel tätig gewesen war. Damals hatte er die junge Deutschchinesin im Rahmen einer ihrer ersten Famulaturen am Kieler Institut für Rechtsmedizin kennengelernt.

Ihr fein geschnittenes Gesicht erinnerte ihn auch jetzt wieder an eine Porzellanmaske, während sie mit der Koronarschere in der rechten Hand die Herzkranzschlagadern des Herzens, das sie in ihrer Linken hielt, mit Bedacht und konzentriertem und völlig ruhigem Gesichtsausdruck aufschnitt. Yao schien mit dem Resultat zufrieden, denn mit einem sanften, fast unmerklichen Nicken legte sie das Herz in die flache Organschale aus Edelstahl neben den Füßen des Toten auf dem Sektionstisch, in der die bereits zuvor von ihr präparierten und untersuchten Organe lagen.

Herzfeld riss sich von seinen Gedanken los und drückte auf den Türöffner, sodass die automatische Schiebetür zum Sektionssaal geräuschlos aufglitt. Er trat zunächst zu Doktor Tomski, Doktor Murau und Sektionsassistent Vogel an den Tisch, um sich kurz auf den aktuellen Stand bezüglich der Identifikation und möglicher Erkenntnisse der fast völlig skelettierten Toten bringen zu lassen.

Alle trugen die typische Sektionssaal-Arbeitskleidung: lange blaue Hose, blauer kurzärmeliger Schlupfkasack mit V-Ausschnitt, schwarze Gummistiefel und eine weiße Plastikschürze.

»Vü hot das depperte Viehzeug ned von ihr übrig glossn«, bemerkte Murau in seinem breiten Wiener Dialekt, der an Intensität nichts eingebüßt hatte, seit er vor sieben Jahren Wien verlassen hatte und nach Berlin umgesiedelt war. »Man soit im Grunewald die Jagdsaison des gonze Joar freigeben. Weg mit der depperten Schonzeit für des Viech. Die gschissenen Wüdschweine san bei meinem Schwager letztes Wochenende in den Goatn eingfoin. Ham afoch den Zaun kaputt gmocht und ois verwüstet. Und als ich vor zwa Wochn um den Teufelssee gradelt bin, da steht auf amoi so a depperte Sau mit ihren fünf Frischlingen vor mir am Weg. Schaut mi mit bleden Aug an. Bewegt si ka Stück. Glotzt nur weiter so bled. Ja denken S’, das Viech mocht ma Platz? Na, ned ums Vareckn. I bin jedenfalls vom Radl gstiegn …«

»Gibt es schon irgendwelche Erkenntnisse, ob es sich hierbei um die Frau handelt, von der die Ermittlungsbehörden ausgehen, dass sie es ist?«, unterbrach Herzfeld den früheren Wiener Gerichtsarzt in ruhigem Tonfall und machte dabei eine Kopfbewegung in Richtung der unzähligen Knochen auf dem Sektionstisch. Diese waren mittlerweile von den Obduzenten fast vollständig von den Weichgewebsresten befreit worden, und Doktor Tomas Tomski sortierte und positionierte sie gerade auf dem blanken Stahl des Sektionstischs so, dass das ursprüngliche Skelett der Toten nachgebildet wurde.

»Na des woa amoi a Frau. Des is kloa«, erwiderte Murau. Falls er über die Unterbrechung seines Vortrags durch seinen Chef verärgert war, war das von seinem runden, rosigen Gesicht nicht abzulesen.

Soweit Herzfeld das mitbekam, wurde Murau von allen Mitgliedern der rechtsmedizinischen Abteilung des BKA als versierter Rechtsmediziner geschätzt, war aber wegen seiner meist ausufernden Monologe, häufig untermalt von boshaften Anekdoten, und seines offensichtlich unendlichen Repertoires an düsterer Poesie nicht immer wohlgelitten. Besonders in den morgendlichen Frühbesprechungen war er deswegen gefürchtet.

»Im kloanen Becken hauma Reste ihrer Gebärmutter gfunden. Die woar anscheinend zu zäh und ungenießbar für die Wüdschweine und Reineke Fuchs. Is ja ka Wunder, weil sie jede Menge intramurale Myome in ihrem Uterus hot.«

Murau spielte damit auf eine immer wieder in der Rechtsmedizin gemachte Beobachtung an, die zwar bisher nicht Einzug in irgendein rechtsmedizinisches Lehrbuch für Studenten oder angehende Fachärzte gehalten hatte, die aber jeder rechtsmedizinische Routinier mit genügend Erfahrung bestätigen konnte. Nämlich dass von Tumoren durchsetztes Gewebe – und zwar nicht nur bösartige Krebswucherungen, sondern auch gutartige Knotenbildungen, wie sie sich in der Gebärmuttermuskulatur der weiblichen Überreste hier fanden – von Tieren, die an einem Leichnam fraßen, verschmäht wurde.

