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Die Macht der Ewigen Krieger ist gebrochen – auch dank der Gänger des Netzes, zu denen Perry Rhodan gehört. Das Reich der Zwölf Galaxien und seine zahlreichen Bewohner sind frei und können gemeinsam in eine positive Zukunft blicken. Unklar ist, was mit den Vironauten geschehen soll. Millionen von Menschen und Angehörige anderer Sternenvölker sind mit den Virenschiffen in die Fremde aufgebrochen. Sie haben im Kampf gegen die Ewigen Krieger geholfen, nun suchen sie nach einem neuen Ziel für sich. Doch offenbar droht bereits eine neue Gefahr. Raumschiffe aus einem sterbenden Universum tauchen auf, das geheimnisvolle Hexameron macht sich breit. Der letzte Krieger muss sich entscheiden, welchen Weg er einschlagen möchte ...
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Seitenzahl: 534
Nr. 168
Der letzte Krieger
Cover
Klappentext
1. Das sterbende Netz
2. Die Freiheit des Bewusstseins
3. Die Botschaft der letzten Tage
4. Sucht die Vironauten!
5. Nach dem Psi-Sturm
6. Verwirrendes Erwachen
7. David und die Trurthars
8. Die doppelte Hilda
9. Im Dimensionsgefängnis
10. Auf den Spuren der Krieger
11. Diverse Händel
12. Der Mensano von Cuin
13. Intrigen auf Proisan
14. Rückkehr nach Mardakaan
15. Die Melodie
16. In den Klauen des Singuva
17. Im Archiv der Porleyter
18. Aufbruch der Vironauten
19. Enden und neue Anfänge
Nachwort
Zeittafel
Impressum
Die Macht der Ewigen Krieger ist gebrochen – auch dank der Gänger des Netzes, zu denen Perry Rhodan gehört. Das Reich der Zwölf Galaxien und seine zahlreichen Bewohner sind frei und können gemeinsam in eine positive Zukunft blicken.
Unklar ist, was mit den Vironauten geschehen soll. Millionen von Menschen und Angehörige anderer Sternenvölker sind mit den Virenschiffen in die Fremde aufgebrochen. Sie haben im Kampf gegen die Ewigen Krieger geholfen, nun suchen sie nach einem neuen Ziel für sich.
Atlans KARMINA bewegte sich mit geringer Geschwindigkeit einen breiten Normstrang des Psionischen Netzes entlang. Der aus der Milchstraße verbannte Ritter der Tiefe und jetzige Gänger des Netzes war auf dem Heimweg nach Sabhal. Die KARMINA befand sich 12.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Absantha-Gom entfernt, in der Nähe des Netzknotens Sektor Larsa-eins. Rund viermal so weit war es noch bis Sabhal. Unter normalen Umständen hätte der Arkonide die Aufnahme der Verbindung mit einem Netzknoten dem Bordsyntron überlassen. Aber die Umstände waren nicht normal. Das Psionische Netz hatte zu flackern begonnen. Seit der Explosion der riesigen Paratau-Menge, die die Kartanin auf den vier Welten des Tarkaniums gelagert hatten, war es in Unordnung geraten. DORIFER, das Kosmonukleotid, zitterte und bebte unter der Wucht psionischer Eruptionen von erschreckender Intensität. In der Nähe der Lokalen Gruppe waren 50 Milliarden Sterne materialisiert, die aus einem fremden Universum kamen.
Seitdem war das Reisen entlang der Norm- und der Präferenzstränge zu einer riskanten Angelegenheit geworden. Ein Raumschiff, das sich einen plötzlich erlöschenden Normstrang entlangbewegte, wurde ins vierdimensionale Kontinuum des Standarduniversums geschleudert. Für Netzgänger bedeutete dies nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit; denn ihre Schiffe besaßen grundsätzlich ein zweites, nicht nach dem Enerpsi-Prinzip arbeitendes Überlichttriebwerk. Schlimmer erging es den Raumfahrern an Bord der Fahrzeuge, die auf den Werften der Ewigen Krieger gebaut worden waren. Sie besaßen keine Ersatzantriebe. Wenn der Strang, in dem sie sich bewegten, erlosch, waren sie gestrandet.
Übel erging es auch dem Netzgänger, der sich auf dem Weg des Persönlichen Sprungs durch einen Präferenzstrang befand. Wenn er beim Erlöschen des Strangs ins Vier-D-Kontinuum geschleudert wurde, bewahrte ihn die Netzkombination zwar vor dem augenblicklichen Tod durch explosive Dekompression. Aber er war darauf angewiesen, mit dem Hypersender, der zur technischen Ausstattung der Kombination gehörte, Hilfe herbeizurufen; und da solche Mikrogeräte nicht mit großer Reichweite ausgestattet waren, hing sein weiteres Schicksal davon ab, ob jemand in Hörweite war.
Natürlich war der Psi-Funk in gleicher Weise betroffen. Nur über ihn konnte ein Netzknoten angesprochen werden. Deswegen hatte Atlan es selbst übernommen, Kontakt mit dem Knoten Sektor Larsa-eins aufzunehmen. Der Knoten würde sämtliche Leistungsreserven aktivieren, wenn er von der Stimme eines organischen Wesens angesprochen wurde.
Die Methode hatte Erfolg. »Leitsignale werden empfangen«, sagte die synthetische, aber wohlklingende Stimme des Bordsyntrons. »Du bekommst Antwort.«
Sekunden darauf erwachte der Empfänger zum Leben. »Netzknoten Sektor Larsa-eins an Atlan«, sprach eine wesentlich weniger wohlklingende, von Störgeräuschen untermalte Stimme. »Womit kann ich dir dienen?«
»Ich benötige Informationen über den Zustand des Psionischen Netzes«, sagte der Arkonide. »Ist es sicher, per Normstrang nach Sabhal zu reisen?«
»Negativ«, antwortete der Knoten. »Das Psionische Netz flackert unkontrolliert. Langfristig ist abnehmende Tendenz zu erkennen. Es wird allen Gängern des Netzes empfohlen, bei der Reise per Schiff das Sekundärtriebwerk zu verwenden.«
»Verstanden«, sagte Atlan. »Nächste Frage: Was ist über den Verbleib Perry Rhodans bekannt?«
»Nichts«, lautete die Antwort. Die Störgeräusche wurden intensiver. »Perry Rhodan ist verschwunden, seit er mit seiner Kapsel LEDA ins Innere des Kosmonukleotids DORIFER einflog. Es wird befürchtet ...«
»Vorsicht!« Das war die Stimme des Bordsyntrons. Aus dem Empfänger drang heftiges Rauschen und Knacksen.
Noch einmal war der Netzknoten zu hören: »... kann noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden ... aber die Möglichkeit besteht ... Perry Rhodan unwiderruflich ...«
Ein schwerer Stoß erschütterte das Schiff. Der Arkonide sah die grünen Fäden der Netzstränge einen chaotischen Tanz aufführen, dünner werden und sich zu einem einzigen Knoten verschlingen. Dann erlosch das Bild, und als die Projektion wieder erstand, zeigte sie das Sternengewirr der Galaxis Absantha-Gom.
»Davor wollte ich dich warnen«, erklärte die Stimme des Bordsyntrons mit der von ihr gewohnten Gelassenheit. »Das Psionische Netz ist im gesamten Sektor Larsa-eins zusammengebrochen. Die Verbindung mit dem Netzknoten besteht nicht mehr.«
Atlan stemmte sich in die Höhe. Die Erschütterung war heftig gewesen; aber die Anzeigen der Schadenskontrolle im linken oberen Sektor der Konsole leuchteten in zuversichtlichem Grün. Das Schiff hatte keinen Schaden erlitten.
»Was jetzt?«, fragte er verwirrt und begriff im selben Augenblick, dass er eine sinnlose Frage gestellt hatte.
»Das musst du selbst entscheiden«, antwortete der Syntron. »Ich darf aus eigener Initiative Entscheidungen nur dann treffen, wenn meinem Passagier die Möglichkeit dazu genommen ist. Ich kann dir aber raten. Das Metagrav-Triebwerk ist zuverlässig und leistungsstark. Wir können auch ohne Psi-Netz nach Sabhal zurückkehren.«
Atlan löste den Gurt, der ihn mit dem Sessel verband, und stand auf. Ein Gedanke war ihm plötzlich gekommen. »Nein«, sagte er. »Wir werden zunächst etwas anderes tun.«
Waldige Hügel zeigte die Optik des Raumboots, weite, mit Busch und Gras bewachsene Ebenen, breite Flüsse, die sich träge durch die friedliche Landschaft schlängelten, und schließlich die tiefblaue Fläche des Meeres.
Tonku war – für den, der auf der Kristallwelt groß geworden war und einen bedeutenden Teil seines Lebens auf der Erde zugebracht hatte – eine schöne Welt. Das Boot näherte sich dem Interkontinentalhafen Ransin. Atlan hatte auf Anhieb Landeerlaubnis erhalten. Niemand hatte ihn nach dem Woher und Wohin gefragt. Man wusste nicht, dass er aus dem interplanetarischen Raum kam. Die KARMINA hatte er im Ortungsschutz der Sonne Oprah versteckt. Das Boot, mit einem unterlichtschnellen, jedoch leistungsfähigen Gravo-Antrieb versehen, hatte die rund 180 Millionen Kilometer in weniger als einer Stunde Bordzeit zurückgelegt. Aufgrund der Kommunikation mit dem Hafen Ransin war für die Ankunft des Gastes, der sich Gonozal nannte, alles vorbereitet.
Das Boot landete auf der mit fluoreszierenden Zeichen markierten Fläche, die ihm von der Hafenverwaltung zugewiesen worden war. Ein robotgesteuertes Fahrzeug näherte sich, um den Gast abzuholen und in sein vorbestelltes Quartier zu bringen. Zur Ausstattung des Fahrzeugs gehörte ein simpler Transportroboter, der die Aufgabe hatte, sich um das Gepäck des Neuangekommenen zu kümmern. Atlan alias Gonozal hatte nicht die Absicht, sich lange auf Tonku aufzuhalten. Sein Reisegepäck bestand aus einem Schwebebehälter, der außer der Netzkombination wenig enthielt. Die Kombination hatte der Arkonide abgelegt. Sie war ein zu auffälliges Kleidungsstück. Auf Tonku nahm man das Leben leicht und kleidete sich in bunte, bequeme Gewänder. Entsprechend hatte er sich ausgestattet.
