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Die verwaiste und verarmte Margret von Uttenhofen lebt bei ihrem Onkel, dem Professor von Uttenhofen, aber bald wird Margret Opfer eines Rufmords und muss die Kleinstadt Rügenfurt verlassen. Sie lässt sich als Diakonisse ausbilden und wird aufopferungsvolle Pflegerin der sterbenskranken Baronin von Thüngen. Doch inzwischen kommt die Nichte der Baronin, Gräfin Joriède ins Haus, die partout auf Triberg Schlossherrin werden möchte und sich die Zeit mit einem jungen Verwalter vertreibt. Als der Sohn der Baronin, Maurus von Thüngen, wieder nach Hause kommt, werden die Karten neu gemischt. Joriède will ihn erobern, während Maurus sich zu Margret hingezogen fühlt. Joriède jedoch fasst einen teuflischen Plan: Als die Baronin überraschend stirbt, stellt sie die Pflegerin Margret als Mörderin hin. Margret ergreift voller Angst die Flucht ...-
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Seitenzahl: 514
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Nataly von Eschstruth
Roman
Saga
Nataly von Eschstruth: Nachtschatten. © Nataly von Eschstruth. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711472781
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.
Die Sonne sandte ihre letzten schrägen Strahlen in das kleine Hinterzimmer und malte die Muster der dicken Häkelspitze, die die schmalen Mullschals der Gardinen säumte, auf die weiss gescheuerten Dielen.
Sie huschte über die Blumentöpfe auf dem schmalen Fensterbrett, auf die blassfarbene Erika, die roten, gefüllten Primeln und die prächtigen, lila- und rosagefärbten Fackeln der Hyazinthen, die in hohen Gläsern dufteten.
Sie flimmerte auch über den tiefgeneigten, zierlichen Mädchenkopf und tauchte jedes einzelne der weichen, nachtschwarzen Löckchen in goldenes Licht. Die kleinen Hände arbeiteten voll beinahe nervöser Hast, und doch lag auf dem lieblichen Antlitz ein Ausdruck sinnender Zerstreutheit, als seien die Gedanken hinter der weissen Stirn weitab von den groben Küchenhandtüchern, deren Löcher und Risse die fleissigen Finger so sorgsam stopften.
Und sehr heiter und sonnig schienen die Bilder nicht zu sein, die die Phantasie des jungen Mädchens malte.
Ein beinahe schwermütiger Ernst lag auf dem schönen Angesicht, ein feiner Leidenszug senkte sich um die Lippen, und die auffallend grossen, tiefdunklen Augen, von schwarzen, langen Wimpern verschleiert, blickten so traurig in die Welt, als ob nie eine Sonne voll Glück und Liebe darinnen scheinen könnte! Und doch stand neben dem gesenkten Haupt ein blühender Myrtenstock, und ein schmaler, glatter Goldreif blitzte an der Hand, — ein Verlobungsring.
So oft der Blick des jungen Mädchens ihn traf, wehte es wie ein Schatten über die klare Stirn, ein leiser Seufzer entrang sich den Lippen, und die Hände bebten, als liesse ein jäher Schreck den schlanken Körper erschauern. Die Arbeit sank in den Schoss, die grossen, so wundersam umschatteten, eigenartigen Augen aber starrten müde und traurig hinaus in die blühenden Hintergärten, über deren lautlos und regungslos ragenden Wipfeln die letzten Lichtfunken des scheidenden Tages zitterten.
Margret von Uttenhofen dachte zurück an die letzten, trostlosen Jahre ihres Lebens. Sie war Waise, die einzige Tochter eines frühverstorbenen Beamten, das einzige Glück der blassen, stillen Mutter, die den schweren Kampf um Leben und Dasein kämpfte, bis der Tod ihre müden Augen für immer schloss. Margret blieb allein und mittellos zurück, ihr einziger Anverwandter, der Bruder ihres Vaters, ein schrullenhafter, weiberfeindlicher Gelehrter, brachte das Opfer, sie in einer Pension erziehen zu lassen.
Bis zu ihrem achtzehnten Jahre blieb sie da, dann hiess es abermals: wohin mit ihr? —
Hervorragende Talente hatte die Natur ihr nicht verliehen, wohl aber sie mit einer so eigenartigen, rührenden Schönheit und Anmut ausgestattet, dass ihren Erziehern der Gedanke gekommen war, auf der Bühne vermöge Margret wohl am sichersten ihr Glück zu machen.
Ein Brief voll bitterster Entrüstung und heftigen Zornes, von der nervös zitternden Hand des Professors geschrieben, antwortete auf diesen Vorschlag, und Fräulein von Uttenhofen atmete auf wie erlöst, denn bei ihrem schüchternen, mimosenhaft bescheidenen Wesen deuchte ihr die Karriere einer Bühnenkünstlerin geradezu furchtbar.
Professor von Uttenhofen berief seine Nichte zu sich. Es sei in seinem Hause Platz für das junge Mädchen; unter Anleitung seiner vortrefflichen Wirtschafterin, der Frau Agnes Hauser, könne sich Margret noch im Kochen und Wirtschaften vervollkommen, nun, und dann werde sich schon das Weitere finden.
Mit den besten Wünschen und voll freudiger Zuversicht entliess man sie aus der Pension. Margret ist ja so schön! So ganz etwas Besonderes mit ihren grossen, grossen rätselhaft dunklen Augen und dem bläulichschwarzen, glänzendweichen Haar — sie wird alle Herzen gewinnen und bald heiraten, das wird die beste Lösung der Frage sein.
Ja, ihre Schönheit! Jedermann glaubte, dass dieser herrliche Freibrief fraglos die Zaubergerte sei, mit der die sieben Riegel vor dem Tor des Glückes sieghaft gesprengt werden mussten, und doch war es gerade diese Schönheit, die ihr den harten, einsamen Lebensweg noch besonders erschwerte!
Wohl hatte der Professor voll Entzücken in das liebliche Antlitz geschaut und kein Hehl daraus gemacht, dass die junge Nichte einen ausserordentlich günstigen Eindruck auf ihn mache, — aber er war nicht Menschen- und Weiberkenner genug, um solchen guten Geschmack sorgsam vor Frau Agnes Hauser, der Wirtschafterin, zu verbergen.
Ein bitterböser Blick aus den verschwollenen Augen der „Unfehlbaren“ traf den jungen Gast, ein Blick, der, so stumm er auch war, doch eine ganze Kriegserklärung voll giftiger Worte enthielt.
Wittib Agnes war sowieso nicht sehr erbaut von dem neuen Zuwachs ihres Hauswesens. Sie hatte dem Professor in ihrer resoluten und scharfen Art erklärt: Beluxen und ausspionieren liesse sie sich nicht von der Mamsell Grasaff, und eine Aufpasserin liesse sie sich erst recht nicht vor die Nase setzen! Wenn das Fräulein etwa versuchen wollte, sie hier aus dem Hause hinauszubeissen, so wolle sie lieber gleich gehen, denn sie hätte dem Herrn Professor nicht an die achtundzwanzig Jahre treu und selbstlos gedient, um noch auf ihre alten Tage von einem Gelbschnabel geschuriegelt zu werden!
Herr von Uttenhofen war entsetzt. Seine Agnes! Seine unfehlbare Agnes, die einzige, die mit all seinen Eigentümlichkeiten Bescheid wusste, die einzig so kochte, wie er es liebte und wie sein Magen es vertrug, — diese Agnes sollte er verlieren? Nimmermehr!
Heilige Versicherungen, Geschenke und die besten Worte vermochten es endlich, den alten Drachen zu bewegen, Magret im Hause aufzunehmen. Und nun war sie gekommen, schön wie ein Engel, voll warmherzigster Liebenswürdigkeit, und der Professor sass da und rieb sich die Hände und schmunzelte: „Gelt, Agnes? Die kann sich sehen lassen! Was werden die Leute sagen, dass ich solch eine Nichte habe! Ja, ja, die Uttenhofens waren alle schöne Leute!“ —
Agnes brummte etwas sehr Unwirsches vor sich hin und meinte dann achselzuckend: „Die Schönheit sei ein Teufelsgeschenk und habe schon viel Unheil in die Welt gebracht! So ein glattes Lärvchen will gefallen und nimmt’s mit der Treue und Tugend nicht so genau! Da würde ja der Herr Professor eine schöne Last bekommen, die Fräulein Nichte zu bewachen!“ —
„Oh! oh!!“ — hatte der Professor sehr betroffen und ängstlich geseufzt, und Frau Agnes hatte die Tür schmetternd ins Schloss geschlagen.
Draussen stand sie und stemmte zornmutig die Hände iin die Seiten.
„Das wäre ja alles, was da fehlte, wenn der Herr Professor noch Heiratsgedanken bekommen wollte! Wenn der Grasaff sich’s etwa nach der Hausfrauenwürde gelüsten liesse! Oha! da war denn die Frau Agnes auch noch da! und es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht das Heft in der Hand behalten sollte!
Welch eine trostlose, schreckliche Zeit für Margret! — Was sie auch tat, die tyrannische, mürrische Person freundlich zu stimmen, es nützte doch nichts, sie war und blieb ihre geheime, erbitterte Feindin, die ununterbrochen Ränke spann, Onkel und Nichte zu entzweien und letztere aus dem Hause hinauszubeissen.
