Dem Tod auf der Spur - Prof. Dr. Michael Tsokos - E-Book

Dem Tod auf der Spur E-Book

Prof. Dr. Michael Tsokos

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Beschreibung

Der True-Crime-Bestseller von Michael Tsokos in einer Taschenbuch-Neuausgabe! Verkohlte Skelette, erschreckende Funde in vernachlässigten Möbelstücken, eine Wasserleiche in ungewöhnlicher Kleidung, verstümmelte Körperteile – täglich hat es Prof. Dr. Michael Tsokos mit Toten zu tun, die mitunter auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen sind.  Dreizehn spannende, wahre und ungewöhnliche Verbrechen – detailreich erzählt von Deutschlands bekanntestem Rechtsmediziner und spannender als ein Krimi. Die Koryphäe der Rechtsmedizin Prof. Dr. Michael Tsokos wird zu Rate gezogen, wenn festgestellt werden muss, ob Selbstmord, ein Unfall oder doch Mord die Todesursache war. Seine rechtsmedizinische Expertise trägt maßgeblich zum Erfolg der Ermittlungsarbeit der Behörden bei. So ist der Rechtsmediziner regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig, beispielsweise für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Massenkatastrophen.  Michael Tsokos ist der Autor von bisher 26 Büchern, die allesamt SPIEGEL-Bestseller waren. »Die faszinierendsten Tatorte gibt es nicht am Sonntagabend, sondern in diesem Buch.« Jan Josef Liefers

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Seitenzahl: 261

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Prof. Dr. Michael Tsokos

Unter Mitarbeit von Dr. Veit Etzold und Lothar Strüh

Dem Tod auf der Spur

Spannende Fälle des Professor Tsokos

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner, schildert in dieser Taschenbuch-Neuausgabe dreizehn spannende Todesfälle, die von ihm selbst untersucht wurden. Professor Tsokos gibt auf verständliche Weise detaillierten Einblick in den rechtsmedizinischen Alltag und zeigt, welche herausragende Rolle die Rechtsmedizin bei der Aufklärung von scheinbar unlösbaren Fällen einnimmt.

Damit Interessierte mehr über den Alltag eines Rechtsmediziners erfahren und über die Details der oftmals ungewöhnlichen Recherchen am toten menschlichen Körper, beschreibt Professor Tsokos ebenso kompetent wie verständlich die Arbeitsweise der Forensik: Welche Methoden und Untersuchungstechniken der Rechtsmedizin gibt es, wann werden sie eingesetzt? Wie wird ein Obduktionsprotokoll erstellt? Und wie erkennt man, ob es Suizid war oder ein Gewaltverbrechen?

Alle Bücher von Professor Tsokos finden Sie unter www.droemer-knaur.de/autor/prof-dr-michael-tsokos. Mehr über Michael Tsokos und seine Arbeit erfahren Sie auf www.tsokos.de oder auf Instagram unter Michael Tsokos (@dr.tsokos).

Alle Bücher von Veit Etzold finden Sie unter https://www.droemer-knaur.de/autor/veit-etzold und weitere Informationen unter www.veit-etzold.de.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Ein Wort in eigener Sache

Die (un)bekannte Wahrheit – ein erster Blick hinter die Kulissen

Die Fälle

Das Skelett auf der Rückbank

Unter die Räder gekommen

Tod auf Knopfdruck

Nackte Tatsachen

Entzweigeteilte Ermittlung

Ein tödliches Wunder

Tatwaffe Feuer

Der Mann, der vom Himmel fiel

Untergetaucht

Tödliche Ladung

Der Fall Jessica

Erhalten für die Ewigkeit

Der Fall Rosa Luxemburg

Was heißt hier spektakulär?Ein Resümee

Ein Wort in eigener Sache

Das Ziel allen Lebens ist der Tod, sagte Sigmund Freud. Damit hat er ins Schwarze getroffen, denn jeder Mensch stirbt schließlich irgendwann – entweder eines natürlichen oder eines nicht-natürlichen Todes.

