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Im Sommer 2051 leben die Bewohner der Erde in Frieden, es droht keine Gefahr mehr. Die Menschheit kann weiter an ihrer Einigung arbeiten, gemeinsam blickt man in die Zukunft. Nach dem fürchterlichen Krieg zwischen den Maahks und den Arkoniden herrscht zudem Ruhe in der bekannten Milchstraße. Doch wie aus dem Nichts tauchen fremde Raumschiffe über der Erde auf. Ihre Übermacht ist erdrückend, ihre Technik weit über dem Niveau der Menschen. Die Fremden nennen sich Sitarakh, sie scheinen in einer direkten Beziehung zur Sonne zu stehen. Perry Rhodan und seinen Gefährten bleibt nichts anderes übrig, als die Flucht anzutreten. Rhodans Ziel ist, Hilfe bei den Arkoniden zu holen. Doch wie wird sich der neue Imperator gegenüber den Menschen verhalten?
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Seitenzahl: 2198
Im Sommer 2051 leben die Bewohner der Erde in Frieden, es droht keine Gefahr mehr. Die Menschheit kann weiter an ihrer Einigung arbeiten, gemeinsam blickt man in die Zukunft. Nach dem fürchterlichen Krieg zwischen den Maahks und den Arkoniden herrscht zudem Ruhe in der bekannten Milchstraße.
Doch wie aus dem Nichts tauchen fremde Raumschiffe über der Erde auf. Ihre Übermacht ist erdrückend, ihre Technik weit über dem Niveau der Menschen. Die Fremden nennen sich Sitarakh, sie scheinen in einer direkten Beziehung zur Sonne zu stehen.
Perry Rhodan und seinen Gefährten bleibt nichts anderes übrig, als die Flucht anzutreten. Sein Ziel ist, Hilfe bei den Arkoniden zu holen. Doch wie wird sich der neue Imperator gegenüber den Menschen verhalten?
Cover
Vorspann
Band 131 – Der Kontrakt
Vorspann
Vorspiel: Helle Schatten
1. Schlaglicht: Die Glut der Sonne
2. Dortmund/Ruhr-Arena: Hymne
3. Schlaglicht: Die Kälte des Mondes
4. Dortmund/Ruhr-Arena: Rhodans Rede
5. Schlaglicht: Der Atem der Erde
6. Dortmund/Ruhr-Arena: Ankunft
7. Schlaglicht: Die erste Verkündigung
8. Dortmund/Ruhr-Arena: Fluchthilfe
9. Dortmund/Ruhr-Arena: Wer zurückbleibt ...
10. Dortmund/Ruhr-Arena: Fluchtweg
11. Schlaglicht: Lakeside View
12. LESLY POUNDER: Flucht
13. Schlaglicht: Die Erste Verlautbarung
14. Erde: Flugzeit
15. LESLY POUNDER: Sitarakh-Reflex
16. LESLY POUNDER: Falle
17. Schlaglicht: Die Zweite Verlautbarung
18. LESLY POUNDER: Fluchtpunkt
19. Erde: Krisenstab
20. LESLY POUNDER: Geisterschiff
21. Terrania: Invasorentreff
22. LESLY POUNDER: Wasserspiele
23. Terrania: Invasorengespräch
24. Schlaglicht: Kollaps
25. Sonnensystem: Asteroidengestöber
26. LESLY POUNDER: Spuk
27. LESLY POUNDER: Unverhofft
28. Terrania: Exzess
29. Schlaglicht: Die Dritte Verlautbarung
Band 132 – Melodie des Untergangs
Vorspann
1. Sankt Petersburg, 5. Juni 2051
2. Presseamt der Regierung von Großrussland, 4. Juni 2051
3. Sankt Petersburg, 5. Juni 2051
4. Terrania, Stardust Tower, 5. Juni 2051
5. LESLY POUNDER: Tom
6. LESLY POUNDER: Rhodan
7. LESLY POUNDER
8. Terrania
9. LESLY POUNDER
10. Let's fly ...
11. LESLY POUNDER, 6. Juni 2051
12. LESLEY POUNDER
13. Luna, 6. Juni 2051
14. Terrania, 6. Juni 2051
15. Luna
16. Luna
17. Peking, 7. Juni 2051
18. Weit, weit draußen
19. LESLY POUNDER, 7. Juni 2051
20. Peking
Band 133 – Raumzeit-Rochade
Vorspann
Prolog: 7. Juni 2051, zwischen Erde und Mond
1. 1864, nahe Redwood, Mississippi
2. 1649, Hathorsystem
3. 13.000 v. Chr., Palagola
4. 1864, Tamaániu
5. 1649, Wanderer
6. 1864, Redwood
7. 13.000 v. Chr., Palagola
8. 1649, Wanderer
9. 1864, zwischen den Inseln
10. 1864, nahe Redwood
11. 1864, Liduur
12. Dezember, 50.939 v. Chr., Velcitna – Rico
13. Dezember, 50.939 v. Chr., Velcitna – Tuire Sitareh
Intermezzo: 7. Juni 2051, zwischen Erde und Mond
14. vor 85 Millionen Jahren, Liduur
15. vor 85 Millionen Jahren, an Bord der ATRASTAU – Rico
16. vor 85 Millionen Jahren, an Bord der ATRASTAU – Anathema di Cardelah
17. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Tuire Sitareh
18. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Anathema di Cardelah
19. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Tuire Sitareh
20. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Anathema di Cardelah
21. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Rico
22. 1864, nahe Redwood
23. 1864, Liduur
24. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Billy Ray Dawson
25. vor 85 Millionen Jahren, Liduur – Tuire Sitareh
26. Dezember, 50.939 v. Chr., Velcitna – Billy Ray Dawson
27. Dezember, 50.939 v. Chr., Velcitna – Tuire Sitareh
28. 13.000 v. Chr., Palagola
Epilog: 7. Juni 2051, zwischen Erde und Mond
Band 134 – Das Cortico-Syndrom
Vorspann
1. Peking, 7. Juni 2051
2. Sternhaufen M 15, 7. Juni 2051
3. Peking, 7. Juni 2051
4. Chaysystem, 7. Juni 2051
5. Zwischen Mond und Erde, 8. Juni 2051
6. Chaysystem, 7. Juni 2051
7. Peking, 8. Juni 2051
8. Chaysystem, 7. Juni 2051
9. Straßburg, 8. Juni 2051
10. Chaysystem, 7. Juni 2051
11. Terrania, 9. Juni 2051
12. Chaysystem, 7. Juni 2051
13. Straßburg, 9. Juni 2051
Band 135 – Fluch der Bestie
Vorspann
1. LESLY POUNDER, 7. Juni 2051
2. Straßburg, 10. Juni 2051
3. SHOSHIDA CARDELI, 7. Juni 2051
4. SHOSHIDA CARDELI, 7. Juni 2051
5. Terrania, 10. Juni 2051
6. LESLY POUNDER, 7. Juni 2051
7. Terrania, 10. Juni 2051
8. LESLY POUNDER, 7./8. Juni 2051
9. Dubai, 11. Juni 2051
10. Terrania, 10. Juni 2051
11. Dubai, 11. Juni 2051
12. Terrania, 10. Juni 2051
13. Nahe Dubai, 11. Juni 2051
14. Nahe Dubai, 11. Juni 2051
15. Terrania, 10. Juni 2051
16. LESLY POUNDER, 8. Juni 2051
17. Nahe Dubai, 12. Juni 2051
Band 136 – Tod eines Mutanten
Vorspann
1. Primärdiagnose: Das Hippokratische Protokoll
2. M 15: Rollin', rollin' ...
3. Das Hippokratische Protokoll
4. Asteroidengestöber
5. M 15: Flüssigkristall
6. Aussichten, Einsichten
7. Das Hippokratische Protokoll
8. Kontaktfläche
9. M 15: Bernsteinleben
10. Das Hippokratische Protokoll
11. Drohende Absichten
12. Untergrund
13. M 15: Bohrungen
14. Das Hippokratische Protokoll
15. New York, New York!
16. Augenöffner
17. M 15: Ein genauer Blick
18. Get out!
19. Das Hippokratische Protokoll
20. Our way!
21. M 15: Quarzgeschichten
22. Das Hippokratische Protokoll
23. Bestialität
24. Fluchthilfe
25. Das Hippokratische Protokoll
26. Wenn die Bestie spricht ...
27. M 15: Erschöpfung und andere Zustände
28. Das Hippokratische Protokoll
29. Wellenbewegung
30. Einfach zu viel ...
31. M 15: Flamingo
32. Das Hippokratische Bulletin
Band 137 – Schlacht um die Sonne
Vorspann
1. Julian Tifflor
2. Tuire Sitareh
3. Belle McGraw
4. Cheng Chen Lu
5. Koruman Ran-Tschak
6. Thora da Zoltral
7. Cheng Chen Lu
8. Tuire Sitareh
9. Fähnrich Juan Carnerero
10. Julian Tifflor
11. Abha Prajapati
12. Professor Ephraim Oxley
Band 138 – Die Weißen Welten
Vorspann
Prolog
Teil I – Die schlaflose Stadt
1. Leyle
2. Christophe Lente
3. Leyle
4. Christophe Lente
5. Leyle
Teil II – Das Auge im Zentrum der Nacht
6. Julian Tifflor
7. Gucky
8. Julian Tifflor
9. Perry Rhodan
10. Julian Tifflor
11. Perry Rhodan
12. Julian Tifflor
Teil III – Welt der Erleuchteten
13. Perry Rhodan
14. Julian Tifflor
15. Der Weiße Magier
16. Perry Rhodan
17. Julian Tifflor
Teil IV – Nocturne
18. Die Logik des Arkoniden
19. An Bord der TERRANIA
20. Eine Frage des Geschmacks
21. Die Crew der SD 23
22. Marshalls Weitsicht
23. Der Wert des Lebens
24. Der Rat des Administrators
25. Der Kater und die Anchet
26. Thoras Stärke
Epilog
Band 139 – Schicksalswaage
Vorspann
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Band 140 – Der längste Tag der Erde
Vorspann
1. 17. Juni 2051, Julian Tifflor
2. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
3. 17. Juni 2051, Julian Tifflor
4. 17. Juni 2051, Reginald Bull
5. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
6. 17. Juni 2051, Reginald Bull
7. 17. Juni 2051, Thora
8. 17. Juni 2051, Sue Mirafiore
9. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
10. 17. Juni 2051, Reginald Bull
11. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
12. 17. Juni 2051, Reginald Bull
13. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
14. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
15. 17. Juni 2051, Reginald Bull
16. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
17. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
18. 17. Juni 2051, Perry Rhodan
19. 17. Juni 2051, Thora
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Band 131
Der Kontrakt
Rainer Schorm
Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – es beginnt eine Zeit des Friedens. Auch im Weltall erringt Rhodan beeindruckende Erfolge.
