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Die Erde ist wieder frei, ihre Bewohner können aufatmen. Doch man weiß: Nach wie vor lauert in den Tiefen des Alls eine Gefahr, die jederzeit angreifen kann. Perry Rhodan muss in die Ferne reisen, wenn er die Menschen und alle anderen Völker der Galaxis schützen möchte. Die BASIS wird ausgerüstet, ein neues Fernraumschiff mit einem phantastischen Antrieb. Nur dieses Schiff ist in der Lage, den Sprung über den Abgrund von Millionen Lichtjahren zu wagen – mithilfe der Schwarzen Brücken. Perry Rhodan und die Besatzung der BASIS rüsten sich zum größten Abenteuer der Menschheit: Es geht in die riesige Galaxis M 87, unvorstellbare 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Dort lauert die mysteriöse Macht, die nach der Milchstraße greift – man nennt sie Catron ...
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Seitenzahl: 2125
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Die Erde ist wieder frei, ihre Bewohner können aufatmen. Doch man weiß: Nach wie vor lauert in den Tiefen des Alls eine Gefahr, die jederzeit angreifen kann. Perry Rhodan muss in die Ferne reisen, wenn er die Menschen und alle anderen Völker der Galaxis schützen möchte.
Die BASIS wird ausgerüstet, ein neues Fernraumschiff mit einem phantastischen Antrieb. Nur dieses Schiff ist in der Lage, den Sprung über den Abgrund von Millionen Lichtjahren zu wagen – mithilfe der Schwarzen Brücken.
Perry Rhodan und die Besatzung der BASIS rüsten sich zum größten Abenteuer der Menschheit: Es geht in die riesige Galaxis M 87, unvorstellbare 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Dort lauert die mysteriöse Macht, die nach der Milchstraße greift – man nennt sie Catron ...
Cover
Vorspann
Band 320 – Schwarze Brücke
Vorspann
1. Perry Rhodan
2. Thora Rhodan da Zoltral
3. Lia Tifflor
4. Perry Rhodan
5. Biniam Palmos
6. Thora Rhodan da Zoltral
7. Les Zeron
8. Payne Hamiller
9. Elas Korom-Khan
10. Omar Hawk
11. Galto Quohlfahrt
12. Eric Weidenburn
13. Gucky
14. Perry Rhodan
15. Perry Rhodan
16. Biniam Palmos
17. Lia Tifflor
18. Perry Rhodan
19. Lia Tifflor
20. Lia Tifflor
21. Perry Rhodan
22. Perry Rhodan
23. Perry Rhodan
24. Lia Tifflor
25. Perry Rhodan
26. Lia Tifflor
27. Perry Rhodan
28. Gucky
29. Perry Rhodan
30. Perry Rhodan
Band 321 – Duell der Druisanten
Vorspann
1. Das Monster
2. Ankunft im Dewellsystem
3. Erinnerungen I: Auf der Flucht
4. Verräter
5. Erinnerungen II: Unter Freunden
6. Fragen über Fragen
7. Erinnerungen III: Atemlos
8. Die Audienz
9. Die Einladung
10. Warten auf das Bankett
11. Der übergangene Stellvertreter
12. Der Schmied eines Komplotts
13. Entdeckt!
14. Durch den Irrgarten
15. Das Duell der Druisanten
16. Verrat und Verwirrung
17. Der Dekonstruktor
18. Im Nirgendwo
Band 322 – Der Schlammplanet
Vorspann
1. Schuldgefühle
2. Ein neuer Patient
3. Mutterliebe
4. Eine vergessene Mission
5. Ein unerwartetes Geschenk
6. Ungemütlich
7. Plane mit Hindernissen!
8. Gezwickt und angespuckt
9. Ehrengäste
10. Einer für alle
11. Todesurteil
12. Schlamm drüber
13. Ein Ilt geht baden
14. Die Hoffnung sinkt
15. Am Ende der Kraft
16. Ein zu rettender Retter
17. Wiedersehen macht Freunde
18. Freunde?
19. Dumfries an Bord
20. Verschwunden
21. Am falschen Ort
22. Wütende und Verletzte
23. Manöver
Band 323 – Der KLOTZ
Vorspann
Aus HAMILLERS Expeditionsaufzeichnungen
1. Icho Tolot
2. Lia Tifflor
3. Icho Tolot
4. Lia Tifflor
5. Oogh at Tarkan
6. Icho Tolot
7. Lia Tifflor
8. Oogh at Tarkan
9. Icho Tolot
10. Lia Tifflor
11. Oogh at Tarkan
12. Icho Tolot
13. Oogh at Tarkan
14. Icho Tolot
15. Oogh at Tarkan
16. Icho Tolot
17. Oogh at Tarkan
18. Lia Tifflor
19. Icho Tolot
20. Lia Tifflor
Band 324 – Die Schläferin
Vorspann
Prolog
Teil I – Die letzten Tage
1. Reginald Bull
2. Sheela Rogard
3. Imara Tugh
4. Reginald Bull
5. Sheela Rogard
6. Imara Tugh
7. Imara Tugh
8. Reginald Bull
9. Imara Tugh
10. Reginald Bull
11. Imara Tugh
12. Reginald Bull
Teil II – Die ersten Tage
13. Sinus Armstrong
14. Reginald Bull
15. Sheela Rogard
16. Reginald Bull
17. Imara Tugh
18. Reginald Bull
19. Sheela Rogard
20. Imara Tugh
21. Reginald Bull
22. Reginald Bull
23. Imara Tugh
24. Reginald Bull
Epilog
Band 325 – Die Dimensionsfalle
Vorspann
1. Warum sind wir kein Protoplasmaschleim?
2. Irgendwie rabiat
3. Das ist ein Monster
4. SENECA setzt eindeutige Prioritäten
5. Wen lassen wir da in unser System?
6. Einparken, bitte!
7. Ich nenne es ein n-Abyssal
8. Monade ist höchst besorgt
9. Bist du bereit?
10. Ich hatte reichlich Zeit
11. Kein Geisterschiff
12. Ich bin gerade auf einem Okrill hergeritten
13. Hier bin ich der Einzige
14. Eine Nachricht von der anderen Seite des Abgrunds
15. Kurz zuvor: Leinen los!
16. Mehr »Saft« also?
17. Da läuft etwas ganz und gar nicht nach Plan
18. Starthilfe für die SOL
19. Du bist zurückgekehrt, Liebster
20. Mäandernde Energien
21. Ein Zeichen von Höflichkeit
22. Schade eigentlich
23. Es sind IHRE Augen
24. Gestrandet
Band 326 – Expedition Monol
Vorspann
1. Lias Weg
2. Alle raus!
3. Die Ansprache
4. Zurück in die Sporen
5. Expedition Monol
6. Der Rückzug
7. Die Weihnachtskugel
8. Ein Okrill außer Rand und Band
9. Durch den Kreellschnee
10. Der Kaiser in der Kugel
11. Nathalies Reise
12. Lias einsamer Kampf
Band 327 – Festung der Loower
Vorspann
1. Einlass – Perry Rhodan
2. Keine Ruhe – Lia Tifflor
3. Zügig voran – Perry Rhodan
4. Momente zuvor: Gebrechen – Gucky
5. Hirnscan – Lia Tifflor
6. Niederschmetternd – Perry Rhodan
7. Havarie – Avlo Sanchez
8. Wie ein Uhrwerk – Perry Rhodan
9. Station aus alter Zeit – Lia Tifflor
10. Abwärts – Perry Rhodan
11. Die Versteinerung – Avlo Sanchez
12. Der Kampf – Lia Tifflor
13. Die anderen – Perry Rhodan
14. Einsam – Gucky
15. Catrons Stammzellen – Perry Rhodan
16. Freund oder Feind? – Lia Tifflor
17. Splitter – Perry Rhodan
18. Nachdenken über Bedeutsamkeit – Perry Rhodan
19. Kein Sieg ohne Verlust – Lia Tifflor
20. Unwürdig! – Lia Tifflor
21. Post mortem
22. Instabil – Perry Rhodan
23. Endlich Ruhe – Lia Tifflor
24. Einblicke – Perry Rhodan
Band 328 – Konstrukteure des Zentrums
Vorspann
1. Santhia-Pelk
Teil I – Hybris
2. Ferne Vergangenheit
3. 38 Jahre später
4. Im Jahr 576 der Quest
5. Im Jahr 1532 der Quest
6. Im Jahr 7079 der Quest
7. Im Jahr 13.589 der Quest
8. Im Jahr 20.345 der Quest
9. Im Jahr 22.599 der Quest
10. Im Jahr 23.312 der Quest
11. Im Jahr 26.781 der Quest
12. Im Jahr 31.998 der Quest
Teil II – Katharsis
13. Die Keimung
14. Gier
15. Fraß!
16. Wolken am Horizont!
17. Schwarzer Schwund
18. Die Horden der Nacht
19. Perry Rhodan
Band 329 – Scherben des Wissens
Vorspann
1. Dao-Lin-H'ay
2. Perry Rhodan
3. Dao-Lin-H'ay
4. Perry Rhodan
5. Dao-Lin-H'ay
6. Perry Rhodan
7. Thora Rhodan da Zoltral
8. Dao-Lin-H'ay
9. Perry Rhodan
10. Dao-Lin-H'ay
11. Thora Rhodan da Zoltral
12. Perry Rhodan
13. Dao-Lin-H'ay
14. Thora Rhodan da Zoltral
15. Perry Rhodan
16. Dao-Lin-H'ay
17. Perry Rhodan
18. Dao-Lin-H'ay
19. Perry Rhodan
20. Perry Rhodan
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Band 320
Schwarze Brücke
Rüdiger Schäfer
Das Jahr 2113: Auf der Erde und den verschiedenen Welten, die besiedelt worden sind, leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Gemeinsam arbeitet man am Aufbau einer positiven Zukunft. Doch alle wissen: In den Tiefen des Alls lauert eine feindliche Macht, die jederzeit angreifen kann.
Dagegen müssen Perry Rhodan und seine Gefährten etwas tun. Mittlerweile weiß man, dass der Gegner den Namen Catron trägt und in der 55 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis M 87 residiert. Will man die Menschen und alle anderen Völker der Milchstraße schützen, muss man also nach M 87 reisen.