Die Bewohner des Planeten nannten sich Tonak. Sie waren Nachfahren von Kolonial-Elfahdern – von jenen Elfahdern also, die vor der großen Katastrophe von Elfahd ausgewandert waren und sich ihre humanoide Erscheinungsform bewahrt hatten. Tonku war erst vor wenigen Jahrhunderten von einer kleinen Siedlergruppe mit Beschlag belegt worden. Die Tonak besaßen eine hoch entwickelte Zivilisation. Sie hatten andere Siedlungswillige willkommen geheißen, und inzwischen besaß Tonku eine Bevölkerung von annähernd zwölf Millionen Seelen. Sie konzentrierte sich in drei Städten: Dadelyr, der Hauptstadt, Tumqon, der Handelsmetropole, und Ransin, dem am tropischen Ozean gelegenen Ort, der knapp zwei Millionen Einwohner zählte und in den sich wohlhabende Tonak gern zurückzogen, wenn sie des aktiven Lebens überdrüssig waren.
Das Quartier, das von der Hafenverwaltung auf Atlans Wunsch reserviert worden war, gehörte zu einem ausgedehnten Mietwohngelände, das auf und unterhalb der Kuppe eines abseits der Stadt gelegenen Hügels gebaut worden war. Die Mehrzahl der bungalowähnlichen Wohnungen hatte freien Ausblick auf die weite Fläche des riesigen Meeres.
Das Robotfahrzeug setzte den Arkoniden vor einem flachen, lang gestreckten Gebäude ab, das mit der Aufschrift ADMINISTRATION gekennzeichnet war. Auf Tonku wurde Sothalk gesprochen; aber es ging das Gerücht, dass die Tonak die Lehre des Permanenten Konflikts niemals besonders ernst genommen hätten. Es gab allerdings eine Upanishad auf Tonku. Sie hieß Gom-Endeleza, also »die Vollendung Fördernde«, und hatte sich, als der Kriegerkult noch in voller Blüte stand, über Mangel an Zulauf nie zu beklagen brauchen. Mittlerweile, da die Ewigen Krieger von ihren Vormündern, den Singuva, abserviert worden waren, würde sich das geändert haben. So wenigstens dachte Atlan.
In einem der Büros des Administrationsgebäudes wurde der Arkonide von einem stämmig gebauten Tonak empfangen. Er hatte die typische kugelrunde Schädelform seiner Spezies. Die Hautfarbe war ein tiefes, von olivfarbenen Tönen durchsetztes Braun. Die großen Augäpfel waren von strahlendem, fast bläulich schimmerndem Weiß, die Iris ein helles Grün. Ein Artmerkmal der Tonak war die große, platte Nase, die jeden, der einmal auf Terra gewesen war, an die Boxerhunde vergangener Zeiten erinnerte. Der Tonak, mit dem Atlan es zu tun hatte, besaß einen kräftig ausgebildeten Mund mit aufgestülpten Lippen. Er war annähernd 1,80 m groß, und unter den lockeren Ärmeln seines bunten Gewands spielten Muskeln, die einem Gewichtheber zur Ehre gereicht hätten.
»Willkommen in Ransin«, sagte er zur Begrüßung; aber weder der starre Blick noch die abweisende Miene verlieh den Worten Glaubwürdigkeit. »Wie lange gedenkst du zu bleiben?«
»Noch nie ist mir ein wärmeres Willkommen zuteilgeworden«, antwortete der Arkonide in gutmütigem Spott. »Nicht länger als zehn Tage. Also werde ich, wenn es dir recht ist, zehn Tage im Voraus bezahlen.«
Der Tonak erwiderte darauf nichts, und Atlan brachte aus einer Tasche seines Umhangs einige Gegenstände zum Vorschein, wie er sie bei seinen zahlreichen Reisen gern als Tauschobjekte für den Einkauf fremder Währung benutzte.
»Du kommst von weit her«, sagte der Tonak daraufhin und wählte einen azurblauen Thalassit, wie er in solcher Farbgebung und Reinheit nur auf der Welt Johara in der Galaxis Syllagar gefunden wurde. »Das wird für zehn Tage genügen.«
»Höre, mein Freund«, erwiderte der Arkonide ärgerlich. »Ich komme in der Tat von weit her. Aber ich bin nicht so unerfahren, dass ich nicht merke, wie du mich übers Ohr hauen willst. Dieser Stein ist wenigstens einen Jahresaufenthalt wert. Willst du mir nicht etwas herausgeben?«
»Ich eröffne ein Konto für dich und schreibe dir zehntausend Konal gut«, erklärte der Tonak mit steinerner Miene. »Mehr kann ich nicht für dich tun.«
»Das tut mir leid«, antwortete Atlan, »aber es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf den Handel einzugehen. Sage mir: Seit wann ist man auf Tonku so ungastlich?«
»Seit die Gorims begonnen haben, das Netz der Krieger zu zerstören«, antwortete der Tonak schroff.
Die Unterkunft war mit allen Mitteln der modernen Kommunikation ausgestattet. Atlan vergewisserte sich, dass der Schwebebehälter mit seinem Gepäck ordnungsgemäß angeliefert worden war. Dann schaltete er den lokalen Nachrichtenkanal ein. Er hatte sich zu dem Abstecher nach Tonku entschlossen, weil er sich über die Lage informieren wollte, die sich aus dem allmählichen Zusammenbruch des Psionischen Netzes ergab. Allerdings hatte er nicht vor, seine Wissbegierde allein aus dem offiziellen Nachrichtenfluss zu befriedigen. Er besaß auf Tonku einen zuverlässigen Informanten. Mit diesem wollte er später am Tag Kontakt aufnehmen.
»... in den letzten zehn Tagen achtunddreißig der insgesamt vierzig erwarteten Handels- und Transportschiffe ausgeblieben«, sagte die Stimme eines unsichtbaren Sprechers, während die Kamera über die weite, leere Fläche eines Raumhafens strich. »Damit ist der interstellare Raumschiffsverkehr, der über den Hafen Tumqon abgewickelt wird, für den gesamten Monat auf acht Prozent des Vorjahreswerts abgesunken.
Es wäre verfehlt zu glauben, dass von dieser Entwicklung nur die großen Handelshäuser betroffen sind. Schon jetzt fehlt es der Industrie an wichtigen Rohstoffen. Da die nuklearsynthetische Anlage im Süden der Hauptstadt erst nächstes Jahr den Betrieb aufnehmen wird, muss damit gerechnet werden, dass es zu schwerwiegenden Engpässen kommt. Der Vorsitzende des Zweckverbands Leichtmetall kündete an, dass im Lauf der kommenden Monate fünfzig Prozent der Fertigungsstätten seines Verbands aus Mangel an Grundstoffen stillgelegt werden müssen.
Eine ähnliche Notlage bahnt sich auf dem Nahrungsmittelmarkt an. Hier kann durch hastig angekurbelte Eigenproduktion vorübergehend Abhilfe geschaffen werden. Längerfristig wird jedoch ernsthafte Knappheit vorausgesehen, die unter Umständen zu einer Rationierung gewisser Lebensmittelarten führen kann.«
Das Bild wechselte. Ein großes, aus vielen Elementen bestehendes Bauwerk wurde gezeigt. Es sah aus wie ein Märchenschloss. Es war von einer Mauer umgeben, deren Höhe der Arkonide auf gut und gern zwölf Meter schätzte. Mauer und Gebäudeteile waren aus einem blau schimmernden, metallischen Werkstoff ausgeführt.
»In diesem Zusammenhang«, fuhr der Sprecher fort, »verlangt Zoor Hotep, der Panish Panisha der Hohen Schule Gom-Endeleza, von der Regierung Sofortmaßnahmen zur Entlastung der heimischen Versorgung.«
Abermals wechselte das Bild. Ein schlanker, hochgewachsener Tonak erschien. Er war in einen Shant gekleidet, den Kampfanzug der Upanishad-Schüler und -Lehrer. Sein hageres, knochiges Gesicht war das eines Asketen. Das Feuer religiösen Eifers leuchtete in den grellweißen Augen, als der Panish Panisha mit schriller Stimme verkündete: »Es ist unglaublich, dass aus den kargen Vorräten, die für die einheimische Bevölkerung kaum noch hinreichen, Fremde gespeist werden, die auf unserer Welt nichts verloren haben. Ich bezichtige die Regierung des Mangels an Umsicht. Es ist unbedingt notwendig, dass alle Fremden sofort abgeschoben werden. Sollte man in Dadelyr diesen Wunsch des Volkes missachten, wird das Volk sich erheben und für sein Recht kämpfen. Wehe den Fremden ...«
Zoor Hotep wurde ausgeblendet. Von Neuem erschien das Bild des Raumhafens.
»Die Regierung verwahrt sich gegen solche Äußerungen, die sie als Volksverhetzung bezeichnet«, erklärte der Sprecher. »Inzwischen werden jedoch aus den ländlichen Gebieten südlich von Tumqon Unruhen gemeldet. Die Kooperative Kijani Tango, der die Mehrzahl der Nahrung anbauenden Kleinunternehmer angehört, hat zu einer Protestdemonstration in der Hauptstadt aufgerufen ...«
Auf Atlans Zuruf stellte der Empfänger seine Tätigkeit ein. Der Arkonide lehnte sich weit in seinem Sessel zurück und nahm mit einem Seufzer zur Kenntnis, dass die Entwicklung intelligenter Wesen offenbar überall entlang derselben Bahnen verlief. Wenn die Not vor der Tür steht, werden als Erste die Fremden verantwortlich gemacht, dachte er ärgerlich.