Im häuslichen Umfeld waren zumeist Hunde und Katzen für die postmortalen Artefakte an Leichen verantwortlich, getrieben von Hunger, wenn sie sich nur lange Zeit genug ohne Futter mit ihrem toten Frauchen oder Herrchen in einer Wohnung befanden. Im Freien galten neben Mäusen und Füchsen – in Abhängigkeit von den geografischen Gegebenheiten – Wildschweine, Dachse, Schnecken und Vögel als Verursacher der postmortalen Artefakte, mit denen es Tomski und Murau auch in diesem Fall an den regelrecht abgenagten und angefressenen langen Röhrenknochen und am Schädel zu tun hatten.

Auch nach fast dreißig Jahren in der Rechtsmedizin war es für Herzfeld immer noch eine verblüffende Erkenntnis, dass fast jedes Tier unter bestimmten Bedingungen Leichen als Nahrungsquelle heranzog – in der Forensik war dieses subsummierte Phänomen unter dem Begriff Postmortaler Tierfraß bekannt –, tumorbefallene Organe jedoch strikt mied und als Futterquelle ausließ. Herzfeld hatte schon oft überlegt, was die Ursache dafür sein könnte. Bei jauchig zerfallenen, möglicherweise eitrigen, mit Bakterien besiedelten Krebsgeschwülsten kann ich es ohne Probleme nachvollziehen, dass der Geruch, der ja schon für uns im Sektionssaal fast unerträglich ist, auf das viel sensiblere Geruchsorgan von Tieren verstörend und abschreckend wirkt und sie deshalb im wahrsten Sinne des Wortes nicht anbeißen. Aber warum bei gutartigen Tumoren, die vom Bindegewebe oder den glatten Muskelzellen ausgehen und eigentlich nie zerfallen und Bakterien auch keinen Nährboden bieten?

Herzfeld riss sich aus seinen Überlegungen los und fragte, an Tomski gewandt: »Haben wir mittlerweile den Zahnstatus der Vermissten vom LKA erhalten? Ich weiß, dass Frau Hübner gleich heute Morgen den zuständigen Beamten hinterhertelefoniert hat, weil der Zahnstatus bisher nicht Bestandteil der Akte ist.«

»Bisher noch nicht«, antwortete der zweiunddreißigjährige Assistenzarzt mit den widerspenstigen braunen Locken.

Herzfeld registrierte aus den Augenwinkeln, wie Sabine Yao begann, in ihr Diktiergerät zu sprechen. Offensichtlich hatte sie ihre Obduktion beendet. Mit den Worten »Herr Tomski, Ihren Bericht zu dem Fall hier und die Auswertung des CTs im Anschluss an die Obduktion bitte bei mir im Büro« machte Herzfeld auf dem Absatz kehrt und ging zu Sabine Yao, die ebenfalls in blaue Sektionssaalkleidung und Gummistiefel gekleidet war.

Herzfeld sah die Andeutung eines Lächelns über Yaos Gesicht huschen, als sie ihn erblickte, was sie aber nicht daran hinderte, weiter in das Diktiergerät zu sprechen, während sie ihn mit fragendem Blick ansah.

»Regelrechte Anlage von Herzvorhöfen und Kammern, das ovale Fenster geschlossen, keine Gerinnselbildungen in den Herzohren. Ziffer. Kein vermehrter Fettbewuchs der Herzoberfläche, die Herzüberzüge spiegelnd. Unauffälliger Aspekt der Herzinnenhaut aller Herzhöhlen. Ziffer. Die Taschen- und Segelklappen beider Herzen ohne Auffälligkeiten, regelrechte Schluss- und Öffnungsfunktion gegeben, soweit ex vivo überprüfbar … Moment, Chef …«

Als Obduzent musste man sofort nach einer Obduktion zuallererst die Befunde entweder schriftlich oder auf Band festhalten, sonst lief man Gefahr, wegen anderer Gedanken oder eines neuen Falls, den man unverzüglich übernehmen musste, etwas zu vergessen. Herzfeld signalisierte ihr mit einem Nicken, dass er warten könne, und Yao fuhr in der dem Diktieren eigenen schnellen und fast betonungslosen Sprechweise fort.

»Neue Zeile. Regelrechter Abgang der Herzkranzschlagadern bei Linksversorgungstyp. Alle drei Hauptäste beider Herzkranzschlagadern frei aufschneidbar, nirgendwo degenerative Gefäßwandinnenschichtveränderungen, keine Gerinnselbildungen. Ziffer. Das Herzmuskelfleisch auf den Flachschnitten homogen bräunlich-rötlich, keine mit dem bloßen Auge erkennbare Veränderungen.«

Nach diesen Worten schaltete seine zierliche Stellvertreterin die Aufnahmefunktion des Diktiergeräts aus und sah Herzfeld erwartungsvoll an.

»Na, an seinem Herzen ist er jedenfalls nicht gestorben, soweit ich das raushören konnte«, kommentierte Herzfeld mit einem Zwinkern.

»Aber deswegen sind Sie nicht hier, Chef«, erwiderte Yao.

