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Als Stirling Hoppe seine Detektiv-Agentur am Sherman Square eröffnet, muss er nicht lange auf Mandanten warten. Aufgewachsen in der 5th Avenue, wo jeder alles über jeden weiß, einschließlich deren Reichtum und wie sie ihn erworben haben, genießt er das Vertrauen seiner Jugendfreunde und deren Väter. Bei ihm können sie sicher sein, dass weder die Polizei noch die Presse von ihren Sorgen und Geheimnissen erfahren. Die Dinge nehmen jedoch eine unerwartete Wendung, als sein Freund Julian seine Hilfe benötigt. Die Polizei ermittelt bereits gegen ihn, da er einer Frau namens Belinda Unterschlupf gewährt hatte, die eines Verbrechens beschuldigt wird.
Als Detektiv darf Hoppe sich nicht in die Ermittlungen der Kriminalpolizei einmischen, bekommt jedoch unerwartet Hilfe von Lord Strain. Dieser beauftragt ihn, eine geheimnisumwobene, gestohlene Aktentasche wiederzubeschaffen, in der sich unter anderem der Schmuck seiner Frau befand.
Während Hoppe recherchiert, stellt er fest, dass das Mädchen namens Belinda sowohl mit der gestohlenen Aktentasche als auch mit den polizeilichen Ermittlungen gegen seinen Freund Julian in Verbindung steht. Die Dinge nehmen eine noch düsterere Wendung, als in Julians Haus auch noch jemand ermordet wird …
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Jonas Pickham
Nicht nur
eine gestohlene
Aktentasche
Ein klassischer Kriminalroman
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer, 2023
Korrektorat: Ines Bauer
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Nicht nur eine gestohlene Aktentasche
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Weitere klassische Kriminal-Romane von Jonas Pickham sind erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung
Als Stirling Hoppe seine Detektiv-Agentur am Sherman Square eröffnet, muss er nicht lange auf Mandanten warten. Aufgewachsen in der 5th Avenue, wo jeder alles über jeden weiß, einschließlich deren Reichtum und wie sie ihn erworben haben, genießt er das Vertrauen seiner Jugendfreunde und deren Väter. Bei ihm können sie sicher sein, dass weder die Polizei noch die Presse von ihren Sorgen und Geheimnissen erfahren.
Die Dinge nehmen jedoch eine unerwartete Wendung, als sein Freund Julian seine Hilfe benötigt. Die Polizei ermittelt bereits gegen ihn, da er einer Frau namens Belinda Unterschlupf gewährt hatte, die eines Verbrechens beschuldigt wird.
Als Detektiv darf Hoppe sich nicht in die Ermittlungen der Kriminalpolizei einmischen, bekommt jedoch unerwartet Hilfe von Lord Strain. Dieser beauftragt ihn, eine geheimnisumwobene, gestohlene Aktentasche wiederzubeschaffen, in der sich unter anderem der Schmuck seiner Frau befand.
Während Hoppe recherchiert, stellt er fest, dass das Mädchen namens Belinda sowohl mit der gestohlenen Aktentasche als auch mit den polizeilichen Ermittlungen gegen seinen Freund Julian in Verbindung steht. Die Dinge nehmen eine noch düsterere Wendung, als in Julians Haus auch noch jemand ermordet wird.
***
Bei mir in der 5th Avenue in New York geht es immer die Reihe herum, – einmal ist dieser dran, ein anderes Mal jener. Als ich meine Detektiv-Agentur Stirling Hoppe, am Sherman Square mit zwei bescheidenen Zimmern, Lift und Warmwasser eröffnete, hatte ich noch keine Ahnung davon. Ich hatte geglaubt, die üblichen Geschichten übertragen zu bekommen, wie sie allen Privatdetektiven in New York zufallen, aber stattdessen fanden sich die Nachbarn aus der Fünften bei mir ein. Die Larrings und die Whitleys, die Shaffers und die Wormser, die Maxwell und die Roots, – ich kannte sie alle von Kindesbeinen an und wusste, wie viele Millionen sie im Hintergrund hatten.