Ein natürlicher Tod ist krankheits- oder altersbedingt. »Nicht-natürlich« nennen wir all die Todesfälle, die von außen verursacht oder bewusst herbeigeführt werden, z.B. durch Verbluten nach Schuss- oder Stichverletzungen, ein Schädel-Hirn-Trauma nach einem Verkehrsunfall, Schläge gegen den Kopf oder auch eine Vergiftung, sei es mit Medikamenten, Drogen oder anderen Substanzen.

Wir Rechtsmediziner kommen immer dann ins Spiel, wenn Zweifel an einer natürlichen Todesursache bestehen. Und das ist deutlich häufiger der Fall, als man allgemein denkt. In all diesen Fällen ist es unsere Aufgabe, Licht ins Dunkel zu bringen – für die Ermittler wie für die Hinterbliebenen.

Etwas mehr als eine Million Todesfälle ereignen sich pro Jahr in Deutschland, etwa vier Prozent davon »nicht-natürlich«. Das heißt: Vier von hundert Menschen in unserem Land sterben nicht durch Krankheit oder Alter, sondern durch Unfall, Mord, Suizid oder einen ärztlichen Kunstfehler. Das allein ist erschreckend genug. Was die Sache noch erschreckender macht: Viele nicht-natürliche Todesfälle bleiben unerkannt, weil bei der Feststellung der Todesursache kein Rechtsmediziner hinzugezogen wird. Weil mancher Tod natürlich erscheint, es aber nicht ist.

Tote haben leider immer noch keine Lobby, frei nach Sabine Rückert.1 Und während in angelsächsischen Ländern und den USA ein amtlich bestellter und speziell ausgebildeter Leichenbeschauer – ein Coroner oder Medical Examiner – jeden Toten untersucht, bevor er bestattet wird, kann bei uns ein Arzt jeder Fachdisziplin, sei er Labormediziner, Gynäkologe, Orthopäde, Pharmakologe oder Allgemeinmediziner, die Leichenschau durchführen. Ein Arzt kann bei einer äußeren Leichenschau aber kaum erkennen, ob der Verstorbene z.B. von seinen Verwandten mit Herzglykosiden oder anderen Medikamenten vergiftet wurde. Auch eine dezente Einstichstelle, an der z.B. Luft in eine Vene injiziert wurde, kann sich leicht der Aufmerksamkeit des rechtsmedizinisch nicht erfahrenen Leichenbeschauers entziehen. Häufig ist es ja der Hausarzt, der von der Familie zur Feststellung des Todes gerufen wird. Eben der Arzt, der den Verstorbenen vor dem Tod behandelt hat. Dieser Arzt könnte leicht das Missfallen der Familie erregen und dadurch auch seine Patienten verlieren, wenn er nun anfinge, grelles Licht anzuschalten, den Verstorbenen vollständig zu entkleiden, von allen Seiten zu untersuchen, in jede Körperöffnung zu schauen oder explizit, gegebenenfalls sogar vor den Angehörigen, nach Würgemalen zu suchen. Auch das Durchwühlen des Mülleimers vor Ort, um zu schauen, ob sich darin nicht irgendwelche Medikamentenfläschchen oder Spritzen befinden, würde bei den Angehörigen sicher nicht auf Wohlwollen stoßen. Hat der Arzt dann aber den Totenschein auf natürlichen Tod erst einmal ausgestellt, ist es meist zu spät. Ist der Verstorbene erdbestattet, können in der Regel nur äußerst gravierende Gründe eine Exhumierung bewirken. Und ist der Leichnam erst kremiert, also verbrannt, ist alles zu spät. Eine Stunde im Krematorium bei 800 bis 1000 Grad vernichtet jeden Beweis. Von dem Verstorbenen ist nach der Kremation nichts weiter als ein Häufchen Asche übrig. Dann kann man nicht einmal mehr die Identität des Toten über eine DNA-Analyse nachweisen, geschweige denn Gift oder äußere Gewaltanwendung.

Für eine »Komplettversorgung« wie etwa in den USA bräuchten wir allerdings auch deutlich mehr forensische Spezialisten. In Deutschland gibt es zurzeit nur etwas mehr als 400 ausgebildete Rechtsmediziner – vermutlich so wenig wie in keiner anderen medizinischen Disziplin.