Die BASIS wird ausgerüstet, ein neues Fernraumschiff mit einem phantastischen Antrieb. Mit einer wagemutigen Besatzung beginnt Rhodan seine Expedition.
Dazu muss die BASIS den gigantischen Abgrund zwischen den Galaxien überwinden – es geht über die SCHWARZE BRÜCKE ...
1.
Perry Rhodan
17. Dezember 2113
Es war ein an- und abschwellendes Jaulen, das ihn weckte. Es bohrte sich in ihn hinein, schmerzte in den Ohren und verstärkte das dumpfe Pochen in seinem Kopf. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Eigentlich hätte der Sprung mit der BASIS über 55 Millionen Lichtjahre nur den Bruchteil einer Sekunde dauern sollen. Aber es kam ihm vor, als habe er viel länger im Kryoschlaf gelegen.
Fünfundfünfzig Millionen Lichtjahre, dachte er träge. Wie leichtfertig wir doch mit Entfernungen jonglieren, die sich kein Mensch auch nur annähernd vorstellen kann!
Perry Rhodans Schädel schien auf das Doppelte der normalen Größe angeschwollen zu sein. Er hatte einen ekelerregenden Geschmack im Mund, und die Zunge fühlte sich an wie ein totes Stück Fleisch. Sämtliche Glieder taten ihm weh. Stöhnend rieb er sich den schmerzenden Nacken, schluckte und versuchte, den Speichelfluss anzuregen. Dann sah er sich um, ohne seine liegende Position zu verlassen.
Neben ihm lag Thora. Ebenso wie er selbst war seine Frau von zahlreichen medizinischen Überwachungsgeräten umgeben. Ihre Augen waren geschlossen; sie atmete ruhig und gleichmäßig. Rhodan merkte, dass er voller Spannung die Luft angehalten hatte – nun stieß er sie langsam wieder aus. Es geht ihr gut, dachte er.
Melbar Kasom, der ertrusische Kommandant, bewegte sich unruhig auf seinem Platz auf der anderen Seite. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich in unregelmäßigen Abständen. Hin und wieder murmelte er etwas vor sich hin, das nicht zu verstehen war.
Der Erste Offizier der BASIS, der schlanke und durchtrainierte Harl Dephin, sah im Vergleich zu Kasom wie ein Zwerg aus. Die dunkelgrüne Haut des Siganesen glänzte im Licht der Zentralebeleuchtung.
Rhodan brachte seinen Sessel in aufrechte Position. Für einen Moment verschwamm die Steuerkonsole vor ihm, und er verspürte ein leichtes Unwohlsein. Er blinzelte, schluckte und rieb sich die Augen. Dann war die Übelkeit vorüber, sein Blick wieder klar.
»HAMILLER?«, rief er über das Heulen der Sirenen hinweg. »Hörst du mich?«
»Laut und deutlich, Sir«, kam die Antwort der Schiffsintelligenz der BASIS.
»Schalt diesen infernalischen Lärm ab!«, befahl Rhodan. »Und dann sag mir, dass wir angekommen sind!«
Der Alarm verstummte. Rhodan hob den Kopf und blickte in den Holodom der kuppelförmigen Hauptzentrale hinauf.
Über ihm zogen lange Wolkenschleier aus Gas und Staub vorbei. Sie leuchteten von innen heraus in düsterem Orange und ordneten sich in einem ungefähren Halbkreis um einen Schlund aus absolutem Schwarz. Innerhalb der Schlieren tauchten Gesteinsbrocken auf, Asteroiden und Trümmer aller Größen und Formen. Auch sie passten sich der Strudelbewegung an, tanzten einen kurzen, kosmischen Reigen und wurden dabei stetig schneller, bevor die unwiderstehliche Kraft der Gravitation sie für immer in einen Abgrund zog und aus diesem Universum entfernte.
Powehi!, dachte Rhodan. Die geschmückte, dunkle Quelle der unendlichen Schöpfung.
So hatten einst Wissenschaftler auf der Erde das Schwarze Loch der Riesengalaxis M 87 getauft – nach einem hawaiianischen Schöpfungsmythos.
»Ja, wir sind angekommen, Sir«, bestätigte HAMILLERS sanfte Stimme. »Der Transfer über die Schwarze Brücke ist gelungen.«
Schwarze Brücke. Für Rhodans Empfinden war diese Wortschöpfung ein wenig zu dramatisch, zu exaltiert. Aber jemand hatte sie in die Welt gesetzt, die Medien hatten sie bereitwillig aufgegriffen und verbreitet. Die Expedition der BASIS war in den vergangenen Monaten das beherrschende Thema in der gesamten Terranischen Union – und darüber hinaus – gewesen.
Ein Ruck ging durch die Nussschale – so nannten alle die Kommandoschüssel. Offiziell lautete der Name des zehn Meter durchmessenden Areals, in dem die wichtigsten Offiziere des Fernraumschiffs Platz fanden, »Executive Shell«. Aber solche technisch-seelenlosen Namen setzten sich selten durch.
Nussschale passt ohnehin viel besser. Mit knappen Handbewegungen rief Rhodan die wichtigsten astrogatorischen Daten ab. Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich gerade in einem winzigen Boot mitten auf einem riesigen Ozean treibe ...
Inzwischen regten sich auch Thora Rhodan da Zoltral und Melbar Kasom. Es wunderte Rhodan, dass er vor allen anderen aufgewacht war. Zumindest der ertrusische Kommandant war normalerweise erheblich robustere Bedingungen gewöhnt.
Der nächste Ruck war stärker. Sekundenlang heulte erneut der Alarm durch die Zentrale, erstarb dann aber wieder.
»Warum verschwinden wir nicht?«, fragte Rhodan. »Wir müssen hier weg, verdammt! Bevor uns Powehi verschluckt!«
»Das ist mir durchaus bewusst, Sir«, versetzte HAMILLER freundlich. »Allerdings lassen sich die Transitionstriebwerke nicht aktivieren.«
Die Flugstatusanzeigen verrieten, dass die BASIS mit 98 Prozent der Lichtgeschwindigkeit um das Schwarze Loch raste. Dabei kam sie dem Ereignishorizont immer näher. Der Zeitpunkt, an dem es dem Raumschiff nicht mehr gelingen würde, der mörderischen Schwerkraft der zentralgalaktischen Raum-Zeit-Singularität aus eigener Kraft zu entkommen, war nur noch wenige Minuten entfernt. Zudem traten bei dieser Geschwindigkeit relativistische Effekte auf. Gegenwärtig lief die Zeit außerhalb des Schiffs schneller ab als in seinem Innern. Wie schnell, wusste niemand.
»Dann tu etwas!«, forderte Rhodan. »Wo liegt das Problem?«
»Ich habe einen stark strahlenden Fremdkörper am Heck der BASIS geortet, Sir. Er war noch nicht vorhanden, als wir in den Hyperraum eingetreten sind. Nun stört er das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Projektoren für das Transitionsfeld und den Frequenzmodulatoren.«
»Warum habe ich noch keine Bilder?« Rhodan wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser.
Mit einem Schwarzschildradius von rund zwanzig Milliarden Kilometern war das Schwarze Loch von M 87 ungleich größer als Sagittarius A*, sein Pendant im Zentrum der Milchstraße. Ein kosmisches Ungeheuer mit einem unstillbaren Hunger, das alles in sich hineinschlang, was in seine Nähe geriet. Die sechzehn Kilometer lange BASIS, das größte Raumschiff, das Menschen jemals geflogen hatten, war im Vergleich mit Powehi nicht mal ein Staubkorn.
Über Rhodans Positronikkonsole entstand ein etwa zwei mal zwei Meter großes Hologramm. Es zeigte die von Felsen, Kratern und flachen Gebirgszügen beherrschte Oberfläche eines vermeintlichen Asteroiden – auf den ersten Blick konnte man die BASIS durchaus für einen simplen, grob keilförmigen Gesteinsbrocken halten. Der Horizont dahinter war stark gekrümmt. Dort türmten sich die sanft glühenden Wolkenmassen, die zur Akkretionsscheibe des Schwarzen Lochs gehörten. Atomares, stark ionisiertes Gas, vermischt mit interstellarem Staub, durch Flieh- und Gravitationskräfte auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.
Natürlich waren die Bilder von HAMILLER optisch aufbereitet. Denn ein Schwarzes Loch war eigentlich unsichtbar, weil es nicht nur Materie, sondern auch jegliches Licht in seiner Umgebung verschluckte. Dennoch war der Anblick dieses überdimensionalen Mahlstroms atemberaubend.
»Was ist das?« Thoras Stimme ließ ihn herumfahren.
Die Arkonidin hatte sich von ihrer Liege erhoben und war hinter Rhodan getreten. Sie sah aus, als habe sie gerade einen langen Urlaub hinter sich. Im Gegensatz zu ihrem Mann hatte sie den Dimetranssprung offenbar problemlos überstanden. Rhodan wandte sich wieder dem Holo über seinem Kommandopult zu.
Die von HAMILLER ausgeschickten Erkundersonden übertrugen gestochen scharfe Drei-D-Bilder. Sie flogen von mehreren Seiten und dicht über der geröllbedeckten BASIS auf ein Objekt zu, das vor einer kreisförmigen Felsformation zum Liegen gekommen war. Es maß ziemlich genau zwanzig Meter und hatte die Form einer Keule mit stark verdicktem Ende. Die vier spitzen Ausleger am Heck erinnerten Rhodan an Stabilisatoren für den Atmosphärenflug. Die Sondensensoren empfingen eine ungewöhnliche Hyperstrahlung im ultrahohen Frequenzbereich.