Der Anfang war viel leichter, als ich gedacht hatte. Meine Kunden waren bei mir sicher, dass ich nichts an die große Glocke hänge und ich vor allem, worauf es ihnen am meisten ankam, auch der Polizei gegenüber so weit wie möglich meinen Mund halten würde. Schließlich waren wir in der 5th Avenue alle eine einzige Familie, jeder wusste vom Andern, wie er seine Millionen zusammen gescheffelt hatte, und wir legten großen Wert darauf, dass davon nichts in die Öffentlichkeit durchsickern würde.
Ich habe eine wunderbare Sekretärin, Pamela Sitwell, die wie eine echte englische Herzogin aussieht, obwohl sie nur aus Williamsburg stammt, wo früher die kräftigsten Arbeiter aus den Marinewerften herkommen. Mein Assistent Oliver O’Brien hatte mit den großartigen Strafanstalten von Leavenworth und Sing-Sing persönlich Bekanntschaft gemacht. Aber jetzt ist kein unpassendes Wort mehr über Oliver zu sagen. Er hat seine dunkle Vergangenheit vergessen und ist ein ehrlicher Mann geworden.
Hauptkommissar Grainger hat ein paarmal Sturm aufgewirbelt, weil ich Olly O’Brien beschäftige – es war nämlich Grainger, der meinem braven Gehilfen die letzte Strafpension in Sing-Sing verpasst hatte, aber ich habe mich immer für O’Brien eingesetzt. Genug davon.
Ich sagte eben, bei mir in der 5th Avenue geht es immer die Reihe herum, einmal ist dieser dran, ein anderes Mal jener. Jetzt war es Julian Yätes, der mal der Erbe von vierzehn Millionen werden sollte. Die Millionen rührten aus dem Gummigeschäft her. Aber seitdem der natürliche Kautschuk durch die Erfindung des künstlichen eine scharfe Konkurrenz bekommen hatte, hatte der Vater, Cyril Yätes, sich auf die Chemie geworfen und spekulierte in der Wall Street mit Chemie-Aktien. Julian half ihm dabei. Und das war das Einzige, was Julian einigermaßen gelernt hatte. Im Übrigen war er nach der Meinung meiner Schwester Sheree ein Idiot. Es muss erwähnt werden, dass sie das von den meisten Männern behauptet.
Julian war um sechs Jahre älter als ich, also jetzt vierunddreißig Jahre, woraus sich ergibt, dass ich es auf achtundzwanzig gebracht habe.
Die Sache war nun die, dass Julian in der vergangenen Nacht einem Mädchen geholfen hatte, das er gar nicht kannte, und deshalb die Polizei bei ihm gewesen war. Irgendetwas musste im Gespräch mit der Polizei schiefgegangen sein. Was es war, konnte mir der alte Cyril Yätes, der mir gegenübersaß, nicht sagen. Er war, nachdem die Polizei abgezogen war, sofort zu mir ins Büro am Sherman Square gekommen, um mir sein Herz auszuschütten, soweit er überhaupt ein Herz hatte.
»Stirling«, sagte der etwas zerknitterte kleine Cyril Yätes zu mir, »Sie haben mir damals geholfen, als der Junge diese verdammte Hochstaplerin heiraten wollte und ich ihn deshalb nach Paris schicken musste. Sie werden mir auch dieses Mal helfen, nicht wahr?«
Die Hochstaplerin, auf die Yätes anspielte, war Deborah Oborn gewesen. Julian Yätes hatte ich in seiner bewundernswerten Naivität in die Frau verliebt. Weil Deborah eine ganze Anzahl der Männer, auch meinen Onkel Titus, in der 5th Avenue im Gefolge gehabt hatte, war die halbe Straße meiner Väter von einem handfesten Skandal bedroht worden. Es war mir und meinem Gehilfen Oliver gelungen, den Skandal abzuwenden. Ich hatte die Sache längst vergessen und wünschte auch nicht, an sie erinnert zu werden.