Er beendet den verheerenden Krieg der fremdartigen Maahks gegen das Große Imperium der Arkoniden. Rhodan rettet sowohl Arkon als auch die Erde vor dem Untergang.
Dennoch sehen sich die Menschen im Jahr 2051 weiterhin großen Bedrohungen gegenüber. Ein gewaltiger Riss in der Sonne birgt unbekannte Gefahren.
Perry Rhodan und seine Gefährten versammeln sich in der Dortmunder Ruhr-Arena, um die Menschheit auf eine neue, verheißungsvolle Zukunft einzuschwören. Da fallen ohne Vorwarnung blutrote Schatten über Terra, und eine geheimnisvolle Stimme verkündet den Kontrakt ...
Vorspiel:
Helle Schatten
DAEDALOS SCU-XVIII näherte sich der Sonne. Die Kontrolleinheit mit der Aufgabe, die Datenströme der Ikaroiden zu sammeln, sofern diese in der Lage waren, Entsprechendes zu liefern, war ein kleines Einmannraumschiff. Es war derart dick gepanzert, dass sich Jeremy Haikännen unwillkürlich fühlte wie in einer Zwangsjacke. SCU stand für »Supervising Collector Unit«.
Der Finne fluchte leise. Die Einsätze an Bord der überwachenden DAEDALOS-Einheiten waren alles andere als beliebt.
»Gut bezahlt ... Ha!«, murmelte er. »Ich werde noch klaustrophobisch in dieser überkandidelten Sardinenbüchse. Und warum muss in so 'nem Ding überhaupt ein Pilot mitfliegen?«
Die Antwort kannte er selbstverständlich. Die Ikaroiden, die Sonden, welche die Sonne und speziell das absurde Sonnenchasma untersuchten, führten nur ein kurzes Leben. Die Daten, die sie in dieser Zeit sammelten, waren derart kostbar – und selten –, dass man die positronischen Leitsysteme durch die Intuition eines Menschen ergänzen wollte. Das rechtzeitige Eingreifen des menschlichen Instinkts mochte die eine Zehntelsekunde liefern, die den entscheidenden Ausschlag gab.
»Everybody needs somebody ... to burn!«, brummte Haikännen.
Er startete ein Simulationsprogramm. Die zehn Standard-Ikaroiden, die er zu überwachen hatte, bildeten eine Formation und nahmen ebenfalls Kurs auf die Sonne – nur sehr viel näher.
DAEDALOS SCU-XVIII umkreiste Sol auf einem weiteren Orbit, deutlich außerhalb der Chromosphäre, knapp innerhalb der Bahn des Kleinstplaneten Vulkan. Die Gegend, wohin die Ikaroiden vordrangen, war weitaus gefährlicher. Sie würden dort verglühen, wie Motten im Licht verbrannten. Doch in den ein, zwei Sekunden, die ihnen in dieser Hölle aus fusionierendem Wasserstoff blieben, beobachteten sie das Chasma, so gut das menschlicher Technik möglich war.
Angeblich arbeiten sie auf RA an einer neuen Keramikverbundlegierung, mit der die Lebensdauer verdoppelt werden soll!, dachte er. Na klasse. Statt zwei Sekunden lebt so ein Ding dann vier!
Die Simulation endete genau so, wie die Realität es später wiederholen würde: Die Ikaroiden verglühten. Zehn grelle Funken, die vor dem gleißenden Licht des Zentralgestirns beinahe dunkel wirkten. Sonnenflecken der anderen Art.
»Simulation abgeschlossen!«, meldete die Positronik. »Prioritätsmeldung: Die Sensoren zeigen Abweichungen!«
»Erklärung!«, forderte Haikännen. Er schwitzte. Zwar lief die Klimaanlage auf Hochtouren, aber die bloße Nähe der Sonne genügte; allein die Vorstellung davon, welche Hitze unter seinem DAEDALOS brodelte! Haikännen wischte sich die Stirn trocken. »Welche Einheit?«
»SCU. Kontrolleinheit!«, sagte die Positronik. Übergangslos wurde Haikännen kalt; ein absurdes Gefühl.
»Was für Abweichungen?«, fragte er rau. Das bin ich!, dachte er.
»Gravimetrische Messungen zeigen Interferenz-Musterbildung. Verifizierung durch potentere Sensorausstattung empfehlenswert; Defekt als Ursache nicht ausgeschlossen.«
Haikännen starrte auf die sehr spärliche Sammlung von Kontrollholos. Eine Verbindung mit RA war von dieser Position aus nicht möglich. Die Zentrale des Sonnenkorps befand sich momentan auf der anderen Seite der Sonne.
»Das kann uns gleichgültig sein!«, entschied er. »Ein gravimetrisches Muster hat keine Auswirkungen auf uns. Im Vergleich zur Sonne sind diese Abweichungen irrelevant.«
Warum diskutiere ich eigentlich mit einer Positronik?, fragte er sich. Sie weiß das besser als ich! Dabei war ihm klar, dass es sich um den kläglichen Versuch handelte, sich selbst zu beruhigen. Gravimetrische Anomalien mochten keine große Wirkung entfalten, doch die Alternative war deutlich unangenehmer: Ein Defekt der Instrumente in einer derart höllischen Umgebung war grundsätzlich ein schlechtes Zeichen. Die Vorstellung, was aus der DAEDALOS-Einheit bei einem Ausfall wichtiger Systeme werden würde, sorgte bei Haikännen für einen gepflegten Anfall prophylaktischer Panik.
Da bleibt nicht mal eine erhöhte Plasmadichte!, schoss es ihm durch den Kopf.
»Fehlerdiagnose! Analyseprogramme starten. Staffeln nach Priorität Alpha!«, ordnete er an. Priorität Alpha bedeutete, dass das Überleben von Boot und Pilot die alleinige Maßgabe war. »Kursänderung vorbereiten. Trajektorie Vektor RA. Ich will so schnell wie möglich weg von hier, wenn was Wichtiges ausfällt!«
Eine grüne Leuchtanzeige bestätigte seinen Befehl. Obwohl es keine Schadensmeldung gab, obwohl die Autoreparatursysteme keinen Fehler anzeigten, fühlte er sich miserabel.
Eine Ahnung! Was ist die schon wert?, dachte er. Das ist nicht mein Tag. Verdammt. Ich sollte mit Helena Bulgakowa in einer stillen Ecke von RA den Sex meines Lebens haben ... Stattdessen muss ich Trottel hier einspringen! Das ist nicht nur bescheuert, das ist ...
»Fremdmassenkontakt!«, warnte die Positronik. Im nächsten Moment schien eine unsichtbare Faust den DAEDALOS zu packen und gegen eine ebenso unsichtbare Mauer zu werfen.
Haikännen verlor beinahe das Bewusstsein. Die Alarmpfeifen waren derart laut und grell, dass er fürchtete, taub zu werden. Er wurde umhergeschleudert. Ohne die Gurte und Prallfeldstützen wäre er längst gegen die dick gepanzerten Wände geprallt.
Ihm war schwindlig und er übergab sich. »Hilfe ...!«, krächzte er nur.
»Kein Kontakt!«, sagte die Positronik, als sei nichts geschehen. »Möchten Sie ein Memo speichern?«
»Was?«, entfuhr es Haikännen.
Ein weiterer Schlag traf das Raumboot und trieb es wie einen Ball auf die lodernde Chromosphäre der Sonne zu. Die Außentemperatur stieg sprunghaft an. Die Schirmfelder waren stabil, aber erste Funkenbögen zeigten eine Zunahme der Teilchendichte. Der Fusionsreaktor arbeitete an der Leistungsgrenze. Haikännen wusste, dass er für kurze Zeit über das Standardmaximum hinausgehen konnte, aber das war keine taugliche Option.
Ein leises Singen, wie schwingendes Metall, machte ihm klar, wie entsetzlich seine Lage tatsächlich war.
»Kurs ... ändern! ... Sofort!«, schrie er, während ein weiterer Stoß das Raumfahrzeug erschütterte. Panisch sah er sich um. Unwillkürlich suchte er nach Glutflecken, mit denen sich die Hitze ins Innere des kleinen DAEDALOS brennen würde. Eine psychische Fehlleistung. Es würde so schnell gehen, dass er selbst nichts davon bemerken würde. Im Bruchteil einer Sekunde mussten ihn Glut, Hitze und Schwerkraft in eine verbackene Murmel verwandeln ... bevor er sich im Plasmameer auflöste.
»Kursänderung nicht möglich!«, erwiderte die Positronik. Die Stimme klang blechern.
»Warum nicht?«, brüllte Haikännen entsetzt.
»Fremdmassenkontakt!«
»Was soll das heißen? Sind das diese gravimetrischen Anomalitäten?« Haikännen erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Sie glich unangenehm jener der Positronik, die offenbar ebenfalls Schäden davongetragen hatte – wie das ganze Schiff.
»Nein. Die Ursache dafür!« Die Positronik gab ein metallisches Knarzen von sich.
»Und ... was ... ist ... es?«, schrie Haikännen, dessen Wut kurzfristig die Panik nach hinten drängte.
»Analyse nicht möglich. Sensorenpakete eins bis sieben außer Betrieb! Reparatur und Neukalibrierung empfohlen.« Dann schwieg die Positronik endgültig.
Der DAEDALOS vibrierte. Die Außenbeobachtungsholos funktionierten nur rudimentär. Für einen kurzen Augenblick glaubte Haikännen, etwas zu sehen. Einen Schatten, mehr nicht. Ihm war nicht mehr heiß.
Ein roter Schatten!, dachte er, sonderbar distanziert.
