Mit Marx gegen Marx - Stefan Blankertz - E-Book

Mit Marx gegen Marx E-Book

Stefan Blankertz

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Beschreibung

»Um Marx zu widerlegen, muss man nicht selten bloß – Marx zitieren.« Die zentrale These des Buches lautet: Karl Marx habe zwar durchaus die »immanenten Entwicklungstendenzen des Kapitals selbst erklären« wollen, jedoch nur aus dem Grunde, weil die Ideologen des (vermeintlichen) Kapitalismus dessen Funktionieren ohne Staat postulierten, ein Postulat, das Marx eben als Ideologie hatte entlarven wollen. Heute lautet die Ideologie der anscheinend kapitalistischen Staaten genau umgekehrt, der Kapitalismus funktioniere nicht nur nicht ohne Staat, sondern sei auch nur von sozialem Vorteil aufgrund staatlicher Interventionen. Für diese Ideologie wird Marx vereinnahmt. Dagegen ist Protest einzulegen. Widersprüche bei Marx werden vom Autor nicht harmonisiert, vielmehr produktiv gemacht nicht nur für eine neue Sicht auf Marx, sondern auch vor allem für eine bessere Analyse des Schreckens und für eine bessere Analyse, ihn zu überwinden. Marx ist nicht freizusprechen davon, die Systeme marxistischen Schreckens angeregt zu haben, und dennoch ist es auch im Namen der Opfer, dass das in Anschlag gebracht wird, was von Marx gegen die Systeme des marxistischen Schreckens nutzbar ist. Herzstück des Buches ist die Widerlegung der zehn berühmten Forderungen im »Kommunistischen Manifest« mit Hilfe von Marx-Zitaten. »Die Marxisten haben die Irrtümer von Karl Marx bezüglich der ökonomischen Rationalität von Planwirtschaft und eigentums-entfremdender Gemein­wirtschaft dogmatisiert, während sie die befreiende Dynamik seiner historischen Dialektik verwarfen: Der Marxismus verbreitet sich nach wie vor in dieser Form, weil er derart den Herrschenden, den Staatsprofiteuren, nutzt. Marxismus ist Ideologie im Sinne von Marx. Es kömmt aber darauf an, das Marx’sche Gold aus dem Schatten zu bergen: den Kapitalismus.«

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edition g.

1xx Theorie

2xx Poesie

3xx Historie

4xx Therapie

Stefan Blankertz | 1956 | »Wortmetz« | promoviert in Soziologie, habilitiert in Pädagogik; & Rothbardero-Avantgardist seit 1980.

Inhalt

I. Wozu Marx?

II. Treibgut

III. Die 11 andern Thesen: Historisch-induktiv mit Marx gegen Marx

IV. Die 11 ersten Thesen: Logisch-deduktiv gegen Marx mit Marx

V. Mit Marx gegen die Forderungen des

Kommunistischen Manifests

VI. Mit Marx gegen die unvollständige Kapitalismusanalyse

VII. Mit Marx gegen die Ideologie der »Arbeitswertlehre«

VIII. Gegen die Geldillusion: Eine marxistische Verteidigung des Geldes

IX. Gegen die Bodenillusion: Eine marxistische Verteidigung des Grundeigentums

X. Karl M. Rothbard oder Murray K. Marx

XI. Die historische Dialektik des Marxismus: Beschließende 11 Thesen

K. Marx (und F. Engels) werden nach der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebenen Ausgabe Karl Marx Friedrich Engels Werke (MEW) zitiert, die die Bände 1 bis 43 umfasst; Band 26 gliedert sich in 26.1 bis 26.3. Diese Ausgabe hat verschiedene Auflagen in den Jahren 1956 bis 1990 im Dietz-Verlag (Ost-Berlin) erfahren, die aber jeweils seitengleich sind. Gegenüber den Originaltexten ist die Rechtschreibung dieser Ausgabe modernisiert (Eigenheiten wie das berühmte Marx’sche kömmt wurden beibehalten). Darum finde ich es vertretbar, die ß/ss-Regel der neuen Rechtschreibung zu benutzen, sonst jedoch nicht in die Texte einzugreifen. Die Zusammenfassung des ersten Bandes von »Das Kapital« unter dem Titel »Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses« durch Marx selber sind nicht in den MEW enthalten. Sie zitiere ich nach der Ausgabe Berlin 2009: Dietz-Verlag.

