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Das Buch für Kinder ab 12 Jahren gibt einen spannenden Einblick in die Geschehnisse um 1525. Der Prediger Thomas Müntzer gibt sich mit den Lehren von Martin Luther nicht zufrieden und kämpft nicht nur gegen die vom Papsttum beherrschte geistliche Obrigkeit, sondern auch gegen die weltliche Ordnung, gegen Klassenunterschiede, Ausbeutung und Unterdrückung. Das Buch zeigt das Wirken Müntzers bis zu seiner Hinrichtung und große Schlachten des Bauernkrieges auf. An packenden Einzelschicksalen zeigt Kruschel überzeugend die Not und Unterdrückung der Landbevölkerung auf. LESEPROBE: Lang waren die Nächte im März. Das Kienspanlicht flackerte, im Zimmer war es kühl. Müntzer legte sich eine Decke um die Schultern und setzte sich wieder an den Tisch. Im Johanniterhof war es ruhig. Die Feder des Predigers kratzte. Das einzige Geräusch im Zimmer. Müntzer schrieb Briefe, beantwortete Schreiben aus Franken und Schwaben, aus thüringischen Städten, aus Hessen und aus dem Mansfeldischen. Er warnte vor dem zu frühen Losschlagen, beschwor die Freunde und Schüler: Die Sache kann nur gewinnen, wenn wir uns alle einig sind. Lasst darum die Verbindungen nicht abreißen. Ein neues Blatt, ein neuer Brief. Dazwischen Gedanken, quälende Überlegungen: Wird es uns gelingen? Ottilie huschte ins Zimmer und stellte eine Mahlzeit auf den Tisch. Flüchtig aß Müntzer, seine Frau setzte sich auf einen Schemel und sah ihm zu. „Manchmal glaube ich“, sagte sie leise, „dass Pfeiffer nicht mehr unserer Meinung ist, und das macht mir Sorgen.“ Müntzer blickte überrascht auf. Nach einer Weile des Überlegens sagte er: „Ist es ein Fehler, wenn er mit den alten Feinden der Stadt Mühlhausen abrechnen will? Mit den Klöstern, mit den Grafen? Er ist nicht gegen uns, Ottilie.“ Die Frau seufzte. „Ich denke, er sieht nicht über die Mauern hinweg. Er denkt nur an die Feinde Mühlhausens.“ „Wir sind keine geborenen Bürger dieser Stadt“, sagte Müntzer, „wer will es dem Pfeiffer verübeln, wenn er zuerst an seine Heimatstadt denkt? Es wird sich zeigen, dass er auch über die Mauern Mühlhausens hinwegsehen kann.“ „Geb’s Gott“, sagte die Frau. Müntzer überlegte. Die armen Bauern und die armen Stadtleute können weder lesen noch schreiben. Pfeiffer hält sie für ungebildet, sie beherrschen nicht das Handwerk der Waffen. Aber das ist doch nicht ihre Schuld. Und alles ist zu lernen. Pfeiffer muss einsehen, dass Mühlhausen keine Insel ist.
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Seitenzahl: 130
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Heinz Kruschel
Rebell mit Kreuz und Schwert
Das Leben des Thomas Müntzer
ISBN 978-3-95655-138-3 (E-Book)
Das Buch erschien erstmals 1972 im Kinderbuchverlag Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung eines Fotos des Bauernkriegspanoramas von Werner Tübke
Fünfzehnhundertzwanzig.
Ein wechselvoller Sommer war vergangen. Es hatte mächtige Gewitter gegeben und starke Stürme, die das reifende Korn gegen die Erde gepresst hatten. Der Herbst aber war mild und sonnig, als wollte er sich für den missratenen Sommer entschuldigen.
Die Lage in Deutschland war gespannt. Unruhig waren die Bürger in den Städten, die Bauern auf den Feldern, die Priester auf den Kanzeln, die Ritter hinter den Burgmauern, die Kaufleute in ihren Kontorstuben, die Bischöfe und Landesfürsten in ihren pomphaften Schlössern.
Eine neue Klasse begann sich zu regen. Aus den Bergwerken holten die Knappen das Erz. In den Tuchwebereien Sachsens arbeiteten Tausende von Wollwebern in großen Betrieben.