Mein Weg in diesen Beruf begann vor mehr als dreißig Jahren eher unspektakulär. Bei der Bundeswehr sagte mir ein Kamerad, dass man zwei freie Tage bekäme, wenn man sich für den damals noch üblichen »Medizinertest« anmelde. Dieser Medizinertest konnte eine durchschnittliche oder schlechte Abiturnote neutralisieren und ermöglichte bei sehr gutem Abschneiden sogar den Zugang zum Medizinstudium ohne Wartezeit. Ich nahm am Medizinertest teil, bestand ihn und begann kurz darauf das Medizinstudium. Wie ich es damals geschafft habe, nach Studentenpartys und nur zwei bis drei Stunden Schlaf morgens um sieben Uhr im Anatomiesaal zu stehen, ist mir heute ein Rätsel.

Während des Studiums weckte dann auch zuerst die Anatomie mein Interesse, und ich schwankte ständig zwischen den Überlegungen, später Chirurg, Pathologe, Neurologe, Psychiater oder doch Internist oder Kardiologe zu werden. Als ich dann in einem der letzten Semester, kurz vor dem Staatsexamen, die Vorlesung im Fach Rechtsmedizin hörte, wusste ich, worauf ich immer gewartet hatte. Hier schienen alle Fäden zusammenzulaufen, hier fand ich zum einen auf Grundlage der Anatomie und Pathologie den gesamten medizinischen Fächerkanon wieder, zum anderen reizte mich die psychologische Komponente. Kein anderer Arzt schaut so tief in die menschlichen Abgründe wie der Rechtsmediziner.

Seit meiner damaligen Entscheidung, mich auf Rechtsmedizin zu spezialisieren, sind drei Jahrzehnte vergangen, von denen ich auch nicht an einem Tag bereut habe, dieses medizinische Fach für mich ausgesucht zu haben. In dieser Zeit habe ich etwa 50000 Obduktionen, wahrscheinlich etliche mehr (irgendwann habe ich aufgehört zu zählen) durchgeführt. Ich war auf fünf Kontinenten als rechtsmedizinischer Gutachter tätig und habe in Kamerun, Thailand, Albanien, Ungarn, dem damaligen Bosnien, Ägypten, Marokko, Kasachstan, Brasilien, Australien und in vielen anderen Ländern der Erde Obduktionen im Auftrag der unterschiedlichsten Auftraggeber durchgeführt: für das Bundeskriminalamt, die Generalbundesanwaltschaft, für Interpol, den Vatikan, diverse Regierungen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder auch die Vereinten Nationen.

Ich werde oft gefragt, wie ich es aushalte, in diesem Beruf zu arbeiten, täglich auf so direkte Weise mit dem Tod konfrontiert zu werden. Die Frage ist berechtigt, denn ich habe mit Sicherheit mehr Leid und Grauen gesehen als 99 Prozent der Menschen in unserer Gesellschaft. Feuerwehrleute und Polizisten, die schreckliche Dinge gesehen haben, werden psychologisch betreut, bekommen professionelle Supervision. Wie also verarbeite ich meine Eindrücke?

Ich kann Ihnen versichern, ich bin weder drogenabhängig noch Feierabendalkoholiker, weder depressiv noch traumatisiert. Ich schlafe nachts sehr gut und bin noch nie aus Alpträumen hochgeschreckt, die irgendetwas mit meinem Beruf zu tun hatten. Auch wenn mein Job wie kein anderer ist, kompensiere ich den Stress, die Anspannung und auch die besonderen Herausforderungen, die dieser Beruf mit sich bringt, genau so, wie es »normale« Arbeitnehmer bei ihren »normalen« Jobs machen: mit Laufen an der Spree oder im Tiergarten, Wochenenden an der Ostsee mit meiner Familie, Treffen mit Freunden, mit Kino, Theater oder einem spannenden Buch. Und auch wenn wir im Sektionssaal keine Musik hören, wie es bei den Kollegen im Fernsehen zuweilen der Fall ist, so ziehen wir Rechtsmediziner nicht mit Leichenbittermiene durchs Leben. Und in der Art, wie wir miteinander umgehen, sind wir nicht anders als andere erfolgreiche Teams in ihren Berufen.