Die Bevölkerung von Tonku wurde systematisch aufgehetzt. Der Zerfall des Psionischen Netzes wurde den Gorims angekreidet. Gorim war ein Schimpfwort. Es bedeutete schlechthin jeden Artfremden. Im Lauf der vergangenen Jahrhunderte war es jedoch in zunehmendem Maße besonders auf die Gänger des Netzes angewendet worden. Zoor Hotep, in seiner Position durch die Machtübernahme der Singuva verunsichert, versuchte, seine Macht zusammenzuhalten, indem er das alte Feindbild heraufbeschwor.
Atlan bereitete sich eine frugale Mahlzeit zu. Die Meldungen des Nachrichtensenders hatten ihm den Appetit verdorben. Draußen neigte sich der Tag allmählich dem Ende zu. Lichter flammten auf. Die Stadt Ransin, zwischen der Küste und dem Fuß des Hügels gelegen, kleidete sich in die bunte Pracht der Lichterketten, die sich an den Straßen entlangzogen. Es war ein zauberhafter, friedlicher Anblick. Nichts an diesem Bild verriet, dass ein Panish Panisha von schwankendem Thron aus den Fremdenhass zu schüren versuchte.
Tonku war kein Ausnahmefall. Überall im Reich der Zwölf Galaxien würden Bürger sich erheben und die Vertreibung aller Fremden verlangen, weil sie von dem wenigen aßen, das nicht einmal für die Einheimischen ausreichte. Die Versorgung brach zusammen. Die Industrie lag brach. Politische Strukturen zerfielen, weil die interstellare Kommunikation nicht mehr funktionierte. Es würde Unruhen geben.
Und es würden sich solche finden, die aus der Not der Völker Kapital zu schlagen versuchten. Fischer im Trüben, die das Glück hatten, ein Raumschiff zu besitzen, das mit einem altmodischen Transitions- oder gar einem Lineartriebwerk ausgestattet war. Sie würden Waren transportieren und sie zu Wucherpreisen verkaufen. Andere würden die Gelegenheit nutzen, ganze Zivilisationen mit der Not zu erpressen, und sich Reiche bauen, über die sie als Tyrannen herrschten.
Die bisherigen Herrscher waren machtlos. Die Singuva hatten den Kriegerkult abgebaut; aber sie selbst waren außerstande, die Ordnung zu wahren. Gewiss, sie besaßen ESTARTUS technisches Erbe. Aber im Lauf der Jahrzehntausende war es so umfunktioniert worden, dass die Technik ausschließlich mit dem Enerpsi-Prinzip arbeitete. Die Singuva besaßen zudem wenig technisches Verständnis.
Eine schlimme Zeit kam auf das Reich der Zwölf Galaxien zu. Wie viele gab es, die erstens die technischen Mittel und zweitens den erforderlichen Mangel an Eigennutz besaßen, um wirklich helfen zu können? Die Gänger des Netzes? Es gab ihrer weniger als 500! Was wollten sie ausrichten, wenn Zehntausende von Völkern in Not gerieten?
Die Verzweiflung, die ihn bei diesen Gedanken überkam, verdarb ihm den letzten Rest Appetit. Er schob die begonnene Mahlzeit zur Seite und rief dem Audioservo des Kommunikationssystems einen Rufcode zu.
Die fest installierte Bildfläche an der Wand leuchtete auf und zeigte den kugelförmigen Kopf eines Tonak. Sein kurz geschorenes Haar wies die silbrig weiße Farbe des Alters auf. Die Augäpfel waren gelblich eingetrübt. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte der Arkonide, ein freudiges Aufleuchten im Blick des Alten zu erkennen. Aber sofort verhärtete sich das Gesicht wieder. Die grobporigen Stülplippen öffneten sich. »Was störst du mich in meiner Abendruhe? Ich kenne dich nicht! Wer bist du?«
»Hat dich der Fremdenhass angesteckt, Kambar Thom?«, sagte der Arkonide traurig. »Hast du vergessen, wie viel Gutes dir von deinen Freunden getan wurde?«
»Ich habe keine Freunde, die Fremde sind«, antwortete der Alte barsch.
Im nächsten Augenblick war die Verbindung unterbrochen. Ein paar Minuten vergingen. Da ertönte plötzlich das Rufzeichen, und Atlan trug dem Servo auf, den Empfänger zu aktivieren.
Kambar Thoms Gesicht materialisierte auf der Bildfläche. Die Miene war ernst. Sorge spiegelte sich in den gelblich verfärbten Augen. »Um ein Haar hättest du mich in Verlegenheit gebracht, Freund«, sagte der Alte. »Ich hatte Besucher von der unangenehmen Art. Welcher Teufel reitet dich, ausgerechnet jetzt nach Tonku zu kommen?«
»Ich wurde in der Nähe von Tonku aus dem Netz geprellt«, antwortete Atlan. »Ich hätte mit dem Sekundärtriebwerk weiterfliegen können. Aber ich sah, dass das Netz im gesamten Bereich Larsa-eins zusammengebrochen war. Da empfand ich Sorge um dein Wohlergehen. Außerdem brauche ich ein paar Informationen.«
Kambar Thom zog die Lippen ein wenig in die Breite. Das war das Äquivalent eines tonakschen Lächelns. »Deine Fürsorge ehrt dich, mein Freund Atlan. Aber an deiner Stelle würde ich mich zuerst um die eigene Haut sorgen. Die Besucher, die ich hatte, kamen von der Upanishad. Sie waren misstrauisch, weil ich früher viel Kontakt mit Fremden hatte. Deswegen wirst du verstehen, dass mir dein Anruf besonders ungelegen kam.«
»Es tut mir leid, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe«, versicherte der Arkonide. »Ich hatte keine Ahnung, dass es auf Tonku so schlimm steht.«
»Die Not an sich lässt sich ertragen«, antwortete Kambar Thom. »Aber der Unwille in der Bevölkerung wird von den Eiferern geschürt. Erst vor einer Stunde hat Zoor Hotep öffentlich erklärt, er habe vom Ewigen Krieger Granjcar selbst den Auftrag erhalten, die Regierung zum Teufel zu jagen und ein Regime des Kampfes, des Gehorsams und der Ehre zu errichten.«
»Man ist nicht einmal sicher, ob Granjcar überhaupt noch lebt«, sagte Atlan. »Den Kriegern ist von den Singuva befohlen worden, den ehrenvollen Freitod zu suchen.«
»Solang es keinen Beweis für Granjcars Tod gibt, wird Zoor Hotep den Namen des Kriegers für seine Propaganda missbrauchen«, erklärte der alte Tonak. »Es geht ihm in Wirklichkeit nicht um die Lehre der Krieger, sondern um seine eigene Position. Die Upanishad bekommt keine Schüler mehr, seitdem die Singuva die Macht übernommen haben. Zoor Hotep will seine Schule nicht verlieren, und er trauert dem Ansehen nach, das er früher genoss. Da hat er sich entschlossen, die Flucht nach vorne anzutreten.«
»Was kann ich für dich tun, Kambar Thom?«, fragte der Arkonide ernst. »Du warst in harten Zeiten wie in guten unser zuverlässiger Verbündeter. Die Gänger des Netzes werden dich nicht im Stich lassen.«
»Wird es denn die Gänger überhaupt noch geben?«, erkundigte sich der Alte nicht ohne beißenden Spott. »Das Netz zerfällt. Wo wollt ihr gehen?«
»Ich benötige keine Organisation, um dir zur Seite zu stehen«, antwortete Atlan. »Ich kann dir aus eigener Kraft helfen.«
Kambar Thom wischte mit der Hand durch die Luft. »In meinem Alter macht man sich um die eigene Person kaum mehr Sorgen«, sagte er. »Wie lange habe ich noch zu leben? Zwanzig oder dreißig Jahre. Die werde ich in Würde verbringen. Nein, mein Freund Atlan: Ich brauche deine Hilfe nicht, so dankbar ich dir für dein Angebot bin. Aber ich gebe dir einen Rat: Lass Tonku so rasch wie möglich hinter dir zurück. Wenn sie dich fassen und feststellen, dass du ein Gänger des Netzes bist, ist dein Leben keinen grünen Konalki mehr wert. Denn die Gorims, so sagen sie, sind für den Zusammenbruch des Netzes verantwortlich.«
»Ich werde deinen Rat befolgen«, erklärte der Arkonide. »Ich habe genug erfahren. Noch heute Nacht fliege ich.«
»Leb wohl, mein Freund«, sagte Kambar Thom. »Deine Freundschaft war einer der hellen Lichtblicke meines Lebens.«
»Leb wohl«, antwortete Atlan. »Ich kehre zurück, wenn die Lage sich beruhigt hat.«
Die Verbindung erlosch. Er empfand tiefe Niedergeschlagenheit. Er würde wahrscheinlich nie wieder nach Tonku kommen. Zu gewaltig war der Umbruch, der in diesen Tagen stattfand. Zu zahlreich waren die Aufgaben, die ihn erwarteten. Da blieb die Freundschaft mit einem alten Tonak am Wegrand liegen.
Er gab dem Schwebebehälter mit dem Fuß einen Stoß. Daraufhin aktivierte sich der kleine Antigrav selbsttätig.
»Folge mir«, sagte der Arkonide und schritt auf den Ausgang zu.
Das war der Augenblick, in dem die große Tür mit einem schmetternden Krach zerbarst. In der qualmerfüllten Öffnung erschienen fünf hochgewachsene Gestalten. Sie waren vorzüglich bewaffnet, und sie trugen die Kampfmonturen der Upanishad-Schüler.
»Seht, er wollte sich gerade davonmachen!«, rief einer der fünf. »Öffnet den Behälter und durchsucht ihn!«
Es waren fünf junge, kräftige Tonak. Sie waren durchtrainiert und im Kampf geübt. Drei Waffenläufe waren ständig auf den Arkoniden gerichtet. Er selbst war unbewaffnet. Der Kombilader befand sich bei der Netzkombination im Schwebebehälter. Wenn sie den Behälter öffneten und die Kombination fanden, war die Gefahr groß, dass sie ihn als Netzgänger identifizierten.
