Ronco - Die Tagebücher 32: Sterben in El Paso - Alfred Wallon - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 32: Sterben in El Paso E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Ein Teil des Schleiers um meine Vergangenheit hat sich gelüftet. Ich weiß, dass ich einen Bruder und eine Schwester habe. Aber ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist oder ob sie überhaupt noch am Leben sind. Deshalb muss ich nach ihnen suchen und den Hinweisen folgen, die ich in Ezra Carpenters Dokumenten gefunden habe.Die Spur führt nach El Paso. Ich gehe ein hohes Risiko ein, denn Titus Lancaster versucht erneut, mich aufzuhalten. Aber inzwischen weiß ich, warum er so handelt.

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Seitenzahl: 216

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker

2727 Dietmar Kuegler Jagd auf Ronco

2728 Dietmar Kuegler Gewehre für Juarez

2729 Dietmar Kuegler Der Weg nach Vera Cruz

2730 Dietmar Kuegler Am Ende aller Wege

2731 Alfred Wallon Alte Spuren

2732 Alfred Wallon Sterben in El Paso

Alfred Wallon

Sterben in El Paso

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-197-7

Gegenwart, 3. Oktober 1891, Prescott/Arizona, Gegen 16:00 am Nachmittag

Ich habe mittlerweile den Brief von Pedro Abogado geöffnet und ihn gelesen. Und es war so, wie ich es mir dachte. Der mexikanische Anwalt möchte meinen Sohn Jellico langsam auf sein zukünftiges Erbe vorbereiten und hat angekündigt, nach Prescott zu kommen, um mit ihm zu sprechen.

Es sind solche Augenblicke, in denen mir bewusst wird, dass ich bestimmte Dinge nicht aufhalten kann. Selbst, wenn ich mir wünsche, dass das alles noch etwas Zeit hat. Andrew Hilton hat damals bestimmt, dass mein Sohn das Erbe seines Großvaters antreten soll, sobald er achtzehn Jahre alt ist. Bei dem Namen Hilton denke ich jedoch nicht an einen fürsorglichen Großvater, sondern an einen skrupellosen Geschäftsmann, der viele Verbrechen begangen und erst kurz vor seinem Tod begriffen hat, wie viele Menschen er eigentlich auf dem Gewissen hat. Dazu gehört auch seine eigene Tochter Linda.

Saint hat Hilton damals ermordet, und ich habe diesen verdammten Killer erschossen. Aber nicht, um den Tod von Jellicos Großvater zu rächen, sondern um ihn zur Strecke zu bringen für das, was er und einige andere Hinter­männer mir angetan haben.

Ich hatte einmal gedacht, dass mit Andrew Hiltons Tod alles ruhiger werden würde, aber ich weiß, dass das nur eine Hoffnung war, und nicht mehr. In meiner Zeit als Texas Ranger versuchte man erneut, mir etwas anzuhängen, und selbst danach verfolgten mich immer noch die Schatten der Vergangenheit, als ich Sicherheitsagent bei Wells Fargo wurde. Titus Lancaster hieß der Mann, der es auf mich abgesehen hatte, und ich wusste lange Zeit nicht, warum das so war.

Das weiß ich natürlich längst. Die Lösung dieses Rätsels war ganz einfach, nachdem ich die Zusammenhänge erkannt hatte. Aber damals dachte ich nur daran, endlich herauszufinden, was aus meinem Bruder und meiner Schwester geworden war, und dass ich endlich die Wahrheit über meine Familie erfahren wollte.

Während ich meine Tagebuchaufzeichnungen fortsetze, erinnere ich mich wieder daran, wie groß der Wunsch war, endlich Klarheit zu bekommen. Jeder Mensch will doch wissen, von wem er abstammt und wo seine Familie lebt, sofern sie noch existiert. Das hatte ich mir jedenfalls fest vorgenommen.