Aber etwas ist sowohl für mich als auch für meine Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig: In unserem Beruf muss man objektiv bleiben und Distanz halten: zu dem Geschehen, zu den Opfern, zu den Tätern und zu den eigenen Emotionen. Wir sind Sachverständige, keine Prediger und keine Richter.

Emotionen würden uns die Objektivität nehmen, die wir brauchen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Toten können nichts mehr erzählen. Also versuchen wir für sie zu sprechen, indem wir das herausfinden, was sie uns nicht mehr sagen können. Das ist unser Job. Das heißt nicht, dass alles, was es auf der Welt gibt, an uns abprallt, ohne dass es uns emotional berührt. So kann ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, als Arzt auf einer Kinderkrebsstation zu arbeiten, wo man täglich das Leiden der kleinen Patienten sieht und oft nicht mehr helfen kann.

Die Schicksale der Verstorbenen, die auf meinem Obduktionstisch im »Saal« landen, sind oft furchtbar, und natürlich ist mir das auch bewusst.

Dennoch ist meine Arbeit in erster Linie berufliche Routine. Die besteht im Erheben und Dokumentieren von Befunden, im Sammeln und Auflisten von Fakten, die auf naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzipien beruhen und ausgewertet werden. Wir Rechtsmediziner liefern gerichtsfeste, harte Daten, das ist das Einzige, was wir für die Opfer und ihre Angehörigen tun können. Und es ist die einzig mögliche Art und Weise, unserer übergeordneten Aufgabe gerecht zu werden, die aus meiner Sicht in dem nach wie vor gültigen Diktum besteht: Mortui vivos docent – die Toten lehren die Lebenden. Oder umgekehrt ausgedrückt: Die Lebenden lernen von den Toten.

Wie das? Ist die Rechtsmedizin nicht eine Hilfswissenschaft der Juristerei, die erst dann in Erscheinung tritt, wenn es eigentlich zu spät ist, die zum Einsatz kommt, wenn »das Kind längst in den Brunnen gefallen ist«? Ganz und gar nicht. Dem Menschen, der als Toter in unserem Institut landet, können wir natürlich nicht mehr helfen. Aber die Resultate unserer Untersuchungen helfen den Lebenden.

So ist die Rechtsmedizin neben der Pathologie die Qualitätskontrolle der Medizin schlechthin. Zu unseren Aufgaben gehört es nämlich auch, zu erkennen, ob eine Operationsmethode oder medikamentöse Behandlung versagt hat, oder ob Krankheiten nicht rechtzeitig erkannt worden sind und daraus der Tod eines Patienten resultierte. Das ist von besonderer Bedeutung, wenn man bedenkt, dass es in der Medizin ständig neue operative und medikamentöse Behandlungsmethoden gibt.

Indem die Rechtsmedizin Klarheit darüber bringt, wann, wo und unter welchen Umständen ein Mensch zu Tode gekommen ist, können Mörder und andere Gewaltverbrecher überführt und so weitere potenzielle Opfer vor ihnen geschützt werden.

Und schließlich besteht ein wichtiger Teil der rechtsmedizinischen Arbeit darin, unbekannte Leichen zu identifizieren, oft welche, die kaum mehr zu erkennen sind. So können wir den Angehörigen immerhin einen letzten Dienst erweisen, denn ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als in ständiger Ungewissheit zu leben, ob ein geliebter Mensch, der vermisst wird, tot oder noch am Leben ist. Ich kenne aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung nicht wenige Fälle, in denen Familien darüber zerbrachen und manch einer die Antwort im Alkohol oder gar im Suizid gesucht hat. Möglichst vielen Angehörigen das unerträgliche Hin und Her zwischen Hoffen und Bangen zu ersparen ist sicher nicht weniger wichtig, als zur Aufklärung eines Mordes beizutragen.

Rechtsmediziner zu sein heißt also ganz und gar nicht, sich nur mit dem Tod zu beschäftigen. Stattdessen beschäftigen wir uns aus Sicht des Todes mit dem Leben – und den Lebenden.