Lohnarbeiter hatte es bisher in Deutschland nicht gegeben. Die feudalen Zustände begannen zu zerfallen, der frühe Kapitalismus bildete sich heraus. Eine neue Gesellschaftsordnung stand vor der Tür der feudalen Ordnung.
Die Gegensätze zwischen den Klassen verschärften sich, die Bauern stöhnten unter dem Joch der Feudalherren. Aber auch der Frühkapitalismus wurde durch die Zersplitterung Deutschlands in viele kleine Fürstentümer und durch eine Papstkirche, die das Land aussaugte, gehemmt.
Der Staat war schwach, jeder Fürst unterhielt ein Heer und trieb hohe Steuern ein. Die Ritterschaft verfiel. Die Bauern besaßen überhaupt keine Rechte, in den Gerichten saßen die Vertreter ihrer Herren.
Der Mönch Martin Luther hatte mutig die Papstkirche angegriffen.
Er geißelte das Wohlleben der Prälaten und Erzbischöfe in Wort und Schrift und klagte die faulen Mönche an, das Volk zu verdummen und nicht im Sinne Gottes zu handeln.
Die Deutschen wollten keine Gelder mehr an die römische Kirche zahlen. Das Volk hasste die Pfaffen, es hoffte auf die Reformation, die durch Martin Luther eingeleitet worden war.
Alle besitzenden Schichten bereicherten sich und bekämpften sich gegenseitig - wie Hunde, die sich um fette Bissen stritten. Die Fürsten standen dem mittleren und niederen Adel feindlich gegenüber. Der Adel wehrte sich gegen die Bestrebungen der Fürsten, den reichsmittelbaren Stand der Ritter unter ihre Macht zu bringen. Die besitzenden Bürger verteidigten ihre städtischen Freiheiten gegen Fürsten und Adel.
Kirche, Fürsten, besitzende Bürger und Adel aber beuteten die Bauern aus. Sie hatten die größte Last zu tragen.
Hatten sie sich damit abgefunden?
Die Bundschuhverschwörungen der Bauern und der Aufstand des Armen Konrad waren grausam unterdrückt worden. Würden sich die Bauern wieder erheben?
Friedrich Engels schrieb dreihundert Jahre später: „Dazu waren die Bauern allein nicht imstande, eine Revolution zu machen, solange ihnen die organisierte Macht der Fürsten, des Adels und der Städte verbündet und geschlossen entgegenstand. Nur durch eine Allianz mit anderen Ständen konnten sie eine Chance des Sieges bekommen; aber wie sollten sie sich mit anderen Ständen verbinden, da sie von allen gleichmäßig ausgebeutet wurden?“
Fünfzehnhundertzwanzig.
Die Bauern fühlten sich durch die Aufrufe Luthers ermutigt, der von der Freiheit eines Christenmenschen sprach und großen Anhang fand - auch unter den Fürsten und Patriziern, die sich von der Papstkirche trennen und ihre Ländereien besitzen wollten. Luther widerrief nicht. Da tat ihn der Papst in den Bann. Aber Luther blieb bei seiner Meinung.
In vielen Gegenden Deutschland wirkte Luthers Wort wie eine Flamme. Mönche und Nonnen traten aus den Klöstern aus, manches Kloster löste sich von selbst auf.
Viele Menschen hofften, Luthers Lehre würde zu einer Linderung ihrer Not führen.
Der Bauer Hans Habenicht ging die ganze Nacht hindurch, er kannte die Wege und mied die Straßen. Die Nacht war kühl, aber er ging schnell und spürte die Kälte nicht.
Heimlich war er weggelaufen, den Aufseher hatte er nicht gefragt.
Am kommenden Morgen schon wollte er wieder in seinem vogtländischen Dorf sein. Er war kräftig, untersetzt und breit in den Schultern, die Anstrengung machte ihm nichts aus.