Manche Schlüsselaussagen werden mehrfach zitiert, denn in den unterschiedlichen Kontexten entfalten sie einen jeweils besondren Sinn.

I. Wozu Marx?

1.

Grün schillernder Mistkäfer. — Spätestens seit dem Bankrott des Sowjetimperiums und des allmählichen Übergangs der Volksrepublik China in die »Normalität« dessen, was Kapitalismus genannt wird, ist Karl Marx (1818-1883) zum Gemeingut von Demokraten, Ökokraten001 u.a. moralischen Gauleitern auf der linken wie der rechten Seite der Politik, vor allem aber ihres Zentrums geworden. Da kaum einer die Überlegenheit und die Unvermeidlichkeit des Kapitalismus noch bezweifelt, dessen Walten als Zerstörer von Natur,002Lebensfreude und sozialer Gleichheit, seine Tendenz zur Monopolisierung, Entfremdung und Produktion von überflüssigen Bedürfnissen via Werbung und anderer diabolischhypnotischer Werkzeuge andererseits von niemandem in Frage gestellt werden kann, der nicht harsche Ausgrenzung aus dem Kreis der menschlichen Kultur riskieren will, wird der »Marxismus« in eine ausufernde, scheinbar friedlichharmonische, in Wirklichkeit jedoch äußerst brutale und rücksichtslose Staatstätigkeit übersetzt, die alles und jedes regelt, von der Krümmung der Banane bis zum letzten, den Treibhauseffekt generierenden Furz. Zeit, auf Marx einen Blick zu werfen.

2.

Dialektische Phänomenologie. — »Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsformen und das Wesen unmittelbar zusammenfielen.«003 Auch die Erscheinungsform des »Marxismus« wäre durchaus zu unterscheiden von Marxens Wesen. Angesichts dessen, dass Marx zum Götzen aller Etatisten geworden ist, die den Kapitalismus fürchten wie der Teufel das Weihwasser, gälte es, sein staatskritisches gegenüber seinem kapitalismus-kritischen »Wesen« zu rekonstruieren, ohne aber die Augen zu verschließen vor den Erscheinungsformen seiner Unzulänglichkeiten, Fehler und Irrtümer. Kritische Rekonstruktion von Marx muss heute erklären, was er beitrug zu der unkritischen Indienstnahme seiner Lehre für den Erhalt des schlechten Bestehenden.

3.

Marx & ich. — Lange schlug ich um Karl Marx einen großen Bogen. Denn er war es, der die Helden meiner Jugend, Max Stirner,004 Pierre-Joseph Proudhon,005 Michael Bakunin006 verhöhnt, diffamiert und bekämpft hatte.007 Die Marxisten ihrerseits lächelten über die Anarchisten: Ihnen fehle jede Einsicht in die »ökonomischen Verhältnisse«. Und da dies nicht ganz unwahr ist, übernahmen etliche Anarchisten (angefangen von Michael Bakunin) die marxistische Ökonomie kritiklos. Zwingt die denn aber nicht geradewegs zu der Erkenntnis, dass das freie Handeln der Menschen notwendig zu Kapitalismus, Ausbeutung, Massenelend & Krieg führt? Als ich dann 1980 Murray N. Rothbard008 entdeckte, gab es die Antwort von einem Ökonomen: Das freie Handeln kann nie als freies bestehen ohne wirtschaftliche Freiheit, ohne Kapitalismus. Kapitalismus, dieses für einen Linken, selbst anarchistischen Außenseiter, ›doppelplusungute‹ Schimpfwort, derart positiv verwandt zu sehen, machte mir Gänsehaut – manchmal tut es das noch immer. Zugleich leuchtete Rothbards These mir ein, Freiheit ließe sich nicht denken im Rahmen unfreier Ökonomie.009 Folglich war Marx überfüssig, der Anarchismus erwachsen geworden und mit der fortschrittlichsten ökonomischen Theorie verbunden. 1998 versetzte mir der Schweizer libertäre Philosoph Christian Michel abermals einen Schock, indem er forderte, Libertäre sollten Marx und Engels lesen, »Der Klassenkampf ist nicht vorbei«.010 Später ging Christian Michel dann so weit, sich als »Marxisten« zu bezeichnen.011 Die Herausforderung nahm ich an und entwickelte im »Libertären Manifest«012 Rothbard und Marx verbindend eine eigene Klassentheorie. Erst Rothbards Spätwerk zur Geschichte des ökonomischen Denkens013 führte mir vor Augen, in welchem Ausmaße die Irrtümer von Marx nicht nur durch Ricardo,014 sondern auch bereits durch den vielgepriesenen Adam Smith015 vorweggenommen worden waren und wie sehr Marx mit diesen Irrtümern gekämpft hat. »Mit Marx gegen Marx« zeichnet das Drama des verlorenen Kampfes von Marx gegen die Unzulänglichkeiten der klassischen Nationalökonomie nach.

