Nisargadatta Maharaj - Gabriele Ebert - E-Book

Nisargadatta Maharaj E-Book

Gabriele Ebert

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Beschreibung

Nisargadatta (1897-1981) war ein bekannter advaitischer Weiser aus Indien. Er lebte mit seiner Familie in Bombay und besaß ein Zigarettengeschäft. Nachdem er seinen Guru Siddharameshwar Maharaj getroffen hatte, verwirklichte er das Selbst, indem er sich dem "Ich bin" widmete, wie sein Meister ihn lehrte. Daraufhin besuchten ihn viele Suchende. Mit Maurice Frydmans Buch "Ich bin das" wurde er auch im Westen bekannt. Über sein frühes Leben sind nicht viele biografische Details bekannt, da Nisargadatta nur selten darüber sprach. Was jedoch bekannt ist, wurde in dieser Biografie zusammengefasst. Das Buch bietet auch eine Einführung in seine Lehren, die inhaltlich denen von Ramana Maharshi ähnlich sind. Seine Art zu lehren unterschied sich jedoch erheblich, da er seine Schüler im Dialog herausforderte, um sie seiner Erfahrung näherzubringen.

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Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2025

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„Die Liebe sagt: ‚Ich bin alles.‘

Die Weisheit sagt: ‚Ich bin nichts.‘

Zwischen den beiden fließt mein Leben dahin.“

Nisargadatta

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Nisargadattas Leben

Die frühen Jahre

Maruti wird Geschäftsmann

Siddharameshwar Maharaj und seine Lehre

Auf Pilgerreise

Die Heimkehr und die folgenden Jahre

Nisargadattas Leben als Guru

Maurice Frydman

Krankheit und Tod

Nisargadattas Vermächtnis

Die Lehre Nisargadattas

Nisargadatta und Ramana Maharshi

Nisargadattas Art des Lehrens

Das „Ich bin“ ist die Tür

Weitere Aspekte von Nisargadattas Lehre

Die Erfahrungen der Schüler

V. Ganesan

Swami Paramatmananda

Josef Goldstein

Jean Dunn

Abkürzungsverzeichnis

Glossar

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Vanamali-Gebäude in der Khetwadi-Lane Nr. 10 in der Nähe der Grant Road im Süden von Bombay (heute Mumbai) war in den 1960er bis zu Beginn der 1980er Jahre eine bekannte Adresse, wohin viele spirituellen Sucher strömten. Dort lebte Nisargadatta Maharaj (1897-1981), ein advaitischer Weiser, in einer kleinen Wohnung und führte mit ihnen spirituelle Gespräche in Marathi. Wäre Maurice Frydman 1965 nicht auf ihn gestoßen und hätte diese Gespräche ins Englische übersetzt, worauf das bekannte Buch „I Am That“ (Ich bin) entstanden ist und 1973 veröffentlicht wurde, wäre er vielleicht weiterhin nur unter seinen Landsleuten bekannt gewesen. So jedoch wurde er international bekannt, und viele Menschen aus dem Westen besuchten ihn.

Obwohl Nisargadattas Lehre sich mit der Ramana Maharshis weitgehend deckt, war sein Lehrstil doch ein völlig anderer. Auch sein Umfeld war verschieden, denn Ramana lebte in seinem Ashram am Fuß des Arunachala in Tiruvannamalai, während er sein Leben mit seiner Familie inmitten der geschäftigen Großstadt verbrachte und einen Zigarettenladen führte.

Nisargadatta hat nicht viel über sein Leben gesprochen, und so sind die Quellen, v.a. was biografische Details betrifft, bevor er bekannt wurde, mager. Sie stammen von Jayashri Gaitonde, der Frau von Nisargadattas Übersetzer Mohan, von G.K. Damodara Row, von Shrikant Gogate und P.T. Phadol sowie von Timothy Conway. Nisargadattas Übersetzer und Schüler Saumitra Mullarpattan und Ramesh Balsekar berichtet ausführlich über seine letzte Krankheit und seinen Tod. Ramana Maharshis Großneffe V. Ganesan, David Godman, Swami Paramatmananda, der Buddhist Josef Goldstein und andere erzählen von ihren Begegnungen mit Nisargadatta, und Jean Dunn berichtet, wie sich ihre Sichtweise durch Nisargadatta, der ihr Guru wurde, völlig veränderte.

Dieses Buch enthält die Biografie Nisargadattas, soweit die Fakten bekannt sind, aber was seine Lehren betrifft, ist es nur als Einführung gedacht.

