29,99 €
Als Perry Rhodan aus einem langen Schlaf erwacht, ist nichts mehr so, wie es einmal gewesen ist: Die Milchstraße, die er gekannt hat, existiert nicht mehr. Seine Freunde und Gefährten sind verschwunden, die bekannten Sternenreiche zerfallen oder untergegangen. Wie es scheint, liegt die Menschheitsgalaxis zu weiten Teilen in Trümmern. In ihrem Zentrum brodelt eine schwarze Wolke aus Gas und Staub. Dort verbirgt sich jene mysteriöse Macht, die für alles verantwortlich ist – sie nennt sich Paragon. Perry Rhodan macht sich auf die Suche nach Antworten, nach seinen Freunden und nach der Menschheit. Dabei findet er eine Wahrheit, die sein Weltbild zerstören könnte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 2151
Veröffentlichungsjahr: 2025
Als Perry Rhodan aus einem langen Schlaf erwacht, ist nichts mehr so, wie es einmal gewesen ist: Die Milchstraße, die er gekannt hat, existiert nicht mehr. Seine Freunde und Gefährten sind verschwunden, die bekannten Sternenreiche zerfallen oder untergegangen.
Wie es scheint, liegt die Menschheitsgalaxis zu weiten Teilen in Trümmern. In ihrem Zentrum brodelt eine schwarze Wolke aus Gas und Staub. Dort verbirgt sich jene mysteriöse Macht, die für alles verantwortlich ist – sie nennt sich Paragon.
Perry Rhodan macht sich auf die Suche nach Antworten, nach seinen Freunden und nach der Menschheit. Dabei findet er eine Wahrheit, die sein Weltbild zerstören könnte ...
Cover
Vorspann
Band 340 – Kosmische Genesis
Vorspann
1. Naumann von Silikor: Anakonda
2. Naumann von Silikor: Aufbruch ins Abenteuer
3. Naumann von Silikor: Drion
4. Naumann von Silikor: Die Smaragdgruft
5. Naumann von Silikor: Der Fremde
6. Perry Rhodan: Erwachen
7. Naumann von Silikor: Hiobsbotschaft
8. Perry Rhodan: Die Ausreißerin
9. Naumann von Silikor: Das Monster im Dschungel
10. Perry Rhodan: Erste Antworten
11. Perry Rhodan: Im Garten
12. Perry Rhodan: Der Start
13. Perry Rhodan: Nimbus
14. Perry Rhodan: Imago
15. Naumann von Silikor: Die Geldeintreiber der Madame Nayda
16. Perry Rhodan: Zina
17. Perry Rhodan: Wo ist die Kugel?
18. Perry Rhodan: Bruder Augun
19. Perry Rhodan: Im Tempel von Paragon
20. Perry Rhodan: Bruder Oberon
21. Perry Rhodan: Paragon
22. Perry Rhodan: Nächtliche Heimsuchung
23. Perry Rhodan: Das Artefakt
24. Perry Rhodan: Das Geschenk
25. Perry Rhodan: Rendezvous mit Madame Nayda
26. Perry Rhodan: Kurs Rumal
Band 341 – In der Zeit verloren
Vorspann
Cleos Tagebuch
1. Perry Rhodan
2. Naumann von Silikor
3. Perry Rhodan
4. Avina da Jacinta
5. Perry Rhodan
6. Naumann von Silikor
7. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
8. Avina da Jacinta
9. Naumann von Silikor
10. Perry Rhodan
11. Naumann von Silikor
12. Avina da Jacinta
13. Perry Rhodan
14. Avina da Jacinta
Cleos Tagebuch
15. Perry Rhodan
16. Avina da Jacinta
17. Ymma Kern
18. Naumann von Silikor
19. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
20. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
21. Naumann von Silikor
22. Perry Rhodan
23. Avina da Jacinta
Cleos Tagebuch
24. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
Band 342 – Im Transmitterwald
Vorspann
1. Perry Rhodan
2. Perry Rhodan
3. Atlans Erzählung
4. Dobrak
5. Perry Rhodan
6. Die Avatara
7. Perry Rhodan
8. Perry Rhodan
9. Dobrak
10. Die Avatara
11. Perry Rhodan
12. Atlan da Gonozal
13. Perry Rhodan
14. Dobrak
15. Perry Rhodan
16. Atlan da Gonozal
17. Perry Rhodan
18. Dobrak
19. Perry Rhodan
20. Dobrak
21. Atlan da Gonozal
22. Atlan da Gonozal
Band 343 – Zielplanet Epsal
Vorspann
Memento I: Gegenwart
1. Rumal
2. Der Gärtner
3. Der Mehandor
4. Der Schaltmeister
5. Der Ofen
Memento II: Vor hundert Jahren
6. Der Pilzflüsterer
7. Zielplanet Epsal
8. Der ehrenwerte Tom Brok
9. Der alte Epsaler
10. Im Horla
11. Fatuus, der Narr
Memento III: Vor etwa zweihundert Jahren
12. Der Verräter
13. Im Schlupf
14. Angriff der Vitalier
15. Gespräch mit einem Pilz
Memento IV: Vor mehr als dreihundert Jahren, kurz vor der Symaios
16. Die Schwelle zum Bewusstsein
17. Das Geheimnis des Roboters
Band 344 – Dreihundert Jahre Einsamkeit
Vorspann
1. Eskalation
2. Auf in die Finsternis
3. Die Gestrandeten
4. Die Perlenschnur
5. In die Kalmenzone
6. Zurück in Terrania!
7. Der schwarze Brunnen
8. Spuren der Vernichtung
9. Die schlafenden Zwillinge
10. Geisterjäger
11. Die Falle
12. Schicksal eines Zurückgelassenen
13. Dreihundert Jahre Einsamkeit
14. Die Smaragdgruft
15. Der Irrtum
16. Brunnenherz
Band 345 – Dunkelwelt Styx
Vorspann
Prolog
1. Perry Rhodan
2. Thora Rhodan da Zoltral
3. Gucky
4. Thora Rhodan da Zoltral
5. Gucky
6. Vergangenheit – Erster Schub
7. Thora Rhodan da Zoltral
8. Vergangenheit – Zweiter Schub
9. Gucky
10. Vergangenheit – Dritter Schub
11. Vergangenheit – Vierter Schub
12. Thora Rhodan da Zoltral
13. Vergangenheit – Fünfter Schub
14. Vergangenheit – Sechster Schub
15. Gucky
16. Thora Rhodan da Zoltral
17. Vergangenheit – Siebter Schub
18. Vergangenheit – Achter Schub
19. Vergangenheit – Neunter Schub
20. Gucky
21. Thora Rhodan da Zoltral
22. Perry Rhodan
Epilog
Band 346 – Sabotage im All
Vorspann
Prolog
1. Stürmische Begrüßung
2. Verkapselt
3. Offenbarungen
4. Ur-Parenchym
5. Dissonanz
6. Wucherungen
7. Flechtwerk
8. Oxtorne gibt – Oxtorne nimmt
9. Bericht Omar Hawk: das Zweite Silur
10. Spürnase
11. Bericht Omar Hawk: der letzte Blick
12. Plan der Vollendung
13. Thermolyse
14. Sackgassen
15. Leitschiff GAMMA-2
16. Sturzkampf
17. Treibjagd
18. Sicherheitsverwahrung
Epilog
Band 347 – Die Waffe der Labori
Vorspann
1. Powlor Ortokur
2. Imara Tugh
3. Powlor Ortokur
4. Powlor Ortokur
5. Atlan da Gonozal
6. Powlor Ortokur
7. Atlan da Gonozal
8. Wie hält man eine Labori gefangen?
9. Powlor Ortokur
10. Powlor Ortokur
11. Tagrep Kerrek
12. Perry Rhodan
13. Gucky
14. Atlan da Gonozal
15. Powlor Ortokur
16. Perry Rhodan
17. Atlan da Gonozal
18. Gucky
19. Atlan da Gonozal
20. Atlan da Gonozal
21. Powlor Ortokur
22. Xarfax: Sprengung
23. Powlor Ortokur
24. Atlan da Gonozal
25. Atlan da Gonozal
26. Powlor Ortokur
27. Powlor Ortokur
Band 348 – Die Schwarze Kreatur des Todes
Vorspann
Gesang von Dhrugan Lonim Migurot: Az und Araq
1. Flucht
2. Gypswut
3. Absturz
4. Ein hehres Ziel
5. Friedensverhandlungen
6. In geheimer Mission
7. Die Garbe
8. Zielstrebigkeit
9. Der Anschlag
10. Das Andrix der Rache
11. Auf einem guten Weg
12. Die schwarze Kugel
13. Veränderungen
14. Migurot
15. Der lange Weg
16. Das Ende
Band 349 – Gruft und Quelle
Vorspann
1. Vorgeschichte
2. Perry Rhodan: Die erste Welle
3. Icho Tolot: Ein sonderbarer Frachter
4. Perry Rhodan: Sphärenflucht
5. Perry Rhodan: Etappe Styx
6. Perry Rhodan: Am Schwarzen Loch
7. Perry Rhodan: Was einen erwartet ...
8. Perry Rhodan: Das Fluid
9. Perry Rhodan: Klopfgeist
10. Icho Tolot: Planhirnspiele
11. Perry Rhodan: Nekrophore
12. Perry Rhodan: Amtranik
13. Perry Rhodan: Der Tod als Geschenk
14. Perry Rhodan: Tallmarks Grab
15. Perry Rhodan: Ein Wiedersehen
16. Perry Rhodan: Leben und Tod
17. Perry Rhodan: Kataklysmus
18. Perry Rhodan: Katharsis
19. Perry Rhodan: Offene Zukunft
Impressum
Band 340
Kosmische Genesis
Rüdiger Schäfer
Irgendwann in ferner Zukunft: Einst hat der Astronaut Perry Rhodan die Terraner zu den Sternen geführt. Als er nun aus einer langen Stasis erwacht, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Menschheit ist zersplittert, die Erde nur noch ein Mythos. Seine Freunde und Weggefährten sind verschollen, die bekannten Sternenreiche zerfallen oder untergegangen.