Margret arbeitete voll rastlosen Eifers von früh bis spät, bescheiden und demütig auch die schwerste Mägdearbeit verrichtend, die Agnes ihr hämisch zuschob. Die einzige Freude und Erholung waren ihre Musikstunden, die sie um so eifriger betrieb, als ihr sehr gütiger und bedeutender Lehrer ein doch nicht unbedeutendes Talent, zu präludieren und zu phantasieren, an ihr entdeckte. — Sie hatte viel Eifer und lernte leicht, namentlich amüsierte es sie, verschiedene Instrumente zu spielen, und wenn auch der Professor etwas ungeduldig die Achseln zuckte: „Du sollst doch kein Kapellmeister werden!“ so blickte er doch voll schmunzelnden Interesses auf das reizende Mädchen, als sie ihm eines Tages mit glühenden Wangen und Augen, die in der Begeisterung noch grösser und dunkler aussahen wie sonst, auf der grossen Harfe ihres Lehrers eine ganz eigenartige, schwermütige Weise vorspielte.
Herr von Uttenhofen überraschte Frau Agnes eines Tages mit dem Entschluss: „Ich will mit der Margret Besuche machen! Der Winter zieht ins Land, es gibt in unserem kleinen Städtchen nicht viele, aber doch einige Vergnügungen, die soll sie mitmachen!“
„Und zu welchem Zwecke?“ — keifte die Alte ingrimmig. „Glauben Sie, Herr Professor, die Ballkleider kosten nichts?“
„Gleichviel! Das Opfer muss gebracht werden! Wie soll Margret sonst einen Mann bekommen? Hier im Hause laufen die Freier nicht umher, und es wird doch Zeit, dass wir uns nach einer passenden Partie für das Kind umsehen, denn für ewig können wir sie doch nicht im Hause behalten! Sagst doch selbst, Agnes, dass sie es neulich gewesen ist, die meinen Lieblingsmeerschaumkopf beim Staubwischen zerschlagen hat! — Und den Homer — sagst du — habe sie neben den Horaz gesteckt, wo er doch absolut nicht hingehört ...“
Frau Agnes hatte hoch ausgehorcht. Wie eine Leuchte der Erkenntnis flammte es in ihr auf.
Heiraten! Die Magret muss heiraten — einen anderen Mann als wie den Professor! Ei, du liebe Zeit, dass ihr der ausgezeichnete Gedanke nicht schon längst gekommen war!
Natürlich heiraten! Gab es ein besseres Mittel, sie hier im Hause los zu werden? —
Zum erstenmal seit ihrer Anwesenheit lachte Frau Agnes die junge Schutzbefohlene mit zwinkernden Augen an, als Fräulein von Uttenhofen von dem Boden herunterkam, auf dem sie den Obstvorrat für den Winter auf breiten Strohschichten ausgelegt hatte.
Ja, sie lächelte Margret an, — und doch war dieses Lächeln nur ein Wetterleuchten, das noch böser Zeit voranging.
Der Professor führte die Nichte während des Winters aus, und es gewährte ihm auch eine grosse Genugtuung, dass das junge Mädchen von allen Herren in der lebhaftesten Weise ausgezeichnet und angebetet wurde.
Wo sie sich zeigte, feierte ihre wundersame Schönheit Triumphe, die anderen jungen Damen verblichen neben ihr wie Sterne vor der Sonne, und je begeisterter und glühender die Herren der reizenden Königin der Saison huldigten, um so feindlicher stellte sich die Damenwelt zu ihr.
Neid und Eifersucht spielen in der ganzen Welt eine leider sehr bedeutsame Rolle, nirgends aber eine grössere, als wie in kleinen Städten, wo die Unduldsamkeit gegen Rivalinnen die mannigfachsten und giftigsten Blüten treibt.
In der Regel herrscht in kleinen Städten Herrenmangel, jeder Zuwachs an Damen wird sowieso mit scheelen Augen angesehen; kommt aber gar eine solche sieghafte Schönheit, wie die der Margret von Uttenhofen, die Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und viel gutes Wissen mit sich vereinigt, dann schäumen die Wogen der Eifersucht über, und die Maulwurfsarbeit beginnt heimlich, aber emsig ihr Werk, Schlingen und Netze zu legen, um das in den Staub zu stürzen, was den Spiessbürgerinnen und alternden Jungfrauen zu hochgewachsen dünkte!
Rügenfurt war eine kleine Provinzialstadt, die ein Bataillon Infanterie in ihren Mauern beherbergte. Die jungen Offiziere waren wohl die beliebtesten Tänzer, nicht aber Heiratskandidaten, mit denen die Mütter rechneten.
Sie sowohl, wie Väter und Töchter wussten, dass eine Offiziersehe ohne Mittel ein Unglück, dass die zu stellende Kaution eine eiserne, nicht zu umgehende Notwendigkeit ist.
Die Familien jedoch, die derart gestellt waren, dass sie sich den Luxus eines „militärischen“ Schwiegersohnes gestatten konnten, wurden von Jahr zu Jahr spärlicher, denn selbst die Gutsbesitzer der Umgegend hatten mit den schlechten Zeiten zu rechnen.
So sahen es die Ballmütter voll ironischer Gelassenheit, dass der hübsche, ritterliche und wohl auch etwas leichtlebige Leutnant Olmütz sich zum Schatten der reizenden Margret machte, ihr bei jeder Gelegenheit voll glühender Begeisterung huldigte und gar nicht das mindeste Hehl daraus machte, dass er bis über die Ohren in Fräulein von Uttenhofen verliebt war! Mochte er es! Was lag daran?
Wenn auch die schöne Margret noch so heiss bei seinem Anblick erglühte und ihre dunklen Märchenaugen noch so gross und flehend zu ihm emporschauten, wie bei einer Taube, die den Falk über sich kreisen sieht, so lag doch nicht die mindeste Gefahr vor, dass dieser Falk die weisse Taube kraft eines soliden Trauringes entführte, — er hatte nichts, und sie hatte nichts, — und die Weisheit des alten Kerkermeisters aus dem Fidelio, der da philosophiert:
„Wo sich nichts mit nichts verbindet,
Bleibt die Summe immer klein,
Wer bei Tisch nur Liebe findet,
Wird nach Tische hungrig sein!“ —
war mit der Zeit auch bis Rügenfurt gedrungen und zur Überzeugung aller Eltern und heiratsfähigen Töchter gemacht worden. Wohl folgte auch aus den Augen junger Mädchen dem interessanten Olmütz manch grollender Blick, wenn er um der neuen Sonne willen die alten Sterne so völlig vergass, und der armen Margret ward es vollends durch manch spitze Bemerkung und gehässiges Ignorieren kundgetan, dass sie auf die Sympathie der Rügenfurter Gesellschaft, wenigstens auf den weiblichen Teil derselben, nicht im mindesten zu rechnen hatte!
Wenn schon das Echo in der grossen Welt ein sehr weittönendes und indiskretes ist, so scheint es in kleinen Städten direkt in das Reich der Wunder zu gehören, denn auch ohne Telephon hörte man in Rügenfurt ganz genau am nördlichen Ende der Stadt, was am südlichen ganz, ganz leise geflüstert wurde, und was im Osten unter dem Siegel der Verschwiegenheit eine liebe Freundin der andern anvertraute, das pfiffen in der nächsten Stunde im Westen die Spatzen schon auf dem Dach.
Was Wunder, wenn auch Frau Agnes haarklein erfuhr, dass Fräulein Margret auf dem besten Wege sei, sich mit Leutnant Olmütz in eine völlig aussichts- und hoffnungslose Liebschaft einzulassen, dass dies bei einem so heissblütigen und lebenslustigen jungen Mann doch höchst bedenklich sei, und dass es wohl gut wäre, wenn das Fräulein beim Schlittschuhlaufen und auf einsamen Promenaden durch Feld und Wald etwas besser beaufsichtigt würde.
Agnes war wütend.
Darum also wurden die teuren Ballkleider angeschafft, damit die Mamsell Grasaff sich in einem Monsieur Habenichts verguckte, bei dem weder an Verloben noch Verheiraten zu denken ist?
O nein, so hatte sie denn doch nicht gewettet, und es war hohe Zeit, dass sie die Angelegenheit einmal in ihre energischen Hände nahm; denn dass Fräulein von Uttenhofen bis zum Mai oder spätestens Juli unter der Haube und hier aus dem Hause heraus sein musste, das war bei ihr beschlossene Sache.
Sie rupfte voll ingrimmiger Nachdrücklichkeit die fette Ente, die sie just für die Pfanne präparierte, und überlegte, was da am besten zu tun sei.
Vor allen Dingen liess sie die wenigen heiratsfähigen Männer, die Rügenfurt aufweisen konnte, Revue passieren, und weil diese Zahl gar erschreckend klein war, so kam sie schnell zum Schluss.
Der Amtsrichter! der Amtsrichter Hettstädt! Der war der Gesuchte, der Brauchbare.
Ein sehr solider, ernster, gesetzter Herr mit gutem Einkommen und gesicherter Lebensstellung, ein bisschen kränklich freilich, und wie seine Köchin sagte: ein Knickstiefel, der vor lauter Engherzigkeit, Hochmut und Umständlichkeit gar nicht zum Behagen käme! — aber was genierte das Frau Agnes. —
Die schöne Margret, dieser Erzengel an Holdseligkeit, mag ja sehen, wie sie mit ihm fertig wird!
Der Amtsrichter wird’s; — damit basta.
Und die Fleischmasse der Frau Wirtschafterin wälzte sich sofort in das Arbeitszimmer des Herrn Professors — gleichviel, ob derselbe gestört sein wollte oder nicht —, postierte sich sehr selbstbewusst und energisch vor ihn hin und erklärte ihm kurz und bündig, dass das so mit dem Fräulein nicht weitergehe. Der Herr Leutnant Olmütz könne ihr absolut nichts nützen, die Liebelei mit ihm müsse ein Ende nehmen!
