Ronco - Die Tagebücher 33: Entscheidung in Mexiko - Alfred Wallon - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 33: Entscheidung in Mexiko E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Ich habe meinen Bruder Mike endlich gefunden, aber das Schicksal meiner Schwester Beth ist noch ungewiss. Mittlerweile weiß ich, dass sie nach Mexiko gegangen ist und einen Mann namens Rafael Carillo geheiratet hat. Ausgerechnet den Mann, der damals den Treck überfallen und die Frauen und Kinder verschleppt hat.Warum ist sie die Frau eines Mörders und Waffenhändlers geworden? Hat sie vergessen, was damals geschehen ist? Ich muss es herausfinden. Mike und ich begeben uns auf einen gefährlichen Ritt nach Mexiko. Dort wird die Entscheidung fallen.

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Seitenzahl: 230

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker

2727 Dietmar Kuegler Jagd auf Ronco

2728 Dietmar Kuegler Gewehre für Juarez

2729 Dietmar Kuegler Der Weg nach Vera Cruz

2730 Dietmar Kuegler Am Ende aller Wege

2731 Alfred Wallon Alte Spuren

2732 Alfred Wallon Sterben in El Paso

2733 Alfred Wallon Entscheidung in Mexiko

2734 Alfred Wallon Zahltag für Lancaster

Alfred Wallon

Entscheidung in Mexiko

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-198-4

Gegenwart

7. Oktober 1891

Prescott/Arizona

Am frühen Morgen gegen 5:00 Uhr

Seit ich damit begonnen habe, die letzten Kapitel meines Tagebuchs aufzuzeichnen und damit auch die Erinnerungen festzuhalten, die viele Jahre ein Teil von mir waren – auch jetzt noch –, erfasst mich eine Unruhe, die in den letzten Tagen wieder stärker geworden ist. Weil ich spüre, dass sich die Dinge um mich herum erneut zu verändern beginnen.

Es hat zweifelsohne damit zu tun, dass Pedro Abogado gestern in Prescott eingetroffen ist. Er hat ja seinen Besuch schon vor einiger Zeit angekündigt, aber es ist etwas völlig anderes, ihm nach so langer Zeit wieder persönlich gegenüberzustehen, als Briefe an ihn zu schicken. Es ist aber kein Höflichkeitsbesuch, der ihn nach Prescott geführt hat, sondern ein konkretes geschäftliches Anliegen, wenn man so will. Der mexikanische Anwalt ist der Verwalter des Hilton-Erbes und wacht darüber, bis mein Sohn Jellico dieses Erbe antreten wird. Aber so etwas geschieht nicht einfach von heute auf morgen, sondern bedarf einer längeren Planung und intensiver Vorbereitung.

So hat er es mir jedenfalls erklärt, als ich ihn gestern Abend am Bahnhof abholte und ihn gleich zum Hotel brachte. Mit Jellico will er erst heute sprechen, hat er gesagt. Stattdessen wollte er mich erst einmal über all das informieren, welche Entwicklung die Hilton ­Company seitdem durchgemacht hat. Für mich war das sehr wichtig, denn dieses, vor allem im Südwesten der USA und in Teilen von Mexiko operierende Fuhrunternehmen hatte nicht immer eine lupenreine weiße Weste. Der Firmengründer Andrew Hilton, der Vater meiner ersten Frau Linda und somit auch Jellicos Großvater, war in etliche schmutzige Geschäfte verwickelt gewesen, die auch letztendlich mir geschadet hatten. Hilton lebt nicht mehr, und damit haben auch die dunklen Geschäfte vor Jahren schon ein Ende gefunden, nachdem auch einige von ­Hiltons Helfershelfern entmachtet worden waren. Durch das Wirken des Anwaltes ist die Hilton Company letztendlich wieder zu einem sauberen Unternehmen geworden, das zwar keine marktbeherrschende Stellung mehr ausübt, aber finanziell auf sehr soliden Beinen steht.