»Wenn die Polizei schon dazwischen ist, Sir«, antwortete ich, »werde ich kaum noch Gelegenheit haben. Als Privatdetektiv muss ich mich nämlich hüten, der Kriminalpolizei in die Quere zu kommen. Der Polizeichef Floot, ist darin sehr empfindlich. Wenn ich meine Lizenz als Detektiv verliere, bin ich geliefert.«
»Stirling«, beteuerte Cyril Yätes mit unglücklichem Gesicht, »Sie wissen doch, dass Julian eine Niete ist. Ich habe ihn ins Gebet genommen. Es scheint ja auch nichts passiert zu sein. Ich habe keinen Schimmer, warum der Kommissar so unfreundlich wurde. Kennen Sie Kommissar Dale?«
»Streifenwagen 23, ja«, bestätigte ich. »Ein netter Junge, Hugh Dale. Er wurde unfreundlich?«
»Hören Sie doch zu, Stirling«, knurrte der alte Yätes. »Ich habe also Julian ins Gebet genommen. Die Geschichte war so:
Julian kam kurz nach elf nach Hause und fuhr seinen Pontiac in die Garage. Als er sich umdreht, steht ein Mädchen hinter ihm und bettelt um seinen Schutz. Im selben Augenblick hört Julian auch schon das Polizeihorn. Ohne sich zu überlegen, was er tut, schiebt er das Mädchen ins dunkle Haus und fummelt weiter an seinem Pontiac herum. Ziemlich schnell ist auch die Polizei da. Ich habe kein Mädchen gesehen, erklärt der Junge, ich bin eben erst hereingekommen. Es waren doch noch allerlei Menschen auf der Fünften, Kommissar! Die Polizei beruhigt sich und fährt weiter.«
»Und das Mädchen?«, warf ich ein. Wenn eine Frau im Spiel ist, hört man immer gern zu.
»Ja, das verdammte Mädchen«, nickte Cyril Yätes. Und ich erfuhr, dass Julian, der gute harmlose Julian, das Mädchen mit in sein Zimmer hinauf genommen hatte. Er hatte die Hausbar aufgemacht und bis zwei Uhr früh geplaudert, danach hatte er das Mädchen weggeschickt.
»Es soll sich um die Tochter eines Diplomaten handeln. Hat einen Seitensprung riskiert, das Mädchen, und wollte von der Polizei nicht gestellt werden. Ganz harmlos, nicht wahr?«, schloss Cyril Yätes.
»Vollkommen«, gab ich zu. Bei Julian Yätes war eben alles harmlos. Außerhalb der Börse war er nicht zu übertreffen.
»Und heute Morgen kommt die Polizei wieder«, berichtete Cyril Yätes weiter, »um halb sieben war sie da. Wundert mich, dass ihr nebenan nichts gehört habt. Ihr hört doch sonst alles, was bei uns passiert.«
»Um halb sieben schlafen wir noch, Sir«, erklärte ich.
»Also schön«, stöhnte Cyril Yätes, »ihr habt noch geschlafen, und ich fiel aus dem Bett. Die Polizei war oben bei Julian und sah in die Schränke. Die Schnapsgläser standen noch auf dem Tisch, zwei Gläser, Stirling. Julian wusste plötzlich nicht weiter. Verdammt unangenehm, was? Danach die Untersuchung des Wagens in der Garage und der Kleider von Julian. Und da scheint man was gefunden zu haben.«
»Was hat man gefunden?«, fragte ich aufmerksam.
Die Antwort blieb mir Cyril Yätes schuldig, weil auch Julian sie schuldig geblieben war. Natürlich wusste Julian von nichts. Nur so viel schien klar zu sein, dass in der vergangenen Nacht jemand ermordet worden war.
