Trennungen. Verbrennungen - Helmut Krausser - E-Book

Trennungen. Verbrennungen E-Book

Helmut Krausser

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Beschreibung

»Krausser kann's!« Frankfurter Rundschau Über das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Menschen zur Paarungszeit – Helmut Krausser jongliert in seinem neuen Roman mit den Mitteln einer raffinierten Soap und schafft Literatur mit Sogwirkung: Ein Großstadtkaleidoskop voller Witz und Überraschungen rückt unterschiedlichste Paare ins Licht. Da sind der Archäologe Fred Reitlinger und seine Frau Nora, ihr Liebhaber Arnie und dessen Gattin. Dann seine Doktoranden Leopold und Gerry im Streit um eine Uni-Stelle. Und Reitlingers Kinder: Alisha, 19, hat sich in ihre Kommilitonin Caro verguckt, die heimlich als Escort-Girl anschafft. Ihr Bruder Ansger dagegen ist nach einer Insolvenz verschwunden – ein Verbrechen? Caro wird ihren Liebhaber Petar nicht los, dessen Vater den Reitlingers eine Yacht verkauft, als Stützpunkt für Noras Schäferstündchen. Jeder ist mit jedem in Beziehung, Trennungen stehen bevor. Und auch Verbrennungen, nicht nur, weil mitten auf dem Wannsee ein Feuer ausbricht. »Krausser ist ein leidenschaftlicher Erzähler, ein Künstler der Verführung.« Süddeutsche Zeitung »Falls Woody Allen kein Drehbuch mehr einfällt – diesen Roman könnte er 1:1 übernehmen und wir würden den besten Woody-Allen-Film aller Zeiten zu sehen bekommen. Bis zu dessen Premiere sind wir froh, einen derart blitzgescheiten und witzigen Roman in Händen zu halten.« shz.online

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Inhalt

Cover & Impressum

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Epilog

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Gerry und Leopold entschieden sich für die plüschige Volcano-Joy-Bar im südlichen Moabit, ein relativ neues Lokal, das von der Touristenmeute bisher übersehen worden war, vielleicht auch, weil man es im ersten Moment für einen Animationsschuppen halten konnte. Alles war ein wenig im Stil der 70er gehalten, mit flirrenden Stroboskoplichtern, gelben und roten Lavalampen und trashiger Retromusik aus einer Wurlitzer Jukebox. Kurz vor Mitternacht trafen Sonja und Iris ein, kurz nacheinander.

Sonja war eine große, schlanke Frau mit weichen, etwas madonnenhaften Gesichtszügen und armlangem, glattem schwarzen Haar. Die strohblonde propere Iris wirkte daneben viel kleiner, obgleich sie einen Meter siebzig maß. Die Buddy-Holly-Brille verlieh ihr einen Anschein von Intellektualität. Tatsächlich war sie ein eher schlicht gestricktes Gemüt, arbeitete im Vertrieb eines Schulbuchverlags. Sonja hingegen verfügte über einen scharfen, sezierenden Intellekt, studierte Psychologie im 15. Semester, und noch war kein Ende abzusehen. Immer wieder war ihre Karriere durch tragisch verlaufende Beziehungen unterbrochen worden, jetzt aber, seit sie mit Gerry zusammen war, schien sie endlich den richtigen Mann für sich gefunden zu haben, und zwar einen, der es wagte zu widersprechen, der ihr rhetorisch ebenbürtig war, der sie auf Distanz hielt und ihr nicht zu Füßen lag. Der nicht klammerte und ihr genügend Freiraum ließ. Sonja hatte etwas von Rilkes Panther an sich, einer ruhelosen Wildkatze, die sich schnell umstellt und eingesperrt glaubte, sogar da, wo sich andere noch behaglich gefühlt hätten. Damit waren die Männer vor Gerry schwer zurechtgekommen, hatten allesamt nicht begriffen, daß man eine solche Frau öfter mal einfach in Ruhe lassen, praktisch ignorieren mußte.

Leo und Iris kannten sich erst ein paar Monate, und hätte man ihn zur Wahrheit gezwungen, dann waren ihre Brüste das, was er am attraktivsten an ihr fand. Brüste waren ihm, er hätte es natürlich nie zugegeben, überproportional wichtig. Und er merkte, daß Gerry oft ein wenig neidisch dreinsah, weil Sonja in dieser Hinsicht deutlich weniger zu bieten hatte.

Der Barkeeper stellte die gezuckerten Margheritas auf den Tresen. Cocktails mit Faltschirmchen. Aus der Jukebox nudelten die Les Humphries Singers Mexicoooo, Mexicoooo-o-o. Eine halbe Stunde lang fand man den Laden witzig, bevor er einem auf die Nerven zu gehen begann.

Sonja spielte mit ein paar ihrer Haarsträhnen und wollte wieder einmal nicht glauben, daß Gerry sie nicht hätte mitnehmen können zu den Reitlingers. Leo aber bestätigte, daß die übliche Einladung ins Wannseehaus ausdrücklich – aus Platzgründen – nur für eine Person ohne Begleitung ausgesprochen wird. Wer dagegen verstoße, auch das habe es schon gegeben, der werde mitleidlos abgewiesen. Reitlinger sei in dieser Hinsicht eigen.