All das wartet jetzt auf Jellico. Er muss nur zustimmen, und dann wird sein Leben in völlig anderen Bahnen verlaufen. Geordnet, abgesichert, fast sorgenfrei. Hätte ich damals solch eine Chance gehabt, wäre auch sicher bei mir alles anders gekommen. Aber das Schicksal hat einen anderen, weitaus schwierigeren Weg für mich vorgezeichnet, der bei mir Spuren hinterlassen hat. Narben in meiner Seele, das ist wahrscheinlich die beste Bezeichnung dafür.

Ich bin zu dieser frühen Stunde schon wach und sitze jetzt unten im Wohnzimmer, während meine Familie noch tief und fest schläft. Ich brauche diese Zeit, um mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen. Es sind zu viele Gedanken, die mir jetzt durch den Kopf gehen. Seltsam, aber ich kann mich immer noch nicht damit abfinden, dass mein Sohn an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht und bald große Verantwortung übernehmen wird. Es ist eine Entscheidung zu seinem Besten, davon bin ich voll und ganz überzeugt. Andererseits werde ich ihn aber irgendwie vermissen, nachdem er seinen Weg gegangen ist und bald von Pedro Abogado eingearbeitet wird. Das will der Anwalt jedenfalls tun. Er hat mir noch einmal nahegelegt, dass ich meine Zustimmung gebe, und ich werde es sicher auch machen.

Mexiko spielt offensichtlich noch immer eine wichtige Rolle in meinem Leben, damals wie auch heute. Nachdem ich meinen Bruder Mike wiedergefunden hatte, machte ich mich mit ihm und Lobo auf den Weg nach Ciudad Juarez, um herauszufinden, wo sich meine Schwester Beth aufhielt. Zu diesem Zeitpunkt war das nur ein Name für mich, mehr nicht. Bald sollte ich mehr erfahren, denn dann würde die Entscheidung in Mexiko fallen.

Ich sehe wieder den Tag vor mir, als Lobo, Mike und ich El Paso verlassen. Auf uns wartet nicht nur ein Abenteuer, sondern auch eine Entscheidung in Mexiko! Eine Entscheidung, deren Ausmaße ich erst viel später begreifen werde. Diese frühe Stunde vor Sonnenaufgang ruft viele Bilder aus meinen Erinnerungen wieder hervor, als wenn all diese Ereignisse erst vor wenigen Tagen stattgefunden hätten. Dabei liegen viele Jahre dazwischen. Höchste Zeit also, dass ich auch dieses Kapitel meines abenteuerlichen Lebens zu Papier bringe, denn nur dann kann sich der Kreis endlich schließen. Dann ist alles aufgezeichnet und dokumentiert.

Irgendwann werden sich meine Kinder fragen, wie ihr Vater all das überlebt hat, ohne Schaden zu nehmen. Insbesondere Linda und Mariabel wissen nichts davon, sie sind ja noch viel zu jung und werden es erst verstehen, wenn sie älter geworden sind.

Der einzige Schrecken, den sie bisher erlebt haben, war das Auftauchen von Saint und Napoleon in unserem Haus. Die Begegnung mit der rohen Gewalt hat damals Spuren in ihrer Seele hinterlassen. Für Kinder ist der Tod noch etwas Unverständliches, das sie mit ihren Sinnen noch nicht ganz begreifen können. Umso wichtiger ist es, dass sie sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Ich will, dass auch meine Vergangenheit endlich abgeschlossen ist. Je mehr ich darüber schreibe, umso leichter fühle ich mich. So als wenn jemand lästigen Ballast abwirft, der nicht mehr benötigt wird. Ich könnte eigentlich froh darüber sein, dass ich all das längst hinter mir habe, aber noch immer wollen diese dunklen Bilder nicht weichen. Und was in Mexiko und später in San ­Francisco geschehen ist, das beschäftigt mich immer noch. Vielleicht sollte ich mich lieber auf den heutigen Tag vorbereiten, der einen Wendepunkt in Jellicos Leben darstellen wird. Aber ich denke immer noch an den Ritt nach Mexiko, der mich in ein neues und verdammt gefährliches Abenteuer führt.