Der Professor schaute mit seinen müde gelesenen Augen erstaunt über die Brille hinweg.
„Was heisst das, Agnes? Ich denke bestimmt, dass er heute oder morgen kommt, um um meine Nichte anzuhalten!“
Ein hartes Auflachen. „Das denken Sie, Herr Professor, weil Sie eben über Ihrem gelehrten Kram ganz vergessen, wie es in der Welt aussieht! Zum Heiraten gehört Geld! Fürnehmlich bei einem Leutnant, denn von der Gage allein kann keiner mit Weib und Kind leben! Na — und was hat sie? — und was hat er? — So viel! und das ist zu wenig.“
Die Sprecherin pustete verächtlich durch die Finger, und der Professor starrte sie verdutzt an: „Ach so ... die Kaution ... hm ... daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Fatal, sehr fatal! Ja, was tun wir da, Agnes?“
Frau Agnes stemmte die blauroten Fäuste in die Hüften.
„Wir suchen einen andern!“ sagte sie trocken.
„Einen andern?“ Herr von Uttenhofen fuhr mit der Hand über die hohe Stirn und sah ganz fassungslos aus: „Glaubst du denn, Agnes, dass unter den Offizieren ein vermögender Mann ist?“
„Nein, — und darum darf’s eben kein Herr Offizier sein! Gibt es denn nicht noch andere achtbare Männer hier?“ ...
„O ja ... gewiss ... aber ... weisst du denn, ob einer von ihnen unsere Margret liebt?“
Wieder ein kurzes Auflachen: „Darauf kommt’s nicht an. Was nicht ist, kann immer noch werden!“
Der Professor rückte ängstlich auf dem Stuhl hin und her: „So! so! — Und wen meinst du, liebe Agnes?“
Die liebe Agnes strich gewichtig über die steifgestärkte Schürze. „Den Amtsrichter Hettstädt mein’ ich! Der passt für sie, und der wird’s!“
„Der Amtsrichter? Hm ... nicht übel, — ein sehr ansehnlicher Mann — aber ... ja, soviel ich weiss, macht der bei Doktors stark den Hof — —“
„Bei Doktors? Der Hopfenstange Lina etwa, die ein Gesicht hat, als ob sich schon mal einer aus Versehn draufgesetzt hätte? — Na, mit der nehmen wir’s noch auf! —“
„Sie hat aber etwas Vermögen ...“
„Na, wieviel denn? Die paar Kröten sind doch gar nicht der Rede wert! Und was nützt ihm das bei dem Geiz von der Alten! Bah! Was kocht sie ihm denn? Letzten Dienstag, als er zur Abendvisite bei ihnen war, hat sie grüne Heringe und Bratkartoffeln aufgetischt! Ist das eine Bewirtung für einen Freier? Und was die Müllern ist, die nebenan wohnt — die sagt —: ‚Alles macht die Doktern mit Margarine! Kein Lot Butter kommt mehr ins Haus; und wenn der Amtsrichter zum Kaffee kommt, streicht sie ihm auch eine Musstulle!‘ Nu bitt’ ich Sie, Herr Professor! Eine Musstulle für einen Freier!! Der klebt ja fest, wenn er danach die Lina auf die Backe küsst!“
„Ja aber ... du kochst ja ganz vorzüglich, liebe Agnes, und Margret versteht es wohl auch schon etwas ... Aber wie kann ich das dem Amtsrichter erzählen ...“
„Schnickschnack! Erzählen! — Von ’ner gemalten Wurst wird keiner satt. — Wenn Sie den Amtsrichter heute abend im ‚Löwen‘ sehn, dann laden Sie ihn für morgen zum Essen ein ...“
„Zu uns? — Hierher? — Zum Essen?!“ Herr von Uttenhofen sah aus, als drehe sich die ganze Stube im Wirbel, so dass der Virgil über den Horaz und der Homer unter den Kalender von 1881 zu stehen käme —: „Hierher zu uns?!“
„Na gewiss! Im Gasthaus kann ich ihm nicht kochen. Sie sagen, morgen sei Ihr Geburtstag ...“
„Aber der ist ja im September ...“
„Weiss das jemand? — Und schliesslich — so ein zerstreuter Bücherwurm verwechselt auch schon mal den eigenen Geburtstag! Also morgen ist Ihr Geburtstag, Herr Professor — und dazu laden Sie sich den Amtsrichter ein. Alles andere überlassen Sie man mir, — das werde ich schon fingern!“
Der Professor schielte schon wieder sehnsüchtig nach seinem Manuskript: „Hm ... wie du meinst, liebe Agnes, du weisst ja alles am besten ... und zum Essen also ... um zwölf Uhr meinst du? ...“
„Nein, — um ein Uhr, — das ist feiner. Je später, desto feiner, heisst’s heutzutage. Der Landrat hat neulich sogar mal um drei Uhr geladen, — aber vor solcher Übertreibung soll mich Gott bewahren! Das heisst ja, die ganze Weltordnung über den Haufen stossen, wenn es erst Mittag gibt, wo andere Christenmenschen schon wieder ihren Stippekaffee trinken! Um ein Uhr, — das ist reichlich spät, aber es ist noch keine Auflehnung gegen die göttlichen Naturgesetze!“
„Gewiss nicht, liebe Agnes!“
„Und ich esse mit am Tisch! Die Margret trägt auf, — das macht einen wirtschaftlichen Eindruck.“
„Hm ... hm ...“ Der Professor sass schon wieder tief über sein Werk geneigt: „Gewiss, liebe Agnes!“
— — — Am anderen Tage erschien der Amtsrichter, und wenn auch Margret voll freudigsten Eifers in der Küche geholfen hatte — zu ihrem grenzenlosen Erstaunen gestattete Frau Agnes, dass „die Kleine“ bei der Zubereitung der Speisen hilfreiche Hand leistete und belehrte sie sogar voll herablassender Huld, wie dies und jenes Gericht herzustellen sei —, so empfing Fräulein von Uttenhofen den Gast selber, jedoch nur voll höflicher Gleichgültigkeit.
Der pedantische Herr mit der goldenen Brille, dem kränklich spitzen Gesicht und dem Ausdruck stets nörgelnder Unzufriedenheit oder arrogantester Überhebung in den früh gealterten Zügen, war ihr nie sehr sympathisch gewesen, und in ihrer Herzensunschuld, die die Herren noch nicht auf ihre Eigenschaften als gute Partie prüfte, begriff sie nicht den ungeheuren Enthusiasmus, mit dem die Damen von Rügenfurt für Herrn Hettstädt schwärmten. Man riss sich um seine Gunst, man buhlte um sein Wohlwollen, und die Aufregung der Mütter im Ballsaal erreichte ihren Höhepunkt, wenn der Herr Amtsrichter, — ganz hochfürstlich erst dann, wenn alle Welt versammelt war, — als Gnadensonne in der Tür aufstieg, um mit sauersüssem Lächeln seine Tänze zu vergeben, wie ein König, der Almosen austeilt. Margret war so unerhört leichtsinnig und unbedacht gewesen, nie auf den gestrengen Herrn zu warten, — sie liess ihre Tanzkarte ohne Ansehen der Person von Freunden und Verehrern füllen, und darum nahm es auf dem letzten Ball um so mehr wunder, als der Herr Amtsrichter sich beim Souper an die „andere“ Seite des Fräulein von Uttenhofen setzte und sogar geruhte, sich sehr scharmant mit dem dummen Ding, das nie die mindeste Rücksicht auf ihn nahm, zu unterhalten.
Ah! Die Frau Rätin hatte recht, wenn sie plötzlich auf den Gedanken kam, die ganze „Gleichgültigtuerei“ des Fräulein Margret sei raffinierteste Koketterie, um den Freier dadurch aufs äusserste zu reizen!
Margret ahnte nichts von dieser Konduite, die Neid und Missgunst ihr ausstellten. Sie fand den Amtsrichter weder sehr angenehm noch sehr unangenehm. Er war ihr vollkommen gleichgültig, und nur die Höflichkeit und ihr so von Herzen liebenswürdiges Wesen liessen sie mit ihm plaudern, wie mit allen andern Herren auch.
Sie war sehr überrascht, als Onkel Max sich zur Feier seines Geburtstages gerade diesen Herrn als Gast eingeladen hatte, aber die Freude über das so selten freundliche Wesen, das Agnes heute zeigte, der Eifer, in der Küche helfen und lernen zu können, strahlte aus ihren Augen, und so begrüsste sie den Amtsrichter so heiter und frisch und sah so bezaubernd anmutig aus, dass der gestrenge Herr mit wohlwollendem Lächeln ihre Hand länger drückte, als just nötig war.
Margret hatte den Geburtstagstisch so sinnig und hübsch geschmückt, wie es bei den bescheidenen Mitteln, über die sie verfügte, möglich war. Grosse Sträusse schlanker Weiden- und Nusskätzchen, die ersten gelben Blüten der Herlizia, Krokus und Fürwitzchen, untermischt mit bescheidenen, rotgeränderten Gänseblümchen und weissen Anemonen, kurz alles, was der erste, junge Lenz an Blüten und Knospen über die erwachende Welt streut, blühte auf dem weissen Damasttuch!