Seine Chancen waren gleich null. Der Behälter würde den Bemühungen der Shada eine Zeit lang Widerstand leisten, ein paar Minuten vielleicht. Er glaubte nicht, dass in dieser Lage mit Worten etwas auszurichten war; aber er musste es wenigstens versuchen.
»Was vergreift ihr euch an einem Einzelnen, der noch dazu unbewaffnet ist?«, fragte er. »Hat man euch den Begriff der Ehre nicht gelehrt?«
»Der Kampf geht über die Ehre«, höhnte der Wortführer der fünf, der in der Nähe der zerschossenen Tür stehen geblieben war.
»Habt ihr die Worte Oogh at Tarkans nicht gehört?«, fuhr Atlan fort. »Die Philosophie der Krieger ist eine Irrlehre.«
»Lästere nicht, Fremder«, warnte der Wortführer. »Wir haben gehört, wie die Statue des Attar Panish Panisha plötzlich zu sprechen begann. Aber Zoor Hotep hat uns geraten, nicht darauf zu achten. Es war ein heimtückischer Trick der Gorims. Oogh at Tarkan würde niemals solche Worte sprechen.«
»Der Behälter lässt sich nicht öffnen«, rief einer der Shada.
»Dann schieß ihn entzwei!«, befahl der Wortführer.
»Halt!«, sagte Atlan. »Ich werde ihn für euch öffnen.«
»Tu das«, spottete der Wortführer, und seinen Begleitern rief er zu: »Lasst ihn nicht aus den Augen. Wahrscheinlich hat er dort drin eine Waffe.«
Der Arkonide drückte den Behälter nach unten, bis er den Boden berührte. Dann löste er den magnetischen Verschluss und trat zurück. Zwei Shada stürzten sich auf das Behältnis, öffneten sämtliche Klappen, zogen den Inhalt hervor und verstreuten ihn auf dem Boden. Dabei kam der Kombilader zum Vorschein. Der Wortführer trat herbei und nahm ihn an sich.
Sein Blick fiel auf die Netzkombination. Die grellweißen Augen weiteten sich. »Seht, was wir hier haben!«, schrie er. Atlan wusste, dass er die letzte Chance vertan hatte. »Ich bin noch nie einem Gorim begegnet. Aber ich habe Aufzeichnungen gesehen, die Zoor Hotep angefertigt hat. Das ist die Kleidung, die die Gorims tragen. Wir haben einen Gorim gefangen. Was soll mit ihm geschehen?«
»Er soll sterben«, antworteten die übrigen vier wie aus einem Mund.
»Wenn ihr mich tötet«, sagte Atlan, »wird Zoor Hotep euch tadeln. Ich habe eine Botschaft für ihn. Deswegen bin ich auf Tonku.«
Es war einen Versuch wert. Vielleicht gelang es ihm wenigstens, ein paar Stunden Zeit zu gewinnen. Aber selbst diese winzige Hoffnung zerfloss in nichts, als der Wortführer ihn hasserfüllt anbrüllte: »Zoor Hotep empfängt keine Botschaften von Gorims! Der Panish Panisha hat selbst den Befehl gegeben, jeden Fremden auf der Stelle zu töten, vor allem aber die verfluchten Gorims, die das Netz der Krieger zerstören. Das ist der Wille Granjcars, des Mächtigen!«
»Granjcar ist tot!«
Selbst Atlan zuckte zusammen, als er die Stimme hörte. Sie war nicht laut und doch voller Kraft. Es war die Stimme eines männlichen Wesens.
Die fünf Shada rührten sich nicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie in den Hintergrund des Raumes, wo sich inmitten der von der Deckenbeleuchtung erzeugten Lichtfülle eine Zone der Dunkelheit gebildet hatte. In der Dunkelheit waren die Umrisse einer humanoiden Gestalt zu erkennen. Dem Arkoniden erschien sie wie die eines hochgewachsenen, schlanken Mannes. Ein Gesicht besaß der Schemen nicht. Seine Umrisse waren fließend. Die Art der Kleidung ließ sich nicht bestimmen.
Atlan war im ersten Augenblick vom unerwarteten Auftauchen der Schattengestalt ebenso überrascht worden wie die fünf Tonak. Aber mit der Abgeklärtheit des Zehntausendjährigen überwand er das Staunen rasch und suchte nach einer Möglichkeit, die willkommene Ablenkung zu seinem Vorteil zu nutzen. Der Wortführer der Shada hielt den Kombilader nur locker in der Hand. Er würde ihn ihm entreißen können.
Unglücklicherweise war es eben der Wortführer, der seine Fassung als Erster wiedergewann. »Wer spricht da über Granjcar?«, grollte er. »Wer bist du, und woher kommst du?«
»Du hast mir keine Fragen zu stellen«, sagte der Schatten. »Granjcar hat sich selbst getötet, wie die Singuva es befahlen. Zoor Hotep weiß davon; aber er sagt es euch nicht, weil er euch als Kämpfer für seine eigenen Machtgelüste braucht. Ihr stört meine Kreise. Ich habe wichtige Pläne, die ich mir nicht von fünf irregeleiteten Shada durchkreuzen lassen will. Fort mit euch!«
Die fünf Tonak brachen zusammen, als hätte der Blitz sie getroffen. Sie stürzten zu Boden und rührten sich nicht mehr. Atlan stand reglos.
»Worauf wartest du noch?«, fragte der Schatten mit rauer Stimme. »Wolltest du nicht Kambar Thoms Rat befolgen?«
»Woher weißt du davon?«, fragte Atlan verblüfft. »Wer bist du?«
»Auch du stellst mir keine Fragen, Arkonide«, kam die spöttische Antwort. »Diese hier werden zwei Stunden lang bewusstlos sein. Mehr Zeit hast du nicht, um Tonku zu verlassen, und selbst auf dem Weg zu deinem Boot mögen noch weitere Gefahren auf dich warten. Ich kann nicht überall sein, um dich zu beschützen. Wir sehen uns wieder.«
Der Schatten und die Zone der Finsternis verschwanden wie weggewischt. Hell und klar erfüllte das Licht der Deckenbeleuchtung den Hintergrund des Raumes. Verblüfft musterte Atlan die reglosen Gestalten der fünf Tonak. Schulterzuckend packte er seine Sachen wieder in den Schwebebehälter.
Der Arkonide fand die Unterkunft des Administrators, der ihm am vergangenen Nachmittag einen so unfreundlichen Empfang bereitet hatte, ohne Probleme. Er hatte die bunte, tonku-gerechte Kleidung mit der Netzkombination vertauscht. Der einsame Beamte, der im Administrationsgebäude den Nachtdienst versah, begriff anhand des glühenden Abstrahlfelds in der Mündung des Kombiladers ohne weitere Worte, dass es ratsam war, auf jegliches Anliegen des erzürnten Gastes einzugehen.
Der Beamte zeigte Atlan den Weg zu der Behausung, in der sein Vorgänger vom Nachmittag die Nächte verbrachte. Der Arkonide hielt sich mit einem formellen Ersuchen um Einlass nicht lange auf. Die Waffe verwandelte die Tür in ein organisch-anorganisches Gasgemisch. Drinnen gingen die Lichter an. Eine weibliche Tonak, die dem ermüdeten Nachmittagsadministrator wohl ihre Gunst hatte zeigen wollen, verschwand mit wütendem Protestgeschrei in einem Nebenraum. Nackt und mit vor Entsetzen geweiteten Augen saß der, der für zehn Tage Aufenthalt einen ganzen erstklassigen Thalassit hatte nehmen wollen, in seinem zerwühlten Bett. Der Administrator, der Atlan herbeigeführt hatte, stand abseits. Atlan ließ ihn nicht aus den Augen.
»Der verminderten Gastfreundschaft, die auf Tonku seit Kurzem gepflegt wird, habe ich es zu verdanken, dass ich die Dienste dieses Unternehmens noch nicht einmal einen Tag lang in Anspruch nehmen konnte«, erklärte Atlan. »Selbstverständlich verlange ich die geleistete Zahlung zurück.«
»Das geht nicht!«, kreischte der Tonak entsetzt. »Ich kann nicht ...«
Der fingerdicke, blassgrüne Strahl des Desintegrators summte eine Handbreit an seinem Kopf vorbei. Ein Teil der ornamentalen Rückwand des Bettes wurde zu Dampf. Die samtgrünbraune Hautfarbe des Tonak verwandelte sich in ein trübes Beige-Grau.
»Wie heißt du, mein Sohn?«, verlangte der Arkonide zu wissen.
»Mo-mo-monaar«, stotterte dieser entsetzt.
»Gut, Monaar. Du verstehst, dass ich keine Zeit zu verlieren habe. Drüben in meiner Wohnung liegen fünf bewusstlose Shada aus der Schule Gom-Endeleza, die von ihrem obersten Lehrer geschickt wurden, mir den Hals umzudrehen. Allein habe ich mich ihrer natürlich nicht erwehren können. Was wird Zoor Hotep sagen, wenn er erfährt, dass ihr drei mir dabei geholfen habt?«
Mit einem Satz war Monaar aus dem Bett. »Nur das nicht!«, zitterte er. »Ich tue alles, was du verlangst.«
»Du, deine Freundin und dein Kollege hier«, bestimmte Atlan, »je eher ihr mich bedient, desto schneller seid ihr mich los.«
Der Thalassit wurde im Gebäude der Administration aus einer Art Tresor geholt. Bei der Übergabe versuchte Monaar noch einmal, sich zu sträuben. »Ich bin meinem Vorgesetzten Rechenschaft schuldig«, jammerte er. »Woher soll ich das Geld nehmen, das er für die halbtägige Benutzung deiner Unterkunft zu sehen verlangt?«
»Das ist einfach«, erklärte der Arkonide mit größter Gemütsruhe. »Du hast mir zehntausend Konal gutgeschrieben. Ich ermächtige dich hiermit, von meinem Konto den entsprechenden Betrag abzubuchen. Du hast zwei Zeugen, denen das Geldinstitut wohl Glauben schenken wird.«
»Oh, heiliger Granjcar!«, ächzte Monaar.