Jetzt sind die Bilder aus der Vergangenheit wieder sehr deutlich geworden. Ich erinnere mich an den Tag von Don Carpenters Beerdigung. Es ist ein trüber Mittag. Es donnert und blitzt, als Don Carpenter seine letzte Ruhe findet. Und dieser trübe Tag passt genau zu meiner Stimmung.

Kapitel 1

Es waren nur wenige Menschen, die bei diesem unangenehmen Nieselregen auf dem Friedhof standen und zusahen, wie der Sarg mit Don Carpenters Leiche hinabgelassen wurde. Lobo und ich waren dabei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, ebenso Marshal Quinn Heston, Bürgermeister Floyd Cramer und Henry Duncan von der Wells-Fargo-Station in Prescott, der nicht nur mein Boss war, sondern auch ein Vertrauter und Freund.

Während der Pater von einem unvorhergesehenen Schicksal sprach und Don Carpenters gewaltsamen Tod bedauerte, zog ich mir den breitkrempigen Hut etwas tiefer in die Stirn und stellte den Kragen meines Mantels auf, um mich so gut wie möglich vor dem unangenehmen Nieselregen zu schützen. Trotzdem konnte ich es nicht verhindern, dass meine Kleidung feucht wurde und unangenehm auf meiner Haut klebte.

Lobo dagegen schien den Regen gar nicht wahrzunehmen, auch wenn er ebenfalls nass wurde. Das galt auch für Henry Duncan. Heston und Cramer schienen es dagegen kaum abwarten zu können, dass die Beerdigung ein Ende fand und sie den Friedhof wieder verlassen konnten. Sie hatten ja Don Carpenter gar nicht gekannt und waren nur aus Respekt vor mir und meiner Familie mitgekommen.

Schließlich beendete der Pater seine Predigt, sprach zum Schluss das Vaterunser und bekreuzigte sich nochmals. Dann schüttelte er mir die Hand und nickte Lobo kurz zu, weil wir ja schließlich die Einzigen waren, die ihn gekannt hatten. Das stimmte eigentlich so nicht, denn das Zusammentreffen mit Don Carpenter war mehr oder weniger durch einen Zeitungsartikel ausgelöst worden, und Jeremiah Flynn, der diesen Artikel verfasst hatte, lebte auch nicht mehr. Trotzdem war es mir gelungen, aufgrund von Indizien und daraus resultierenden Vermutungen Don Carpenter zu finden. Und ich hatte von ihm einen Umschlag mit Dokumenten erhalten, die für mich vieles veränderten. Das Ausmaß konnte ich zu diesem Zeitpunkt nur schätzen.

Der fragenden Blicke des Totengräbers und seiner beiden Gehilfen rissen mich aus meinen Gedanken wieder zurück in die Wirklichkeit. Sie warteten auf mein Zeichen, um das Grab wieder mit Erde aufzufüllen und dann auch endlich nach Hause gehen zu können. Der Einzige, der bei diesem unangenehmen Nieselregen nicht nass wurde, war Don Carpenter. Ein merkwürdiger Gedanke, sich das vorzustellen, und ich wusste selbst nicht, warum ich dieses eigenartige Bild auf einmal vor Augen hatte.

„Gehen wir“, sagte Lobo zu mir. „Es wird Zeit.“

Auch wir wandten uns ab, während ich hörte, wie die feuchte, durch den Regen klumpig gewordene Erde mit einem dumpfen Geräusch auf den Holzsarg fiel. Ich wünschte mir, ich hätte mehr Zeit gehabt, um mit Don Carpenter über alles zu sprechen, vor allem über das, was er von seinem Vater und seiner Mutter erzählt bekommen hatte. Nun besaß ich nicht nur die Dokumente, sondern auch die ganzen Briefe, die sein Vater geschrieben und an seine Mutter geschickt hatte. In dem ganzen Trubel der Ereignisse hatte ich die noch gar nicht lesen können. Aber das würde ich ganz sicher noch tun, bevor ich mich auf den Weg nach El Paso begab.