Als der Morgen graute, tanzten die Nebelschwaden in den Tälern, dann zerstach die Sonne die Schleier, und Hans Habenicht sah kleine Halden und muldenartige Vertiefungen. Von diesen Pingen hatte der Vetter gesprochen. „Dort haben die Zwickauer zuerst nach Erz geschürft. Bist du an den Pingen und steigst den Kirchberg hinauf, so stößt du auf das Bergwerk und siehst schon die Kirchtürme der Stadt.“
Steil war der Weg hinauf. Dann stand Hans Habenicht auf einer Ebene, sah große Haufen tauben Gesteins, einige Knappen beim Siebwaschen, die spitzen Göpelhütten und gähnende Löcher, aus denen schwarzer Rauch quoll.
Über einer Schachtöffnung am Rande eines aufragenden Felsens drehte sich knarrend ein riesiges Wasserrad, vom Felsen herab strömte das Wasser in einer hölzernen Rinne in einen Kasten. Knechte nahmen die Erzkübel ab, die aus der Tiefe heraufkamen.
Hans Habenicht staunte. Noch nie hatte er eine solche Anlage gesehen.
Er trat an einen Bergknappen heran, der mit einer Schaufel einen zweirädrigen Karren belud, bot ihm den Morgengruß und sagte: „Ich will mich bei euch ein wenig ausruhen.“
Der Mann, ein derber Bursche, blickte ihn an, nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er schwitzte trotz der morgendlichen Kühle.
Habenicht setzte sich auf einen Steinbrocken und sah sich um. Ein Rutengänger schritt murmelnd vorüber, gefolgt von einem Markscheider, der in Abständen Pflöcke in den Boden trieb. „Das Bergwerk soll noch größer werden“, erklärte ihm der Knappe, „sie suchen neue Erzzüge.“
Der Rutengänger verschwand im Wald.
Der Knappe brachte dem Bauern reines Quellwasser. Habenicht trank und stopfte einen Kanten Brot in sich hinein. Andere Bergknappen kamen heran, stellten ihre Kratzen ab und betrachteten schweigend den Fremden.
„Wer bist du? Wo kommst du her?“
„Ich bin ein Bauer aus dem Vogtländischen, Hans Habenicht, hörig dem Grafen. Ich will zum Müntzer.“
„Den kannst du leicht finden“, sagte ein alter, unrasierter Knappe, „er predigt in Sankt Katharinen, das ist so ein vierstöckiger Bau mit spitzem Helm, gleich in der unteren Burggasse. Jedes Kind kann dich zu ihm führen, nach Müntzer kannst du jeden fragen.“
„Nicht jeden“, widersprach ein Hagerer, dem ein Ohr fehlte. „Ein Bettelmönch wird dir den Weg zur Hölle weisen, wenn du nach dem Müntzer fragst.“
Sie lachten.
„Aber warum?“, fragte Habenicht.
„Das weißt du nicht? Die Franziskaner erließen einem Mörder gegen wohlklingende Münze seine Schuld, sie sprachen den Dieb frei, wenn er ihnen Geld gab. Der Müntzer aber predigt die lutherische Lehre, der Müntzer predigt gegen die Franziskaner.“
Habenicht begriff. Auch durch sein Dorf waren die Ablasshändler gezogen.
„Was führt dich zum Müntzer?“
Habenicht erzählte. Es tat ihm gut, sein Herz auszuschütten. Er sprach von der Not des gemeinen Mannes, von den Untaten der Herren, von verzweifelten Bauern, von seinem eigenen Schicksal. „Ach, Brüder, wie soll das noch werden!“
„Komm zu uns“, sagte der Derbe, der ihm das Wasser gebracht hatte, „hier werden Knappen eingestellt, hier bist du freier als in deinem Dorf.“
Der Unrasierte wies ihn zurecht: „Der Mann ist noch hörig, Junge, vergiss das nicht! Und wie frei bist du denn hier? Ein Bettelgeld für diese Schinderei!“
„Eine Verwüstung der Welt wird kommen, ein Strafgericht wird die Gottlosen und Unfrommen austilgen, denn die Schinder sind nicht von Gott. Nur die Guten werden dann übrig bleiben, und erst dann wird das wirkliche Reich Gottes auf Erden beginnen.“ Der Hagere sprach mit verzücktem Gesicht, hielt die Augen geschlossen und hatte die Arme ausgebreitet. Hans Habenicht lauschte begierig.