»Ich weiß es nicht«, sagte Rhodan. »Aber es sieht wie ein Raumschiff aus.«
»Hier?«, fragte Thora ungläubig. »In der energetischen Hölle eines galaktischen Zentrums?«
»Vielleicht hat es sich während des Dimetranssprungs an uns geheftet«, spekulierte Rhodan. »Aber das ist im Moment zweitrangig. Wir müssen es loswerden.«
Wie um seine Worte zu unterstreichen, schüttelte sich die BASIS erneut. Ein lautes Knirschen ertönte, das Rhodan durch Mark und Bein ging. Es kam aus Richtung des »Stamms«, einer zwanzig Meter hohen Säule, die in der Mitte der Zentrale aufragte. Sie war die sichtbare Inkarnation der Schiffs-KI, weshalb sich der Name »HAMILLERS Finger« durchgesetzt hatte. In ihr waren zahlreiche Sensoren und Holoemitter verborgen, die der Kommunikation mit der Zentralebesatzung dienten.
»Das fremde Schiff scheint beschädigt zu sein.« Thora hatte ihre eigene Positronikkonsole aktiviert und rief Ortungsdaten ab.
Ein dumpfes Schnauben signalisierte Rhodan, dass mittlerweile auch Kasom wach geworden war.
Die Arkonidin deutete auf ein Hologramm, das einen kleinen Krater zeigte. Er war offenbar beim Aufschlag des Keulenschiffs auf die Oberfläche der BASIS entstanden. Die Erkundersonden waren inzwischen so nah herangekommen, dass es keinen Zweifel mehr gab: Das Objekt war ein Raumfahrzeug – und es war mit der BASIS kollidiert!
»Wenn es eine Besatzung hatte, ist sie auf jeden Fall tot«, sagte Rhodan. »Entweder hat sie der Aufprall umgebracht oder die Strahlung des Tesserakts. Das Wrack liegt in unmittelbarer Nähe unserer Hecksektion. Dort kann kein biologisches Wesen länger als ein paar Sekunden überleben.«
Er dachte nur ungern daran, dass im hinteren Teil der BASIS ein Tesserakt der Posbis verbaut war. Der Würfel mit einer Kantenlänge von beeindruckenden fünf Kilometern bildete das Herz des Dimetransantriebs und lieferte jene Unmengen an Energie, die von den Aggregaten des Fernantriebs für einen intergalaktischen Hyperraumsprung benötigt wurden. Dabei emittierte der Tesserakt allerdings eine für Lebewesen tödliche Hyperstrahlung, die jedes organische Gewebe in kürzester Zeit zersetzte. Deshalb hielten sich im Heckbereich der BASIS nur mobile Maschinen und Posbis auf.
»Ich habe bereits ein paar Kampfroboter dorthin in Marsch gesetzt, Sir«, ertönte in diesem Moment Kasoms Bassstimme. Auch der Ertruser hatte sich schnell erholt und seinen Platz auf dem Sessel des Kommandanten eingenommen. »Wir müssen das fremde Schiff zerstören – und zwar sofort!«
»Ich fürchte, das muss noch einen Moment warten«, widersprach Thora Rhodan da Zoltral.
Weder Melbar Kasom noch Perry Rhodan mussten nachfragen, was die Arkonidin meinte, denn auch sie sahen es im primären Außenbeobachtungsholo gerade selbst. Im kugelförmigen Bug des Keulenschiffs öffnete sich soeben ein Schott.
2.
Thora Rhodan da Zoltral
17. Dezember 2113
»Wie ist so etwas möglich?«, staunte Perry Rhodan.
Thora Rhodan da Zoltral sagte nichts. Wahrscheinlich erwartete ihr Mann auch gar keine Antwort. Gemeinsam mit ihm und Melbar Kasom starrte sie auf das, was sich in diesen Sekunden draußen im Weltall abspielte.
Im Bug des Keulenschiffs war unvermittelt eine kreisrunde Öffnung entstanden. Der Schiffsrumpf hatte sich an dieser Stelle ein Stück in die Asteroidenoberfläche der BASIS hineingebohrt. Deshalb musste das fremde Wesen über einen Felsgrat klettern, bevor es die Schleuse und damit sein Raumfahrzeug verlassen konnte.
»Es ... Es sieht aus wie ein ... Sitzkissen mit vier Beinen«, sagte Harl Dephin. Auch der Siganese war inzwischen aus dem Kryoschlaf erwacht.
Der Rest der Besatzung ruhte nach wie vor in den Tiefschlaftanks. Solang die BASIS die unmittelbare Umgebung des zentralgalaktischen Schwarzen Lochs von M 87 nicht verlassen hatte, war an eine geordnete Einleitung des Regenerierungsprozesses nicht zu denken.
»HAMILLER, wie viel Zeit bleibt uns noch?«, fragte Rhodan.
»Im besten Fall fünf Minuten, Sir«, gab die Bord-KI Auskunft. »Im schlechtesten ... Nun, theoretisch kann unser endgültiger Sturz in das Schwarze Loch jederzeit beginnen. Die lokalen Schwerkraftverhältnisse und ihre Auswirkungen sind nicht vorherzusagen.«
»Die Kampfroboter treffen in weniger als dreißig Sekunden ein, Sir«, meldete Kasom. »Ich schlage einen sofortigen und großflächigen Beschuss mit Desintegratoren vor.«
»Tun Sie, was nötig ist, Mister Kasom.«
Thora sah ihrem Mann an, dass ihm dieser Befehl nicht leicht fiel. Zweifellos sorgte er sich, dass innerhalb des Keulenschiffs womöglich weitere Besatzungsmitglieder überlebt hatten, die Hilfe benötigten. Doch dafür reichte die Zeit nicht. Sie lächelte innerlich. Die manchmal irrationale Art von Altruismus, der auf Rhodans tief empfundenem Respekt vor jeglicher Form von Leben beruhte, war einer der Gründe gewesen, warum sie sich damals in ihn verliebt hatte.
Das Weltbild dieses Terraners unterschied sich fundamental von allem, was sie aus der arkonidischen Kultur kannte. Sie hatte nach wie vor nicht vollständig begriffen, wie er mit dieser idealistischen Geisteshaltung, dieser Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft so viel hatte erreichen können.
Der Fremde hatte sich währenddessen gut hundert Meter von seinem Schiff entfernt. Dephin lag mit seiner Beschreibung nicht falsch. Tatsächlich erinnerte das Wesen an ein pralles, vertikal aufgerichtetes Kissen, das sich auf vier kräftigen Beinen fortbewegte, wobei es eine Gesamthöhe von rund anderthalb Metern erreichte. Zwei muskulöse, etwa siebzig Zentimeter lange Arme am oberen Rumpf endeten in scharfen, dreigliedrigen, roten Klauen. Die Signalfarbe erweckte den beklemmenden Eindruck, als habe der Unbekannte gerade eine grausige Bluttat begangen.
Wo bei einem Humanoiden der Kopf saß, war nur eine flache Erhebung zu erkennen. Daraus wuchsen mehrere Fühler unterschiedlicher Dicke und Länge, die wie ein Büschel Arkonfarn aussahen. Die Körperfront wies drei senkrechte Schlitze auf.
Thora schüttelte ungläubig den Kopf, als sie in einer der Nahaufnahmen bemerkte, dass dünne Atemwölkchen aus diesen Öffnungen strömten. Zudem hatte sich an mehreren Stellen des Körpers grauweißer Raureif gebildet.
»Ist der etwa ... nackt?«, rief Melbar Kasom, dem es anscheinend ebenfalls aufgefallen war.
»Sieht ganz so aus«, sagte Rhodan.
Er hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da brachen die von Kasom losgeschickten Kampfroboter aus einer verborgenen Schleuse hervor. Es handelte sich um Modelle, deren Design an irdische Velociraptor-Saurier angelehnt war. Sie waren mit starken Desintegratoren bestückt und nahmen das Keulenschiff augenblicklich unter Feuer.
Den Fremden schien das nicht zu kümmern. Er eilte weiterhin mit beachtlichem Tempo davon, änderte nun aber den Kurs und hielt auf die Bodenöffnung zu, aus der die Roboter gekommen waren. Kasom reagierte sofort und schloss den Zugang wieder.
Die BASIS vibrierte – und die Schwingungen waren nicht nur in der Zentrale zu spüren. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen verfolgte Thora, wie auf der Asteroidenoberfläche des terranischen Raumschiffs riesige Staubwolken aufstiegen. Kleine Steine trennten sich vom Boden und schwebten ebenfalls in die Höhe. Zum dritten Mal ertönte ein schriller Akustikalarm.
Powehi zieht und zerrt an uns, dachte die Arkonidin. Das Ungeheuer hat uns eingefangen und ist nicht bereit, uns wieder loszulassen.
Der Beschuss der Kampfroboter zeigte Wirkung. Die Strahlen ihrer Desintegratoren geisterten als grünliche Reflexe über die graublaue Außenhülle des Keulenschiffs. In dessen Heck bildeten sich erste Löcher, die betroffenen Rumpfsegmente lösten sich in Atomwolken auf. Der Dunst wurde sofort von Gasen verwirbelt, die mit Überdruck aus dem Schiffsinnern drangen.
Bordluft – also muss der Fremde tatsächlich etwas atmen, überlegte Thora. Obwohl er ohne Schutzanzug auf der Oberfläche der BASIS herumspaziert.
Der Unbekannte erreichte das wieder verriegelte Schleusenschott, untersuchte es kurz, unternahm jedoch keinerlei Versuche, gewaltsam in die BASIS einzudringen. Stattdessen sank er auf seine vier Beine und blickte zu seinem Fahrzeug zurück – zumindest vermutete Thora das, weil sich sein Sinnesfarn in Richtung des Wracks neigte. Augen hatte das Fremdwesen nicht.
»Die Störstrahlung ist nach wie vor vorhanden«, informierte Dephin.
Das Keulenschiff war erheblich geschrumpft und hatte bereits gut ein Drittel seiner Masse verloren. Dennoch emittierte es noch immer jene Hyperstrahlung, welche die BASIS an einer Transition hinderte.
Die Vibrationen verstärkten sich. Sie übertrugen sich vom Schiff auf Thoras Körper. Was zunächst als bloßes Kribbeln begonnen hatte, wuchs sich zu erheblichen Muskelschmerzen aus.