4.

Betäubungsmittel des Denkens. — Wie jeder sakrale Text unterliegt Marx dem Dawkins-Theorem:016 Ihnen können wir das Eine ebenso wie das Gegenteilige entnehmen. Nur durch selektives Lesen lässt sich ein Standpunkt aus einem sakralen Text extrahieren, wobei ein sach-fremder Standpunkt die Selektion bestimmt, der nicht auf immanenter Analyse des Textes beruhen kann. Im Folgenden vermeide ich es, Widersprüche bei Marx zu harmonisieren, vielmehr lasse ich sie produktiv werden für eine neue Sicht auf Marx; darüber hinaus auch für eine bessere Analyse des Schreckens und vor allem für eine bessere Analyse, ihn zu überwinden. Harmono[log]isierung wäre Vernichtung.

5.

Bei alle dem, was man Widersprüchliches bei Marx finden mag: Dass er ein Kommunist war,017 Antikapitalist, scheint unzweifelhaft zu sein. Er bezeichnete sich als Kommunist. Da die Analyse jedoch zeigt, dass die historische Realität des Kapitalismus alles andere ist als das, was er zu sein scheint und was er zu sein vorgibt, nämlich das soziale Ergebnis der Interaktion freier Individuen, so lässt sich sehr wohl fragen, ob das, was wir durch die Jahrzehnte der kommunistischen Schreckensherrschaften als Kommunismus zu bezeichnen uns angewöhnt haben, etwas ganz anderes ist ... oder doch zumindest sein müsste. Das Ergebnis der Analyse entspricht sicherlich nicht den Meinungen von Marx, wahrscheinlich widerspricht es seinen Hoffnungen und schlägt zentralen Aspekten seiner Theorie geradewegs ins Gesicht, und dennoch kann die Analyse den Anspruch erheben, marxistisch zu sein. – Oder anders: Marx blieb dort Kommunist, wohin seine Analyse nicht reichte.

6.

»Ich bin zu diesem Schluss gekommen: Wie Luther, doch nicht wie Hegel oder Marx, denke ich, dass der Weg, die Entfremdung zu überwinden, dorthin führt, daheim zu bleiben und sich nicht auf eine Reise durch die Geschichte und die Sphären des Daseins zu begeben. Andererseits ist es auch wahr, dass selbst jener, der den ›steinigen Weg‹ geht, abkommen wird, sich hierbei aber keiner Verfehlung schuldig macht.«018

7.

Marginalie. — Die Widerlegung marxistischer Wirtschaftstheorie durch Eugen Böhm-Bawerk019 greift an bei einem Punkt – der »Transformation von den (Arbeits-)Werten in (Markt-)Preise«020 –, der dem, den Grausamkeit und Ungerechtigkeit des Kapitals empören, dermaßen nebensächlich erscheinen muss, dass sie ihn schlechterdings nicht berührt. Böhm-Bawerks Triumph über die marxistische Wirtschaftstheorie nahm Ludwig von Mises als gegeben und gelungen. Er setzte darum auf die Widerlegung der Umsetzbarkeit des Marxismus, der sozialistischen Übergangsphase.021 Aber praktische Ansätze wie etwa der »Stundenzettel« über die geleistete Arbeitszeit, der das kapitalistische Geld ersetzt und den Tausch somit gerechter macht, sind schon durch Marx selber widerlegt worden.022

8.