»Jemand ermordet?«, fragte ich sofort, »tut mir leid, Sir, mit Morden befasst sich die Detektiv-Agentur von Stirling Hoppe nicht. Wer wurde denn umgebracht? Der Diplomat?«
»Ich hörte nur ermordet, Stirling«, erwiderte Cyril mit fahrigem Blick. »Meine Alarmglocken läuten, ein Yätes in eine Mordsache verwickelt, eine unvorstellbare Idee!«
Ich fand die Idee gleichfalls unvorstellbar. Ein Mädchen, das vor der Polizei flieht, und ein Mord vermutlich in der Nachbarschaft der 5. Avenue. Das war an sich bereits genug! Und dazu hatte man bei Julian etwas gefunden, das den gutmütigen Kommissar Hugh Dale vom Streifenwagen 23 verstimmte? Was mochte das gewesen sein?
Die Yätes wohnten gleich neben uns in der Fünften, wie gesagt, aber um halb sieben Uhr früh hatte bei uns im Hause niemand etwas von der Polizei bei Yätes wahrgenommen. Nicht einmal Sheree, meine neugierige Schwester, der sonst nichts entging.
»Wenn man nur wüsste«, sagte ich leise.
»Stirling, auf ein Wort …«, unterbrach mich Cyril Yätes, »ich schicke Ihnen den Jungen. Ich bin überzeugt, dass Sie Einfluss auf ihn haben, mehr als ich jedenfalls.«
»Er ist sechs Jahre älter als ich, Sir!«, wandte ich ein.
»Also gut«, sagte Yätes und stand schwerfällig vom Stuhl auf, »ich fahre zur Börse und löse Julian ab. Er macht heute doch bloß Dummheiten! Ich schicke ihn hierher. In einer Stunde ist er da. Quetschen Sie ihn aus. Ich will wissen, was das für ein Mädchen gewesen ist!«
Ich hatte wenig Hoffnung, das von Julian zu erfahren, und brachte meinen bedrückten Besucher an die Tür. Im Vorzimmer saßen Pamela und Oliver O’Brien. Dass Oliver anwesend war, wunderte mich. Wir hatten gerade keinen Auftrag laufen, und dann bummelte Olly gern. Er war der Ansicht, dass er im Leben genug gesessen habe – ich glaube, es waren zusammen sieben Jahre – und darum brauchte er viel Bewegung. Gewöhnlich war sein kleiner Schreibtisch leer.
»Guten Tag, Olly«, begrüßte ich ihn, nachdem Cyril Yätes draußen war, »was gibt’s?«
»Ich kenne den Mann, Chef«, antwortete O’Brien und zeigte auf das Mittagsblatt vor sich. Es war World’s Telegram, das schnellste Blatt der Welt.
»Was für einen Mann?«, fragte ich.
»Der in der 97. Straße erschossen wurde. Ich war mit ihm – damals, Sir, das letzte Mal.« Oliver sprach das Doppelwort Sing-Sing nicht gern aus.
»Oh«, murmelte ich, »das trifft sich gut. Eben erzählte mir Mr. Yätes …«
Ich nahm die Zeitung und sah auf die Überschrift, die am fettesten war. Sie lautete: »Der Mittelfinger fehlt!« Für die Redaktion von World’s Telegram war der fehlende Mittelfinger die Hauptsache. »Seitdem wir keine Bärte mehr tragen, sehen wir alle gleich aus«, hatte die Zeitung einmal behauptet. Ich hatte immer gemeint, mich doch von Oliver O’Brien zu unterscheiden. Er war breit und hatte ein rundes Gesicht mit treuen Hundeaugen. Und ich war schlank, so schlank und schmal, dass der Polizeichef einmal geäußert hatte, ich sei hager!
Ich las selbstverständlich nicht nur die Überschrift. Auch der Text war recht fesselnd. Der Tote ohne Mittelfinger an der rechten Hand war der Polizei bis jetzt unbekannt – oder sie tat nur so.
