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Ramana Maharshi war ein spiritueller Meister ersten Ranges (Sat-Guru). Obwohl er nie behauptete, ein Guru zu sein, erlebten und erleben seine Schüler damals wie heute seine lebendige und intensive Führung. Er lehrte die Ergründung des Selbst (Atma Vichara). Es wurde eine Auswahl von 13 Schülern aus Ost und West getroffen, deren Begegnung mit Ramana Maharshi nachgezeichnet wird: Ganapati Muni, Muruganar, Kunju Swami, Echammal, Frank Humphreys, Paul Brunton, Alan Chadwick, Arthur Osborne, Balarama Reddy, Henri le Saux (Abhishiktananda), Arunachala Bhakta Bhagawat, Lucy Cornelssen (Satyamayi) und Miles Wright.
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Seitenzahl: 230
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Ramana Maharshi im Alter von 68 Jahren
Einleitung
Sat-Guru Ramana
Ganapati Muni
Muruganar
Kunju Swami
Echammal
Frank Humphreys
Paul Brunton
Alan Chadwick
Arthur Osborne
Balarama Reddy
Henri le Saux (Abhishiktananda)
Arunachala Bhakta Bhagawat
Lucy Cornelssen (Satyamayi)
Miles Wright
Glossar
Literaturverzeichnis
Sri Ramana war ein spiritueller Meister ersten Ranges (Sat-Guru). Doch wie äußerte sich das? Was sind die Merkmale eines Sat-Gurus und was sind die Merkmale eines Schülers? Welche Wirkung hatte das Zusammensein mit Ramana Maharshi auf seine Schüler? Wie veränderte sich dadurch ihr Leben? Solchen und ähnlichen Fragen widmet sich dieses Buch, das als eine Fortführung der Biografie ‚Ramana Maharshi: Sein Leben’ gedacht ist.
Ich habe exemplarisch eine Auswahl von 13 markanten Erinnerungen indischer und europäischer Devotees (Schüler) getroffen. So verschieden die religiösen und sozialen Hintergründe, Charakteren und Temperamente auch sein mögen, ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Maharshi sind sich in ihrer Art doch alle ähnlich. Einige von ihnen verbrachten viele Jahre, teils sogar Jahrzehnte mit Ramana Maharshi und gehörten zum engeren Schülerkreis, andere sahen ihn nur gelegentlich, und wieder andere sahen ihn nie.
Ganapati Muni, Muruganar und Frank Humphreys wurden bereits in der Ramana-Biografie vorgestellt. Überschneidungen ließen sich nicht immer vermeiden. Bhakta Bhagawat, Lucy Cornelssen und Miles Wright sahen den Maharshi zwar nie, doch änderte das nichts an der Intensität der Meister-Schüler-Beziehung. Sie sind Zeugen dafür, dass auch nach dem Tod Ramana Maharshis seine lebendige Gegenwart und Führung genauso intensiv wie zu seiner Lebzeiten erfahren wird. So stehen sie für die Wahrheit seiner Zusage, die er vor seinem Tod wiederholt machte: „Ich gehe nicht fort! Ich bleibe hier!“
Henri Le Saux fällt etwas aus dem Rahmen, da er zugleich auch der christlichen Religion treu blieb und kein Ramana-Schüler im engen Sinn war. Trotzdem ist seine Geschichte in diesem Zusammenhang erzählenswert.
Mein Dank gilt dem Ramanashram für die freundliche Erlaubnis, die Ashram-Publikationen und das Bildmaterial verwenden zu dürfen.
Gabriele Ebert
Ramana auf seinem Sofa
„Wer im Maul des Tigers ist, kann nicht mehr gerettet werden. Genauso wenig kann jemand, auf dem die Gnade des Gurus ruht, dieser Gnade entkommen.“
(Sri Ramana)
Guru bedeutet wörtlich: einer, der die Dunkelheit der Unwissenheit vertreibt. Im Westen trägt dieses Wort oft einen negativen Beigeschmack. Es hat eine gewisse Verzerrung und Abwertung erfahren, in der die Vorstellung von absoluter Hörigkeit und völligem Ausgeliefertsein mitschwingt. In der hinduistischen Tradition dagegen wird der Guru auf dem spirituellen Weg als unbedingt notwendig erachtet. Bhakti, d.h. Vertrauen, Liebe und Gehorsam, ist die rechte Haltung des Schülers seinem spirituellen Lehrer gegenüber. In der Gewissheit, dass der Guru den inneren Weg bis ans Ende gegangen ist und aufgrund seiner Erfahrung fähig ist, Anweisung zu geben, vertraut er auf seine Führung. Doch seinen wahren Guru findet der Suchende erst dann, wenn die Zeit reif dafür ist. Ein bekanntes indisches Sprichwort sagt: „Wenn der Schüler bereit ist, tritt der Guru in Erscheinung.“ Diese Aussage bestätigt sich auch für viele Devotees des Maharshi.
