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Kann man in der Rechtsmedizin alles glauben, was man im Fernsehen sieht? Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin – das neue Sachbuch von Michael Tsokos, Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner: Leider sind es oft Klischees, die unsere Vorstellung von der Rechtsmedizin beherrschen. Keiner weiß das besser als Michael Tsokos, der vielfache Bestseller-Autor. Er erläutert die teils groben Fehler und informiert unterhaltsam und spannend über die Mittel und Methoden der Rechtsmedizin, seine Arbeit am Seziertisch im Obduktionssaal und die neuesten Entwicklungen in der Forensik. Die Szene aus dem Fernseh-Krimi kennt jeder: Ein Toter im Pool, auf der Wasseroberfläche auf dem Rücken treibend, mit dem Gesicht nach oben. Michael Tsokos entlarvt diese Darstellung als dramaturgischen Kniff, und erklärt, warum Ertrunkene auf den Grund sinken oder unter der Wasseroberfläche treiben, und zwar in Bauchlage, mit dem Gesicht nach unten. Ist es möglich, bei Schussverletzungen Ein- und Ausschuss sicher zu unterscheiden? Ist das Erwürgen wirklich eine schnelle und effektive Mordmethode? Wie kann man einen Tierbiss von einem Menschenbiss unterscheiden und können Leichen tatsächlich explodieren »Schwimmen Tote immer oben?« nimmt die bizarrsten Irrtümer in unseren Fernsehkrimis aufs Korn. Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner und Bestseller-Autor Michael Tsokos erläutert unterhaltsam und spannend die teils groben Fehler und informiert über die wahren Mittel und Methoden der Rechtsmedizin. Etwa dass eine virtuelle Obduktionen mit Hilfe der Computertomographie keineswegs eine klassische Obduktion ersetzen kann, dass Rechtmediziner und ermittelnde Kriminalbeamte keineswegs ein festes Team sind und dass Phantombilder keineswegs aufgrund von DNA-Analysen möglich sind. Michael Tsokos ist Professor für Rechtsmedizin und regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig. Seine Sachbücher über spektakuläre True-Crime-Fälle aus der Rechtsmedizin sind Bestseller: - Die Klaviatur des Todes - Die Zeichen des Todes - Sind Tote immer leichenblass?
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Seitenzahl: 97
Michael Tsokos
Schwimmen Tote immer oben?
Noch mehr Irrtümer über die Rechtsmedizin
Mit Illustrationen von Christoph Kellner
Knaur e-books
Kann man bei Schussverletzungen Ein- und Ausschuss sicher unterscheiden? Ist das Erwürgen eine schnelle und effektive Mordmethode? Wie kann man einen Tierbiss von einem Menschenbiss unterscheiden? Können Leichen explodieren? Sind Phantombilder aufgrund von DNA-Analysen möglich?
Fernsehkrimis haben einfache Antworten auf diese Fragen. Doch meist sind es Klischees, die bedient werden – die Realität sieht anders aus. Keiner weiß das besser als Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner und vielfacher Bestsellerautor. Er nimmt die bizarrsten Irrtümer in unseren Fernsehkrimis aufs Korn, erläutert die teils groben Fehler und unterhaltsam und spannend über die Mittel und Methoden der Rechtsmedizin.
»Papa, gibt es eigentlich auch Linksmediziner?«
Frage meiner achtjährigen Tochter im Rahmen
eines Gesprächs über meinen Beruf
und was ich so mache.
Michael Tsokos
Der Tod – oder, auf die Rechtsmedizin bezogen: der Umgang mit toten Menschen – übt auf die Lebenden eine merkwürdige Faszination aus. Rechtsmediziner sind seit einigen Jahren wirklich en vogue. Aber worauf gründet sich diese Anziehungskraft eines Berufs, bei dem es um die Untersuchung toter Menschen geht? Diese Frage muss wahrscheinlich jeder für sich selbst beantworten, der sich für Krimis und Thriller interessiert, in denen Tötungsdelikte und mittlerweile auch immer öfter rechtsmedizinische Untersuchungsmethoden eine Rolle spielen. Obwohl wir den Tod aus unserem eigenen Leben gerne ausklammern, schauen wir bei Todesfällen anderer – zumal, wenn sie auch noch gewaltsam herbeigeführt wurden – gerne und bisweilen sogar fast schon aus einem voyeuristischen Impuls zu. Und wir freuen uns, dass wir zwar mittendrin, aber eben nicht dabei sind und jederzeit den Krimi zuklappen oder die Fernsehsendung wegzappen können.