Um Marx und um Marx pur geht’s im Folgenden. Sekundärliteratur ziehe ich bloß in Ausnahmefällen zu Rate. Die Geschichte der Marx-Rezeption ist lang, verworren, komplex, vor allem hauptsächlich unerfreulich, über Phasen hinweg öd. Ich gehe davon aus, dass Lenin, Stalin, Trotzki und Mao ohne theoretischen Belang seien und keine intellektuelle, sondern, falls überhaupt, moralische Verachtung verdienen. In wenigen Fällen benenne ich Highlights der marxistischen Literatur und zitiere ich aus ihnen, um in groben Zügen die Entwicklung des Marxismus zu skizzieren. Das Buch soll in übersichtlicher Form meine zentrale These darlegen, zum Nachdenken und Weiterforschen anregen, nicht mit den inhaltsleeren Ritualen akademischer Gelehrtheit erschlagen. Die zentrale These: Marx habe durchaus die »immanenten Entwicklungstendenzen des Kapitals selbst erklären«023 wollen, jedoch nur aus dem Grunde, weil die Ideologen des (vermeintlichen) Kapitalismus dessen Funktionieren ohne Staat postulierten, ein Postulat, das Marx eben als Ideologie zu entlarven sich aufgab. – Heute lautet die Ideologie der anscheinend kapitalistischen Staaten genau umgekehrt, der Kapitalismus funktioniere nicht nur nicht ohne Staat, sondern sei auch nur von sozialem Vorteil aufgrund staatlicher Interventionen. Für diese Ideologie wird Marx vereinnahmt. Dagegen ist Protest einzulegen.

9.

Das Verfahren dialektischer Polemik leitet sich von Marx selber her. Weite Strecken der »Deutschen Ideologie«024 und anderer polemischer Schriften von Marx & Engels bestehen fast bloß aus einer geschickten Montage von Zitaten, durchzogen mit knappen, ätzenden Zwischenbemerkungen ... Ich werfe Molotowcocktails Dir ins Hirn.

10.

Gewidmet den Opfern des Marxismus. Ich wollte beginnen, einige aufzuzählen, und bleibe bei großen Zahlen hängen, Hungerkatastrophen unvorstellbarer und bis hierhin unbekannter Ausmaße, Massendeportationen, Hinrichtungen, Lager, Opfer von Aggressionskriegen ... Jeder Einzelne muss den »eigenen« Kelch trinken. Und jeder hat als Einzelner gelitten.025 Marx ist nicht freizusprechen davon, die Systeme marxistischen Schreckens angeregt zu haben, und dennoch ist es auch im Namen der Opfer, dass ich jenes in Anschlag bringe, was von Marx gegen die Systeme des marxistischen Schreckens nutzbar ist.

11.

Gegen? Mit? — »Ja mach’ nur einen Plan« (Bert Brecht).026 Der erste Plan für das vorliegende Buch bestand darin, ein dokumentarisches Schauspiel – zusammengesetzt aus nichts als Marx-Zitaten, verteilt auf die Rollen des Staatsanwalts bzw. eines Anklägers, des Richters, des Verteidigers und eines »Experten« – nach meinen Vorbildern Peter Weiss027 und Hans »Magnus« Enzensberger028 zu gestalten. Alles war fertig geplant, bis darauf, dass das Material sich sperrte. Vielleicht hören Sie beim Lesen dennoch die Stimmen aus dem Off.

001 Obgleich es gegen alle vor-industrielle Romantik bei Marx heißt: »In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den ›Bauer‹, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen Umwälzungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewusste, technologische [sic] Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet.« Karl Marx, Das Kapital I (1867), MEW 23, S. 528.

002 Die andere Seite der Medaille, nach Marx: »Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozess.« Karl Marx, Das Kapital I (1867), ebd., S. 529. Die Empirie hat gezeigt, dass die ökologischen sowie die ökonomischen Zerstörungen, die die staatssozialistische Planwirtschaft zu verantworten hat, ungleich größer und lebensbedrohlicher sind. ... mangels geeigneter Deponien kippte das Chemiekollektiv hochgiftige Rückstände in ...