Eine Mrs. Elvaine Broad vermietete in der 97. Straße einige Zimmer, und der Unbekannte war erst vor zwei Tagen zugezogen. Er hatte bislang nicht seinen Namen angegeben. Mrs. Elvaine Broad war irgendwo im Norden von Manhattan Köchin in einem Restaurant und kam erst gegen fünf Uhr früh nach Hause. Sie hatte Licht im Zimmer des Unbekannten gesehen, öffnete die Tür und hatte den Toten entdeckt. Das war alles. Eine Zeitung, selbst die schnellste der Welt, hat irgendwann einmal Redaktionsschluss, und was sich nach Redaktionsschluss zuträgt, bekommt der Leser nicht mehr zu wissen. Ich wusste also mehr. Und ich legte World’s Telegram wieder vor Oliver hin.
»Was hat Ihnen Mr. Yätes erzählt, Chef?«, fragte O’Brien.
»Kommissar Dale hat von dem Mord gesprochen«, sagte ich bedächtig. »Kommissar Dale war heute Morgen bei dem jungen Yätes. Eine sehr rätselhafte Sache, Olly. Dale war sehr unfreundlich. Mehr weiß ich nicht. Julian Yätes kommt heute noch hierher.«
»Ich fress einen Besen«, murmelte mein Gehilfe. Das war seine ständige Redensart, wenn er nicht begriff.
»Der Mann – der Tote – hatte bei uns Nummer 483, Chef. Er heißt Lester Gould. Die Polizei weiß das doch!«
Meine ausgezeichnete Sekretärin hatte aufmerksam zugehört, wobei sie das feine schmale Kinn mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand stützte. Sie saß an der Schreibmaschine, aber das eingespannte Papier war noch ohne Schrift. Sie sah wieder sehr gut aus, sie hatte ein gelbes Seidenkleid mit braunen Punkten an, sehr maßvoll ausgeschnitten und ziemlich anliegend. Als einzigen Schmuck trug sie heute Ohrenclips mit geschliffenen gelben Steinen, sie sahen wie Bernstein aus, doch sicher waren sie nur Glas. Meine gute Schwester Sheree hätte es nicht unter einem funkelnden Topas gemacht.
Pamela sah mich mit ihren Samtaugen fragend an.
»Wie kommt Kommissar Dale auf Mr. Julian Yätes, Sir?«, wollte sie wissen. Sie nennt mich stets Sir, obwohl ich sie auch mit allen möglichen vertraulichen Bezeichnungen anrede.
»Julian Yätes hat heute Nacht um elf ein Mädchen bei sich aufgenommen, das von der Polizei verfolgt wurde«, erwiderte ich. »Kommissar Dale hat das Mädchen wohl in Yätes Haus verschwinden sehen, die Sache aber auf die leichte Schulter genommen. Der Mord war in der 97. Straße. Julian war in der gleichen Minute mit seinem Pontiac nach Hause gekommen und stand noch in der Garage. Er schob das Mädchen, als die Polizei stoppte, ins Haus und nahm sie nachher mit auf seine Zimmer. Sie pichelten beide, bis gegen zwei Uhr, danach schickte er sie fort. Kommissar Dale wird heute Morgen zu dem Toten gerufen worden sein, dabei entsann er sich des Mädchens und fuhr noch einmal zu Yätes. Die beiden Likörgläser standen noch auf Julians Tisch.«
»Und wer ist das Mädchen?«, erkundigte sich Oliver O’Brien. »Natürlich unbekannt. Yätes kann in des Teufels Küche kommen, Chef«
»Er ist vermutlich schon mittendrin«, gab ich zu. Der Junge tat mir ehrlich leid; in allen Börsendingen stand er gewiss seinen Mann, aber sobald es sich um Frauen handelte, verlor er jedes Urteil. Onkel Titus hatte bereits bedauert, dass Julian sich aus unserer Sheree nichts machte; er wäre ein prachtvoller Mann für Sheree gewesen. Mein Vater hätte zweifellos etwas draufzahlen müssen. Die Mädchen in der 5th Avenue gehen ja nicht so einfach weg wie die in Bronx oder Queens, wo ein hübsches Gesicht genug Mitgift ist.