»Ich registriere Fehlfunktionen in den Sektoren mit den Kryoanlagen, wo unsere Besatzung im Kälteschlaf ruht«, meldete sich HAMILLER. »Die Gravitationsbeben wirken auf die Steuereinheiten etlicher Stasistanks ein; das ist nicht gut.«
Thora begriff. Powehis ungeheurer Schwerkraftsog zerrte mit aller Macht an dem Gigantraumschiff und verursachte zunehmend heftigere Schwingungen, die Teile der Bordtechnik zu schädigen drohten.
Der Sprung über 55 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße nach M 87 war die größte Distanz, die Menschen jemals zurückgelegt hatten – und die kühnste Expedition in der terranischen Geschichte. Wenn nicht schnell etwas geschah, würde sie auch die kürzeste werden ...
HAMILLERS Finger knirschte erneut, diesmal mischte sich zusätzlich ein hässliches Knacken in das Geräusch. Es erinnerte Thora an brechende Knochen. Trogen sie ihre Augen, oder liefen bereits erste Risse über die dunkle Wand des Stamms?
Die Arkonidin zuckte zusammen, als die Holos über ihrer Positronikkonsole flackerten, erloschen und wieder aufflammten. Ihr Blick fiel auf den geheimnisvollen Fremden. Er war wieder näher an die geschlossene Schleuse der BASIS herangerückt und hatte einen seiner Arme ausgestreckt. Die roten Krallen kratzten an der Außenseite des Schotts. Von oben nach unten, immer wieder. Die Bewegungen wurden langsamer und kraftloser ... muteten beinahe verzweifelt an. Der Sinnesfarn bewegte sich nicht mehr und war mit weißem Reif bedeckt.
»Perry!«, rief Thora alarmiert und projizierte die entsprechende Darstellung vor das Gesicht ihres Manns. »Unser unbekannter Freund sieht schlecht aus. Ich glaube, er will rein und ins Warme!«
»Mister Kasom«, reagierte Rhodan sofort. »Öffnen Sie die Schleuse!«
»Sir!« Der Kommandant zögerte. »Ich gebe zu bedenken, dass ...«
»Ich teile Ihre Bedenken«, ließ ihn Perry Rhodan nicht ausreden. »Aber da draußen stirbt wahrscheinlich ein Lebewesen, wenn wir ihm nicht helfen. Sichern Sie den Schiffsbereich hinter der Schleuse ab, und schicken Sie einen Medoroboter hin. Um alles andere kümmern wir uns später – sofern wir dann noch dazu in der Lage sind ...«
»Verstanden, Sir!«
»Die Störstrahlung ist verschwunden!« Harl Dephins Stimme kippte für einen Moment, und er räusperte sich.
»Die Transitionstriebwerke melden volle Bereitschaft!«, zeigte sich auch Melbar Kasom begeistert.
»Dann nichts wie weg hier!«, rief Perry Rhodan.
Thora Rhodan da Zoltral sah, wie ihr Mann beide Hände in die Armlehnen seines Sessels krallte.
Über das Knirschen und Knacken des Stamms hinweg ertönte HAMILLERS Stimme. Sie klang seltsam monoton. »Transition in fünf ... vier ... drei ... zwei ... eins ... jetzt!«
3.
Lia Tifflor
Vier Wochen vor dem Sprung
»Maschinenzylinder zwei, Deck drei, Areal vierundzwanzig, Reaktorraum elf ... Maschinenzylinder zwei, Deck drei, Areal vierundzwanzig ...«
Lia Tifflor desaktivierte das Akustikfeld ihres Multifunktionsarmbands und hastete weiter. Sie huschte eng an der Wand um eine Gangbiegung – und wäre beinahe mit einem Techniker zusammengestoßen. Der Mann im orangefarbenen Overall war so überrascht, dass er die flache Kleinpositronik, die er in beiden Händen gehalten und deren Anzeigen er angestarrt hatte, in die Luft schleuderte. Er stieß einen Schrei aus.
»Rechtsverkehr!«, rief die Ärztin wütend und rannte weiter, während hinter ihr das Gerät des Technikers auf den Boden knallte. »Kriegt ihr das nicht in eure Schädel?«
Was hat der Typ überhaupt hier zu suchen?, rätselte sie. Es gilt doch noch immer ein strenger Verschlusszustand ...
Die BASIS war vor einer halben Stunde in einen weiten Orbit um Sagittarius A* eingeschwenkt und beschleunigte, ein Gedanke, den Tifflor bislang erfolgreich verdrängt hatte. Denn normalerweise folgte ihm stets die Frage, was zum Teufel sie da eigentlich tat? Was sie in einem Sternenschiff von der Größe eines Asteroiden machte, das in den kommenden vier Wochen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und sich dabei immer näher an ein Schwarzes Loch mit mehr als 4,1 Millionen Solmassen kuscheln würde? Einem Raumfahrzeug, das am Ende binnen einer nicht messbaren Zeitspanne die Distanz von 55 Millionen Lichtjahren zurücklegen würde, um sich erneut in der Umlaufbahn eines fast tausendsechshundertmal massereicheren Schwarzen Lochs in der Galaxis M 87 wiederzufinden.
Ich habe mich bequatschen lassen, dachte sie. Von meinem Patenonkel, dem berühmten Perry Rhodan höchstpersönlich.
Wie auch immer: Es gab kein Zurück mehr. Immerhin lenkte sie der Notfall im Maschinenzylinder von der Tatsache ab, dass sie auf ein kosmisches Monster zuraste. Auf einen Allesfresser, der nichts verschmähte, das in seine Nähe kam. Wenn etwas über Masse verfügte, wurde es verschluckt. Sogar Licht, obwohl Photonen nachweislich keine Masse hatten. In der Astrophysikgrundausbildung hatte man ihr dieses Phänomen einmal erklärt, aber sie erinnerte sich nur noch vage daran.
Tifflor erreichte den zentralen Antigravschacht ihres Zielzylinders und schwebte darin zum Deck drei. Von dort ging es durch einen breiten Korridor bis zum Areal vierundzwanzig. ... neun ... zehn ... elf, zählte sie die letzten Doppelflügelschotten in Gedanken mit.
Maschinenzylinder zwei, Deck drei, Areal vierundzwanzig, Reaktorraum elf. Endlich!
»Hierher, Lia!«, hörte sie Saskia Naik rufen, kaum dass Tifflor das Zugangsschott hinter sich gelassen hatte. Die Stimme der sonst so resoluten, jungen Medoassistentin klang dünn und zitterte.
Auch ohne diesen Hinweis war nicht zu übersehen, wohin sich Tifflor wenden musste.
Vor einem großen Kegel lag ein Mann auf dem Boden. Die Luft roch unangenehm nach verkohltem Fleisch. Tifflor kannte den Geruch. Offenbar hatte sie es mit einer schweren Verbrennung zu tun. Sie schob die Kugel des Medoroboters zur Seite, der die Erstversorgung des Verletzten übernommen hatte – und stöhnte leise auf. Nun wunderte sie nicht mehr, dass selbst die robuste Naik Mühe hatte, die Fassung zu bewahren.
»Sein Name ist Milosh Soukup«, sagte ihre Assistentin leise. »Schrauber zweiter Klasse. Er hat an diesem Ding da ...« Sie deutete auf den Kegel.
»Hyperpartialinitiator«, half jemand im Hintergrund aus.
Tifflor wandte kurz den Kopf. Etwas abseits standen drei weitere Männer und eine Frau in den typischen orangefarbenen Overalls der Technischen Abteilung. Anscheinend Kollegen des Unfallopfers, die im selben Maschinenareal gearbeitet hatten.
»Genau«, fuhr Naik fort. »Er hat an diesem Hyperteil gearbeitet, und etwas ist explodiert. Plasmadampf ist ausgetreten und ... voilà!«
Tifflor hörte nur mit einem Ohr zu. Die vordere Körperhälfte des Technikers war eine schwarzbraune Masse aus nekrotisiertem Gewebe und verkohlter Haut. Der Kopf war glücklicherweise nicht betroffen. Soukup hatte die Augen weit aufgerissen und starrte ins Leere. Sein Gesicht war leichenblass. Auf der Stirn stand kalter Schweiß. Der Medoroboter hatte bereits kreislaufstabilisierende Substanzen injiziert. Trotzdem lagen die Vitalwerte des Manns fast ausnahmslos im kritischen Bereich, wie ihr ein holografischer Medomonitor verriet, der nahebei projiziert war.
»Er stirbt«, sagte Tifflor mit fester Stimme. »Wir müssen verdammt schnell sein. Ich brauche ein epitheles Netz. Außerdem Heparin, Hydrocortison A, und liquides Oxylparacetalin. Doppelte Standarddosis. Wir müssen seine Werte stabilisieren, damit er transportfähig ist. Das OP-Team in der Zentralklinik soll einen Reinraum und eine dermale Tiefenspülung vorbereiten. Was macht die Lunge?«
»Die Atemwege sind verengt«, antwortete der Medoroboter. »Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid zu fünfzig Prozent eingeschränkt. Hinweise auf Fibrosen. Dazu kommen ...«
»Das reicht mir«, unterbrach Tifflor die Maschine. »Läuft die Transfusion?«
»Zweihundertfünfzig Milliliter Kochsalz plus. Einlaufzeit zwei Stunden.«
»Beschleunigen auf eine Stunde«, ordnete die Ärztin an. »Dabei Gabe von Beta-zwei-Sympathomimetika. Ich würde sagen ... Fenoterol Alpha und Terbutalin. Die wirken am schnellsten. Erholt sich der Kreislauf?«
»Die Werte verbessern sich langsam, aber stetig«, sagte Saskia Naik.
»Milosh!« Tifflor beugte sich über das Gesicht des Verletzten. »Können Sie mich verstehen? Wenn ja, dann zwinkern Sie mit den Augen.«
Soukups Lider bewegten sich kaum merklich. Offenbar stand er nicht unter Schock, was höchst ungewöhnlich war.
»Sehr gut«, redete die Medizinerin weiter. »Halten Sie durch. Wir kriegen Sie wieder hin. Ich bin Lia und bringe Sie jetzt auf die Krankenstation. Dort werden wir ...«
Ein lautes Piepsen des Medoroboters ließ sie verstummen. Soukup bäumte sich auf. Aus seiner Kehle kamen krächzende Laute. Nur mit Mühe konnten die beiden Frauen den kräftigen Techniker am Boden halten.