Und manchmal stehen wir Rechtsmediziner auf eine sehr spezielle und eigenartige Weise »mitten im Leben«: Als in den 1990er-Jahren das oft tödlich endende S-Bahn-Surfen in Mode kam, wurden Rechtsmediziner als Erste Zeugen dieses neuen »Trends«. Genau so war es bei den »Crash Kids«, Jugendlichen, die sich mit gestohlenen Wagen halsbrecherische Rennen lieferten, in der Hoffnung, dass es der Airbag schon richten wird. Tut er auch häufig, aber halt nicht immer. »Komasaufen«, selbst hergestellte Designerdrogen, die tödlich wirken, satanistische Tötungsrituale, Serienmorde oder Sexpraktiken mit tödlichem Ausgang – die Opfer landen zuerst bei uns auf dem Obduktionstisch, meist unbemerkt von Medien und Öffentlichkeit. Und seien Sie versichert, liebe Leser, Sie wollen gar nicht wissen, was alles nicht publik gemacht wird. Denn sonst könnten Sie – im Gegensatz zu mir – nicht mehr ruhig schlafen.

Ein weiteres Beispiel gefällig? Rohstoffpreise sind seit Jahren nur gestiegen, unter anderem für Kupfer. Sie meinen, das interessiert nur Börsianer? Weit gefehlt. Manche Menschen ziehen mit Bolzenschneidern los, um Kupferkabel zu stehlen. Allerdings stehen diese Kabel häufig unter Starkstrom. Die verkohlten Leichen mit den Bolzenschneidern landen dann bei uns auf dem Sektionstisch.

Wie Sie sehen, gibt es also gute Gründe, den Tod näher in Augenschein zu nehmen. Das hat sich offenbar schon vor einiger Zeit herumgesprochen, denn in den letzten Jahren hat die Rechtsmedizin einen regelrechten Boom erfahren.

Allerdings hauptsächlich in der bunten Welt der Medien. Amerikanische Fernsehserien wie Dexter, Navy CIS, Bones – die Knochenjägerin, Simon Becketts Die Chemie des Todes oder CSI: Den Tätern auf der Spur haben eine begeisterte Anhängerschaft, und auch in den Krimis und Thrillern auf dem Buchmarkt und im Kino werden immer häufiger und detaillierter Obduktionen beschrieben und forensische Aspekte berücksichtigt. Ebenso liest man immer häufiger in der Presse von Obduktionsergebnissen, toxikologischen Befunden und Aussagen der Staatsanwaltschaft zu einem Ermittlungsverfahren, die sich auf rechtsmedizinische Untersuchungsergebnisse stützen.

Leider jedoch ist vieles von dem, was in Romanen, TV-Serien und Kinofilmen an rechtsmedizinischen Zusammenhängen in Umlauf gebracht wird, so fiktional wie die erfundenen Figuren. Deshalb habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Damit Interessierte mehr über den tatsächlichen Alltag eines Rechtsmediziners erfahren und über die Details der nicht immer alltäglichen Recherchen am toten menschlichen Körper.

In diesem Buch werde ich von dreizehn Todesfällen berichten und anhand dieser Fälle, die sich alle genau so ereignet haben und von mir in den letzten Jahren untersucht worden sind, die Methoden und Untersuchungstechniken der Rechtsmedizin erläutern. In manchen Kapiteln geht es mehr um den Fall und die Rätsel, vor denen die Ermittler standen, in anderen erfahren Sie mehr über Zusammenhänge und Phänomene wie »Leichendumping« oder »Suizidales Höhlenverhalten«. Namen, Daten und Orte habe ich selbstverständlich geändert (außer im allgemein bekannten und medial bereits ausführlich dargestellten Fall Jessica), um die Persönlichkeitsrechte der Toten und ihrer Angehörigen zu schützen.

Es sind nicht die »Brisanten Fälle auf dem Seziertisch«, wie ein emeritierter Kollege sein Buch nannte, sondern es ist die alltägliche Arbeit des Rechtsmediziners, die die Menschen interessiert. Und so müssen Sie hier auch nicht zum zwanzigsten Mal lesen, wie Marilyn Monroe starb, oder neue Verschwörungstheorien zum Tod von Kurt Cobain oder Whitney Houston über sich ergehen lassen. Stattdessen gebe ich Ihnen einen Einblick in den rechtsmedizinischen Arbeitsalltag.