Nach wie vor beherrschen TV-Serien, bei denen die Rechtsmedizin oder forensische Untersuchungsmethoden im Mittelpunkt stehen, das abendliche Fernsehprogramm der Deutschen. In dem Kinofilm Abgeschnitten hielt mit dem Rechtsmediziner Professor Paul Herzfeld, gespielt von Moritz Bleibtreu, im Herbst 2018 sogar erstmals ein Forensiker als zentrale Hauptfigur in einem deutschen Thriller Einzug auf die große Leinwand. Die Darstellung der Sektionssaalszenen in Abgeschnitten sind nicht nur detailgetreu, sondern auch realistisch – kein Wunder, denn die Fachberatung war auch vom Feinsten, und als Komparsen agierten echte Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner.
Allerdings ist eine solche realistische Darstellung der Rechtsmedizin im Film immer noch die Ausnahme und nicht die Regel. Was am Tatort beziehungsweise am Leichenfundort, im Sektionssaal oder im Labor der rechtsmedizinischen Institute wirklich passiert, interessiert die Menschen brennend; das zeigt sich unter anderem auch daran, dass der 2016 erschienene Vorgänger dieses Büchleins, Sind Tote immer leichenblass? Die größten Irrtümer über die Rechtsmedizin, bei den Lesern sehr viel Zuspruch gefunden hatte und insgesamt 16 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste anzutreffen war. Eine Journalistin sagte mir erst kürzlich, dass dieses Buch bei vielen Krimiautoren und Drehbuchautoren mittlerweile sogar Pflichtlektüre sei und quasi als Fachberatung herangezogen würde.
Die vorliegende Fortsetzung beleuchtet nun dreißig weitere Irrtümer über die Rechtsmedizin, die sich in den Köpfen vieler Krimileser und Fernsehzuschauer festgesetzt haben.
Kommen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, mit auf eine kleine Reise in die Welt der Rechtsmedizin und schauen Sie uns über die Schulter, was wir so machen – und was wir eben nicht machen beziehungsweise ganz anders handhaben, als Sie es sich vielleicht jetzt noch vorstellen. Und auch dieses Mal gilt wieder: Lassen Sie sich nicht den Spaß an all den rechtsmedizinisch angehauchten Serien, Filmen und Büchern nehmen, auch wenn das, was Sie dort sehen und lesen, in den meisten Fällen nur wenig bis gar nichts mit der Realität zu tun hat.
Michael Tsokos, Berlin im Juni 2019
Dem Großteil aller Sektionen liegen Tötungsdelikte zugrunde
Das könnte der geneigte Krimileser oder Fernsehzuschauer in der Tat denken. Denn wann obduziert in einem Thriller ein Rechtsmediziner schon mal einen Menschen, der an einem fortgeschrittenen Krebsleiden oder einem Schlaganfall gestorben ist? Dass wir Rechtsmediziner nur Mordopfer oder zumindest nur Menschen obduzieren, die gewaltsam aus dem Leben geschieden sind, ist allerdings ein großer Irrtum. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Von den etwa 2100 Obduktionen, die wir in Berlin im Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin und im Institut für Rechtsmedizin der Charité durchführen, handelt es sich bei »nur« knapp 100 Fällen um Tötungsdelikte (Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge) – das sind also nur etwa 5 Prozent aller Obduktionen in Berlin. Suizide machen einen Anteil von etwa 25 Prozent aller unserer gerichtlichen Obduktionen aus; weitere 20 Prozent sind tödliche Unfälle – hauptsächlich Verkehrsunfälle und Arbeitsunfälle, aber auch tödliche Drogenintoxikationen werden in dieser Kategorie subsumiert. Bei fünf Prozent der Obduktionen geht es um den Nachweis ärztlicher Kunstfehler, und bei dem großen Rest (immerhin 45 Prozent) untersuchen wir natürliche Todesfälle. In diesem Bereich dominieren die Herzerkrankungen (Herzinfarkt, Herzmuskelentzündung, nicht traumatische Einreißungen der Körperhauptschlagader etc.), gefolgt von Hirnmassenblutungen, Schlaganfällen und weit fortgeschrittenen (und meist unbehandelten) Krebsleiden.
Wieso ist aber der Anteil der Obduktionen echter Tötungsdelikte fast verschwindend gering im Vergleich zu den übrigen Obduktionsfällen – zumindest in Berlin? Der Grund dafür ist, dass wir trotz einer noch so gründlichen Leichenschau und obwohl die Computertomografie uns in der Rechtsmedizin ganz neue Möglichkeiten eröffnet hat (vgl. Irrtum Nr. 5), eben ohne Obduktion niemals sicher sagen können, dass es sich tatsächlich um einen Tod aus innerer Ursache und nicht um ein Tötungsdelikt handelt.
