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Zahlreiche Offiziere der Union werden im berüchtigten Gefängnis von Libby Prison eingesperrt. Lieutenant Jay Durango erhält daraufhin einen sehr gefährlichen Auftrag. Als Unionsoffizier getarnt, wird er ins Gefängnis eingeschleust. Doch als ein neuer Trupp Gefangener nach Libby kommt, droht seine Tarnung aufzufliegen.
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Seitenzahl: 314
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In dieser Reihe bisher erschienen
4801 Alfred Wallon Todeskommando
4802 Alfred Wallon Krieg am Mississippi
4803 Alfred Wallon Auf dem Weg zu General Lee
4804 Alfred Wallon Sterben für den Süden
4805 Alfred Wallon Die Hölle von Gettysburg
4806 Alfred Wallon Das Gesicht des Todes
4807 Alfred Wallon Kampf um Chattanooga (Frühjahr25)
4808 Alfred Wallon Atlanta soll brennen (Frühjahr25)
CIVIL WAR CHRONICLES
BUCH 6
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Copyright © 2024 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Alfred Wallon, Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-68984-095-2
4806 vom 13.08.2024
Vorwort
Erstes Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Zwischenspiel - An der Grenze zweier Welten
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Zweites Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nachwort
Über den Autor
Als im April 1861 der blutige Bürgerkrieg zwischen der Union und der Konföderation seinen Anfang nahm, glaubten noch viele daran, dass diese Auseinandersetzung innerhalb weniger Monate beendet sein würde. Niemand ahnte jedoch, dass dieser, nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Interessen geführte, Krieg mehrere Jahre dauern und einen Spalt durch die gesamte Nation ziehen sollte, dessen Folgen noch lange Zeit nach Beendigung des Krieges zu sehen und zu spüren waren.
Es war das Jahr, in dem der Stern des Südens unterzugehen begann. Gettysburg war der traurige Wendepunkt für die Armee der Konföderierten Staaten. Seit dieser tödlichen Schlacht, die so viele Opfer forderte, verlor der Süden immer weiter.
Tausende von Soldaten starben auf den blutigen Schlachtfeldern, im Gewehrfeuer und im mörderischen Bleihagel aus Revolvern und Kanonen. Nach Bull Run, Shiloh, Wilderness, Vicksburg und Gettysburg blieb nichts mehr so, wie es einst gewesen war.
Auch im Winter des Jahres 1863 gab es viele Tote, Verwundete und auch Gefangene. Auf beiden Seiten wurden einfache Soldaten und Offiziere in Lagern gehalten, wo sie bis zum Ende des Krieges unter menschenunwürdigen Bedingungen ausharren mussten. Viele von ihnen überlebten die Entbehrungen und Strapazen dieser Gefangenschaft nicht und fanden in den Gefängnissen und Kriegslagern den Tod.
In Band 4 der Civil War Chronicles Sterben für den Süden habe ich von Gefangenenlagern berichtet, die die Union unterhielt und in denen unzählige konföderierte Soldaten ein jämmerliches Dasein fristeten. Der Tod war in vielerlei Hinsicht eine Gnade, verglichen mit den Qualen und Entbehrungen, denen die Männer täglich ausgesetzt waren. Viele von ihnen kamen in diese Lager als Kriegsgefangene, die darauf hofften, dass sie irgendwann wieder freigelassen werden würden. Aber die meisten von ihnen verließen diesen Ort nur noch als Tote.
Auch aufseiten der Konföderation gab es solche Camps, in denen die Würde und die Menschlichkeit mit Füßen getreten wurden. Man wusste natürlich von den Grausamkeiten, die in den Camps der Union an der Tagesordnung waren, und versuchte deshalb, mit gleicher Münze zurückzuzahlen.
Dies ist die Geschichte von Libby Prison, einem Gefängnis der Konföderierten, und es ist auch die Geschichte eines waghalsigen Ausbruchs von mutigen Männern, die auf diese Weise ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollten.
Wind kam von Osten auf, als die beiden Reiter ihre Pferde unweit eines kleinen Pinienwäldchens zügelten. Dunkle Wolken hatten sich am Horizont zusammengezogen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es bald wieder zu regnen beginnen würde.
Drüben in den hell erleuchteten Häuserfassaden von Richmond hatten sich die meisten der Bewohner zurückgezogen und versuchten, die Wirren des blutigen Krieges, der auch Richmond nicht mehr verschonte, zu vergessen. Aber das war fast unmöglich.
Es war nicht so, dass direkt in Richmond gekämpft wurde. Nein, die Schlachten wurden an anderen Orten geschlagen. Aber an Tagen, wenn der Wind aus dem Osten kalt und unangenehm pfiff, konnte man manchmal das ferne Grollen schwerer Geschütze hören. Kanonen, die tödliche Kugeln auf die Gegner abfeuerten und sie zu Dutzenden zerrissen!
Die Menschen in Richmond hatten es gelernt, mit dem Krieg zu leben. Aber man musste nur in ihre Gesichter sehen, um das Leid und die Verzweiflung derjenigen zu erkennen, die entweder den Vater, den Bruder oder den Ehemann in einer der zahlreichen Schlachten verloren hatten. Andere wurden noch vermisst, und dieses ungewisse Schicksal zehrte an den Nerven der Menschen.
Lebensmittel waren knapp geworden, ebenso wie die medizinische Versorgung. Es fehlte immer etwas, und mit jedem verstreichenden Tag zeigte sich das immer deutlicher. Die Geißel des blutigen Bruderkrieges zwischen Nord und Süd machte vor niemandem Halt, und dieses Wissen ließ die meisten Bewohner von Richmond eher ein stilles Weihnachtsfest verbringen.