Tötungsdelikte, also Todesfälle durch Mord und Totschlag, sind für den erfahrenen Rechtsmediziner vergleichsweise einfach zu bearbeiten. Mit wie vielen Messerstichen ein Mensch getötet wurde, aus welcher Richtung und mit welcher Wucht sie auf das Opfer trafen und auch, welche Art von Messer (einschneidig, zweischneidig, mögliche Klingenlänge und -breite) die Verletzungen verursachte, all das sind Routinefeststellungen, die »lediglich« gute medizinische und physikalische Grundkenntnisse und eben rechtsmedizinische Erfahrung voraussetzen. Spannender sind die Todesfälle, die keine öffentliche Aufmerksamkeit durch Fernsehen oder Printmedien bekommen, Fälle, die zur täglichen Routinearbeit im Sektionssaal gehören und sehr wohl rechtsmedizinisch wie kriminalistisch anspruchsvoll sind. Bei diesen Fällen ist neben unserem rechtsmedizinischen Handwerkszeug auch eine gehörige Portion Kombinationsgabe und Akribie bei der Rekonstruktion der Geschehnisse gefragt. Und gerade das Beachten kleiner Details (die oft genug den Weg zur Lösung des Falls weisen) zeichnet im Verbund mit einer großen Hartnäckigkeit den guten Rechtsmediziner aus. Da muss es nicht immer brisant zugehen.

Kaum jemand kennt die Grundlagen, Methoden und Techniken unserer täglichen Obduktionspraxis oder weiß Näheres über die tatsächliche Rolle der Rechtsmedizin. So laufen kriminalistische Ermittlungen nicht in der Rechtsmedizin zusammen, wie es manchmal gerne dargestellt wird, sondern die Ergebnisse unserer Arbeit sind häufig nur Teile in einem großen Puzzle, wenn auch meist entscheidende.

Beim Lesen dieses Buches werden Sie Zeuge, wie meine Kolleg*innen und ich Beweise sammeln, Ungereimtheiten nachgehen und Obduktionsprotokolle erstellen. Sie werden erleben, wie das rechtsmedizinische Team Licht in das Dunkel bringt, in dem zunächst noch die Nacht des Todes herrscht.

Der Beruf des Rechtsmediziners ist wie kein anderer. Und auch die hartgesottensten Thriller-Fans unter Ihnen werden mir am Ende des Buches zustimmen, wenn ich sage: Die Fiktion ist nicht bigger than life – es ist genau umgekehrt.

 

Michael Tsokos

Berlin, im Sommer 2024

Die Fälle

Das Skelett auf der Rückbank

Die Szenerie wirkte wie aus einem Actionfilm, aber ich saß nicht im Kino oder vor dem Fernseher, sondern fuhr in meinem Wagen auf den Tatort zu, zu dem ich wenige Minuten zuvor gerufen worden war.

Schon aus drei Kilometern Entfernung hatte ich die Rauchwolke am Himmel erblickt. Während ich mich nun der Straßensperre näherte, standen Einsatzwagen der Feuerwehr und der Polizei auf dem Seitenstreifen der Landstraße, ein Krankenwagen hatte das Blaulicht noch angeschaltet. Polizeibeamte sprachen in Funkgeräte, und Kriminaltechniker in Papieranzügen liefen geschäftig mit ihren Asservatenkoffern hin und her. Ich ging zum Kommissar, der neben dem Hauptobjekt des Interesses stand: einem verkohlten Fahrzeugwrack, das aussah, als wollte es jeden Moment in sich zusammenfallen. Hier, auf der Landstraße zwischen Dunsdorf und Alsfeld, war der Wagen in voller Fahrt explodiert und anschließend von den Flammen regelrecht verzehrt worden.

Wir Rechtsmediziner werden nur an den Tatort gerufen, wenn der dringende Verdacht eines nicht-natürlichen Todes – also eines Mordes, Suizids oder Unfalls – besteht und zur Rekonstruktion des Tathergangs auch rechtsmedizinisches Know-how erforderlich ist. Beispielsweise werden wir gerufen, um vor Ort festzustellen, ob ein gewaltsamer Tod zu einem Tatwerkzeug passt, das am Tatort hinterlassen wurde, oder ob ein Sturz von der Treppe tatsächlich stattgefunden hat oder fingiert war.