Ramana Maharshi wurde und wird als Sat-Guru verstanden, also als ein spiritueller Meister von der allerhöchsten Stufe, ein vollkommen erleuchteter Meister. Sri Ramana wurde deshalb auch ehrfurchtsvoll Bhagavan genannt, was der Erhabene, der Heilige bedeutet und sowohl als Anrede einer Gottheit als auch eines Gurus gebräuchlich ist. Er selbst hat diese Anrede weder selbst vorgeschlagen, noch ihr je widersprochen. Ähnlich verhält es sich mit dem anderen Titel Maharshi, der ihm von Ganapati Muni verliehen wurde. Maharshi bedeutet der große Weise.
Ramana im Licht- und Schattenspiel des Arunachala
„O Herr des Lichts, Du Meer der Seligkeit,
Vor dessen Glanz das All in Nichts vergeht,
O Arunachala, Du höchstes Selbst:
Geh Du als Sonne auf ob meinem Herzen,
Dass diese Lotusknospe voll erblühe!“
(Sri Ramana)
Immer wieder wurde Sri Ramana danach gefragt, wie es kam, dass er selbst keinen Guru hatte, denn einen menschlichen Guru hatte er offensichtlich nicht. Wie stand es aber mit seinem innig verehrten und geliebten Berg Arunachala? Kann man seine Beziehung zu diesem Berg in diesem Licht sehen?
In einem Gespräch mit Dilip Kumar Roy, dem in Indien bekannten Sänger und Autor, antwortete Sri Ramana auf diese Frage: „Es mochte sein, dass ich das eine oder andere Mal einen Guru hatte. Und habe ich nicht Hymnen an Arunachala gesungen? Was ist ein Guru? Der Guru ist Gott oder das Selbst. Zunächst bittet der Mensch Gott, ihm seine Wünsche zu erfüllen. Dann kommt die Zeit, in der er nicht mehr um die Erfüllung eines Wunsches betet, sondern um Gott selbst. Gott erhört ihn und erscheint ihm in der einen oder anderen Gestalt, sei sie menschlich oder nicht menschlich, um ihn als Guru zu führen.“1
Bei anderer Gelegenheit sagte der Maharshi: „Gurus existieren äußerlich so lange, wie der Schüler sich selbst als der Körper versteht. Sie sind nützlich, um ihn die Wahrheit über sich selbst zu lehren. Wenn der Schüler eines Tages die Wahrheit erlebt und die Körperillusion zerbricht, versteht er, dass die Meister nichts anderes sind, als er selbst, nämlich das Höchste Bewusstsein oder das Selbst. Würden die Gurus außerhalb des Selbst existieren, wären sie nicht wirklich, sondern nur etwas äußerlich Hinzugefügtes, denn das, was kommt, verschwindet auch wieder und ist nicht von Dauer. Die Wahrheit ist, dass das Selbst, der Meister und Gott ein und dasselbe sind.“2
1 Osborne: Bhagavan Ramana, in: The Mountain Path, 1999, S. 61
2 Cohen: Guru Ramana, S. 61
Meister und Schüler
„Zweierlei ist notwendig:
zunächst den Guru außerhalb zu finden und dann im eigenen Innern.“
(Sri Ramana)
Wiederholt tauchte die Frage auf, wie man einen wahren von einem falschen Lehrer unterscheiden könne. Sri Ramana sprach nie schlecht von anderen spirituellen Meistern. Er war der Meinung, es gäbe im Grunde keine falschen Lehrer, und jeder würde den Lehrer finden, der seinem geistigen Zustand angemessen sei. Entscheidender als die Person des Lehrers sei der Grad der Hingabe des Schülers.