Das Rot nahm überhand, bis es den ganzen Himmel bedeckte. Dann wurde alles schwarz. Bevor DAEDALOS SCU-XVIII in einem jämmerlichen Feuerball explodierte, sandte die Kontrolleinheit eine finale Positionsmeldung. Sie erreichte RA exakt um 10.37 Uhr Terrania Standardzeit.
1.
Schlaglicht:
Die Glut der Sonne
Eric Leyden konnte den Blick nicht abwenden.
Die Oberfläche der Sonne schien die gesamte Stirnseite des Raums einzunehmen: ein brodelndes Höllenfeuer, nur im Zaum gehalten von der Schwerkraft und den gewaltigen magnetischen Feldlinien. Was er da vor sich sah, waren etliche Tausend Grad Kelvin Hitze und Glut. Ein Fusionsofen im wahrsten Sinne des Wortes.
Obwohl seine Umgebung klimatisiert war, standen dicke Schweißtropfen auf der Stirn des Hyperphysikers. Das wirre, hellblonde Haar war verschwitzt. Es war ein rein psychosomatischer Effekt, und er hatte etwas Bizarres an sich. Der Körper versuchte, sich abzukühlen, weil der Organismus wegen der herrschenden Lichtfülle zum Ergebnis gelangte, es müsse heiß sein. Dass der Verstand sich des Gegenteils bewusst war, spielte kaum eine Rolle.
»Dabei käme man nicht mal mehr zum Schwitzen!«, murmelte Leyden. Nachdenklich beobachtete er in der Echtzeitwiedergabe eine Protuberanz, die in greller Gelbglut eine der wirr verdrehten Magnetfeldlinien entlangfloss. »Plasma zu Plasma!«
Ein absurder Gedanke drängte sich ihm auf: Als Norweger besaß er eine eher helle Haut. Wie würde ein Sonnenbrand wohl wirken? Verheerend! Da bekommt die Epidermis nicht mal mehr die Gelegenheit, sich zu schälen. Von einer Rötung ganz zu schweigen!
Grüne Linien zeichneten die Feldlinien des solaren Magnetfelds nach. Sie bildeten ein verschlungenes Knäuel, das chaotisch wirkte, es aber nicht war. Besonders eindrucksvoll waren die Farbadern, die sich wie herausgezogene Maschen eines Wollpullovers weit in den Raum hinausstreckten. Glühendes Plasma umspielte ihre Form. Eric Leyden kannte diese Abläufe – aber etwas hatte sich verändert.
Er trat ein paar Schritte zurück. Der Raum, in dem er sich aufhielt, befand sich im Auswertungsareal, das sich ringförmig durch das Zentrum der Sonnenforschungsstation RA zog. Die Station, ein aufwendig ausgebauter, kleiner Asteroid, umkreiste das Zentralgestirn in einer Entfernung von 500.000 Kilometern. Sie diente der Erforschung des Sonnenchasmas – dieses klaffenden Risses im Innern von Sol. Ein Abgrund, von dem niemand zu sagen vermochte, aus welchem Grund es ihn gab oder wie er entstanden war. Das von Eric Leyden ins Leben gerufene Sonnenkorps beschäftigte sich damit auf vielerlei Art und an vielen Orten. Hier indes lag – buchstäblich – der Brennpunkt.
Noch immer bekam Leyden Schluckbeschwerden, wenn er an die Schwierigkeiten der Finanzierung zurückdachte. Denn in der Nähe einer gewaltigen, ständig fusionierenden Kugel aus ultrahoch erhitztem Wasserstoff gab es die Option günstig nicht. Die Stationstechnik war auf dem neuesten und leistungsfähigsten Niveau. An diesem Ort war das Beste gerade gut genug – andernfalls war man tot. Die Sonne nahm keine Rücksicht. Bereits im normalen Zustand schleuderte sie Unmengen an Strahlung, Energie und Sonnenmasse von sich. Alles, was sich dieser Hölle stellte, war ohne Schutz verloren.
Leyden schaltete mit einem Blinzeln einen Filter vor. Das Holo verschob das abgebildete Spektrum in den Bereich der Röntgenstrahlung. Das Chasma an sich war bereits absurd genug; was die jüngsten Messungen allerdings angedeutet hatten, war derart abwegig, dass Eric Leyden sogar sein obligatorisches Frühstück verkürzt hatte. Der Hyperphysiker stand vor einem Rätsel, das ihn stärker beschäftigte, als ihm lieb war.
»Phase vier analysieren!«, befahl er leise. »Ich will eine komplette Darstellung aller Änderungen im Strahlungsprofil über einen Zeitraum von fünf Tagen. Mit G-Wellen-Profil korrelieren!«
Etliche Subholos bildeten sich, Tabellen, Grafiken, Kurven. Leyden ordnete sie mit einigen kurzen Bewegungen seiner Finger und starrte darauf wie auf ein grünes Schwarzes Loch.
»Was zum Teufel ist das nur?«, flüsterte er entgeistert. »Was kann das sein?«
Schritte hinter ihm verrieten, dass jemand den Raum betreten hatte, aber er drehte sich nicht um. Das ganze Sonnenkorps setzte sich aus etwa 80 Wissenschaftlern, Spezialisten und Technikern zusammen. Zu diesem Raum hatten momentan die wenigsten Zutritt. Eric Leyden brauchte Ruhe; keine Horde neugieriger Kollegen, die ihm ihre neuesten Geistesblitze vortragen wollten.
»Eine Idee?«, fragte Dr. Olaf Vennegutt und trat neben den Hyperphysiker. Der ältere Mann war einer von Leydens engsten Mitarbeitern und zusammen mit ihm und Pablo Ramirez die Führungsspitze des Korps. Vennegutt kannte Leydens Eigenheiten wie kaum ein Zweiter. Ihm entging die Nervosität nicht, die Leyden im Griff hielt.
Leyden wiegte den Kopf. »Nein. Eben nicht! Siehst du das?«
Er deutete auf eine Gravitationsanalyse. Ein sonderbares Muster bildete sich, verschwand und tauchte erneut auf. »Das sind eindeutig Interferenzmuster. Das ist unstrittig, denke ich. Die Positronik hatte nicht mal den Hauch einer Alternative zu bieten. Woher kommen sie?« Er unterbrach sich kurz, als zweifle er an dem, was er gerade gesagt hatte. »Ich meine: Was sollte es sonst sein?«
»Planetare Einflüsse können wir ausschließen?«, erkundigte sich Vennegutt und nippte an einem jovianischen Sunspot. Der Cocktail war auf RA außerordentlich beliebt und eine Art von ironischem Kommentar der Wissenschaftler darauf, dass man mit der Erforschung des Chasmas nicht weiterkam. Sogar die Einsätze der ILIOS, des liduurischen Sonnenkreuzers, der auf RA stationiert war, hatte keine verwertbaren Ergebnisse gebracht.
»Planetare Einflüsse ... Das war das Erste, was wir überprüft haben!«, stieß Leyden hervor. »Sogar ich hatte damit gerechnet, dass Vulkan etwas damit zu tun haben könnte. Weiß der Geier, was die durchgedrehte Halatonintelligenz dort an technischen Spielereien hochfährt, nur weil sie Lust darauf hat. Aber nein. Das ist es nicht. Und der Einfluss Merkurs ist derart minimal, dass man verzweifeln könnte. Er verursacht keine derartigen Interferenzen. Weißt du was, Olaf? Es klingt völlig verrückt, aber ich halte das mittlerweile für auftreffende Gravitationswellen, die von außen kommen! Es hat nichts mit der Sonne zu tun ... nicht primär! Das sind nur Symptome. Das Chasma hat uns bereits derart im Bann, dass der Begriff Scheuklappen die reinste Untertreibung ist. Wir sind blind für alles andere.«
Vennegutt stellte den Cocktail ab und kniff die Augen zusammen, während er die Kurven musterte. »Von außen ...«, echote er leise. »... von außen. Aber woher von außen?« Er drehte sich zu Leyden und starrte ihn kurz an. »Diese Muster – für den Fall, dass du recht hast – haben ständig andere Ausgangspunkte. Als werfe jemand mehrere Steine in einen Teich. Die Wellen interferieren nicht nur mit dem Gravitationsfeld der Sonne, sondern gleichfalls untereinander. Wie soll das denn gehen? Du weißt, wie Gravitationswellen entstehen. Wenn in der Nähe des Sonnensystems oder darin Schwarze Löcher kollidieren würden, wüssten wir das! Die arkonidischen Strukturtaster würden Zeter und Mordio schreien!«
»Ja«, sagte Eric Leyden abwesend. »Das täten sie ... Nicht? Es sei denn ...«
Vennegutt stutzte. »Es sei denn ... was?«
Leyden schwieg zunächst. Er dachte intensiv nach. Arkonidische Strukturtaster hatten eine sensorielle Reizschwelle. Unterschritt die Intensität eines Struktureffekts dieses Minimum, verhielt sich ein Standardtaster, als sei nichts gewesen. Dennoch waren diese Interferenzmuster so deutlich, dass sie niemand übersah.
»Das ist nur die letzte Auswirkung!«, murmelte Leyden. »Egal was diese Wellen verursacht, es bleibt im Wesentlichen unterhalb der sensortechnischen Schwelle. Ein Zeitfenster vielleicht? Warum also wird der Effekt hier sichtbar, in der Nähe der Sonne?«
»Könnte ganz simpel an dem liegen, was die Arkoniden unter Gravitonendichte zusammenfassen«, spekulierte Vennegutt. »Die Sonne als Quelle der Schwerkraft, der raumzeitlichen Krümmung, ist derart nahe, dass diese Interferenzen hier ein Medium finden, in dem sich alles abbildet. Immerhin: Befänden wir uns nicht auf RA, ich wette, wir hätten nicht das Mindeste bemerkt!«
»Könnte es so einfach sein?« Leyden fluchte leise. »Wenn man ein Schwarzes Loch gepulst abschirmen könnte ... In so einem Fall käme der Schwerkrafteinfluss rhythmisch zum Tragen. Aber wer zum Teufel kann eine Singularität abschirmen? Mikrosingularitäten vielleicht, aber die hätten nicht die gemessene Wirkung. Das macht alles verrückter, als es ohnehin ist!« Er war nach wie vor unschlüssig riss sich aber zusammen. »Was ist mit dem Ikaroiden?«
Vennegutt aktivierte eine Verbindung in die kleine Kommandozentrale des Asteroiden. Pablo Ramirez' Kopf erschien, neben das Haupt von Dr. Janina Lefcourt. Die Plasmaphysikerin ähnelte einem gerupften Huhn. Allerdings war sie, wie Leyden nur zu genau wusste, ein unglaublich fähiges Huhn. Der Spitzname wäre längst in Vergessenheit geraten, wenn ihre gackernde Stimme nicht für eine ständige Neuassoziation gesorgt hätte. Ramirez, ein klein gewachsener Mexikaner, war ehemaliges Mitglied von SPEC und überwachte das Ikaroiden-Programm.
