Mondscheinprinzeßchen - Nataly von Eschstruth - E-Book

Mondscheinprinzeßchen E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Der Band umfasst neben der Titelerzählung noch 14 weitere Geschichten aus der Hand der großen deutschen Unterhaltungsschriftstellerin Nataly von Eschstruth, unter anderem "Unter der Maske", "Monatsrosen", "Das Spukhaus", "Nur nicht heiraten", "In einer Frühlingsnacht" und "Ein Christmärchen". Die mit "Ein Märchen" unterschriebene Titelerzählung erzählt von einer jungen Prinzessin, die sich nachts im Mondschein heimlich nach draußen schleicht, um die Armen, Kranken und Bettler reich zu beschenken, denn ihre verstorbene Mutter hat ihr aufgetragen, den Schwachen "Trost und Hilfe" zu sein, während ihr engherziger Vater seiner Tochter solcherlei Taten der Barmherzigkeit nun strengstens verboten hat. Da begegnen ihr die Mondscheinelfen ... Der Band versammelt Märchen und Gruselgeschichten, Weihnachtserzählungen, Geschichten von der Liebe und vom Erwachsenwerden, von Freundschaft und Verrat, von intriganten Bösewichten und selbstlosen Wohltätern, von enttäuschten Hoffnungen und erfüllten Verheißungen – und in ihnen allen spiegelt sich die Meisterschaft der Autorin, die mit leichter Hand die Fänden ihrer Erzählungen webt und Leserin und Leser mitnimmt in die Geschicke ihrer so liebevoll gezeichneten Protagonisten, bis sie oder er das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen kann ...-

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Seitenzahl: 198

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Nataly von Eschstruth

Mondscheinprinzesschen

und andere Erzählungen

Saga

Ebook-Kolophon

Nataly von Eschstruth: Mondscheinprinzeßchen. © 1919 Nataly von Eschstruth. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.

ISBN: 9788711469989

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

Vor langen Jahren wohnte einmal ein König auf stolzer Burg am Rhein, der war bös und gottlos, kriegerisch und gewalttätig, so dass sein Volk ihn nicht liebte, sondern nur fürchtete. Seine Gemahlin, die schöne, liebliche Königin, gewann desto mehr die Herzen aller Armen und Unterdrückten, denn sie war fromm und gut wie ein Engel und suchte nach Kräften all die Wunden zu heilen, welche der hartherzige König schlug.

Da ward sie sehr krank und kam zum Sterben, und sie legte die Hände auf das Köpfchen ihres einzigen Töchterchens, welches in allen Dingen ihr Ebenbild war, und sprach: „Meine süsse, kleine Lelja, ich muss dich nun allein auf der Welt zurücklassen und tue es in der freudigen Zuversicht, dass meine Armen und Kranken doch nicht durch meinen Tod verwaist werden, denn du sollst künftig hier an meiner Statt ihr Trost und ihre Hilfe sein! Schon jetzt hast du mir brav geholfen, die Tränen zu trocknen und die verzweifelten Herzen zu trösten, du sollst es auch fernerhin tun, meinem Angedenken zu Heil und Segen!“

Die kleine Lelja weinte heisse Tränen und versprach, treulich der lieben Mutter Worte zu befolgen.

Als man die Königin begraben hatte, blieb das holde Prinzesschen allein und verlassen in der Königsburg zurück, denn ihr Vater befand sich wieder auf einem Kriegszug, von welchem er mit reicher Beute heimzukehren hoffte.

Das war gute Zeit für sein blondlockiges Töchterchen, welches nun unbehindert alle Armen und Kranken besuchen und ihnen Speise und süsse Worte des Trostes bringen konnte.

Als der König heimkehrte, fand er seine Tore von Bettlern belagert und zwischen ihnen, barmherzig und holdselig wie ein Engel, sein Töchterlein Lelja, das seine Gaben austeilte.