Kapitel 1

Auf der Hazienda von Rafael Carillo

Steve Pritchard fühlte sich zusehends unwohler, als er sich dem großen Gebäudekomplex der Hazienda del Oro näherte. So wurde das Anwesen von Rafael Carillo von vielen Einheimischen und erst recht von seinen Leuten genannt. Denn im Volksmund hieß es, dass vieles, das Carillo einmal angepackt hatte, sich irgendwann in Gold verwandelte. Natürlich war das nur ein bildhafter Vergleich und sollte nur unterstreichen, dass Carillo nicht nur ein erfolgreicher Pferde- und Rinderzüchter war, sondern auch noch andere, sehr erträgliche Geschäfte durchführte. Zumindest hatte man ihm das so gesagt, als er sich nach dem Weg zur Hazienda del Oro erkundigt hatte.

Merkwürdigerweise schienen aber schon einige Leute zu wissen, dass er auf dem Weg dorthin war, denn kurz nachdem er Ciudad Juarez hinter sich gelassen hatte, tauchte eine Gruppe von vier Reitern auf, die seinen Weg kreuzten und ihn unverblümt fragten, wohin sein Weg führte. Als Pritchard den Männern dann gesagt hatte, dass er unterwegs zu Rafael Carillo sei und ihm eine wichtige Botschaft überbringen wolle, grinsten die Männer auf einmal hämisch. Pritchard begriff das nicht, aber er hatte nicht vor, sich von diesen Kerlen einschüchtern zu lassen, und bestand darauf, dass man ihm den Weg frei machte.

„Ein wichtiger Mann wie Sie wird selbstverständlich bis zur Hazienda eskortiert, Señor Pritchard“, sagte einer der Männer. „Nicht dass Ihnen unterwegs noch etwas zustößt. In dieser Gegend gibt es so manches zwielichtiges Gesindel, das es auf unsere Pferde und Rinder abgesehen hat. Deshalb müssen wir immer die Augen aufhalten. Sie verstehen das doch sicher?“

„Aber ja“, beeilte sich Pritchard zu sagen, obwohl er spürte, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Er wollte jedoch nicht zeigen, dass er den Kerlen nicht traute, sondern nickte nur. Das schien die Männer zufriedenzustellen. Sie nahmen Pritchard in ihre Mitte und brachten ihn schließlich zur Hazienda del Oro.

Sie ritten durch ein großes schmiedeeisernes Tor, das den Eingang zu dem Gebäudekomplex darstellte. Ansonsten war die Hazienda von einer hohen Mauer umgeben, und zwei Türme jeweils an den vorderen Ecken wiesen darauf hin, dass man diesen Ort sehr schnell in eine wehrfähige Festung verwandeln konnte, wenn es die Situation erforderte.

Pritchard hatte die beiden bewaffneten Männer gesehen, die sich auf den Türmen postiert hatten, und er spürte, dass er immer unruhiger wurde. Als er sich im Sattel umdrehte, sah er auf einmal weitere bewaffnete Männer am Tor stehen, die er zuerst nicht bemerkt hatte. Irgendwie hatte er jetzt das Gefühl, dass man ihn zwar hatte passieren lassen, aber ihn hindern würde, wenn er die Hazienda wieder vorzeitig verlassen wollte.

Ach was, dachte er. Ich bilde mir nur was ein. Schließlich habe ich ja einen Brief von Gallagher bekommen, der alles erklären wird. Dann wird man mich auch anders behandeln.

Als er sein Pferd vor dem Haupthaus zügelte, bemerkte er oben auf der Balustrade im oberen Stockwerk eine Frau mit langen schwarzen Haaren. Sie trug ein grünes Kleid, hatte sich aber schon wieder abgewandt, als die Männer vor der Hazienda anhielten und aus dem Sattel steigen wollten.

„Steigen Sie ab, Señor Pritchard“, forderte ihn der Anführer der Männer auf. „Sie werden schon erwartet. Das dort ist die Eingangstür zu den Privaträumen. ­Worauf warten Sie noch?“

„Sie haben keinerlei Benehmen!“, stieß Pritchard nun mit gepresster Stimme hervor, weil ihm jetzt der Kragen platzte. „Ich bin Gast auf dieser Hazienda. Das steht hier in dem Dokument, das ich Señor Carillo gleich über­geben werde. Wenn Sie es gelesen hätten, dann wären Sie schon längst informiert. Aber wahrscheinlich können Sie gar nicht lesen!“

In den Augen des Mexikaners blitzte es wütend auf, und für zwei oder drei Sekunden hatte Pritchard den Eindruck, dass der Mann sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Dann grinste er aber wieder, nur erreichte dieses Grinsen die Augen nicht.