»Ikarus 159 ist unterwegs, seit ...« Er unterbrach sich und schielte auf die Zeitangabe. »... genau zwei Minuten und ... achtundzwanzig Sekunden. Erreicht in weiteren dreißig Sekunden die untere Grenze der Chromosphäre. Die neue Praecello-Keramik-Verbundlegierung wird gleich zeigen, wie gut sie ist. Die Schirme halten sicher nicht länger als bei den bisherigen Versuchen. Aber vielleicht reicht die Widerstandsfähigkeit des Verbundstoffs, den Ikaroiden zurückzuholen. Und sei's nur als zusammengebackener Klumpen. Ein paar Nahdaten sind genau das, was wir brauchen. Ich schalte euch zu.«
Vor Leyden und Vennegutt baute sich ein weißgelbes, schaumig wirkendes Bild auf. Die Sonne.
»Verbindung steht!«, meldete Janina Lefcourt mit greller Stimme. »Daten kommen rein.«
Neben der brodelnden Plasmahölle formten sich Messwert-Anzeigefelder. Leyden und Vennegutt beobachteten gebannt die auflaufenden Zahlen sowie gleichzeitig die Belastungsdaten der schützenden Energiekokons, die den Ikaroiden mehrfach gestaffelt umgaben. Deren Stärke war durch die geringen Dimensionen der Ikarus-Sonden sehr begrenzt. Der aktuelle Versuch, durch einen neu konzipierten Rumpf eine ausreichende Überlebenszeit für die Instrumente herauszuschinden, war nicht mehr und nicht weniger als eine letzte Hoffnung.
»Abbau setzt ein ... setzt sich fort ...«, kommentierte Ramirez emotionslos. »Letzte Schale. Belastung einhundertundfünf Prozent. Einhundertzwanzig. Einhundertfünfunddreißig. Zusammenbruch! Rückrufbefehl ist draußen und wird bestätigt.«
»Die Panzerung hat gerade mal fünf Komma acht Sekunden gehalten. Die Triebwerke haben den Aktivierungsbefehl bestätigt, aber den Umkehrschub nicht mehr einleiten können. Ikarus 159 ist Toast.« Ramirez schaltete ab.
»Mist!«, schimpfte Leyden. »Aber ich habe nichts anderes erwartet. Die Idee, eine materialwissenschaftliche Lösung könne den Ausfall von Energieschirmen kompensieren, ist schon beinahe Verzweiflung.«
Vennegutt grinste schmal. »Das war deine Idee!«
»Weiß ich.« Leyden winkte ab. »Einen Versuch war's wert. Schwamm drüber. Aber diese andere Sache geht mir nicht aus dem Kopf.« Er reckte sich. »Ich gebe der Orterstation auf Pluto die Anweisung, sie sollen sich mal umsehen. Die haben vor ein, zwei Monaten aufgerüstet. Vielleicht war das gut so. Diese Gravitationswellen müssen ja irgendwo herkommen. Von außen hat Edwina vielleicht einen klareren Blick.«
»Edwina?«, fragte Vennegutt.
»Edwina Kerpen. Die neue wissenschaftliche Leiterin auf Pluto. Ich glaube, du hattest noch nie mit ihr zu tun.«
Vennegutt dachte nach. »Ich habe ein ziemlich gutes Namensgedächtnis ... Nein. Ich denke nicht. Aber ich halte das für einen guten Vorschlag. Wir können denen da draußen ja sagen, wonach genau sie suchen müssen. Und sonst?«
Leyden grunzte. »Ich habe Hunger. Mein Frühstück heute Morgen war ... unzulänglich!«
Vennegutt lachte leise. »Ach, tatsächlich? Wieso das?«
Leyden runzelte wütend die Stirn. »Ein Anruf von der Erde. Ich muss zu dieser Jubelveranstaltung. Als ob ich nicht was anderes zu tun hätte! Ich habe vorgeschlagen, stattdessen Belle, Abha und Luan einzuladen. Sie waren alle mit dabei auf unserem großen Weltraumausflug. Jeder Einzelne von ihnen fühlt sich auf Partys wohler als ich!«
»Ich schätze, sie waren bereits eingeladen?«, schmunzelte Vennegutt.
»Waren sie.« Eric Leyden starrte ihn an. »Woher weißt du das? Aber egal: Mich braucht dort keiner. Und ich brauch's auch nicht.«
»War nur so 'ne Ahnung. Eric, du bist ein Symbol, ob du das sein willst oder nicht.«
Leyden schnaufte. »Symbol. Blödsinn!«
Vennegutt griff nach seinem Cocktail und leerte ihn. »Du hast nicht nur das Sonnenkorps initiiert. Das ARC, das ›Ancient Recognition Center‹, ist ebenfalls deine Schöpfung. Innerhalb der Flotte bist du dadurch so etwas wie eine Legende. Eine wissenschaftlich orientierte Einheit aufzubauen, das hat sogar die Admiralität aufmerken lassen. Deine anderen Erfolge kommen dazu. Für viele Menschen ist das beeindruckend, weißt du?«
»Wichtig ist nur, dass wir mehr über die liduurische Hinterlassenschaft erfahren.« Leyden winkte ab. »Das geht nur mit Raumschiffen im Portfolio. Das ist keine Forschung, die man im heimeligen Labor – oder weitaus schlimmer: im Büro – erledigen könnte. Auf die Idee wäre jeder andere ebenfalls gekommen, wenn er länger als fünf Sekunden über das Thema nachgedacht hätte! Ich wette mit dir, dass die Kommissköppe nur deshalb beeindruckt waren, weil sie sich neue Spielzeuge aus dem Arsenal der Liduuri erhoffen.«
»Mag alles stimmen, Eric.« Vennegutt musterte intensiv die überaus real wirkende Sonnenoberfläche, als suche er dort nach Antworten. »Aber sieh's mal positiv: Du wirst viele Leute treffen, die wichtig sind; die dir helfen können und werden, wenn du ihnen nicht dauernd auf die Füße trittst. Geld können wir gar nicht zu viel auftreiben. Dasselbe gilt für neue Technologie. Wenn irgendeine Techno-Stelle etwas Interessantes entwickelt, müssen wir das wissen. Und danach müssen wir es erst einmal bekommen!«
»Ich soll also betteln!«, sagte Eric Leyden bitter.
Olaf Vennegutt winkte ab. »Eben nicht. Diese Leute wollen dir helfen. Du sollst ihnen das nur nicht durch dein unmögliches Verhalten erschweren. Wie sollen wir Phänomenen wie diesen Gravitationsinterferenzen auf die Spur kommen, wenn uns die Mittel fehlen?« Er leerte sein Glas. »Ich gebe zu, dass Mangel schwer zu vermitteln ist, wenn die Station sich definitiv auf dem neuesten Stand der Technik befindet. Versuchen müssen wir das trotzdem – immer wieder. Forschung ist kein Zustand, sie ist ein Prozess! Wer wüsste das besser als du. Sei einfach mal nett, auch wenn's schwerfällt.«
Eric Leyden schnaufte und gab keine Antwort. Aber als er eine gute halbe Stunde später an Bord einer Korvette zur Erde aufbrach, hatte er beschlossen, sich jedes Wort, das er sagen würde, zweimal zu überlegen.
Also auf ins Gefecht!, dachte er, als die SOLAR FIRE ihre Triebwerke hochfuhr. Mischen wir uns unters Volk ...
Es war der 4. Juni 2051.
2.
Dortmund/Ruhr-Arena:
Hymne
»Da ist Ngata!« Reginald Bulls Stimme ließ keinen Zweifel daran: Er mochte den neu in seinem Amt bestätigten Administrator nach wie vor nicht. Daran würde sich in naher Zukunft nichts ändern. Bull war nicht vorschnell mit seinen Urteilen; hatte er aber eines gefällt, blieb es lange Zeit stabil.
Perry Rhodan verkniff sich ein Grinsen. Sie alle standen unter medialer Beobachtung, jede Geste, jedes bisschen Mimik würde ausgiebig analysiert und kommentiert werden. Bull wusste das ebenso genau wie er selbst. Das Gesicht des Systemadmirals blieb freundlich, wenn auch recht ausdruckslos. Es war eine Maske, mehr nicht.
Wir wollten nie Schauspieler sein. Jetzt sind wir es, weil es nicht anders geht!, dachte Rhodan mit leiser Bitterkeit. Eine weitere Idealvorstellung, die an der Realität zerschellt! Ich glaube, ich verstehe Atlans Zynismus allmählich. Das ist wie Ärztehumor: Man erträgt es nur auf diese Weise!
»Er ist der erste Redner. Zweifellos genießt er das!«, fuhr Bull fort. »Ich hoffe, er und die anderen lassen das Geschwätz nicht zu sehr ausarten.«
»Wir haben uns bemüht, die Redebeiträge kurz zu halten«, sagte Rhodan. »Ich denke, dass die Holopräsentation viele ablenken wird. So sieht der Plan aus.« Genau wie Bull hatte er sich angewöhnt, bei Gesprächen, die er in der Öffentlichkeit führte und die medial begleitet wurden, beim Sprechen die Hand vor den Mund zu führen.
Die Lippenleser waren überall, und die positronischen Translations-Apps leisteten Enormes. Jede Äußerung wurde nicht nur protokolliert, sie wurde sofort interpretiert und kommentiert. Ansätze hierzu hatten sich bereits seit der digitalen Medienrevolution der Jahrtausendwende entwickelt. Aber die Nutzung der potenten Positroniken machte aus solchen Beobachtungen ein Kinderspiel. Rhodan hatte festgestellt, dass sich Menschen in offiziellen Positionen in der Öffentlichkeit kaum noch bewegten, weil Mimik und Körpersprache ebenfalls analysiert wurden.