»Pneumothorax!«, rief Naik. »Luft im Pleuraraum. Wahrscheinlich ein aufgetriebenes Lungenemphysem ...«
Tifflor griff in eine Tasche ihres Arztkittels und zog einen Multiinjektor hervor. Mit Daumen und Zeigefinger nahm sie zwei kurze Justierungen an dem Gerät vor.
»Zweihundert Mikrogramm Doxypneucit«, informierte sie Naik sowie den Medoroboter und setzte den Injektor an Soukups Hals. Ein kurzes Zischen ertönte.
Fast sofort ging die Atmung des Technikers wieder einigermaßen regelmäßig, und er beruhigte sich ein wenig. Die Ärztin wusste allerdings, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein würde. Die von der Doxypneucitverabreichung ausgelöste Weitung der Bronchien hielt nicht lange an.
»Wir kriegen das hin, Milosh! Bleiben Sie wach! Kämpfen Sie!« Tifflor wusste, dass die Überlebenschancen ihres Patienten mit jeder verstreichenden Sekunde sanken. Aber für solche Notsituationen war sie viele Jahre lang ausgebildet worden. »Ich lege eine Drainage«, kündigte sie an.
»Das ist riskant«, gab ihre Assistentin zu bedenken. »Sollten wir nicht ...«
»... auf die Transportliege warten?«, beendete Tifflor den Satz, während sie die Hand erneut in ihrem Kittel versenkte. Diesmal fischte sie ein Laserskalpell aus einer der Innentaschen. »Bis dahin erstickt er. Ich befürchte, dass die im Bindegewebe gespeicherten Reste der Plasmapartikel sich noch immer in ihn hineinfressen. Und sie haben die Lunge erreicht. Ich mache einen kleinen Schnitt und schiebe einen Schlauch zwischen Lungen- und Rippenfell. So kriegen wir die dort eingeschlossene Luft raus, und er kann wieder atmen. Zumindest ein paar Minuten lang.«
Der Medoroboter produzierte zum wiederholten Mal einen anhaltenden Alarmton. »Kreislaufkollaps! Kreislaufkollaps!«, rief die Maschine, als wäre sie ein archaischer Zeitungsverkäufer und würde die aktuellen Schlagzeilen in die Welt hinausschreien.
»Halt die Klappe!«, stieß Tifflor genervt hervor. Ein Blick auf die vom Medoroboter projizierten Holoanzeigen informierte sie darüber, dass der Blutdruck abgesackt war. Auch der Herzschlag hatte sich rapide verlangsamt.
»Wir verlieren ihn«, flüsterte Saskia Naik.
Tifflor gab ihr im Stillen recht. In einem Reaktorraum ohne moderne medizinische Ausstattung waren ihre Möglichkeiten begrenzt. Und ein Transport zur Medostation der BASIS würde mindestens drei bis vier Minuten in Anspruch nehmen. Sie konnte nur noch dafür sorgen, dass Milosh Soukup ohne Schmerzen starb ...
»Retter des Universums zur Stelle!«, piepste es plötzlich hinter ihr.
Sie fuhr herum. »Gucky!«, rief sie, erleichtert und überrascht zugleich.
Der Ilt ließ seinen einzigen Nagezahn kurz aufblitzen. Dann griff er nach ihrer und der Hand des Technikers.
»Kannst du ihn erschütterungsfrei direkt auf ein Medobett in der Zentralklinik teleportieren?«, fragte Tifflor.
»Mach ich so was zum ersten Mal?«, reagierte der Multimutant mit einer Gegenfrage.
Von einem Moment auf den nächsten veränderte sich die Umgebung. Eben noch hatte Tifflor auf dem Boden des Reaktorraums gekniet. Nun stand sie in einem der hell erleuchteten Klinikräume im Kernareal der Medostation, und der Techniker ruhte auf einer großen Behandlungsliege. Sofort stürzten sich ein Medoroboter und zwei Assistenzärzte auf ihn und bereiteten die nächsten Schritte vor.
»Danke, Onkel Gucky«, sagte Tifflor.
»Gern geschehen, Lia Amanda«, erwiderte der Ilt säuerlich.
Die Ärztin lächelte. Sie kannte den Mausbiber von Kindesbeinen an. Als sie noch klein gewesen war, hatte sie es geliebt, wenn Gucky sie telekinetisch schweben ließ. Reginald Bull hatte ihr damals beigebracht, den Ilt »Onkel Gucky« zu nennen, weil er wusste, wie sehr der Mausbiber das hasste. Als Retourkutsche hatte Gucky sie mit ihrem Zweitnamen Amanda angesprochen, den wiederum sie nicht ausstehen konnte. Mit der Zeit war das zwischen ihnen zu einer liebevollen Neckerei geworden.
Lia Tifflor beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die fellbedeckte Stirn. »Nun entschuldige mich. Ich muss mich um meinen Patienten kümmern.«
Der Ilt hob die rechte Pfote und winkte kurz. Dann war er verschwunden.
4.
Perry Rhodan
Vier Wochen vor dem Sprung
In der kuppelförmigen Zentrale der BASIS herrschte angespanntes Schweigen. Alle Arbeitsstationen waren besetzt. Soeben hatte die erste von drei Beschleunigungsphasen begonnen.
Kommandant Melbar Kasom hatte schon vor einer guten Stunde volle Gefechtsbereitschaft angeordnet. Alle wichtigen Schaltstellen des Raumschiffs waren doppelt besetzt. Zusätzliches Personal hielt sich auf Abruf bereit.
»Wir erreichen zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit«, meldete Harl Dephin. »Alle Stationen melden Grün.«
Perry Rhodan sah kurz zu Elas Korom-Khan hinüber. Der Erste Pilot ruhte ausgestreckt auf seiner Spezialliege. Seine Miene wirkte entspannt. Über dem Schädel des Emotionauten lag die haarnetzähnliche Kappe, die ihn mental mit den Schiffssystemen verband.
»Der Hyperfunkkontakt zur Begleitflotte ist weiterhin störungsfrei.« Sarah Maas hatte ihren Posten als Funk- und Ortungschefin eingenommen. Ihr Kopf steckte in einer Wolke aus Hologrammen und war nur schemenhaft zu erkennen. »Protektor Bull wünscht dich zu sprechen, Perry.«
»Gib ihn mir direkt auf mein Pult.« Rhodan und Maas hatten vor Beginn der Expedition kurz darüber diskutiert, ob sie dienstlich auf die vertrauliche Anrede verzichten sollten, sich dann jedoch dagegen entschieden. Es wäre ihnen nach all den Jahren albern vorgekommen, sich mal mit Mister und Miss und mal mit Vornamen anzusprechen.
Reginald Bulls Gesicht erschien in Lebensgröße in einem Kommunikationsholo vor Rhodan. Seit dem Tod von Stella Michelsen, der inzwischen fast ein Jahr zurücklag, trug er die roten Haare länger.
»Merkosh hat sich gemeldet«, sagte Bull ohne Begrüßung. »Die Ortungssatelliten sind rund um Sagittarius A* postiert und liefern zuverlässige Daten. Beim Anblick der BASIS wird mir allerdings regelmäßig flau im Magen.«
»Ich sehe die Bilder ebenfalls.« Rhodan drehte den Kopf und fixierte einen abgegrenzten Teil des Holodoms.
Dort projizierte die Positronik das, was die Techniker salopp Außenaufnahmen nannten, also jene aufbereiteten Videosignale, die von den Satelliten der Omniten geliefert wurden. Sagittarius A* flößte auch aus dieser Entfernung Respekt ein. Die annähernd kugelförmige Raum-Zeit-Singularität aus undurchdringlicher Schwärze war von einem wirbelnden Ring aus orangefarbenen Fetzen umgeben, die immer wieder zerfaserten und sich neu zusammenballten. Ein kosmischer Strudel, in dessen rasante Kreisbewegung sich die BASIS in Kürze einreihen würde.
Das Fernraumschiff wurde von einem winzigen, blinkenden Punkt repräsentiert, der sich für Rhodans Geschmack in einem viel zu nahen Orbit um das nachtdunkle Schwarze Loch bewegte. Daran würde sich in den kommenden vier Wochen nichts ändern.
»Was hat Merkosh sonst noch gesagt?«, fragte Rhodan. Er spielte auf den Freund an, dessen Volk ihnen bei der Vorbereitung zum großen Sprung geholfen hatte.
»Dass er sich später persönlich bei dir melden wird, um dir Glück zu wünschen.«
»Glück können wir gebrauchen. Ansonsten alles in Ordnung?«
Bull sah ihn an. Natürlich hatten sie über Stella gesprochen, seine verstorbene Frau. Und natürlich hatte sein bester Freund den Schmerz lange in sich hineingefressen, sich abgeschottet und die ganze Welt verflucht. Das war schon immer seine Art gewesen.
»Mir geht es großartig.« Bulls Grinsen wirkte jedoch schon länger nicht mehr so offen und lausbubenhaft wie früher. Die Zeit der Aphilie hatte ihn verändert – wie Milliarden andere Menschen auch. »Ich habe vor einigen Stunden mit Laura und Sophie gesprochen«, fuhr er fort. »Sie senden dir ebenfalls herzliche Grüße und die besten Wünsche.«
»Danke.« Bulls Zwillingstöchter aus erster Ehe verbrachten nach wie vor den größten Teil ihrer Zeit auf dem irdischen Mond – im Innern der Hyperinpotronik NATHAN.
Die anorganische Intelligenz hatte vier ihrer Ableger bereitgestellt, um die BASIS bei der Koordination der spiralförmigen Beschleunigungs- und Annäherungsmanöver zu unterstützen, an deren Ende der Dimetranssprung nach M 87 stehen würde. Die sogenannten MINSTRELS waren auf der TERRANIA stationiert, dem Flaggschiff des Protektors. Reginald Bull hatte es sich trotz seines übervollen Terminkalenders nicht nehmen lassen, mit einer Begleitflotte die grob 27.000 Lichtjahre zum Milchstraßenzentrum mitzufliegen, um sich von seinem besten Freund persönlich zu verabschieden.