»Richtig, deswegen bin ich nicht hier. Ich möchte Sie bitten, sobald Sie hier abkömmlich sind, zu einem Leichenfundort zu fahren.«

Wie überall in der Rechtsmedizin zwischen Vorgesetzten und deren Mitarbeitern auch heute noch üblich, siezten sich die beiden nach wie vor. Und Herzfeld sah trotz der vielen Jahre, die sie sich nun gut kannten und zusammenarbeiteten, auch keinerlei Veranlassung, etwas daran zu ändern.

Yaos Blick wurde noch eine Spur fragender. »Zu einem Leichenfundort? Die Kollegen vom Landesinstitut haben doch eigentlich Bereitschaftsdienst. Oder sind explizit die ›Extremdelikte‹ für diesen Fundort angefordert worden?«

»Eigentlich nicht …« Herzfeld wand sich, denn ihm war nur zu bewusst, dass er mit dem, was er gleich von Yao verlangen würde, seine Kompetenzen überschritt und das Aufgabenprofil seiner Abteilung deutlich flexibler als üblich auslegte. »Es ist ein normaler LKA-Fall, die vierte Mordkommission ist schon vor Ort, und großer Bahnhof ist angesagt. Die Kollegen von der Kriminaltechnik sind unterwegs …«

»Was ist da los? Unsere Leute von der KT?«, unterbrach Yao ihn neugierig.

»Nein, nicht direkt unsere Leute … vielmehr die Spurensicherung vom LKA. Ich dachte nur … Sagen wir mal so: Ich halte es für das Beste, wenn eine erfahrene Kollegin aus unserer Abteilung den Fall begleitet.«

Der Chef der Extremdelikte spürte, dass sie ihm diese halb gare Erklärung nicht abkaufte. Deshalb schob er schnell hinterher: »Ich halte es für klug, dass im Ersten Angriff – wenn am Leichenfundort noch alles unverändert ist, die große Ermittlungsmaschinerie gerade erst anrollt – von Anfang an ein rechtsmedizinischer Profi unserer Abteilung dabei ist. Jemand, der den Kollegen Jörgensen unterstützt, der heute beim Landesinstitut Dienst hat. Quasi eine Art Amtshilfe.«

»Jörgensen ist länger als ich im Fach«, erwiderte Yao, die den weit über sechzigjährigen Facharzt für Rechtsmedizin gut kannte. So wie sich alle in Berlin tätigen Rechtsmediziner meist schon seit vielen Jahren untereinander gut kannten. Sei es, dass sie im Landesinstitut für gerichtliche oder soziale Medizin, im Institut für Rechtsmedizin der Charité oder beim BKA angestellt waren. Das war schlicht dem Umstand geschuldet, dass das Fach Rechtsmedizin im medizinischen Fächerkanon die kleinste Fachdisziplin war. Es gab kaum Personalfluktuation in den rechtsmedizinischen Instituten, da so gut wie niemand, der sich einmal für dieses Fach entschieden hatte, der Rechtsmedizin wieder den Rücken kehrte.

»Und ich denke«, fuhr Yao fort, »dass Jörgensen keinerlei Unterstützung von mir benötigt, wenn es um rechtsmedizinische Expertise an einem Tatort geht. Was ist da los, Chef? Was steckt dahinter?«

Herzfeld gab sich geschlagen. »Okay. Die Ehefrau eines Arztes, der definitiv kein Unbekannter in der Berliner Medizinerszene ist, wurde heute Mittag gegen halb zwei von ihm in dem gemeinsamen Wohnhaus tot aufgefunden. Professor Doktor Roderich Kracht, so heißt er, ist der Ärztliche Leiter einer renommierten Berliner Schönheitsklinik, Corpore Sano, vielleicht haben Sie seinen oder den Namen der Klinik schon mal gehört?«

Yao schüttelte den Kopf.

Und sie kann sich deshalb auch nicht im Entferntesten vorstellen, welche Kreise dieser Fall ziehen kann, ging es Herzfeld durch den Kopf.

»Ich verstehe immer noch nicht …«, setzte Yao gerade an, aber Herzfeld unterbrach sie.

»Roderich Kracht ist ein in der Öffentlichkeit stehender Mann mit vielen prominenten Freunden, die sich, ich formuliere das mal etwas salopp, bei ihm unters Messer gelegt haben oder ihre Frauen oder Geliebten von ihm an der einen oder anderen Stelle verschlanken oder aufpolstern ließen. Dieser Mann ist äußerst einflussreich und hat beste Kontakte, er ist vernetzt bis in die höchsten Kreise von Politik und Justiz. Und ich gehe davon aus, dass er just in diesem Augenblick, während seine tote Frau noch in seinem Haus liegt, eine Armada richtig scharfer Anwälte in Stellung bringt, um jeden Schritt der Ermittlungsbehörden sehr genau zu beobachten und erheblichen Druck auszuüben. Die Kollegen vom LKA brauchen sehr schnell eine konkrete Spur zum Täter, einen Ermittlungserfolg, sonst werden Kracht und seine Anwälte sehr ungemütlich.«

»Hört sich nicht gerade an, als ob Sie die besten Freunde wären, Sie und Kracht«, merkte Yao salopp an.