Wie es scheint, liegt die Galaxis zu weiten Teilen in Trümmern und Chaos. Was ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen? Sogar die Raum-Zeit-Struktur hat sich drastisch verändert. Was lauert im Zentrum der Milchstraße, und wer oder was verbirgt sich hinter dem Begriff Paragon?
Perry Rhodan macht sich auf die Suche nach Antworten, nach seinen Freunden, nach einem Weg zurück zur Erde. Schnell erfährt er: Der Grund für all die Umwälzungen ist eine KOSMISCHE GENESIS ...
1.
Naumann von Silikor
Anakonda
»Fünfhundert?«
Naumann von Silikor hatte die Zahl so laut ausgesprochen, dass sich einige Gäste an den Nachbartischen umdrehten. Sie warfen ihm Blicke zu, die von Neugier über Verwunderung bis zu Missbilligung reichten.
»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst«, fügte er deutlich leiser hinzu.
Sein Gegenüber, eine kleine, ziemlich füllige Frau – vermutlich eine Terranerin – mit wunderschönen, blauen Augen, aber unappetitlich schadhaften Zähnen, seufzte. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, in denen von Silikor einen großen Schluck aus seinem Kaischkrug nahm.
So übel sieht sie eigentlich gar nicht aus, dachte er – und rief sich mental sofort zur Ordnung. Er trank bereits sein viertes Kaisch und hatte keine Lust, seinen zahlreichen Problemen ein weiteres hinzuzufügen.
Seine früheren Beziehungen waren allesamt irgendwann toxisch geworden. Das einzig Gute, was jemals aus einer seiner Verbindungen zu einer Frau hervorgegangen war, war Cleo. Und die würde schon bald ...
»Träumst du?«, riss ihn die Stimme der Terranerin aus seinen Gedanken. »Wenn du kein Interesse an dem Geschäft hast, kann ich gehen.«
»Nein, nein.« Er legte ihr rasch eine Hand auf den Arm.
Sie zog ihn nicht weg, sondern sah von Silikor nur mit ihren blauen Augen an. Mit diesen endlos tiefen, kobaltblauen, glänzenden ...
Hör auf! Sofort!, schrie ihn seine innere Stimme an, die er schon so oft ignoriert hatte.
»Es ist nur ...«, sprach er weiter. »Thesauren gibt es wie Sand in der Wüste. Woher soll ich wissen, ob das Ding echt ist?«
»Was ist das für eine dämliche Frage?«
Sie hatte sich ihm vorgestellt. Und natürlich hatte er ihren Namen sofort wieder vergessen. Anakonda oder Anabolika oder so ähnlich. Sie hatte die Lippen leicht geöffnet. Ihre schwarz verfärbten Zähne übten plötzlich eine unerklärliche Faszination auf ihn aus. Und die Lippen selbst ... Nun, die waren ausgesprochen sinnlich. Er konnte einfach nicht wegsehen. Was war nur mit ihm los?
»Na ja«, brachte er mit schwerer Zunge heraus. »Wenn die Karte echt ist, warum fliegst du dann nicht selbst hin und kassierst ab?«
»Weil ich jetzt Geld brauche«, antwortete Anakonda.
Naumann von Silikor hatte sich für diesen Namen entschieden, weil die Frau etwas Schlangenhaftes an sich hatte. Es gefiel ihm.
»Und weil ich kein Schiff habe«, ergänzte sie.
»Wir könnten uns ... zusammentun«, lallte von Silikor. »Ich könnte dich ... mitnehmen.«
»Ich hasse den Weltraum«, gab sie zurück und schwieg dann, als sei damit alles gesagt.
Naumann von Silikor nahm einen weiteren Schluck Kaisch, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, doch in seinem Kopf herrschte ein unauflösbares Durcheinander. Sein verbliebenes Vermögen belief sich auf ziemlich genau fünfhundert Kredite. Hinzu kamen ein paar Painitmünzen, mit denen er seine Getränke bezahlen würde. Eigentlich waren die Kredite für Ersatzteile bestimmt, die seine Leute dringend benötigten, um die EUPHORION wieder halbwegs flugtauglich zu machen. Er hatte ein paar Frachtaufträge in Aussicht, die er aber nur mit einem einigermaßen intakten Raumschiff erfüllen konnte.
»Darf ich's noch mal sehen ...?«
Das Gesicht der Frau verschwamm. Von Silikor blinzelte, und das Bild klärte sich wieder. Anakonda zog einen Speicherwürfel aus der Tasche ihrer Jacke und presste den Daumen auf dessen Kontaktfläche. Ein flaches Hologramm entstand über der Tischplatte.
Naumann von Silikor sah sich kurz um. Das Homer's Odyssee war gut gefüllt. Die Kneipe lag in den Randbezirken von Trade City, unweit des einzigen Raumhafens der Stadt, der noch in Betrieb war. Niemand schien ihnen weitere Beachtung zu schenken; sein kurzer Ausbruch war schon wieder vergessen.
Der Halbakone betrachtete die zahlreichen Kurslinien und Navigationsangaben auf dem Thesaurus. Das Zielsystem hatte eine gelbe Normalsonne, um die acht Planeten kreisten. Der dritte davon war ... die Erde. Angeblich!
Er blätterte per Fingergesten durch die umfangreiche Datensammlung. Terras Bild, aus dem Weltall aufgenommen, war gestochen scharf, und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Konnte es wahrhaftig sein? Sol galt schon so lange als erloschen, die Erde als verschwunden. Das Raumgebiet, in dem die Heimatwelt der Menschen einst ihre Bahn gezogen hatte, war eine der größten Kalmenzonen innerhalb der Lokalen Blase und damit hochgefährlich. Dort waren bereits viele Sternenschiffe verschollen oder havariert. Und ausgerechnet diese Frau sollte den Schlüssel zu einem der legendärsten Orte der Milchstraße besitzen?
Nachdenklich betrachtete er die komplizierten Kursberechnungen, die einem Raumfahrzeug den Weg durch die Granulenfelder wiesen. Nur: Hielten sie, was sie versprachen? Wenn nicht, würde er keine Gelegenheit mehr erhalten, sich zu beschweren.
Fünfhundert Kredite sind eine Menge Geld, ging es ihm durch den Kopf. Allerdings nicht, wenn mich dieser Thesaurus tatsächlich zur Erde führt.
Er war müde. Es war schon spät gewesen, als er das Homer's Odyssee betreten hatte, um sich vor der Rückkehr zur EUPHORION noch einen kräftigen Schluck zu gönnen. Er wusste natürlich, dass Trinken keine Lösung war, weil Probleme ausgezeichnet schwimmen konnten. Aber es machte die Dinge leichter – zumindest für ein paar Stunden.
Die fremde Frau hatte sich einfach zu ihm gesetzt. Zuerst hatte er sie für eine der vielen Erostessen gehalten, die sich in Trade City ihren Lebensunterhalt verdienten. Doch dann hatte sie den Speicherwürfel auf den Tisch gelegt und zwei frische Kaisch geordert.
Naumann von Silikor war nicht dumm. Zumindest hielt er sich für nicht dümmer als den großen Rest der anderen Leute, die sich auf Olymp tummelten. Thesauren – also Schatzkarten zu Orten, an denen ihre Besitzer angeblich schnell und einfach reich wurden – konnte man an jeder Straßenecke kaufen. In den allermeisten Fällen handelte es sich um Fälschungen; mal mehr, mal weniger gut gemacht.
Er hatte Anakonda gefragt, warum sie ihr Angebot ausgerechnet ihm unterbreitete. Er sah ganz sicher nicht wie ein reicher Frachtkapitän aus, zumal sich so jemand bestimmt nicht ins Homer's Odyssee verirrte. Die Frau hatte nur gelächelt – mit geschlossenen Lippen, um ihr brüchiges Gebiss zu verbergen. Dann erklärte sie ihm, dass sie sich von ihren Gefühlen leiten ließ, und je länger ihr Gespräch dauerte, desto glaubwürdiger war sie ihm erschienen.
Anakonda legte die Hand über den Speicherwürfel, und das Holo erlosch. Die Erde. Dort sollte es angeblich eine Smaragdgruft geben. Vielleicht sogar mehrere. Wenn also wirklich ein sicherer Weg durch die Kalmenzone existierte ...
Eine der Bedienungen, ein verhuschtes Mädchen, das höchstens vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war und einen langen Kapuzenmantel trug, nahm die leeren Krüge vom Tisch und ersetzte sie durch volle. Anakonda musste eine weitere Bestellung aufgegeben haben, ohne dass von Silikor es bemerkt hatte.
»Also, was ist?«, fragte sie. »Es gibt noch andere Interessenten, weißt du ...«
Fünfhundert Kredite! Das war alles, was er noch hatte. Durfte er das tun? Buchstäblich alles auf eine Karte setzen? Auf eine Schatzkarte?
Er griff nach seinem Krug und trank ihn mit einem Zug zur Hälfte leer. Er hatte die Geschichten, denen zufolge die Erde in der Symaios vernichtet worden war, nie geglaubt. Die meisten Aufzeichnungen und Berichte aus jener Zeit waren zerstört oder gelöscht und durch Märchen, Legenden und haufenweisen Unfug über Verschwörungen und kosmische Intrigen ersetzt worden. Terra stand im Zentrum sehr vieler dieser Erzählungen. Obwohl der Planet oder seine Sonne weder optisch noch ortungstechnisch erfasst werden konnten, war von Silikor überzeugt, dass sie immer noch existierten.