Gabriele Ebert

Nisargadattas Leben

Die frühen Jahre

Nisargadatta wurde am 17. April 1897, einem Vollmondtag bei Tagesanbruch in Bombay geboren. Seine Eltern waren Shivrampant Kambli and Parvatibai. Er war das zweitälteste von sechs Kindern. Da es zugleich der Geburtstag der Affengottheit Hanuman im Ramayana war, wurde er Maruti (ein Name für Hanuman) genannt. Sein voller Name lautete Maruti Shivrampant Kumbli.

Es gibt kaum Kindheitserinnerungen von Nisargadatta. Doch er erinnerte sich, dass er eines frühen Morgens von seinem Vater auf den Schultern über die Hänge eines Hügels getragen wurde, als vor ihm die Sonne strahlend über dem Horizont aufging.

Seine Mutter war eine einfache Hausfrau, die sich um die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushalts kümmerte. Wie viele Frauen ihrer Zeit arbeitete sie hinter den Kulissen, um die Familie über Wasser zu halten, und opferte oft ihren eigenen Komfort für das Wohlergehen ihrer Kinder. Sie war tief in ihrem Glauben verwurzelt, führte regelmäßig Pujas (Gebetsrituale) aus und beging die Feste, die der hinduistische Kalender vorschrieb.

Maruti verbrachte seine Kindheit im Dorf Kandalgaon in der Nähe von Bombay, da sein Vater, der bei einem Händler in Bombay angestellt gewesen war, wegen eines Ausbruchs der Pest in der Stadt aufs Land gezogen war. Er kaufte in Kandalgaon ein Stück Land, mit dem er fortan seinen Lebensunterhalt als Kleinbauer bestritt. Er gehörte der Kaste der Bandari an, die sich traditionell mit der Herstellung und dem Verkauf von Toddy (Landschnaps) und ähnlichem ihren Lebensunterhalt verdiente. Aber er hatte sich von diesem traditionellen Geschäft ferngehalten, da er nicht wollte, dass seine Söhne es weiterführten. Zudem war er ein Mitglied der Warkari, einer Bhakti-Bewegung in Maharashtra, die Vitoba, die Gottheit von Pandarpur, verehrte.

In Kandalgaon verlief das Leben langsam und im Rhythmus der Jahreszeiten. Die sanften Hügel, das dichte Grün und die sich schlängelnden Flüsse boten ein Bild natürlicher Schönheit, aber diese Idylle brachte auch ihre Herausforderungen mit sich. Dörfer wie Kandalgaon zeichneten sich durch ein einfaches Leben aus, aber auch durch wirtschaftliche Kämpfe. Die meisten Familien, so auch die von Maruti, lebten von der Landwirtschaft und der manuellen Arbeit, um zu überleben. Die Dorfbewohner waren aufeinander angewiesen, sei es bei der Ernte, beim Feiern von Festen oder einfach bei der Bewältigung der alltäglichen Herausforderungen des Landlebens. Es gab Dürren, Missernten, und der begrenzte Zugang zu Ressourcen erinnerten ständig daran, wie prekär die Existenz sein konnte. Doch diese Entbehrungen ließen die Menschen, die dort lebten, widerstandsfähig werden – eine Widerstandsfähigkeit, die Maruti sein ganzes Leben lang begleiten sollte.

Die Familie Kambli führte einen traditionellen hinduistischen Lebensstil, und Maruti war von klein auf mit den Ritualen, Mythen und Lehren des Hinduismus vertraut. Tempel, Feste und Geschichtenerzählen waren fester Bestandteil des dörflichen Lebens und bildeten ein reiches Geflecht aus Glauben und Gemeinschaft. Marutis Vater war einfach und zuvorkommend. Er besaß einige traditionelle heilige Bücher, die er regelmäßig und andächtig las. Er liebte es, laut Bhajans zu singen, und betonte die Bedeutung von Dharma (rechtschaffenes Leben) und Karma (Handeln). Für die Familie waren dies keine abstrakten Konzepte, sondern gelebte Realität. Seine Pflicht zu tun, anderen zu helfen und die Götter zu ehren, wurden als wesentliche Bestandteile des Lebens angesehen.

Am Abend versammelte der Vater die Familie, erzählte Geschichten von Heiligen und las aus den heiligen Schriften vor. Manchmal besuchte sie der Brahmane Vishnu Haribau Gore, der mit seinem Vater befreundet war und mit ihm spirituelle Gespräche führte, denen der junge Maruti interessiert zuhörte.

Maruti half seinem Vater bei der Landwirtschaft und entwickelte eine Vorliebe für das Hüten von Vieh, das Bestellen von Land und die Gartenarbeit. Besonders gern nahm er das Vieh mit, um es im Freien grasen zu lassen. Er verbrachte viel Zeit in der Wildnis mit den jungen Hirten seines Alters. So war er tief in den praktischen Dingen des Landlebens verwurzelt. Diese Erfahrungen vermittelten ihm die Realität von harter Arbeit und Disziplin, Eigenschaften, die ihm später bei seinen intensiven spirituellen Praktiken zugutekommen sollten.