Bald sind wir Puppen!, schoss es ihm durch den Kopf.
Cheng Chen Lu, die neue Vizeadministratorin und Koordinatorin für Außenbeziehungen, schob sich vor Rhodan und Bull durch die Reihen. Ihr Ziel waren einige Politiker und Prominente aus dem asiatischen Raum, darunter der Präsident von Neukorea. Sie blieb kurz stehen und verbeugte sich vor Rhodan. »Protektor!«
Rhodan erwiderte den Gruß. Cheng Chen Lu sah ihn intensiv an. Ihr Blick war berühmt, bisweilen berüchtigt. Die junge Chinesin mit dem langen, glatten, schwarzen Haar hatte Charisma, darin war man sich einig. Jede Menge davon!
»Sie haben mit der Wahl des Termins Gespür bewiesen, Protektor«, sagte die Chinesin. »Der vierte Juni. Die Zahl des Todes. Welcher Tag wäre besser geeignet, der Toten zu gedenken?«
Rhodan verbeugte sich erneut. »Ich habe das Privileg, über wirklich gute Berater zu verfügen. Vizeadministratorin. Ich möchte mir das ungern als persönliche Leistung anrechnen lassen.«
Cheng Chen Lu zögerte kurz, als wollte sie etwas hinzufügen. Dann jedoch wandte sie sich ab und ging zu den Repräsentanten hinüber, die ihr ursprüngliches Ziel gewesen waren.
»Zahl des Todes!«, knurrte Bull leise. »Ich war schon in der Gefahr, gute Laune zu bekommen! Aber in diesem Sammelsurium aus allen Schönen und Berühmten wäre das sicher nicht angebracht!« Er strich sich über das rote Stoppelhaar.
Und das wird ebenfalls interpretiert werden!, dachte Rhodan. Er bewegte sich zwischen all den anderen Prominenten, Politikern, VIPs und sonstigen Vertretern wichtiger Institutionen auf der Empore der Ruhr-Arena, die wie kein zweiter Ort für eine solche Gedenkfeier prädestiniert war. In dieser Arena hatte der Oberkommandierende des arkonidischen Protektorats Erde ein Exempel statuiert; ein mörderisches Exempel. Man glaubte, Chetzkels Gegenwart spüren zu können. Nach all den Jahren fühlte sich Rhodan in dieser Umgebung nicht wohl, obwohl er damals nicht persönlich hier gewesen war. Die Toten schwiegen nicht an diesem Ort. Sie flüsterten ihren Schmerz in jeden wachen Geist, der bereit war, zuzuhören.
Als Protektor trug er eine weinrote Galamontur, die dem Anlass angemessen war. Niemand konnte ihn übersehen. Diese Art der Zurschaustellung gefiel Rhodan kein bisschen, aber er hatte gelernt, dass man als Person des öffentlichen Interesses in vielerlei Hinsicht kein freier Mensch mehr war. Man erwartete ein bestimmtes Verhalten von ihm – auch bei diesem Anlass. Betroffenheit und Trauer zu zeigen würde ihm nicht schwer fallen: nicht hier!
Für Thora wird die Erinnerung sehr viel plastischer sein, dachte er. Ich kenne nur die Bilder, die Aufzeichnungen oder Erzählungen. Sie hat es erlebt, Fancan Teiks Eingreifen, die vielen Toten.
Auch der Tod des Haluters würde Erwähnung finden, obwohl Teik nicht hier gestorben, sondern von der Bestie Masmer Tronkh ermordet worden war. Rhodan hatte seinen gesamten Einfluss geltend gemacht, um selektionistische Untertöne auszuschließen. Fancan Teik war ebenso ein Opfer wie viele andere. Sein Andenken war nicht weniger wert als das der anderen.
Ngatas Rede war professionell, aber nicht mehr als Standard. Von den Zuhörern würde dies wahrscheinlich nicht einmal bemerkt werden, denn Ngata war ein engagierter Redner. Rhetorik hatte in der Antike zu Recht als Kunst gegolten; für Männer wie Ngata indes war es nur ein Handwerk. Eins, das der Administrator perfekt beherrschte.
Perry Rhodan betrachtete nachdenklich seine Frau. Thora war nicht mehr Botschafterin, und sie trug Nathalie auf dem Arm. Die Kleine war nun eineinhalb Jahre alt und schlief, völlig unbeeindruckt vom Rummel und all dem Lärm ringsum. Rhodan bemerkte, dass Tom seine kleine Schwester beobachtete. Gleich darauf begann der Blick des Jungen umherzuschweifen, als suche er nach etwas.
Einen derartigen Beschützerinstinkt hätte ich in diesem Alter niemals vermutet!, dachte Rhodan. Er macht sich beinahe größere Sorgen um Nat als seine Mutter ... oder ich! Mag sein, dass er zu viel erlebt hat. Das ist nicht normal für einen Zehnjährigen; und die Umgebung war häufig alles andere als ideal. Aber er hat sich trotzdem gut entwickelt ... oder vielleicht gerade deswegen?
Bull neigte sich zu Rhodan herüber. »Der Kurze hält sich echt klasse!«, sagte er leise. »Nicht, dass mich das überraschen würde. Schwierigkeiten stärken den Charakter!«
Rhodan versuchte, zuversichtlich zu wirken. »Das mag sein. Aber Lebensgefahr birgt die Gefahr in sich, dass man nicht überlebt. Ich glaube nicht, dass jemand sich das für den eigenen Sohn oder die eigene Tochter wünscht. Vielleicht verstehst du das schneller, als dir lieb ist! Wo ist Autum?«
Bull deutete nach rechts. Die Agentin von GHOST, des Geheimdiensts der Terranischen Union, stand nur drei Meter entfernt über eine Brüstung gebeugt und starrte nach unten. Sie strahlte Energie, Kraft und Präsenz aus, wie immer. Ihr Haar trug sie an diesem Tag lang, mit einem künstlichen Wirbel über der linken Schläfe. Changierende, bläuliche Muster tauchten in der Haarflut auf und verschwanden wieder.
»Interesse am Styling?«, erkundigte sich Bull amüsiert. »Frag mich nicht, wie man so was macht oder wie es heißt. Sie hat mir ziemlich deutlich mitgeteilt, dass ich mich um Dinge kümmern soll, von denen ich was verstehe!«
Rhodan musste trotz aller Beherrschung grinsen. »Aha. Ihr unterhaltet euch über wichtige Dinge, ich seh's ...! Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und sage: Ich will wahrscheinlich gar nicht so genau wissen, wovon du im Folgenden was verstanden hast, oder?«
Bull musterte Autum Legacy lange und intensiv. Seine immer etwas hart wirkenden Züge wurden weicher. »Witzig. Aber ernsthaft: Das ist das Tolle an ihr. Ich kann mit ihr reden. Sie versteht, was ich sagen will, auch wenn ich's schlecht sage. Manchmal ist das unheimlich. Aber ich genieße jede Minute mit ihr ... Und weißt du was?«
»Hm?«
»Ich fühle mich sicher bei ihr«, sagte Bull. »Ja, klar: Sie ist vom Geheimdienst, und wenn sie wollte, könnte sie mich mit einer Handbewegung in einen Korkenzieher verwandeln – so wie jeden Angreifer. Aber das ist es nicht. Sie gibt mir Sicherheit in ganz anderen Dingen. Mental. Das kannte ich in dieser Form nicht, bevor ich sie traf!«
Rhodan dachte an Thora. »Ich verstehe dich ausgezeichnet.« Er deutete nach oben. Gleichzeitig klang ein lautes »Ooohh!« auf.
Über der Arena wurde die LESLY POUNDER sichtbar – die ehemalige CREST. Der gewaltige Rumpf schälte sich aus der diesigen, hochnebelartigen Wolkendecke, wie ein Phantom, das nur langsam Gestalt annimmt. Der Riese hing im Himmel wie ein fliegender Berg. Acht Korvetten begannen einen Reigen um das zentral platzierte Kugelraumschiff. Sie symbolisierten die acht Planeten des Sonnensystems. Die musikalische Untermalung war an dieser Stelle dezent, ein projiziertes Farbenspiel sorgte dafür, dass das Bild nicht bedrohlich wirkte.
Die Ehrentribüne der Arena war ausgebaut worden. Die Anzahl der Gäste war enorm, einschließlich der zu diesem Anlass angereisten Ferronen. Rhodan bedauerte es, aber Naats fehlten. Die Situation der Riesen war zumindest prekär. Genaue Informationen aus M 13, besonders dem Arkonsystem, fehlten weitgehend. Meistens handelte es sich nur um Gerüchte. Eins allerdings war unstrittig: Die Lage auf Naat musste zwei Jahre nach dem Angriff der Maahks weiterhin katastrophal sein. Arkon setzte seine Prioritäten anders. Die Rettung oder der Wiederaufbau einer nicht-arkonoiden Zivilisation war nicht auf der Liste zu finden.
Vieles hatte sich im Großen Imperium geändert. Crest hatte sich verändert. Unter anderem deshalb galten Atlan und Theta, die ehemalige Imperatrice, nun als Persona non grata. Das war die höfliche Bezeichnung. Hochverräter war die andere.
Rhodan sah die beiden Arkoniden ein wenig abseits stehen, als scheuten sie die Nähe der Offiziellen. Direkt davor wimmelte ein Pulk von Kindern in Toms Alter. Eine Schulklasse vom Mars, die auf Rhodans persönliche Einladung gekommen war. Er sah, dass Tom, nach einem kurzen Blick auf Thora und einem kaum sichtbaren Nicken seiner Mutter, sich in Bewegung setzte und unter die marsianischen Kinder mischte.
»Angst hat er keine, oder?«, fragte Bull lächelnd.