Einmal kam ein Besucher zu Sri Ramana und erzählte: „Mein Freund hat einen Mann als seinen Guru erwählt, der nicht einmal ein Sadhu ist. Ich habe ihn hergebracht, damit er seinen Guru aufgibt und dir, Bhagavan, nachfolgt. Bitte mach, dass er dich erwählt.“ Darauf erwiderte Sri Ramana in strengem Ton: „Wer bist du, dass du weißt, wer für ihn der richtige Guru ist? Wie kannst du herausfinden, was für ein Mensch er wirklich ist? Und bist du dir sicher, dass der Guru von solcher Bedeutung ist? Alles hängt vom Schüler ab. Selbst wenn man einen Stein mit großer Hingabe verehrt, wird man in ihm Gott sehen.“3
Die Merkmale eines Sat-Gurus beschreibt Sri Ramana in der ‚Spirituellen Unterweisung’ folgendermaßen: „Er ruht tief im Selbst, blickt unparteiisch auf alle gleich, und seine Haltung ist immer, überall und unter allen Umständen unerschütterlich.“ Der wahre Schüler dagegen „hegt das tiefe Sehnen, das nur im höchsten Glück ein Ende alles Leides sehen will, und eine ebenso tiefe Abneigung gegen alle anderen Freuden.“4
Sri Ramana behauptete nie, der Guru dieses oder jenes Schülers zu sein. Balarama Reddy schreibt in seinen Erinnerungen: „Als ich Bhagavan längere Zeit beobachtet hatte, entdeckte ich, dass er nie offen sagte, er wäre unser Guru und wir seine Schüler, im Gegenteil. Manchmal sagte er Dinge, die genau gegenteilig klangen. Doch wir Devotees, die wir ihm nahestanden, wussten zweifelsohne, dass er unser Guru war. Er liebte uns wie eine Mutter, beschützte uns wie ein Vater, leitete uns wie ein Lehrer und begleitete uns wie ein Freund. Wir fühlten beständig seine Führung und Gnade.“5
Ein andermal führte ein Schüler mit Sri Ramana folgendes Gespräch:
F.: „Ich brauche die Führung des Sat-Gurus, damit ich das verstehen kann.“
M.: „Der Sat-Guru ist in deinem Innern.“
F.: „Ich möchte einen sichtbaren Guru.“
M.: „Der sichtbare Guru sagt, dass er innen ist.“
F.: „Kann ich mich der Gnade des Gurus anheimgeben?“
M.: „Ja. Unterweisungen sind nur so lange nötig als man sich nicht unterworfen hat.“
F.: „Würde der Sat-Guru bitte seine Hand auf meinen Kopf legen, um mich seiner Hilfe zu versichern? Dann werde ich den Trost haben zu wissen, dass er sein Versprechen erfüllen wird.“
M.: „Als nächstes wirst du mich um einen Vertrag bitten und Klage einreichen, wenn du glaubst, dass die Hilfe ausbleibt.“6
Bei einer anderen Gelegenheit erwiderte Sri Ramana einem Schüler: „Was stellst du dir unter einem Guru vor? Du denkst, dass er von menschlicher Gestalt ist, von bestimmter Größe und Hautfarbe. Nach seiner Erleuchtung sagte ein Schüler zu seinem Guru: ‚Ich verstehe jetzt, dass du während all meiner unzähligen Geburten im Innersten meines Herzens als die eine Wirklichkeit gewohnt hast. Jetzt bist du mir in menschlicher Gestalt erschienen und hast den Schleier der Unwissenheit vor mir gelüftet. Was kann ich als Gegenleistung für deine große Güte tun?‘ Der Guru antwortete: ‚Du brauchst nichts zu tun. Es genügt, wenn du in deinem wahren Zustand bleibst.‘ Das ist die Wahrheit über den Guru.“7
Entscheidend für den Schüler ist, dass er die Lehre des Meisters versteht und sie im Vertrauen auf den Lehrer praktiziert. Sri Ramana lehrte vor allem Atma Vichara, die Selbstergründung, die er u. a. in seinem Büchlein ‚Wer bin ich?’ detailliert erläutert hat. Er war der festen Überzeugung, dass der Schüler, der diesem Weg unbeirrt und beharrlich folgt, sicher und ohne Umwege zur Erkenntnis des Selbst (Atma Vidya) gelangt.8
Balarama Reddy berichtet von folgendem Gespräch mit Ramana: „G.V. Subbaramayya stellte Bhagavan zu Atma Vidya [hier ist Sri Ramanas Gedicht gemeint] eine Frage. Das Gedicht fängt folgendermaßen an: ‚Die Erkenntnis des Selbst ist einfach. Sie ist das Einfachste, das es gibt.’ Subbaramayya wollte wissen, wieso wir es dann nicht verwirklichen konnten, wenn es doch so einfach sei. Das fragten wir uns alle. Ich zitierte Bhagavad Gita VII,3, wo Sri Krishna sagt: ‚Unter tausenden von Menschen streben nur einige wenige danach, Mich zu erkennen, und von diesen Yogis wiederum sind es nur wenige, die Mich in Wahrheit kennen.’ Ich dachte bei mir: ‚Wenn die Erkenntnis des Selbst so einfach ist, wie Bhagavans Gedicht behauptet, warum hat Krishna dann diese Feststellung in der Gita gemacht?’