Maruti war hilfsbereit. Da er kräftig war, half er den Dorfbewohnern, wenn das Vieh beim Grasen in einen Brunnen gefallen war, es herauszuholen. Kastenunterschiede bedeuteten ihm nichts. Wenn es in einem Haushalt zu einem Todesfall kam, ging er hin und leistete den Menschen jede erdenkliche Hilfe. Vor allem das Leben der armen Harijans (Kastenlosen) bedrückte ihn. So fragte er seinen Vater: „Wenn es einen gnädigen Gott gibt, warum gibt es dann Armut, und warum werden einige Menschen in hochgestellten und andere in nieder gestellten Familien geboren?“

Er war kein außergewöhnliches Kind im herkömmlichen Sinn. Er war weder begabt noch nach den Maßstäben der Gesellschaft besonders ehrgeizig. Was er jedoch besaß, war ein scharfer, aufmerksamer Verstand und eine unabhängige Ader. Schon als kleiner Junge gab es Anzeichen für eine gewisse Unruhe in ihm – ein subtiles Gefühl, dass es mehr im Leben geben musste als den täglichen Trott.

Menschen, die Maruti als jungen Mann kannten, berichteten, er sei wissbegierig gewesen und hätte die Geheimnisse des Lebens kennen wollen. So stellte er etwa folgende Überlegung an: „Wir säen sehr wenig auf den Feldern, aber wir bekommen für unsere kleine Anstrengung der Aussaat viel mehr zurück, obwohl es nichts außer Erde und Wasser auf dem Feld gibt. Wie ist das möglich? Woher kommen die Früchte, und wie reifen die sauren Früchte automatisch zu süßen.“ Oder: „Wenn die Welt schon vor meiner Geburt existiert hat, wie konnte ich dann nicht wissen, dass sie da war?“

Auf solche Fragen konnte er keine befriedigende Antwort finden. Er stellte sie seinem Vater, der nur meinte, dies sei das Spiel (Leela) Gottes. Er dachte, dass Gott eine sehr machtvolle Person sein müsse, da alles von Ihm abhing, und fragte sich, ob es nur einen Gott oder viele Götter gäbe.

Maruti besuchte die Schule nur bis zur vierten Klasse, gerade genug, um die Grundlagen des Lesens und Schreibens zu erlernen. Er war nicht besonders an formaler Bildung interessiert. Der Fluss des Lebens um ihn herum, die Natur, die Menschen, die Aufgaben, die ihren Tag ausfüllten, waren für ihn viel interessanter. Er betrachtete Wissen nicht als etwas, das auf Bücher oder Klassenzimmer beschränkt ist, sondern als etwas, das aus Erfahrung, Beobachtung und Reflexion gewonnen werden kann.

Schon als Kind hatte Maruti einen ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit. Er war nicht jemand, der blind der Masse folgte oder die Dinge für bare Münze nahm. Diese unabhängige Ader zeigte sich auch in seinem Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. Anstatt die Schwierigkeiten seiner Familie zu beklagen, stellte er sich ihnen und übernahm Verantwortung, die weit über sein Alter hinausging. Diese Unabhängigkeit sollte später ein entscheidendes Merkmal seiner spirituellen Lehren werden. Wenn der spätere Nisargadatta Maharaj über Selbstvertrauen und die Bedeutung direkter Erfahrung sprach, sprach er aus einer lebenslangen Praxis. Seine frühen Jahre hatten ihm die Fähigkeit eingeimpft, für sich selbst zu denken und sich auf seine eigene Kraft zu verlassen.

Einer der prägenden Momente in Marutis Kindheit war der Tod seines Vaters 1915. Der Verlust des Hauptverdieners der Familie war ein schwerer Schlag, sowohl emotional als auch finanziell. Er markierte den Beginn einer schwierigeren Phase in seinem Leben. Die Familie musste den Gürtel noch enger schnallen und war auf die gemeinsamen Anstrengungen aller Mitglieder angewiesen, um zu überleben. Als zweitältester Sohn musste Maruti jetzt mehr Verantwortung übernehmen. Das war keine Wahl – es war eine Notwendigkeit. Er musste zum Einkommen beitragen. Diese Kämpfe lehrten ihn Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Pflichtbewusstsein. Er nahm Gelegenheitsjobs an und arbeitete in der Landwirtschaft, aber die Möglichkeiten im Dorf waren begrenzt.