»Na schön, Anakonda«, stieß er schließlich hervor. Seine Zunge lag ihm wie ein Brocken zwei Wochen altes Rindenbrot im Mund. »Ich vertraue dir. Fünfhundert Kredite.« Er zog seine ID-Karte hervor und aktivierte sie mit einem Daumendruck. Ein winziges Bedienfeld leuchtete daran auf.
Auch Anakonda zog eine Karte hervor. Von Silikor hatte Mühe, die nötigen Codes in seine Karte einzugeben. Er brauchte mehrere Anläufe, schaffte es dann aber doch noch. Ein leiser Piepston signalisierte den erfolgreichen Geldtransfer.
Anakonda schob ihm den Speicherwürfel zu und stand auf.
»Wo ... Wo willst du hin ... meine hübsche ... Anakonda?«, fragte Naumann von Silikor. Sie war so schön. So wunderschön! Wie hatte er das am Anfang übersehen können?
2.
Naumann von Silikor
Aufbruch ins Abenteuer
Sie hatte ihn hereingelegt. Das war ihm schnell klar geworden, als er nach dem Verlassen des Homer's Odyssee und der Rückkehr zur EUPHORION in den frühen Morgenstunden in seinem Quartier erwachte. Sein Schädel dröhnte wie die altersschwachen Triebwerke des Walzenfrachters auf Volllast. Erst nach zwei Araspirin und einem großen Glas Vitaminsaft fühlte er sich ein wenig besser.
Diese Hexe hat mir etwas ins Kaisch gekippt, dachte er. Bei allen Sternengöttern: Ich habe mich wie ein blutiger Anfänger abkochen lassen!
Naumann von Silikor schleppte sich in die kleine Hygienezelle und drehte den Wasserspender auf. Nach einer Weile wurde die braune Flüssigkeit klar, und er schüttete sie sich mit beiden Händen ins Gesicht.
Das durfte doch alles nicht wahr sein! Wie sollte er das seiner Mannschaft erklären? Und Cleo?
Er fuhr sich durch die langen, weißgrauen Haare und starrte in den teilweise blinden Spiegel über dem Ablaufbecken. An der Seite wuchsen ein paar winzige Gypsblüten direkt aus dem mit einer moleküldünnen Silberschicht bedampften Glas. Von Silikor entfernte sie fast automatisch, indem er sie mit dem Daumen abrieb.
Die Sorgen eines langen und entbehrungsreichen Lebens hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Auch der üppige Vollbart konnte das längst nicht mehr verbergen.
Was bist du doch für ein erbärmlicher Versager!, rügte er sich. Dann ging er zu Cleo hinüber.
Seine Tochter schlief in einem kleinen Raum, unmittelbar hinter dem Wohnbereich. Cleo hatte die Augen geschlossen, atmete tief und gleichmäßig. Für ihre acht Jahre wirkte sie ungewöhnlich schmächtig. Von Silikor wusste, dass das auch an ihrer Krankheit lag.
Es vergingen sicher ein paar Minuten, in denen er einfach nur dastand und sie betrachtete. An den Türrahmen gelehnt und mit einem dicken Kloß im Hals.
Der Arzt, für dessen Konsultation von Silikor einen Haufen Kredite bezahlt hatte, hatte die Krankheit »Zerebral induzierte Amyotrophie« genannt. Sehr selten – und laut den Worten des Medikers unheilbar. Dabei kam es zu einem schleichenden Abbau der Muskelmasse des gesamten Körpers – teilweise unter heftigen Schmerzen. Im Endstadium folgte eine schnell voranschreitende Schwächung der Atem- und Herzmuskulatur, was irgendwann entweder zum Ersticken oder zum Kreislaufstillstand führte.
Von Silikor hatte sich die Diagnose schon mindestens hundert Mal durchgelesen. Er kannte sie auswendig. Jedes einzelne deprimierende Wort. Als wahrscheinlichste Ursache wurden dort erbliche Faktoren genannt. Cleos Mutter war Akonin, Naumann von Silikor selbst hatte einen akonischen Vater und eine terranische Mutter. Waren dadurch irgendwelche genetischen Unverträglichkeiten entstanden?
Dann bin ich schuld, dachte er wie schon so oft zuvor. Dann hätte ich niemals ein Kind zeugen dürfen ...
Er würde nie den Moment vergessen, als dieses kleine, zierliche Mädchen plötzlich vor ihm gestanden hatte. In einer Kneipe auf Nimbus, einer der Flüchtlingswelten, die sich schon kurz nach der Symaios etabliert hatten und wo all jene Zuflucht suchten, die zwar überlebt, aber alles verloren hatten. Die nicht mal mehr eine Heimat besaßen und nicht wussten, wohin sie sonst gehen sollten.
Das Kind war damals gerade fünf Jahre alt gewesen, hatte ihn mit großen Augen angesehen und ihm einen Umschlag entgegengestreckt. Er enthielt eine Geburtsurkunde, eine genetische ID-Karte und einen handbeschriebenen Zettel. »Das ist deine Tochter Cleo«, hatte darauf gestanden. »Ich habe die ersten Jahre übernommen. Jetzt bist du dran! Gruuna.«
Ein Standardscan in der kleinen Krankenstation der EUPHORION hatte genügte, um festzustellen, dass das Mädchen tatsächlich seine Tochter war. Gruuna von Mortark hatte er schon fast wieder vergessen gehabt. Die Akonin und er waren nur wenige Wochen lang ein Paar gewesen, aber das hatte offenbar ausgereicht. Nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, hatte er nichts mehr von ihr gehört. Und dann das!
Ob Gruuna gewusst hatte, dass Cleo an einer tödlichen Krankheit litt, und sie deshalb loswerden wollte, vermochte er nicht zu sagen. Eine derartige Grausamkeit traute er Gruuna eigentlich nicht zu, aber richtig kennengelernt hatte er sie nicht. Dafür war ihre gemeinsame Zeit zu kurz gewesen.
Das Leiden hatte sich erst zwei Jahre später gezeigt. Es gab aber sicher Methoden, so etwas sehr viel früher zu diagnostizieren.
Naumann von Silikor nahm einen tiefen Atemzug und machte sich dann auf den Weg in die Zentrale. Dort erwartete ihn Hilly, eine Terranerin, die eigentlich Hilma hieß, aber diesen Namen hasste wie die Pest. Wenn man sie ärgern wollte, musste man sie nur so nennen. Ihren Nachnamen hatte sie nie preisgegeben.
Hilly war seine Navigatorin und Erste Offizierin. In Anbetracht des allgemeinen Zustands der EUPHORION und der Stimmung unter ihrer auf das absolute Minimum reduzierten Besatzung war Letzteres sicher eine übertriebene Bezeichnung für ihre Rolle. Aber der Titel gefiel ihr, also behielt ihn von Silikor bei.
Als er hinter Hilly trat, wandte sie kurz den Kopf. Auf ihrer Positronikkonsole blinkten etliche Lichter hektisch rot, was irgendwelche technischen Fehlfunktionen signalisierte. Das schien sie allerdings nicht zu beunruhigen. Sie grinste ihn mit grün verfärbten Zähnen an – eine Folge des Gypswurzelsuds, den Hilly zuweilen im Übermaß konsumierte – und fuhr sich mit der rechten Hand durch die grauen, verfilzten Haare.
»Kannst du das in die Positronik füttern?«, fragte er und hielt ihr den Speicherwürfel entgegen.
Sie griff danach und betrachtete ihn kritisch. »Ich kann es versuchen«, antwortete sie mit ihrer kratzigen Stimme und legte das fingernagelgroße Objekt aus teilkristallinem Kunststoff in eine Aussparung der Konsolenoberfläche vor ihr.
Ein leiser Piepston erklang, und über dem Positronikpult tauchte eine Reihe von Hologrammen auf. Eins davon zeigte die Erde, wie von Silikor sie schon am Abend zuvor im Homer's Odyssee gesehen hatte. Hinter ihm ertönte ein Pfiff.
Endo Kalkiris kauerte so tief in seinem Sessel, dass ihn von Silikor beim Eintreten gar nicht bemerkt hatte. Nun starrte der Pilot der EUPHORION mit großen Augen auf die kleine Holowolke. Seine schwarzen Kraushaare standen wie üblich nach allen Richtungen ab, und die knollenartige Nase erinnerte an eine Cartoonfigur.
»Ist das das, was ich glaube, dass es ist?«, fragte er.
»Das ist die Erde«, bestätigte von Silikor.
Kalkiris schnalzte mit der Zunge. »Und wir fliegen hin?«
»Sofern Hilly es schafft, die Route durch die Granulenfelder ...«, setzte von Silikor an.
»Sie schafft es!«, unterbrach ihn die Terranerin selbstbewusst.
Gleichzeitig erloschen die meisten der zuerst erschienenen Projektionen und machten ein paar neuen Platz. Zu sehen war nun die dreidimensionale Darstellung eines Sonnensystems. Der Zentralstern und seine acht Begleiter waren von dichten Wolken eingehüllt, die weit über die astronomischen Grenzen des Systems hinausreichten. Granulenfelder! Dazwischen verliefen einige dünne Linien in erratischen Bögen und Schleifen. Alle endeten im Orbit des dritten Planeten, der von einem einzelnen Mond umlaufen wurde.
»Verdammt!«, stieß Kalkiris hervor. »Ist das echt?«
»Ich hoffe es«, gab von Silikor wider besseres Wissen zurück.
»Schick es mir rüber, Hillybilly!« Kalkiris rutschte in seinen Sessel zurück und ließ die Hände über die Bedienungselemente seines Positronikpults fliegen.