»Ebenso wie ich haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass du es dir doch noch anders überlegst und diesen Wahnsinn abbrichst«, sagte Bull.
»Auch ich würde mir wünschen, es gäbe einen anderen Weg. Aber wir müssen ... Catron ist eine reale Gefahr, selbst wenn er fünfundfünfzig Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Wir haben schmerzlich erlebt, was schon ein winziger Splitter dieser Wesenheit anrichten kann. Deshalb müssen wir einem weiteren Angriff unbedingt zuvorkommen.«
»Mich musst du nicht überzeugen.« Bull rümpfte die Nase. »Im Gegensatz zu dir habe ich das alles mehr als achtzig Jahre lang hautnah miterlebt.«
»Entschuldige, Reg.« Rhodan lächelte schwach. »Ich weiß, dass du der Letzte bist, den ich über diese Zeiten und ihre Folgen aufklären muss. Genau das ist der Grund, warum ich selbst nach M Siebenundachtzig fliegen kann. Ich würde diese Reise niemals unternehmen, wenn ich nicht wüsste, dass du es bist, der zu Hause nach dem Rechten sieht.«
»Schon gut.« Bull winkte ab. »Wir haben zu viel zusammen erlebt, als dass Entschuldigungen nötig wären. Und Honig musst du mir auch nicht um den Bart schmieren. Ich hatte nur gehofft, dass ...« Er stieß einen leisen Seufzer aus.
»Ich weiß«, sagte Rhodan. »Manchmal denkt man, dass es niemals aufhört. Dass es niemals ruhiger wird. Dass die zu lösenden Probleme Schlange stehen. Deshalb schiebt man die wichtigen Dinge im Leben immer weiter auf, bis es eines Tages zu spät ist. Daran ändert nicht mal die Unsterblichkeit etwas.«
»Ja. Aber das ist unser Job, oder? Wir retten jeden Tag die Welt. Oder sorgen zumindest dafür, dass sie sich ein Stückchen weiterdreht. Allen Dummschwätzern und Wichtigtuern zum Trotz.«
Ein leiser Signalton erklang. Bull hob den Arm und warf einen Blick auf sein Multifunktionsarmband.
»Wenn man vom Teufel spricht ... Der nächste Termin. Ein virtuelles Treffen mit den Flottenadmirälen über Hyperrelaisverbindung zum Solsystem. Wahrscheinlich wollen mir die hohen Damen und Herren daheim wieder mal erklären, was ich als Protektor der Terranischen Union alles falsch mache.«
Einige Sekunden lang sagte keiner der beiden Männer etwas.
»Wir reden noch«, brach Rhodan schließlich das Schweigen. »Und du weißt ja, wo du mich findest. Zumindest für die nächsten vier Wochen. Halt die Ohren steif, mein Freund.«
»Du auch.« Für einen Moment wirkte es, als wolle Reginald Bull noch etwas sagen. Doch dann unterbrach er die Verbindung, sein Holo erlosch.
»Er hat es noch immer nicht verwunden, nicht wahr?«
Rhodan hatte Thora Rhodan da Zoltral nicht kommen hören. Von dem kurzen Gespräch konnte sie nichts mitbekommen haben, weil er es unter einem Isolierfeld geführt hatte, aber sie hatte Bulls Projektion gesehen. Alles andere war nicht schwer zu erraten.
»Nein, hat er nicht«, bestätigte Rhodan. »Aber sogar mir gegenüber behält er die Maske auf. Ich weiß, dass er leidet, und kann nichts dagegen machen. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen.«
»Das kannst du. Und das tust du! Indem du da bist und ihm die Zeit lässt, die er braucht. Reg ist kein Kieselstein, sondern ein Felsklotz. Er bewegt sich nur langsam – vor allem, wenn es um sein Innenleben geht.«
»Das hast du schön gesagt.« Rhodan spürte, wie Thora ihre Arme auf seine Schultern legte und sich zu ihm herunterbeugte. Ihre langen Haare kitzelten ihn im Nacken und Gesicht.
»Ich kenne mich eben aus mit Männern und ihrer Scheu, über Gefühle zu sprechen«, flüsterte sie in sein Ohr. »Das ist bei Arkoniden nicht anders als bei Terranern.«
Die BASIS beschleunigte weiter. Als sie zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichte, hob Melbar Kasom den Alarmzustand auf. Das Flottenträgerschiff raste nun mit konstantem Tempo um Sagittarius A*. Alle Kalkulationen der Experten hatten sich als richtig erwiesen. Die BASIS verhielt sich exakt wie vorausberechnet.
Perry Rhodan hielt eine kurze Ansprache über Bordfunk. Das hatten ihm die Psychologen der Medizinischen Abteilung ans Herz gelegt. Die Mannschaft zählte rund fünfzigtausend Personen. Zwar waren es zum allergrößten Teil hervorragend ausgebildete Spezialisten, die psychisch stabil waren und über eine hohe Widerstandskraft verfügten. Doch das schiere Ausmaß und die Bedeutung der bevorstehenden Expedition ließ selbst den pragmatischsten Charakter nicht kalt.
»Wir haben soeben den ersten Schritt auf einer langen und gefährlichen Reise gemacht«, hallten seine Worte durch die Korridore, Hangars, Lagerhallen, Messen und Maschinenräume der BASIS. »Als der britische Polarforscher Ernest Henry Shackleton im Jahr 1907 Mitstreiter für eine Expedition in die Antarktis suchte, gab er eine Anzeige in einer Zeitung auf. Für die, die nicht wissen, wovon ich rede: Zeitungen waren früher die Entsprechungen der Nachrichtenforen im heutigen Mesh. Allerdings druckte man sie auf Papier und verteilte sie dann unter den Leuten.«
In der Zentrale kam da und dort höfliches Gelächter auf.
»Wie auch immer«, fuhr Rhodan fort. »In seiner Annonce schrieb Shackleton Folgendes: ›Suche Freiwillige für gefährliche Reise. Niedriger Lohn, bittere Kälte, lange Stunden in vollständiger Finsternis garantiert. Rückkehr ungewiss. Ehre und Anerkennung nur im Fall des Erfolges.‹«
Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Dann sprach er weiter.
»Ich hoffe sehr, dass unsere eigene Reise ein bisschen komfortabler verläuft. Alles andere wird sich finden. Was ich damit sagen will, ist: Seien Sie sich in jeder Minute bewusst, dass wir nicht nur Geschichte schreiben, sondern an einen Ort fliegen, von dem wir so gut wie nichts wissen. Dass wir unser Leben riskieren. Für unsere Familien und Freunde. Für die, die zurückbleiben und zu denen wir so schnell wie möglich heimkehren wollen. Ich habe deshalb nur eine einzige Bitte an Sie. Nein ... keine Bitte. Das ist ein Befehl Ihres Expeditionsleiters. Passen Sie auf! Auf sich selbst und auf die, die bei Ihnen sind. Denn dort, wo wir hingehen, haben wir nur uns!«
Rhodan sah sich in der Zentrale um. Die meisten Offiziere hatten ihre Tätigkeiten vorübergehend eingestellt und sich ihm zugewandt. Er atmete tief ein und wieder aus.
»Mehr habe ich eigentlich nicht zu sagen.« Er hob die Arme und ließ sie wieder sinken. »Eins vielleicht noch: Man hat mich in den vergangenen Monaten häufig gefragt, ob ich Angst vor dieser Reise hätte. Vor dem Unbekannten. Vor der potenziellen Gefahr. Vor dem, was wir in den Tiefen des Weltraums finden werden. Ich habe dann meistens mit einem Zitat des deutschen Schriftstellers und Publizisten Erich Kästner geantwortet. Es lautet: ›Auch der stärkste Mann schaut einmal unters Bett.‹«
Erneutes Gelächter. Diesmal klang es herzlicher.
»In diesem Sinne«, kam Rhodan zum Ende. »Schauen Sie ruhig hin und wieder unter Ihr Bett. Das ist in Ordnung. Und wenn Sie dort die Verpackung eines Konzentratriegels oder ein paar Staubflusen finden, verständigen Sie den Servoroboter Ihrer Kabine. Er wird die Gefahr beseitigen.«
Perry Rhodan beendete den Rundruf und nahm wieder in seinem Sessel Platz. Er wartete darauf, dass Thora Rhodan da Zoltral etwas äußerte, doch sie lächelte ihn nur an. Und auf einmal war alles ein bisschen leichter und heller.
5.
Biniam Palmos
Drei Wochen vor dem Sprung
Schon wieder die gleichen Komponenten!
Biniam Palmos tippte an den Bügel seiner Datenbrille. Der Holoprojektor des Geräts kennzeichnete die Positionen der fehlerhaften Speicherkristalle in der positronischen Verteilereinheit mit hellen, roten Leuchtpunkten. Es waren dieselben Elemente, die Palmos bereits zwei Tage zuvor ausgetauscht hatte.
Er zog die stecknadelkopfgroßen, wie geschliffene Diamanten anmutenden Objekte mit seinem Multifunktionswerkzeug aus ihren Halterungen und legte sie in die schmale Kammer der Analyseeinheit. Bereits nach wenigen Sekunden informierten ihn ein Signalton und ein schwaches Vibrieren, dass die Untersuchung abgeschlossen war.
Palmos betrachtete die Analysedaten – und schüttelte den Kopf. Die Kristalle waren ausgebrannt, ihre Gitterstrukturen komplett zerstört. Sämtliche darin enthaltenen Daten waren unwiederbringlich verloren.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, murmelte er. »Die automatische Selbstdiagnose des Systems war jedes Mal ohne Befund.« Zur Sicherheit startete er eine neuerliche Prüfroutine des positronischen Netzwerkknotens. Wie erwartet, war die Recheneinheit in perfektem Zustand. Warum zum Teufel brannten also ständig die Speicherkristalle durch?
Sein Multifunktionsarmband mahnte ihn zum zweiten Mal, dass seine Schicht zu Ende war. Beim dritten Mal würde eine Meldung an die Zentrale erfolgen, was ihm ein Gespräch mit Nuro Nagatoma einbrächte, dem unbeliebten Leiter ihrer Wartungsgruppe.