»Sagen wir mal so: Ich gehe solchen Typen wie Kracht aus dem Weg. Diese Mischung aus beruflichem Ehrgeiz, Streben nach Macht und diesem gespielten freundschaftlichen Interesse an allen, die einem irgendwie irgendwann vielleicht mal von Nutzen sein könnten – euphemistisch nennt man das bekanntlich Networking –, und das Ganze dann auch noch gekrönt von einer ordentlichen Profilneurose, wie es bei Professor Kracht der Fall ist, war mir schon immer suspekt und zuwider.«

»Nein, Sie beide sind nicht die besten Freunde«, stellte Yao mit der Andeutung eines verschmitzten Grinsens fest, wovon sich Herzfeld jedoch nicht aus dem Konzept bringen ließ.

»Der Mord an Krachts Frau – es sieht momentan danach aus, dass ein Unfall oder Suizid mit ziemlicher Sicherheit ausscheiden – wird spätestens morgen bei der Polizeipräsidentin und dem Innensenator ganz oben auf der Agenda stehen und die Herrschaften unter enormen Druck setzen. Und den geben sie dann geradewegs und ungefiltert nach unten weiter. Wenn der oder die Täter nicht schnellstens ermittelt werden oder sich nicht wenigstens eine heiße Spur ergibt, mit der die zuständigen Ermittler arbeiten können, wird es für alle Beteiligten sehr ungemütlich.«

»Aber was wird Jörgensen sagen, wenn ich plötzlich unangekündigt am Tatort aufschlage?«

»Sie sind bereits angekündigt, Frau Yao«, entgegnete Herzfeld. »Ich habe das vor zwanzig Minuten telefonisch mit Professor Ionnidis, Jörgensens Chef vom Landesinstitut, geklärt. Er hat meine Bedenken, als er den Namen Roderich Kracht hörte, sofort nachvollziehen können und ist meiner Argumentation gefolgt, dass wir angesichts eines solchen High Profile Case die Kräfte der Rechtsmedizin bündeln müssen. Er hält es daher für eine gute Idee, wenn jemand von unserer Abteilung dabei ist.«

Yao hob ihre wie mit einem feinen Tuschepinsel gezeichneten schwarzen Augenbrauen. Er kannte diesen unverhohlen skeptischen Blick seiner fast zwanzig Jahre jüngeren Mitarbeiterin nur zu gut.

»Ist doch mal was Neues. Das Vieraugenprinzip schon am Tatort, so hat es Ionnidis jedenfalls formuliert«, sagte Herzfeld daraufhin scherzhaft.

Yao schien zwar noch nicht restlos davon überzeugt zu sein, dass es zwei erfahrener Rechtsmediziner an diesem Leichenfundort bedurfte, aber sie opponierte zu Herzfelds Erleichterung auch nicht weiter.

»Ich denke, dass ich hier innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten wegkomme. Den Rest des Sektionsprotokolls kann ich unterwegs im Auto diktieren.«

»Perfekt«, gab Herzfeld zurück. »Frau Hübner wird Ihnen die Adresse und das, was wir bisher zu dem Fall haben, aufs Handy schicken. Viel ist es noch nicht, der Notruf ging ja gerade mal vor etwas mehr als einer Stunde ein.«

»Der Notruf kam von Roderich Kracht?«

Herzfeld nickte stumm.

Als Yao kurz darauf mit ihrem Diktiergerät und der Akte unter dem Arm den Sektionssaal in Richtung der Umkleiden verließ, sah Herzfeld ihr gedankenversunken hinterher.

Sie füllt die Lücke, die Abel als mein Stellvertreter bei seinem Weggang hinterlassen hat, perfekt aus. Diese Frau ist nicht nur fachlich enorm befähigt, sie scheint auch Leitungsqualitäten zu haben, die ich bei Abel immer vermisst habe. Ich muss ihr nur noch etwas Zeit geben. Mit seinen Aufgaben wächst man …

Die Silhouette von Yaos zierlicher Gestalt war hinter dem Bullauge der jetzt wieder geschlossenen Sektionssaaltür nicht mehr zu sehen. Herzfeld verspürte eine gewisse Genugtuung, womöglich sogar Stolz darüber, dass er sich vor etwas mehr als vier Monaten für Yao entschieden hatte, als er vor der Wahl stand, sie oder Oberarzt Martin Scherz, den Dienstältesten der Abteilung, zu seinem Stellvertreter zu ernennen. Mit seiner Entscheidung hatte er offensichtlich richtiggelegen.

Man braucht dafür jemanden mit einem eigenen Kopf, der Dinge hinterfragt, so, wie sie es eben getan hat. Keine willenlosen Befehlsempfänger …

Herzfeld zuckte zusammen, als er direkt hinter sich Muraus Stimme vernahm, in der ihm eigenen hohen Tonlage und dem Wiener Singsang. Als Herzfeld klar wurde, dass Murau mal wieder ein Benn-Zitat anstimmte, nahm er Reißaus. Sein Kollege verehrte diesen expressionistischen Dichter zutiefst, der in dem Band Verse vom Seziertisch seine eigenen Erfahrungen als Mediziner im Seziersaal verarbeitet hatte.

»Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt. / Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster / zwischen die Zähne geklemmt …«, hallte es Herzfeld nach, als sich die automatische Schiebetür des Sektionssaals langsam hinter ihm schloss.

3

Montag, 9. April, 15:23 Uhr,

Pkw Dr.Sabine Yao

Yao hatte sich rasch umgezogen und war mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock gefahren. Dort hatte sie in ihrem Büro die Ermittlungsakte zu dem eben noch von ihr obduzierten Toten samt Diktafon in ihrer geräumigen Saint-Laurent-Handtasche verstaut und sich ihre schwarze Cabanjacke mit Autoschlüssel und Dienstausweis darin übergezogen. Der April in Berlin war dieses Jahr ungewöhnlich kühl. Zuletzt hatte sie sich den Tatortkoffer gegriffen, einen breiten Aluminiumkoffer, wie ihn auch Handwerker für ihre elektronischen Geräte verwendeten. Darin enthalten war das komplette Instrumentarium für die Todeszeitbestimmung und Untersuchung eines Verstorbenen.

Wenige Minuten später saß sie in ihrem Mini Cooper auf dem großen Parkplatz vor den Treptowers und wischte sich einige widerspenstige Haarsträhnen, die sich aus ihrem schwarzen Pferdeschwanz gelöst hatten, aus der Stirn, während sie die von der Abteilungssekretärin Renate Hübner auf ihr Handy geschickte Adresse in Nikolassee in das Navigationsgerät eingab. Genervt stellte sie beim Blick auf das Display fest, dass aufgrund zahlloser Baustellen und dadurch bedingter Straßensperrungen und Umleitungen die vor ihr liegende Fahrt vierundfünfzig Minuten betragen würde. Der Berliner Verkehr ist die absolute Pest. In den neun Jahren, die ich jetzt hier in Berlin bin, ist es jedes Jahr schlimmer geworden. Man könnte fast meinen, die Politiker des Berliner Senats wollten die Berliner mit diesen unzähligen Straßenbaustellen, auf denen man nie auch nur einen Menschen arbeiten sieht, mürbe machen, damit sie freiwillig aufs Rad oder die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Aber ich kann ja schlecht auf dem Fahrrad oder mit der U-Bahn ans andere Ende der Stadt zu einem Tatort … Na ja, wenigstens genügend Zeit, das Protokoll weiterzudiktieren … Sie seufzte und startete den Motor.

Yao bog gerade von der Stadtautobahn A100 am Dreieck Funkturm auf die AVUS ab, die in südwestlicher Richtung in die Richtung Potsdam führende A115 überging, als die Freisprechanlage einen eingehenden Anruf ankündigte: Sara Wittstock.

»Hallo, Sabine, kannst du ein paar Minuten deiner Zeit für mich erübrigen? Ich bräuchte da in einer Sache deine Hilfe.«

Yao hörte, wie die Anruferin auf einer Tastatur herumtippte, während sie telefonierte.

Sara Wittstock, IT-Expertin beim BKA und Computerforensik-Mastermind, war früher ebenfalls in der Abteilung für IT-Forensik des BKA in den Treptowers untergebracht gewesen. Doch seit einem knappen Jahr arbeitete die IT-Expertin durchgehend im Homeoffice in ihrem eigenen Rechenzentrum, wie sie es nannte. Neben dem BKA waren der Staatsschutz und von Zeit zu Zeit auch diverse innerdeutsche Geheimdienste ihre Auftraggeber. Im Auftrag der deutschen Regierung agierende Dienste, von denen Yao nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten, bis Sara die Namen einiger Institutionen und Organisationen hatte fallen lassen und auf Nachfrage ihr gegenüber ein paar Andeutungen gemacht hatte, was in deren Tätigkeitsprofil fiel. Sie war zwar kein echter Freelancer, da sie immer noch beim BKA angestellt war, aber ein echter Freigeist. Sie gab nichts auf gesellschaftliche Konventionen und nur wenig auf Dienstanweisungen oder sonstige behördliche Vorschriften, was ihre Vorgesetzten zwar niemals offiziell gestattet hätten, aber insgeheim duldeten, da ihre unkonventionelle Art ihnen schon oft einen Vorteil und Vorsprung bei ihren verdeckten Missionen verschafft hatte, da sie notfalls auch mittels eines Hackerangriffs Informationen zu beschaffen verstand.

»Für dich immer, Sara. Was gibt’s?«, erwiderte Yao, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Lieferwagen vor ihr kein gefährdendes Fahrmanöver durchführte.

»Ich bin seit letzter Woche Mitglied in einer Taskforce – oder, besser gesagt, ich bin die Taskforce, da es außer mir niemand anderen gibt, der das Projekt umsetzen wird. Es geht um Teleforensik. Schon mal gehört?«

»Nope«, antwortete Yao und musste unwillkürlich schmunzeln.