Lieutenant Jay Durango blickte mit gemischten Gefühlen hinüber zum Flusslauf des James River, wo sich zahlreiche Zelte befanden, die man auf dem mittlerweile total verschlammten Boden errichtet hatte. Belle Isle nannte man diesen Ort, einen Ort, wo man die Soldaten der Yankees bewachte, in einem Lager, das noch viel primitiver wirkte, als es aus dieser Entfernung aussah.
„Du hast doch nicht etwa Mitleid?“, riss ihn die Stimme von Sergeant McCafferty aus seinen Gedanken. „Mann, ich denke keine einzige Sekunde daran, was aus denen da unten wird. Schließlich haben sie etliche unserer Jungs auf dem Gewissen. Oder hast du das schon vergessen?“
Jay Durango schüttelte stumm den Kopf. McCafferty hatte recht. Das Schicksal des Einzelnen zählte wenig. Es ging nur noch darum, diesen schrecklichen Krieg zu beenden. Auch wenn es um den Süden alles andere als gut bestellt war.
Gettysburg hatte alles verändert. Eine unscheinbare Stadt und eine noch unscheinbarere Kette von Hügeln hatten das Schicksal der Konföderierten besiegelt. Jay Durango wusste das, und McCafferty auch.
Aber allein der Gedanke, dass höchstwahrscheinlich alles umsonst war, für das sie gekämpft und ihr Leben riskiert hatten, dieser Gedanke war furchterregend.
„Ich bin nicht sicher, ob es wirklich gut ist, was Stuart mit dir vorhat, Lieutenant“, gab der irische Sergeant zu bedenken. „Ich habe da so meine Zweifel.“
„Zweifele nicht an J. E. B. Stuart“, meinte Durango. „Auch wenn er bei Gettysburg nicht gerade Glück gehabt hat, so ist er immer noch eine der wichtigsten Stützen von General Lee, und wenn er mir sagt, dass er einen Auftrag für mich hat, dann erledige ich ihn.“
„Na gut, es ist deine Entscheidung“, antwortete der Sergeant und zog sich den Kragen seiner Jacke höher. „Du weißt ja, wo du mich findest, wenn du mich doch noch brauchst.“
Mit diesen Worten nahm er die Zügel in die Hand und trieb sein Pferd an, ohne auf eine Antwort Jay Durangos zu warten. Der schwarzhaarige Lieutenant wollte ihm zuerst noch etwas nachrufen, aber in der Zwischenzeit hatte sich der Wind gedreht und blies ihm jetzt eine kalte Brise ins Gesicht, und die Temperatur begann zu sinken.
Durango bemerkte, wie McCafferty bald seinen Blicken entschwunden war. Wie üblich würde er mit den anderen Kameraden auf Durangos Rückkehr warten.
Dann trieb auch er sein Pferd an, lenkte es über einen schlammigen Weg hinunter zum Hauptquartier der Armee. Er passierte einige Wachposten, aber man ließ ihn passieren, als er Stuarts Namen und den des Mannes nannte, der ihn ebenfalls sehen wollte. Gemeint war Brigadier General John H. Winder, der als kommandierender Offizier für das Lager am Belle Isle und auch für das Gefängnis von Libby verantwortlich war.
Stuart hatte nur vage Andeutungen von sich gegeben, als er Durango befohlen hatte, zu diesem Treffen heute am späten Nachmittag zu erscheinen. Der junge Lieutenant wusste deshalb nicht, um was es genau ging, aber er würde es gleich erfahren!
Während er die Zügel seines Pferdes einem Rekruten in die Hand drückte und dieser das Tier hinüber in einen der Ställe führte, betrat Durango das massive steinerne Haus, in dem Brigadier General Winder residierte, anders konnte man das nicht nennen.
Es war ein noch völlig intaktes Gebäude, dessen gepflegter Vorgarten ihm sofort ins Auge stach. Was wohl daran lag, dass Durango in den letzten Wochen und Monaten zu viele Schützengräben gesehen hatte. Der Anblick eines Rosenbeetes befremdete ihn jetzt.
Augenblicke wurde er von einer Ordonnanz in einen großen Raum gebracht, dessen Mittelpunkt ein massiver Tisch aus Mooreiche bildete. Dahinter saß ein grauhaariger Mann, dessen Züge zwar ein wenig blass wirkten, seine Augen dagegen blickten Durango umso klarer an.
Der Lieutenant grüßte ihn vorschriftsmäßig mit einer zackigen Bewegung, ebenso den bärtigen Mann, der gerade eben noch am Fenster gestanden und hinausgesehen hatte. Erst bei Durangos Eintreten hatte sich James Ewell Brown Stuart umgedreht und nickte ihm kurz zu, schwieg aber ansonsten.
„Ich sehe, Sie sind pünktlich, Lieutenant Durango“, sagte Brigadier General John H. Winder. „Dann sollten wir keine unnötige Zeit verlieren. Setzen Sie sich!“ Er wartete ab, bis Durango auf einem der Stühle Platz genommen hatte, und fuhr dann erst fort. „General Stuart hat mir von Ihren Einsätzen berichtet, als es darum ging, eine Kriegskasse für die Konföderation zu retten. Und wie mir ebenfalls berichtet wurde, haben Sie einen Ihrer Kameraden aus einer höchst brisanten Situation befreit.“
Für Durango lagen diese dramatischen Ereignisse schon eine halbe Ewigkeit zurück. Deshalb nickte er nur und wartete darauf, was Winder ihm noch zu sagen hatte.
„Ich brauche Sie für einen wichtigen Job, Lieutenant“, rückte der Brigadier General nun mit der Wahrheit heraus. „Stuart hat mir versichert, dass Sie absolut zuverlässig und verschwiegen sind, für diese Aufgabe ist das eine wichtige Voraussetzung. Aber es wird nicht ganz einfach sein, es kann sogar gefährlich werden.“
Bei den letzten Worten richtete er seine prüfenden Augen auf Durango, um zu sehen, welche Reaktion er zeigte. Aber Jay Durango blieb nach wie vor ruhig, und die Antwort, die er Winder gab, schien dem General zu gefallen.