Der Unrasierte sagte: „Das sind doch Fantastereien! Wer sollte denn strafen und richten? Na, wer, frage ich dich? Ach, Keiche, darauf weißt du keine Antwort.“
Habenicht blickte verständnislos von einem zum andern. „Der Keiche gehört zu den Propheten, zu den Schwärmern, weißt du. Manche nennen sie auch die Wiedertäufer, weil sie die Kindtaufe ablehnen. Sie glauben weissagen und in die Zukunft sehen zu können, diese Narren.“
Der hagere Keiche wandte sich um und ging.
„Und gehört der Müntzer auch zu diesen Schwärmern?“, fragte Habenicht.
„Ich glaube nicht, aber genau weiß ich das nicht. Zu denen gehört er wohl nicht, ist ja ein Lutherfreund, ist einer von uns. Bruder, was willst du denn nun von ihm?“
„Er soll zu uns kommen, bei uns soll er predigen, wir brauchen ihn. Versteht ihr das?“
Die Knappen nickten. Der Unrasierte winkte einen Jungen heran.
„Führe den Bauern in die Stadt zum Müntzer.“ Bald sah Habenicht die Stadt in einer weiten Talaue liegen, die kleinen einstöckigen Fachwerkhäuser hinter der Mauer, die geschmückten Giebel der großen Patrizierhäuser und die massigen Wachtürme.
Das Licht fiel gut durch die Fenster ein. Meister Ulrich skizzierte rasch, er spürte die Unruhe Müntzers. Lange würde der nicht mehr so still sitzen können. Müntzers Finger spielten fahrig miteinander. Sie verschränkten sich. Dann blätterten sie wieder in den Seiten der aufgeschlagenen Bibel. Müntzer hatte verlangt, dass die Bibel mitgezeichnet werden müsste.
Der Meister deutete die Kleidung Müntzers nur an, er würde sie später ausführen können, den dunklen, schimmernden Chorrock, die pelzige Schaube und die Predigerkappe.
Das Gesicht macht mir Schwierigkeiten, dachte er. Es ist gut zu zeichnen, aber ich möchte, dass die Menschen, die später den Kupferstich betrachten werden, den Prediger erkennen, der so viel Gewalt über die Gläubigen haben soll. Müntzer ist ernst und humorvoll, er kann lachen, seine Stirn zeugt von anstrengender Denkarbeit, die Augen sind groß und dunkel, aber seine Gedanken sind unterwegs, während ich zeichne. Ich möchte wissen, wohin sie unterwegs sind. Vielleicht würde ich dann dem Gesichtsausdruck, den ich suche, näherkommen. Ein kräftiges Gesicht, aber nicht fanatisch, der Mann muss viel verstehen und verzeihen können. Und dabei ist er noch so jung.
Er tut so, als ginge ihn das Bild nichts an, dachte Ulrich. Das täuscht sicher, er wird auf sein Bild gespannt sein wie jeder, den ich bisher gezeichnet habe. Ich muss ihn zum Reden bringen, sonst läuft er mir noch davon.
Meister Ulrich, der Kupferstecher, war bei Dürer in die Schule gegangen. Er sympathisierte mit der Reformation und war dabei gewesen, als Martin Luther in Leipzig die berühmte Redeschlacht gegen den Katholiken Eck bestritten hatte. Dort hatte er unter den Zuhörern auch den jungen Müntzer kennengelernt.
Ulrich hatte viele Porträts von Zeitgenossen gezeichnet und gestochen: die satten Gesichter von Patriziern und Äbten, die arroganten Köpfe von Grafensöhnen, fanatische Mönche und Priester, harte Gesichter, übersättigte und selbstzufriedene Menschen, aber auch Lebensmüde und Traurige. Müntzers Gesicht hatte ihn fasziniert, die kühle spöttische Ruhe, der warme Blick, aus dem ein starker Wille sprach. Er war nach Zwickau gereist, als er gehört hatte, dass Müntzer hier predigte.