Der König ergrimmte, jagte zornig die Armen davon und schalt und bedrohte die kleine Prinzessin, er werde sie in den tiefsten Kerker einsperren, wenn sie noch einmal zur Diebin an seinem Eigentum werde!

Da weinte Lelja bitterlich und fürchtete sich sehr, die Werke ihrer Nächstenliebe noch sehen zu lassen, aber ihrer Mutter Worte lebten in ihrem Herzen, darum konnte sie es nicht über sich gewinnen, das Elend ohne Hilfe und Rettung zu lassen.

Heimlich schlich sie sich nachts aus der Burg und beschenkte ihre Schützlinge.

Der Mond beschien ihren Weg, dass sie sich nicht verirrte, und die Prinzessin blickte dankbar zu ihm auf und lächelte ihm zu.

So kam es, dass Lelja den stillen, friedlichen Mond sehr lieb gewann, viel lieber noch als die Sonne, welche stets drohte, ihrer Barmherzigkeit zur Verräterin zu werden, — und auch der Mond schien ein ganz besonderes Wohlgefallen an dem Prinzesschen zu finden, denn er schob jedesmal die Wolken beiseite, wenn das geheime Pförtlein in der Burgmauer knarrte, und begleitete sie als treuer Wächter auf ihrem nächtlichen Gang.

Eines Tages erscholl Kriegsgeschrei durch das Land.

Der König des Nachbarlandes, welchen Leljas Vater überfallen und beraubt hatte, kam mit grosser Streitmacht gezogen, um sich zu rächen.

Und so sehr man sich auch zur Wehr setzte, die Burg ward gestürmt und Feuer in ihr Dach geworfen.

Da gellte das Kampfgeschrei schauerlich durch die stille Nacht, und die Flammen schlugen empor und verschlangen die stolzen Zinnen und Säle. In ihrer Todesangst hatte die kleine Lelja sich auf die Plattform des höchsten Turmes geflüchtet, und der Kriegslärm schallte wüst zu ihr empor; die Feinde stürmten bereits die Treppe hinauf, und die Flammen leckten schon gierig über die Mauerbrüstung.

Da sank die Prinzessin voll Verzweiflung auf die Knie nieder und flehte den lieben Gott und alle Heiligen um Hilfe an.

Kaum aber, dass sich ihre Lippen zum Gebet öffneten, teilten sich die schwarzen Wolken, der Mond trat silbern hervor und seine Strahlen spannen sich wie eine feste, breite Brücke zu dem Turm herab.

„Komm empor zu mir, du liebes, frommes Mägdlein!“ nickte der Mond freundlich lächelnd, „betritt getrost die Brücke, welche ich dir gebaut habe, und komm zu mir herauf! Ich habe jede Nacht gesehen, wie gut und barmherzig du warst, darum darf ich dir jetzt in der höchsten Not helfen, denn die Engel im Himmel beschützen die fromme Unschuld!“

Voll inniger Dankbarkeit schritt Lelja auf der silbernen Brücke dahin, und zwei lichte Engel schwebten rechts und links neben ihr auf rosigen Wolken, die stützten und hielten sie, wenn sie schwindelig werden wollte und zu fallen drohte.

„So hast auch du die Armen und Schwachen gehalten und gestützt!“ sprachen sie lächelnd, und hre Stimmen tönten lieblich wie Harfenklang. Kaum aber, dass die Prinzessin auf der wundersamen Brücke dahineilte, tönte das Geschrei ihrer Verfolger schon auf dem Turm, und nach wenigen Minuten stürzte der stolze Bau krachend zusammen und begrub alle unter seinen Trümmern, welche noch in der Burg weilten. Lelja aber schwebte hoch empor durch die ziehenden Wolken, immer tiefer lag die Erde unter ihr, die brennende Burg erschien ihr schliesslich nur noch wie ein winzig kleines Fünkchen, und die höchsten Berge sahen aus wie unscheinbare Sandkörnchen. Der Mond aber kam näher und näher, und wie erstaunte Lelja, als sie nun ganz deutlich erkennen konnte, wie es auf ihm aussah!