003 Karl Marx, Das Kapital III (1865), MEW 25, S. 825. Parenthese zu: Die »Vulgärökonomie« – (lies: der Vulgärmarxismus) – fühlt »gerade in der entfremdeten Erscheinungsform der ökonomischen Verhältnisse, worin diese prima facie abgeschmackt und vollkommene Widersprüche sind [...], sich vollkommen bei sich selbst und ihr« – (ihm) – erscheinen »diese Verhältnisse um so selbstverständlicher, je mehr der innere Zusammenhang an ihnen verborgen ist, sie aber der ordinären Vorstellung geläufig sind.«

004 Max Stirner (1806-1856), Junghegelianer; mit »Der Einzige und sein Eigentum« (1843) inspirierte er den »individualistischen Anarchismus«. 1847 übersetzte er »The Wealth of Nations« von Adam Smith.

005 Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865), französischer Revolutionär und hegelianischer Ökonom. Er war es, der den Begriff »Anarchismus« als die Bezeichnung für die soziale Bewegung zur Abschaffung staatlicher Herrschaft prägte.

006 Michael Bakunin (1814-1876), russischer Anarchist. Konkurrent von Karl Marx in der Internationalen Arbeiter-Assoziation (»1. Internationale«, IAA). 1869 unvollendete Übersetzung von »Das Kapital« ins Russische.

007 Stirner in: Die deutsche Ideologie (1846), MEW 3, S. 101ff; Proudhon in: Das Elend der Philosophie (1847), MEW 4, S. 63ff; Bakunin in: Konspekt von Bakunins Buch »Staatlichkeit und Anarchie« (1875), MEW 18, S. 597ff.

008 Murray Rothbard (1926-1995), anti-imperialistischer und Antikriegs-Aktivist, Begründer der modernen libertären Bewegung »jenseits von rechts und links« und der Theorie des Anarchokapitalismus. Wechselnde Koalitionen. Doch immer primär gegen Krieg.

009 Murray Rothbard, Für eine neue Freiheit: Kritik der politischen Gewalt (1973/78), 2 Bände, Berlin 2012 (edition g. 102 und 103).

010 Christian Michel, The Class Struggle is Not Over: Why Libertarians Should Read Marx and Engels (1998), London 2000. »Marx was a believer in property rights. It is because the worker’s work is his property that Marx may conclude the worker is dispossessed of his remuneration.«

011 Christian Michel, Why There Are So Few Libertarians (and Why It Doesn’t Matter), 2008. Entwickelt wird in diesem Vortrag die marxistische These, es sei völlig unerheblich, wie viele Menschen den Staat bekämpfen, denn er schaffe sich aufgrund seiner inneren ökonomischen Widersprüche selber ab.

012 Zuerst Grevenbroich 2001. Die völlig neubearbeitete Ausgabe: Berlin 2012 (edition g. 104).

013 Murray Rothbard, An Austrian Perspective on The History of Economic Thought (1995), zwei Bände (ein dritter war geplant; es existieren davon jedoch nur einige Audiotapes), Auburn 2006. Marx sind im zweiten Band fünf Kapitel gewidmet, gut 100 Seiten.

014 David Ricardo (1772-1823), britischer Nationalökonom, führender Vertreter der Arbeitswertlehre, der neben Adam Smith auch heute noch große Bedeutung für die ökonomische Theorie hat. – Üblicherweise zum klassischen Liberalismus gezählt, deklassiert ihn Rothbard in der »History of Economic Thought« (1995) schlicht zum Sozialisten. Schon der einflussreiche amerikanische Ökonom Henry Charles Carey (1793-1879), selber ein Befürworter staatsinterventionistischer Wirtschaftspolitik im Gegensatz zum britischen laissez faire, »denunziert« David Ricardo »als Vater des Kommunismus« (Karl Marx, Theorien über den Mehrwert [1863], MEW 26.2, S. 163). Careys Einfluss beweist, dass schon im 19. Jahrhundert das Selbstverständnis der amerikanischen Wirtschaftsvertreter sich stark aus dem Wunsch speiste, in der Regierung einen mächtigen Verbündeten für die Entwicklung ihrer Interessen zu finden. Der Korporatismus ist eben nicht eine Erfindung des 20. Jahrhunderts.

015 Adam Smith (1723-1790), wird üblicherweise zu dem Begründer der klassischen liberalen Nationalökonomie und der Lehre des laissez-faire-Kapitalismus stilisiert, von Murray Rothbard in der »History of Economic Thought« (1995) dagegen für gravierende Mängel in der Theorie haftbar gemacht, die unweigerlich für den Sozialismus den Weg ebnen; Rothbard zeigt (im ersten Band) darüber hinaus, dass vor Adam Smith bessere ökonomische Theorien entwickelt worden waren.