Sein älterer Bruder war bereits 1916 nach Bombay gezogen, um dort Arbeit zu finden und die Familie zu unterstützen. 1918 tat es Maruti ihm nach. Die Stadt mit ihren belebten Straßen und unendlichen Möglichkeiten bot ihm die Chance, für sich und seine Familie ein besseres Leben aufzubauen. Aber sie musste für ihn, der sein ganzes Leben in der ruhigen Umarmung eines kleinen Dorfes verbracht hatte, auch sehr verwirrend gewesen sein. So bedeutete der Umzug nach Bombay eine dramatische Veränderung. Er ging weiterhin regelmäßig nach Kandalgaon, um sich um die dortige Landwirtschaft zu kümmern.

Nachdem er sich mit Unterbrechungen 2 bis 3 Jahre lang entweder in Bombay oder in Kandalgaon aufgehalten hatte, ließ er sich 1920 endgültig in Bombay nieder. Er besuchte für kurze Zeit eine Abendschule, um sich die Grundlagen der englischen Sprache anzueignen, und fand einen Job als Angestellter beim Princess Dock im Hafen von Bombay. Doch die Arbeit als Untergebener sagte ihm nicht zu. So verließ er die Firma nach einigen Monaten wieder. Er sagte: „Besser einen Tag in Unabhängigkeit als ein Leben ohne Freiheit.“

Maruti wird Geschäftsmann

Nisargadatta, zweiter von rechts

Maruti war intelligent und stark. Nach reichlicher Überlegung entschloss er sich, sein eigenes Geschäft zu gründen, anstatt unter jemandem zu arbeiten. Er sammelte etwas Kapital und eröffnete in der Khetwadi Lane ein Geschäft, in dem er Beedis (handgefertigte Zigaretten), Tabak, Betelnüsse und anderes verkaufte. Da er erfolgreich war, dachte er über eine Erweiterung nach. Mit dem gesparten Geld beschloss er, in andere Geschäftszweige einzusteigen. Seine Technik bestand darin, die Räumlichkeiten für ein Geschäft in einem im Bau befindlichen Haus an einem geeigneten Ort zu erwerben, indem er im Voraus Verhandlungen mit dem Eigentümer aufnahm. Er eröffnete ein Besteckgeschäft, und als er damit ein ansehnliches Einkommen erzielte, eröffnete er ein weiteres Geschäft, in dem er Konfektionskleidung verkaufte. Er war von Natur aus sehr sparsam, und wenn er Gewinne erzielte, verschwendete er sie nicht. Dann begann er mit der Produktion von verschiedenen Arten von Beedis, da das Geschäft mit den Zigaretten sehr lukrativ war und vor allem seine Beedis sehr nachgefragt wurden. Anschließend eröffnete er ein Stoffgeschäft. Schließlich war er in Besitz von acht Läden in verschiedenen Stadtteilen von Bombay, von Khetwadi in Girgaum bis Bori Bunder. Er beschäftigte 30 bis 40 Angestellte. Sein Geschäft florierte. Die Leute nannten ihn „Maruti Rao Shet“ – Shet bezeichnet einen geschäftlich erfolgreichen Mann. Als er genügend Geld verdiente, heiratete er 1924 Sumathibai, mit der er drei Töchter und einen Sohn hatte.

Auch als Maruti sich in seine Rolle als Geschäftsmann und Familienvater eingelebt hatte, gab es Momente, in denen er eine tiefere Sehnsucht in sich aufsteigen spürte. Er war nicht unzufrieden mit seinem Leben im herkömmlichen Sinn und dankbar für seine Familie und seine Arbeit, aber da war ein Gefühl der Unvollständigkeit, das er nicht ignorieren konnte. Diese Unruhe konnte er weder anderen erklären, noch verstand er sie zu diesem Zeitpunkt wohl selbst vollständig. Es war eher ein intuitives Gefühl, ein stiller Ruf, hinter die Oberfläche des Lebens zu schauen. Er suchte nicht bewusst nach Erleuchtung oder vertiefte sich in religiöse Studien, aber er hinterfragte das Wesen der Existenz auf seine eigene stille Art. Zu dieser Zeit hatte Maruti weder die Sprache noch den Rahmen, um seine Gefühle zu artikulieren. Er war noch nicht auf die spirituellen Lehren gestoßen, die später sein Leben bestimmen sollten. Aber die Sehnsucht war da, formte seine Gedanken und bereitete ihn im Stillen auf die bevorstehende Transformation vor.