Als wir den Friedhof wenige Augenblicke später verließen, fiel mein Blick beiläufig auf eine Stelle an der Mauer. Es war ein kleiner Erdhügel, ohne jeglichen Hinweis darauf, wer dort begraben lag. Und das würde auch so bleiben. Hier war Saint begraben worden. Er würde auch kein Kreuz erhalten, das an ihn erinnern sollte, denn das hatte er nicht verdient. Er war ein gnadenloser Killer gewesen, der etliche Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Ich hatte sein grausames Treiben endlich stoppen können, weil er und sein Kumpan meine Familie bedroht und eingeschüchtert hatten. Und er hatte Don Carpenter umgebracht. Allein das hätte schon ausgereicht, um ihn vor Gericht zu bringen und anschließend zum Tod zu verurteilen. So weit war es aber dann doch nicht gekommen, und er war so gestorben, wie er auch gelebt hatte.

*

Die Stimmung in meinem Haus war noch ein wenig gedrückt. Meine beiden Töchter Mariabel und Linda waren am meisten davon betroffen, auch wenn sie versuchten, es sich möglichst nicht anmerken zu lassen. Aber das fröhliche Kinderlachen, das jedes Mal zu hören war, wenn sie draußen im Garten spielten, war spürbar weniger geworden. Allein das reichte schon aus, um mich traurig und sehr nachdenklich zu stimmen. Ich wollte nicht, dass meine Kinder erneut in Gefahr gerieten, weil die Schatten meiner eigenen Vergangenheit wieder zum Vorschein gekommen waren und drohten, mein jetziges Leben einzuschränken oder sogar zu gefährden. Das wollte ich unter allen Umständen verhindern, und deshalb hatte ich mich dazu entschlossen, die alten Spuren weiterzuverfolgen. Ich musste dazu nach El Paso reisen und nach den mexikanischen Namen suchen, die auf Ezrah Carpenters Liste standen. Ich kannte keinen dieser Namen, aber ich würde herausfinden, in welchem Zusammenhang sie mit dem Treck standen, der 1848 niemals sein Ziel erreicht und dessen Schicksal mein Leben in ganz andere Bahnen gelenkt hatte.

Lobo war jetzt drüben im Marshal’s Office und versuchte, zusammen mit Quinn Heston den dort eingesperrten Napoleon zum Reden zu bringen. Wir wussten mittlerweile, dass er als Sekretär und Leibwächter für Titus Lancaster tätig war. Wenn er nicht redete und sich geständig zeigte, dann würde er sehr bald vor Gericht landen. Egal, welchen Einfluss Titus Lancaster haben mochte. Seinen Vertrauten würde er nicht mehr aus dem Gefängnis holen können.

Die Vorstellung, dass sich die Schlinge sowohl um den Hals des Schwarzen und damit auch von Titus ­Lancaster langsam, aber sicher zuzuziehen begann, gefiel mir. Daraus konnte sich etwas entwickeln, das meinen Gegner bald zu Fall brachte. Deshalb hatte ich Henry und dem Marshal eingeschärft, auf den Gefangenen zu achten und zu verhindern, dass er die Möglichkeit bekam, mit jemandem zu sprechen. Lancaster durfte jetzt noch nicht erfahren, dass seine beiden Handlanger ihren Auftrag nicht hatten ausführen können. Und wenn er es schließlich erfuhr, dann war es ohnehin zu spät. Sollte er sich ruhig noch ein paar Wochen ganz sicher fühlen und glauben, dass er unangreifbar war. Ich würde schon dafür sorgen, dass er für seine Verbrechen und Intrigen die Quittung bekam. Aber zuerst musste ich das Rätsel um meine eigene Vergangenheit klären, und um das zu gewährleisten, brauchte ich noch etwas Zeit, um die ganzen Briefe sorgfältig zu lesen, die Ezrah Carpenter seiner Frau geschrieben und von der sein Sohn Don erst viel später erfahren hatte.