Selbstgebackener Mandelkuchen duftete auf buntgemalter Platte, schlanke Weinflaschen sorgten für das festliche Gepränge, und Margret hatte auf Befehl der Frau Agnes das lichtblaue Kleid anlegen müssen, welches ihr so ganz besonders hübsch zu Gesicht stand! —
Der Amtsrichter blickte denn auch mit unverkennbarer Huld auf die zarte, schmiegsame Mädchengestalt, und schien nicht zum angenehmsten überrascht, als Frau Agnes ihm mit viel selbstbewusster Würde den Stuhl an ihrer Seite anwies, während zu seiner Linken der Professor Platz nahm.
Herr von Uttenhofen schien auch etwas erstaunt über dieses Arrangement.
„Soll unser verehrter Gast denn nicht zwischen den beiden Damen sitzen, liebe Agnes?“ fragte er mit schüchternem Versuch, auch einmal eine Anordnung zu treffen, — Frau Hauser aber schöpfte gelassen die Suppe aus und sagte sehr ruhig und bestimmt: „Nein, Herr Professor, die Kleine ist heute eine zu ungemütliche Nachbarin, — Sie wissen, dass sie es sich heute ebensowenig wie sonst nehmen lässt, uns zu bedienen, und da würde der Herr Amtsrichter zumeist neben einem leeren Stuhl sitzen. — Das Tischgebet, Margret!“ —
„Wie du willst, liebe Agnes!“ —
Und dann sprach die weiche, melodische Stimme des jungen Mädchens, die bei den so überraschend gnädigen Worten der Alten heiss erglüht war, das schlichte Sprüchlein.
Man setzte sich, und der Amtsrichter machte mit galanter Verbeugung gegen Fräulein von Uttenhofen die treffende Bemerkung: „Vis-à-vis — noch besser wie nah dabi!“ — eine Artigkeit, die den Professor veranlasste Frau Agnes einen strahlenden Blick zuzuwerfen, der soviel ausdrückte, als wie: „Hast du’s gehört? Er hat wirklich Absichten!!“
Aber Frau Hauser löffelte vollständig gleichgültig ihre Suppe und sagte nur: „Na, jetzt haben Sie’s ja raus, Gretchen, wie man eine gute Fleischbrüh’ kocht!“ —
Margret starrte sie ganz verdutzt an, der Amtsrichter aber lächelte höflich: „Das gnädige Fräulein ist wohl Ihre Schülerin in der edlen Kochkunst, Frau Agnes? Nun, da kann man ihr freilich gratulieren!“
„Ihr und wohl auch demjenigen, der sie mal heimführt!“ lächelte die Matrone verschmitzt. „Nicht wahr, Kleine? Wenn der Mann so hungrig und müde vom Dienst nach Hause kommt und viel Staub geschluckt hat ... na, na — dies böse Gesicht! — Da hier — mein Suppenteller! Sie können uns gleich den Fisch holen!“— und damit wischte sich die Sprecherin mit breitem Lachen den Mund, nahm die Teller von ihren beiden Nachbarn zusammen und reichte sie dem jungen Mädchen. „Mit Verlaub, Herr Amtsrichter, es geht ganz gemütlich bei uns zu. Auf Gäste sind wir nicht eingerichtet — Lohndiener sind bei uns nicht, — man muss fürlieb nehmen!“
Margret war über die Art und Weise der Alten, sie plötzlich mit einem Offizier zu necken, so perplex, dass sie schleunigst mit den Tellern verschwand. — Auch der Professor sah ganz fassungslos aus, und Herr Hettstädt kniff mit saurem Gesicht die kurzsichtigen Augen zusammen und wiederholte gedehnt —: „Ah — dom Dienst? Also Fräulein Margret wünscht sich einen Herrn Offizier zum Gatten?“
Agnes neigte sich vertraulich näher: „Nein, das tut sie eben nicht! Sie macht sich nämlich nicht viel aus dem doppelten Tuch! — Hihi! Sahen Sie nicht ihr böses Gesicht? Aber, du liebe Zeit! Ich denke mir, es wird doch noch mal ein Leutnant! Da ist namentlich einer, der ist ganz toll in das Mädel! Rein von Sinnen! Ich sehe ja, wie er das Pflaster vor dem Hause glatt läuft!“
„Hm! Hm!“ —
„Nicht wahr, Sie merkten es auch schon?“
„Olmütz! Pah — grüner Laffe — kein Geld ... der kann ihr nichts nützen!“
„Sagen Sie das nicht! Hübsch ist er aber! Und schmuck und fein! Und in vier Jahren Hauptmann. So lange kann eine Achtzehnjährige wohl warten!“
Die Sprecherin schenkte dem Gast sehr freundlich Wein ein, der Professor sass wie ein steinernes Bild und stöhnte leise: „Aber Agnes — liebe Agnes ...“
Der Amtsrichter nahm jedoch mit sauertöpfischem Gesicht einen Schluck und zuckte die Achseln. „Sagten Sie aber nicht, Fräulein Margret mache sich nichts aus dem Militär?“ —
„Tut sie auch nicht!“
„Nun also!“ —
„Manches Mädchen hat schon den Falschen genommen, wenn der Rechte nicht kam! Ob sie Olmütz mal erobern wird? Das glaube ich kaum! Aber der Berliner ...“
„Der Berliner?!“
„Ja, sehen Sie, Herr Amtsrichter — ganz unter uns gesagt — von der Pension her hat sie auch einen Anbeter, einen flotten, reichen Husar sogar, der ein Schloss und Geld wie Heu hat. Du liebe Zeit, wem fiele das bildschöne Mädchen nicht auf —“
„Ein Husar?!“
„Liebe Agnes ... ein reicher Husar ... ei, davon weiss ich ja kein Sterbenswörtchen!“ —
„Woher denn auch? — Einem Manne und alten Onkel machen die Mädchen keine Geständnisse ...“
„Also doch Geständnisse —! Da ist die Sache wohl schon klipp und klar?“
„I, wo denken Sie hin, Herr Amtsrichter! Das ist ja das Wunderliche, dass das närrische Ding ihn auch nicht mag! Hat sich ja vor ihm hierher zu uns geflüchtet ... im Vertrauen gesagt, Herr Hettstädt!“ —
„Aber liebste Agnes ... hierhergeflüchtet?“ — und Onkel Max machte ein so unbeschreiblich überraschtes Gesicht, dass er vollständig vergass, den Mund wieder zu schliessen.
„Pst!“ sagte Frau Hauser. „Das liebe kleine Ding kommt!“
Und Margret setzte mit glühenden Wangen einen herrlich gebläuten Karpfen auf den Tisch, lachte den Amtsrichter ganz harmlos und lediglich aus Freude über das ihr gelungene Anrichten mit strahlenden Augen an, und huschte leichtfüssig zurück, um Kartoffeln und Sauce zu holen.
Frau Agnes aber sass dick und breit auf ihrem Stuhl und legte die Hände behaglich über dem Magen zusammen.
„Nun sieh mal an — wie sie’s ’raus hat!“ sagte sie mit anerkennendem Kopfnicken, mehr zu sich, wie zu den Herren, und dann schenkte sie dem Amtsrichter abermals ein. „Fisch will schwimmen und nun, bitte, mal zugelangt! Ich weiss aus dem Löwen her, dass Sie den Kopf lieben — mit Verlaub, wenn ich Ihnen vorlege!“
Herr Hettstädt strahlte vor Freude, hielt den Teller hin und nahm dankend sein Lieblingsstück in Empfang.
„Ganz recht, ganz recht! Der Kopf, ja dafür habe ich eine Schwäche! Aber sagen Sie um alles, beste Frau Agnes — wie erfuhren Sie das?!“
Die Matrone sah unendlich harmlos aus. „Ei, die Margret hat es mir wohl gesagt. Solch ein junges Ding weiss immer mehr wie andere Leute ... pst ... sie kommt.“
Voll ausgesuchtester Höflichkeit wandte sich der Amtsrichter der jungen Dame zu, die Unterhaltung schien die schönsten Blüten treiben zu wollen, als Frau Hauser energisch die Hand hob. „Beim Fisch wird nicht gesprochen! Essen Sie mal in Frieden Ihren Karpfenkopf, Herr Amtsrichter, die Margret hält sich nie lange mit Messer und Gabel auf, und wenn sie mit ihrem Teller im klaren ist, sagt sie uns mal das hübsche, lustige Gedicht vom Ritter Kunz und seiner Schwiegermutter auf.“
„Ja, das ist sehr spasshaft!“ nickte der Professor kauend, und der Amtsrichter, der nichts mehr liebte, als wie beim Fischessen gut unterhalten zu werden, ohne dass Ansprüche an seine Suade gestellt wurden, applaudierte mit scharmantestem Lächeln und war entzückt von der Idee.
„Aber liebste Frau Agnes, dieser alte Witz“ — — wehrte Margret verlegen ab.
„Schnickschnack! Trinken Sie mal! tüchtig, das ganze Glas aus! — So, und nun seien Sie ganz so lustig und gesprächig, wie Sie es stets bei Tische sind. Vor dem Herrn Amtsrichter brauchen Sie sich nicht zu genieren!“
„O gewiss nicht!“ Fräulein von Uttenhofen sah ganz verklärt aus. So liebenswürdig war ihre gestrenge Widersacherin ja noch nie zu ihr gewesen.
Ein Gefühl der Glückseligkeit überkam sie. Welch ein schöner Freudentag war es heute! — Wahrlich, da konnte man lustig und guter Dinge sein, schon dem Onkel zuliebe, der sie auch so bittend ansah.