Das Bombay des frühen 20. Jahrhunderts war eine Stadt der Gegensätze. Sie war ein Zentrum des Handels und der Industrie, aber sie war auch von den spirituellen Traditionen Indiens durchdrungen. Tempel, wandernde Asketen und spirituelle Versammlungen waren inmitten des städtischen Chaos keine Seltenheit.

Obwohl Maruti bis zu diesem Zeitpunkt nicht aktiv einen spirituellen Weg verfolgte, konnte er nicht umhin, die Unterströmung von Glauben und Hingabe, die ihn umgab, in sich aufzunehmen. Wie viele Inder seiner Zeit verrichtete er tägliche Gebete, ging in die Tempel und feierte traditionelle Feste mit seiner Familie. Er setzte die traditionellen Pujas, Fasten und andere religiöse Verrichtungen fort, die er von seinen Eltern gelernt hatte, und besuchte den Shiva-Tempel in Bhuleshwar und Walkeshwar. Seine Lieblingsgottheit war Panduranga von Pandarpur, ein Avatar Krishnas. Zudem verehrte er den große Heiligen Jnaneshwar von Alandi aus dem 13. Jh., der in Maharashtra bekannt war. Er rezitierte das Venkatewara Stotra, ein Gebet an die Gottheit Venkateswara (eine Erscheinungsform Vishnus), und stand dabei als Bußübung auf einem Bein. Obwohl er einer Familie angehörte, die Fleisch aß, gab er es auf und wurde zu einem strengen Vegetarier. In jenen Tagen wohnte seine Mutter bei ihm. Jeden Morgen schenkte er ihr Blumen und berührte ehrfürchtig ihre Füße. Für ihn war auch das eine Verehrung Gottes. Gelegentlich nahm er an religiösen Versammlungen teil und hörte Belehrungen von verschiedenen Swamis und Gelehrten.

Diese Erfahrungen waren zwar inspirierend, konnten aber die Sehnsucht in ihm nicht stillen. Er wollte etwas Direktes, etwas, das den Kern seiner Suche ansprach, ohne unnötige Ausschmü-ckungen. Er fragte sich oft: „Was ist diese Welt? Wer bin ich? Wo ist Gott? Können wir Ihn sehen oder mit Ihm sprechen?“

Tag für Tag quälten ihn diese Fragen, und allmählich verlor er das Interesse an seiner Arbeit. Er traf viele Sadhus und Sannyasis, die Malas (Gebetsketten) trugen und ihre Tilaks (Segenszeichen auf der Stirn) zur Schau stellten, aber sie wussten nichts über Gott. Er nahm einige von ihnen mit nach Hause, gab ihnen ein Bad, Essen und Geld und brachte ihnen Verehrung entgegen, damit sie ihm den Weg zu Gott zeigten.

Immerhin hatte er einen Geschäftsfreund, Yashwant Rao Baagkar, mit dem er sich austauschen konnte und der ein gutherziger und frommer Mann war. Er und Maruti unterhielten sich oft lange über spirituelle Fragen.

Schließlich wandte er sich dem Hatha Yoga zu. In Girgaum lebte der Hatha Yogi Athavle. Maruti lernte einige Monate lang diesen Yoga von ihm und praktizierte ihn, insbesondere die Atemkontrolle (Pranayama) und das Stehen auf einem Bein. Doch auch diese Übungen brachten ihn nicht weiter. Daraufhin beschloss er, niemanden mehr auf der Suche nach Gott aufzusuchen und Gott selbst zu finden.

Siddharameshwar Maharaj und seine Lehre

Siddharameshwar Maharaj (1888-1936)

Schließlich wandte sich das Blatt. Maruti traf Siddharameshwar, seinen künftigen Guru.

Siddharameshwar (1888-1936) gehörte der Navnath Sampradaya1 an, einer Traditionslinie von neun Meister vom 9. bis ins 14. Jahrhundert, die im Advaita Vedanta, der Lehre der Nicht-Zweiheit, verwurzelt waren. Die Tradition gründete sich auf Dattatreya, den allerersten Lehrer, der die drei Hauptgottheiten Shiva, Vishnu und Brahma vereint. Die neun Meister waren: 1. Matchindranath (9. Jh.), von dem gesagt wurde, dass er von Shiva in die Wissenschaft und Lehre des Yoga eingeführt wurde. 2. Gorakhanath erhielt die Einweihung von ihm und etablierte ein neues System, indem er die besten und reinsten Techniken verschiedener anderer religiöser Sekten, die während dieser Zeit vorherrschten, aufgriff. Dann folgten: 3. Jalandarnath, 4. Kanifanath, 5. Chapatinath, 6. Naganath, 7. Barbarinath, 8. Revannath und 9. Gaininath.2

Siddharameshwar wurde im August 1888 im Dorf Pathri im Sholapur Distrikt der Bombay Presidency geboren. Im Alter von achtzehn Jahren heiratete er, gründete eine Familie und lebte in Bijapur. 1906 wurde er von Bhausaheb Maharaj (18431914) eingeweiht, der 1903 einen Math in Inchageri gegründet hatte.