„Gefahr ist ein Teil des Lebens, General. Man muss mit ihr leben, nur wenn man sie ignoriert, wird sie zum Risiko.“
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Lieutenant Durango der richtige Mann ist, John“, meldete sich nun der bärtige Stuart zu Wort. „Jetzt sagen Sie ihm endlich, was Sie von ihm verlangen. Zweifel sind wirklich nicht mehr angebracht!“
Wenn Stuarts Ungeduld den älteren John H. Winder verärgerte, so zeigte er das nicht.
„Sie haben einen überzeugenden Fürsprecher, Lieutenant“, meinte er dann. „Also gut, Sie sollen erfahren, um was es geht. Was wissen Sie über Libby Prison und das Belle Isle Camp?“
„Das ist ein Kriegsgefangenenlager“, erwiderte Durango wahrheitsgemäß. „Unten am Fluss sind die Soldaten, und im alten Warenhaus von Libby die höheren Ränge.“
„Stimmt“, sagte Winder. „Und das, wofür ich Sie brauche, hat mit Libby zu tun. Ich weiß nicht, ob Sie mit den Gegebenheiten dort vertraut sind, also kommen Sie her und sehen Sie sich die Karte an.“
Auf seinen Wink erhob sich Durango, kam zu ihm an den Tisch und blickte auf die Karte, die eine detaillierte Zeichnung von Libby Prison und all seiner Nebengebäude darstellte.
„Das war mal ein altes Lagerhaus“, klärte ihn Brigadier General Winder auf. „Die Mauern sind für die Ewigkeit gebaut, und vor die Fenster haben wir solide Eisengitter gesetzt. Da kommt keiner raus, wenn wir das nicht wollen. Nach den letzten Schlachten haben wir dort einige bedeutende Unionsoffiziere als Gefangene untergebracht. Es wäre sehr wichtig für uns, mehr über diese Männer und über die weiteren Pläne der Union in Erfahrung zu bringen. Natürlich wissen sie alle mehr, als sie uns bisher gesagt haben. Jemand, der sich unerkannt in ihren Reihen als Gefangener aufhält, würde vielleicht mehr herausfinden können.“
Jetzt wusste Durango, um was es ging. Noch während die letzten Worte des Brigadier Generals endeten, gingen Durango gleich ein Dutzend verschiedener Gedanken durch den Kopf. Man konnte ihm ansehen, dass es hinter seiner Stirn arbeitete, und das entging natürlich auch nicht Winder und Stuart.
„Sie werden völlig auf sich allein gestellt sein, Lieutenant“, fuhr Winder jetzt fort. „Nur Stuart und ich werden Ihre wahre Identität kennen. Für alle anderen konföderierten Wachposten sind Sie ein Yankee wie alle anderen auch.“
„Und das ist nicht gerade angenehm“, vollendete J. E. B. Stuart die Gedankengänge Winders. „Die Unionsoffiziere haben im Vergleich zu den normalen Soldaten bessere Bedingungen, aber in Libby gilt nach wie vor das Kriegsrecht. Jeder Gefangene, der auch nur an Flucht zu denken wagt, wird erschossen. Sie werden nicht nur eine blaue Uniform tragen müssen, Lieutenant, sie werden es auch ertragen, dass Ihre eigenen Kameraden sie als einen Feind behandeln.“
„Fast jede Woche kommen neue Offiziere nach Libby Prison“, sprach Winder weiter. „Und alle schweigen sie beharrlich, verraten uns nichts außer ihrem Namen und ihrem Offiziersrang. Natürlich könnten wir ihnen mit Gewalt die notwendigen Informationen entlocken, aber wir sind keine Barbaren. Es wird einen anderen Weg geben, nämlich durch Ihren Einsatz!“
Damit war alles gesagt. Aber nicht für Jay Durango.
„Wie kann ich Verbindung zu Ihnen aufnehmen, sobald ich etwas erfahren habe?“, hakte er sofort nach. „Unter Umständen müsste das sehr schnell geschehen. Ich benötige einen Mann, auf den ich mich voll und ganz verlassen kann. Solch einen Mann wie Sergeant McCafferty!“
Der Name sagte John H. Winder nichts. Er sah deshalb fragend zu J. E. B. Stuart und bemerkte, wie sich ein kurzes Lächeln in dessen bärtige Züge schlich.
„Natürlich“, murmelte er. „Darauf hätten wir gleich kommen sollen, das ist ein guter Vorschlag. Der Sergeant ist ein ausgezeichneter Mann. Durango und er sind schon seit Beginn des Krieges zusammen in einer Truppe. Er wäre auch hier von Nutzen.“
„Wenn Sie das sagen, dann bin ich damit einverstanden“, sagte Brigadier General John H. Winder schließlich. „Also gut, es wird alles so ablaufen, wie wir es gerade besprochen haben, und ich möchte, dass es morgen schon losgeht. Wenn dieser McCafferty mit dabei sein soll, dann ist nicht mehr viel Zeit, um alles mit ihm zu besprechen. Wo ist er jetzt?“
„Er wartet draußen im Camp mit meinen übrigen Männern“, antwortete Durango rasch. „Und ich denke, er wird sehr überrascht sein, wenn er erfährt, dass er nun doch mit von der Partie ist.“ Bei diesen Worten erhob er sich rasch. „Wie wird es morgen ablaufen?“
„Ganz unspektakulär“, klärte ihn Winder auf. „Sie bekommen eine blaue Uniform verpasst und werden dann nach Libby gebracht. Ich habe hier einiges aufgeschrieben, das sie am besten so rasch wie möglich auswendig lernen sollten. Ab morgen früh sind Sie nicht mehr Lieutenant der Konföderierten Staaten, sondern Mitglied der Unionsarmee. Ihr Name ist Lieutenant Mark Summers, und sie gehören zu Shermans Truppe. Lesen Sie es sich ganz genau durch und vernichten Sie dann den Zettel sofort wieder. Ihre militärische Laufbahn muss glaubhaft wirken, sonst haben Sie dort keine Chance. Niemand soll erkennen, dass Sie ein Spion in den eigenen Reihen der Yankees sind. Und jetzt gehen Sie, Lieutenant, ich wünsche Ihnen viel Glück!“
„Danke, Sir“, erwiderte Durango, grüßte noch einmal und verließ dann den Raum wieder. Seine Schritte verhallten draußen auf dem Flur. General J. E. B. Stuart blickte ihm durchs Fenster hinterher, als Durango sein Pferd aus dem Stall holte.