„Ihr stammt nicht aus Sachsen?“, fragte Ulrich. Müntzer lächelte verstehend. Ich tue ihm schon den Gefallen und bleibe sitzen, dachte er, er braucht nicht ein Gespräch zu beginnen, um mich zum Sitzen zu zwingen. „Aus dem Südharz“, antwortete er, „aus Stolberg, Sohn eines Handwerkers.“
„Ihr seid ein Prediger geworden.“
„Meister, ich merke, Ihr wollt mich schonen und sagt nicht Pfaff, vielen Dank.“
„So meinte ich das nicht. Ihr seid gegen die Pfaffen.“
Im Erdgeschoss rumorte Müntzers Famulus, die Räume waren türlos, Müntzer bewegte sich. Ulrich fürchtete um die Pose und beruhigte ihn. „Es geht schon, mich stört das nicht.“
„Erzählt mir von Eurem Leben“, bat Meister Ulrich.
Müntzer lachte. „Das ist kurz und ohne Aufregung. Lateinschule, Universität und Hohe Schule. In Halle wurde ich im Jahre fünfzehnhundertdreizehn als Hilfslehrer angestellt. Vielleicht begann alles in diesem Jahre.“
Der Zeichenstift kratzte über das Papier. „Was begann damals?“
„Meine erste Vertreibung, ich wurde entlassen.“ Müntzer straffte sich und setzte sich steif zurecht. „Und aus welchem Grunde?“
„Ich soll an einer Verschwörung gegen den Erzbischof Ernst teilgenommen haben.“
„Stimmt das?“
„Meister, Ihr wisst, wie das mit solchen Anschuldigungen ist. Ist ein Mensch unbequem, so lässt sich ein Grund finden. Ich glaube, auch in Zwickau werde ich nicht lange bleiben.“
„Die Kirchen sind voll, wenn Ihr predigt, das Volk strömt Euch zu.“
„Das Volk ja. Es gibt Beschwerden gegen mich, ich würde das Volk aufwiegeln, heißt es, ich sei ein Bösewicht.“
Der Meister wusste, dass die Bettelmönche gegen Müntzer hetzten. „Die Franziskaner sind unbeliebt, ihr Einfluss wird immer schwächer, ihretwegen braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen.“
„Es geht nicht um die Franziskaner allein“, sagte Müntzer, „sie sind nur ein Schanddeckel der Kirche. Aber auch ein Egran ist der lutherischen Lehre treu ergeben!“
Müntzer legte die Hände flach auf die aufgeschlagene Bibel, er sagte leise, wie zu sich selbst: „Das ist wie ein Gulden mit zwei Seiten, Meister. Von vorn sieht es auf der Prägung so aus, als würden wir alle eine Sache vertreten. Aber die Rückseite? Ich glaube, dass der Mensch nicht ein Objekt der Zeit und der Geschichte ist, ich will ihn sittlich besser machen, vollkommener. Er soll nicht an sich, er soll an alle denken.“
„Und Egran?“
Müntzer lächelte. „Vertritt eben die Rückseite des gleichen Guldens. Viele Anhänger der neuen Lehre stützen sich schon wieder auf einzelne besondere Stände in der Gesellschaft und fördern deren Absichten, deren Wohlleben, ja, sie wollen sogar am guten Leben der Patrizier oder Berggrafen teilnehmen!“ Er verschwieg das Gerücht, nach dem sich Egran um erhebliche Anteile am Besitz des Silberbergwerkes beworben haben sollte.
Meister Ulrich dachte: Er tritt gegen Egran auf, er macht sich Feinde, weil er unbeirrt seine Sache verfolgt. Aber ist er noch für Luther, wenn er gegen Egran predigt? Egran gilt als ein treuer Wittenberger. Laut sagte er: „Hierher seid Ihr mit einem Empfehlungsschreiben Luthers gekommen, nicht wahr?“
Müntzer nickte und schmunzelte. „Wisst Ihr noch, Meister, vor einem Jahre in der Leipziger Pleißenburg? Der Haustheologe der Fugger ...“
„Ihr meint den Doktor Eck?“
„Genau den. Er provozierte den Luther. Er wollte Herzog Georg vom frevelhaften Tun des Wittenbergers überzeugen. Luther schlug wacker zurück. Und schlug sich tapfer, verurteilte die Hussiten nicht mehr in Bausch und Bogen, sondern erklärte, dass nicht alle ihre Artikel ketzerisch seien.“
„Er ging zu weit für meinen Geschmack. Seitdem hat er den Herzog gegen sich.“
„Es musste so kommen“, sagte Müntzer.