Bhagavan sah uns voller Mitgefühl an, lächelte zuversichtlich und erwiderte: ‚Was in Atma Vidya geschrieben steht, ist wahr. Warum zweifelt ihr? Die Erkenntnis des Selbst ist so klar wie eine Stachelbeere auf deiner Handfläche.’
Wenn er mit solcher Gewissheit und Überzeugung zu uns sprach, wurden wir von unerschütterlichem Glauben und Selbstvertrauen in unsere Fähigkeit erfüllt, dass wir das Ideal, das er lehrte, auch erreichen konnten. Mehr noch: er saß als lebendes Beispiel dieses Ideals vor uns: eine vollkommene Seele, die von der Reinheit und dem Frieden der absoluten Realität verzehrt wurde.“9
3 Ganesan: Moments, S. 20
4 Satyamayi: Sri Ramana Maharshi, S. 101
5 Reddy: Reminiscences, S. 22 f.
6 aus Talk 434
7 Mudaliar: Tagebuch, Eintrag vom 3.1.1946
8 dazu s. a. Ebert: Ramana Maharshi: Sein Leben, S. 197-206
9 Reddy: Reminiscences, S. 120 f.
Ramana mit einem westlichen Schüler
„Ich weiß nicht, was mit mir geschah, als ich den Maharshi zum ersten Mal sah. Aber in dem Augenblick, als er mich ansah, wusste ich, dass er die Wahrheit und das Licht ist.“
(Grant Duff)
Entscheidend für die Entwicklung einer Meister-Schüler-Beziehung ist oft die erste Begegnung. So war es bei Ganapati Muni, Kunju Swami, Muruganar, Major Chadwick und bei vielen anderen. Was sich bei dieser ersten Begegnung abspielt, hat eine eigene Faszination. Es finden sich dazu mehrere Beispiele an verschiedenen Stellen in diesem Buch. Dennoch sollen hier noch einige weitere Erlebnisse angeführt werden.
Einer der frühen Devotees Sri Ramanas war M. G. Shanmugam. Er erzählt: „Bhagavan empfing mich herzlich mit einem gütigen Lächeln. Da er mich zum ersten Mal sah, überraschten mich seine spontanen Fragen. Wie eine besorgte Mutter wollte er wissen: ‚Wann bist du angekommen?’ und: ‚Wie geht es deiner rechten Hand?’ Ich hatte meine rechte Hand gebrochen, als ich 14 war. Sie blieb verkrümmt und war kürzer als die andere. Ich trug deshalb Kleidung mit sehr langen Ärmeln, um sie zu verbergen. Selbst meine Freunde wussten nichts von dieser Verunstaltung. Wie aber wusste Bhagavan davon? Und welche Anteilnahme er zeigte!
Nachdem Bhagavan danach gefragt hatte, verschwand mein Minderwertigkeitsgefühl wegen der Missgestaltung völlig. Doch das war noch nicht alles. Er bat mich, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Ich setzte mich und sah ihn an. Ich weiß nicht, was mit mir geschah. Als ich wieder aufstand, waren zwei Stunden verstrichen. […] In diesem Augenblick wusste ich, dass ich in seine Herde aufgenommen worden war.“10
Sachidananda erlebte seine erste Begegnung mit dem Maharshi im Jahr 1912 folgendermaßen: „Ich stieß auf die Menschenmenge, die darauf wartete, Sri Bhagavan zu sehen. Wenige Minuten später kam er aus dem Ashram. Er trug einen Lendenschurz und einen Spazierstock. Wir sahen einander an. Plötzlich erschien er mir in der Gestalt des Gottes von Palani [gemeint ist Subrahmanya]. Die Haare standen mir zu Berge, und ich vergoss Freudentränen. Ich war sprachlos. Schweigend setzte ich mich.“11
Prof. Subbaramayya erzählt von seiner ersten Begegnung mit dem Maharshi: „Am Morgen hatte ich Sri Bhagavans Darshan in der Alten Halle. Als sich unsere Augen trafen, übte das eine geheimnisvolle Wirkung auf meinen Geist aus. Mir war, als wäre ich in einen Teich des Friedens gestürzt. Mit geschlossenen Augen saß ich nahezu eine Stunde lang in einem ekstatischen Zustand da. Als ich mein normales Bewusstsein wiedererlangte, versprühte gerade jemand ein Insektenmittel in der Halle, und Sri Bhagavan erhob dagegen mit einem Kopfschütteln Einspruch.“12
Duncan Greenless berichtet von seinem Besuch 1936: „Es dauerte nicht lange, um mich zu überzeugen, dass ich da einen vor mir hatte, der die Probleme des Lebens für sich gelöst hatte. Der Friede, den er ausstrahlte, war über alle Zweifel erhaben. Die Stille war wie die des mittäglichen Himmels und zu überwältigend, um jetzt Fragen zu stellen. Dieser Teil der Suche war für mich in dem Moment vorüber, als ich ihn zum ersten Mal erblickte. Ich hatte einen Meister in Fleisch und Blut gesehen. In dieser Nacht erzählte ich meinen Freunden, dass ich mir sicher war, dass er das war, was in den Schriften ein Jivanmukta genannt wird. Bitte fragt mich nicht, wie ich zu diesem Wissen kam, denn ich könnte es nicht sagen. Es war für mich so gewiss, wie das Wasser nass und der Himmel blau ist. [...]