Während Manuela nebenan in der Küche zugange war, schaute ich nochmals aus dem Fenster und beobachtete meine drei Kinder. Sie spielten miteinander. Vor allem Jellico versuchte, die Zwillinge aufzuheitern, indem er sie einfach nur ablenkte und beschäftigte. Das schien ihm jedenfalls jetzt gelungen zu sein. Die Mädchen lachten, wenn auch nicht so ausgelassen wie vorher. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man, und bei Kindern läuft so etwas schneller ab wie bei Erwachsenen. Bei mir waren viele Narben zurückgeblieben, die zwar nicht mehr schmerzten, aber dennoch zu einem untrennbaren Bestandteil von mir selbst geworden waren und mich zweifellos auch zu dem Menschen gemacht hatten, der ich jetzt war.

Ich hatte die Tasche aus Teppichstoff an mich genommen, die einmal Don Carpenter gehört hatte. Jetzt fand ich endlich die Zeit dafür, um mich mit den Briefen im Detail zu beschäftigen. Manuela wusste, wie wichtig das für mich war, und hatte den Kindern gesagt, dass sie mich jetzt nicht stören durften. Jellico hatte zuerst begriffen, was mich antrieb. Deshalb sah er es als seine Pflicht an, die Zwillinge zu beschäftigen, und das gelang ihm auch sehr gut, wie ich mittlerweile festgestellt hatte.

In der Tasche befanden sich zwei Bündel mit Briefen, die jeweils mit einem Band zusammengebunden waren. Ich holte sie heraus und legte sie auf den Tisch. Schnell fand ich heraus, dass das eine Bündel die älteren Briefe enthielt und das zweite diejenigen, die Ezrah Carpenter zuletzt geschrieben hatte. Der letzte musste wohl kurz vor dem Tod von Dons Mutter eingetroffen sein, wenn ich das richtig in Erinnerung hatte, was Don mir erzählt hatte.

In den ersten Briefen entschuldigte sich Ezrah ­Carpenter immer wieder dafür, dass er hatte untertauchen müssen, weil er um sein Leben fürchtete. Er hatte einige Dinge mitbekommen, von denen er besser nichts hätte wissen sollen. Es hatte etwas mit dem Überfall auf den Treck zu tun, und ich stellte wenig später beim Lesen weiterer Briefe fest, dass es niemals die Absicht der damaligen Pioneer Company gewesen war, dass der Treck überhaupt ans Ziel gelangte. Das hatte ich auch schon vermutet, aber hier las ich dies zum ersten Mal von jemandem, der damals mit dabei gewesen war.

Ezrah Carpenter erwähnte einen Mann namens Rafael Carillo, der offensichtlich hier eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Er war wohl derjenige gewesen, der den Überfall auf den Treck befohlen und auch Pläne geschmiedet hatte, die von Anfang an beschlossene Sache gewesen waren. Das Endziel der langen und gefahrvollen Reise, Kalifornien, sollte niemals erreicht werden. Stattdessen hatte man beschlossen, den Treck an einer geeigneten Stelle zu überfallen, alle Männer und Alte zu töten und die Frauen und Kinder zu verschleppen. Damals war Texas noch ein wilder Landstrich gewesen, der von den Kämpfen der vergangenen Jahre gegen Mexiko gezeichnet war. Es schien jedoch gewisse Leute gegeben zu haben, die daraus einen großen Profit schlagen wollten, indem sie die Frauen und Kinder verschleppten und mit großem Gewinn verkauften. Höchstwahrscheinlich nach Mexiko, denn dort stellte man wenige Fragen über die Herkunft von Menschen, die von nun an ein Dasein als Sklaven mit vielen Qualen und Entbehrungen fristen mussten.