Lachend rezitierte sie die schauerliche Ballade von dem Ritter Kunz, deren Wiege wohl auch die Fliegenden Blätter gewesen, und die sie ehemals bei heiterem Fest in der Pension dramatisch dargestellt hatten.
Ritter Kunz kann der Gespenster in seiner Burg nicht Herr werden.
Die grausigen Unholde toben Nacht für Nacht weiter, und der arme Schlossherr wendet alle nur erdenklichen Mittel an, um sie zu verscheuchen.
Umsonst! Die schauerlichen Spukgestalten spotteten jedweder Beschwörung, bis der geplagte Ritter auf ein letztes Mittel verfällt.
Er ruft seine Schwiegermutter zu Hilfe.
Just als der Höllenspektakel im fahlen Mondlicht der Rüsthalle wieder seinen Höhepunkt erreicht hat, öffnet sich die Tür, und in einer Nachttoilette, die das Entsetzen der bleichen Geister nur zu begreiflich erscheinen lässt, mit drohend erhobenem Besen erscheint die Schwiegermama auf der Schwelle.
Da ward’s still. —
In heillosem Schreck stieben die Gespenster auseinander und flüchten in wilder Hast aus dem Bereich der alten Dame.
Sie, die nichts in die Flucht schlagen konnte, packte bei dem Anblick einer Schwiegermutter bleiches Grauen.
Die Dichtung wirkte ungeheuer erheiternd auf die kleine Tischrunde, der Professor wischte sich die Lachtränen aus den Augen und sagte doch voll kopfschüttelnden Mitleids: „Die armen Schwiegermütter! Solange wie der Deutsche noch seine Witze macht, werden sie die Kosten derselben tragen müssen. Ein wunderlicher Widerspruch! — Keine Nation stellt ihre Frauen so hoch, hält sie so heilig und wert wie der Deutsche, dem das Wort ‚Mutter‘ ein Stücklein Religion umschliesst, — und doch macht er mit Vorliebe seine Scherze über dieses so teure Wort, wenn ihm die Silben ‚Schwieger‘ voranstehen!“ —
„Erklären wir es mit der ebenfalls sehr deutschen Eigentümlichkeit, dass das — was sich liebt — sich gerne neckt!“ lächelte der Amtsrichter in bester Laune, hob sein Glas und trank auf das Wohl der Damen.
Frau Agnes zuckte die Achseln. „Na — mit der ‚Liebe‘ wollen wir es in diesem Falle nicht zu genau nehmen. Es gibt Exemplare von Schwiegermüttern, die furchtbar sind. Davor möge Gott einen jeden Mann bewahren. Ich habe da selbst gar manches mit angesehen — und am schlimmsten sind sie, wenn sie das Geld in Händen haben und obendrein geizig sind. Da glaubt mancher, er nimmt sich eine wohlhabende Frau — und wenn’s zum Klappen kommt, sitzt die Schwiegermutter auf dem Geldsack und lässt die lieben Kinder hungern! Hat sich schon mancher die Zähne an Musbrot ausgebissen, der lieber Butter darauf gegessen hätte, — und statt Karpfen — grüne Heringe. Und statt Hühnerbraten einen Stallhasen! — Übrigens — ist denn das wohl wahr, dass die Doktorn neulich ein wildes Karnickel gebraten hat? — Gott soll mich bewahren, nächstens wird sie noch die Ratten und Mäuse spicken! — Sehen Sie, Herr Amtsrichter — ich will nichts gesagt haben — aber ich bin eine ehrliche Person und rede die Wahrheit. — Sehen Sie, die Doktorn, das ist so eine Schwiegermutter, von der die Männer auch beten können: ‚Davor bewahr’ uns, lieber Herrgott!‘ — — Ei, warum sehen Sie denn plötzlich so verlegen aus, mein Goldkindchen? Bei Ihnen kommt ja doch nie ein Mann in Verlegenheit wegen der Schwiegermama, Margret, — Ihr Zukünftiger kann sich ins Fäustchen lachen! — So, und nun holen Sie uns mal den Hühnerbraten, Kleine, — die Kompottschüsseln haben wir schon auf dem Tisch, fehlt also noch der Kartoffelsalat und die Sauce dazu!“ —
Margret hatte mit Schreck die sehr verdüsterte Miene des Amtsrichters gesehen, als Agnes so ungeniert von der Doktorn sprach. Du liebe Zeit, ahnte denn die Alte gar nicht, dass Herr Hettstädt der erklärte Freier von Doktors Lina war? — —
Sie ward dunkelrot vor Verlegenheit, erhob sich hastig und wechselte die Teller, um alsdann nach der Küche zu eilen.
Der Amtsrichter nickte mit grämlichem Gesicht vor sich hin. „Hm ... die Frau Doktor ...“ murmelte er. „Sie haben wohl recht, beste Hauser ... die Frau ist mehr wie sparsam. Das Karnickel hat sie in der Tat gebraten und behauptet, solch ein Lapin sei eine Delikatesse. — Schrecklich!“ —
„Behauptet sie? — Die Heuchlerin!“ rief Agnes voll sittlicher Entrüstung. — „Das Dienstmädchen hat erzählt, wie Schwamm hätte das Vieh geschmeckt, und so unappetitlich sei’s gewesen, dass sie lieber Hunger gelitten hätte, als so was über die Lippen zu bringen. Und das will was heissen! Denn bei Doktors werden die Mägde wirklich mit Heringsgräten gesuttert. Trotz alledem hat die Madame schon wieder neue Karnickel bei dem Forstläufer bestellt. Ja, ja, schütteln Sie sich man, Herr Amtsrichter! Wenn Sie in der nächsten Zeit hingehen, bekommen Sie auch Lapinbraten vorgesetzt, also bleiben Sie man lieber weg!“
„Ja — das werde ich wohl ... obgleich ... Sie verstehen, mein lieber Professor, so als Junggeselle und einsamer Mensch bedarf man eines gewissen Familienanschlusses. Ich bin Gemütsmensch, eine traute Häuslichkeit zieht mich an! Ja, wenn man es als Hagestolz so herrlich haben kann wie Sie, verehrter Freund. So versorgt und gehegt und gepflegt werden — eine solch meisterliche Küche ... o — ja dann“ —
„Hm ... allerdings ... meine gute Agnes ...“
„Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Hettstädt: Wenn es Ihnen um Gemütlichkeit zu tun ist, dann kommen Sie zu uns, sooft Sie Lust haben! Wenn der Professor auch arbeitet — ei, so sind wir Frauenzimmer doch da, um Sie zu unterhalten. Bei mir gibt’s keine Karnickel und Musstullen, und die Margret spielt Ihnen was auf dem Klavier. So, da wären ja die Hühner! Haben Sie recht brav gemacht, Kindchen! So goldgelb knusprig müssen sie aussehn — und tüchtig Sahne an die Sosse? Schmeckt delikat. — Na ja, ich sage ja, die Magret kocht bald noch besser wie ich!“
Der Amtsrichter kniff sehr huldvoll lächelnd die Augen zusammen.
„Wissen Sie auch, Fräulein Margret, — dass meine lieben Freunde hier mich soeben aufforderten, recht häufiger Gast in diesem behaglichen Hause zu sein?“
Das junge Mädchen war so glückselig und verwirrt durch das Lob der Frau Agnes, dass sie nur mit leuchtenden Augen den Sprecher anblickte und ihm freundlich zulächelte: „O, das ist ja sehr nett! Dann darf ich Frau Hauser hoffentlich jedesmal in der Küche helfen!“
„Das versteht sich!“ nickte die Alte und schnitt mit kraftvoller Hand ein saftiges Hühnerbein ab, um es voll sorgender Höflichkeit allsogleich auf den Teller des Gastes zu legen. „Sie sollen jetzt tüchtig kochen lernen, Fräuleinchen, damit Ihr Mann mal ein gutes Leben hat, wenn Sie heiraten! Viele Zeit haben wir nicht mehr! Am Neujahrstag hat mir geträumt, dass ich Kuchen backte und einen Kranz flocht, das bedeutet eine Braut im Hause!“
„Ah — sieh an! — ei, ei, Fräulein Magret!“ —
„Hm — sollte mich freuen!“ schmunzelte der Professor und hob sein Glas: „Darauf wollen wir anstossen!“
„Aber Onkel!“
„Schnickschnack! Angestossen!“
„Ich erlaube mir, mein schönes Fräulein!“
„Nicht wahr, der kann lachen, der die mal kriegt?“ kicherte Frau Agnes und stiess den Amtsrichter mit den Ellenbogen sanft in die Seite. —
Der gestrenge Herr füllte sich gerade Kompott auf.
„Das glaube ich selbst! Eine Frau, die hübsch ist, gesund — gut kocht —“
„Hihi! und keine Schwiegermutter mit ins Haus bringt —“
„Sehr beachtenswert!“ —
„Und von feiner Familie ist —“
„Hm — darauf lege ich nicht viel Wert.“ — Das Gesicht des Sprechers bekam wieder etwas Säuerliches. — „Titel sind überflüssig: wenn nicht die Mittel dazu da sind, genieren sie höchstens. Aber die Mittel sind doch eine rechte Hauptsache!“ —
„Oho!“ Frau Agnes setzte sich in Positur. „Sagen Sie das nicht! Grässlich, wenn die Frau auf ihre Geldsäcke pocht! Eine reiche Frau hat stets im Hause die Hosen an! Die kommandiert und schikaniert und lässt bei jeder Gelegenheit den Mann merken, dass sie die Musikanten hat! Eine arme Frau ist viel bequemer! Die muss sich ducken, sich fügen, fein demütig gehorchen und dem Mann alle zehn Finger küssen, dass er sie durchfuttert! Solch eine arbeitsame, stille, gefügige Frau ist ein Glück — während ein Geldprotz immer ein Unglück ist!“ —
Der Amtsrichter sah plötzlich ganz nachdenklich aus. „In dieser Beleuchtung, allerdings — —! Hm ... Die Sache hat etwas für sich — — Sie haben vielleicht recht, Frau Hauser ...“
„Prosit! Darauf trinken Sie mal aus! Magret, schenken Sie dem Herrn Hettstädt ein!“
Das junge Mädchen war viel zu ahnungslos und harmlos, um sich bei diesem Gespräch das mindeste zu denken.