1914 starb Bhausaheb. Erschüttert vom Verlust seines Gurus, gab Siddharameshwar seine Arbeit in einer Baumwollfabrik auf und wandert umher. Etwa 1919 begann er mit einer intensiven Periode der Meditation, die neun Monate andauerte. Bhausaheb hatte ihn Nama-Japa gelehrt, das ständige Meditieren über den Namen Gottes. Siddharameshwar erkannte zu diesem Zeitpunkt, dass dies für ihn nicht genügte. In den langen Meditationen fand er schließlich seinen eigenen Weg, wobei er die letztendliche Wirklichkeit entdeckte.

Was er entdeckte, wird manchmal als „der Weg des Vogels“, der schnelle Weg, bezeichnet, im Gegensatz zum „Weg der Ameise“, den langsamen Weg seines Lehrers Bhausaheb. Er erklärte, dass man die endgültige Wirklichkeit durch unterscheidendes Denken erreichen könne. Dieses „Denken“ besteht in der Unterscheidung des Wirklichen vom Unwirklichen, das einen aufrichtigen Aspiranten zur Verwirklichung seiner wahren Selbstnatur führt. Er gebrauchte Formen der Erforschung, die dem Atma Vichara (der Selbstergründung) von Ramana Maharshi ähnlich sind. Seine Lehre unterschied sich also von der seines Gurus, obwohl er ihm völlig ergeben blieb.

Siddharameshwar etablierte sich etwa 1920 als eigenständiger Guru, reiste umher und hielt Vorträge. Er war ein kraftvoller Redner, und seine Wirkung war so groß, dass sich bald ein Kreis von Schülern um ihn scharte. Es weihte viele Menschen in seine Lehre ein und hatte zahlreiche Anhänger. Er war kein traditioneller Guru, der sich mit Ritualen oder langatmigen Vorträgen abgab, und verschwendete keine Zeit mit philosophischen Debatten oder esoterischen Ideen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Kernwahrheit: die Verwirklichung des Selbst als die letztendliche Wirklichkeit. Zur Veranschaulichung benutzte er Beispiele aus dem täglichen Leben. Er ermutigte seine Schüler zur inneren Entsagung und vertrat einen nicht-dualen Ansatz.

Um die Lehre Nisargadattas zu verstehen, ist es sinnvoll, sich ein wenig der Lehre seines Gurus Siddharameshwar zu widmen. Einer seiner Schüler hat seine Gespräche mitnotiert, die in „Master Key to Realisation“ veröffentlicht wurden.

Siddharameshwar sagt:

„Diese Welt ist wie ein Traum. Daher ist in dieser Traumwelt alles, was gut oder schlecht ist, Dharma oder Adharma, Verdienst, Moral oder Sünde für das Erwachen des Selbst ohne Bedeutung. Deshalb ist der Verzicht auf beides, das Gute und das Schlechte, nötig, um die Erkenntnis des Selbst zu erlangen.“3

„Selbsterkenntnis ist das Wissen um das eigene Selbst. Wenn wir erkennen, wer wir wirklich sind, dann wird automatisch entschieden, was dauerhaft und was vergänglich ist, dann folgt ganz natürlich der Verzicht auf das Unbeständige und die Annahme des Dauerhaften.“4

Siddharameshwar lehrte seine Schüler, über das Empfinden des „Ich bin“ zu meditieren. Damit war nicht gemeint: „Ich bin dies“ oder „Ich bin das“ – nicht der Körper, nicht der Geist usf., die alle in seiner schrittweisen Erforschung als unwirklich ausgeschlossen werden.5 Der Schluss ist: „Ich bin“ ist einfach das reine Gefühl der Existenz, ohne irgendwelche Etiketten, Rollen oder Konzepte, die damit verbunden sind. Er erklärte, dass dieses „Ich bin“ das Tor zur Selbstverwirklichung sei.