Ich war mir sicher, dass einige der Frauen und Kinder wahrscheinlich nicht mehr am Leben waren, und wenn doch, dann hatten sie die Erinnerungen an die Zeit davor schon längst vergessen. Meine beiden Geschwister waren vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich. Ich wusste, dass auch die Comanchen immer wieder weiße Kinder und Frauen verschleppt und diese gezwungen hatten, in deren Stamm aufzuwachsen. Manche weißen Kinder wurden zu Kriegern, verlernten ihre Muttersprache, und nur noch ihre Hautfarbe erinnerte an ihre einstige Herkunft. Die Mädchen erwartete ebenfalls ein grausames Schicksal. Wenn sie das richtige Alter erreicht hatten, wurden sie von den Kriegern gewaltsam dazu gezwungen, ihnen zu Willen zu sein, und dann bekamen sie selbst Kinder. Manche von ihnen viel zu früh, und diese dramatische Veränderung hatte einige von ihnen sogar zerbrechen oder wahnsinnig werden lassen.

Ich erinnerte mich an einen Bericht über Cynthia Ann Parker, die sehr früh von Comanchen verschleppt worden und schließlich die Frau des Häuptlings Peta Nocona geworden war. Sie gebar ihm einen Sohn, der später unter dem Namen Quanah Parker einen erbarmungs­losen Krieg gegen die weißen Eindringlinge führte. Eine Truppe von mutigen Texas Rangern hatte es geschafft, Cynthia Ann Parker wieder zu befreien und zu ihren Verwandten zurückzubringen, aber es war zu viel Zeit vergangen, und diese Welt war für Cynthia fremd geworden. Sie verschloss sich und starb später, sodass Quanah Parker seine Mutter niemals mehr zu Gesicht bekommen hatte. Als er von ihrem Tod erfuhr, wurde sein Krieg gegen die Weißen noch härter und grausamer.

Würde ich mich womöglich auch darauf einstellen müssen, meine Schwester bei irgendeinem Comanchenstamm zu finden? Mit Kind und ohne Wissen um ihre eigene Herkunft? War mein Bruder ebenfalls zu einem Indianer geworden, oder hatte er als Sklave bei irgendeinem mexikanischen Großgrundbesitzer leben müssen? Es waren mehr als dreißig Jahre seitdem vergangen, und all die Gedanken, die mir jetzt durch den Kopf gingen, gehörten wahrscheinlich ebenso längst der Vergangenheit an.

Deine Schwester und dein Bruder sind Fremde für dich, riet mir der letzte Rest von Vernunft. Sie kennen ihre Herkunft wahrscheinlich selbst nicht mehr, und wenn du jetzt in der Vergangenheit herumstocherst, dann reißt du womöglich nur alte Wunden auf. Manchmal ist es besser, die Dinge ruhen zu lassen.

„Nein“, murmelte ich. „Ich habe das Recht, alles zu erfahren, und meine Geschwister ebenfalls.“

Damit schob ich alle Zweifel beiseite, die ich noch hatte. Blieb nur noch abzuwarten, ob Lobo ebenfalls mitkommen würde. Einerseits hätte ich das zu schätzen gewusst. Andererseits musste ich aber auch daran denken, dass seine Anwesenheit in Prescott von Vorteil für meine Familie war. Wenn Lobo versprach, ein Auge auf Manuela und die Kinder zu haben, dann war das so etwas wie eine Garantie. Er würde sich nicht so schnell überrumpeln lassen wie Don Carpenter.

Ich beschloss, hinüber ins Marshal Office zu gehen und mit ihm darüber zu sprechen. Aber zuerst packte ich die Briefe wieder sorgfältig zusammen und legte sie in die Tasche zurück. Dann verließ ich das Zimmer.

*

„Es ist besser, wenn Sie jetzt kooperieren“, sagte Quinn Heston zu dem Schwarzen, der in einer der Zellen auf der Pritsche hockte und auf einen imaginären Punkt an der Decke starrte. „Ein Geständnis könnte vom zuständigen Richter zu Ihren Gunsten ausgelegt werden.“

Trotz Hestons Vorschlag schien Napoleon die Anwesenheit des Marshals gar nicht wahrzunehmen. Das galt erst recht für Lobo, der seine Flucht verhindert hatte. Er tat einfach so, als seien die beiden Männer gar nicht hier, und hing stattdessen seinen eigenen Gedanken nach.