Hilly grunzte unwillig, folgte der Anweisung jedoch. Kalkiris machte sich des Öfteren einen Spaß daraus, sie mit diversen Variationen ihres Namens zu provozieren. Hilma nannte er sie jedoch nie.
Von Silikor wartete, während sich sein Pilot mit den Daten vertraut machte. Dabei trafen Saulon da Rebruk und Ymma Kern ein, die Frühschicht begann bald.
Der Arkonide, ein Positroniker und Situationsanalyst, erfasste wie stets sofort, was vor sich ging, sagte jedoch nichts. Seine polierte Glatze glänzte sogar im gedämpften Licht der Zentrale.
Kern stammte von Siga und war auf der EUPHORION als Chefingenieurin für die gesamte Technik verantwortlich. Ob das der Grund für ihre anhaltend schlechte Laune war, versuchte von Silikor zu ergründen, seit sie sich der kleinen Crew vor einigen Jahren angeschlossen hatte. Kern war Pessimistin aus Überzeugung und eine Frau, die den Drang verspürte, Probleme zu lösen, bevor sie entstanden. Gleichzeitig übertrafen ihre Qualifikationen alles, was der Halbakone jemals gesehen hatte.
Pa-Fenk betrat die Zentrale wie immer als Letzter und nur wenige Sekunden vor Dienstbeginn. Manchmal vermutete von Silikor, dass Pa-Fenk vor dem Schott wartete, bis es so weit war, nur um etwas zu beweisen – was auch immer das sein sollte.
Der Ferrhiane war der Funk- und Ortungsoffizier des Frachters. Er sah niemanden direkt an und stellte sich grußlos hinter seine Arbeitskonsole. Seine verstümmelten Flügel verbarg er wie gewohnt unter einem bis zur Körpermitte reichenden Umhang.
»Wir fliegen zur Erde!«, platzte Endo Kalkiris heraus. Dann wandte er sich von Silikor zu. »Das sieht gut aus, Meister. Die Koordinaten stimmen mit denen der Kalmenzone überein. EPM-Skalierung, Signallaufzeiten, Ablaufkoordination, sensorische Parameter ... Passt alles zusammen. Wann starten wir?«
Von Silikor seufzte innerlich. Okay, der Thesaurus war so perfekt gemacht, dass er sogar einen Piloten und Astrogatoren täuschte. Trotzdem konnte die Karte nicht echt sein. Warum hätte diese Anthana ihn denn sonst unter Drogen gesetzt?
Vielleicht wollte sie nur keine Zeit verlieren und deine zu erwartende Skepsis zerstreuen, überlegte er. Komm schon! Denk positiv!
»Woher hast du das Ding?« Es war Saulon da Rebruk, der die offensichtliche Frage stellte. Natürlich. Wer anders?
»Das verrate ich euch später.« Naumann von Silikor holte tief Luft. »Wir brechen sofort auf. Es ist nicht auszuschließen, dass es mehrere Kopien der Karte gibt. Wir müssen uns also beeilen.«
Und nun lüge ich auch noch meine eigene Mannschaft an, dachte er niedergeschlagen. Meine Freunde! Die letzten, die mir noch geblieben sind ...
3.
Naumann von Silikor
Drion
»Die ist rot!« Hilly sprach aus, was alle sehen konnten.
Der Feuerball, der vor ihnen im Panoramahologramm leuchtete, war keine gelbe Normalsonne wie das Muttergestirn der Erde, sondern ein Roter Zwerg. Spektralklasse K mit einer Oberflächentemperatur von dreitausend Kelvin, wie rund siebzig Prozent aller Sterne in der Milchstraße. Man musste kein Astronom sein, um sofort zu erkennen, dass das nicht Sol war, zumal die Zwergsonne nur einen einzigen Planeten hatte.
Naumann von Silikor wusste, dass jeder in der Zentrale auf einen Kommentar von ihm wartete. Er musste etwas sagen. Die EUPHORION hatte die Strecke von 71 Lichtjahren nur unter lautstarkem Protest bewältigt. Kuul Metego, der Schiffsgärtner, hatte sich dreimal gemeldet und zusätzliche Orientierungsstopps gefordert, weil das Gyps seines Flaschengartens nicht gut aussah. Angeblich stimmte etwas mit dem Nährstoffhaushalt der Wurzeln nicht. Von Silikor hatte nicht so genau hingehört – und Metegos Wunsch dreimal abgelehnt.
Kuul Metego war ein Ara, und ihn schweigsam zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Er verbrachte so gut wie jede Minute in der Nähe seines Gartens, für den einer der Frachträume reserviert worden war. Der Schiffsgärtner beanspruchte nicht mal eine Kabine, weil er sich inmitten seiner Gypspflanzen am wohlsten fühlte und häuslich eingerichtet hatte.
»Ja, das ist sie«, sagte von Silikor. »Sie ist rot.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Hilly.
Schwang da ein Vorwurf in ihrer Stimme mit? Ahnte sie, dass er das alles vorausgesehen hatte? Dass ihm von Beginn an klar gewesen war, dass der Thesaurus, für den er seine letzten Finanzreserven geopfert hatte, nicht die Kristallgitter wert war, auf denen die Positionsdaten gespeichert waren?
»Na was schon?«, antwortete von Silikor. »Wir sehen uns um. Endo – bring uns näher an den Planeten ran. Langsam und vorsichtig.«
»Anders als langsam kann unser stolzes Schiffchen ohnehin nicht mehr, Meister«, gab Kalkiris zurück.
»Ja, ich weiß.« Von Silikor wollte nicht wütend werden; schließlich war er es, der sie in diesen Schlamassel gebracht hatte. »Das ist zwar nicht das, was wir erwartet haben. Aber ... möglicherweise gibt es auf dem Planeten ja doch etwas, das uns nützt.«
»Ein paar Hyperkristalle für das Sprungtriebwerk wären schön«, mischte sich Ymma Kern ein. »Oder Feldleiter und Positronikknoten für die Reaktoren. Oder ...«
»Danke, Ymma!«, unterbrach der Kapitän die Chefingenieurin lauter als beabsichtigt. »Ich hab's kapiert! Man hat mich übers Ohr gehauen! Und ich habe für diese Erfahrung zudem mit unseren letzten fünfhundert Krediten bezahlt ...«
Mehrere Sekunden lang war nur das Knacken und Klopfen erkaltenden Metalls und in Bewegung befindlicher Hüllenelemente zu hören. Die Blicke der anderen schienen Löcher in Naumann von Silikors Körper zu brennen. Warum sagten sie nichts? Warum schrien sie ihn nicht an und beschimpften ihn als das, was er war? Ein schlechter Kapitän. Ein lausiger Geschäftsmann. Ein armseliger Menschenkenner. Alles wäre besser gewesen als diese furchtbare Stille.
»Das war unser letztes Geld«, sagte Saulon da Rebruk schließlich. Er führte unter anderen die Geschäftsbücher der Von Silikor Forwarding Enterprises. Es war eine Feststellung, keine Anklage.
Dennoch traf der Satz den Halbakonen wie ein Schlag in die Magengrube. »Es ... Es tut mir leid«, brachte von Silikor kaum hörbar heraus. Bei allen Sternengöttern ... Das klang so furchtbar erbärmlich!
Er spürte, wie sich eine kleine Hand in seine schob, und senkte den Kopf. Cleo blickte zu ihm auf und lächelte. Für einen Moment fühlte er sich besser; dann kam die Scham mit doppelter Wucht zurück. Bestimmt hatte seine Tochter alles mitbekommen – und er hatte sie schon so oft enttäuscht.
»Was tust du hier, mein Schatz?«, fragte er heiser. Dann bemerkte er, dass sie wieder mal keine Schuhe trug. »Du wirst dich noch erkälten«, fügte er hinzu.
Als er sie hochhob, um sie zu seinem Kapitänssessel hinüberzutragen, erschrak er. Hatte Cleo erneut Gewicht verloren? Das dünne, weiße Kleid hatte ihr vor ein paar Monaten noch gepasst. Nun schlotterte es wie ein übergroßes Bettlaken um ihren Körper.
»Ich will dabei sein, Dai«, antwortete sie. »Auch wenn es nicht die Erde ist.« Wie immer benutzte sie die Koseform für »Daiani«, das akonische Wort für Vater.
Kern hatte von irgendwoher eine Decke besorgt und wickelte sie um die nackten Füße des Mädchens. Cleos neuerliches Lächeln drang mühelos durch den Panzer der Siganesin. Es war ein seltenes Ereignis, wenn die Chefingenieurin die Mundwinkel verzog. Cleo war die Einzige an Bord, die Kern jederzeit dazu bringen konnte.
»Einverstanden«, sagte von Silikor. »Aber nur, wenn du brav bist.«
»Ach Dai!« Cleo hob vorwurfsvoll die Augenbrauen und sah auf einmal schrecklich alt aus. »Ich bin acht. Da ist man nicht mehr brav. Wie lange willst du mich noch wie ein kleines Kind behandeln?«
Wenn es nach mir ginge, mindestens für die nächsten hundert Jahre, dachte Naumann von Silikor. Aber das sprach er natürlich nicht aus.
»Vier Kontinente, die durch relativ flache Ozeane getrennt sind«, erläuterte Pa-Fenk die Ortungsergebnisse, die von der Positronik aufbereitet worden waren. Unter seinem Umhang konnte man erkennen, wie sich die Flügelstummel hektisch bewegten.
Die EUPHORION hatte sich der fremden Welt bis auf gut tausend Kilometer genähert. Das primäre Außenbeobachtungshologramm flackerte immer wieder, was nicht an mangelndem Datendurchsatz lag, sondern den altersschwachen und schon Dutzende Male geflickten Projektoren geschuldet war.