* * *
Der Wind blies Sergeant McCafferty ins Gesicht, als er zum Campfeuer ging und sich eine Tasse heißen Kaffee einschenkte. Er verzog das Gesicht, als er den ersten Schluck trank. Diese schwarze Brühe roch kaum nach Kaffee und schmeckte auch nicht besonders. Aber die Vorräte begannen selbst in der Umgebung von Richmond knapper zu werden, also wurde auch mit Kaffee und anderen wichtigen Lebensmitteln gespart.
„He, Sergeant, was ist los?“, erklang die Stimme von Tom Higgins, dessen Uniform nur noch aus verdreckter Jacke und Hemd bestand. Die Hose hatte er einem toten Yankee abgenommen, der sie nicht mehr brauchte. „Schmeckt dir der Kaffee etwas nicht?“
„Du weißt doch, dass man es Mac nie recht machen kann“, brummte Neil Vance vor sich hin, während er zu Porter und Fisher schaute, die ebenfalls am Feuer hockten. „Selbst hier in Richmond werden die Vorräte langsam knapp. Eine Schande ist das!“
McCafferty murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, nickte dann aber doch. Ihm war nicht danach, sich jetzt mit den Kameraden auf ein längeres Gespräch einzulassen, seine Gedanken schweiften sowieso immer wieder ab. Auch wenn er das nie offen zugegeben hätte, aber er hätte gerne mehr über die Mission gewusst, mit der Stuart den Lieutenant beauftragen würde.
Noch während er daran dachte, hörte er plötzlich die Hufschläge eines einzelnen Pferdes, die sich dem Camp näherten. Um diese Zeit war das nichts Besonderes. An diesem späten Nachmittag ritten immer wieder einzelne Späher aus, um die Truppen des Gegners nicht aus den Augen zu verlieren. General Sherman war ein gerissener Fuchs, er konnte gefährlich werden, wenn man ihn zu nahe kommen ließ.
McCafferty goss den Rest der gestreckten Brühe weg, als er den Reiter erkannte. Sofort erhob er sich vom Campfeuer und ging auf den Lieutenant zu, der ihn jetzt ebenfalls entdeckt hatte.
„Ich wusste doch, wo ich dich und die anderen finde, Mac“, sagte Durango zu dem Sergeant, während er sein Pferd zügelte, aus dem Sattel stieg und seinen Leuten zunickte. „Ich muss dringend mit euch allen sprechen, aber nicht hier. Kommt mit!“
Der Ire bemerkte, dass der Lieutenant etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte. Also folgten er und seine Männer ihm. Sie entfernten sich von der wohligen Wärme des Campfeuers und spürten deshalb wieder den kalten Wind, der erneut leichten Nieselregen vor sich hertrieb.
„Es hat mit deinem neuen Auftrag zu tun, oder?“, erkundigte sich jetzt McCafferty, der seine Neugier kaum noch zügeln konnte. Durango nickte.
„Du bist mit im Spiel, Mac“, klärte er den Sergeant jetzt auf. „Aber nur du. Die anderen müssen hier im Lager bleiben. Für das, was geplant ist, brauche ich nur einen einzigen Mann.“
Er hielt einen kurzen Augenblick inne und blickte in die Runde, um zu sehen, wie Fisher, Porter, Vance und Higgins diese Entscheidung aufnahmen.
„Das klingt wieder mal nach einem ganz speziellen Auftrag“, konnte sich Vance diese Bemerkung nicht verkneifen. „Warum nur Mac? Meinst du nicht, dass das zu riskant ist?“
„In diesem Falle geht es aber nicht anders“, erwiderte Durango und rückte nun mit der Wahrheit heraus. „Ab morgen früh bin ich nicht mehr Lieutenant Jay Durango, sondern Mister Mark Summers aus Pennsylvania, ein waschechter Yankee-Lieutenant.“
„Also, da soll mir doch einer ...“, entfuhr es dem irischen Sergeant, als Durango ihm in kurzen Sätzen von dem neuen Einsatz berichtete. „Du begreifst aber schon, dass dies kein Zuckerschlecken wird? Wenn deine Tarnung auffliegen sollte, dann kann es unter Umständen schon zu spät sein für dich. Die Yankees machen dich einen Kopf kürzer, wenn sie einen Spion in ihren eigenen Reihen bemerken. Ich hoffe, du weißt das!“
„Sicher“, nickte Durango. „Deshalb will ich dich ja auch mit dabeihaben, Mac. Stuart und Winder wissen bereits, dass ich diesen Job nicht allein machen kann“, fuhr Durango fort. „Schließlich bin ich unerkannt unter Hunderten von Yankees. Wenn es hart auf hart kommt, ist es gut zu wissen, dass jemand in der Nähe ist, auf den ich mich verlassen kann.“
„Das kannst du“, versicherte ihm der Ire. „Obwohl ich mich langsam wirklich frage, warum wir eigentlich immer solche Jobs bekommen.“
Darauf hatte auch Jay Durango keine passende Antwort parat.