In ihrer frohen Stimmung sah sie die Welt durch rosafarbene Schleier an und dachte nicht darüber nach, ob dieselben das Auge täuschten. Sie wusste, dass kein ernsthafter Freier auf meilenweit für sie in Sicht war, darum lachte sie arglos über den Traum der Alten und über die Heiratsgedanken, mit denen man sie neckte.
Und weil sie gern in den heiteren Ton einstimmte und wieder necken wollte, so dachte sie daran, dass der Amtsrichter mit Doktors Lina verlobt gesagt wurde, hob ihr Glas und lachte ihm schalkhaft zu: „Gehen Sie nur mit gutem Beispiel voran, was das Heiraten anbetrifft, an mir wird’s dann auch schon nicht fehlen!“
Er nickte ihr mit wahrhaftem Gönnerblick zu. „Wer weiss, — wer weiss! Manch Mädel hat schon durch Kochkünste sein Glück gemacht!“ —
Und dann rückte er wiederum die Brille gravitätisch auf der Nase zurecht und begann zu erzählen, was für enorme Schwierigkeiten er mal wieder in der letzten Zeit in seiner einflussreichen Stellung überwunden habe, wie seine Vorgesetzten ihn gar nicht genug loben und rühmen könnten, wie man ihm eine ganz enorme Karriere voraussage!
Der Weihrauch, den er mit immer volleren Händen auf den Altar seiner eigenen Herrlichkeit streute, qualmte wie ein Fabrikschornstein, und die hagere, engbrüstige Gestalt des Herrn Amtsrichters schimmerte immer sagenhafter und göttergleicher aus den dichten Wolken, und Frau Agnes faltete die Hände über dem dicken Magen und starrte bewundernd auf den Mann der Zukunft, vor dem selbst alle Exzellenzen und Reichskanzler zusammenschrumpften wie Schatten vor der Sonne. Welch ein Mensch! —
Auch der Professor versagte ihm nicht die schuldige Hochachtung, nur Margret sass und blickte an dem salbadernden, hochbedeutenden Mann vorbei durch das Fenster, vor dem die volle, sonnengoldene Pracht des Frühlings flutete, und es zog wie eine stille, heisse Sehnsucht durch ihr Herz, nach Maienglück und junger Liebe ...
„Ja, ein geistig hochbedeutender Mann gebraucht eine Frau, die als demütiger, wesenloser. Schatten neben ihm herschreitet, — eine Verkörperung strengsten Pflichtgefühls, ein Wesen, das nur dient, nur gibt — und opfert — ohne für sich das mindeste zu verlangen, — eine Magd und Dienerin, eine Krankenpflegerin und bescheidene Dulderin, ein Weib — das nur sein Glück in der Sorge für den teuren Gatten findet!“ — Herr Hettstädt sagte es mit viel Pathos und Anmassung, und Frau Agnes nickte eifrig Beifall, — Margret aber hörte kaum, was er sprach, — sie sehnte sich hinaus in das Duften und Blühen goldener Lenzespracht, die so wundersame, wonnige Märchen von süsser Liebe und idealen Träumen in das Ohr junger Mädchen haucht ...
Sie seufzt leise auf. —
Der Amtsrichter kam wieder, — und kam immer öfter, aufs dringlichste und schmeichelhafteste von Frau Agnes geladen!
Anfänglich war Margret noch völlig unbefangen, ja sie freute sich sogar auf die Besuche, weil sie alsdann jedesmal in der Küche helfen, etliche Speisen sogar selbständig kochen durfte.
Die kleinen Anspielungen und Scherze der Frau Hauser verstand sie nicht, — ebensowenig legte sie den mindesten Wert auf die paar süsslichen Redensarten des Herrn Hettstädt, die ihr sogar unsympathisch und fatal waren. Dass sie dieselben als „Courmacherei“ aufzufassen habe, kam ihr gar nicht in den Sinn. Es lag eine so trockene, nüchterne Art und Weise in dem ganzen Amtsrichter, eine so grenzenlose Selbstüberhebung und herablassende Huld, dass Margret nur den ältlichen, kränkelnden Mann in ihm sah, den Egoisten und eingefleischten Bureaukraten, der dem Frühling und der Liebe so fern stand, wie die Nacht dem Tage. In welch anderer Weise huldigten ihr die jungen Offiziere!
Vor allen Dingen Olmütz!
Aber auch dieses war nicht nach ihrem Geschmack. Das feurig leidenschaftliche Werben des jungen Leutnants ängstigte und erschreckte sie. Sein Blick, seine verstohlenen Händedrücke, seine Worte, die er mit heissem Atem oft in ihr Ohr flüsterte, entsprachen nicht ihrem holden, schüchternen Mädchentraum von heilig ernster, himmelhochtragender Liebe! Was bei dem Amtsrichter zuwenig war, tiefinniges, zärtliches Empfinden, das war bei Olmütz zuviel; — was bei jenem fehlte, schäumte bei diesem über, was bei dem einen kaum als armseliges Fünkchen glimmte, drohte bei dem andern als verderblicher Brand in wilden Gluten emporzulodern. Und das eine gefiel Margret so wenig wie das andere.
Sie schuf sich selber in stillen Träumen die Idealgestalt ihres Glückes, und weil dieselbe so hoch, ach so unerreichbar hoch in den Wolken schwebte, kam es ihr gar nicht in den Sinn, dass sich auf niederer Erde eine barbarische Hand finden könne, die ihr das süsse Zauberbild in Stücke schlagen könne!
Sie war dem Amtsrichter gegenüber völlig unbefangen, bis eines Tages zum erstenmal an dieser Harmlosigkeit gerüttelt ward. Sie begegnete auf der Strasse Doktors Lina, wollte sie freundlich begrüssen und ihr die Hand reichen, — zu ihrer grossen Bestürzung jedoch funkelte das alternde Fräulein sie hasserfüllten Blickes an und wandte ihr, ohne den Gruss zu erwidern, den Rücken. Ganz betroffen von dem Unerwartenen fragte Margret eine just des Weges kommende, ihr befreundete Dame, was dies beleidigende Benehmen Linas bedeuten solle.
Die andere lachte ein wenig ironisch auf. „Aber meine Beste, Sie können doch nicht verlangen, dass man einem Mädchen, das einem den Freier abspenstig macht, noch um den Hals fliegen soll?“
„Den Freier abspenstig macht?!“
„Himmel, was können Sie kleiner Schalk für erstaunte Augen machen!! Glauben Sie denn, es bliebe in Rügenfurt unbemerkt und unbesprochen, wenn ein junger Herr plötzlich fahnenflüchtig wird? Früher war Hettstädt das tägliche Brot bei Doktors! Die Damen stickten sogar schon die Ausstattung, und nun plötzlich betritt er nicht mehr ihre Schwelle, sondern ist beinahe ein um den andern Tag bei Ihnen!“
„Bei mir?!“ Wie ein Schrei der Entrüstung klang es von den erbleichten Lippen Margrets.
„Nun — bei Ihnen oder in dem Hause Ihres Onkels, das ist doch gleichviel! Wegen des Herrn Professors oder der dicken Agnes wird er doch nicht kommen!“
„Doch tut er’s! Nur um des Onkels willen!“ stiess Fräulein von Uttenhofen mit bebender Stimme hervor. „Der Amtsrichter ist mir völlig gleichgültig — o, ich versichere Ihnen ...“
„Na, na! Diese Versicherungen kennt man!“ — ein Achselzucken und Auflachen — „das hat schon manche gesagt! Aber nun adieu, Kleine! Möchten Sie den besten Erfolg haben!!“
Schwarze Schatten schwirrten vor Margrets Augen. Wie gehetzt stürmte sie heim.
„Agnes! Agnes! — Wissen Sie, was man sagt?“ und sie berichtete mit entsetzten Augen das soeben Erlebte.
Die Alte zuckte gelassen die vollen Schultern. „Na, einmal muss es ja doch bekannt werden! In solch kleiner Stadt kann man nun mal nicht mit Verlobungen überraschen!“
„Verlobung!!“ —
Da fasste die Alte mit energischem Griff den Arm des jungen Mädchens. „Danken Sie dem lieben Gott auf den Knien, wenn ein solch gutgestellter Mann wie Hettstädt um Sie wirbt! Auf was wollen Sie warten? Einer Mamsell Habenichts fliegen die Prinzen und Grafen nicht in die Arme. Wollen Sie dem Onkel etwa ewig zur Last liegen, sich zeitlebens von dem alten Mann durchfuttern lassen? Er hat’s jetzt schon satt. Er darbt um Ihretwillen, er kann nicht mal seine notwendige Sommerreise machen, weil wir nun einen Fresser mehr im Hause haben. — Bitten Sie den lieben Gott, dass Hettstädt sich Ihrer erbarmt und Sie nimmt, ein grösseres Glück könnte Ihnen gar nicht blühen!“ — Schier drohlich funkelten sie die grauen Augen an, dann schlug die Tür schmetternd hinter der Sprecherin zu, — Margret aber fühlte ihre Knie erzittern. Als habe sie jählings ein Faustschlag zu Boden gestreckt, sank sie auf den Stuhl nieder. Sie weinte und seufzte nicht. Leichenblass, regungslos wie ein Bild von Stein starrte sie in den Frühling hinaus.