Naumann von Silikor hatte Cleo gebeten, dem Planeten einen Namen zu geben. Darüber hatte sie sich sehr gefreut und sich für Drion entschieden. Im Akonischen war dies das Wort für Himmel. Er hatte seiner Tochter schon oft von der Sonne Akon, von Drorah, ihrem wichtigsten Begleiter, und den Bewohnern des Blauen Systems erzählt. Die Akonen, die man in der Lokalen Blase traf, sehnten sich fast alle nach der alten Heimat, doch die lag seit der Symaios unerreichbar weit entfernt.
»Ein typischer Klasse-Eins-Planet«, sprach der Ferrhiane weiter. »Berge, ausgedehnte Waldgebiete, ein paar vereinzelte Wüsten. Üppige Flora und Fauna, aber keinerlei Anzeichen für intelligentes Leben. Die Lufthülle besteht aus siebzig Prozent Stickstoff und fünfundzwanzig Prozent Sauerstoff. Der Rest ist Kleckerkram.«
»Kleckerkram wie Kohlendioxid, Blausäure und Schwefelwasserstoff?«, fragte Ymma Kern spöttisch.
»Nein, Klugscheißerin«, erwiderte Pa-Fenk. »Kleinigkeiten wie Methan, Ozon und diverse Fluorkohlenwasserstoffe. Du stirbst eher an dem Gift und der Galle, die du spuckst, als an Drions Atmosphäre.«
»Können wir landen?«, fragte von Silikor ungeduldig.
»Klar«, übernahm Endo Kalkiris die Antwort. »Ich kann allerdings nicht garantieren, dass wir danach wieder starten können, Meister. Die Steuereinheiten für die Antigravkontrolle fallen immer wieder aus, und die Magnetfelder für die Plasmazuführung der Schubdüsen arbeiten nur noch, wenn sie gerade Lust haben.«
»Ist das meine Schuld?«, empörte sich Ymma Kern. Wie so häufig fasste sie jede Erwähnung der maroden Technik des Frachters als persönlichen Angriff auf.
»Nein. Habe ich ja auch nicht behauptet, meine Schöne.« Kalkiris zuckte mit den Schultern. »Ich stelle lediglich Tatsachen fest.«
Von Silikor presste die Lippen aufeinander. Eine Expedition mit dem einzigen Beiboot der EUPHORION war unmöglich. Die im Hangar liegende ELYSION war ein Wrack. Im Laufe der Jahre hatten sie das Raumfahrzeug aller verwertbarer Teile beraubt und diese für den Frachter selbst genutzt.
»Na gut!«, stieß er hervor. »Dann werden wir ...« Er kam nicht mehr dazu, den anderen seine Pläne mitzuteilen.
Denn in diesem Moment heulte der Ortungsalarm durch die Zentrale, brach kurz ab und setzte dann wieder ein. Sekunden später schlug ein blassroter Energiestrahl in den Schutzschirm der EUPHORION. Die Belastungsanzeige sprang sofort von null auf zweihundert Prozent, und das Abwehrfeld kollabierte.
Der Frachter schüttelte sich wie ein Rimpott nach dem Regen. Zwei dumpfe Schläge ertönten. Die Luft knisterte plötzlich vor Elektrizität. Winzige, blaue Entladungen tanzten über von Silikors Arme.
»Weg hier!«, brüllte der Kapitän.
»Können vor Lachen!«, brüllte Kalkiris zurück.
Von Silikor drehte sich zu Cleo um. Das Mädchen war kaum zu erkennen, weil aus zwei Positronikkonsolen weißer Rauch quoll und sich in der Zentrale ausbreitete. Die automatische Absaugung war offenbar defekt.
Als Cleo seine Blicke bemerkte, hob sie eine Hand und streckte den Daumen nach oben. Eine typisch terranische Geste.
»Wir stürzen ab.« Hilly wirkte nicht im Mindesten beunruhigt.
Vielleicht lag das am Alter. Von Silikor schätzte sie auf mehr als hundert Jahre.
Die Bordschwerkraftgeneratoren der EUPHORION zeigten Fehlfunktionen. Der Boden der Zentrale war auf einmal eine Schräge, und von Silikor musste sich an der Lehne seines Sessels festhalten, um nicht wegzurutschen. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass sich Cleo angeschnallt hatte.
Kluges Kind, dachte er, während der Frachter in immer steilerem Winkel der Oberfläche von Drion entgegenstürzte und sich in einen flammenden Glutball verwandelte. So viel klüger als ihr Vater ...
Endo Kalkiris malträtierte sein Positronikpult mit den Fäusten. Die Flüche, die er dabei ausstieß, waren bestimmt nichts für Kinderohren. Von Silikor würde mit ihm darüber sprechen müssen – sofern sie das Ganze überlebten.
Langsam, viel zu langsam, richtete sich der Bug der EUPHORION wieder auf. Das Fauchen und Rauschen, das aus den Akustikfeldern der Außenmikrofone drang, wurde ein wenig leiser, und vorübergehend erlaubte sich der Kapitän die Hoffnung, dass sein Raumschiff nicht auseinanderbrechen und in der Atmosphäre eines unbekannten Planeten verglühen würde.
Erneut spürte er eine Berührung an seiner Hand. Cleo hatte sie erfasst und zog ihn zu sich. Seine Tochter öffnete ihre Sicherheitsgurte. Naumann von Silikor packte Cleo, ließ sich in ihren Sessel fallen, drückte sie an sich und schloss die Gurte wieder.
»Hab keine Angst, mein Schatz«, flüsterte er ihr ins Ohr, während ihn ihre langen, kupferfarbenen Haare im Gesicht kitzelten. »Dir kann nichts passieren. Ich werde dich beschützen.«
4.
Naumann von Silikor
Die Smaragdgruft
Die Landung war hart gewesen, aber die EUPHORION existierte noch in einem Stück. Es war Endo Kalkiris im letzten Moment gelungen, den Frachter halbwegs zu stabilisieren. Noch während des Anflugs hatte Pa-Fenk eine schwache Energieemission geortet. Sie war aus der Richtung eines lang gezogenen Gebirgskamms gekommen und der Pilot hatte es geschafft, das angeschlagene Raumschiff auf einem flachen Felsplateau dort in der Nähe aufzusetzen. Kapitän von Silikor musste sich eingestehen, dass es einen Zeitpunkt gegeben hatte, an dem er das nicht mehr für möglich gehalten hätte.
In den nachfolgenden Stunden hatten sie die Schäden begutachtet und eine Liste der notwendigen Reparaturen erstellt. Es war eine lange Liste geworden. Und die Hälfte der darauf notierten Ausbesserungen konnten sie nicht verwirklichen, weil Ersatzteile und Werkzeuge fehlten.
Ymma Kerns Laune befand sich deshalb im Keller, und sie wäre Kalkiris wegen einer seiner spitzen Bemerkungen beinahe an die Gurgel gegangen. Naumann von Silikor und Saulon da Rebruk mussten gemeinsam eingreifen, um die Chefingenieurin zu bändigen. Immerhin begriff Kalkiris, dass er diesmal zu weit gegangen war, und bat bei der Siganesin um Entschuldigung. Kern bedankte sich im Gegenzug dafür, dass er ihr mit seinen Pilotenkünsten das Leben gerettet hatte, und die Wogen glätteten sich.
Am nächsten Morgen setzte von Silikor zwei ihrer fünf noch einsatzfähigen Roboter in Marsch, um der Quelle der geheimnisvollen Energieemission auf den Grund zu gehen. Die Maschinen entdeckten eine Höhle, die tief in die Gebirgsregion hineinführte. Als die Funksignale der Roboter beim weiteren Eindringen immer schwächer wurden, beorderte der Kapitän sie zurück und stellte eine Expedition aus Saulon da Rebruk, zwei weiteren Männern der Schiffsbesatzung und sich selbst zusammen.
Gerade als sie losgehen wollten, tauchte Cleo auf. Von Silikor trug bereits seine klobige Schutzmontur und arbeitete die letzte positronische Prüfliste ab, als das Mädchen plötzlich mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihm stand.
»Ich will mit!«, rief Cleo.
»Das geht nicht, mein Schatz«, lehnte er ab. »Das weißt du ganz genau.«
»Ich bin acht Jahre alt und ...«, empörte sich Cleo.
Ihr Vater ließ sie nicht ausreden. »... kein Kind mehr«, vervollständigte er ihren Satz. »Das hast du mir bereits oft genug gesagt. Trotzdem bist du viel zu jung, um an einem Außeneinsatz in unbekanntem Terrain teilzunehmen – und wie ich bereits erwähnt habe: Das weißt du auch!«
»Das ist nicht fair!« Cleo stampfte mit dem Fuß auf.
Unglaublich, wie viel Wut in diesem kleinen, kranken Körper stecken kann!, dachte von Silikor.
Er ging in die Knie und fasste seine Tochter an den Schultern. Sie wollte sich losreißen, doch das ließ er nicht zu, was sie nur noch zorniger machte.
»Bitte, Cleo.« Er setzte ihrem kindlichen Trotz ein väterliches Lächeln entgegen. »Sei vernünftig. Da draußen ist es viel zu gefährlich. Sobald wir die Gegend erkundet und gesichert haben, werden wir zwei einen Ausflug machen, einverstanden? Nur du und ich.«
»Aber mir ist jetzt langweilig.«
»Dann hilf Ymma bei den Reparaturen. Da kannst du etwas lernen, und später ...«
Diesmal gebärdete sie sich so heftig, dass er sie losließ, um sie nicht zu verletzen. Sie war so erschreckend schmal und zerbrechlich.