»Kannst du auch nicht, Schätzchen, da ich das Baby erst mal zur Welt bringen muss«, fuhr Sara Wittstock enthusiastisch fort. »Telemedizin. Das sagt dir aber etwas?«

»Klar«, entgegnete Yao und warf einen Blick in den rechten Außenspiegel, um die Fahrspur zu wechseln. »Zumindest das, was so in der Presse und im Ärzteblatt dazu verlautbart wird. Mit Telemedizin versucht man vor allem im ländlichen Raum die Lücken des derzeitigen Ärztemangels zu schließen. Ob das allerdings von Erfolg gekrönt ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß aber, dass beispielsweise Kardiologen mittlerweile die Funktionsfähigkeit kardiologischer Implantate telemedizinisch in ihrer Praxis überprüfen können, auch wenn der Patient sich zu Hause oder ganz woanders befindet. Wenn du mich fragst, Sara, sind allerdings auf Telemedizin beruhende Kommunikationsmethoden, bei denen der Patient per App übers Handy oder von zu Hause am PC seinen Hausarzt konsultiert, in vielerlei Hinsicht fragwürdig. Ein echtes Arzt-Patient-Verhältnis kommt da wohl kaum zustande.«

»Sehr gut, da hat jemand eine klare Meinung«, kommentierte die IT-Expertin das eben Gehörte mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme. »Aber über Ethik wollte ich nicht mit dir diskutieren. Vielmehr geht es meinem Auftraggeber um die Entwicklung einer mobilen und leicht handhabbaren Kriminaltechnik-Unit, die auch in entlegenen Regionen der Welt – internetbasiert oder wahlweise auch satellitengestützt, je nachdem, was verfügbar ist – Daten von Tatorten, in Realtime und 24/7, global verfügbar macht. Ich bin gerade an der Entwicklung der entsprechenden Algorithmen, die ich …«

»Entschuldige, dass ich dich unterbreche, Sara«, sagte Yao, die beim Blick auf ihr Navi-Display gerade festgestellt hatte, dass sie die nächste Abfahrt der A115 nehmen musste und in vier Minuten ihren Zielort erreicht haben würde, »du weißt, das sind böhmische Dörfer für mich. Von deinen IT-Sachen verstehe ich nichts. Wie sollte ich dir da behilflich sein?«

»Ganz einfach …«, klang es aus dem Lautsprecher der Freisprechanlage, weiterhin untermalt von stakkatoartigen Tippgeräuschen, »… wenn ich schon mal dabei bin, könnte man die Rechtsmedizin gleich mit digitalisieren und euch verstaubten Leichenschnipplern bei ein paar Sachen unter die Arme greifen. Ihr messt doch immer noch die Rektaltemperatur mit einem stinknormalen Thermometer, richtig?«

»Na ja, von den Quecksilberthermometern sind wir mittlerweile weg, wir benutzen Digitalthermometer«, antwortete Yao in scherzhaftem Tonfall mit Blick auf den silberfarbenen Tatortkoffer im Beifahrerfußraum neben ihr. »Und Computertomografie haben wir auch …«

»Wow! Na bravo! Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert, Doktor Yao. Aber Spaß beiseite. Du sollst mir nur mal bei Gelegenheit ein paar Sachen erklären. Wie ihr bestimmte Dinge handhabt. Rechtsmedizinische Tatortarbeit. Todeszeitbestimmung und so. Ihr tropft doch immer noch pupillenerweiternde Augentropfen in das eine und pupillenverengende Augentropfen in das andere Auge eurer Mordopfer, um zu sehen, wie lange …« Wittstocks Stimme brach unvermittelt ab, und es herrschte einige Sekunden Stille am anderen Ende der Leitung.

»Sara, bist du noch da?«, fragte Yao, die in achthundert Metern am Ziel sein würde.

»Sorry, Schätzchen, dein Chef ruft mich gerade an. Da gehe ich besser ran, denn ich bin ja immer noch nebenbei beim BKA. Mal hören, was der Professor jetzt wieder für ein IT-Problem in eurer Abteilung ausgemacht hat. Wir hören!«

Damit war das Gespräch auch schon beendet.

4

Montag, 9. April, 16:15 Uhr,

Berlin-Nikolassee

Bisher hatte es Yao in den bald neun Jahren, die sie inzwischen in Berlin lebte, erst zweimal hierher in den direkt an der Grenze zu Brandenburg gelegenen äußersten Südwesten der Stadt geführt. Und diese beiden Ausflüge hatte sie nicht in bester Erinnerung. Vor vielen Jahren hatte sie auf dem Empfang einer privaten Stiftung, die sich für Kinder aus armen Familien engagierte, einen Architekten kennengelernt. Zu ihrem ersten Date ein paar Tage später waren sie in den Wannseeterrassen verabredet gewesen, einem dem Strandbad Wannsee unmittelbar benachbarten Restaurant, das für seine gute Küche und seine spektakuläre Aussicht über den Großen Wannsee und die Havel geschätzt werde, wie er ihr auf dem Empfang zugeraunt hatte. Das Date war dann allerdings noch vor dem Hauptgang von der Ehefrau des Architekten, die dieser Yao gegenüber wohlweislich verschwiegen hatte, beendet worden. Die Frau war schreiend an ihrem Tisch aufgetaucht und hatte ihren Mann als Ehebrecher, notorischen Fremdgeher und Weiberhelden beschimpft, neben anderen, deutlich unflätigeren Schimpfworten. Mittlerweile konnte Yao über diese Begebenheit lachen, damals hatte sie ihre Empörung kaum bändigen können und das Lokal kurz nach der Ehefrau verlassen.