Natürlich hatte ich die übliche Liste von Fragen mitgebracht. Meist waren es philosophische Fragen, vor allem über die Wiedergeburt und die spirituelle Evolution. Da ich sie nie stellte, spielt das auch keine Rolle mehr. Meine Schüchternheit bewirkte, dass ich in den ersten Tagen nichts fragte, wenn ich in der Halle saß, und als ich schließlich mein Schweigen brach, hatten sich diese unausgesprochenen Fragen als unwichtig erwiesen und damit von selbst erledigt.“13
Der englische Aristokrat Grant Duff, der Neffe des Gouverneurs von Madras, war im Ashram eine bekannte Erscheinung. Paul Brunton hatte ihm von Sri Ramana und dem Ashram erzählt, und so war er hierhergekommen. „Es wurde zum größten Abenteuer meines Lebens. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, als ich den Maharshi zum ersten Mal sah. Aber in dem Augenblick, als er mich ansah, wusste ich, dass er die Wahrheit und das Licht ist. Darüber konnte es keinen Zweifel geben. Alle Zweifel und Spekulationen, die ich während vieler Jahre angesammelt hatte, verschwanden in dem Strahlen des Heiligen.
Es ist schwer, die unerwartete Veränderung, die mit mir geschah, zu beschreiben. So viel aber kann ich sagen: obwohl meine Besuche im Ashram kurz waren, spürte ich, dass in jedem Augenblick, den ich dort verbrachte, sich etwas in mir aufbaute, das nie wieder zerstört werden konnte, was auch immer diesem Körper und Geist noch zustoßen mochte.“14
Die Amerikanerin Eleanor Noye beschreibt ihren ersten Eindruck folgendermaßen: „Mein Herz pochte erwartungsvoll, als man mich zur Halle brachte. Als ich eintrat, spürte ich, dass die Atmosphäre von Sri Bhagavans Reinheit und Glückseligkeit erfüllt war. In der Gegenwart des Weisen fühlt man den Atem des Göttlichen. Er saß auf einer Couch, war nur mit einem Lendentuch bekleidet und von seinen Schülern umgeben. Wenn er lächelte, war es, als würden die Pforten des Himmels aufgestoßen. Ich habe noch nie Augen gesehen, die von solchem göttlichen Licht erstrahlten, als die seinen. Sie leuchteten wie die Sterne. Er grüßte mich sehr freundlich und stellte mir einige Fragen, die mir meine Befangenheit nahmen. Sein liebe- und mitleidsvoller Blick war ein Segen, der direkt in mein Herz eindrang. Ich wurde sofort von ihm angezogen. Seine Erhabenheit und Freundlichkeit umfasst alle und alles.