016 Richard Dawkins, Der Gotteswahn (2006), Berlin 2008. Vgl. zu meiner Rezeption: Minimalinvasiv, Berlin 2012 (edition g. 101), S. 29ff.

017 »Der Schlüssel zu dem verwickelten und gewaltigen Denksystem, das Karl Marx geschaffen hat, ist im Grunde genommen einfach: Karl Marx war Kommunist. Eine scheinbar banale oder triviale Feststellung zu den unzähligen von Jargon durchzogenen marxistischen Konzepten der Philosophie, Ökonomie, Geschichte, Kultur etc. Doch Treue zum Kommunismus war der zentrale Punkt von Marx, mehr als die Dialektik, der Klassenkampf, die Mehrwerttheorie und der ganze Rest.« Murray Rothbard, An Austrian Perspective on The History of Economic Thought (1995), 2. Band, Auburn 2006, S. 317.

018 Paul Goodman, Crazy Hope & Finite Experience (1972), San Francisco, CA 1994, S. 51. Zu Paul Goodman vgl. Stefan Blankertz, Minimalinvasiv, Berlin 2012 (edition g. 101), S. 99ff.

019 E. Böhm-Bawerk, Zum Abschluss des Marxschen Systems, Berlin 1896. Eugen Böhm Ritter von Bawerk (1851-1914), einer der Mitbegründer der »Österreichischen Schule der Ökonomie«.

020 Siehe Kapitel VII.

021 Ludwig von Mises, Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 47 (1920), S. 86ff. Oskar Lange (1904-1965), ein Vertreter des »Konkurrenzsozialismus«, bemerkte, in jedem Ministerium für Sozialisierung und Planwirtschaft müsse eine Statue für Ludwig von Mises errichtet werden, weil seine Kritik den Sozialismus erst lebensfähig gemacht habe. Vgl. Oskar Lange, On the Economic Theory of Socialism (1936), in: Oskar Lange, Economic Theory and Market Socialism, Northampton, MA 1994, S. 252. Ludwig von Mises (1881-1973) sah sich nicht als Anarchisten, aber als Lehrer Murray Rothbards wurde er zum Inspirator des Anarchokapitalismus.

022 Siehe These VII.10 und Kapitel VIII. Trotzdem ist die Attraktivität dieser Idee für Marxisten bis heute ungebrochen. Vgl. z. B. W. Paul Cockshott und Allin Cottrell, Alternativen aus dem Rechner: Für sozialistische Planung und direkte Demokratie (1993), Köln 2012.

023 Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1972, S. 459. Das Buch des Trotzkisten Ernest Mandel (1923-1995) ist einer der wenigen immer noch lesenswerten Versuche, die marxistische Wirtschaftstheorie nach dem Nichteintreten fast aller der Vorhersagen von Marx in ihrer ursprünglichen Form aufrechtzuerhalten.

024 1846, MEW 3. Erstveröffentlichung 1932.

025 Redlich bemüht habe ich mich um sie, um die Quadratur des Leidens: Stefan Blankertz, Das Maodeking: Gebet für Eutimio Guerra, Berlin 2014 (edition g. 308).

026 Bertolt Brecht, Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens, aus: Die Dreigroschenoper (1928). »Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« Hätte Brecht seinen Marx mit mehr Sinn und Verstand gelesen, wüsste er, dass dies kein Argument gegen den Kapitalismus, vielmehr gegen den Staat ist. Und dass die Anstellung eines Mannes in der Tat nicht eine Verlängerung der Ermordung eines Mannes mit anderen Mitteln darstellt, sondern das gerade Gegenteil. Aber warum Marx lesen, wenn man doch weiß, dass Marx»eszuerstunternahm, die Verhältnisse zwischen Menschen aus ihrer Erniedrigung und Vernebelung in der kapitalistischen Wirtschaft wieder ans Licht der Kritik zu ziehen«? Walter Benjamin, Brechts Dreigroschenroman (1935) in: ders., Versuche über Brecht, Frankfurt/M. 1966, S. 94. ?!: »Steigerung des Geldlohns der Fabrikarbeiter trotz der Verkürzung des Arbeitstags, große Zunahme der Zahl der beschäftigten Fabrikarbeiter, anhaltendes Fallen der Preise ihrer Produkte, wunderbare Entwicklung der Produktivkraft ihrer Arbeit, unerhört fortschreitende Ausdehnung der Märkte für ihre Waren.« Karl Marx, Lohn, Preis und Profit (1865), MEW 16, S. 110.