»Such dir einen anderen, bei dem du dich beklagen kannst«, wies Atlan ihn zurecht. »Granjcar ist tot.«
Monaar rief ein Robotfahrzeug herbei. Der Schwebebehälter wurde aufgeladen. Die drei Tonak stiegen ein, und der Arkonide machte es sich hinter ihnen bequem. Der Flug zum Raumhafen verlief ohne Zwischenfälle. Atlan öffnete das Hauptluk des Raumboots mittels Signalgeber und sah zu, wie der Schwebebehälter in die Schleuse glitt. Dann setzte er einen wohlgezielten Desintegratorschuss ins Triebwerkgehäuse des Robotfahrzeugs, woraufhin sich das verhaltene Summen des Antriebs in ein hässliches Gurgeln verwandelte und kurz darauf ganz erstarb.
»Lasst euch die Nacht nicht lang werden«, rief der Arkonide seinen drei Geiseln freundlich zu.
Dann verschwand er in der Schleuse, und keine halbe Minute später hob das Boot ab. Atlans Abenteuer auf Tonku war beendet.
»Ich registriere ein Stück Normstrang, das noch einigermaßen intakt zu sein scheint«, meldete der Bordsyntron der KARMINA. »Möchtest du dich umsehen?«
»Wie weit ist es bis Sabhal?«, fragte der Arkonide, aus seinen Gedanken aufschreckend.
»Sieben Stunden bei ununterbrochenem Flug mit Höchstgeschwindigkeit«, antwortete der Syntron.
»Warum sollte ich mich umsehen wollen? Was gibt es zu sehen?«
»Nichts überzeugt besser als die Anschauung«, erklärte der Syntron. »Das Psionische Netz liegt im Sterben.«
»Gut«, entschied Atlan. »Die Anschauung will ich mir nicht entgehen lassen.«
Die KARMINA brauchte nur wenige Augenblicke, um sich in den Netzstrang einzufädeln. Das Bild auf der großen Videofläche wechselte von einer Sekunde zur anderen. Die Lichtpunkte der Sterne verschwanden und wurden durch bunte, sprudelnde, in ständiger Bewegung befindliche Lichtfontänen ersetzt. Galaxien drehten sich wie Feuerräder vor dem Auge des Betrachters. Der Psi-Raum hatte seine eigenen Gesetze der optischen Darstellung.
Atlan erschrak. Durch das Feuerspiel der Sterne schlängelten sich die grünen Fäden des Psionischen Netzes. Aber wie dünn war das Netz geworden! Wo sich früher Dutzende von Strängen auf der Breite einer Parasekunde gedrängt hatten, waren es nur noch einer, höchstens zwei. Die Farbe war verblasst; das Grün hatte einen bleichen Schimmer angenommen. Es gab Stücke von Netzsträngen, die ohne jeglichen Kontakt mit anderen Strängen in der Weite des Psi-Raums schwebten. Einen davon sah Atlan kurz aufleuchten und dann vollends erlöschen.
Plötzlich empfand er Zorn. Die Netzgänger waren im Begriff gewesen, das Reich der Zwölf Galaxien von der barbarischen Irrlehre des Permanenten Konflikts zu befreien und den Völkern, die die einstige Mächtigkeitsballung ESTARTUS bewohnten, die Möglichkeit der eigenständigen Entwicklung zurückzugeben. Das waren – anhand welchen Moralbegriffs man auch »gut« definieren mochte – gute Ziele.
Aber ausgerechnet in der Stunde, in der sie das Kosmonukleotid endgültig vor der Bedrohung durch die Ewigen Krieger gerettet zu haben glaubten, produzierte die Natur eine ihrer unerklärlichen Launen und machte das ganze Werk zunichte.
Ohne das Psionische Netz konnte die Organisation nicht weiterbestehen, zumindest nicht in ihrer gegenwärtigen Form, mit ihrer jetzigen Aufgabenstellung. Kein Netz, keine Netzgänger! So einfach war die Sache.
Atlan blickte auf. Die Kalenderuhr zeigte den 17. Februar 447. Es ging auf drei Wochen, seit Perry Rhodan den gefährlichen Gang ins Innere DORIFERS angetreten hatte. Noch immer fehlte von dem Freund jede Spur, wie den Hyperfunksprüchen zu entnehmen war, die die KARMINA während ihrer Auftauchmanöver hin und wieder auffing.
»Willst du noch mehr sehen?«, erkundigte sich der Syntron.
»Danke, nein«, sagte Atlan müde. »Es wird Zeit, dass wir heimfliegen.«
Die KARMINA schlüpfte aus dem Normstrang und beschleunigte im Drei-D-Raum. Minuten später verdichtete sich der Virtuelle G-Punkt zum Metagrav-Vortex, und das Schiff tauchte in jenes durch fünf Dimensionen definierte Kontinuum, dem der anschauliche Verstand des Menschen noch immer so hilflos gegenüberstand wie im Augenblick der ersten Begegnung und dem er den Namen Hyperraum gegeben hatte.
Mit bewusster Konzentration versuchte Atlan, die trüben Gedanken zu verdrängen. Die Erinnerung an die abschließenden Ereignisse auf Tonku versetzten ihn für kurze Zeit in bessere Stimmung. Es widerstrebte ihm im Allgemeinen, sich als Räuber und Geiselnehmer zu betätigen; aber unter den Bedingungen, wie sie auf der Welt der Tonak herrschten, war seine Handlungsweise gerechtfertigt gewesen.
Womit seine Gedanken bei dem Schemen angelangt waren, dem er seine Rettung verdankte. Wer war er? Atlan versuchte, sich an die tiefe, raue Stimme zu erinnern; aber inzwischen war er sicher, dass er sie nie zuvor gehört hatte. Der Schatten war ohnehin vermutlich eine Projektion gewesen. Was beeindruckte, war, über welches Wissen die Projektion verfügte und wie leicht es ihr gelang, die fünf Tonak auszuschalten. Der Schatten wusste, dass Atlan mit Kambar Thom Kontakt gehabt hatte. Er kannte Atlan gut genug, um ihn mit »Arkonide« anzureden.
»Wir sehen uns wieder«, waren seine Worte zum Abschied gewesen. Wann würde das Wiedersehen stattfinden? Er hatte von einem Plan gesprochen, der durch das Auftreten der fünf Shada gestört wurde. Spielte Atlan eine Rolle in diesem Plan, oder was für eine Störung hätte sonst gemeint sein können?
Fragen über Fragen – und keine einzige Antwort. Er würde gut daran tun, sich ein paar Stunden Ruhe zu gönnen. Was immer ihn auf Sabhal erwartete: Müßiggang würde es nicht sein.
»Noch fünf Stunden bis Sabhal. Alle Systeme sind in bester Ordnung.«
Atlans Weg führte ihn zuerst zu Geoffry Waringer. Die Begrüßung fiel herzlich aus. Waringer war sonst ein in sich gekehrter, stets leicht verlegen wirkender, allen Gefühlsausbrüchen abholder Mensch. Aber als er den Arkoniden vor sich sah, zog er ihn spontan zu sich heran und umarmte ihn.
»Wo bist du gewesen?«, rief er freudestrahlend. »Wir haben uns Sorgen gemacht.«
»Ich habe an jedem Netzknoten Informationen über meine Bewegungen hinterlassen«, antwortete der Arkonide.
»Natürlich kriegen wir über die Netzknoten keine Informationen mehr herein. Sabhal ist vom Psionischen Netz, soweit es überhaupt noch besteht, völlig abgeschnitten. Schon früher gab es im Kugelsternhaufen Parakku nur Präferenz-, aber keine Normstränge. Jetzt gibt es gar keine Stränge mehr. Eine Kalmenschneise zieht sich von Sabhal nach DORIFER und noch weit darüber hinaus.«
»Ich weiß«, nickte der Arkonide. »Ich habe auf dem Weg vom Raumhafen nach den kleinen, bleichen Halbkugeln Ausschau gehalten, die uns früher den Einstieg ins Netz erleichterten. Es ist keine einzige mehr zu sehen.«
»Natürlich habe ich sie niemals sehen können, weil ich kein Gänger des Netzes bin«, meinte Waringer. »Das heißt, du bist jetzt nicht schlechter dran, als ich es die ganze Zeit über war.«
Es entsprach Waringers zerstreuter Art, dass er bisher versäumt hatte, den Freund ins Haus einzuladen. Atlan korrigierte den Fauxpas des Gastgebers, indem er selbst die Initiative ergriff und zielstrebig auf das Zimmer zustrebte, das Waringer als Wohnraum diente.
Der Wissenschaftler servierte Getränke, und Atlan bemerkte, dass er noch fahriger wirkte als sonst. Tiefe Sorge spiegelte sich im Gesicht des Mannes, dem die Menschheit an wissenschaftlich-technischem Fortschritt wohl mehr verdankte als irgendeinem anderen.
»Geoffry, woran fehlt's?«, fragte der Arkonide, nachdem sie einander zugetrunken hatten. »Was bedrückt dich so?«
Waringer setzte ein Lächeln auf; aber es wirkte unecht. Er wischte es wieder vom Gesicht und beugte sich nach vorne, um mit einem Cocktail-Stick in seinem Glas zu stochern.
»Es ist euer verdammtes Psionisches Netz«, brach es schließlich aus ihm hervor. »Zuerst funktionierte es ausgezeichnet. Auf einmal flossen wieder Informationen hin und her, ich meine, zwischen hier und der Milchstraße. Aber jetzt fällt es auseinander, und es kommt nichts mehr durch. Ich arbeite am Prinzip des Vektorierbaren Grigoroff-Projektors. Du kennst meine Interuniversalsonden. Sie sind ein Teilerfolg, mehr nicht. Ich arbeite allein. Mir fehlt der Gedankenaustausch mit anderen Wissenschaftlern. Es gibt ein Team an Bord der BASIS, das sich mit demselben Problem beschäftigt. In dem einen Monat, in dem die Kommunikation zuverlässig funktionierte, habe ich mehr Fortschritte gemacht als in den zwei Jahren davor. Aber jetzt geht gar nichts mehr. Die Netzgänger, die zwischen Sabhal und der BASIS hin- und herpendeln, riskieren ihr Leben. Zwei davon sind schon spurlos verschwunden. Ich muss aufgeben. Ich ... ich kann sie nicht mehr darum bitten ...« Er warf verzweifelt die Hände in die Luft.