»Später, später, später!«, rief sie mit erstickter Stimme. »Das sagst du immer! Aber später ist vielleicht irgendwann zu spät!«
Ohne sich noch mal umzudrehen, rannte sie davon. Ihr Schluchzen hallte noch durch den Korridor, als sie schon längst nicht mehr zu sehen war. Von Silikor blickte ihr trotzdem hinterher, und mit jedem Meter, den sie sich von ihm entfernte, wurde sein Herz ein bisschen schwerer.
Als er neben sich eine Bewegung erkannte, drehte er den Kopf.
Da Rebruk legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sie wird es verstehen«, sagte der Arkonide leise.
Naumann von Silikor nickte, aber tief in seinem Innern war er davon ganz und gar nicht überzeugt.
Sie folgten der Höhle rund einen Kilometer in den Berg hinein. Dann wurde es ... seltsam. Da war Gyps. Unmengen von Gyps. Die in der gesamten Lokalen Blase verbreitete Blumenpflanze hieß wissenschaftlich »Gypsophila emollira«. Sie ähnelte terranischem Schleierkraut und war doch etwas völlig anderes.
»So viel von dem Zeug hat nicht mal Kuul in seinem Garten«, stellte da Rebruk fest. »Ich frage mich, wie das hier unten wachsen kann.«
»Gyps wächst überall«, gab von Silikor zurück. »Das muss ich dir doch nicht erklären, oder?«
»Nein. Aber schau dir die Farbenpracht der Blüten an! Und die Wurzeln ...« Der Arkonide riss eine Handvoll der Pflanzen vom felsigen Untergrund.
Tatsächlich hatten sie ungewöhnlich kräftige Fasern und Knollen. Viel voller und ausentwickelter als jene Gewächse, die Kuul Metego in seinen Zuchtbeeten hielt und mit teurer Nährlösung päppelte.
»Gehen wir weiter«, sagte von Silikor nur. Er kannte sich mit diesem Zeug nicht besonders gut aus. Dafür bezahlte er schließlich seinen Schiffsgärtner.
Nach einer weiteren halben Stunde öffnete sich der von Gyps zugewucherte Gang, durch den sie sich mithilfe von Vibromessern und Desintegratoren einen Weg bahnten, und entließ sie in einen riesigen Felsendom. Die vier Männer blieben wie vom Donner gerührt stehen.
»Was ... Was ist das?« Da Rebruks Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Von Silikor atmete schwer. Konnte das wahrhaftig sein? War seine Pechsträhne tatsächlich beendet? Er wagte nicht, sich zu rühren – aus Angst, er träume das alles nur und eine unbedachte Geste, das gedankenlose Zucken eines Muskels, könne ihn aus dem Schlaf reißen.
Auch der Felsendom war vom Gyps überwuchert. Aber da war noch mehr. Zwischen den Blüten und Blättern entdeckte der Kapitän technische Anlagen. Und in deren Zentrum ... einen giftgrünen Quader. Er wurde von transparenten Schläuchen umrahmt und von metallischen Spangen in der Schwebe gehalten.
Von Silikor trat einen Schritt tiefer in die Höhle. Sie löste sich nicht auf, und er erwachte auch nicht schweißgebadet in seinem Bett an Bord der EUPHORION. Das war alles ... echt.
Dann sah er den Fremden. Humanoid. Menschlich. Und anscheinend gefangen in dem grünen Quader, der den Kapitän mehr und mehr an einen Sarg erinnerte.
Es war ein Mann mit kurzen, dunkelblonden Haaren und einem schmalen, markanten, fast hageren Gesicht. Durch das transparente Material des Behältnisses erkannte von Silikor eine kleine Narbe am rechten Nasenflügel. Der Fremde trug eine Art Schutzanzug und hatte die Augen geschlossen.
»Ist das ...?«, setzte Saulon da Rebruk an.
5.
Naumann von Silikor
Der Fremde
»Wer mag das sein?«
Naumann von Silikor und Saulon da Rebruk standen nebeneinander vor dem Smaragdsarkophag. So hatte der Halbakone den Quader jedenfalls getauft. Gemeinsam starrten sie auf den schlafenden Fremden.
Sie hatten weitere Besatzungsmitglieder der EUPHORION herbeigerufen und die Kaverne gründlich durchsucht, jedoch nichts Neues gefunden. Die technischen Anlagen waren ohne entsprechendes Spezialwerkzeug unzugänglich. Und von Silikor schreckte allerdings ohnehin davor zurück, die spiegelglatten Verschalungen der Aggregate mit Gewalt zu öffnen. Ymma Kern hatte alles eingehend begutachtet und dann offen zugegeben, dass sie keine Ahnung hatte, was diese Maschinen taten. Sie wusste nicht mal, ob sie arbeiteten oder desaktiviert waren.
»Meine Instrumente zeigen nur minimale Energieströme an«, hatte sie frustriert berichtet. »Das könnte daher rühren, dass die Impulsleitungen hervorragend abgeschirmt sind. Oder nur noch eine Restleistung führen, weil die ganze Anlage auf Bereitschaft geschaltet ist. Mit den verfügbaren Messgeräten kann ich das aber nicht feststellen.«
Inzwischen hatte auch Nadula Synfergen ihre Begutachtungen abgeschlossen. Die Medizinerin der EUPHORION war eine gertenschlanke Plophoserin mit den typischen Katzenaugen ihres Volkes. Von Silikor hatte sie angewiesen, den Smaragdsarkophag und die darum herum installierten Apparate auf keinen Fall zu berühren, was die Ärztin mit einem spöttischen Lachen quittiert hatte.
»Meinst du das ernst?«, hatte sie aufbegehrt. »Ich soll einen Patienten untersuchen und darf ihn nicht anfassen? Wie stellst du dir das vor?«
»Das ist kein Patient«, hatte von Silikor erwidert. »Ich will lediglich wissen, ob der Mann noch lebt, und wenn ja, in welchem Zustand er sich befindet. Wir wissen nichts über die hier verbaute Technik, und ich will vermeiden, dass wir etwas in Gang setzen, das wir danach nicht mehr stoppen können.«
Synfergen hatte nur ein Schnauben ausgestoßen und dann einen mobilen Scanner aufgebaut. Das Gerät wies zahlreiche Dellen und Flecken auf und war an mehreren Stellen mit Draht und Klebeband geflickt. Eine der Metallstützen, mit denen man es auf dem Boden verankerte, war eingeknickt, was die Konstruktion bei der kleinsten Erschütterung ins Schwanken brachte.
Von Silikor dankte den Sternengöttern, als die Medikerin ihre Instrumente endlich wieder einpackte, ohne dass sie auf den Sarkophag gekracht waren.
»Also?«, fragte er, als Synfergen schweigend vor ihm stand.
»Er lebt«, sagte sie nach einer langen Pause. »Und er ist ein Terraner.«
Von Silikor wartete eine Weile. Dann seufzte er. »Kannst du mir auch etwas sagen, was ich noch nicht weiß oder mir zumindest denken kann?«, hakte er nach, wobei er sich gar nicht erst bemühte, seine Unzufriedenheit zu verbergen.
»Er ist bei bester Gesundheit. Zumindest nach allem, was ich kontaktlos feststellen kann. Und er liegt in einem stasisähnlichen künstlichen Koma. Seine Körperfunktionen sind auf ein absolutes Minimum reduziert. Sogar die zerebralen Deltawellen sind kaum messbar.«
»Kannst du ihn aufwecken?«
»Wenn ich ihn berühren darf ... wahrscheinlich. Aber mit Sicherheit kann ich das erst sagen, wenn ich ihn mir in meiner Krankenstation genauer angesehen habe.«
»Okay.« Von Silikor kratzte sich am Kopf. »Ich ziehe es in Erwägung.«
Nadula Synfergen zuckte mit den Schultern und rückte ab.
»Hast du das Material des Sarkophags analysiert?«, wandte sich der Halbakone als Nächstes an da Rebruk.
Der Arkonide senkte bestätigend den Kopf und zog aus einer Gürteltasche seines Einsatzanzugs eine kleine, flache Handpositronik hervor. »Die Ergebnisse der Laboruntersuchung sind gerade eingetroffen.« Er aktivierte ein paar Hologramme, die sich zwischen ihm und von Silikor aufbauten. »Wir haben es mit einer molekular verdichteten Kristallgitterstruktur zu tun. Die grüne Farbe kommt durch Einbringungen von Chrom und Vanadium. Das führt zu einer festeren Bindung zwischen den Valenzelektronen und ...«
»Verschone mich mit deinem wissenschaftlichen Kauderwelsch«, fiel von Silikor ihm ins Wort. »Ich will nur eins wissen: Ist das Zeug wertvoll?«
Da Rebruk wirkte für einen Moment irritiert. Dann legte er den Kopf schief. »Nein.«
»Na wunderbar!« Von Silikor trat einen Schritt auf den Sarkophag zu. »Und ich dachte schon, wir hätten ausnahmsweise mal etwas Glück. Sag mir die Wahrheit, Saulon: Habe ich ein Schild auf dem Rücken, auf dem steht: ›Hey, Schicksal – tritt mir in den Hintern! Und zwar kräftig und so oft wie möglich!‹?«
Der Arkonide machte erneut einen verwirrten Eindruck. »Nein«, wiederholte er dann zögerlich. »Ich kann kein Schild erkennen. War da mal eins? Dann ist es mir noch nie ...«
»Das war eine rhetorische Frage, herrje!«, stieß von Silikor hervor. »Bei allen Göttern Arkons, du bist humorloser als ein ferronischer Staubkuchen.«
Da Rebruk schien das als Kompliment aufzufassen, denn er verneigte sich – bei seinem Volk nicht nur eine Geste des Respekts, sondern auch der Dankbarkeit.