Das, was sie drunten von der Erde aus stets für eine runde, silberne Kugel gehalten hatte, das war das grosse, leuchtend helle Kuppeldach eines wundervollen, zauberhaft schönen Palastes. Weisse Marmorsäulen stützten es, und luftige Hallen wölbten sich darunter.

Alles funkelte und glänzte und tat dem Auge doch nicht weh, denn ein mildes, bläuliches Licht flutete darüber hin, und die Sterne standen ganz nah und brannten so bunt glitzernd wie das schönste Feuerwerk.

Lelja war ganz sprachlos vor Entzücken und wagte kaum ihre Brücke zu verlassen und den Mond zu betreten.

Aber die Engel redeten ihr liebevoll zu, und zu gleicher Zeit ertönte eine himmlische Musik und viele kleine Elfchen eilten ihr voll Jubel mit ausgebreiteten Ärmchen entgegen.

„Wir sind die Mondscheinelfen!“ riefen sie, „und wir kennen dich schon lange, liebe Lelja, haben dich nachts gar oft geleitet, wenn du die Hütten der Armut besuchtest, du sahst uns damals nur nicht! — O wie froh sind wir, dass du gutes, frommes Kind nun bei uns bist! Glückselig sollst du fortan sein und hier den Lohn für all deine Barmherzigkeit und deinen Gehorsam finden.

Sie nahmen die Hände des Prinzesschens und geleiteten es auf den Mond.

Ja, war dies denn wirklich der Mond?

So etwas wunderbar Schönes hatte Lelja noch nie gesehen, selbst ihre Bilderbücher hatten keine so schönen Dinge gezeigt.

Ein zauberhaft schöner Garten umgab sie. Schlanke Palmen flüsterten über ihr, wundervolle Blumen blühten allerwegen, und Schmetterlinge, so gross und so bunt wie leuchtende Edelsteine, schaukelten sich an den demantblitzenden Kelchen.

In den Zweigen der Bäume lockten köstliche Früchte aller Arten, so niedrig hängend, dass das kleine Mädchen nur die Händchen auszustrecken brauchte, um die schönsten Aprikosen, Pfirsiche und Äpfel zu greifen.

„Du darfst pflücken und essen, was dir gefällt und was du magst!“ lächelten die Elfchen.

Vögel mit schillerndem Gefieder flogen zutraulich umher und liessen sich auf die Hände der Elfchen nieder und sangen gar süsse Lieder, und auf den sammetweichen Waldwiesen schritten weisse Rehe und niedliche Lämmchen, die kamen furchtlos herangesprungen und liessen sich streicheln.

Ach wie schön, wie herrlich schön war das!

Der Sand auf den Wegen flimmerte wie Silber, die Quellen murmelten und dufteten wie das beste Kölnische Wasser, und wenn ein zarter Windhauch durch die Blumen und Zweige streifte, so erklangen sie melodisch wie silberne Glöckchen.

„Sieh hier!“ lachten die Elfchen, „hier blühen noch ganz absonderliche Blumen, Lelja, wenn man ein wenig schüttelt, fällt aus jeder ein Bonbon!“

Das Prinzesschen konnte solch ein Wunder gar nicht begreifen, schon aber hafteten ihre Blicke an den hohen Marmorhallen des Palastes, vor welchem sie angelangt waren.

Wie in einem Zauberland gleisste und strahlte der Märchenpalast, und doch sah er so traulich aus, dass sie sich gar nicht fürchtete, hineinzugehen. Welch eine Pracht! Kein Kaiserschloss kann schöner sein! Unter der silbernen Mondkuppel dehnte sich ein Saal — ach so weit und hell und warm — darin standen die herrlichsten Spielsachen, mit welchen sich die Elfchen tagsüber vergnügten, denn am Tage, wenn die Sonne am Himmel stand, hatten sie freie Zeit, nur des Nachts flogen sie auf den Mondstrahlen hernieder zur Welt und stellten sich an die Bettchen der braven, frommen Kinder, welche vor dem Einschlafen ihr Gebetchen gesagt haben; — diese Kinder beschützen sie dann in der dunklen Nacht und bringen ihnen schöne Träume.