»Ich meine, dagegen gäbe es einfache Abhilfe«, versuchte Atlan ihn zu beruhigen. »Hier auf Sabhal hält dich nichts mehr. Warum kehrst du nicht einfach in die Milchstraße zurück?«
Geoffry Waringers Kopf ruckte in die Höhe. Er starrte den Arkoniden verständnislos an. Aber dann trat ein Leuchten in seine Augen. Ein paar Sekunden lang wirkte er wie ein Kind, das das seit Monaten ersehnte Geschenk unterm Weihnachtsbaum gefunden hatte.
»Meinst du, das geht?«, fragte Waringer hastig. »Meinst du, ich könnte wirklich ...? Würdest du mich begleiten?«
Atlan winkte ab. »Es gibt andere, die mit dir reisen können«, sagte er. »Ich kann es nicht. Der Bann der Kosmokraten hängt an mir. Ich verlöre den Verstand, wenn ich in die Milchstraße zurückkehrte – oder in irgendeine andere Galaxis der Lokalen Gruppe.«
»Du hast noch nichts von Jen Salik gehört?«, fragte Waringer.
Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Noch kein Wort. Es ist sieben Monate her, seit er nach Khrat aufbrach. Er wollte im Dom Kesdschan bewirken, dass der Bann von uns dreien genommen würde: von ihm, von Perry Rhodan und von mir. Ich hoffe, dass er Khrat wohlbehalten erreicht hat. Aber ich wüsste nicht, auf welchem Weg ich von ihm hören sollte. Die Entfernung ist zu gewaltig.«
Als er sah, dass Geoffry Waringer wieder in seiner früheren Niedergeschlagenheit versinken wollte, sprang er rasch auf ein anderes Thema über. »Aber es wird Hunderttausende geben, die sich dir freudig anschließen«, behauptete er.
»Wen?«, fragte Waringer überrascht.
»Die Vironauten. Sie haben hier nichts mehr verloren. Solang wenigstens noch Stücke des Psionischen Netzes existieren, müssen sie sich in Richtung Milchstraße auf den Weg machen. Denn die Virenschiffe besitzen nur den Enerpsi-Antrieb, und wenn das Netz vollends zerfällt, sind sie gefangen. Auf einer fremden Welt, die vierzig Millionen Lichtjahre von der Heimat entfernt ist. Oder, wenn es das Unglück will, an Bord eines Virenschiffs im intergalaktischen Raum, ohne die geringste Chance, in absehbarer Zeit den Boden eines Planeten unter die Füße zu bekommen.«
»Wer wird all die Vironauten zusammenrufen?«, staunte Geoffry Waringer.
»Ich weiß es nicht. Einige werden selbst auf den Gedanken gekommen sein, dass es für sie höchste Zeit ist, die zwölf Galaxien zu verlassen. Es wird eine schwere Aufgabe sein, sie alle zu benachrichtigen. Und es wird gewiss viele geben, die in der Mächtigkeitsballung ESTARTU Fuß gefasst haben und nicht mehr in die Milchstraße zurückkehren wollen. Vielleicht bist du derjenige, der es unternehmen sollte, einen Rundruf quer durch ganz ESTARTU zu erlassen?«
Die Idee schien Waringer zu faszinieren. Er sah auf einmal recht glücklich aus.
»Was ich von dir wissen wollte«, fuhr Atlan nach kurzer Pause fort: »Wie haben die Querionen auf den Zusammenbruch des Netzes reagiert? Haben sie eine Erklärung abgegeben? Sagen sie etwas über die Zukunft der Organisation?«
»Sie sagen nichts, sie geben auch keine Erklärungen ab«, antwortete Waringer. »Aber reagiert haben sie. Es ist ein Ruf über Psi-Funk an alle Gänger des Netzes hinausgegangen. Die Querionen haben eine Vollversammlung der Organisation auf Sabhal anberaumt.«
»Über Psi-Funk!«, stöhnte Atlan. »Und wer, glauben sie, ist noch über Psi-Funk ansprechbar?«
»Der Ruf ging schon vor zwei Wochen hinaus«, erklärte Geoffry Waringer. »Damals war das Netz noch einigermaßen in Ordnung.«
»Wie viele sind dem Ruf bisher gefolgt?«, wollte Atlan wissen.
»Vierzehn, die mit ihren Raumschiffen unterwegs waren, achtundsiebzig, die per Persönlichem Sprung reisten. Die Letzten, die auf dem Weg des Persönlichen Sprungs hier ankamen, berichteten von erheblichen Schwierigkeiten, die sie unterwegs hatten.«
»Also zweiundneunzig insgesamt«, seufzte der Arkonide. »Viel mehr werden es nicht werden, es sei denn, es war eine ungewöhnlich große Zahl von ihnen mit den Raumschiffen draußen.«
»Wohl kaum«, meinte Waringer. »Außer denen, deren Standort wir genau kennen – zum Beispiel die Netzgänger im Tarkanium –, sind nur noch drei mit Fahrzeugen unterwegs.«
»Sag mir eines«, bat Atlan, »und verzeih mir, dass ich das Thema so plötzlich wechsle. Bei all den Problemen, die in diesem Teil des Universums existieren, wie kann da deine größte Sorge sein, dass du mit der Entwicklung des Vektorierbaren Grigoroff nicht vorankommst?«
Waringer sah ihn traurig an. »Wenn wir den Grigoroff nicht haben«, sagte er, »wie sollen wir dann Perry Rhodans Spur folgen?«
Atlan erstarrte. »Perry Rhodans Spur«, wiederholte er nach Sekunden mit schwerer Stimme. »Das hört sich an, als hieltest du ihn für verschollen.«
»Verschollen und abgeschnitten«, bestätigte Waringer.
»Was soll das Gerede?«, begehrte der Arkonide auf. »Es ist knapp drei Wochen her, seit Rhodan nach DORIFER einflog. Auf Inspektionsflügen dieser Art hat mancher Netzgänger schon Wochen, sogar Monate verbracht. Wie kommst du auf eine solche Idee ...«
»DORIFER hat sich verändert«, fiel ihm Geoffry Waringer ins Wort. »Als im Tarkanium der Paratau spontan deflagrierte und eine Überdosis scharf gebündelter psionischer Strahlung das Kosmonukleotid traf, geschah etwas in seinem Inneren, das wir nicht verstehen. Seitdem versprüht und verschlingt DORIFER Energie in riesigen Mengen. Es scheint ziellos zu reagieren, aber für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass es unmittelbar für das Anschwellen der Psi-Konstante verantwortlich ist. Es handelt also planmäßig, auch wenn wir sein Handeln nicht verstehen.«
»Was hat das mit Perry Rhodan zu tun?«, fragte Atlan finster.
»Als der Paratau explodierte, befand sich Perry im Innern des Kosmonukleotids. Die Energien, die DORIFER in diesem Augenblick freisetzte, kann keine Kapsel, kein Mensch überlebt haben. In einigen Teilen der Mächtigkeitsballung ist es zu schweren Psi-Stürmen gekommen. Die Orte, an denen die Stürme auftraten, sind wahllos verteilt. In unmittelbarer Nähe DORIFERS war es erstaunlich ruhig. Solche Phänomene sind wir gewohnt. Es handelt sich um den Durchschlag eines fünfdimensionalen Effekts in die vierdimensionale Raum-Zeit. Diese Dinge sind nicht im herkömmlichen Sinn ortsgebunden.
Um auf deine Frage zurückzukommen: Im ungünstigsten Fall ist Perry Rhodan tot. Glücklicherweise ist der ungünstigste Fall zugleich der unwahrscheinlichste. Die Energieentwicklung im Innern DORIFERS war so gewaltig, dass der Rahmen rein mechanischer Auswirkung wahrscheinlich gesprengt wurde.«
»Was heißt das?«, erkundigte sich der Arkonide ungeduldig.
»Perry Rhodan ist in Raum und Zeit versetzt worden«, antwortete Waringer. »Wenn das Unglück an irgendeinem beliebigen Punkt geschehen wäre, müssten wir Perry in unserem Universum suchen, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Da er sich aber bereits im Hyperraum befand, kam er vermutlich in einem anderen Universum wieder zum Vorschein.«
Atlan zwang sich gewaltsam zur Ruhe. »Die Art und Weise, wie du mir das vorträgst«, sagte er, »hört sich an, als betrachtetest du die letzte Möglichkeit noch als die wünschenswerteste.«
»O ja«, sagte Waringer mit unerwartetem Nachdruck. »Es gibt ein paar Rechnungen, die man anstellen, ein paar Modelle, die man durchspielen kann. Wenn Perry in ein anderes Universum geschleudert wurde, dann ist es wahrscheinlich Tarkan, aus dem die fünfzig Milliarden Sterne stammen, die in der Nähe der Lokalen Gruppe materialisiert sind ...«
»Das weiß man?«, unterbrach ihn der Arkonide voller Aufregung.
»Nicht aufgrund wissenschaftlicher Beobachtung«, dämpfte Waringer den Eifer des Freundes, »wenigstens hier nicht. Kann sein, dass man in der Heimat mehr und vor allen Dingen Quantitatives in Erfahrung gebracht hat; aber davon ist bis hierher nichts durchgedrungen. Bedenke eines: Was hat Oogh at Tarkan über den jahrtausendealten Plan seines Volkes gesagt? Wollten die Kartanin nicht eine ganze Galaxis aus einem sterbenden Universum – nämlich Tarkan – in ein gesundes, – nämlich unseres, das sie Meekorah nennen, – überführen? Die Kartanin bereiten die Durchführung dieses Planes vor. Zum selben Zeitpunkt materialisiert in unserem Universum eine gewaltige Materiewolke mit fünfzig Milliarden Sternen. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass diese Sterne aus einem anderen Universum als Tarkan stammen?«
»Wenn du es so siehst ...«, brummte der Arkonide.