Man spürt in seiner Gegenwart eine solche Erbauung, dass man seine außergewöhnliche Spiritualität einfach spüren muss. Es ist nicht nötig, dass er etwas sagt. Sein stiller Einfluss von Liebe und Licht ist stärker, als es Worte sein könnten. Ich weiß nicht, was für einen Mann ich mir vorgestellt hatte, aber sobald ich ihn sah, sagte ich mir: ‚Mit Sicherheit gibt es keinen zweiten wie Bhagavan!’ Ich glaube nicht, dass es noch einen wie ihn auf Erden gibt. Wenn man ihn gesehen hat, muss man ihn lieben.“15
Eleanor Noye im Hintergrund
Als Eleanor Noye zum Ashram kam, befand sie sich in schlechter körperlicher Verfassung. „Der Grund für meine abgespannte körperliche Verfassung war, dass ich seit Jahren nicht mehr gut schlief, obwohl ich Medizin einnahm. Sie half mir nicht. Ich hatte nichts darüber zu Sri Bhagavan gesagt. Zu meiner Verblüffung schlief ich die erste Nacht und alle weiteren Nächte tief und fest, ohne etwas einzunehmen, obwohl ich nicht den üblichen Komfort hatte, an den ich gewohnt war. Ich hatte die ‚Arznei aller Arzneien’ erhalten, die unerschöpfliche Gnade des Herrn, der das ‚Herz’ heißt. Als ich am nächsten Morgen aufstand, war ich erholt und frisch und fühlte mich wie neugeboren.“16
10 Ganesan: Moments, S. 78 f.
11 Kunju Swami : Reminiscences, S. 157
12 Subbaramayya: Reminiscences, S. 1 f.
13 Duncan Greenless: What I Saw in Sri Bhagavan in: Golden Jubilee Souvenir, S. 339 f.
14 Grant Duff: My Visit to Maharshi in: Golden Jubilee Souvenir, S. 133
15 Eleanor Noye: My Pilgrimage to Sri Ramansramam in: Golden Jubilee Souvenir, S. 442
16 dto., S. 443
Dass der Schüler seinem Guru in irgendeiner Form dient, entspricht dem traditionellen Verständnis der Meister-Schüler-Beziehung. Er sorgt für sein Wohl und verrichtet für ihn die verschiedensten Arbeiten. Dieser Dienst des Schülers für den Guru ist Tapas, womit er im Gegenzug die Gnade und Belehrung des Meisters erhält.
Sri Ramana mit Devotees auf dem Berg
„Der heilige Dienst für den Guru ist der Dienst, den die Devotees sich selbst erweisen, indem sie sich dem spirituellen Weg widmen, um das Ziel zu erreichen.“
(Sri Ramana)
Auch im Ramanashram wurde dieses Verständnis von vielen Devotees gepflegt. Sri Ramana hielt jedoch wenig davon. Wahren Dienst für den Guru bedeutete für ihn das Verweilen des Schülers im Selbst. Die Gnade des Gurus lässt sich nicht durch äußere Verrichtungen verdienen, sondern indem der Geist nach innen gekehrt wird.
Manche Devotees, die regelmäßig in den Ferien den Ashram besuchten, neigten dazu, sich in verschiedene Ashram-Angelegenheiten zu stürzen und ihr eigentliches Ziel zu vergessen. Wenn Sri Ramana das bemerkte, warnte er: „Sie sollten ihre Zeit nicht mit Aktivitäten als so genanntem ‚Dienst für den Guru’ verschwenden und später enttäuscht sein.“ Und wenn sich dann der eine oder andere beklagte, keine Zeit zur Meditation zu haben, tadelte er ihn: „Ist das wirklich der Grund, weshalb du keine Zeit zur Meditation findest? Oder ist es, weil du nicht still sein kannst? Wenn du aber still sein kannst, geh und halte es so! Du wirst sehen, wie alle Ashram-Aktivitäten natürlich und von selbst weitergehen.“17
Dennoch behandelte Sri Ramana jene, die einen offiziellen Dienst für ihn versahen, mit besonderer Fürsorge. Seine persönlichen Helfer, die Köchinnen, Annamalai Swami, der den Ashram aufbauen half, und viele andere führte er allmählich dazu, ihre Aufmerksamkeit immer mehr auf das Selbst zu lenken und zu verstehen, dass der eigentliche Guru nicht die äußere Gestalt ist. Ramana nahm jede Gelegenheit wahr, dies seinen Devotees verständlich zu machen. Er wies auf seinen Körper und warnte: „Ihr glaubt, dass diese falsche Gestalt meine wahre Gestalt ist. Wenn ihr diesen falschen Ramana als euren Sat-Guru betrachtet, werdet ihr enttäuscht sein, wenn er am Ende seines Lebens verschwindet. Gebt dann nicht mir die Schuld! Ich habe es euch gesagt. Es liegt nun in euren Händen, euch daran zu erinnern oder diese Tatsache in Zukunft zu ignorieren.“18
Viele Schüler, die einen Dienst für Ramana verrichteten, zogen sich später zu einem kontemplativen Leben zurück. Sie benötigten seine physische Nähe nicht mehr, da sie den inneren Meister in sich entdeckt hatten.