Und auch den zweiten Ausflug in den Berliner Südwesten, nur wenige Monate später, hatte Yao verbucht unter: zum Vergessen. Damals war sie in einer Dezembernacht gegen halb zwei an einen Leichenfundort auf Schwanenwerder gerufen worden. Von ihrem jetzigen Standort aus war diese Insel nur eineinhalb Kilometer entfernt. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt war sie dort bis zum Morgengrauen nur in einem dünnen Kaschmirmantel und in ebenfalls weder für die Witterung noch für das Gelände geeigneten und zudem nagelneuen Schuhen im Schein ihrer Taschenlampe mit uniformierten Schutzpolizisten durch Unterholz und Gestrüpp gestolpert. Auf dem verwilderten und entsprechend zugewucherten Gelände eines seit Jahrzehnten verlassenen ehemaligen Kinder- und Jugendferienlagers waren zahlreiche über viele Hektar einzeln verstreute menschliche Knochen gefunden worden, die »fachmännisch« geborgen und »noch vor Ort begutachtet« werden sollten, wie es der leitende Beamte damals formuliert hatte. Als gegen fünf Uhr morgens auch noch Nieselregen einsetzte, waren Yaos neue Schuhe bereits völlig ruiniert und ihr bis dahin tadelloser Kaschmirmantel nicht nur über der Schulter und am Saum eingerissen, weil sie im Dunkeln an Zweigen und Ästen hängen geblieben war, sondern auch mit klebrigen Harzflecken übersät. Mantel und Schuhe hatte sie noch am selben Tag entsorgt.

Yao schüttelte diese unguten Erinnerungen von sich ab und sah aus den Seitenfenstern ihres Mini hinaus. Hier reihte sich Villa an Villa. Hinter altem Baumbestand, hohen Natursteinmauern und blickdichten, perfekt geschnittenen Hecken blitzten immer wieder riesige Wohnhäuser oder auch ganze Gebäudeensembles hervor, wenn sich eine der endlos langen Kiesauffahrten auftat und Yao für einen kurzen Augenblick im Vorbeifahren einen Blick auf die Prachtbauten erhaschen konnte. Häuser, die genauso wie die darum angelegten Gärten die Attribute mondän und kostspielig verdienten. Hier lebten die Berliner beschaulich unter ihresgleichen, die sich diese elitäre Wohngegend fernab von City-Smog und Problemkiezen wie dem Wedding oder Neukölln leisten konnten.

Eine andere Welt, ging es Yao durch den Kopf, als sie die zweigeschossige Gründerzeitvilla mit der cremegelb verputzten Fassade entdeckte, die der Ort eines Verbrechens gewesen sein musste. Auf dem Grünstreifen zwischen Bordsteinrand und dem mit würfelförmigen Natursteinen gepflasterten Gehweg parkten zwei Polizeiwagen. Bei einem der beiden Streifenwagen war das Blaulicht noch eingeschaltet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein silberfarbener VW-Bus, der mit ziemlicher Sicherheit zu den Ermittlern gehörte.

Auch hier ist man nicht geschützt vor Gewalt, Tod und all dem unweigerlich damit verbundenen Schmerz für die Hinterbliebenen, die für den Rest ihres Lebens mit dem Verlust eines geliebten Menschen weiterleben müssen, dachte Yao, als sie ihren Wagen am Alleerand hinter einem weißen Mercedes Sprinter zum Stehen brachte und den Motor ausschaltete.

Der Sprinter gehörte zu den Kollegen der Spurensicherung. Die beiden Hecktüren des Tatortfahrzeugs standen auf und gaben den Blick auf mehrere große silberfarbene Metallkoffer auf einem herausgezogenen schubladenartigen Koffersystem frei. An einem der voluminösen Koffer machte sich gerade ein hagerer Mittvierziger mit Stirnglatze zu schaffen, den Yao von früheren Einsätzen als Polizeifotografen erkannte. Yao stieg aus und begrüßte den Mann, woraufhin dieser ihr mit einem freundlichen Lächeln zunickte, ehe er weiter in dem Ausrüstungskoffer kramte.

Als Yao um ihren Mini in Richtung Beifahrerseite herumging, sah sie, dass zwei Streifenpolizisten vor dem Eingangsportal der Villa postiert waren. Als sie sich durch die geöffnete Beifahrertür ins Wageninnere bückte, um ihren Tatortkoffer zu greifen, baute sich ein Schatten neben ihr auf.