Seufzend verstaute Palmos seine Werkzeuge, schloss die Wandverkleidung der Verteilereinheit und desaktivierte seine Datenbrille. Auf der BASIS achtete man sehr genau darauf, dass die Besatzungsmitglieder ihre Ruhezeiten einhielten. Dadurch wollte man vermeiden, dass es bei Bereitschafts- oder Notdiensten durch unausgeschlafene und somit unkonzentrierte Mitarbeiter zu Problemen oder gar Unfällen kam.
Der Techniker Zweiter Klasse schlug die Richtung zur Medostation ein. Nicht, weil er sich krank fühlte, sondern weil er nach seinen Freund Milosh Soukup sehen wollte. Soukup war vor einer Woche einem Unfall zum Opfer gefallen. Eine winzige Unachtsamkeit bei der Kalibrierung eines Hyperpartialinitiators hatte zum Austritt von ultraheißem Plasmadampf geführt. Nun lag er in einem Regenerationstank und schlief seiner hoffentlich vollständigen Genesung entgegen.
Als Palmos den Empfangsbereich für Besucher betrat, begrüßte ihn der diensthabende Arzt Doktor Jeevan. Palmos kannte den Mediker inzwischen ganz gut, weil er jeden Tag herkam. Zwar lag sein Freund im künstlichen Koma, das war Palmos jedoch egal. Er war davon überzeugt, dass Soukup seine Anwesenheit spürte – auf welcher spirituellen Ebene auch immer.
»Keine Veränderungen«, teilte ihm Jeevan unaufgefordert mit. »Aber er ist stabil, und die Hauttransplantationen waren erfolgreich. Ich schätze, bis zum Sprung ist er wieder fit. Gehen Sie einfach rein. Den Weg kennen Sie ja.«
Palmos bedankte sich und betrat die Desinfektionsschleuse. Von der Entkeimung merkte er nichts. Wie in allen modernen medizinischen Einrichtungen der Terranischen Union setzte man auch auf der BASIS modifizierte UV-C-Strahlung ein, die binnen Sekunden 99,9 Prozent aller bekannten Bakterien, Viren und sonstigen Krankheitserreger abtötete. Menschliche Zellen wurden dabei nicht geschädigt.
Der Sprung. Alle nannten ihn so. Das große Ereignis. Der Dimetranssprung über 55 Millionen Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße ins Zentrum der Galaxis M 87. Er war Thema Nummer eins, seit sie den Spiralorbit um Sagittarius A* und ihre Beschleunigungsphasen begonnen hatten.
Wie alle anderen hatte sich auch Palmos freiwillig für diese Expedition gemeldet. Aber je länger die Vorbereitungen für den Sprung dauerten, desto unsicherer wurde er. Spielten sie nicht mit Kräften, die niemand einschätzen, geschweige denn beherrschen konnte? Forderten sie nicht die Natur, ja sogar Gott persönlich heraus? Das konnte doch eigentlich gar nicht gut gehen, oder?
Er ging einen hellen Korridor entlang. An dessen Ende lag der kugelförmige Raum mit den in die Wand eingelassenen Heilschlafcontainern. Nur einer davon war belegt, mit Milosh Soukup.
»Hallo, Milosh!«, rief Palmos fröhlich und trat an die transparente Vorderseite der Apparatur.
Sein Freund schwamm mit geschlossenen Augen und einer Atemmaske über dem Gesicht in der blaugrauen Nährlösung. Von den schweren Verbrennungen, die er erlitten hatte, war nichts mehr zu sehen. Laut den Ärzten brauchte es nur noch ein bisschen Zeit, damit auch die inneren Verletzungen ausheilen konnten. Vor allem die Lunge war stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
Wie immer erzählte er Soukup von seinem Tag, ging dann zum neusten Klatsch und Tratsch an Bord über und beendete seinen Besuch mit einem Gebet. Dass Soukup nicht gläubig war, war egal. Über solche Banalitäten sah Gott hinweg. Palmos war dem Herrn dankbar, dass er seine schützende Hand über Soukup gehalten hatte. Nun bat Palmos ihn, auch noch die letzten Meter des Wegs zu gehen und den Medizinern dabei zu helfen, Soukup vollständig gesund zu machen.
»Auf Wiedersehen, Milosh«, sagte er zum Abschied. »Wir sehen uns morgen. Ich komme dann allerdings erst gegen Abend. Du weißt ja: Spätschicht.«
Er verließ die Medostation und machte sich auf den Weg zu seiner Kabine. Er würde noch etwas essen und sich dann schlafen legen. Vielleicht schaffte er vor der Arbeit am nächsten Tag noch einen Simulatorbesuch. Das Training war zwar nicht vorgeschrieben, aber die Abteilungsleiter sahen es gern, wenn man sich fit hielt.
Palmos hatte während der letzten Jahre der Aphilie in der Werkstatt einer Gleitervermietung in Jakarta gearbeitet. Die BASIS gehörte jedoch zur Terranischen Flotte, und dort gab es erheblich mehr Regeln als in der freien Wirtschaft. Daran hatte er sich erst gewöhnen müssen. Aber die Bezahlung war gut – und er fühlte sich als Teil von etwas wahrhaft Großem. Das war ihm wichtig. Nicht einfach nur vor sich hin zu existieren, sondern etwas zu tun, das anderen Menschen half, ihnen vielleicht sogar ein Vorbild für das eigene Leben war.
Kurz bevor er sein Quartier erreichte, ertönte ein tiefer, lang gezogener Ton, der durch die ganze Humansektion der BASIS hallte.
Dann erklang die markante Stimme von Melbar Kasom. »Achtung! Dies ist eine Durchsage der Schiffsführung! In einer Stunde beginnen wir mit der zweiten Beschleunigungsphase. Damit tritt gleichzeitig bis auf Widerruf erneut ein Verschlusszustand in Kraft. Sorgen Sie frühzeitig dafür, dass Sie auf Ihren Dienststationen sind. Wenn Sie nicht zu den Bereitschaftsteams gehören, bleiben Sie in Ihren Quartieren. Sämtliche nicht essenziellen Schiffseinrichtungen sind während dieser Phase geschlossen.«
Es geht los, dachte Biniam Palmos. Die BASIS beschleunigt bis zur temporalen Dilatationsgrenze, also jener Geschwindigkeit, in der zeitliche Relativverzerrungen nicht mehr zuverlässig kalkulierbar sind.
Einerseits war er froh, dass er diesen Abschnitt der Reise in seiner Kabine verbringen durfte. Andererseits fürchtete er sich vor der Einsamkeit.
6.
Thora Rhodan da Zoltral
Drei Wochen vor dem Sprung
Er sieht so schrecklich blass aus, dachte Thora Rhodan da Zoltral. Selbst wenn man seine arkonidischen Gene berücksichtigt.
Sie saß am Krankenbett ihres Sohns und hielt dessen Hand. Thomas Rhodan da Zoltral schlief. Das hatte er in den zurückliegenden Monaten sehr oft getan. Mehrmals waren seine Anfälle sogar so schlimm gewesen, dass ihn die Ärzte in einen künstlich induzierten Heilschlaf versetzt hatten.
Haben wir uns intensiv genug um ihn gekümmert? Wir waren so sehr mit den Vorbereitungen für den Sprung nach M Siebenundachtzig beschäftigt ...
Thora strich über Toms Wange. Seine Haut fühlte sich kalt, die Bartstoppeln hart und kratzig an.
Sie hatte – ebenso wie Perry Rhodan – immer wieder versucht, zu Thomas durchzudringen. Manchmal hatte sie sogar geglaubt, es zu schaffen. Die Dagorübungen hatten ihn beruhigt, seinen Verstand aus der selbst gewählten Isolation befreit. Zumindest vorübergehend. Aber dann war jedes Mal der Rückschlag gekommen, und er war wieder von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen zerfressen worden.
Es half nichts, wenn sein Vater darauf verwies, dass Tom unter dem Einfluss der Aphilie gehandelt hatte. Dass er krank gewesen war und seine Gräueltaten nicht als die Person begangen hatte, die er eigentlich war. Für Thomas spielte das keine Rolle. Er war davon überzeugt, dass er sich gegen die Gefühlsarmut hätte wehren können, wenn er es nur energisch genug gewollt hätte. Er glaubte, dass die Herzlosigkeit und die Bereitschaft, jedes Mittel einzusetzen, um sein Ziel zu erreichen, schon immer in ihm geschlummert hatten. Die Aphilie habe sie lediglich freigelegt und ihn in jenes hemmungslose, entmenschte Ungeheuer verwandelt, das er im Grunde seit jeher war.
»Wenn dem so wäre«, hatte Thoras Mann argumentiert, »würdest du dich jetzt nicht so sehr quälen. Begreifst du das denn nicht? Ich kenne dich, Tom. Vielleicht sogar besser als du dich selbst. Die Aphilie hat viele Menschen zu Tätern gemacht. Aber es war nicht ihre Schuld. Das ist der Grund, warum der Unionsrat die Generalamnestie verabschiedet hat. Sie wird den gesellschaftlichen Heilungsprozess nicht beschleunigen, aber sie macht ihn zumindest möglich.«
Thora hatte es sogar auf die harte Tour versucht, hatte ihren Sohn als Schwächling beschimpft.
»Hör endlich auf, dich selbst zu bemitleiden!«, hatte sie Tom vorgeworfen. »Glaubst du, du bist der Einzige, der unter den Nachwirkungen der Aphilie leidet? Catron hat Milliarden Menschen missbraucht. Er hat sie gezwungen, schreckliche Dinge zu tun, und es wird lange dauern, bis sie sich davon erholt haben. Manche erholen sich vielleicht gar nicht mehr. Aber du? Du bist stark. Du bist niemand, der aufgibt, weil es schwierig wird. Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast, als uns Farouq verlassen hat und ich nicht wusste, wohin mit meinem Schmerz und meiner Trauer? Du hast gesagt: ›Von jetzt an leben wir zwei Leben, Mom. Unser eigenes und das von Farouq. Und wir werden ihn stolz machen!‹«
Aber selbst das hatte nichts genützt. Thomas war in ein tiefes Loch gefallen und kam nicht mehr heraus.