„Tu nicht so, als wenn du nicht gehört hast, was der Marshal gerade zu dir gesagt hat!“, ergriff nun Lobo das Wort und trat ganz dicht ans Zellengitter. Seine Hände berührten die Eisenstäbe, während sich sein Blick auf Napoleon richtete. „Du hast noch eine winzige Chance, wenn du alles zugibst.“

In diesem Moment erklangen draußen vor dem Office aufgeregte Stimmen. Heston deutete Lobo kurz an, hierzubleiben, während er selbst nach vorn ging, um heraus­zufinden, was draußen gerade stattfand. Lobos Blick richtete sich nach wie vor noch auf den Schwarzen. Er wollte ihn aus seiner Reserve locken, denn nur so konnte er mehr erfahren.

„Ich will einen Anwalt“, ergriff Napoleon nun das Wort. „Mit dem will ich zuerst reden, verstanden?“

„Der Anwalt wird höchstens dafür sorgen, dass dein Strafmaß etwas weniger wird“, meinte Lobo mit einem abfälligen Grinsen. „Aber du kannst sicher sein, dass dein Weg nur noch in eine einzige Richtung führt. Von hier aus zum Gerichtsgebäude und nach dem Prozess dann direkt ins Gefängnis von Yuma. Ich habe gehört, dass das die Hölle ist. Die wirst du dann auch erleben.“

„Ach ja?“, entgegnete Napoleon mit gepresster Stimme. „Bist du so was wie ein Hellseher? Kannst du in die Zukunft schauen?“

„Darüber musst du nicht nachdenken“, meinte Lobo. „Du hast ohnehin keine Wahl mehr.“

Er wollte noch einiges hinzufügen, aber in diesem Augenblick kam Marshal Heston wieder in den Zellengang zurück. Bei ihm befand sich ein Mann, der aussah wie ein Landstreicher, und er verströmte einen pene­tranten Geruch, der Lobo die Nase rümpfen ließ. Lobo kannte den Mann. Er hieß Benjamin Moore und betrieb einen kleinen, aber mittlerweile recht unrentablen Handelsposten außerhalb von Prescott.

„Das ist einer von den beiden Kerlen!“, rief Moore ganz aufgebracht und zeigte auf den in der Zelle sitzenden Napoleon. „Der andere war groß und hatte weiße Haare. Er sah aus wie ein Prediger.“

Heston bemerkte, dass Lobo nicht begriff, um was es hier ging. Deshalb ergriff er sofort wieder das Wort.

„Saint und Napoleon waren bei Moore“, klärte er Lobo auf. „Dort haben sie kurz mit Luther Collins gesprochen und sind dann mit ihm zusammen in Richtung Prescott geritten.“

„Genau“, meinte Moore. „Ich habe diesen Gestalten nicht über den Weg getraut. Auch wenn der Schwarze da ganz höflich geredet hat. Ich wollte ohnehin heute nach Prescott reiten, um einige Dinge zu besorgen. Dann habe ich die Vögel am Himmel bemerkt und zwei Coyoten gesehen. Kurz darauf habe ich Collins gefunden. Er war tot. Jemand hat ihn erschossen. Die Coyoten haben sich schon an der Stelle zu schaffen gemacht und ihn ziemlich übel zugerichtet. Ich habe ihn in eine Decke gewickelt und mitgenommen. Ich dachte, das müssten Sie wissen, Marshal. Aber wie ich sehe, haben Sie einen der beiden Halunken schon hinter Schloss und Riegel gebracht. Wo ist der andere?“

„Auf dem Friedhof in einem namenlosen Grab“, kam Lobo Marshal Heston zuvor und genoss es zu sehen, wie Napoleon sich auf einmal sehr nervös benahm. Er konnte Lobos prüfendem Blick nicht länger standhalten und wirkte jetzt wie jemand, der jeden Moment in der Zelle durchdrehte, weil er sich auf einmal bewusst wurde, dass er in der Falle saß.