»Durch diesen Vorgang ist eine gewisse Affinität zwischen den beiden Universen entstanden«, fuhr Waringer fort. »Sie ist umso größer, als DORIFER ganz ohne Zweifel an dem Materietransfer beteiligt oder zumindest von ihm in Mitleidenschaft gezogen ist. Was aus dem Innern DORIFERS in ein anderes Universum geschleudert wird, landet so gut wie sicher in Tarkan.«
Der Arkonide starrte ihn an, als zweifle er an seinem Verstand. »Also gut, nehmen wir an, es ist so, wie du sagst«, erklärte er mit mühsam bewahrter Ruhe. »Dann haben wir also weiter nichts zu tun, als nach Tarkan zu fliegen und Perry Rhodan dort irgendwo zu suchen. Einen einzelnen Mann in einem ganzen Universum! Bist du übergeschnappt?«
Geoffry Waringer lächelte. »Wenn du wütend bist«, sagte er, »muss ich immer daran denken, dass Suzan dich Onkel Atlan nannte. Also, Onkel Atlan: Es mag sein, dass ich ein schlechter Berichterstatter bin. Aber ich bin mit meiner Geschichte noch nicht am Ende. Zur Beförderung solch gewaltiger Sternenmassen bedarf es eines Einflusses von beiden Seiten, in diesem Fall also von Tarkan ebenso wie von Meekorah aus. Wie die beiden Einflüsse haben synchronisiert werden können, wo den Kartanin der Paratau gewissermaßen aus Versehen abgebrannt ist, ist vorläufig noch ein Geheimnis. Aber wenn der Einfluss innerhalb Tarkans weiterhin wirksam ist ...«
»Warum sollte er das sein? Die Galaxis ist doch schon überführt?«, fiel ihm Atlan ins Wort.
»Keineswegs«, widersprach Waringer. »Selbst eine oberflächliche Strukturanalyse weist aus, dass wir in den fünfzig Milliarden Sternen nur den Teil einer Galaxis vor uns haben. Oogh at Tarkan aber sprach von einer ganzen Galaxis, die überführt werden sollte. Es werden also in Tarkan nach wie vor Kräfte am Wirken sein, die darauf abzielen, weitere Teile dieser Galaxis nach Meekorah zu transportieren. Ob diese Kräfte erfolgreich sein werden, können wir von hier aus nicht beurteilen. Aber wenn der Einfluss, von dem ich sprach, in dem Augenblick wirksam war, in dem Perry Rhodan aus DORIFERS Innerem nach Tarkan geschleudert wurde, ist Perry in der Nähe der Einflussquelle materialisiert. Und wenn der Einfluss noch existiert, wird jeder, der von Meekorah nach Tarkan übersetzt und geeignete Vorsichtsmaßnahmen anwendet, ebenfalls in der Nähe der Quelle wieder zum Vorschein kommen. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir Perry Rhodans Spur folgen müssen.«
Atlans Zorn war verraucht. Fassungslos starrte er den Wissenschaftler an, der seinen Zellaktivator im Alter von 33 Jahren erhalten hatte und auf ihn immer noch wie ein junger Mann wirkte. »Das weißt du alles so genau?«
»Nein, das ist das Traurige.« Geoffry Waringer schüttelte entschieden den Kopf. »Ich arbeite mit Hypothesen. Meine Resultate sind Wahrscheinlichkeiten, keine Gewissheiten. Aber mein Gott – woran sollen wir uns denn halten, wenn nicht an das letzte Fünkchen Hoffnung, das in diesen Hypothesen steckt? Ich will dir meine Modelle gerne vorführen. Du kannst die Rechnungen überprüfen.«
Der Arkonide war aufgestanden. »Nein, mein Junge«, sagte er. »Deine Modelle kann ich nicht verbessern, und deine Berechnungen hast du redundant von drei Computern durchführen lassen, wie ich dich kenne. Ich vergeudete nur meine Zeit. Sag mir nur das eine: Wie wird Gesil mit dieser Sache fertig?«
Das Doppelbewusstsein Ellert-Testare glitt mit unbestimmbarer Geschwindigkeit durch den Raum, nachdem es sich nach gemeinsamer Beratung entschlossen hatte, den sagenhaften »Ort der Erfüllung« aufzusuchen. Gemeinsam hatten sie das Geheimnis der Ephemeriden gelüftet, nachdem Ernst Ellert, mehr als 18 Jahre verschollen, über die Situation in den beiden Galaxien Estartu und Milchstraße informiert worden war.
Der Cappin Testare hatte sich, wenn er Alaska Saedelaeres Körper verlassen wollte, eines Körperprojektors bedient. Aber ein Projektor war kein Ersatz für einen echten Körper, der ihm selbst gehörte und den er allein beherrschte. So schwer ihm der Abschied von Alaska gefallen war, so glücklich schätzte er sich, in Ernst Ellert einen echten Freund gefunden zu haben. Was sie verband, war nicht nur ihre Körperlosigkeit.
Eine Sonne mit wenigen Planeten zog vorbei und versank erneut.
»Du wirst mir viel zu berichten haben«, unternahm Testare einen neuen Versuch, seinem Freund einige Dinge zu entlocken, die er gern gewusst hätte. »Was ist dieser Ort, an dem sich unsere Wünsche nach einem vollkommenen Körper erfüllen sollen? Wer hat dir davon berichtet? Gibt es ihn überhaupt?«
Die Verständigung zwischen ihnen war kein Problem. Zwei Bewusstseine unterhielten sich, indem sie dachten. Es war ihnen aber auch möglich, ihre Gedanken abzuschirmen, sodass die Privatsphäre erhalten blieb.
»Eine lange Geschichte ist das, mein Freund. Eine Geschichte, die vor achtzehn Jahren beginnt und noch nicht beendet ist. Wir sind mittendrin.«
Viel ist das nicht, dachte Testare abgeschirmt, um sich aber gleich wieder zu öffnen, damit Ellert ihn aufnehmen konnte. »Und wann wirst du mir diese lange Geschichte erzählen?«
»Bevor wir den Stützpunkt der Barkoniden erreichen.«
Es war Testare, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten. »Barkoniden ...?«, fragte er, etwas außer Fassung. »Ich habe von ihnen gehört. Gibt es sie denn noch? Es hieß, sie wären in den Tiefen des Alls untergegangen.«
»Eine andere Geschichte, aber sie gehört zu der meinen. Unendlich viel Zeit ist inzwischen vergangen oder auch nur Sekunden – je nachdem, wie man es betrachtet und zählt. Wenn ich dir von dem berichte, was tatsächlich geschehen ist, seit ich den Virenkörper und das Virenschiff ZUGVOGEL erhielt, möchte ich dir in die Augen sehen können, selbst wenn es nicht deine wirklichen Augen sind, sondern die eines Lebewesens, das du übernehmen wirst.«
»Du meinst ...?«
»Ja, wir legen eine Pause ein, Testare. Wir suchen eine ruhige und friedfertige Welt mit halbintelligenten Bewohnern, übernehmen zwei von ihnen und suchen die Einsamkeit auf. Einsamkeit und eine paradiesische Landschaft beflügeln die Phantasie und stärken das Erinnerungsvermögen.«
»Du musst dich an vieles erinnern, nehme ich an.«
»An zu viel, Testare. Doch sieh nur, wir nähern uns einer Sonne, die von Planeten umkreist wird. Vielleicht ist sie für eine Rast geeignet. Sehen wir es uns an.«
Die Sonne war gelb, Spektraltypus G2V, also etwa wie Sol. Die zweite Welt schien den richtigen Abstand zu besitzen. Ein Gedankenbefehl genügte, das Tempo des Sturzes herabzusetzen. Das Doppelbewusstsein sank langsam der Oberfläche entgegen und konnte Einzelheiten erkennen.
Die fremde Welt war von halbintelligenten Lebewesen bewohnt, das bewiesen die bearbeiteten Felder und die primitiven Hüttenansiedlungen an den Flüssen und deren Mündungen. Der größte Teil der Kontinente jedoch wurde von einer üppigen Vegetation und vereinzelten Wüstengebieten bedeckt.
»Genau richtig für uns«, stellte Testare fest.
Sie näherten sich einer der Ansiedlungen.
»Sie erinnern mich an Affen.«
»Also doch mit uns Terranern verwandt«, gab Ellert ironisch zurück. »Nun müssen wir noch zwei von ihnen finden, die sich nicht inmitten des Dorfes aufhalten.«
Und sie hatten Glück. Am Fuß eines Gebirges hatte sich ein kleiner See gebildet, der von einem sehr klaren Bach gespeist wurde. Daneben brannte ein Lagerfeuer. Zwei der Planetenbewohner saßen daran und hielten Holzspieße über die Flammen.
»Wenn ich einen Körper habe«, teilte Testare mit, »werde ich mich erst mal wieder ordentlich satt essen.«
»Die Gelegenheit wirst du gleich haben – das Fleisch dürfte gerade gar geworden sein.«
In der Tat nahm einer der beiden Einheimischen seinen Spieß aus dem Feuer, probierte und verbrannte sich die von Haaren eingerahmten Lippen. Als er eine Bemerkung machte, konnte Ellert sie deutlich verstehen. Die Sprache war primitiv und voller Kehllaute, aber das konnte die Gedanken kaum beeinflussen.
Ellert, der sich kurz von Testare gelöst hatte, kehrte zurück. »Bestens geeignet und weit ab vom Schuss. Ich glaube, wir werden uns am Lagerfeuer niederlassen und den Braten genießen. Es sind zwei Forscher, was immer sie darunter verstehen. Du nimmst den, der mit dem Rücken zum See sitzt. Es wird einfach sein.«
Ellert behielt recht. Die Übernahme stellte nicht das geringste Problem dar. Später, wenn die beiden Bewusstseine ihre Gastkörper wieder verließen, würde deren Erinnerung ihnen nur einen langen und wohltuenden Schlaf vorgaukeln – ganz gleich, wie viel Realzeit inzwischen vergangen sein mochte.