Pritchard stieg ab, band die Zügel seines Pferdes am Haltebalken vor dem Haus fest und ging dann zur Tür. Er klopfte kurz an, hörte dann eine tiefe Stimme, die ihn aufforderte, einzutreten, und das tat er dann auch.

Er betrat einen Raum, der prächtig eingerichtet war. Massive, kunstvoll gedrechselte Möbel gaben dem großen Raum einen extravaganten Hauch. Sicherlich trugen auch die Bilder dazu bei, die an zwei Wänden hingen und opulente Schlachtengemälde darstellten. Bei einem glaubte Pritchard, dass es sich um die Schlacht von Alamo handelte, in der der damalige mexikanische Präsident Antonio López de Santa Anna ein Massaker unter den Verteidigern der alten Mission angerichtet hatte. Das war am 6. März 1836 gewesen, also vor etlichen Jahrzehnten.

Hinter einem Schreibtisch saß ein Mann mit eisgrauen Haaren, die für sein Alter etwas zu lang waren. Ein ebenso grauer Vollbart umrahmte ein sonnenverbranntes Gesicht mit Falten, das dokumentierte, dass dieser Mann ein hartes Leben hinter sich hatte und in einem Alter war, in dem man sich eigentlich besser zur Ruhe hätte setzen sollen. Aber die überaus lebendigen Augen waren ein Beweis für die Energie, die noch in diesem Mann steckte, auch wenn er die sechzig schon deutlich überschritten hatte.

„Buenos Dias, Señor“, sagte der mexikanische Haziendero. „Ich bin Rafael Carillo. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

„Mein Name ist Steve Pritchard“, stellte er sich vor. „Ich bin Marshal in El Paso und ein guter Freund von Martin Gallagher. Er war es auch, der mich gebeten hat, zu Ihnen zu kommen und Ihnen dieses Dokument hier zu überreichen. Er sprach davon, dass Sie dafür sorgen sollen, dass ich die mexikanische Gastfreundschaft genießen kann. Ich nehme an, Sie wissen schon, um was es geht?“

„In der Tat“, erwiderte Carillo und sah zu, wie Pritchard ihm den Umschlag in die Hand gab. Carillo holte dann ein Platt Papier heraus, das er sehr sorgfältig und mit überaus ernstem Gesichtsausdruck studierte.

„Was ist denn?“, fragte Pritchard, als er sah, wie sich Carillo hinter seinem Schreibtisch erhob und zur Tür ging, um sie zu öffnen. „Stimmt etwas nicht?“

„Nun ja, die Lage ist ... sagen wir mal, ein wenig kompliziert, Señor Pritchard“, erwiderte der Haziendero. „Ich fürchte, es wird Ihnen nicht gefallen, was in diesem Brief steht. Leider bin ich gezwungen, nun gewisse Dinge in die Wege zu leiten.“

Während er das sagte, betraten die vier Männer den Raum, die Pritchard zur Hazienda gebracht hatten. Ihr hämisches Grinsen zeigte Pritchard, dass sich sein düsteres Gefühl jetzt um ein Vielfaches verstärkt hatte. Instinktiv tastete seine rechte Hand zum Holster, in dem sich sein Revolver befand, aber die kalte Stimme eines der vier Männer ließ ihn jäh erstarren. Denn der hatte Pritchards Absicht bereits geahnt und seine Waffe gezogen.