Immer weiter führten die Mondelfchen ihre neue kleine Gespielin. In dem grossen Esssaale sah es gar lecker aus! Da standen lange Tafeln, besetzt mit silbernen Schüsseln und Tellern, ach und welch köstliche Speisen in Hülle und Fülle!! Kuchen und Schokolade, Marzipan und Torten, süsse Puddings und Schlagsahne — und jedes Elfchen durfte davon essen so viel es mochte, — aber wohlverstanden nur dann, wenn es Suppe und Braten zuvor gegessen hatte, wie sich das bei jedem guten und vernünftigen Kind von selbst versteht.

„Nun sollst du auch noch ein paar schöne silberne Flügelchen bekommen, so wie wir sie auch haben, damit du frei umherfliegen und uns auch einmal zu den silbernen Sternchen am Himmel begleiten kannst, denn diese müssen wir schön blank putzen, und wenn ein besonderer Festtag im Himmel oder auf Erden ist, dann nageln wir noch ein paar mehr an, damit recht festlich illuminiert ist!“

Wie sie das noch so sagten, hefteten sie Lelja ein paar reizende kleine Flügelchen an die Schultern, und sie wuchsen auch gleich fest und Prinzesschen hätte auch sofort fliegen können, aber sie wagte es noch nicht. Auch stand sie plötzlich ganz traurig, hatte die schönen blauen Augen voll Tränen und faltete inbrünstig die kleinen Hände.

„Ei Lelja! Du weinst?“ fragten erstaunt die Elfchen, „gefällt es dir denn nicht bei uns?“

Die Kleine nickte und lächelte unter Tränen.

„O ja, es ist wunderbar schön hier, und ihr seid so lieb und freundlich zu mir, — aber ich bin in all dieser Pracht und Schönheit doch so allein, niemand von meinen Lieben ist bei mir, ach, und meine Sehnsucht nach lieb Mütterlein wird immer grösser!“

Die Elfchen blickten einander bedeutsam an und lächelten.

„Hast du denn schon zu dem lieben Gott gebetet, dass er dir dein Mütterchen wiedergeben möchte?“ — fragten sie.

„Ach ja!“ seufzte Lelja, „so recht von Herzensgrund! Als ich hierher, über die silberne Brücke zu dem Mond schritt, da betete ich immer, die lieben Engel möchten mich doch zu Mütterlein geleiten!“

„Nun so komm, — dort in dem Palmenhain steht eine Kapelle, da sollst du noch einmal niederknien und bitten!“

Leljas Augen leuchteten in Freude und süssem Glauben, sie eilte voll Sehnsucht nach dem flüsternden Hain, aus welchem das goldene Kreuz der Kapelle ihr entgegenleuchtete.

Die grossen, goldenen Türflügel taten sich auf, und als Lelja demütig auf die Knie sank und die Hände faltete, da schwebte eine blaue Wolke hernieder und auf den Marmorstufen stand eine lichte Engelsgestalt, die breitete die Arme voll inniger Liebe aus.

„Mutter!“ schluchzte Lelja voll seliger Wonne und flog an die Brust der Wiedergefundenen.

Nun erst war ihre Seligkeit vollkommen, und sie wohnte nun für immer mit ihrer Mutter in dem silbernen Mondpalast bei den kleinen Strahlenelfen.

Welch eine Wonne!