Nur eine Obduktion kann in solchen Fällen die entscheidenden Hinweise geben, ob es sich bei einem Menschen, der von einem Zug oder einer S-Bahn überfahren wurde, um einen Suizidenten oder ein Unfallopfer handelt. Denn nur durch die Obduktion inklusive Präparation der Körperrückseite und der Extremitäten lässt sich die Position des Betreffenden zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Schienenfahrzeug rekonstruieren, und allein auf dieser Grundlage können Aussagen gemacht werden, ob jemand an einem fortgeschrittenen Krebsleiden litt – und damit ein mögliches Suizidmotiv hatte – oder ob die betreffende Person dermaßen alkoholisiert war, dass ein Unfallgeschehen angenommen werden kann (Suizidenten sind zwar häufig leicht alkoholisiert und damit zum Zeitpunkt der Suizidbegehung enthemmt, aber nie so stark, dass man ihnen aufgrund ihrer Blutalkoholkonzentration unterstellen würde, dass sie nicht mehr wussten, was sie taten). Auch eine tödliche Vergiftung ist nur über entsprechende Asservate wie zum Beispiel Herzblut, Lebergewebe, Venenblut oder Mageninhalt nachzuweisen, und dafür bedarf es eben der entsprechenden Schnittführung, um an die betreffenden Organe zu gelangen.
Ein weiteres Beispiel: Aufgrund der Auffindesituation eines Toten mit äußeren Verletzungen in einem Pkw kommt sowohl ein tödlicher Verkehrsunfall in Betracht als auch ein Tod aus innerer Ursache mit nachfolgendem Verkehrsunfallgeschehen – allerdings ohne tödliche Verletzungen. Oder jemand sitzt tot auf einer Parkbank oder an der Endhaltestelle der S-Bahn; ein solcher Tod in der Öffentlichkeit kann per se schon mal zahlreiche Ursachen haben, sodass die Frage nach der Todesursache auch in diesem Fall nur die Leichenöffnung beantworten kann. Dafür gibt es den Begriff der »Sicherheitsobduktion«, bei der es das primäre Ziel ist, einen nicht natürlichen Tod (und damit ein Tötungsdelikt, einen Suizid oder Unfall) auszuschließen.
Insofern liegen nur einem geringen Teil gerichtlicher Obduktionen auch wirklich Tötungsdelikte zugrunde, in Berlin sind es, wie gesagt, etwa 5 Prozent. Allerdings lässt sich auf die restlichen 95 Prozent der Obduktionen keinesfalls verzichten, wenn es darum geht, zunächst unentdeckte, weil nicht als solche erscheinende Tötungsdelikte zu ermitteln.
Rechtsmediziner und ermittelnde Kriminalbeamte bilden immer ein festes Team
Von einer Teambildung zwischen Mordermittlern und Rechtsmedizinern könnte man ja fast ausgehen, wenn man den Münsteraner Tatort als Paradebeispiel nimmt. Dort sind es regelmäßig Professor Karl-Friedrich Boerne (hervorragend kauzig gespielt von Jan Josef Liefers) und Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (nicht minder großartig verkörpert von Axel Prahl), die gemeinsam ungeklärte Todesfälle beziehungsweise Gewaltverbrechen untersuchen und schließlich den Täter überführen. Auch im Kölner Tatort gibt es nur einen Rechtsmediziner, nämlich Dr. Joseph Roth (überzeugend gespielt von Joe Bausch), der zu jeder Tages- und Nachtzeit Dienst hat und den Kommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) mit rechtsmedizinischem Rat und Tat zur Seite steht. Ähnlich ist es im Erfurter Tatort, und als es noch das Ermittlerteam mit Simone Thomalla und Martin Wuttke gab, war das auch im Leipziger Tatort regelmäßig der Fall. Ein Rechtsmediziner für alles. Quasi eine rechtsmedizinische Allzweckwaffe. Nicht schlecht, mag der geneigte Zuschauer dann jedes Mal denken. Der Rechtsmediziner braucht nie eine Pause, versieht rund um die Uhr Rufbereitschaft und steht am nächsten Tag auch noch bis nach Feierabend (den er ja aber anscheinend gar nicht hat) im Sektionssaal. Respekt!
Doch auch diese Illusion muss ich Ihnen leider rauben. In Berlin, wo wir im Jahr etwa 2100 Obduktionen für die Staatsanwaltschaft und die Gerichte durchführen, teilen sich 16 Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner den Bereitschaftsdienst. Dieser rechtsmedizinische Bereitschaftsdienst ist 24