Rhodan schüttelte den Kopf. »Nein. Es sei denn, er hat einen guten Grund dazu. Ansonsten ist er lediglich neugierig, wie das ein Zehnjähriger eben so ist. Was das angeht, ist er völlig normal. Mit marsianischen Kindern hatte er bisher nie zu tun. Um ehrlich zu sein, die Idee, sie einzuladen, stammt von Thora. Sie hat in einem Livestream einiges über den Mars erfahren und war fasziniert von der Arbeit der ersten Kolonisten. Sie kennt das arkonidische Planetenforming selbstverständlich, aber direkten Kontakt zu Erstsiedlern hatte sie bisher nie.«
»Sie sehen anders aus, nicht?« Bull kniff die Augen zusammen. »Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Na gut, ich habe mich bisher nicht drum gekümmert. Schande über mich.«
»Die Haut hat sich bei manchen merklich verändert«, bestätigte Rhodan. »Sie ist rau. Ein bisschen wie Sandpapier. Viele von ihnen haben zudem sehr früh die ersten grauen Haare, und auch weitere Veränderungen zeichnen sich bei den Marsgeborenen bereits ab.«
»Sie passen sich dem Mars an, kann das sein?«, staunte Bull. »So schnell?«
Rhodan beobachtete, wie sich Tom mit einem der Jungs seines Alters unterhielt. »Die Exomediziner sind nicht erstaunt. Ich habe bei Gelegenheit mit Abha Prajapati darüber gesprochen. Er meinte, die neue Umgebung sei ein derart potenter Stressor, dass die Reaktion des Organismus sehr schnell erfolge. Er war nicht beunruhigt – zumal es schädliche Nebenwirkungen oder Mutationen nicht zu geben scheint – bisher. Seit einiger Zeit deuten sich jedoch psychologische Auswirkungen an.«
»Wie das?«, fragte Bull verblüfft.
Rhodan rieb sich nachdenklich die Nase. »Sie haben wohl eine eigene Mythologie entwickelt. Oder sollte ich Mystizismus sagen? Ich weiß es nicht. Der Sand steht im Mittelpunkt, habe ich gehört. Sie führen kurz nach der Geburt eines Kindes Rituale in der Marswüste durch. Näheres erfährt man nicht, sie schweigen sich darüber aus!«
»Wenn du nach Athen gehst, nimm eine Eule mit!«, brummte Bull.
»Was?«, fragte Rhodan irritiert.
»Na ... oder so ähnlich!« Bull hob die Schultern. »Denk mal dran, was sich alles aus arkonidischen Siedlern entwickelt hat. Erinnerst du dich an Quiniu Soptor?«
Rhodans Miene wurde starr. »Oh ja.«
Applaus brandete auf. Die Choreografie endete.
»Ngata macht weiter!« Bulls Antipathie wurde deutlich sichtbar. Während der im Vorjahr in seinem Amt bestätigte Administrator seine Rede fortsetzte, verzog Bull den Mund. »Kann der nicht einfach mal still sein?«
Rhodan vermied den Augenkontakt. »Ich fürchte, du wirst mit ihm leben müssen. Die Wahl hat er eindeutig gewonnen – für die nächsten vier Jahre bleibt er dir erhalten.«
»Hat nur gewonnen, weil er mal wieder den Standpunkt gewechselt hat. Politiker eben. Auf einmal waren Forschung und Raumfahrt ein Muss. Nachdem er uns zuvor ständig gepredigt hat, das sei schuld an allem: an Arkoniden, Fantan, schlechtem Wetter und Pickeln. Ich kann diese Wendehälse nicht ausstehen. Hat er nicht Leuten, die seinen Wechsel nicht mitmachen wollten, Populismus vorgeworfen? Als ob je ein Politiker populistisch gewesen wäre. Unvorstellbar!«
»Sarkasmus von dir?« Rhodan lachte leise. An Bulls Aversion Ngata gegenüber würde er nichts ändern können.
Der Administrator blieb in seiner Rede sehr allgemein und kam alsbald auf die Opfer zu sprechen, zu deren Ehren diese Veranstaltung abgehalten wurde. Dabei betonte er, ganz im Sinne seiner neuen Politik, die Opferbereitschaft der Menschheit.
Fehlt noch, dass da eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede draus wird!, dachte Rhodan, dem nun selbst unwohl wurde. Er fühlte, wie sich hinter ihm etwas – jemand – bewegte.
Tuire Sitareh beugte sich nach vorn. »Ich stelle fest, dass Politgerede überall im Universum gleich ist: allgemein, langweilig und belanglos!«, sagte der Aulore leise. »Nicht böse sein, aber geht das weiter so?«
Bull grinste breit. »Was dachten Sie denn, Tuire? Seien Sie stark. Bei dieser Veranstaltung bleibt Ihnen nichts erspart!«
Der Aulore stieß ein sonderbar gepresstes Geräusch aus. »Wäre jemand beleidigt, wenn ich einschlafe?«
Rhodan hätte am liebsten laut aufgelacht. »Alle, Tuire! Alle! Und alle würden Ihren Kopf fordern für diesen Eklat!«
Tuire Sitareh richtete sich ein wenig auf. »Ah. Das klingt vielversprechend. Ich könnte ein wenig zum kulturellen Programm beitragen, indem ich an ein oder zwei besonders großen Langweilern den Weg der Schwingen demonstriere.«
Bull riss die Augen auf. »Oh bitte, Tuire! Tun Sie mir den Gefallen!«
»Beherrscht euch!«, tadelte Rhodan belustigt. »Körperverletzung ist in diesem Umfeld besonders strafbar ... weil der Drang danach so schwer bezähmbar ist. Ihr seid nicht allein.«
»Dort sitzen Eric Leyden und sein Chaosteam!«, brummte Bull. »Ob die einander vermisst haben?«
»Kaum«, sagte Rhodan. »Alle haben ihre neuen Aufgaben und sind zufrieden damit. Zumindest war Abha Prajapati dieser Meinung. Er meinte, Eric Leyden werde ihre Abwesenheit erst bemerken, wenn das neue Jahrtausend anbricht.«
Sie folgten den offiziellen Reden mehr oder weniger konzentriert. Auch die Aufmerksamkeit der versammelten Massen galt eher der Holoaufführung, die besondere Szenen der damaligen Geschehnisse wiedergab; mit einer gewollten Unschärfe, die etliche Details gnädig verdeckte.
Der letzte Redner vor Rhodan beendete seinen Vortrag. Die Bilder wurden heller, bis sie schließlich verschwanden. Die LESLY POUNDER schwebte langsam davon. Sie würde auf dem nächstgelegenen Landefeld niedergehen. Niemand wollte auf Dauer diesen Berg aus Stahl über der Arena schweben sehen.
Neue Bilder entstanden. Es waren Menschen. Einzelne Menschen, Ferronen, Naats und Arkoniden. Die Toten der Vergangenheit bekamen erneut ein Gesicht. Die Musik verklang, anschließend betrat Graashuko die kleine Bühne, deren Plattform speziell zu diesem Anlass nach vorne ausfuhr. Die ferronische Sopratenörin war ein Ehrengast der besonderen Art. Dem Thort selbst war ein Kommen nicht möglich gewesen. Deshalb war Graashuko hier. Eine Verbeugung vor den Opfern. Nie zuvor hatte die Sopratenörin außerhalb von Ferrol und Rofus gesungen.
Ferronische Sopratenöre gab es nur sehr wenige. Eine Modifikation gestattete ihnen, mehrstimmig zu singen. Zwerchfellresonanz und ein geheimes, wohl extrem anspruchsvolles Training verwandelten die Sänger in nicht weniger als einen kleinen Chor.
Graashuko verbeugte sich. Sie war eine kleine, gedrungene Frau, deren Kupferhaar dickem Draht ähnelte, den man zu einem Spiralmuster gewickelt hatte. Die blaue Haut war dunkler als die des durchschnittlichen Ferronen; sie galt als die beste Sopratenörin, die Ferrol jemals hervorgebracht hatte.
Sie verbeugte sich, und ein unsichtbares Orchester setzte mit einem sanften, melancholischen Vorspiel ein. Erst zwei Minuten später begann die Sängerin. Ihre Stimme – vielmehr ihre Stimmen – waren kraftvoll, ein zauberhaftes Geflecht aus Harmonien und kontrapunktischen Sequenzen.
Rhodan spürte, wie die Musik ihn zutiefst rührte. Sie war nicht irdisch, das war jedem Menschen sofort klar, der zuhörte. Die Wirkung allerdings ...
Die »Hymne lichten Lebens«!, dachte Rhodan. Sie hat das Lied gewählt, das unter Ferronen als das Schönste gilt, das ihre Kultur zu bieten hat. So einfach. So ganz ohne Pathos. Sie singt keine Worte. Sie singt nur die Melodie. Jeder wird es verstehen. Jeder wird verstehen, dass die Opfer zu uns allen gehören. Wir haben sie verloren ... bis auf die Erinnerung. Die bleibt uns allen!
3.
Schlaglicht:
Die Kälte des Mondes
Der Himmel war von absoluter Schwärze. So schwarz, wie man es von der Erde her nicht kannte. Omar Shea hatte den Kopf nach hinten gelegt, so weit das im Innern einer Raummontur möglich war. Die Sterne waren hell und klar. Ohne das bekannte Flackern, das die Erdatmosphäre erzeugte, waren sie erschreckend kalt.
Das All wirkt an diesem Ort so bedrohlich, wie es tatsächlich ist!, dachte der Xenomonteur. Seine Aufgabe war, die aus Fremdtechniken adaptierten Elemente hinsichtlich Funktionalität und Kompatibilität zu überprüfen. Pläne und Simulationen waren das eine; Realität das andere. Hier bedeutete Realität eine deutlich reduzierte Schwerkraft sowie Atmosphärelosigkeit.
Dazu kam der überall vorhandene Mondstaub.
Vor Omar Shea erhob sich eine gewaltige, segmentierte Kuppel, die von anderen Bauten umringt wurde: die große lunare Werft, die nun endlich aus den ehemaligen Moon Areas 31 bis 40 zusammenwuchs. Trotz seiner Größe von beeindruckenden 1,99 Metern fühlte sich Shea in dieser Umgebung klein und hilflos. Der Mond bewirkte in jedem, der auf ihm zu tun hatte, so etwas wie Demut. Es war die nächstgelegene fremde Welt, die ein Mensch erreichen konnte. Dieses Gefühl verschwand mit der Zeit, allerdings nur zögernd. Der gewaltige Industriekomplex, der hier entstand, rief es erneut wach.