Nun spielt sie mit den Rehen, Lämmchen, Vögeln und Schmetterlingen, nun pflückt sie die herrlichen Früchte und regt ihre Flügelchen zu seligem Fluge. Und die Elfchen nehmen sie mit, wenn sie die Sternchen plank putzen und wenn der dunkle Nachthimmel so recht festlich erhellt sein soll. Dann füllen sie Lelja das Kleidchen voll kleiner Sterne, geben ihr silberne Nägel und ein Hämmerchen und sagen: „Nun hilf uns!“ — Prinzesschen ist aber noch ein wenig ungeübt bei der Arbeit, und so passiert es denn manchmal, dass ihr das Kleidchen niederfällt und alle Sternchen herausfallen, in hellem Streif an dem Himmel herunter!

Die Menschen, welche ja nichts von dem kleinen Mondprinzesschen wissen, sagen dann: „Eben fiel eine Sternschnuppe!“ — aber es war keine, es waren nur die blanken Sternchen, welche Lelja aus dem Kleidchen verlor!

Die Elfchen lachen sie dann weidlich aus, fliegen schnell nach und fangen die Fünkchen wieder ein.

Noch eins hat die Kleine tief bekümmert.

„Ach, was soll nun aus all den armen, kranken, traurigen Menschen auf der Welt werden, wenn wir sie nicht mehr trösten können, lieb Mütterlein?“ seufzte sie gar oft, und sie tat wieder, was sie stets im Leben getan hatte, wenn ihr das Herzchen traurig war, — sie betete. Und weil das Gebet der Frommen und Braven erhört wird, so erlaubte der liebe Gott dem guten kleinen Mädchen, dass es die armen, betrübten Menschen auch fernerhin trösten dürfe.

Abends, wenn der Mond am dunklen Himmel steht, fliegen Lelja und ihr Mütterlein, der schöne, friedliche Engel der Nacht, auf den glitzernden Mondstrahlen zur Erde hernieder.

Und wo sie tränennasse Augen sehen und bange Seufzer zum Himmel schallen hören, da streichen sie sanft tröstend über die gramgefurchte Stirn und küssen die müden Augen zu erquickendem Schlummer zu.

Darum lieben alle traurigen und unglücklichen Menschen das sanfte Mondlicht so ganz besonders, und manch heisserregtes Herz findet unter seinem heiligen Glanz den verlorenen Frieden wieder!

Unter der Maske

Novelle

Die Frau Sanitätsrätin stand hinter dem Sessel, in welchem ihr Sohn, der junge, schmucke Fabrikant mit dem kecken blonden Schnurrbärtchen und den schalkhaft blitzenden Augen, behaglich zurückgelehnt lag und blaue Rauchwölkchen in die Luft blies. Sie formten sich alle zu den tadellosesten Ringen, welche langsam durch die warme, duftige Luft des Salons schwebten, bis sie an den zackigen Blättern einer Agave, deren graziöse Krone sich von dem Blumentisch herüberneigte, zerrannen.

Die alte Dame sah mit traurigem, ein wenig forschendem Blick in das frische Antlitz ihres Einzigen.

„Gehst du, Freddy? Gehst du ganz gewiss?“

Der junge Mann wandte lächelnd den Kopf und küsste — ohne seine Stellung zu verändern — die schlanke, weisse Hand, welche mit sanftem Druck auf seiner Schulter lag.

„Aufs Wort, Mutterchen, ich gehe! Was ich einmal versprochen habe, das halte ich auch, wenn es mir auch noch so langweilig und unangenehm ist.“

„Ich traue dir noch nicht so recht! Warum willst du es mir denn durchaus nicht sagen, welch ein Kostüm du gewählt hast — warum soll ich dich nicht vorher sehen ...“

Wieder drückten sich seine Lippen zärtlich auf die leicht bebenden Finger der Sprecherin, und seine Augen leuchteten voll Schelmerei.

„Maskengeheimnis, kleine Mama! Tiefes Maskengeheimnis! Ich bitte dich, respektiere es! Du weisst, dass ich ein närrischer Kauz bin ...“

„Schäme dich, Freddy! Geheimnisse vor der Mutter! Das war doch früher nicht so! Da gab es keine Falte in deinem Herzen, welche ich nicht kannte! Aber jetzt ... o ich empfinde es ja täglich, wie es anders geworden ist!“

Wie vorwurfsvoll ihre Stimme klang, — wie die zarten Hände bebten ... und jetzt ... gar eine Träne?