»Tachchen, die Dame. Kann man helfen?«

Yao zog ihren BKA-Dienstausweis aus ihrer Cabanjacke und hielt sie dem Uniformierten, der gemeinsam mit den anderen Schutzpolizisten Neugierige und Pressevertreter vom Tatort fernhalten sollte, mit einem freundlichen Lächeln entgegen.

»Alles klärchen, wa!«, kommentierte er.

Yao schnappte sich ihren Tatortkoffer, verstaute Jacke und Handtasche im Kofferraum ihres Wagens und erreichte zeitgleich mit dem mittlerweile in einen weißen Overall der Spurensicherung gekleideten, schwer bepackten Polizeifotografen das Eingangsportal, hinter dem ein breiter Kiesweg über das Grundstück zu der Villa führte. Yao bemerkte die Zahl 1865 im oberen Bogen des imposanten, etwa drei Meter hohen Eingangstors. Es war ebenso kunstvoll geschmiedet wie der schwarze gusseiserne Zaun, der mit einer direkt dahinter gepflanzten blickdichten, etwa ein Meter achtzig hohen Eibenhecke das Grundstück gegen ungebetene Besucher abschottete.

Kurz bevor sie die etwa vier Meter breite Natursteintreppe erreichten, deren sechs Stufen zu einer weit geöffneten, wuchtigen Eingangstür aus dunklem Edelholz führten, fiel Yaos Blick auf zwei sehr gepflegt erscheinende, wenn nicht sogar nagelneue Autos, einen SUV und einen extravaganten Sportwagen. Beide Fahrzeuge standen in einiger Entfernung in einem Carport.

»Ein Urus. Mindestens sechshundertfünfundzwanzig PS. Alter Falter … Das andere ist ein McLaren, der hat noch mehr Pferdchen unter der Haube«, raunte ihr der Polizeifotograf, der sie bisher schweigend über das parkähnliche Anwesen begleitet hatte, sichtlich beeindruckt zu.

Yao, die zwar Wert auf exklusive Kleidung legte, aber mit Autos überhaupt nichts anzufangen wusste, erwiderte nichts.

5

Montag, 9. April, 16:25 Uhr,

Berlin-Nikolassee,

Villa Kracht

Yao passierte in Begleitung des Polizeifotografen die imposante Eingangstür und fand sich in einer großen und über beide Hauptgeschosse des Gebäudes reichenden Halle wieder, die sie mit den strahlig verlaufenden Ornamenten im Deckenbereich an ein Kreuzrippengewölbe im Inneren einer Kirche erinnerte. Die Wände waren mit dunklem Edelholz vertäfelt. Rechter Hand befand sich eine bodentiefe Fensterfront, die den Blick auf den parkähnlichen Garten freigab, in dem sich neben einigen größeren Statuen im hinteren Bereich auch ein Springbrunnen mit Wasser speienden Hirschen befand. Linker Hand waren bunte Bleiglasfenster in die Wandvertäfelung eingearbeitet, durch die sich das Sonnenlicht brach. Gegenüber dem Eingangsbereich führte eine aufwendig gearbeitete Holztreppe aus dunklem Edelholz in den oberen Stock.

Dort, wo sich der Polizeifotograf soeben in die Tiefe des Hauses entfernt hatte, erschien eine in einen weißen Ganzkörperanzug der Spurensicherung gekleidete Person, die sich als Erste Kriminalhauptkommissarin Monica Monti, langjährige Leiterin der vierten Mordkommission des Berliner Landeskriminalamts entpuppte. Die Ermittlerin mit den italienischen Wurzeln und den widerspenstigen schwarzen Locken, die unter dem Rand der Kapuze ihres Overalls herausschauten, war Yao zwar schon seit einigen Jahren von gemeinsamen Seminaren und Fortbildungen bekannt, die die Beamten von LKA und BKA gleichermaßen bei der Fortbildungsakademie der Berliner Polizei besuchten. An einem Tatort waren sich die beiden Frauen jedoch bisher noch nie begegnet.

»Frau Doktor!«, begrüßte sie die Ermittlerin, die von genauso zierlicher Statur wie Yao war.

»Wenn mich nicht alles täuscht, waren wir schon beim Du, Monica«, antwortete Yao mit einem breiten Lächeln.

»Alles klar, ich wollte nur auf Nummer sicher gehen … Wusste nicht, ob du dich noch erinnerst … Ich habe schon von Doktor Jörgensen gehört, dass du kommst. Ich gebe dir am besten erst mal ein kurzes Briefing, womit wir es hier zu tun haben, während du deinen Anzug überziehst, und dann bringe ich dich zu Doktor Jörgensen und der Toten.«

Yao signalisierte ihr Einverständnis und zog einen originalverpackten Ganzkörperoverall, die obligatorischen Plastiküberschuhe sowie Mundschutz und eine Packung mit Latexhandschuhen der Größe XS aus ihrem Tatortkoffer, den sie neben sich auf dem Parkettboden abgestellt hatte. »Hätte ich mich draußen umziehen sollen?«, fragte sie vorsichtig.