„Moore, Sie kommen mit nach vorn“, forderte der Marshal ihn auf. „Wir machen ein Protokoll, und das unterschreiben Sie dann.“

„Natürlich, Marshal“, versicherte ihm der Händler. „Der Mörder muss hängen. Das wird er doch, oder?“

„Das entscheidet der Richter“, erwiderte Heston. „Und jetzt kommen Sie mit nach vorn. Es gibt noch viel zu tun. Der tote Collins muss beerdigt und jede Menge Papierkram erledigt werden.“

„Ich hoffe, der Kerl in Ihrer Zelle bekommt das, was er verdient!“, stieß Moore wütend hervor. „Collins war ein Mann, der so einen gewaltsamen Tod nicht verdient hat.“

Lobo hätte Moore etwas darüber erzählen können, dass Collins auch kein unbeschriebenes Blatt vor, aber darauf verzichtete er. Viel wichtiger war es, dass Moore jetzt ein wichtiger Zeuge war und Napoleon nun auch für den Mord an Luther Collins verantwortlich gemacht werden konnte. Dabei spielte es keine Rolle, ob er oder Saint den tödlichen Schuss abgefeuert hatte.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, als wenn sich die Schlinge um deinen Hals immer enger zuzieht“, sagte Lobo nun zu dem Schwarzen. „Dumm gelaufen, würde ich sagen.“

Napoleon erwiderte nichts darauf, sondern fluchte zum Gotterbarmen. Jetzt war es aus und vorbei mit seiner Zurückhaltung, weil er begriffen hatte, dass er keine Chance mehr hatte. Es sei denn, es würde ein Wunder geschehen. Aber daran zu glauben oder gar zu hoffen, dass ihn trotzdem noch irgendjemand aus dem Gefängnis herausholte, war vergeblich.

*

Ich sah eine Gruppe von zehn Menschen, die sich vor dem Office von Marshal Quinn Heston versammelt hatten und einen Wagen umringten. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber als ich dann näherkam, bemerkte ich eine in Decken gehüllte Gestalt auf der Ladefläche. Henry Duncan und der Bürgermeister befanden sich auch unter denjenigen, die hier zusammengekommen waren.

Als Henry mich sah, kam er sofort auf mich zu.

„Es ist Luther Collins!“, sagte er zu mir. „Jemand hat ihn erschossen. Rate mal, wer das getan hat?“

„Du wirst es mir sicher gleich sagen“, erwiderte ich.

„Der Wagen gehört Benjamin Moore“, klärte mich Henry auf. „Er hat den Toten durch Zufall auf dem Weg hierher entdeckt. Er sagt, dass Saint und Napoleon kurz vorher in seinem Handelsposten waren und dann mit ihm zusammen weggeritten sind.“

Das waren nun wirklich interessante Neuigkeiten. Während drei Männer den Toten vom Wagen hoben und ihn zum Bestatter brachten, hielt ich mir vor Augen, welches große Glück meine Familie gehabt hatte. Dass Saint ein gewissenloser Mörder gewesen war, das wusste ich schon seit vielen Jahren. Aber auch Napoleon schien kein unbeschriebenes Blatt zu sein, und da er der Einzige war, den man noch für den Mord an Collins verantwortlich machen konnte, verringerte das seine Chancen ganz gewaltig, jemals wieder auf freien Fuß zu kommen.

Dieser Gedanke gefiel mir, je mehr ich darüber nachdachte, dass Titus Lancaster vor Wut schäumen würde, wenn er erst erfuhr, dass sein Vertrauter und ­Leibwächter so kläglich versagt hatte. Das würde ihn angreifbar machen, erst recht für das Gesetz, und das war gut so.