Freddy richtete sich jählings auf. Einen Augenblick zuckte und arbeitete es in seinem Gesicht, dann schloss er die alte Dame stürmisch in seine Arme und flüsterte: „Welch eine böse Einbildung, Mutterchen! Du weisst, dass niemand meinem Herzen näher steht als du! Wenn du es ernsthaft wissen willst, sage ich es natürlich — ich werde heute abend als Don Carlos den Maskenball bei dem Herrn Präsidenten verschönern, — schwarzer Samt mit rotem Seidenfutter — gepufft und geschlitzt, dass es eine Lust ist! So ... bist du nun zufrieden?“

Sie streichelte mit lebhaftem Blick seine Wangen.

„Du mein bester — liebster Schlingel! Also endlich Farbe bekannt! — Ich darf dich doch sehen?“

Wieder eine sekundenlange Pause der Verlegenheit, dann zuckte Alfred Naugardt zweifelnd die Achseln.

„Das wird wohl nicht möglich sein, Herzensmamachen, wir wollen uns alle in dem Maskenleihinstitut ankleiden lassen — Rudolf, Leutnant von Mirsch, Selke und ich —, weil der Friseur nicht Zeit hat, in unsere so entfernten Wohnungen zu laufen ... Aber vielleicht mache ich es möglich und fahre noch einen Augenblick hierher — falls noch Zeit ist, Mutterchen — mit Bestimmtheit darfst du nicht darauf rechnen!“ —

„Ich würde dich gar zu gern sehen!“ lächelte die alte Dame, und ihr Blick flog voll zärtlichen Stolzes über die schlanke, zierliche und doch so blühende Gestalt des Sohnes; „das Kostüm wird dir herrlich stehen! Du wirst Eroberungen machen ... und ... ach ... wirst du dich nicht auch endlich einmal erobern lassen?!“

Wie ihr Blick in seine Seele drang! „Freddy — ich begreife nicht, dass du der süssen kleinen Cilly Mornier gegenüber so unempfindlich bleibst — dieses herzige Wesen — dieses bildhübsche Mädchen — und ach ... wenn du wüsstest, wie gern sie dich hat!“

Alfred lachte hell auf. „Ein Trotzkopf ist sie! Grossgezogen mit dem Kräutlein Eigensinn. Sie schwärmt für die moderne Frauenbewegung, sie will das gute, alte Wort: ‚Er soll dein Herr sein!‘ nicht mehr anerkennen! Immerhin! hat sie ihren Kopf — so habe ich auch den meinen, wir wollen sehen, welcher stärker ist!“

Und der Sprecher drückte die Mutter etwas aufgeregt an die Brust, schnitt ihr jedes weitere Wort durch einen Abschiedskuss ab und stürmte zur Tür. „Jetzt kommt das Heiratsprojekt. — Rette sich wer kann! — Auf Wiedersehen, kleine Sanitätsrätin — halte mir den Daumen, dass Don Carlos heute abend auch einer Königin versichern kann: ‚Das Leben ist doch schön!‘“ — Wie ein Wirbelwind war er davon, und Frau Clementine nahm eine Stickerei zur Hand und lächelte befriedigt vor sich hin.