So kam es Schritt um Schritt näher, das Elend.
Als der Amtsrichter am nächsten Abend erschien, um seine Partie „Schach“ mit dem Professor zu spielen, hob Margret das bleiche Antlitz voll herber Entschlossenheit und sagte zu Frau Agnes: „Entschuldigen Sie mich mit Krankheit, — ich mag nicht in die Stube gehen.“ —
Da gab es einen bösen Austritt.
Das junge Mädchen aber entfloh in ihr Stübchen, schloss sich ein und war selbst dem zornigsten Klopfen der Wirtschafterin gegenüber taub.
Herr Hettstädt wunderte sich, dass Fräulein von Uttenhofen weder vor noch nach dem Essen erschien, und auch der Professor fragte erstaunt, wo seine Nichte denn bleibe?
„Sie hat sich beim Kochen die Hand verbrüht!“ seufzte Frau Agnes. „Du liebe Zeit, das arme Seelchen will es immer so besonders gut machen, wenn der Herr Amtsrichter kommt, dass sie jede Vorsicht und Schonung hintenansetzt!“
„Oh! Oh!“ nickte der ältliche Freier voll wohlwollender Rührung. „Es ist schön, wenn ein Weib so selbstlos und wirtschaftlich veranlagt ist!“
„Ei, da muss ich doch mal nach ihr sehn —“, sagte der Professor und schob das Schachbrett zurück, die liebe, gute Agnes aber hielt ihn energisch am Ärmel fest und befahl: „Sie bleiben hier! Das Mädel ist jetzt besser allein! Aber ein neues Paketchen Tabak können Sie geben, Herr Professor, der Beutel ist leer, und der Pfeifenkopf unseres lieben Gastes dampft kaum noch!“
„O, ich bitte Sie ... das hat noch Zeit ...“ wollte der Amtsrichter bescheiden ablehnen, — Frau Agnes schob aber ihren Brotherrn bereits dem Nebenzimmer zu.
Als sie die Tür hinter ihm geschlossen, lehnte sie sich freundlich und gewichtig auf den Sessel des Amtsrichters. Na, wie hat das Kalbskopffrikassee heut abend geschmeckt?“
„Ah — grossartig! Delikat!“ schmunzelte Hettstädt und sah noch bei der Erinnerung ganz verklärt aus.
„Das ist eher zu kauen, als wie wilde Karnickel und Musbrot?“ kicherte die Alte, und dann nickte sie seufzend vor sich hin: „Hat die Margret so schön gekocht, — das arme Wurm das!“
„Armes Wurm, — ei so ... wegen der Hand ...“
„Ach was! Hand! — Die ist ja längst wieder gut, wegen solcher Kleinigkeit verzieht ein Mädchen wie unsere Kleine überhaupt keine Miene! Nein, nein, — dem armen Kind liegt ein anderer Kummer auf dem Herzen ...“
„Ei, ei! — Doch nicht etwa der Leutnant?“
„Narrheit! Wo denken Sie hin!“
„Hm, — wäre mir auch ärgerlich!“
„Nein, es ist was anderes!“ — und Frau Agnes seufzte noch tiefer.
„Können Sie es mir nicht anvertrauen, meine liebe Freundin? Sie wissen, das Mädchen interessiert mich!“
„Je nun — wenn Sie es denn durchaus wollen — es betrifft nämlich auch Sie ...“
„Auch mich? — Ei, das wäre ja! —“
„Sie wissen ja, wie die Leute hier sind — —“
„Und ob ich das weiss!“
„Na, sehen Sie, da haben so ein paar giftige Zungen dem kleinen Unschuldslamm zu hören gegeben, sie angele nach Ihnen und wolle Sie dem alten Reff, der Doktorslina, abspenstig machen! Als ob Sie je an die gedacht hätten ... die mit den Salzheringen und dem wilden Karnickel ...“
„Ich denke nicht daran! Kein Pferd denkt daran!“ fuhr Herr Hettstädt entrüstet auf.
„Sag’ ich’s nicht! Und nun machen Sie schon wieder die Margret und Sie zum Stadtklatsch! Na, das mag ja kein anständiges Mädchen leiden, noch dazu, wenn ihr Herz dabei getroffen wird ...“
„Ihr Herz?!“
„Na, na, Sie Schäker, das haben Sie doch längst gemerkt, dass das Mädel bis über die Ohren in Sie vernarrt ist? Den Leutnant, trotz aller Schönheit und Schneidigkeit, haben Sie glänzend aus dem Sattel gehoben!“ —
„Was der Tausend!!“ Der Amtsrichter machte ein etwas sauersüsses Gesicht, teils geschmeichelt, teils etwas ängstlich besorgt um seine so viel begehrte Hand.
„Und weil dem nun mal so ist, kann die Margret das Geklatsch erst recht nicht aushalten!“ fuhr Frau Agnes fort und stemmte die Arme resolut in die Seiten. „Und darin hat sie recht, denn ein feines Fräulein darf nicht in den Mund der Leute kommen, und unsere Margret am wenigsten. Wenn Sie nicht Ernst machen und um sie anhalten, schadet ihr das Gerede furchtbar, und wenn der Berliner Anbeter davon hört, dann zieht er sich womöglich zurück. Das geht aber nicht, denn er ist reich und kann heiraten. Die Margret ist aber eine arme Waise — freilich beerbt sie später mal den Professor — und das ist ein tüchtig Stück Geld — vorläufig aber muss sie noch sehen, wie und wo sie unterkommt. Und da wird sie eben den Husar nehmen müssen, falls eben ein anderer nicht zuvorkommt —“
„Na, so eilig ist die Sache doch nicht —“
„Doch sie ist eilig! Der Berliner kommt noch im Laufe des Monats her — und da darf kein Geklatsch mehr sein, bis dahin müssen Sie wieder zu Doktors gehn —“
„Ich? Fällt mir gar nicht ein!“ Der Amtsrichter rückte sehr unbehaglich auf dem Sessel hin und her, während Frau Agnes ihm seufzend das Glas voll Wein schenkte.
„Was hilft’s? Sie müssen, lieber Freund, denn hierher können und dürfen Sie nicht mehr kommen —“
„Wa — was da?!“
„Nein, es geht nicht. Sie bringen dadurch unser armes Mädel ins Gerede. Entweder verloben mit ihr — — oder wegbleiben! — Schade, schade! Das liebe Kind wollte gerade für das nächstemal so eine feine Leberpastete mit Trüffeln machen, und der Professor hat ein neues Fass Moselwein bestellt — wenn die Krebszeit anfängt, Herr Amtsrichter — wir essen viel Krebse ... o und die arme Margret ... ihr wird ja das Herz brechen, wenn Sie wegbleiben!“ —
Die Sprecherin hob den Schürzenzipfel an die Augen und schütterte vor innerlichem Schluchzen derart, dass ihre massige Gestalt wogte: „Die schlechten Menschen! — Die abscheulichen Klatschmäuler, wie waren wir so harmlos froh mitsammen!“ — Der Amtsrichter war aufgesprungen und fuhr mit gespreizten Fingern durch sein spärliches Haar. Mit grossen Schritten rannte er in der Stube auf und nieder.
„Ja, diese Elenden — diese Gottvergessenen! Infame Bande hier!!“ schimpfte er ingrimmig, und dann blieb er mit blinzelnden Augen vor Frau Agnes stehen: „Aber sagen Sie, Liebe, Teuerste! Liesse sich denn kein Ausweg finden? Wenn ich nun zum Beispiel öffentlich erkläre, dass ich überhaupt niemals zu heiraten gedenke, dass ich weder die eine noch die andere nehme ... dass ich nur aus Freundschaft für den Professor hier so viel im Hause verkehre — —“
Frau Agnes kniff entschlossen die Lippen zusammen.
„Glaubt ja kein Mensch! Im Gegenteil — das stellt die Margret erst recht bloss. — Nee, nee, Freundchen, is nich. Entweder verloben, oder wegbleiben!“
„Aber teuerste Frau — ich verspreche Ihnen, dass der Ruf des Fräuleins ...“
„Entweder verloben — oder wegbleiben!“ wiederholte Frau Hauser mit erhobener Stimme und schlug zur Bekräftigung mit der flachen Hand den Kork tief in die Weinflasche. —
Hettstädt zuckte mit tückischem Blick die Achseln. „Je nun, so will ich’s mal überlegen ...“
„Schön, überlegen Sie. Am Mittwoch gibt’s die Leberpastete mit Trüffeln, — schmeckt uns auch alleine gut.“
Leberpastete mit Trüffel! Just das, wofür auch der Amtsrichter ohne Besinnen das Recht der Erstgeburt hergegeben hätte! Aber jetzt gleich ... nachdem die Alte ihm derart das Messer an die Kehle gesetzt ...
Nein, ein bisschen zappeln lassen musste er sie auch.
Verstimmt warf er sich in den Sessel zurück und schob mit nervöser Hast die Schachfiguren auf dem Brett zusammen.
Der Professor trat wieder ein.
Er war ganz harmlos.