* * *
Colonel Thomas E. Rose blickte mit verbitterter Miene durch die Gitterstäbe des Fensters im obersten Stock des alten Warenhauses von Libby & Sons, das schon lange nicht mehr als Lagerraum genutzt wurde. Stattdessen wurden hier Männer eingesperrt und draußen von allen Seiten bewacht!
Es war kalt an diesem Morgen. Der unangenehme Wind ließ den Colonel frösteln, denn in diesem großen Lagerraum gab es keine Möglichkeit, Feuer zu machen, und die Wärme aus dem Küchenraum ein Stockwerk tiefer reichte nicht bis hier hinauf. Regen fiel pausenlos vom grauen Himmel.
Der ganze Tag würde grau und trostlos werden, wie schon so viele zuvor. Colonel Rose hatte aufgegeben, die Tage zu zählen, die er hier schon in Gefangenschaft verbracht hatte. Er war ein Sklave der alltäglichen Monotonie. Schlafen, etwas essen und dann darauf warten, dass sich vielleicht etwas änderte!
Aber das geschah nicht. Niemand wusste, was sich außerhalb des Gefängnisses abspielte. Sie erfuhren es immer erst dann, wenn neue gefangene Offiziere hierhergebracht wurden.
Rose blickte hinüber zur anderen Seite des großen Lagerraums, wo Brigadier General Neal Dow auf einer alten Holzkiste hockte und mit zwei Colonels sprach. Von Dow hatten die Gefangenen auch erfahren, wie es draußen auf den Schlachtfeldern aussah.
Keine Frage, der Süden würde den Krieg verlieren, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber niemand wusste, wann das sein würde. Und bis dahin waren sie gezwungen, hier auszuharren und die Schikanen ihrer grau uniformierten Wächter über sich ergehen zu lassen.
Im Vergleich zu den einfachen Soldaten und Unteroffizieren draußen im Zeltlager von Belle Isle war das Lagerhaus wirklich ein Paradies! Draußen herrschte eine unangenehme Kälte wegen des Regens der letzten Tage, und die dünnen Zeltwände konnten sie nicht zurückhalten. Wer wusste, wie viele Soldaten diesem furchtbaren Wetter, dem Hunger und sonstigen Entbehrungen bereits zum Opfer gefallen waren?
„Sie bringen neue Gefangene!“, rief plötzlich ein Captain, der kurz nach der harten Schlacht von Gettysburg gefangen und hierhergebracht worden war, genau wie Colonel Rose. „Da drüben kommen sie!“
Die Gedanken des schwarzhaarigen Colonels aus Pennsylvania brachen ab, als er durch die Gitterstäbe schaute und sah, wie sich ein Trupp Soldaten dem wuchtigen Gefängnis näherte. Sie eskortieren zehn Gefangene. Männer in verdreckten Uniformen, die die Köpfe gesenkt hielten.
Sie marschierten auf das große Tor des alten Lagerhauses zu, dann wurden die Gefangenen den Wächtern übergeben. Colonel Rose wandte sich jetzt hastig vom Fenster ab und sah, dass auch die übrigen Männer von einer eigenartigen Unruhe ergriffen waren.
Neue Gefangene in Libby, das hieß auch vielleicht Nachrichten aus der Heimat oder von weiteren Schlachten, die irgendwo da draußen stattfanden. Der ferne Kanonendonner, den der Wind manchmal bis hier zum James River herübertrug, zeigte den Gefangenen, dass der blutige Bruderkrieg zwischen Nord und Süd unbarmherzig weiter ging. Wer wusste, wie viele Opfer er noch fordern würde?
Der kalte Wind, der durch die Gitterstäbe strich, ließ Colonel Rose unwillkürlich frösteln, aber er vertrieb wenigstens für einige Sekunden den penetranten Gestank von Schweiß und Exkrementen, der über dem kahlen Raum hing. Bis zu siebzig Männer waren hier eingepfercht, und gar mancher von ihnen war schon ein Opfer seiner eigenen Verzweiflung geworden.
Wie zum Beispiel Captain John Morris, ein hagerer Mann, der während der langen Monate seiner Gefangenschaft zu einem Schatten seiner selbst geworden war. Die meiste Zeit des Tages saß er mit dem Rücken an die Holzwand gelehnt, hatte das Gesicht in beiden Händen vergraben und murmelte unverständliche Worte vor sich hin.
Nur wenn es Zeit zum Essen war, erwachte er aus seiner Lethargie, aber nur, um dann kurz darauf wieder darin einzutauchen. Die Monate der Gefangenschaft hatten diesen Mann zerbrochen, wie schon viele andere vor ihm.
Irgendwo von unten erschallte die laute befehlsgewohnte Stimme eines Rebellen-Sergeants, dessen Namen Rose vergessen hatte. Namen waren hier auch nicht wichtig. Hier zählte nur, dass man jeden Tag irgendwie aufs Neue überlebte.
„Antreten, ihr Hundesöhne!“, brüllte die laute Stimme von vorhin wieder. „Na los, wird’s bald!“
Ein Ruck ging durch die Männer, die in diesem Teil des Lagerhauses eingesperrt waren, in einem Raum, der Gettysburg Room genannt wurde, genauso wie die Fläche direkt ein Stockwerk tiefer. Dort hatten sie die Offiziere untergebracht, die nach der Schlacht von Gettysburg gefangen genommen worden waren.
Weiter nach hinten schlossen sich zwei große Räume an, die man hier Chickamauga Room nannte, und dort waren Offiziere untergebracht, die in der gleichnamigen Schlacht gekämpft und verloren hatten.
Dumpfe Schritte erklangen unten auf der Treppe, die rasch näher kamen. Dann sah Colonel Rose die neuen Gefangenen eintreten. Er blickte in hagere, teils stoppelbärtige Gesichter, die von Entbehrung und Enttäuschung gekennzeichnet waren. Wie es immer bei Menschen der Fall ist, die plötzlich ihrer Freiheit beraubt werden und einem ungewissen Schicksal entgegensehen.