Endlich, nach vieler Mühe, hatte sie es heraus! Also, Don Carlos! Wahrlich, keine üble Wahl — er wird die Herzen im Sturme nehmen! — Und Cilly? Ja nun, es ist noch nicht aller Tage Abend, und der holden Schelmin wird das Warten schliesslich selber lang! Sie liebt ja den Freddy — und all die Neckerei und der lustige Krieg mit ihm führt schliesslich doch zu seinem Sieg! — Warum forschte Frau Major Helbig so dringlich nach Alfreds Kostüm? Das geschah lediglich für Cilly! Sie will den Geliebten kennen und sich ihm unbefangen nähern können! O, die Mädchen sind ja schlau, wenn es gilt, einem stolzen Liebhaber das „Bettelwort“ auf die Lippe zu zwingen. In diesem Falle ist Frau Naugardt die Verbündete des künftigen Schwiegertöchterchens, sie ziehen an einem Strick, an dem rosigfarbenen, geheimnisvollen Zauberfädchen, welches den starrköpfigen jungen Kaufmann auf die Knie zwingen soll! Hastig nahm die Sanitätsrätin ein Billett zur Hand und schrieb an Frau Major Helbig: „Endlich kann ich Ihnen genauen und sicheren Bescheid geben. Der Betreffende erscheint als Don Carlos, schwarzer Samt mit roter Seide.“

Sie schellte und gab dem Diener den Brief zur schleunigen Bestellung, — und dann setzte sie sich näher zum Fenster und zog lächelnd die seidenen Fäden durch den feinen Battist, — sie stickte Ausstattung!

— — — Die Lichter brannten vor dem Spiegel, und mitten in dem Zimmer des Hotels, in welchem Alfred Naugardt tief verborgen und geheimnisvoll Toilette machte, stand der junge Mann und blickte mit fröhlichem Gesicht auf einen Korb hernieder, aus welchem ein ganz seltenes Gewirr von Spitzen, Atlas und Blumen hervorschaute.

Er zwirbelte das blonde Bärtchen keck empor. War es ein Unrecht gewesen, der Mutter das Märchen vom Don Carlos-Kostüm aufzubinden? O nein, es war Notwehr, Selbsterhaltung gewesen. Eine Frau ist wie die andere, — sie plaudern alle gern, und schon manch ein Lebensglück ist an Weiberlippen zerschellt! Darum hat er nicht seit zwei Wochen solch saure Arbeit getan, um der rollenden Kugel Fortunas den Weg zu bahnen! Weder Zeit, noch Mühe, noch Geld hat er gespart, um zum Ziel zu gelangen. Da galt es zuerst, die Schneiderin von Cillys bester Freundin Alice — auszubaldowern! Dann musste die Schneiderin gewonnen werden, — sie musste dem Schlachtplan geneigt und zur sicheren Verbündeten gemacht werden. O, das war kein leichtes Stück Arbeit, — aber wirklich, alles war geglückt! Hier im Korb lag ganz genau dasselbe Kostüm, wie es Fräulein Alice heute abend anlegen wird, — oder besser gesagt, wie sie es anlegen wollte, — denn dass sie nicht erscheint, ist ebenfalls ein Werk Alfreds gewesen, welches ihm nicht leicht geworden. Sein bester Freund kam ihm endlich dabei zu Hilfe. Er liebte Fräulein Alice und beabsichtigte, sich mit ihr zu verloben, — auf Alfreds Bitten und seine ehrliche Beichte hin hatte er sich entschlossen, schon heute als Freier bei der jungen Dame anzuklopfen, ganz überraschend — zu später Stunde, — die Fahrt zum Ball dadurch vereitelnd. So weit wäre alles glatt gegangen, — nun hilf weiter, du gutes Glück, welches ja ein junger Mann stets haben muss.

Wenige Minuten später sass Alfred Naugardt vor dem Spiegel und hinter ihm stand lachend der Friseur und verwandelte den blondlockigen Männerkopf in ein brünettes Mädchenhaupt, täuschend ähnlich demjenigen des Fräulein Alice. Ein Spitzenschleier verhüllte die Ohren und die verräterische Partie um Wangen und Hals, flammende Granatblüten und ein hoher Goldkamm schmückten das Haar, und während der Künstler mit der Brennschere seines Amtes waltete, flogen Freddys Gedanken zurück zu einer Stunde, welche schon damals die glücklichste seines Lebens werden sollte und doch so verhängnisvoll endete.