027 Peter Weiss, Die Ermittlung (1965), Frankfurt/M. 2008. – ZEUGE: da endlich verstand ich | um sich von den Verbrechen reinzuwaschen | die er gerade begangen hatte | zwang Mao Tse-tung die Bauern | die der Hunger gefühllos gemacht hatte | zu Tausenden und Abertausenden | ihre einstigen Gefährten | mit der Hacke | zu erschlagen | um mit dem Fleisch derer | mit denen sie aufgewachsen waren | ihren Hunger zu stillen STAATSANWALT: Marx ist nicht Mao | dieser hat jenen falsch verstanden | und überhaupt | ist es nicht umstritten | wie viele starben | und ist es nicht so | dass auch im benachbarten Indien | zur gleichen Zeit | Unzählige verhungerten

028 Hans M. Enzensberger, Das Verhör von Habana, Frankfurt/M. 1970. Bedeutender von ihm war mir, natürlich, sein »Roman« Der kurze Sommer der Anarchie, Frankfurt/M. 1972. – STAATSANWALT Herr Guevara, können Sie uns sagen, wie Sie zum Staatsfeind wurden? CHE Nun, die Yankees sind der größte Feind der Menschheit und ich sehe nur eine Option gegen diese Hyänen, den Völkermord. Die revolutionäre Regierung ist entschlossen, die Probleme des Volkes zu lösen. Wir sind keine Parteigänger der Selbstverwaltung. Der Generalplan des Staats ist die höchste Autorität. STAATSANWALT(verwirrt) Und wo sehen Sie die Differenz? CHE Das frage ich Sie. Ihre Anklage ist offensichtlich unbegründet, Genosse Staatsanwalt.

II. Treibgut

1.

Wozu Marx? — Tausch von Äquivalenten; Widerspruch von Gebrauchs- und Tauschwert: Aristoteles.029 Der Warenpreis ist die Summe der Faktorenpreise, die sich auf den Preis der Arbeit reduzieren lassen; Kapital als »kommandierte Arbeit«: Adam Smith.030 Den Wert einer Ware bestimmen die Arbeitsquanten, die zu ihrer Produktion aufgewendet werden müssen: David Ricardo.031 Grundbesitz ist ungerecht und nicht legitim: Herbert Spencer.032 Die bürgerliche Gesellschaft kann nie reich genug sein, um die Armut in ihrer Mitte zu überwinden: G.W.F. Hegel.033 Wozu Marx? Wenn nicht, um diese »bürgerlichen« Theorien zu überwinden und den Kapitalismus gegen sie zu verteidigen?

2.

Falsche Rücksicht. — Marx kannte »seinen« Malthus:034Ohne den Kapitalismus, unter also vorkapitalistischen Verhältnissen hätte ein Großteil seiner Zeitgenossen nicht überlebt.035Wann immer er von einer »Rücksichtslosigkeit«036 der kapitalistischen Entfaltung der Produktivkräfte spricht, drückt sich darin Bewunderung und Dankbarkeit aus. Jede Rücksicht auf die Interessen der Feudalherren schloss den Tod vieler Menschen ein.

3.

Opium des Volks. — Wie konnte, der da sagte, »Radikalkur der [Presse-] Zensur wäre ihre Abschaffung«,037 zu einem Säulenheiligen von Systemen werden, in denen Zensur der Presse fröhliche Urständ feierte (oder, in ihren Überresten, noch feiert)? Genau aus dem gleichen Mechanismus heraus, durch den man den, der da sagte, »wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen«,038 den Gott machte, dem seit 312 n.Chr. Feldherrn aller Welt huldigen. Religion »ist das Opium des Volks.«039 Religion, der Marxismus eingeschlossen.

4.