„Das hier ist für die nächsten Wochen und Monate euer Zuhause!“, erklang nun die Stimme des bulligen Sergeants, der zusammen mit vier weiteren bewaffneten Soldaten die Gefangenen hierhergebracht hatte. „Befolgt alle Regeln, und ihr werdet keinen Ärger bekommen. Wenn ihr das nicht tut, dann ...“
Er sprach diesen Satz nicht zu Ende, aber die Gefangenen hatten auch so begriffen, was er ihnen damit klarmachen wollte. Bedingungsloser Gehorsam hieß hier das oberste Gesetz, und dieses galt es, zu befolgen.
Dann zogen sich die Soldaten aus diesem Raum zurück und überließen die Gefangenen ihrem Schicksal und den Blicken der anderen Offiziere, die sich jetzt natürlich auf die Neuen richteten.
Jay Durango spürte die Blicke der grau uniformierten Soldaten auf sich gerichtet, als er zusammen mit einigen anderen Offizieren nach Libby gebracht wurde. Die blaue Uniform, die er trug, hatte an zahlreichen Stellen Risse und Flecken, und sie roch nach Schweiß und Dreck.
Seinen anderen Leidensgenossen erging es auch nicht besser. Sie hatten Glück gehabt, eine Schlacht zu überleben, nur um als Gefangene nun wie Vieh in einem Stall eingepfercht zu werden.
Bisher hatte alles geklappt. Im Morgengrauen hatten sie Durango in die Yankee-Uniform gesteckt und ihn dann zu den anderen Gefangenen gebracht, die schon auf dem Weg nach Libby waren. Das Ganze war so glaubhaft vonstattengegangen, dass keiner der Kriegsgefangenen auf die Idee gekommen war, dass dies alles nur gespielt war.
Auch Durango wurde genauso hart behandelt wie die anderen Offiziere. Wenn einer nicht spurte, bekam er sofort einen Hieb mit dem Gewehrkolben verabreicht. Und der irische Sergeant, der nun ebenfalls neu zum Wachkommando gehörte, zeigte sich nach außen hin besonders unerbittlich. Aber all dies gehörte zu Durangos Plan, und bis jetzt hatte er gut funktioniert.
Der schwarzhaarige Lieutenant in der Feindesuniform blickte noch ein letztes Mal hinter sich, bevor sich das große Tor des mächtigen steinernen Lagerhauses von Libby & Sons wieder hinter ihm und den anderen Offizieren schloss.
Während sie von einigen Wachposten über ausgetretene Steintreppen nach oben getrieben wurden, erhaschte Durango noch einen letzten Blick McCaffertys. Er nickte ihm ungesehen zu, wollte ihm Mut machen für das, was ihm jetzt bevorstand.
Augenblicke später bekam Jay Durango dann einen Eindruck von dem, was man hier unter Kriegsgefangenschaft verstand. Schweigend und entsetzt zugleich blickten er und die neuen Inhaftierten in einen großen Raum, der weder Tische, Stühle und Betten aufwies. Zwei mächtige Holzbalken an verschiedenen Stellen in der Mitte des Raumes stützten die schwere Decke, ansonsten war alles kahl und leer.
In der Luft hing ein unbeschreiblich penetranter und stickiger Geruch. Merkwürdigerweise schienen das die bereits hier inhaftierten Männer gar nicht mehr wahrzunehmen. Ihre Gesichter spiegelten Hunger und Entkräftung wider, einige von ihnen lagen reglos am Boden, in alte stinkende Decken gewickelt.
Andere wiederum sahen gespannt zu den Neuankömmlingen, warteten ab, was jetzt weiter geschah. Und dann gab es auch noch solche, die die Spur eines Lächelns zeigten, um den Kameraden zu versichern, dass sie hier alle in einem Boot saßen.
„Scheiße“, murmelte ein bärtiger Captain, von dem Durango wusste, dass er zu einer Vorhut gehört hatte, die in eine Falle der Konföderierten getappt war. „Das ist ja schlimmer wie ein Schweinestall.“
Womit er wahrscheinlich den schmierigen Belag meinte, der den größten Teil des einstmals blanken Holzbodens bedeckte und der unangenehm roch.
Durango sah, wie sich einer der Offiziere nun erhob und zu ihnen herüberkam. Er sah sie alle der Reihe nach an und ergriff dann das Wort.
„Willkommen in der Hölle von Libby Prison, Gentlemen“, sagte er mit einer Stimme, die noch nicht von Resignation kündete. „Ich bin Brigadier General Neal Dow. Ich bin zwar erst seit einem guten Monat hier, aber unter diesen Umständen kommt mir das vor wie ein Jahr. Kopf hoch trotzdem, irgendwie werden wir das schon überstehen.“
Es waren gut gemeinte Worte, und bei einigen der Männer lösten sie auch so etwas wie Hoffnung aus. Aber nicht bei allen. Andere wiederum hielten ihre Köpfe gesenkt und hatten große Mühe, ihr Schicksal zu akzeptieren.
Die neuen Gefangenen nannten nun ihre Namen und das Regiment, in dem sie bis zu ihrer Gefangennahme gedient hatten. Auch Durango machte da keine Ausnahme.
Er spürte die Blicke etlicher Offiziere auf sich gerichtet, und er fühlte ein gewisses Unbehagen, als er sich bewusst wurde, dass er sich inmitten von Feinden befand. Das waren Männer, auf die er zu schießen hatte, wenn der Befehl dazu erteilt wurde. Männer, die aber zum größten Teil jetzt nur noch ein Schatten ihrer selbst waren.
„Sie kommen aus Pennsylvania?“, hörte Durango nun eine Stimme seitlich von sich. Er drehte sich um und blickte in das hagere Gesicht eines schwarzhaarigen Offiziers, der auf seinen Schultern die Insignien eines Colonels trug, oder besser gesagt das, was davon noch übrig war.
