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Menschen ohne Heimat
Eliane, ein jüdisches Mädchen, hat in einem Kellerversteck die Nazizeit überlebt. Jetzt bleibt ihr, eltern- und heimatlos, nur eins: die Auswanderung nach Palästina. Doch wie soll sie ohne Papiere an Bord eines Flüchtlingsschiffes gelangen? Schließlich verschafft ihr eine alte Dame eine jüdische Identität – unter der Bedingung, belastendes Material gegen die Nazis nach Palästina zu schmuggeln. Als Eliane jedoch im Hafen ankommt, ist die Exodus längst überfüllt. In ihrer Verzweiflung überredet sie einen Funker, sie mit ihrer heißen Fracht als blinden Passagier an Bord zu nehmen.
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Seitenzahl: 322
© Isabelle Grubert
Autor
Waldtraut Lewin, geboren 1937, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und arbeitete als Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin zunächst am Landestheater Halle und dann am Volkstheater Rostock. Seit 1978 arbeitet sie als freischaffende Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.
Von Waldtraut Lewin ist im cbj Taschenbuch außerdem erschienen:
Leonie Lasker, Jüdin. Die drei Zeichen (40003)
Leonie Lasker, Jüdin. Welt in Flammen (40020)
Der Wind trägt die Worte. Geschichte und Geschichten der Juden (40241)
Und im cbj Hardcover:
Der Wind trägt die Worte. Geschichte und Geschichten der Juden von der Neuzeit bis zur Gegenwart (13483)
Waldtraut Lewin
Nenn mich nicht
bei meinem Namen
Ein Mädchen an Bord der Exodus
cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Originalausgabe Dezember 2014
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Lektorat: Burkhard Heiland
Umschlagbild: Shutterstock Images LLC
(Oleg Gekman, joesayhello, ChameleonsEye)
Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München
KK · Herstellung: CB
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-13368-9
www.cbj-verlag.de
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.
(David Ben-Gurion,
erster israelischer Ministerpräsident)
Erster Teil: Die Suche
Sie weiß nicht, wie lange sie in diesem Verschlag neben den Heizungsrohren zugebracht hatte. Sie hatte aufgehört, die Wochen zu zählen. Aber es musste länger als eine Jahreszeit gewesen sein, denn als sie hierher gebracht wurde, waren diese Leitungen noch kalt. Dann begann man mit dem Heizen, und es wurde unerträglich heiß neben den gluckernden Rohren. Nun sind sie wieder erkaltet. Tot und kalt.
Und doch war es jetzt noch einmal heiß gewesen. Heiß zum Ersticken. War es vor Stunden, war es vor Tagen, als die Stimmen noch da waren?
Sie konnte sich, falls niemand kam, frei in diesem Keller bewegen, hörte die Schritte der Passanten von der Straße über den zur Verdunkelung schwarz gestrichenen Fensterluken, ihre Reden, ihr Lachen.
Wenn die Leute kamen, ihrer Sicherheit wegen, musste sie sich verbergen. Musste ins Versteck.
Und die Leute kamen immer häufiger, immer, wenn die Sirenen geheult hatten. Es war ein Luftschutzkeller, in dem sie hauste.
Ihr Versteck – ein Hohlraum hinter einem beweglichen Regal mit verbeulten Blechbüchsen. Niemand außer dem alten Mann wusste, dass sich dieser Hohlraum, durch den die Rohre der Heizung führten, dahinter befand. Es war wenig Platz. Sie musste von innen einen Riegel vorschieben, den durfte sie erst lösen und herauskommen, wenn der alte Mann kam und es ihr sagte, nach der Entwarnung, wenn die Leute fort waren.
Sie musste den Kopf fest in den Flausch des Mantels pressen, denn sobald die Leute kamen, begann sie oft ein Husten zu quälen, und je mehr sie versuchte, ihn zu unterdrücken, desto stärker wurde der Reiz. Und man durfte sie nicht hören. Um den Preis des Lebens nicht.
Eigentlich war es ja von draußen her laut genug, um andere Geräusche zu übertönen; das tiefe Brummen der Bomberanflüge, die dumpfen Einschläge nah und fern, das Heulen und Pfeifen, wenn in nächster Nähe eine Bombe niederging und die Mauern erzitterten, dazu die Schreie, das Weinen und die Gebete in diesem Keller. Trotzdem hielt sie sich an die eiserne Regel: Man darf dich nicht hören. Vielleicht ein winziger Moment der Stille, ein Atemholen aller, eine Pause zwischen den Detonationen, und schon wäre sie verraten gewesen. Und ausgeliefert.
Sie stand mit bebenden Knien hinter dem Regal mit den Blechbüchsen, eingezwängt zwischen den Rohren; ganz gewiss wäre sie zu Boden gesunken, wäre der Platz nicht so eng gewesen. Den Rücken an die Mauer gelehnt, vor sich das Holz der Rückwand des Regals. Eingezwängt wie in einem eisernen Käfig.
Früher, als die Angriffe nicht in solcher Nähe stattfanden, hatte sie versucht, den Unterhaltungen der Kellerinsassen zu lauschen, schnappte Brocken auf. Es war nichts Hilfreiches für sie. Die Leute machten sich gegenseitig Mut. »Der Führer weiß schon, was er tut!«, und »Es ist fünf vor zwölf! Dann holen wir zum großen Schlag aus!«, und »Die V1 und die V2 sind in Arbeit.« (Das waren wohl irgendwelche neuen gewaltigen Waffen.) Und immer wieder Worte wie »Endsieg« oder »Vergeltung«. Dann mochte sie nicht mehr hinhören. Hielt sich die Ohren zu. Manchmal waren da auch die verzerrten Klänge eines Radios mit Nachrichten. So sehr sie sich auch anstrengte, es gelang ihr nicht, irgendein Wort zu verstehen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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