Ich nickte Henry noch kurz zu und ging dann zur Tür des Marshal Office, das Benjamin Moore gerade wieder verließ. Er und ich kannten uns flüchtig, hatten aber bisher nur wenige Worte miteinander gewechselt. Deshalb registrierte er mich nur beiläufig und hatte es jetzt eilig, wieder zu seinem Wagen zurückzugehen und das zu tun, weswegen er eigentlich nach Prescott gekommen war.

Ich wusste, dass Moore nicht immer ehrliche Geschäfte auf seinem Handelsposten tätigte und dass er öfters mal Besuch von Männern bekam, die bewusst solche Städte wie Prescott, Wickenburg oder Phoenix mieden, weil sie es eilig hatten, so schnell wie möglich und unbemerkt die mexikanische Grenze zu erreichen. Aber solange die Geschäfte von Wells Fargo nicht beeinträchtigt wurden, hatte es keinen Grund gegeben, Moore auf den Zahn zu fühlen.

Ich betrat das Office. Heston sah mich hereinkommen und deutete mit dem Daumen der rechten Hand hinter sich.

„Gates ist hinten im Zellengang“, sagte er zu mir.

„Ich bleibe nicht lange“, erwiderte ich, ging an seinem Schreibtisch vorbei und stand wenige Augenblicke später vor dem Zellengitter, hinter dem Napoleon hockte. In den Augen des Schwarzen blitzte es wütend auf, als er mich hereinkommen sah. Wenn Blicke hätten töten können, dann wären Lobo und ich ganz sicher nicht mehr am Leben geblieben. So aber blieb es dabei, dass Napoleon seinem Ärger Luft zu verschaffen versuchte, indem er wieder zu fluchen begann. Aber das nützte auch nichts mehr.

„Du wirst schon bald vor dem Richter stehen“, sagte ich zu Napoleon. „Und von dort aus geht es dann auf direktem Weg nach Yuma.“

„Freut euch nicht zu früh!“, stieß Napoleon mit gepresster Stimme hervor. „Ihr glaubt zwar, ihr hättet gewonnen. Aber dem ist nicht so.“

„Was soll das heißen?“, fragte ich mit gefährlich leiser Stimme.

„Das werdet ihr wissen, wenn es so weit ist“, entgegnete Napoleon. „Mehr habe ich jetzt und hier nicht mehr zu sagen. Ich will mit einem Anwalt sprechen. Das habe ich schon einmal gesagt. Aber hier scheint irgendwie jeder taub zu sein.“

„Den bekommst du auch“, meinte Lobo. „Aber der kann auch keine Wunder vollbringen. Lass uns gehen, Ronco“, schlug er mir vor. „Wir haben Besseres zu tun.“

Womit er natürlich recht hatte. Wir verließen den Zellen­gang, schlossen die Tür hinter uns, und ich musste daran denken, dass die Mühlen der Gerechtigkeit zwar nicht immer schnell mahlten, aber in diesem Fall dann doch sehr überraschend.

„Ich brauche noch ein paar Informationen“, meinte Quinn Heston zu uns, als wir das Office wieder verlassen wollten. „Wenn der Kerl vor Gericht kommt, dann muss der Richter weitere Details wissen, um die Anklage zu verfassen. Es soll ja alles nach Recht und Gesetz ablaufen, oder?“

Ich konnte Quinn Hestons Denkweise verstehen. Er hatte den Marshalposten von Lobo übernommen, der sich zunehmend einigen Vorurteilen wegen seiner Hautfarbe ausgesetzt sah und deshalb den Stern zurückgegeben hatte. Ich hatte daraufhin Quinn Heston dem ­Bürgermeister als Nachfolger vorgeschlagen, und er machte seitdem einen guten Job. Auch wenn er großen Wert auf ordnungsgemäße Protokolle legte, die er anschließend dem Gericht präsentieren konnte. Es lag wohl daran, dass er fest entschlossen war, keine formalen Fehler zu machen, wenn ein Fall besonders brisant war. Und das konnte man hier wirklich sagen.