Als er sah, wie Durango nickte, erhellte sich sein Gesicht für einen kurzen Augenblick.
„Ich bin Colonel Thomas E. Rose“, stellte sich der Mann ebenfalls vor. „Ich komme auch aus Pennsylvania. Es tut gut, jemandem zu begegnen, mit dem man über die Heimat reden kann. Von wo stammen Sie, Lieutenant?“
„Aus Pittsburgh, Sir“, erwiderte Durango ohne zu zögern. „Meine Eltern besitzen dort eine kleine Eisenfabrik, vielleicht ist Ihnen der Name Summers Iron bekannt. Zuletzt waren wir Zulieferer für die Armee.“
„Wenn man aus Pittsburgh kommt, ist das wohl unvermeidlich in diesen unruhigen Zeiten“, erwiderte Rose und streckte seine rechte Hand aus. Durango ergriff sie und erwiderte den offenen Händedruck wie bei einem alten Freund. „Was gibt es Neues aus der Heimat, Lieutenant? Wann waren Sie zum letzten Mal in Pittsburgh?“
„Das ist schon länger als ein halbes Jahr her, Sir“, sagte Durango. „Seitdem habe ich einen Feldeinsatz nach dem anderen gehabt, sowohl in Gettysburg als auch in Chickamauga. Wahrscheinlich hat man deshalb nicht gewusst, ob man mich zu Ihnen oder den anderen Offizieren sperren soll. Es heißt, dass man diese Räume hier nach den Schlachten benannt hat. Was für ein seltsamer Humor!“
„Wenn Sie erst länger hier sind, werden Sie erkennen, dass diese verdammten Rebellen ein ganz besonderes Spiel mit uns spielen, Lieutenant“, fuhr Rose daraufhin fort. „Und ich will erst gar nicht daran denken, wie es unseren Leuten unten am James River in den Zelten ergeht. Haben Sie etwas sehen können, als Sie und die anderen hierhergebracht wurden?“
„Nein“, antwortete Durango wahrheitsgemäß. „Es ging alles viel zu schnell. Wir wurden direkt hierhergebracht und jetzt ...“
Er brach ab, weil er nach Worten suchte, und Colonel Rose glaubte ihm das. Jay Durango spielte seine Rolle als angeblicher Unionsoffizier zumindest in diesem Moment ganz gut.
„Ja, es geht nicht allen so gut wie General Dow“, meinte Rose daraufhin. „Der kann wenigstens sicher sein, dass er schon bald hier rauskommt. Man wird ihn wahrscheinlich austauschen gegen einen anderen ranghohen Rebellenoffizier.“
In Roses Worten klang Enttäuschung an, wahrscheinlich deswegen, weil der ranghöhere Offizier mehr Glück haben würde. Roses Schicksal dagegen blieb nach wie vor ungewiss, genauso wie das der anderen inhaftierten Unionsoffiziere.
* * *
„Sie sollten lieber nicht zu neugierig sein, Lieutenant“, meinte ein aschblonder untersetzter Captain zu ihm. Sein Name war Willis Hoover. Er stammte aus Ohio und saß schon seit gut fünf Monaten hier in Libby. „Wenn die Rebellen da unten sehr schlechte Laune haben, dann schießen sie auf die Fenster.“
Er bemerkte das ungläubige Gesicht Durangos, der wirklich nicht wusste, was in diesem Kriegsgefängnis geschah.
„Captain Wilkins hätte Ihnen darüber etwas erzählen können, wenn er noch dazu in der Lage wäre“, sagte Hoover. „Er war nur durch Zufall in der Nähe eines der Fenster, als er sich gestern Morgen rasieren wollte. Dabei geriet er ins Blickfeld eines schießwütigen Rebellen, und der hat gleich auf ihn gezielt. Die Kugel erwischte den armen Teufel mitten im Bauch. Jetzt liegt er im Lazarett, und bis jetzt haben wir noch nicht gehört, ob er es überstehen wird. Mit Nachrichten jeglicher Art halten sie uns hier sehr kurz.“
„Und mit dem Essen erst recht“, meldete sich ein anderer Offizier zu Wort, er trug die Uniform eines Majors. „Am besten ist es, wenn Sie nicht zu sehr auf den Fraß schauen, den wir vorgesetzt bekommen. Schlucken Sie es einfach herunter. Keiner von uns weiß, ob diese Hundesöhne nicht aus purer Freude uns irgendwann ganz die Rationen streichen.“
Noch während er das sagte, ertönten wieder polternde Schritte draußen vor dem großen Gettysburg-Raum. Sekunden später kamen zwei grau uniformierte Soldaten herein, trugen einen gusseisernen Kessel mit sich, aus dem es dampfte.
„Kommt her und holt es euch!“, erklang eine gehässige Stimme. „Wird’s bald?“
Automatisch erhoben sich die meisten der Männer sofort, andere schafften es nur mithilfe ihrer Kameraden, weil sie schon zu schwach geworden waren.
„Los, stellen Sie sich an wie die anderen auch“, riet der Major jetzt Durango. „Sie werden sich auch noch daran gewöhnen.“
Daran hatte der schwarzhaarige Lieutenant in der gegnerischen Uniform gar keinen Zweifel. Er wartete ab, bis er an die Reihe kam, und sah zu, wie man ihm einen undefinierbaren Brei in einen Blechteller schöpfte und einen steinharten Kanten Brot in die Hand drückte.
Dazu gab es Wasser, das schon aus dieser Entfernung kaum noch genießbar roch. Durango erfuhr erst später, dass man das Wasser für die Gefangenen aus einem kleinen Kanal holte, der nur wenige Yards an den Gebäuden von Libby Prison vorbeiführte. Es war derselbe Kanal, in den auch Abfälle, Unrat und Kot hineinflossen.