Die Psychologen – soweit er sie an sich heranließ – diagnostizierten ein schweres seelisches Trauma mit somatoformen Folgesymptomen. Für Thora war das nichts als die höfliche Umschreibung von: »Wir haben keine Ahnung, was mit Ihrem Sohn los ist.« Dass Thomas traumatisiert war, sah man auch ohne psychologische Ausbildung. Und dass die körperlichen Reaktionen auf seinen Zustand keine organischen Ursachen hatten, machte die Sache nicht besser.
Lia Tifflor, die sich seit einem halben Jahr um Tom kümmerte, bezeichnete die Episoden, in denen sich ihr Patient oft unberechenbar und aggressiv verhielt, als psychotisch-depressive Erregungsschübe. Ihrer Ansicht nach waren sie das Ergebnis einer fatalen Mischung aus genetischer Disposition und einer von der Aphilie verursachten zerebralen Mutation. Allerdings vergaß die Ärztin nie, darauf hinzuweisen, dass sie ihre Vermutungen noch mit klinischen Daten belegen musste – und das war nicht einfach, weil sich Tom alles andere als kooperativ verhielt.
»Er befindet sich in einer Phase der gefühlten Desorientierung«, hatte Tifflor bei einem ihrer vielen Besuche in der Villa am Goshunsee erläutert. »Seine ehemals geordnete Welt ist vollständig zusammengebrochen. Sein Denkgebäude hat das Fundament verloren. Er weiß nicht mehr, was richtig und was falsch ist, und zieht alles in Zweifel, was er jemals erlebt und getan hat. Es gibt keine Gewissheiten mehr. Deshalb sucht er nach einer neuen Identität, die es ihm erlaubt, mit der jüngsten Vergangenheit fertigzuwerden. Das kann lange dauern. Und es erfordert eine intensive Therapie, die er leider ablehnt.«
»Inwiefern spielt das Implantat eine Rolle, das er von Leibnitz übernommen hat?«, hatte Thora wissen wollen. »Würde es ihm helfen, wenn man es einfach entfernt?«
»Das weiß ich nicht.« Tifflor hatte mit den Schultern gezuckt. »Die Durchleuchtungen haben nichts ergeben. Es scheint inaktiv zu sein. Und Mister Leibnitz können wir leider nicht mehr fragen. Von einer entsprechenden Operation kann ich deshalb vorerst nur abraten.«
Und dann war da noch das zusätzliche Bewusstsein, das Thomas seit den dramatischen Ereignissen im Innern der Stele von Terrania beherbergte. Während der finalen Auseinandersetzung mit Catrons Bewusstseinssplitter hatte sich der Geist des sterbenden Roi Danton in Toms Kopf eingenistet. Wie und warum das geschehen war, konnte niemand mehr nachvollziehen; dazu wusste man zu wenig über die Details. Es war jedoch schnell deutlich geworden, dass ihr Sohn einen mentalen Dauergast in sich trug.
Die ersten Untersuchungen hatten ergeben, dass Thomas seinen Körper nach wie vor dominierte. Allerdings kam es hin und wieder zu Phasen, in denen Danton die Kontrolle übernahm. Tom hatte jedoch versichert, dass so etwas nur geschehen konnte, wenn er es zuließ.
»Ich höre seine Stimme, Mom«, hatte er Thora erzählt. »Er flüstert in meinem Verstand. Es ist wahrscheinlich ein bisschen, als hätte ich einen Extrasinn wie du. Aber wenn ich es nicht will, ist Roi stumm. Ganz als wäre er gar nicht da ...«
Die ganze Sache verkomplizierte Toms Zustand. Die Ärzte vermuteten, dass ihn seine arkonidischen Gene besonders empfänglich für den Bewusstseinstransfer gemacht hatten. Möglicherweise war das alles nur eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen. Oder glücklicher Umstände, wenn man es aus der Sicht von Roi Danton betrachtete. Der Franzose hatte wohl im Augenblick des Todes den potenziellen Rettungsanker erkannt und zugegriffen.
Sud hatte mehrfach angeboten, Thomas psychiatrisch zu betreuen. Aber das hatte er abgelehnt, und sie konnten ihn nicht zwingen, sich in die Obhut einer Therapeutin zu begeben. Dabei wäre sie als Mentamalgam für diese Rolle geradezu prädestiniert gewesen. Auch in Sud wohnten zwei Bewusstseine. Der einzige Unterschied zu Tom war, dass Sue Mirafiore und Sid González im Laufe der Zeit zu einer neuen Persönlichkeit verschmolzen waren, während Thomas und Danton nach wie vor als separate Individuen existierten.
Thora betrachtete das Gesicht ihres Sohns. Es sah so entspannt, so ... normal aus. Für ein paar Sekunden konnte sie sich einreden, dass alles in Ordnung war, dass er wieder gesund werden und sich in jenen feinfühligen, humorvollen und liebenswerten Mann zurückverwandeln würde, der er mal gewesen war. Aber sie durfte sich nichts vormachen. Sie musste auch mit dem Schlimmsten rechnen ...
Die Tränen kamen zu schnell, als dass sie sie hätte zurückhalten können. Sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an.
»Er wird sich erholen«, erklang da eine leise Stimme hinter ihr. »Er ist unser Junge. Und er weiß, wie man kämpft.«
Für einen Lidschlag verspürte sie Wut darüber, dass jemand sie in einem schwachen Moment ertappt hatte. Dann wurde ihr bewusst, dass Perry Rhodan den Raum betreten hatte, und die Wut verflog sofort. Er war eine der wenigen Personen, die ihre verletzliche Seite kannten. Vor ihm hatte sie keine Geheimnisse. Und sie war weder stolz noch dumm genug, um nicht zuzugeben, dass es hin und wieder guttat, sich einfach fallen zu lassen. In die Arme einer Person, der man bedingungslos vertraute.
Rhodan trat an das Krankenbett und strich Thomas durch die Haare. Dann legte er die Hand an dessen Wange. Eine Weile sagte niemand etwas, und die Arkonidin lauschte auf das Wispern des Winds in den Blättern der Bäume, das gelegentliche Rascheln im Unterholz und das leise Zwitschern der Vögel. Toms Bett stand vermeintlich mitten in einem terranischen Wald. Sonnenlicht fiel durch das Blätterdach, der Boden war mit Moos und Laub bedeckt. Der Zimmerservo projizierte die entsprechende holografische Umgebung und sorgte für die passende Geräuschkulisse.
»Lass uns für einen Moment nach draußen gehen«, sagte Rhodan schließlich. »Ich glaube, wir können beide einen K'amana gebrauchen.«
Thora nickte nur und stand auf. Der Terraner fasste sie um die Schultern und führte sie in den kleinen Nebenraum, der einen Tisch mit zwei Sesseln, ein in die Wand integriertes Bett und einen Getränkespender enthielt. Sekunden später entnahm er dem Ausgabefach zwei Becher mit einer dunklen, dampfenden Flüssigkeit und reichte ihr einen davon.
Der K'amana, den man an Bord der BASIS bekam, war synthetisch, schmeckte aber gar nicht schlecht. Auch unter den Menschen war das dem terranischen Kaffee ähnliche arkonidische Heißgetränk inzwischen überaus beliebt. In der Kabinenflucht, die Thora gemeinsam mit ihrem Mann bewohnte, lagerte sie jedoch auch ein paar Säckchen mit echten K'am-Bohnen. Richtig aufgebrüht, schlug ihr Aroma das des künstlichen K'amanas um Lichtjahre.
»Ich habe völlig die Zeit vergessen«, gestand die Arkonidin, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte. »Ist die zweite Beschleunigungsphase schon beendet?«
»Ja.« Rhodan lächelte. »Und erneut ist alles exakt nach Plan verlaufen. Allmählich mache ich mir Sorgen.«
Thora stieß ein kurzes Lachen aus. »Eine typisch menschliche Reaktion. Wie sagt ihr doch gleich? ›Zu schön, um wahr zu sein‹? Sobald etwas zu lange ohne Probleme läuft oder ihr längere Zeit glücklich und zufrieden seid, werdet ihr misstrauisch. Bis dann tatsächlich etwas schiefgeht oder eure Glückssträhne vorüber ist.«
»Stimmt. Es gibt sogar einen psychologischen Fachausdruck dafür: Man nennt es eine selbsterfüllende Prophezeiung. Gewissermaßen eine Vorhersage, die ihre Erfüllung selbst bewirkt. Eine Prognose, deren Eintreten man durch bewusstes oder unbewusstes Handeln überhaupt erst herbeiführt.«
»Das ist nicht besonders klug«, sagte Thora.
»Das ist menschlich. Und erzähl mir nicht, dass es unter den Arkoniden keine Pessimisten gibt. Vor allem unter jenen, die über einen Extrasinn verfügen.«
»Hältst du mich für eine Pessimistin?«
»Nein. Aber ich bin ziemlich sicher, dass dein zweites Ich gerade wieder über mich lästert.«
Erneut musste Thora lachen. »Keine Sorge.« Sie küsste ihn auf die Wange. »Nichts, was mein Logiksektor sagt, wird meine Liebe für dich schmälern. Selbst wenn er recht hätte ...«
Ihr Mann stieß ein unzufriedenes Brummen aus und verzog scheinbar beleidigt das Gesicht. Dann zuckte er mit den Schultern und hob seinen Becher. Sie erwiderte die Geste, und sie stießen miteinander an.
Er hat es wieder mal geschafft, dachte sie, und mich aus meinem vorübergehenden Tief geholt.
In diesem Augenblick erklang ein lang gezogenes Stöhnen. Es hielt einige Sekunden lang an und ging dann in ein hohes Quieken über. Nach einer kurzen Pause schlossen sich einige Lautfolgen an, die wie gedehnte Vokale in unterschiedlichen Tonhöhen klangen. Erst dann begriff Thora, dass dieser skurrile Gesang aus dem Krankenzimmer ihres Sohns kam.
Rhodan reagierte schneller. Er stellte seinen Becher auf den Tisch und lief los. Die Arkonidin folgte ihm.