Der Kapitän der EUPHORION trat einen weiteren Schritt an den Fremden heran. Dessen Züge wirkten entspannt, doch sein Brustkorb hob und senkte sich nicht. Deshalb – und wegen der energetischen Flaute der in der Höhle installierten Aggregate – hatte von Silikor zunächst angenommen, es mit einer Leiche zu tun zu haben. Die Smaragdgrüfte waren der Stoff von Legenden. Niemand wusste, wer sie errichtet hatte und welchem Zweck sie dienten. Vielleicht handelte es sich tatsächlich bloß um banale Grabstätten, und die Geschichten über grenzenlose Macht und unermesslichen Reichtum, die man dort angeblich erlangen konnte, waren nichts als das: Geschichten.
Wie lange mochte der Fremde wohl schon in dem Sarkophag liegen? Hilly hatte die Ortungsdaten ausgewertet, die während des Angriffs auf die EUPHORION aufgezeichnet worden waren. In den aufbereiteten Holos war eine Art Raumfort zu erkennen. Es schwebte in einem stationären Orbit ziemlich genau über der Kaverne mit der Samaragdgruft. Hatte es die Aufgabe, den Mann, der darin schlief, zu schützen? Laut Hilly musste das Fort ziemlich alt sein, denn wenn es voll funktionsfähig gewesen wäre, würde die EUPHORION nicht mehr existieren.
»Der Waffenstrahl, der uns erwischt hat, war fast schon lächerlich leistungsschwach«, hatte die Erste Offizierin behauptet. »Mit einem vernünftigen Schutzschirm hätten wir den Treffer wahrscheinlich nicht mal bemerkt.«
Wer bist du?, fragte sich Naumann von Silikor zum wiederholten Mal.
»Naumann«, hörte er in diesen Moment Saulon da Rebruks Stimme hinter sich. »Kuul will sich den Gyps in der Höhle persönlich ansehen. Er sagt, er hätte noch niemals so prächtig blühende Gypsophila emollira gesehen.«
Von Silikor wollte sich umdrehen und dem Wunsch seines Schiffsgärtners mit einem »Meinetwegen« entsprechen, stieß dabei jedoch mit dem linken Fuß gegen des Sockel des Sarkophags und drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Reflexartig suchten seine Hände nach Halt – und fanden den transparenten Deckel des grünen Quaders. Mit einem dumpfen Klatschen schlugen seine Handflächen auf das Material.
Augenblicklich erloschen alle Scheinwerfer, die sie in den zurückliegenden beiden Stunden in der Grotte aufgestellt hatten. Es wurde stockdunkel. Doch nur für einen Atemzug. Dann ertönte ein lauter, in den Ohren schmerzender Signalton – und der Smaragdsarkophag erstrahlte in blendend hellem, grünem Licht.
Anschließend war auf einmal ein Brummen in der Luft. Ein unglaublich tiefer Ton, den man mehr spürte als hörte. Naumann von Silikor stieß sich hastig von dem leuchtenden Ding ab und brachte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Smaragdsarkophag.
Was habe ich angerichtet? Es gab für ihn keinen Zweifel, dass seine Berührung des Quaders für die plötzlichen Phänomene verantwortlich war.
Auch die anderen Besatzungsmitglieder der EUPHORION, die sich in der Höhle aufhielten, suchten schleunigst das Weite. Nur Saulon da Rebruk rührte sich nicht von der Stelle. Stocksteif stand er da und hatte den Blick starr auf den Sarkophag gerichtet.
»Saulon!«, rief von Silikor. »Mach, dass du da wegkommst!«
Doch der Arkonide reagierte nicht.
Verdammt!, fluchte der Kapitän – und rannte los, zurück in Richtung Quader. Wenn ihm etwas zustößt, ist es meine Schuld. Ich kann ihn nicht einfach zurücklassen ...
Von Silikor war noch nie ein besonders mutiger Mann gewesen. Er war sogar eher ein Feigling. Allein die Angst davor, dass ihn seine Gläubiger eines Tages ausfindig machen könnten, hatte ihn schon manche schlaflose Nacht gekostet. Die Inkassoabteilung der Mehandorgeldverleiher galt nicht nur als äußert erfolgreich, wenn es um das Aufspüren säumiger Zahler ging, sondern auch als überaus kreativ, was das Motivieren der betreffenden Schuldner betraf, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Im Moment kannte der Halbakone bloß eine einzige Strategie, mit denen er ihnen im Fall der Fälle begegnen konnte: um Gnade winseln ...
In diesem Moment jedoch ... überwand er sich. Da Rebruk war nicht irgendein beliebiges Mitglied des Schiffspersonals, sondern sein Freund. Also musste er ihm helfen.
Naumann von Silikor schirmte die Augen mit dem Arm ab. Das grüne Leuchten war noch mal intensiver geworden. Allerdings ging keinerlei Hitze von ihm aus.
Und hoffentlich auch keine gefährliche Strahlung.
Zwischen dem blühenden Gyps waren winzige Lichtpunkte erschienen. Die eben noch ruhende Technik schaltete sich ein, und zahllose Kontrolllämpchen zeigten an, dass sie bereits ihre Arbeit verrichtete.
Von Silikor erreichte den Arkoniden und versuchte, ihn mit sich zu ziehen..
Aber da Rebruk widersetzte sich. »Schau doch«, sagte der Arkonide, ohne den Blick vom Sarkophag zu wenden. »Es besteht keine Gefahr ...«
Woher Saulon da Rebruk seine Zuversicht nahm, blieb dem Kapitän schleierhaft. Zwar war das Leuchten wieder schwächer geworden, doch zu dem Brummen hatten sich inzwischen weitere Geräusche gesellt. Es zischte, klapperte und knisterte so laut, dass sich im Vergleich selbst die EUPHORION in vollem Flugbetrieb flüsterleise angehört hätte.
Als übergangslos absolute Stille einsetzte, glaubte von Silikor zunächst, dass durch den Lärm sein überbeanspruchtes Trommelfell geplatzt sei. Doch dann nahm er ein schnell anschwellendes Rascheln wahr. Als er den Kopf senkte, sah er das Gyps.
Die Flora hatte nicht nur die Technik rund um den Quader überwuchert, sondern teilweise auch den Smaragdsarkophag selbst. In der Höhle ging kein Wind, weshalb sich von Silikor fragte, was das Rascheln und die Bewegung der Blüten und Blätter verursachte. Vielleicht vibrierten die angelaufenen Maschinen. Ja, das war eine logische Erklärung.
Dann bemerkte er, dass sich die größten und kräftigsten der Gewächse wie Kletterpflanzen an dem sargähnlichen Behälter emporschoben. Von einem derart aktiven Verhalten des Gyps hatte er noch nie gehört.
Ich brauche Kuul, dachte er. Er ist der Experte für das Zeug.
Er wollte gerade per Funk Verbindung zu dem Ara aufnehmen, als etwas geschah, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Streng genommen hatte er es erwarten müssen, aber nun, da es tatsächlich passierte, fuhr ihm eisiger Schrecken in die Glieder.
Der Fremde öffnete die Augen!
Gleichzeitig flimmerte die transparente Abdeckung des Sarkophags ... und löste sich in Hunderte von kleinen Splittern auf, die wie Ascheflocken der Höhlendecke entgegenstrebten.
Naumann von Silikor verspürte erneut den übermächtigen Drang, davonzulaufen. Doch diesmal waren seine Beine wie gelähmt. Lief die Bildübertragung noch? Bekamen Hilly und die anderen in der Zentrale der EUPHORION mit, was in der Grotte vor sich ging?
Der Fremde war wach. Er stützte sich auf die Ellbogen, räusperte sich und richtete den Oberkörper auf. Von Silikor kam nicht umhin festzustellen, dass er ausgesprochen muskulös und durchtrainiert wirkte. Sein Anzug erinnerte an klassische Schutzmonturen, sah allerdings erheblich besser aus als die entsprechenden Exemplare an Bord des Frachters.
Der Blick der graublauen Augen des Fremden huschte aufmerksam umher und blieb schließlich an dem Halbakonen hängen. Aus dem Sarkophag drang weißes Licht, das die Konturen des Manns umspielte und deutlicher hervortreten ließ. Noch immer lösten sich kleine Stücke des Quaders und schwebten davon.
6.
Perry Rhodan
Erwachen
Er fühlte sich wohl. Warm und geborgen. Allerdings konnte er sich nicht bewegen. Schlief er, und das war ein Traum? Die Gedanken in seinem Kopf flatterten ungeordnet hin und her. Er musste sie zunächst mal einfangen und ordnen.
Was war das Letzte, an das er sich erinnerte? Ein Albtraumszenario, die Nachtschiffe überall im Solsystem. Die Pseudoasteroiden, die auf die Erde zurasten und den Planeten zu verwüsten drohten. Doch dann ... hatten sie sich aufgelöst. Die Schiffe, die Asteroiden. Alle waren zu Traum-Asche geworden. Und auf die Welten der Menschen war schwarzer Schnee gefallen.
Aber da war noch mehr gewesen. Der Zyklon über dem Altiplano. Gigantische Blitze, die über die berühmte Hochebene in Bolivien zuckten. Und ... der kochende Zeitbrunnen. Seine von unbekannten Kräften aufgepeitschte Oberfläche saugte den mit Traum-Asche versetzten Niederschlag und die Reste von Catrons Wissensscherben in sich hinein.
Schreie! Panisch ... schrill. Die Todesschreie von Laumae. Nein ... von Primat. Er hatte zu spät begriffen, dass es die Bewusstseinsreste von ES gewesen waren, die ihn in der mit menschlichen Sinnen erfassbaren Realität hielten und stabilisierten. Ausgerechnet jene Fragmente, die Primat hatte vernichten wollen. Nun war es zu spät. Sein Geist war zwischen den Dimensionen verweht.