„Liebe Agnes ... ich finde trotz alles Suchens den Tabak nicht, und hatte ihn doch wie immer in der dritten Schublade liegen ... aber vielleicht können wir heute mal die guten Zigarren probieren, mir ist gerade so lecker darauf! ... Was meinst du, liebe Agnes ... diese hier — —“
Ganz betroffen und erschreckt verstummte der Sprecher, denn seines Hauses milde Hüterin hatte ihm das Kistchen sehr gelassen und sehr bestimmt aus der Hand gerissen.
„Diese Zigarren, wo das Stück fünfzig Pfennig kostet? Aber Herr Professor! Sie wissen doch, dass das die Verlobungszigarren sind! Die hat der brave Herr Vetter ehemals für ganz besondere Ereignisse bestimmt, weil es eine ganz grossartige, fürstliche Zigarre sei, wie in Rügenfurt noch keine geraucht worden ist! Da haben Sie doch selber gesagt: ‚Die soll mal der Bräutigam unserer Kleinen rauchen!‘ — na — und Sie wissen doch, dass der Husar sich schon angemeldet hat!“
„So, so! — Wirklich, liebe Agnes?“ stotterte Herr von Uttenhofen und sah voll Sanftmut und Geduld der energischen Hausdame nach, die mit den Zigarren im Arm gravitätisch durch die Tür wuchtete.
Der Amtsrichter hatte die Nüstern schon aufgeblasen und mit aufleuchtenden Augen das Kistchen angestarrt, das durch sein vielverheissendes Etikett zu den grossartigsten Hoffnungen berechtigte.
Jetzt sanken diese Hoffnungen in ihr ödes Nichts zusammen.
Nicht der zärtlichste Blick folgte der Entschwindenden, und mit leisem Seufzer setzte sich auch der Professor wieder in seinen Sessel zurück.
„Wir wollen weiter spielen!“ —
Schweigsam, langweilig sassen sich die Herren gegenüber. Dieses dumme kleine Ding, die Margret, dass sie so empfindlich war! Wie angenehm war es doch gewesen, wenn sie mit ihrer Handarbeit neben dem Amtsrichter am Tisch sass und ihn so freundlich anlächelte ...
Potzwetter ja, hübsch war die kleine Hexe! Das liess sich nicht leugnen, der junge Pastor hatte neulich erst im „Löwen“ behauptet: „Fräulein von Uttenhofen ist eine hervorragende Schönheit, wie kommt diese Perle in die so sehr gewöhnliche und unbedeutende Muschel Rügenfurt?! —“
Und Leutnant Olmütz sollte bei dem letzten Liebesmahl in der Sektlaune geäussert haben: „Margret ist das wonnigste Weib unter der Sonne — und ich werde sie besitzen, um jeden Preis!“
Wahrlich, wird er? — Je nun, wenn der Herr Amtsrichter Hettstädt nichts dagegen hat! Wenn er den Rivalen nicht glänzend aus dem Sattel wirft! —
Nächsten Mittwoch also Leberpastete mit Trüffeln — und die famosen Zigarren ... schade, wenn die ein Mensch wie der Olmütz rauchen würde ...
Hm — wollen einmal sehen ...
„Amtsrichterchen — Sie müssen aufpassen! Sie sind nicht bei der Sache!“ schmunzelte der Professor. „Wenn Sie die Königin nicht sicher nehmen, werden Sie mattgesetzt! —“
„Hihi! nehmen Sie man die Königin sicher!“ lachte Frau Agnes spöttisch von der Tür herüber, „sonst ist sie plötzlich futsch, und ein anderer isst die Pastete und die Krebse ...“
„Wie meinst du, liebe Agnes?! —“
„O, Frau Hauser scherzt ein wenig mit mir! —“ lächelte Herr Hettstädt und umkrallte mit gierigen Fingern die arme, kleine Königin.
Welch furchtbare Tage!
Wenn jemals ein hilfloses Menschenkind erfahren hatte, was es heisst, unter der Gehässigkeit und Bosheit eines rachsüchtigen Weibes zu leiden, so war es Magret von Uttenhofen. Wenn Frau Agnes ihr das Haus des Onkels nie zu einem angenehmen Aufenthalt gemacht hatte, so verwandelte sie ihr dasselbe jetzt zur wahren Hölle.
Voll Verzweiflung rang das junge Mädchen die Hände.
Was sollte sie beginnen, um diesem — oder dem künftigen Elend zu entrinnen?
Ach, kein rettender Ausweg zeigt sich.
Schon früher hatte sie monatelang vergeblich sich um eine Stelle als Kinderfräulein oder Gesellschafterin bemüht, — doch trotz der bescheidensten Ansprüche fand sie nichts Geeignetes.
Hervorragende Talente besass sie nicht, die Lebensstellung einer Bühnenkünstlerin widerstrebte ihr, — was sollte sie tun?
Hier im Hause war ihres Bleibens nicht länger, das sah sie ein.
Sie war eine Last, eine Bürde, unter der der alte Onkel doppelt litt.
Er musste die furienhafte Laune seines Faktotums Agnes ertragen und ausserdem noch namhafte Geldopfer bringen, um den Lebensunterhalt der Nichte zu bestreiten.
Nicht einmal ein heilsames Bad konnte er mehr besuchen, — um ihretwillen!
Tränen der Verzweiflung stürzten aus den Augen des unglücklichen Mädchens.
Was blieb ihr anderes übrig, als wie eine Heirat?
Eine Heirat mit dem Amtsrichter!
Sie schauderte bei diesem Gedanken. Schrecklich, sie liebte ihn nicht. Weder ihn noch einen andern. Dieser letztere Umstand erleichtert ihr den schweren Schritt. Sie kennt noch die Liebe nicht, die grosse, heilige, allgewaltige Liebe, vor der jedes Todesgrauen zusammenschrumpft wie ein Schatten vor der Sonne.
Sterben! — Ja, sie hat schon daran gedacht. Aber ihr junges, lebenswarmes Herz schlägt angstvoll und erschreckt bei solchem Gedanken. Ach, das Sterben ist so schwer; und ihr Leid ist noch nicht so gross, um es dadurch beenden zu müssen.
Wie viele Mädchen haben schon ungeliebte Männer geheiratet, ohne dadurch für ihr ganzes Leben unglücklich zu werden.
Wie schnell kann sich oft ein Schicksal wenden, wie wundersam sind oft die Lebenspfade verschlungen und führen über Dorn und Stein doch schliesslich in selige Lande der Verheissung!
Nein, das Leben schaut sich nicht rosig an und malt Margret keine lieblichen Bilder voll Sonnenschein, Lenzesglück und Liebeslust, aber so verzweifelt, um sie in den Tod zu treiben, — nein, so schlimm steht es gottlob doch nicht.
Sie teilt das Los von unzähligen Mitschwestern, die ohne Liebe heiraten, um nicht zu verhungern. Wieder und immer wieder sagt es sich das junge Mädchen, und eine gewisse Resignation überkommt sie, eine Gleichgültigkeit gegen sich, das Leben und die ganze Welt. —
Wie oft hatte ihre Mutter mit herzzerreissendem Dulderlächeln gesagt: „Man lebt, um zu leiden! Geh auf einen Kirchhof! Schau die stillen, ernsten Kreuze an! Decken sie mehr Glück — oder mehr Schmerz und Weh? — O, welche Untiefe, welch ein Abgrund ist solch ein Grab — und wie überhoch füllen es dennoch die Tränen und das Herzeleid aus!“
Margret verschlang seufzend die Hände.
Der Glückskinder auf dieser Welt sind es so wenige, warum sollte gerade sie zu ihnen gehören?
Warum will sie ein besseres Los verlangen wie ungezählte andere?
Und Agnes sagt, einen Mann, wie den Amtsrichter, zu heiraten, sei für jedes Mädchen ein Glück. Was will sie mehr, als wohl versorgt zu sein?
Glück? seliges, junges Liebesglück?
O phantastischer Traum, der jedes Mädchenherz berückt und so wenigen doch zur Wahrheit wird!
Margret drückte die kühle kleine Hand gegen die Augen, dass sie sich öffnen, dass sie ruhig und wunschlos in das Leben schauen und die lichten Bilder und Traumgespinste vergessen, die ihnen so lockend vorgegaukelt. —
Nein, so schlimm, dass sie sterben möchte, ist das Leben doch nicht.
Der Mittwoch kam, und Frau Agnes triumphierte mit einem mächtigen Spiegelkarpfen im Netz und einem recht vielverheissenden Kalbskopf im Arm an der Wohnung des Herrn Amtsrichters vorüber, just in dem Momente, wo der gestrenge Herr gähnend am Fenster stand und den Trommeln und Pfeifen der vorüberziehenden Soldaten lauschte. Das tat er stets; Agnes wusste es und hatte sich voll kluger Berechnung dein Bataillon angeschlossen.
Und sie ward bemerkt!
Herr Hettstädt kniff die rotgeränderten Augen noch schmaler zusammen und nickte ihr mit huldvollster Miene zu, — ja, er öffnete sogar das Fenster und sprach die Alte an.
„Wie geht’s, wie steht’s?“
Frau Hauser hatte nicht viel Zeit. Die Pastete bedürfe grosser Vorbereitungen, ein so delikates Essen könne nicht in einer halben Stunde zusammengeschüttelt werden, noch dazu, wo der Professor noch einen Karpfen befohlen habe!
Wie sehnsüchtig der Herr Amtsrichter sie ansah, — wie locker er den Mund spitzte und schluckte, er sah schon im Geist Karpfen, Kalbskopf und Pastete vor sich. —
Aber die liebe, gute Agnes verstand „seiner Augen