Nach dem Schock von Ramanas Tod hatten die meisten Devotees den Ashram verlassen. Bald darauf machten jedoch zunehmend viele Schüler die Erfahrung, dass sich tatsächlich nichts an der inneren Führung geändert hatte und der eigentliche Dienst für den Guru eine innere Tätigkeit ist, die darin besteht, Sri Ramanas Lehre zu befolgen. Dies kann überall und unter allen Lebensumständen geschehen, ob der Meister im Körper weilt oder ihn bereits verlassen hat.
17 Godman: The Power of the Presence I, S. 114 f.
18 dto., S. 114
Devotees verneigen sich
„Sie wissen es nicht, aber jedes Mal, wenn sie sich vor mir verneigen, verneige auch ich mich im Herzen vor ihnen.“
(Sri Ramana)
Wie man sich äußerlich einem Guru gegenüber zu verhalten hat, ist im Hinduismus festgelegt und beinhaltet einige Rituale. Sri Ramana wehrte sich gegen alle übertriebenen Verehrungsbekundungen von Seiten seiner Schüler. Wie ihn schon Tambiran in Gurumurtam wie ein Götterbild verehren wollte, so hätten es sicherlich auch im Folgenden viele seiner Devotees nur zu gern getan. Sri Ramana wehrte dem, indem er zwei Grundsätze aufstellte. Der erste besagte, dass er wie alle anderen behandelt werden wollte. Das galt besonders beim Essen. Er ließ nie zu, dass man ihm eine größere Portion als den anderen auf seinen Blattteller schaufelte oder ihm ein extra Gericht zubereitete. Und er wollte von niemandem berührt werden, obgleich er gegen einen natürlichen Körperkontakt nichts einzuwenden hatte. Damit wollte er eine körperliche Verehrung unterbinden.
Die Ashram-Verwaltung übertrieb es gelegentlich mit ihren Reglementierungen. So war es nicht erlaubt, Ramana nach westlicher Art bei der Begrüßung die Hände zu schütteln. Der Deutsche Hans-Hasso von Veltheim-Ostrau erzählt von seinem Besuch im Jahr 1935: „Als ich vorfuhr, dachte ich nicht daran, unter der Regentraufe riesige Anschläge in vielen Sprachen zu beachten; ich stürzte in das Gebäude, zog die Schuhe aus, wie es in jedem indischen Haushalt üblich ist, fragte, wo der Maharshi sei, und ging in die mir gewiesene Tür. Ein großer Saal voll schweigender Menschen [es mögen wohl über hundert gewesen sein] empfing mich. Rechts an der Langwand, dem Eingang gegenüber, saß auf einem mit Tiger- oder Leopardenfell bedeckten Divan ein älterer, bis auf einen kleinen Lendenschurz nackter, sehr dunkelhäutiger Mann, vor dem Weihrauch brannte. Ohne mir irgendetwas dabei zu denken, ging ich geradewegs auf ihn zu, reichte ihm die Hand, die er nahm, und fragte ihn: ‚Sind Sie der Maharshi?’ Lange hielt er meine Hand, sah mich lächelnd an und sagte in leidlich gutem Englisch: ‚Sie sind der Deutsche, den ich erwarte.’“19
Wenn Ramana aufstand oder wenn er die Halle betrat, hatten sich alle respektvoll zu erheben. Wenn er seinen Spaziergang machte, gingen diejenige, die ihn begleiteten, in einigem Abstand hinter ihm her.