Hab Vertrauen!, hörte Perry Rhodan die schwache Stimme von ES in seinem Kopf nachhallen.
Dann war da noch der Stumme Sänger gewesen. Alaska. Alaska Saedelaere.
Der Mann mit der Maske hatte mit düsterer Stimme jenen Satz gesagt, der sich dem Terraner unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt hatte. Drei Wörter, doch jedes einzelne war mit der Wucht einer Transformbombe in Rhodans Verstand explodiert: Die Stille kommt.
Danach war alles schwarz geworden. Und ... still.
Er spürte, dass er aus einem längeren Schlaf erwachte. Etwas hatte sich verändert. Die Wärme verschwand. Die Geborgenheit wich einem alles überschattenden Schmerz, der sich bislang verborgen hatte und sich nun einen Weg aus den Trümmern von Rhodans Gedächtnis an die Oberfläche seines Bewusstseins bahnte. Rhodan hatte ihn verdrängt, so lange es ging, doch nun musste er sich ihm stellen. Jeden Tag aufs Neue – womöglich für den Rest seines Lebens.
Thora!
Seine Frau war ... tot? Er sah sie vor sich – eingehüllt in einen Panzer aus Traum-Asche. Und dann ... hatte Reginald Bull den Feuerbefehl erteilt. Hatte nicht nur Laumaes Standort in Schutt und Asche legen lassen, sondern auch Rhodans Herz. Einen großen Teil dessen, was ihn ausmachte und ihm all die Jahre Kraft geschenkt hatte. Falls Thora noch gelebt hatte, war sie spätestens im Feuerschlag der Terranischen Flotte gegen das als neuer Kontinent aufgestiegene Kerguelenplateau gestorben.
Er glaubt immer noch, dass ich es war, der die Schuld an Stellas Tod trägt. Deshalb hat er sich revanchiert und mir Thora genommen.
Perry Rhodan wollte diese düsteren Vorwürfe nicht denken, aber er konnte nicht anders. Er hasste sich dafür, weil er seinem Freund sicher unrecht tat. Weil Reg so etwas niemals ... auf gar keinen Fall! ... tun würde. Er hatte auf Befehl des Regierungsrats der Terranischen Union gehandelt, in seiner Verantwortung als Protektor. Um Primat zu vernichten, um die Erde und die Menschheit vor einer Gefahr zu schützen, die außer Kontrolle zu geraten drohte.
Hätte ich dasselbe getan?, fragte sich Rhodan. Wahrscheinlich nicht. Aber Thora auf jeden Fall!
Es lag kein Trost in dieser Erkenntnis. Im Gegenteil. Die Person, die er in diesem Universum am meisten geliebt hatte, existierte nicht mehr. Und in diesem Moment begriff er zum ersten Mal wirklich, dass es Dinge gab, die schlimmer waren als der Tod!
Er wollte nicht aufwachen. Er wollte zurück in die Dunkelheit, in die Stille. Denn dort konnte er vergessen. Im Schlaf fand er den Frieden, den er im Wachen nie mehr finden würde. Doch so gnädig war das Schicksal nicht. Zumindest nicht ihm gegenüber.
Irgendwann schlug er die Augen auf. Weil er musste. Weil weder der Schlaf noch die Stille zurückkehrten.
Er lag in einer Art Überlebenstank aus einem unbekannten, grünen Material. Über den Rand des Behälters wuchsen Blumen mit kleinen, bunten Blüten. Sofort fühlte er sich an die Pflanzen erinnert, auf die er während seiner Expedition in die Tiefen von NATHAN gestoßen war. Wie lange war das her? Damals waren Thora, Reginald Bull und er JOEL, dem dunklen Zwilling der Hyperinpotronik, begegnet.
Rhodan räusperte sich, richtete den Oberkörper auf. Die Blütenpracht wucherte auch außerhalb seines Ruhelagers. Hielt er sich tatsächlich auf dem irdischen Mond auf? Er hatte zuletzt vor dem kochenden Zeitbrunnen auf dem Altiplano gestanden. War er während der dramatischen Ereignisse um ES, Laumae, Alaska Saedelaere und Primat verletzt worden? Hatte man ihn geborgen und in ein Heilkoma versetzt? Aber warum befand er sich dann nicht im Terrania Medical Center oder in einer der Spezialkliniken auf Mimas?
Ringsum wirbelten grüne Splitter – offenbar Teile seines Schlaftanks, der sich nach seinem Erwachen auflöste und dessen Bestandteile wie Blätter im Wind davonwirbelten. Der Anzug, den er trug, fühlte sich schwer und klamm an. Wenn er tatsächlich in Stasis gelegen hatte, erfüllte er wahrscheinlich medizinische Funktionen.
Dann erst wurde er auf die beiden Männer aufmerksam, die vor ihm standen und ihn anstarrten, als sei er ein exotisches Tier in einem der Habitate des Zoos von Terrania. Der eine war allem Anschein nach ein Arkonide. Seine bleiche Haut und die roten Augen boten deutliche Indizien – die im Licht des Überlebenstanks grünlich glänzende Glatze war dagegen eher untypisch.
Der andere sah wie ein Terraner aus, war groß und hager und fraglos bereits ein älteres Semester. Das zerfurchte Gesicht wurde von wallenden, weißgrauen Haaren und einem Vollbart eingerahmt.
7.
Naumann von Silikor
Hiobsbotschaft
Perry Rhodan? Das war völlig unmöglich.
Naumann von Silikor kannte den Namen. Es war der Name eines Phantoms. Einer historischen Figur, die existiert haben mochte oder auch nicht. Eines Manns, der angeblich vor langer Zeit gelebt, die Menschheit zu den Sternen geführt – und dann in den Abgrund gestürzt hatte. Der Name eines Gottes und eines Teufels gleichermaßen.
Über Perry Rhodan erzählte man sich wahre Wunderdinge, und eine Geschichte schien aufgebauschter und fragwürdiger zu sein als die andere. Er war angeblich sogar unsterblich gewesen. In der schrecklichen Zeit nach der Symaios – während der Temporalen Trübung – war sein Name bei den meisten Überlebenden in Vergessenheit geraten, doch von Silikor erinnerte sich noch gut an ihn. Und die Schuld daran trug Cleo.
Seine Tochter ermüdete schnell. Ihre Krankheit zwang sie, viel Zeit in ihrem gemeinsamen Quartier zu verbringen, wo sie wenig mehr tun konnte als die unergründlichen Weiten der Datenbanken des Frachters zu durchsuchen. Naumann von Silikor hatte die Positronikspeicher immer wieder mit neuen Fakten bestückt. Für Cleo. Er hatte Wissenswürfel gekauft, wie sie an den interstellaren Handelsplätzen zuhauf angeboten wurden, und das Mädchen immer wieder mit neuem Material versorgt, damit sich Cleo nicht langweilte. Eines Tages war sie fast zwangsläufig auf Perry Rhodan und seine Abenteuer gestoßen.
Der Name war ein nicht weniger diffuser Begriff als die Symaios. Auch diese Bezeichnung stand für etwas, das in ferner Vergangenheit lag. Ein furchtbares Unglück, das vor allem die Lokale Blase getroffen hatte, jene grob fünfhundert Lichtjahre durchmessende Raumregion, die einst der Einflussbereich der legendären Erde und der dort lebenden Terraner gewesen war.
Was damals im Detail geschehen war, wusste niemand. Es gab ohnehin nur wenige, die sich dafür interessierten, konkreter herauszufinden, um was es sich bei dieser mysteriösen Symaios gehandelt hatte. Ein Naturereignis, die Waffe unbekannter Invasoren, ein fehlgeschlagenes Experiment größenwahnsinniger Wissenschaftler ... Es existierten wahrscheinlich Hunderte von Theorien. Beweise gab es für keine davon. Man kannte nur die katastrophalen Folgen.
Cleo hatte ihm Bilder von Perry Rhodan gezeigt. Auch diese kursierten in ungezählten Variationen innerhalb der diversen Datennetze. Auf vielen war er ein Terraner. Auf anderen aber auch ein Arkonide, Akone, Mehandor, Ferrone, ja sogar ein Azaraq oder Haluter. Bei den meisten handelte es sich wohl um ebensolche Fälschungen wie bei den Thesauren.
Eine Zeit lang war Cleo geradezu besessen von diesem Thema gewesen, und von Silikor hatte sich Abend für Abend anhören müssen, was seine Tochter tagsüber an neuen Informationen gesammelt hatte. Er hatte das gern getan, auch wenn er das meiste sofort wieder vergaß.
Und nun? Ein Unbekannter, der behauptete, Perry Rhodan zu sein. Der in einer der sagenhaften Smaragdgrüfte in Stasis gelegen hatte. Das hörte sich exakt so an wie eine der zweifelhaften Geschichten, die man in jeder Raumfahrerkneipe bis zum Überdruss zu hören bekam. Doch er, Naumann von Silikor, erlebte diese Geschichte mit – live und in Farbe.
»Hätten Sie eventuell etwas anderes zum Anziehen für mich?«, riss ihn der Fremde aus seinen Gedanken. »Diese Montur ist ziemlich ... unbequem.«
Bevor von Silikor reagieren konnte, war Saulon da Rebruk schon zu einer der Ausrüstungskisten gegangen, die sie von der EUPHORION hergebracht hatten und holte einen Satz Unterwäsche sowie eine Standardkombination daraus hervor. Der Mann, der sich Perry Rhodan nannte, legte seinen Anzug bereits ab. Dann riss er die dünnen Folienverpackungen auf, die ihm der Arkonide reichte, streifte deren Inhalt mit knappen, kontrollierten Bewegungen über und kletterte endgültig aus dem bereits halb zerfallenen Sarkophag.