Durango ging zurück zu den anderen Männern und nahm zwischen Colonel Rose und Captain Hoover Platz. Als er den ersten Bissen von dem Stew hinunterschluckte, begann es in seiner Kehle zu würgen.
„Das sind bestimmt Ratten, die sie da hineingetan haben“, murmelte ein Lieutenant, der trotzdem weiter aß, als stünde sein Leben in den nächsten Minuten auf dem Spiel. „Sie sind ja ganz in der Nähe. Man braucht sie nur noch zu fangen.“
Er erntete missbilligende Blicke von Brigadier General Dow bei diesen Worten, aber das war ihm gleichgültig.
Es kostete ihn zwar ziemliche Mühe, aber Jay Durango zwang sich, den Fraß hinunterzuschlingen. Hätte er das nicht getan, dann wäre das viel zu auffällig gewesen. Ein Lieutenant, der einen langen Gefangenentransport hinter sich hatte, war für jede Mahlzeit dankbar, und wenn sie noch so ungenießbar sein sollte.
Eine eigenartige Nachdenklichkeit überkam ihn in diesen Minuten angesichts dieser bedrückenden Enge in diesem kalten und kahlen Raum. Er hatte schon viele Gesichter des Krieges gesehen und war dem Tod mehr als nur einmal begegnet, aber dieses Gefangenenlager hier beschäftigte ihn doch mehr, als er selbst zugeben wollte. Für diese Männer war der Krieg vorbei, und sie mussten ausharren, bis sich irgendjemand erbarmte, sie wieder freizulassen.
Er brauchte nur kurz in die Runde zu sehen, um zu erkennen, dass für einige der Offiziere dieser Tag nicht mehr kommen würde. Die einseitige karge Nahrung und das schlechte Wasser hatten sie krank gemacht.
Einige von ihnen hatten Durchfall und konnten nichts mehr bei sich behalten, schafften es auch nicht mehr bis zur einzigen Toilette, die für mehr als siebzig Männer ausreichen musste. So herrschte immer ein bedrückender Geruch hier, und manch einer der Männer atmete förmlich auf, wenn der Wind drehte und vom James River her eine kühle Brise durch die Gitterstäbe wehte.
Ob McCafferty geahnt hatte, was ihn und Durango hier erwartete? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem musste er sich zwingen, seinen Gedanken nicht allzu freien Lauf zu lassen. Auch wenn die Situation der Gefangenen schlecht war: Jay Durango hatte einen Auftrag zu erfüllen. Und nur daran durfte er jetzt denken.
* * *
Dunkelheit erfüllte den großen Raum, und es war kalt! Jay Durango spürte es unangenehm am eigenen Leib. Er hatte eine löchrige Decke bekommen, aber die hielt die Kälte der Nacht nicht zurück. Jedes Mal, wenn er wieder eingenickt war und gehofft hatte, endlich schlafen zu können, wachte er kurze Zeit später wieder auf, weil sich die Kälte durch die Decken und seine zerfetzte Kleidung schlich.
Er murmelte einen leisen Fluch vor sich hin, als er daran dachte, dass die beiden Generäle Winder und Stuart jetzt bestimmt vor einem flackernden Kaminfeuer saßen und es sich gemütlich machten. Auch wenn Durango gewusst hatte, was dieser Auftrag alles an Entbehrungen mit sich bringen würde: Nur daran denken oder es am eigenen Leibe durchmachen zu müssen, war etwas ganz anderes!
Während er die Decke erneut um seinen Körper hüllte, ging ihm noch einmal alles durch den Kopf, was er heute erlebt hatte. Er hatte eine ganz andere Welt betreten, eine Welt, die für die meisten Bewohner von Richmond überhaupt nicht existierte. Und für die Gefangenen in Libby Prison war die eigene Welt eng, unbequem und schrecklich kalt.
Irgendjemand begann kurz zu husten, ein anderer wiederum schnarchte so laut, dass einige davon erwachten. Jemand schimpfte leise, und Sekunden später war ein dumpfes Geräusch zu hören. Das Schnarchen verstummte, danach war wieder alles still.
Durango streckte sich wieder auf dem harten Holzboden aus und war insgeheim froh darüber, dass er nicht direkt in der Nähe eines der Gitterfenster schlafen musste. Denn dort herrschte ein unangenehmer Luftzug. Wenn er erst krank wurde, dann war seine Mission ganz schnell beendet, und Stuart und Winder würden niemals etwas erfahren.
Plötzlich hörte Durango eine leise Stimme nicht weit von ihm entfernt. Sofort hob er den Kopf und lauschte in die Dunkelheit hinein. Es waren zwei Stimmen, und sie kamen aus der Ecke, wo Colonel Rose sich zum Schlafen hingelegt hatte.
„Lange mache ich das nicht mehr mit, Colonel“, hörte Durango jemanden flüstern. „In dieser Hölle kann kein Mensch länger als ein halbes Jahr überleben. Ich will nach Hause, Sir, ich habe eine Frau und zwei Kinder, und ich möchte sie wiedersehen.“
„Ich weiß“, meldete sich nun eine zweite Stimme, von der Durango vermutete, dass es Colonel Rose war. „Aber wir müssen vorsichtig sein, Lonnigan. Wenn die Rebellen davon Wind bekommen, dann ist es aus mit uns, denn sie werden uns rasch aburteilen und dann sofort erschießen.“
„Nicht wenn wir es geschickt anstellen, Colonel“, sagte die andere Stimme und wurde jetzt so leise, dass Durango wirklich die Ohren spitzen musste, um noch etwas verstehen zu können. „Mit dem Kopf durch die Wand ist natürlich keine Lösung. Nein, wir müssen es so tun, dass die Rebellen nichts davon mitbekommen. Warten Sie bis morgen früh, dann werden Sie bestimmt verstehen, was ich meine. Ich werde Ihnen etwas zeigen.“