Die Werft: Die Produktions- und logistischen Zufuhrbereiche waren im Wesentlichen fertiggestellt, die Hard- und Softwarevernetzung war in vollem Gang. Zur allgemeinen Überraschung hatten nicht die Xenotechniken die Probleme verursacht. Shea war einer der wenigen gewesen, die das keineswegs gewundert hatte.
Die Arkoniden, die Ferronen und nicht zuletzt die Liduuri haben viele Jahrtausende an Erfahrung mehr auf dem Buckel, was Bauen im extraterrestrischen oder gar im freien Raum angeht. Unsere bürokratischen Spezialisten halten menschliche Errungenschaften viel zu häufig für das Nonplusultra; entgegen all den zur Verfügung stehenden Leistungsdaten der Fremdtechnik, die man nur zur Kenntnis nehmen bräuchte. Aber das würde wohl am Selbstbild kratzen!
Shea beobachtete, wie ein ganzer Pulk von Robotern Schalteile aus Praecellostahl zu einem der letzten offen stehenden Segmente der Riesenkuppel transportierte. Die Oberflächenbauten waren beeindruckend, aber das, was sich unter dem Mondboden in die Tiefe des Erdtrabanten zog, war weitaus gewaltiger. Shea erinnerte sich an seinen ersten Besuch der lunaren Großwerft. Der Atem hatte ihm gestockt. Mittlerweile hatte er sich an die Dimensionen gewöhnt.
Etwas weiter westlich erhoben sich zwei Kuppeln, die im Gegensatz zur Großarea geradezu winzig wirkten: die Moon Areas 41 und 42. Im Bereich 41 hatte man seinerzeit die MAYA gebaut, das als Maahkeinheit getarnte Raumschiff, von dem in der Öffentlichkeit nur sehr wenig bekannt war. Shea als Xenomonteur wusste einiges darüber und hatte gewaltigen Respekt vor der Leistung der verantwortlichen Ingenieure. Zudem war die Zusammenarbeit mit den Arkoniden für viele Menschen ein Lehrstück gewesen; er selbst nahm sich da nicht aus. Im Bereich 42 hatte man exotische Schiffe eingelagert, die man dort eingehend untersuchte, beispielsweise den topsidischen Aufklärer, der während der Expedition zur Wega in die Hände der Menschheit gefallen war. Das zweite Prunkstück, mit dem man wesentlich vorsichtiger zu Werke ging, war die Leka-Disk 1 des Schlachtschiffs AGEDEN. Chetzkels persönliche Leka-Disk war mit Vorsicht zu genießen. Dem längst verstorbenen Oberkommandierenden des Protektorats Erde war sogar posthum jede Heimtücke zuzutrauen.
Shea besaß solche privilegierten Informationen, weil er zu einer der mit GHOST assoziierten Fachinstitutionen gehörte. Für die Arbeit in heiklen Bereichen benötigte man zuverlässiges und genauestens überprüftes Personal. Nicht alle waren interne Mitarbeiter des Geheimdiensts der Terranischen Union.
»Wie geht's dir?«, hörte er eine dünne Stimme fragen.
»Karpow? Bist du das?«, erkundigte sich Shea und regelte das Akustikfeld manuell aus. Die Stimme wurde deutlicher und lauter. »Ich glaube, die Anzugpositronik hat Schwierigkeiten, sich auf meine Hörhilfe einzustellen!«
»Blödsinn. Dein Anzug kennt dein medizinisches Profil. Was ...«
Shea unterbrach seinen Freund, der als Spezialist die Software der gerade in Betrieb genommenen Sektionen durchprüfte. »Ich habe Waldos Anzug genommen. Meiner wird gerade routinemäßig durchgecheckt. Mein Einsatz war nämlich nicht vorgesehen, und Waldos Anzug hat eine Überprüfung offenbar ebenfalls nötig. Die neue Software hat eindeutig Macken. Der automatische Insassenabgleich mit den vorliegenden Profilen ist zwar vorgesehen, wird aber anscheinend nicht abgearbeitet. Ich nehme an, wenn eine Koryphäe wie du sich das mal ansieht, wäre die Fehlerbehebung eine Kleinigkeit.«
»Ah. Schön. Das geht runter wie Öl. Fühlst du dich wohl in Waldos Mantel?«
»Riecht etwas merkwürdig, aber sonst ist alles okay«, sagte Shea. »Er soll angeblich priemen. Wusste gar nicht, dass es so was heutzutage noch gibt.«
Karpow lachte. »Gibt es – und ja: Er priemt! Du weißt vieles nicht, wie mir scheint. Ich hätte erwartet, dass du mit Überschallgeschwindigkeit hier aufschlägst.«
»Erstens gibt es keine Atmosphäre und damit keinen Schall. Und zweitens: Warum sollte ich mich derart beeilen?«
Karpow zog scharf und deutlich hörbar die Luft ein. »Prüf mal deine Akustikfelder. Der Schaden ist vielleicht größer als gedacht. Die Meldung kam vor etwa fünf Minuten. Wir haben unerklärliche Gravitationsanomalien.«
»Auf dem Mond? Woher sollen die herkommen? Sind sie bedrohlich?« Shea war nun deutlich beunruhigt. Er setzte sich in Bewegung. Der Eingang war keine Minute entfernt.
Karpow hustete. »Nein. Gefährlich nicht. Die Gravitationswellen sind sogar extrem schwach. Gut, das sind sie meistens, aber die, die wir anmessen, sind ... ungewöhnlich. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen.«
»Bullshit. Das gibt's nicht!« Sheas Reaktion war eindeutig.
Karpows Antwort ließ ein wenig auf sich warten. »Mach, dass du herkommst. Am besten, du gehst direkt zur Ortungszentrale. Ich warte dort auf dich – vielleicht schaffst du's und bekommst mit, was die Leute vom Pluto sagen. Die Verbindung kommt in etwa fünf Minuten. Das solltest du hinkriegen.«
Karpow unterbrach die Verbindung, und Shea beeilte sich, so gut er konnte. Vier Minuten später betrat er die halbrunde Ortungszentrale.
Karpow, der aussah wie ein gestauchtes, sehr kräftiges Gorillamännchen, winkte ihm zu. Er hatte die Ärmel der Stationsuniform nach oben gekrempelt und präsentierte dick behaarte Unterarme, die jeden Silberrücken hätten neidisch werden lassen. »Respekt!«, sagte er zufrieden. »Hast mich also ernst genommen. War was mit deinem Helmfunk?«
Shea deutete auf seine Ohren. »Falsche Grundeichung. Waldo hört wie ein Luchs – ich eher wie eine ziemlich taube Auster. Es liegt an der Software; ich hab die Selbsttestroutine angeworfen. Pluto ...«
Karpow winkte ab. »Meldet sich gerade. Ich hab den Stationskode gesehen.«
Ein Bild entstand. Eine hagere Frau, deren beeindruckende Löwenmähne den Anschein akuter Unterernährung verstärkte, sah sich um. Ihre Stimme war tief, weich und wollte so gar nicht zum Aussehen passen. »Ah. Ich sehe, alle sind neugierig. Nur den guten Professor sehe ich nicht ...«
»Hallo, Edwina!«, begrüßte Karpow die stellvertretende Kommandantin der Multiortungsanlage auf Pluto. »Kann nicht mehr lange dauern. So was lässt sich Oxley nicht entgehen!«
»Die Datenübermittlung steht«, sagte Edwina Kerpen. Sie war selbst eine überaus fähige Hyperphysikerin. »Ich übermittle euch das komplette Paket.«
»Der Koordinator für Wissenschaft und Technik müsste sich jeden Moment zuschalten!«, teilte ein Kommunikationsoffizier mit.
Tatsächlich baute sich keine Sekunde später ein weiteres Kommunikationsholo auf, das Professor Ephraim Oxley zeigte. Der Hyperphysiker war unruhig und zwirbelte an seinem beeindruckenden Schnauzbart. Er hatte laut eigenem Bekunden die CREST, die nunmehrige LESLY POUNDER, verlassen, weil ihm die Umgebung dort zu hektisch gewesen war. Mehr Ruhe hatte er in seiner neuen Position allerdings nicht gefunden; längst wusste jeder, dass er die Bürokratie, die mit seinem Amt verbunden war, inbrünstig hasste. Er präsentierte sich in der für ihn typischen Strickjacke, die er über der üblichen Montur trug. »Und?«, fragte er nur.
Ein weiteres Holo baute sich auf. Eine Ballung aktiver Kurven, die ein beeindruckend verwirrendes Bündel aus Farben zeigte.
Oxley starrte ein, zwei Sekunden darauf und stieß ein dumpfes Knurren aus. »Das kann nicht sein. Ich habe Doktor Leyden für verrückt erklärt ...«
»Doktor Eric Leyden?«, fragte Shea verblüfft.
Oxley nickte. »Diese Ortungsergebnisse hat die gravimetrische Messstation Pluto-Charon geliefert. Die externen, vernetzten Außenstellen auf Nix, Hydra, Kerberos und Styx haben sie bestätigt. Wir haben diese speziellen Messungen auf Anforderung von RA hin vorgenommen. Sie gehören nicht zum Standardprogramm. Aber die Sonnenbeobachtungsstation auf RA hatte recht. Das sind Interferenzmuster, die von Gravitationswellen erzeugt werden, deren Ursprung wir nicht ermitteln können.«
»Wir haben vor Ort ebenfalls eigenartige Ergebnisse!«, schloss sich Karpow an. »Allerdings war das Zufall. In der Moon Area X beim Asmodeuskrater hat man einen Probelauf eingeleitet, um das Messmaximum zu erhöhen. Sie wissen, dass die Anomalien, die im Bereich des Kraters immer wieder auftreten, untersucht werden. Dort stieß man ebenfalls auf diese ... Interferenzmuster.«
»Könnte an der Bodenbeschaffenheit liegen!«, vermutete Oxley zögernd. »Die ist ja wohl die Ursache für die bizarren Anomalien; Späße der Posbi-Relikte wahrscheinlich. Immerhin hat man dort ein Tabernakel von Solt gefunden ... An den Ärger will ich mich gar nicht erinnern.«
Karpow winkte entschieden ab. »Das war unsere erste Vermutung. Trifft aber nicht zu. Es gibt keinen Grund, dort die Alarmstufe zu erhöhen. Was immer diese Gravitationswellen auslöst: Von dort kommt es nicht. Asmodeus ist so ruhig wie seit Monaten nicht mehr.«
»Vielleicht sollte uns das ebenfalls zu denken geben«, erwiderte Oxley knurrig. »Aber gut, lassen wir uns nicht ablenken. Auf dem Mond gibt es keine weiteren Probleme, die durch diese interferierenden Gravitationswellen ausgelöst worden sein könnten, oder?«
»Nein«, sagte Karpow. Die Erleichterung darüber war ihm anzusehen.
