Plasma - Helmut Krausser - E-Book

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Helmut Krausser

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Beschreibung

Neugierig, formbewusst, beweglich: Helmut Kraussers Gedichte spielen auf allen Feldern der Lyrik. Ihm gelingt die lässige Beschreibung einer Straßenszene so sicher wie das sehnsüchtige Liebesgedicht, das Aufblitzen eines Sprachspiels ebenso wie Zeilen von überwältigend schönem Ernst. „Zwischen H. C. Artmann und Robert Gernhardt, dem Sprachvirtuosen und dem Parodisten der Virtuosität" (Neue Zürcher Zeitung) verfügt Helmut Krausser über das ganze Instrumentarium der Poesie, er holt die klassischen Formen so selbstverständlich in die Gegenwart, als seien sie heute entstanden. So groß die Bandbreite seiner Lyrik ist, so markant bleibt Helmut Kraussers poetische Stimme: rebellisch und fein, abgebrüht und empfindlich, gebrüllt oder geflüstert – „es ist das Vergnügen des Lesers, diese literarische Maschinerie in Betrieb zu sehen" (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

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Seitenzahl: 32

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Helmut Krausser

PLASMA

GEDICHTE 03–07

Von Helmut Krausser sind im DuMont Buchverlag außerdem erschienen:

Aussortiert. Kriminalroman

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini. Roman

Die letzten schönen Tage. Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid. Roman

Eros. Roman

Nicht ganz schlechte Menschen. Roman

Substanz. Tagebücher

eBook 2012

© 2007 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Zero, München

eBook-Konvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

weißer strom

blatt papier.

vollkommen leer.

vollkommen.

darunter liegt text,

der ganze text, schneide

buchstaben in die haut,

an den richtigen stellen,

nicht zuviel, text ist

blut, geh tauchen.

alle narben heilen ab,

jeder schnitt

schließt sich über dir.

Die Haut der Geliebten zu befahren –

mit der Armada meiner Finger –

sieben Piraten, drei Entdecker,

die Flotte legt ab, zwei Handvoll Schiffe,

alle mit Freibrief unterwegs,

im Dienste meiner Königin.

Einst im Mai

Jedes Jahr den Friedhof

nach nem Blumenstrauß

absuchen, der so halb als

frisch und bunt durchgeht.

Muttertag.

Guckt, eine Murmel!

Sagen die Säue.

Leider nicht bunt. Und

auch nicht ganz rund.

wollte betrunken werden und alles groß finden.

will betrunken werden und alles groß finden.

bin betrunken und finde alles groß.

war betrunken und – egal.

für Kafka

Ich kann nicht glauben, daß Audrey Hepburn tot ist.

Ich muß nicht glauben, daß Audrey Hepburn tot ist.

Ich will nicht glauben, daß Audrey Hepburn tot ist.

»Schau – sie ist ja gar nicht tot, was greinst du denn?

Schau, sie hat sich hier im Schrank versteckt. Extra

für dich. Hat immer hinter dieser Schranktür

gewartet. Jetzt – geh hinein und sei glücklich!«

der schneesturm tobt seit mittag.

glück, daß eine decke

auf der rückbank lag,

sieben stunden stecke

ich hier fest, allein

am straßenrand, kein netz

vorhanden, pampa, jetzt

ist mitternacht und mein

benzin fast alle, zweimal

noch – vielleicht – werd ich

den motor starten können,

in düsternis und schneefall,

fast mild und feierlich

gestimmt, mir wärme gönnen.

ich habe zigaretten,

einen stift – papier

ist leider keines hier,

muß mich ins dunkel betten.

so wenig hatt ich nie.

kein tropfen alkohol.

es schneit und, ach,

musik ---- wär toll.

doch auch die batterie

ist schon sehr schwach.

little china girl

am bug der alten hongkongdschunke,

neben meinem reisesack,

hockt mächtig eine gelbbauchunke

aus metall. die nacht, ein wrack

im krieg von duft und farben, treibt

mit der strömung aus dem hafen.

katzenseufzend, knarzend reibt

der wind am mast, die segel schlafen

nicht mehr tief. und die so tut,

zieht sich lautlos an, beklaut mich,

lächelnd, schleicht von bord. ist gut.

jedem ihrer schritte lausch ich.

die dünne planke biegt sich, bricht

bei jedem eben grad so nicht.

gestern trugen wir noch laub.

manchmal auch ein vogelnest.

heute zu papier gepreßt,

sind wir übermorgen staub.

was auf uns geschrieben steht,

wissen jene, die uns lesen,

baum und buch sind wir gewesen,

staub, vom wind umhergeweht,

sind wir bald, ein hauch, mehr nicht.

regen reißt uns tief hinab,

mischt uns mit dem staub im grab

eines, der vielleicht uns las,

gar schrieb. die mischung hätte was –

und im himmel wär mehr licht.

musik, die morgens seltsam trist,

abends anders, sonderbar

heimelig, berückend klang.

wievieles einmal wichtig war,

inzwischen längst vergessen ist.

die kleine, schlichte, irgendwie

halb ausgeführte melodie,

war immer da, mein leben lang.

du summtest sie, vergessen bist

auch du, verzeih, was blieb, sind jene

sonderbaren fünf, sechs töne,

trotzdem-gedicht

etliche vom aussterben ohnehin bedrohte braunpelikane

verwechseln den schimmernden asphalt der straßen

arizonas derzeit gerne mit wasseroberflächen, eine

fehleinschätzung, welche regelmäßig rotbraun endet.

dazu fällt mir weißgott warum ein:

der deutsche meister im stabhandgranatenweitwurf

august 1939 schaffte 73,5 Meter.

null phantasterei. nur harte fakten. trotzdem gedicht.

götter sind stumme voyeure weit oben,

die selten wen tadeln, geschweige denn loben.

verelendet interessieren sie sich

für beinahe niemanden – außer für mich.

es zieht sie zu mir voll begeisterung hin –

ist lästig zuweilen, doch nachzuvollziehn.