Es war im Herbst. Man machte eine Landpartie. Tiefblau wölbte sich der Himmel, köstlich frische Luft wehte von dem nahen See herüber, und der Buchenwald lag vor ihnen wie ein Märchengebild, mit Gold, Smaragd und Purpur überschüttet. Seite an Seite schritten sie dahin, — zurückbleibend hinter den andern, die Herzen so voll, die Blicke so leuchtend und sehnsüchtig in die Ferne gerichtet, als ob von dort das süsse Wunderland der Liebe winke!

Aber nur kurze Minuten dauerte solch ein seliges Träumen. Kaum, dass Freddy die ersten, leisen Worte flüsterte — Worte von bedeutsamem Klang, Worte, welche ahnen liessen, dass seinem Herzen in dieser Stunde Flügel gewachsen, sich innig werbend zu der Geliebten aufzuschwingen — da verflog die träumerische Weichheit in Cillys rosigem Antlitz, der Ausdruck kecken, selbstbewussten Trotzes, welcher es so oft beherrschte, trat wieder in demselben hervor, und ihre Augen blitzten seltsam zu ihm auf.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, finden Sie?“ sagte sie achselzuckend. „Je nun, oft wäre es wohl recht viel besser, die Menschen blieben allein und für sich, anstatt sich freiwillig Fesseln anzulegen, welche nur später drücken!“

„Rosenketten drücken nicht!“

„Wenn Menschen, welche nicht zusammen passen, sie gemeinschaftlich tragen müssen, drücken selbst solche Rosenketten!“

„Was verstehen Sie unter ‚nicht zusammen passen‘?“

Sie lachte und zuckte die Achseln. „Nun, Starrköpfe, die sich nicht ineinander fügen können!“

„Eine Frau soll immer das weiche Wachs in den Händen des Gatten sein!“

Sie faltete die feinen Augenbrauen schier zornig zusammen. „Natürlich, die Frau soll sich fügen, dulden — ertragen! Die Frau soll Sklavin sein und die Launen ihres Tyrannen gutheissen! Welch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Die brutale Gewalt des Stärkeren dürfte an dem neunzehnten Jahrhundert scheitern, in welchem hoffentlich Geist und Verstand des Weibes jenes Männervorrecht, uns unter die Füsse treten zu dürfen, aufheben wird!“

„Unter die Füsse treten? Ich glaube, es gibt keine grössere Machtstellung auf der Welt als die eines liebenden und geliebten Weibes! Der Mann beugt seine Knie vor der Königin seines Herzens!“

„Einmal im Leben! Vielleicht bei seiner Werbung, und solche Sentimentalität und zeitraubende Förmlichkeit haben die modernen Männer auch schon längst gestrichen! Aber dennoch wird solch ein imaginärer Kniefall zeitlebens als eine schreckliche Sklavenarbeit ins Treffen geführt!“

„Wenn unsere nüchterne Zeit wohl auch zumeist von einem Beugen des Knies absieht, so ist doch die ganze Werbung eines Mannes ein demütiges Sichneigen vor der Geliebten!“

Ihre Wangen flammten heisser, ihre Stimme klang immer erregter und die dunklen Augen sprühten ihm entgegen wie in Spott und Kampfeslust. „Ist es denn wahrlich eine solche Überwindung, eine solche Erniedrigung für einen Mann, dem Mädchen, von dem er so viel — alles verlangt — zu sagen, dass er sie liebt?“

Auch Alfred schoss das Blut in den Kopf.

„Ich möchte wohl sehen, ob sich je eine der demütigen, engelsmilden, entsagungsvollen Frauen dazu verstehen würde, solch ein ‚Bettelwort‘ auszusprechen!“ antwortete er gereizt.

Cilly blieb stehen und ward schon allein bei solch einem Gedanken leichenblass. „Wir ... wir Mädchen auch noch die Liebeserklärungen machen? — eher sterben! — Tausendmal lieber sterben!“

„Aha!“