»Was heißt eigen?« meinte Gerry. »Er möchte keine ihm fremden Personen im Haus haben, und das ist nicht eigen, das ist ganz natürlich. Er entscheidet konsequent, wie in allem.«

»Aber«, warf Iris ein, »das ist doch superpeinlich, jemandem die Tür zu weisen, nur weil er noch jemanden mitgebracht hat. Das ist eine Kränkung, von der erholt man sich nicht leicht. Ich brächte so was nicht übers Herz.«

»Regeln sind Regeln. Ich finde, wenn er vorher klar und deutlich die Regeln verkündet hat, dann muß es niemandem peinlich sein, wenn auf deren Einhaltung bestanden wird.«

»Und wie war der Wein?«

»Der schweineteure Wein?« Leo grinste. »Naja, ganz gut, schätze ich. Ich möchte nicht vortäuschen, viel davon zu verstehen. Keiner von uns versteht was von Wein. Die Margheritas hier sind leckerer. Auch wenn das banausig klingt.«

Das Gespräch wendete sich tagespolitischen Dingen zu. Die Jungs achteten darauf, jeglichen Fachsprech auszuklammern. Nach dem ersten Drink stiegen sie auf Bier um, wollten möglichst lange nüchtern bleiben. Beiden war das letzte Vierertreffen in unangenehmer Erinnerung, als die Frauen mehr vertragen hatten als sie selbst.

 

Gegen halb zwei verließ man zusammen das Lokal. Die Kälte schien nicht mehr so schlimm mit Alkohol im Blut.

»In drei Monaten«, sagte Iris, »werden wir diese fünf Grad als warm empfinden.«

Sonja hob die rechte Augenbraue, äußerte sich aber nicht weiter kritisch über die Wetter-Platitüde. Von ihrem Therapeuten hatte sie jüngst den Rat bekommen, Mitmenschen, insbesondere Freunde und nahe Bekannte, nicht ohne Grund laut zu kritisieren, selbst wenn sie der Meinung sei, der kritisierten Person damit einen Gefallen zu tun.

Es wehte jetzt kaum noch Wind, auch war kein Regen mehr zu befürchten.

Iris und Leo mußten Richtung Bahnhof Zoo, wollten nicht zwanzig Minuten auf die U-Bahn warten, und natürlich ließ man sie nicht allein durch den schlecht beleuchteten Tiergarten gehen, seitdem es dort immer wieder Überfälle auf Touristen gegeben hatte, darunter sogar einen spektakulären Mord. Der Täter, ein junger Russe, hatte eine zierliche ältere Frau erwürgt und zwanzig Euro und ein Handy erbeutet. Viele Obdachlose nächtigten in diesem riesigen Park, Stricher waren unterwegs, es wurden harte Drogen gedealt, und viele der Laternen, eine einstmals prächtige Sammlung von Gaslaternen aus ganz Deutschland und Europa, waren von irgendwelchen Chaoten zerschlagen worden.

Die vier jungen Menschen dachten in einem Moment, als sie etwa zweihundert Meter in die Düsternis vorgedrungen waren, alle dasselbe: daß sie sich eigentlich noch nie zu dieser Uhrzeit im Tiergarten aufgehalten hatten und so etwas nüchtern erst gar nicht in Betracht gezogen hätten. Natürlich wollte keiner der Männer als erster zugeben, daß er es mit der Angst bekam. Die Frauen hatten statt Bier weitere Margheritas gehabt und waren dementsprechend mutiger. Hin und wieder funktionierte ja noch eine Laterne. Und dort auf der Insel, die eigentlich niemand betreten durfte, zum Schutz der Schwäne und Enten, war ein Lagerfeuer zu sehen.

Bunte Schatten, huschende Schatten. Schlafsäcke.

Hier und da hatten Obdachlose ihre Zelte zu einer kleinen Siedlung zusammengestellt. Manchmal brach etwas mit Gepolter und Geraschel durch die Büsche, ob Mensch, ob Tier, schwer zu sagen. Dann wieder herrschte gespenstische Stille.

Sie mußten, um den Bahnhof Zoo zu erreichen, einen guten Kilometer zurücklegen, und, anders als in einer Samstagnacht, war heute nicht viel Partyvolk unterwegs. Wenn jetzt irgendwelche Jungs aus dem Maghreb oder aus welchem Weltteil immer mit gezückten Messern vor sie hintreten würden, hätten sie lange um Hilfe rufen können. Sie wären wehrlose Opfer gewesen. Iris flüsterte, sie habe Reizgas dabei, und Leo meinte: »Bloß nicht!« Das dürfe sie auf gar keinen Fall verwenden, es würde nur sekundenlang helfen und böse Menschen sehr sehr wütend machen. Nicht gut. Gar nicht gut.