Shea dachte voller Unbehagen an die Arbeiten in der Großwerft. Dort konnte man in dieser Phase des Aufbaus keine rätselhaften Störungen gebrauchen.
»Ist in der Nähe der Erde etwas gemessen worden?«, wollte Oxley wissen.
»Nein!«, die Antwort des mithörenden Ortungsoffiziers kam ohne Zögern. Er hatte den unmittelbar erdnahen Raum, also innerhalb der Mondbahn, überprüft. »Sonst hätte ich längst Alarm gegeben.«
»Ja, gut. Warten wir erst mal ab. Ich bin auf der Gedenkfeier. Schicken Sie mir die Ortungsdaten – ich werde alles direkt an das Flottenkommando weiterleiten, dadurch hat die Meldung automatisch oberste Priorität. Ich danke Ihnen!« Oxleys Bild verschwamm und löste sich auf.
Karpow wandte sich an alle Anwesenden, virtuell oder real. »Also gut. Mehr können wir vor Ort nicht tun. Halten wir die Augen und Ohren offen. Irgendwas ist da los, aber solange nicht mehr geschieht, gibt's keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Zurück an die Arbeit!«
Shea trat neben ihn und wartete, bis sich die anderen entfernt hatten. »Ich kenne dich lange genug. Du machst dir Sorgen – und das nicht zu knapp. Sollte ich mir ebenfalls welche machen?«
Karpow zog die dichten, schwarzen Brauen zusammen, bis sie einen einzigen Strich bildeten.
»Omar, hör mir genau zu: Oxley hat Doktor Leyden erwähnt. Also sind das Sonnenkorps und das ARC involviert. Das heißt aber, dass es einen Zusammenhang mit dem Chasma haben wird. Das ist nur ein Gefühl. Ich habe keinen Beweis, nicht mal einen Hinweis.« Er holte tief Luft. »Vertrau dennoch auf meine Knochen! Ich spüre in jedem einzelnen, dass sich da was zusammenbraut!«
4.
Dortmund/Ruhr-Arena:
Rhodans Rede
Perry Rhodan schritt langsam auf die Tribüne zu. Vor ihm lag das weite, ovale Rund der neu ausgebauten Ruhr-Arena. Menschen drängten sich, etliche Ferronen dazwischen, und darüber lief nach wie vor das holografische Schauspiel. Die Dramaturgie, die Choreografie der Einzelelemente war ausgeklügelt. Während der Reden traten lediglich einzelne Szenen in den Vordergrund, die den Vortrag illustrierten, die Aufmerksamkeit aber nicht davon abzogen. In den Pausen dazwischen war das anders, die Bilder wurden mächtiger, eindringlicher.
Wie gut der Zweck auch sein mag, dachte Rhodan unwillig, es ist eine Manipulation. Ich weiß nicht, was mir weniger gefällt: dass wir das Mittel einsetzen oder dass sich Menschen in Massen derart leicht beeinflussen und steuern lassen.
Er trat an das dezent und sachlich gestaltete Rednerpult. Selbstverständlich war eine derartige Anordnung technisch längst nicht mehr erforderlich, aber Traditionen waren hartleibig. Das Publikum wollte den sehen, der zu ihm sprach: als Mensch, als Person und direkt von Angesicht zu Angesicht.
Vielleicht nicht das Schlechteste. Es zwingt Leute in hohen Positionen, sich der Gegenwart von Menschen auszusetzen. Bisher. Irgendwann wird man holografische Wiedergaben von der Realität nicht mehr unterscheiden können. Die ununterbrochene Kontrolle in den Netzen wird den Wunsch danach stärker werden lassen.
Er drehte sich kurz um. Thora nickte ihm zu. Tom hatte seinen Ausflug zu den Kindern vom Mars beendet und wartete neben seiner Mutter auf seinen Einsatz. Beunruhigt bemerkte Rhodan, dass Cheng Chen Lu sich in eine Kommunikationsblase gehüllt hatte. Dass die Koordinatorin während des Festakts an einer virtuellen Konferenz teilnahm, musste wichtige Gründe haben. Cheng Chen Lu war bekannt dafür, dass sie ihre Arbeit ernst nahm.
Rhodan lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf seine Aufgabe. Er bekam mit, dass Professor Oxley, der ganz in der Nähe von Eric Leyden saß, mit jemandem kommunizierte. Sein Gesichtsausdruck wollte Rhodan gleichfalls nicht gefallen. Er schüttelte seine Bedenken ab.
»Ich begrüße euch, Mitbürger ... nicht nur der Terranischen Union, sondern der ganzen Erde. Alle Freunde von überallher.«
Rhodan machte eine kurze Pause. Das Publikum lauschte. Er hatte dessen Aufmerksamkeit. »Der Anlass, aus dem wir uns versammelt haben, ist traurig. Auf den ersten Blick zumindest. Wir sind hier, um an die zu erinnern und zu denken, die nicht bei uns sein können, weil sie im Laufe der zurückliegenden Jahre ihr Leben verloren haben. Ich will nicht von einem Opfer reden. Ich will nicht, dass der Tod von Menschen zu etwas Hehrem wird, etwas Edlem, vielleicht sogar zu etwas, das man anderen abverlangen darf, sofern nur die Gründe stimmen.
Ohne Zweifel sind viele unter unseren Freunden aus edlen Gründen gestorben, vielleicht freiwillig, vielleicht nicht. Ihr Verlust trifft uns alle, und die Lücke, die sie in uns hinterlassen haben, sollte man nicht mit Pathos füllen. Es fehlt der Vater, der Bruder, die Schwester, die Mutter, vielleicht sogar das Kind. Das Entsetzen darüber darf nicht überdeckt werden durch die Behauptung, das große Ganze mache das notwendig.
Nur als Menschen fühlen wir den Verlust als das, was er ist: Schmerz. Das Fehlen von jemandem, der nicht fehlen sollte.«
Rhodan breitete die Arme aus. »Und Menschen sind wir alle. Die Ferronen, die unter uns sind, die Arkoniden; sie sind Menschen, was das angeht. Sie gehören zu uns, und ihre Freundschaft bereichert uns.«
Er machte erneut eine kurze Pause. Er wusste, dass sich Thora und Tom hinter ihm in diesem Moment in Bewegung setzten.
»Unser Schmerz ist derselbe – egal wie wir ihm Ausdruck verleihen. Vergessen wir nie, warum unsere Freunde nicht mehr unter uns sind. Der Grund ist so gut wie immer derselbe: Weil Lebewesen Fremden ihr Fremdsein nicht zugestehen wollen. Weil man eine Gruppenidentität höher stellt als die Individualität. Nichts könnte falscher sein.«
Thora trat rechts neben ihn, Tom links. Nat öffnete kurz ein Auge, dann schlief sie wieder ein. Rhodan spürte Toms Nervosität, die Aufregung des Jungen, vor derart vielen Menschen und Fremdwesen zu stehen. Rhodan legte ihm kurz die Hand auf die Schulter und fühlte, wie Tom sich straffte.
Du machst das gut! In deinem Alter hätte ich wahrscheinlich das nächste Mauseloch gesucht!, dachte Rhodan amüsiert, bevor er fortfuhr. »Ihr alle seht das beste Beispiel, dass alles möglich ist. Meine Frau ist Arkonidin. Jeder weiß das. Meine Kinder sind die Kinder zweier Welten. Obwohl das nicht immer leicht ist, es ist eine Bereicherung. Sie werden keineswegs heimatlos sein. Sie werden zwei Kulturen erben; die menschliche – und das ist gut so. Aber ebenso die der Arkoniden und damit eine über zwanzigtausendjährige Geschichte, die ihnen gleichfalls gehört; aus der sie lernen können. Es gab in der menschlichen Geschichte viel zu häufig Erbfeinde. Menschen, die Feinde zu sein hatten. Unsere ferronischen und arkonidischen Freunde werden genau das Gegenteil sein. Erbfreunde. Es gibt in der Unendlichkeit keinen anderen Weg. Nur zusammen werden wir die Gefahren meistern können, die auf uns warten. Dort draußen – aber auch hier. Unsere Freunde machen uns stärker ... und vielleicht sogar besser. Unterschiede bewirken so etwas, wenn man sie aushält und nicht versucht, alle gleichzumachen. Das gilt für Kulturen – das gilt für Individuen.
Hier, an diesem Ort, sind viele gestorben, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten, genauso wie viele, die das ihre bereits gelebt hatten. Viele andere sind anderswo gestorben. Draußen in der Weite des Universums, an kalten Orten, an heißen Orten. Freunde waren sie dennoch.«
Über der Arena entstanden in Folge Bilder. Fancan Teik, der Haluter, Sid González, Jeethar, Novaal, Toreead und viele andere mehr.
Die Gesichter verschwanden. Im Hintergrund setzte die leise Wiedergabe der ferronischen Hymne ein. Rhodan schwieg ein paar Sekunden und gab der Musik Zeit, ihre Wirkung entfalten.
»Die Galaxis ist kein friedlicher Ort. Das wissen wir mittlerweile nur zu gut. Wenn uns eins nicht helfen wird, ist es passives Abwarten und Wegducken. Die erste Kolonie des Großen Imperiums wurde vor über zehntausend Jahren gegründet, wie wir heute wissen. Keine Zeit, in der die Menschheit durch ausgedehnte Expeditionen interstellar von sich reden gemacht hätte. Passivität wird uns nicht schützen; sie hat niemals jemanden geschützt. Wir brauchen Freunde dort draußen, mit denen zusammen wir das Risiko eingehen können. Wir haben längst welche gefunden; gerade an Orten, an denen wir niemals damit gerechnet hätten.«
Rhodan zog Thora und Tom näher an sich.