„Der Eck“, sagte der Meister, „der Eck soll versuchen, die Bannandrohungsbulle gegen Luther zu erwirken.“
Müntzer winkte ab. „Damit ist auch nichts mehr aufzuhalten. Unsere Bande zu Böhmen werden wieder fester, tschechische Studenten werden in Wittenberg ausgebildet, Luthers Schriften werden ins Tschechische übersetzt, und Luther besorgt Übersetzungen aus dem Tschechischen.“
„Ihr kommt ja ins Schwärmen. Es stimmt wohl doch, was man sich in den Gassen erzählt?“
„Nun was? Sind wir einmal ins Schwatzen gekommen, so schwätzen wir auch weiter, das tut mal gut.“
„Ihr sollt oft mit dem Niklas Storch zusammen gesehen worden sein und seinem Kreis der Wiedertäufer nahestehen. Oder ihm sogar angehören.“
„Das nicht“, sagte Müntzer ernst, „ich glaube nicht an Wunder, wie es die Schwärmer tun. Es gibt kein Strafgericht von außen, von übersinnlichen Kräften. Ordnung können nur Menschen schaffen, Menschen mit dem rechten Glauben. Aber der Storch will nichts Schlechtes, er sucht nach Gott, er sucht nach Wegen, damit das Leben der Armen verbessert wird.“
Der Zeichner trat einen Schritt zurück und betrachtete das Bild. „Und wo ist Gott?“, fragte er.
„In jedem Nachbarn, Meister. In dem Bettler vor den Stufen des Doms, in dem fronenden Bauern, in dem Medallierer am Markt, in jedem Weibe und in jedem Kind, auch in dem Vagabunden auf der Landstraße.“
Das ist der Glaube, der die Menschen zu seinen Predigten treibt, dachte der Meister, das ist der Glaube, der dem Patrizier unbequem ist. Die Bischöfe und Fürsten wollen, dass das Volk glaubt, Gott sei nur bei ihnen. Müntzer sagt, Gott sei bei jedem Armen. Müntzer will das Volk nicht auf ein jenseitiges Leben vertrösten. Er predigt das, aber weiß er denn, was er damit anrichten kann? Wo soll das enden?
Der Meister arbeitete an der Rundung der Augen, fixierte, den Kopf schräg haltend, seine Arbeit. Müntzers Gesicht war nach wie vor ernst, nur in den Mundwinkeln schien er leicht zu lächeln.
„Ihr fragt viel“, sagte Müntzer, „aber wie steht Ihr denn zu Luther?“
„Ich bewundere ihn. Ich habe die Schrift von ihm gelesen, in der er jeden Christen aufforderte, er solle dazu beitragen, dass die Tyrannei ein Ende nehme, er solle dazu helfen mit Leib und Seele, und den Gehorsam wider die Tyrannei mit Füßen treten als einen Teufelsgehorsam.“
Als Müntzer ihn erwartungsvoll ansah, fügte der Meister hinzu: „Mit meiner Kunst will ich, dass sich die Menschen erkennen, sich und ihre Zeit. Ich will ihnen - mit meinen bescheidenen Kräften - einen Spiegel vorhalten, so gut ich es eben vermag.“
Müntzer nickte wohlwollend. „Aber nicht nur die Kirche muss reformiert werden, wie das Luther begonnen hat. Auch der Staat, so denke ich darüber. Ich bange um den Luther, Meister. Es heißt, die Bannandrohung wird noch in diesem Jahre ausgesprochen, es heißt, der Kaiser will die Reichsacht über ihn verhängen. Ein vogelfreier Luther - stellt Euch das vor!“
Ein Mann polterte die Treppe hinauf. In der Tür erschien Müntzers Famulus Ambrosius Emmen und meldete die Ankunft eines Boten aus dem Vogtland. „Ein Bauer, er hat es sehr eilig.“
„Er soll heraufkommen.“ Müntzer erhob sich. Er war hochgewachsen und kräftig. Seine Predigerkappe berührte fast die dunkelgetäfelte Decke. Meister Ulrich hob verzweifelt die Hände, die Arbeit musste unterbrochen werden, in einer Stunde wäre er fertig gewesen.