Als der Engländer Alan Chadwick 1935 in den Ashram kam, verstieß er unwissentlich ständig gegen die Ashramregeln, da er sie nicht kannte. Das brachte ihm aber nicht die Rüge Ramanas ein, der im Allgemeinen wenig von übertriebenen Verhaltensvorschriften hielt, sondern nur die der Devotees, die ihn für respektlos hielten. Ramana wäre es am liebsten gewesen, wenn sich alle ihm gegenüber völlig natürlich verhalten hätten, so wie auch er sich seinen Devotees gegenüber völlig natürlich verhielt. Einmal meinte er, als er in die Halle kam und alle aufstanden: „Warum steht ihr auf? Warum bleibt ihr nicht sitzen? Bin ich ein Tiger oder eine Schlage, dass ihr jedes Mal aufspringt, wenn ich mich zeige?“
Spaziergang auf dem Arunachala
Dem Guru die Beine entgegenzustrecken, gilt als große Respektlosigkeit. Als einmal eine Amerikanerin ihre Beine in die Richtung des Maharshi ausstreckte, da sie es nicht gewohnt war, für längere Zeit im Schneidersitz zu sitzen, wurde sie von einem der Helfer Ramanas gerügt und angewiesen, wie alle anderen mit verschränkten Beinen zu sitzen. Da tadelte Ramana seinen Helfer: „Wenn es für sie [die ausländischen Besucher] schon schwierig ist, auf dem Boden zu sitzen, musst du sie dann auch noch zwingen, mit verschränkten Beinen zu sitzen?“ „Nein, natürlich nicht“, verteidigte sich der Helfer. „Ich habe sie lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass es respektlos ist, Bhagavan die Beine entgegenzustecken.“ „Ach so, es ist also respektlos“, erwiderte Ramana leichthin. „Dann ist es auch respektlos, wenn ich ihnen meine Beine entgegenstrecke. Was du da sagst, gilt dann natürlich auch für mich.“ Da kreuzte er ebenfalls seine Beine. Zunächst lachten alle. Die Amerikanerin und die Gruppe von Europäern verließen ihn eine halbe Stunde später. Ramana behielt aber seine Sitzposition bei, obwohl ihm das wegen seines Rheumatismus in den Knien und Gelenken Schmerzen bereiten musste und seine Beine steif wurden. Trotz aller Überredungsversuche nahm er immer wieder diese für ihn so ungünstige Haltung ein, selbst noch am folgenden Tag. Er sagte: „Ich weiß nicht, ob ich die Beine strecken darf. Man sagt, das gehöre sich nicht.“20
Es ist üblich, dass der Schüler oder Besucher sich vor einem großen Heiligen zu Boden wirft. Dies wird Namaskaram (Niederwerfung) genannt, wobei man die Hände über dem Kopf faltet und sich dann vor dem Guru flach, mit dem Gesicht nach unten, auf den Boden wirft. Selbstverständlich taten dies auch die Devotees Sri Ramanas und übertrieben es wohl auch gelegentlich etwas damit. Der Maharshi betonte wiederholt, dass die wirkliche Niederwerfung im Herzen geschähe. Das bedeutet nun nicht, dass Sri Ramana völlig gegen die Niederwerfung gewesen wäre. Wenn man sie mit Liebe und Hingabe ausführt, trägt sie ihren eigenen Wert in sich. Er wehrte sich nur gegen jede Art der Übertreibung und reiner Äußerlichkeit. Entsprach diese Geste auch der Hingabe des Schülers, so war sie willkommen. Wollte der Devotee aber lediglich die Aufmerksamkeit auf sich lenken, konnte er sich eine Rüge einhandeln, denn Sri Ramana las in den Herzen und kannte die Gesinnung derer, die zu ihm kamen. So kritisierte er: „Warum verhaltet ihr euch nicht natürlich? Der Geist muss rein sein. All diese Niederwerfungen führen zu gar nichts. Es ist reine Augenwischerei.“21
Bei anderer Gelegenheit erklärte er die tiefe Bedeutung des Namaskaram folgendermaßen: „Namaskaram meint in Wirklichkeit die Auflösung des Egos. [...] Die acht Körperteile berühren dabei den Boden: Hände, Arme, Beine, die Brust und die Stirn. Man sollte sich dabei sagen: ‚Der Körper, der die Erde berührt, wird sich letztendlich in Erde auflösen, und das Ich in mir wird allein als das Selbst fortbestehen.’ Diese Vorstellung muss man sich durch die Selbstergründung bewusst machen. Sonst ist es sinnlos, Namaskaram auszuführen. Mit belanglosem Namaskaram wollen die Leute sich nur Vorteile verschaffen. Der Swami muss ihnen all ihre Wünsche erfüllen.“22
Die besondere Verehrung seines Gurus bezeugt ein Hindu, indem er ihm die Füße küsst. Das war in der Regel im Ramanashram verboten, was im Sinne Ramanas war. Er erklärte: „Die wirklichen Füße Bhagavans befinden sich im Herzen des Devotees. Sich an diese Füße zu halten ist wahrhaftes Glück. Wenn du dich an meine leiblichen Füße hältst, bist du enttäuscht, wenn sie eines Tages nicht mehr da sind. Doch wenn du die Füße des Gurus im eigenen Herzen verehrst, ist das die höchste Form der Verehrung.“23