»Verbrenne dir nicht den Mund«, riet Ellert, als Testare das halb verbrannte Stück Fleisch aus den Flammen nahm. »Erst abkühlen lassen.«
»Hätte nie gedacht, dass Hunger so schön sein kann«, gab der Cappin zurück. »Schon der herrliche Duft ...«
Nachdem sie gegessen und von dem frischen, sauberen Wasser des nahen Baches getrunken hatten, suchten sie trockenes Feuerholz, denn sie hatten wieder Körper und mussten mit ihren Bedürfnissen fertigwerden. Die Sonne ging bald unter, und es wurde kühl.
»Bevor ich mit meiner Geschichte beginne«, erklärte Ellert, »muss ich eine Berichtigung anbringen. Ich habe dir, nachdem du mich aus dem Ephemeridenschwarm befreit hast, etwas erzählt, das nicht der Wahrheit entsprach. Erst vor Kurzem musste ich erkennen, dass ich unter dem Einfluss der Ephemeriden ein bestimmtes Wunschdenken entwickelt hatte, das mir selbst eine falsche Erinnerung vorgaukelte. Ich hatte geglaubt, dass ich bereits längere Zeit vor meinem Auftauchen in Absantha-Gom meinen Virenkörper verloren hatte und seither körperlos durch das Universum schweifte. Ich war der Meinung, dass es eine innere Sehnsucht war, die mich dazu trieb, die Nähe von Menschen zu suchen, und die mich nach ESTARTU verschlug. Doch jetzt weiß ich, dass dies nichts als ein Traum war und sich die Geschichte ganz anders zugetragen hatte. Nun sollst du die wahre Geschichte erfahren.«
Und Ernst Ellert erzählte. Manchmal fasste er die Geschehnisse knapp zusammen, manchmal gab er ausführliche Beschreibungen von Örtlichkeiten, und manchmal spielte er Schlüsseldialoge, die ihm als wichtig im Gedächtnis geblieben waren, mit verteilten Rollen nach. Und so nahm er Testare mit ins Jahr 429 NGZ ...
Ernst Ellerts Erlebnisse von 429 NGZ bis 446 NGZ
Nach der Aktivierung des Chronofossils EDEN II erhielt ich von ES die Erlaubnis, mit der ZUGVOGEL loszuziehen, um »meiner Aufgabe« nachzukommen. Worin genau diese Aufgabe bestand, erfuhr ich jedoch nicht. Entsprechend flog ich mehrere Wochen lang ziellos durch das All. Ich dachte mir, ES würde mir einen Hinweis zukommen lassen, in der einen oder anderen Form.
Als die ZUGVOGEL in einer Galaxis psi-energetische Impulse registrierte, schaute ich mir das an. Auf einem Planeten, dessen Namen ich nie erfuhr, entdeckte ich in einem Berg etwas, das auf mich wie die Relaisstation einer intergalaktischen Transmitterstrecke wirkte. Die Station befand sich in einer Metallkugel mit 50 Metern Durchmesser mit einem inneren Hohlraum von zehn Metern und wies keinerlei Zugang auf. Leider war es mir nicht möglich, in die Kugel einzudringen, da ich ja an den Virenkörper gebunden war. Dieser hatte mittlerweile die Fähigkeit verloren, sich aufzulösen, um sich an einem anderen Ort wieder zusammenzusetzen. Enttäuscht und verärgert flogen wir weiter, speicherten jedoch die Daten und Koordinaten der Station.
Auf dem weiteren Flug durchquerten wir eine andere Galaxis, in der die ZUGVOGEL ähnliche Impulse registrierte. Der Ursprung der Impulse war der Planet Neuerde, eine Welt, auf der sich Vironauten niedergelassen hatten. Die Siedler nahmen mich freundlich auf und wiesen mir den Weg zu einer künstlich angelegten Kaverne, in der uralte Anlagen stehen sollten, mit denen die Vironauten nichts anzufangen wussten. Ein Siedler namens Warner führte mich hin. Und dort entdeckte ich einen Transmitter von einer Bauart, wie ich ihn vor über 400 Jahren bereits auf dem Planeten Fogha gesehen hatte. Ich stand vor einem Transmitter der untergegangenen Barkoniden! Damals, auf Fogha, hatte ich eine Begegnung mit einem sonderbaren alten Mann gehabt, der seinen eigenen Namen vergessen hatte und sich nur »Barkon« genannt hatte. Barkon, der ewige Kundschafter, der mithilfe von Zeitbrunnen und Transmittern das Universum nach seinem Volk absuchte und der nicht mehr zu altern schien, seit er fremde und unbekannte Dimensionen gesehen hatte. Was seither aus ihm geworden war, wusste ich nicht. Noch nicht!
Anscheinend in Reaktion auf meine Anwesenheit aktivierte sich ein Teil der Maschinerie. Sie musste auf mich gewartet haben, zumindest auf die energetische Abstrahlung meines Bewusstseins. Und das wiederum ließ vermuten, dass jemand die Anlage programmiert hatte, der mich und das Muster meines Bewusstseins kannte.
Barkon? Hatte Barkon etwas für mich hinterlassen? Eine Botschaft vielleicht ...?
Da war sie! Lang war sie nicht: »Ich suche dich, der du körperlos durch Raum und Zeit irrst. Benutze auf keinen Fall diesen Transmitter, sondern suche folgende Raumkoordinaten auf.« Es folgten Buchstaben und Zahlen, die ich mir einprägte. »Dort findest du weitere Hinweise. Barkon.«
Die Koordinaten wiesen mir den Weg zu einem Sonnensystem, das in einer Galaxis zwischen den Mächtigkeitsballungen von ES und ESTARTU gelegenen war. Wir blieben noch zwei Tage auf Neuerde, dann brach die ZUGVOGEL auf. Wie viele Stationen der Barkoniden mochte es wohl geben, die auf uns warteten?
Der Flug war recht kurz. Als wir auf Unterlichtgeschwindigkeit gingen, sahen wir bereits die Sonne. Sie war nahezu weiß und wurde von nur einem Planeten umlaufen.
Zwanzig Minuten vor der Landung registrierte die ZUGVOGEL eine psi-energetische Schockwelle. Sie schloss daraus, dass der Transmitter der Station aktiviert worden war. Als wir eintrafen, war noch Restabstrahlung zu verzeichnen.
Das konnte nur Barkon gewesen sein! Wir hatten ihn knapp verfehlt!
Aber ich hatte aus den Erlebnissen auf Neuerde gelernt. Barkon kannte mein Gedankenmuster und konnte es in seine Mentalsensoren einprogrammieren. Also ließ ich mich zu dem Ort bringen, von dem die Reststrahlung ausging, und sendete so intensiv wie möglich mein Muster.
Ein getarnter Schacht führte direkt in die vermutete Station, einen riesigen, quadratisch angelegten Raum, in dessen Zentrum das Podium mit dem Transmitter stand. Der Stützpunkt war größer als jener auf Neuerde und nicht nur eine Durchgangsstation. Seine Größe erinnerte mich an die Anlagen auf Fogha.
Erneut aktivierte sich eine Konsole selbsttätig. Und erneut kam eine Information, diesmal allerdings in Altarkonidisch: »Da nur du diese Nachricht aktivieren kannst, Ellert, hast du meine Spur gefunden. Ich habe lange auf dich gewartet und dich lange gesucht. Ich muss weiter. Nach Estartu, in die Galaxis Absantha-Gom. Folge mir. Du wirst mich dort aufspüren. Barkon.«
Im ersten Moment war ich über die Kürze der Nachricht enttäuscht, wenngleich sie mir mitteilte, wohin Barkon transmittiert war. Doch Absantha-Gom war groß. Wie sollte ich den Barkoniden dort finden?
Sicher, ich hätte den Transmitter nehmen können. Ich dachte sogar ernsthaft darüber nach, bis mich die ZUGVOGEL darauf aufmerksam machte, dass ich dabei wohl meinen Virenkörper verlieren würde. Und das erschien mir letztlich zu unsicher.
Ich streifte noch kurz einige Räume, deren Einrichtung verriet, dass vor langer Zeit die Station öfter benutzt wurde und sich Personen länger hier aufgehalten hatten. Barkoniden oder deren Kundschafter ...? Und dabei fand ich etwas: eine beschriftete Metallfolie. Sie war sicherlich nicht direkt für mich bestimmt, sondern ein Relikt der alten Kundschafter, dennoch war sie hochinteressant.
Der Text war in der Sprache der Mächtigen abgefasst. Sie nannten sich den Bund der Zeitlosen. Von Dienern der Kosmokraten künstlich erschaffen, waren sie unsterblich, aber dem gewaltsamen Tod hatten selbst sie nicht entgehen können. Bardioc war einer von ihnen gewesen. In ihren kosmischen Burgen hatten sie gelebt, und ich fragte mich, woher Barkon ihre Sprache kannte.
Barkon musste einiges in Erfahrung gebracht haben, anders konnte ich mir seine Worte nicht erklären. Ob seine Schlussfolgerungen stimmten, war eine andere Frage. Er war davon überzeugt, dass die Querionen Kontakt mit den Barkoniden pflegten, welcher Natur auch immer. Er vermutete sie in der Mächtigkeitsballung von ESTARTU, eben in der Galaxis Absantha-Gom. Weiter meinte er, es müsse ein versiegeltes Archiv der Porleyter geben, in dem sich Unterlagen über viele Rätsel der Barkoniden befänden.
Und da war noch etwas. Barkon erwähnte mich in einem Nachsatz und hielt sich für schuldig an meinem Schicksal. Zusammen mit Ashdon, dem Partner meines Doppelbewusstseins, wurden wir einst durch einen Zeitbrunnen oder eine Dimensionsfalle ins Nichts geschleudert. Später wurden wir getrennt, als wir einen von Barkons Transmittern benutzten. Und nun glaubte er, seine Schuld wiedergutmachen zu müssen.