Er sagt weiter:

„Jeder sollte die Suche nach diesem Ich in seiner eigenen Mitte beginnen, wenn er daran interessiert ist, es zu finden. Dieses Ich wird niemals außerhalb von uns gefunden. Jeden Menschen erfüllt dieses Ich oder Ego-Gefühl des Mein und des Besitzes. Alle Handlungen in der Welt werden durch die Kraft dieses Ichs und das Gefühl des ‚Mein‘ ausgeführt. Die Annahme des ‚Ichs‘ wird von allen Menschen als selbstverständlich angesehen. Alle Handlungen können jedoch auch ohne dieses Ego oder das Gefühl von ‚mein‘ ausgeführt werden.“6

„Verstehe klar, dass der Körper nicht ‚mein‘ ist. Er gehört zu den fünf Elementen und ist das Eigentum eines anderen. Wenn du das verstehst, wie kann er dich noch beeinflussen, gleichgültig welche Eigenschaften er auch immer haben mag? Verlassen wir also den physischen Körper, und gehen wir weiter. Den Körper zu verlassen bedeutet jedoch nicht, dass er in einen Brunnen gestoßen oder mit einer Schlinge um den Hals aufgehängt werden sollte. Wir verlassen ihn, indem wir ihn verstehen und Erkenntnis über ihn erlangen. Wenn der Körper als das erkannt wird, was er wirklich ist, lässt das zwanghafte Interesse an ihm nach. Wir können über ihn hinausgehen, und er wird automatisch aufgegeben.“7

Was bleibt, wenn man alles abgestreift hat?

„Dann bin ich absolut nackt, ohne irgendeine Bedeckung. Wenn man hier in dieser Nacktheit ankommt, kann man nicht beschreiben, wer oder was dieses Ich ist. Wenn du eine Beschreibung des Ichs willst, kannst du jedes Wort nehmen, das in einem Wörterbuch zu finden ist, aber das ist nicht Ich. Dieses Ich hier kann nur als ‚nicht dies, nicht das‘ ausgedrückt werden. Es ist dasjenige, das Licht auf alles wirft, was ‚dies‘ genannt wird. Du magst Wörter und Sätze benutzen, um zu versuchen, es zu beschreiben, aber das ist es nicht. Welche Bedeutung auch immer auftaucht, du nimmst sie als Beschreibung des Ichs, aber das ist nicht Das. Wenn du nicht verstehst, was dir jetzt gesagt wird, musst du die Worte und Begriffe weglassen und in der tiefsten Stille verschmelzen, um zu sehen, wer ‚ich bin‘.“8

Nachdem der Schüler diese Erfahrung gemacht hat, stellt sich die Frage, wie er sein Leben weiterführen soll.

„Selbst, nachdem man die völlige Nutzlosigkeit von Körper und Geist erkannt hat, kann man einen Haushalt gründen und Kinder haben, ohne den Stolz von Körper und Geist einzubringen. Um beides kann man sich sehr gut kümmern. Alle relevanten Pflichten, die man früher getan hat, können mit Sorgfalt ausgeführt werden.“9

Er veranschaulicht es mit der Krankenschwester, die sich liebevoll, aber leidenschaftslos um ihre Schützlinge kümmert, oder mit dem Verwalter eines Vermögens, der damit verantwortlich umgeht, ohne daran gebunden zu sein.

Siddharameshwar lehrte auch Bhakti, die Hingabe an Gott.

„Welche Handlungen auch immer von deinem grobstofflichen Körper ausgeführt werden, welche Träume oder Wünsche, Ideen oder Zweifel auch immer deinen Geist durchquert haben, all das geschieht um dieses Gottes willen und um Ihn zu erfreuen. Wenn du dies erkennst, ist deine Arbeit getan. Ihr alle tut etwas durch euren Körper oder Geist. Auch wenn ihr sagt: ‚Wir wollen das nicht tun‘, könnt ihr nicht aufhören, es zu tun. Aber was immer ihr tut, der Handelnde und Genießer all eurer Taten ist nur Gott (das Selbst). Allein diese Tatsache muss in jeder Bewegung anerkannt werden.“10

„Nachdem der Aspirant Selbsterkenntnis erlangt hat, sollte er den Paramatman auf die oben beschriebene Weise verehren. So wird das trockene Wissen mit Hingabe befeuchtet. Ein Jalebi (eine Süßigkeit) wird saftig und süß, wenn es in Zuckersirup eingelegt wird. Auf die gleiche Weise erhält der Meditierende nach der Erkenntnis durch Hingabe die Fülle des Lebens.“11

So verband Siddharameshwar die Lehre des Advaita mit Bhakti, der liebevollen Hingabe.

Ganz im Einklang mit seiner Tradition favorisierte er neben dem advaitischen Klassiker Yoga Vashistha, dem Bhagwat von Eknath und dem Sadachara von Madhvacharya insbesondere das Dasbodh von Samarth Ramdas aus dem 17. Jahrhunderts, das auch bei Nisargadatta eine bedeutende Rolle spielen wird, und erklärte seinen Schülern diese Schriften.