Dialektik von Egoismus und Altruismus. — Sollte es wahr sein, dass Marx ein Kollektivist, ein in der Wolle gefärbter Kommunist war, der dem Gebrauchswert, dieser rein subjektiven Betrachtung eines Gegenstandes unter dem Gesichtspunkt der eigenen, rein egoistischen Verwertbarkeit, huldigte, während er den Tauschwert, der nichts darstellt als den kollektiven Ausdruck individueller Gebrauchswerte,040 ganz und gar undialektisch moralisch verwarf? – Das mag glauben, wer will; ich nicht. – Marx, soziologisch unzweifelhaft geprägt von jüdisch-deutscher Bürgerlichkeit. Friedrich Engels (1820-1895), soziologisch sicherlich aufgewachsen in der Kultur pietistischer Baumwollfabrikanten. Heißt es nicht, das Sein bestimme das Bewusstsein?041 Was heißt das bezogen auf Marx und Engels?

5.

Die Arbeitswertlehre ist in einer Hinsicht realistisch: Bloß Arbeit kann einem Ding Wert verleihen. Selbst ein vorgefundenes Ding besitzt nur Wert, wenn es eben gefunden und für Wert befunden wird, für den eigenen Gebrauch oder den des Nächsten nützlich. Der Wert der Arbeit aber drückt sich nicht im Zeitaufwand,042 vielmehr darin aus, wieviel Wert das Ding für den Käufer hat. Wert entsteht nicht außerhalb der sozialen Sphäre.043 Ebenso realistisch ist die Rede von Mehrarbeit, Mehrprodukt und Mehrwert. Bloß aus mehr Arbeit, mehr Produktion und Schaffen von mehr Werten, als für die Subsistenz notwendig, kann Wohlstand entstehen.

6.

Die Politik schafft die Probleme, die zu lösen sie vorgibt. — »Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staats [sic], sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen. [...] Sofern der Staat soziale Missstände zugesteht, sucht er sie entweder in Naturgesetzen, denen keine menschliche Macht gebieten kann, oder in dem Privatleben, das von ihm unabhängig ist, oder in der Zweck-Widrigkeit der Administration, die von ihm abhängt. So findet England das Elend in dem Naturgesetz begründet, wonach die Bevölkerung stets das Subsistenzmittel überschreiten muss. Nach einer andern Seite hin erklärt es den Pauperismus aus dem schlechten Willen der Armen, wie ihn der König von Preußen aus dem unchristlichen Gemüt der Reichen und wie ihn der Konvent [der Französischen Revolution, 1792-1795] aus der konterrevolutionären verdächtigen Gesinnung der Eigentümer erklärt. England bestraft daher die Armen, der König von Preußen ermahnt die Reichen, und der Konvent köpft die Eigentümer. Endlich suchen alle Staaten in zufälligen oder absichtlichen Mängeln der Administration die Ursache, und darum in Maßregeln der Administration die Abhülfe seiner Gebrechen. – Warum? – Eben weil die Administration die organisierende Tätigkeit des Staats ist. [...] Die klassische Periode des ›politischen Verstandes‹ ist die Französische Revolution. Weit entfernt, im Prinzip des Staats die Quelle der sozialen Mängel zu erblicken, erblicken die Heroen der Französischen Revolution vielmehr in den sozialen Mängeln die Quelle politischer Übelstände.«044

7.

Statt Staat. — »Der Staat ist [...] nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn fertig wurden, die von Staat und Staatsgewalt keine Ahnung hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die mit Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig verbunden war, wurde durch diese Spaltung der Staat eine Notwendigkeit. Wir nähern uns jetzt mit raschen Schritten einer Entwicklungsstufe der Produktion, auf der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Notwendigkeit zu sein, sondern ein positives Hindernis der Produktion wird. Sie werden fallen, ebenso unvermeidlich, wie sie früher entstanden sind. Mit ihnen fällt unvermeidlich der Staat. Die Gesellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der Produzenten neu organisiert, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt.«045 Dass solche »Grundlage freier und gleicher Assoziation« oder der Marx’sche »Verein freier Menschen«046 sich in Planungsbürokratie als Bestimmung verkörpert fände, ist im Marxismus dogmatisiert.047 Dies ist nicht zufällig so. Der Staat mobilisiert ideologische Finesse, um gegen Kritik sich zu immunisieren. Dazu okkupiert er genau die Theorie, die ihm das Recht abspricht.

8.