Ich pendelte zurück in mein Privatbüro und machte mich daran, die Morgenblätter durchzustöbern, die noch nichts vom Mord in der 97. Straße wussten. Gerade war ich bei einer lustigen Schlägerei am Pier 29 angekommen, als das Telefon sich rührte. Es war niemand anderes als meine kostbare Schwester Sheree. Ich ahnte, dass sie Wind bekommen hatte, und ich täuschte mich nicht.
»Hallo, Darling«, sagte Sheree aufgeregt, »weißt du schon das Neueste? Jordan Wormser hat es mir erzählt. Die Kriminalpolizei war heute Morgen bei den Yätes und hat Julian in die Zange genommen. Julian hat heute Nacht – mein Gott, Darling, das ist doch ein Fall für dich! Ruf doch mal den alten Yätes an!«
Man muss Sheree reden lassen, wenn sie aufgezogen ist, es hat keinen Zweck, sie zu unterbrechen. Ich ließ sie also reden. Sie wusste alles von Jordan Wormser – die Wormser haben ihren Palazzo auf der andern Ecke der 97. Straße und sind jetzt einundzwanzig Millionen schwer – Sheree wusste also alles vom jungen Wormser, der mit einem Polizisten vom Streifenwagen 23 gesprochen hatte, während Kommissar Hugh Dale drin bei Julian war. Das Mädchen, das Julian Yätes nachts um elf bei sich aufgenommen hatte, war in der 97. Straße beobachtet worden, als es vom zweiten Stockwerk die Feuerleiter herabkam. Natürlich die Feuerleiter von Nummer 529, in dem Mrs. Elvaine Broad die möblierten Zimmer vermietete. Für meine Schwester war alles sonnenklar, auch ohne Polizei. Das Mädchen hatte den Mann in Nummer 529 kaltgemacht und war dann zu Julian gelaufen, der mit seinem Pontiac vorausgefahren war.
»Ach, mein Süßer«, seufzte Sheree ins Telefon, »hättest du das für möglich gehalten? Erst macht sich Julian mit dieser – dieser schwarzen Dame aus Port-au-Prince lächerlich, und nun hängt er sich so ein Mädchen an den Hals!«
Mit der schwarzen Dame aus Port-au-Prince meinte Sheree selbstverständlich Mrs. Deborah Osborn.
Endlich war meine gute Schwester fertig. Dass es ausgerechnet Jordan Wormser war, der ihr die Sache erzählt hatte, munterte mich ein wenig auf. Sheree war nämlich hinter Jordan her und hatte mit ihm bereits den Dachgarten des Rockefeller Center besucht, vielleicht wurde aus den beiden doch noch was. Onkel Titus bezweifelte es allerdings, und meine Mama hatte einmal gesagt: »Man kann nur beten, Stirling!« Mein Bruder Hobart, das große Licht der Familie Hoppe, hatte gemeint: »So leichtsinnig ist nicht mal Jordan.«
Er hielt nicht viel von Leuten, denen er nicht das Fell über die Ohren ziehen konnte. Das war nämlich Hobarts Stärke.
Ich blätterte noch ein wenig in den Zeitungen und dachte über meine Familie nach, die sich damals, vor drei Jahren, fast umgebracht hatte, als ich meine Detektiv-Agentur einrichtete, anstatt in Papas Geschäft einzutreten und unter meinem älteren Bruder Hobart zeitlebens, den jungen Mann zu spielen. In diesen drei Jahren hatten die Hoppes ihre Meinung über mich ein wenig geändert. Ich hatte von mir reden gemacht, was in der 5th Avenue immer die Hauptsache ist, und meine Schwester Sheree wäre ohne die Aufregungen, die sie mir verdankte, vermutlich an Langweile gestorben.