Siddharameshwar verbrachte nie länger als zwei Monate am selben Ort und besuchte nacheinander Städte wie Sholapur, Bijapur, Bagewadi und Bombay, wo er seine Anhänger hatte.

Nun zurück zu Maruti. Sein Geschäftsfreund Yashwant Rao Baagkar besuchte regelmäßig Siddharameshwar und wohnte den täglichen Gesprächen und Bhajans bei, wenn dieser sich in Bombay aufhielt. Er erzählte Maruti von den Diskussionen und wollte, dass er ihn begleitete. Maruti konnte sich nicht vorstellen, dass in einer Stadt wie Bombay Heilige sein konnten, da er bereits viele sogenannte Sadhus und Sannyasins gesehen hatte, die ein sehr weltliches Leben führten. Deshalb war er zunächst skeptisch. Doch Yashwant gab nicht auf und bat ihn inständig, wenigstens ihm zuliebe einmal mitzukommen. Schließlich gab Maruti nach.

Eines Abends begleitete er Yashwant dorthin. Siddharameshwar hielt einen Vortrag über eine Zeile aus dem Yoga Vashistha, der die Entsagung zum Thema hatte. Maruti sagte zu seinem Freund, dass ihm das alles zu hoch sei, begleitete ihn jedoch auf dessen Bitte hin weitere dreimal. Die Einfachheit von Siddharameshwars Lehren traf schließlich seinen Nerv. Es war die Art, wie er sprach, mit Autorität, Klarheit und müheloser Einfachheit.

Nach mehreren Besuchen wollte Siddharameshwar Maruti in ein Mantra einweihen, sodass er offiziell sein Schüler sein würde. Maruti hatte über die Lehrer-Schüler-Beziehung gelesen, wobei der Schüler dem Guru aufs Wort gehorchen musste, wenn er ihn einmal akzeptiert hatte. Das bereitete ihm ein Problem. Siddharameshwar erkannte, was in ihm vorging, und meinte: „Sorge dich nicht. Wenn du später nicht weitermachen willst, kannst du gehen.“ Da stimmte Maruti erleichtert zu, sein Schüler zu werden. Er wurde in das Mantra eingeweiht und erhielt Anweisungen. Dabei fühlte er, wie etwas Ungewöhnliches mit ihm geschah, und ging in Samadhi (eine direkte, aber vorübergehende Erfahrung des Selbst) ein. Er sagte zu seinen Freunden auf Marathi, er hätte „Bambaal Zala“ erfahren, was bedeutet, dass sich seine Identität verändert hatte und er zum ganzen Universum geworden war. Letztendlich verschwand auch die universelle Identität. Er wurde sich seiner Umgebung erst bewusst, als sein Guru ihn aus dem Zustand des Samadhi zurückholte.

Das Mantra, das Siddharameshwar ihm gab, war „tat tvam asi“ (Das, d.h. Brahman bist du). Es ist eines der vier Mahavakyas, der großen Aussagen der Upanishaden: prajnanam brahma (Bewusstsein ist Brahman), ayam atma brahman (Dieses Selbst ist Brahman), aham brahmasmi (Ich bin Brahman) und tat tvam asi (Das, d.h. Brahman bist du).

Nisargadatta sagte später:

„Um mich in diesem ewigen Prinzip zu stabilisieren, weihte mich mein Guru ein, indem er die heiligen Worte tat tvam asi aussprach, was ‚Ich bin Das‘ bedeutet. Von diesem Moment an verlor ich jedes Interesse an weltlichen Angelegenheiten. Diese heiligen Worte werden Mahavakya genannt, eine tiefgründige Aussage, die mit erhabenen Bedeutungen aufgeladen ist.

F.: „Was bedeutet ‚Ich bin Das‘?“

M: „Das Wort ‚Das‘ in dieser Aussage bezieht sich auf alles, was in der Gesamtheit ist.“

F.: „Kann man durch irgendwelche Erfahrungen, die man durch den Körper und die Welt macht, eine Ahnung vom ewigen Zustand bekommen?“

M: „Gewiss nicht. Es ist ein Zustand, der nicht erfahren werden kann. Was war mein Zustand vor dem Erleben? Wer war da, um darauf zu antworten? Dies ist zu verstehen.“ (NoI 16. Januar 1980)

Siddharameshwar wies Maruti an, über das Empfinden des „Ich bin“ zu meditieren. Für ihn war diese Lehre nicht nur ein weiterer spiritueller Ratschlag. Sie fühlte sich vielmehr wie ein fehlendes Puzzlestück an, das an seinen Platz geschoben wurde. Maruti nahm das Mantra und die Anweisungen an, befolgte alles, was sein Guru ihm gesagt hatte, und wurde schon bald sein führender Schüler.