„Versuch es ruhig, Gringo!“, warnte er ihn. „Du würdest es nicht überleben!“

„Jaime, noch nicht!“, griff nun Carillo ein. „Bringt ihn zuerst in den Keller und wartet dann auf weitere Anweisungen von mir.“

„Si, Patron“, versicherte ihm Jaime. „Was haben Sie vor mit ihm?“

„Mein Geschäftspartner hat mir geschrieben, dass wir diesem Mann unsere mexikanische Gastfreundschaft gewähren sollen, Jaime“, sagte Carillo. „Also tun wir das jetzt am besten. Packt ihn!“

Steve Pritchard zuckte bei diesen Worten zusammen und sprang rasch vom Stuhl auf. Da kamen aber schon zwei von Carillos Leuten auf ihn zu und packten ihn an den Oberarmen. So fest, dass er keine Chance hatte, sich gegen diesen Zugriff zu wehren. Der Mann mit dem Revolver kam auf ihn zu und holte zu einem Schlag aus. Bruchteile von Sekunden später verspürte Pritchard einen heftigen Schmerz an seiner Schläfe, und dann stürzte er in einen tiefen dunklen Schacht.

*

Rafael Carillo hob den Kopf, als er Schritte von der anderen Seite des Raumes hörte. Er drehte sich um und sah seine Frau Beth den Raum betreten. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Sorge, Angst und Unverständnis den Dingen gegenüber, die sich vor wenigen Minuten in diesem Raum abgespielt hatten.

„Was ist denn, Beth?“, fragte er. „Ich habe gerade zu tun und wollte eigentlich nicht gestört werden.“

„Entschuldige, Rafael“, erwiderte sie und blickte schuldbewusst zu Boden. „Ich hatte nur laute Stimmen und ein dumpfes Poltern gehört, und da fragte ich mich natürlich, ob ...“

„Es ist nichts, Beth!“, fiel er ihr sofort ins Wort. „Nichts, um das du dir deinen hübschen Kopf zerbrechen müsstest. Ich sorge schon dafür, dass es dir gut geht. Also lass mich einfach meine Geschäfte regeln. Geh einfach wieder hinauf und warte dort auf mich, ja?“ Als sie bei seinen Worten zögerte, wurde sein Ton noch etwas schärfer. „Was hast du nicht verstanden?“, fuhr er sie an. „Geh rauf, verdammt noch mal. Wir sprechen später!“

Sie zuckte zusammen wie ein Tier, das man gerade misshandelt hatte. Aber das interessierte Rafael Carillo nicht. Das Verhältnis zu seiner Frau hatte sich merklich abgekühlt in den letzten zwei Jahren. Es hatte damit begonnen, dass sie plötzlich krank geworden war, ohne dass es dafür Anzeichen gegeben hätte. Selbst der Hausarzt des Hazienderos hatte nur hilflos mit den Schultern gezuckt und ihm irgendetwas von Depressionen und geistiger Umnachtung erzählt. Was die Ursache dafür war, wusste Carillo nicht.

Seitdem hatte sich Beth verändert, obwohl sie scheinbar wieder gesund geworden war. Carillo wusste jedoch, dass dem nicht so war. Es musste etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun haben, was sie all die Jahre offenbar verdrängt hatte. Seitdem war sein Verhältnis zu ihr merklich abgekühlt, selbst wenn er sie in sein Bett holte. Aber auch dort empfand er keine Lust mehr, weil Beth alles über sich ergehen ließ wie eine leblose Puppe. Irgendwann hatte sie ein eigenes Zimmer auf der Hazienda bezogen. Die Bediensteten im Haus hatten das mit­bekommen, aber obwohl sie ahnten, was in der immer noch attraktiven Frau vorging, so schwiegen sie, um sich nicht den Zorn ihres Patrons zuzuziehen. Es war ein merkwürdig angespanntes Verhältnis zwischen Rafael Carillo und seiner Frau Beth, das nicht nur auf den Altersunterschied zurückzuführen war, sondern eher auf die Tatsache, dass Beth sich mit jedem Tag immer mehr in eine Welt flüchtete, zu der nur sie selbst Zugang hatte. Deshalb trank sie regelmäßig Laudanum, um sich vor der Realität zu schützen.

Carillo schüttelte nur verächtlich den Kopf, als Beth sich von ihm abwandte und ganz leise den Raum verließ. Wie ein Mensch, von dem man zwar wusste, dass er existierte, der aber dennoch kaum oder gar nicht gesehen werden wollte. Dem Haziendero war das mittlerweile egal. Wenn er seine Bedürfnisse befriedigen wollte, brauchte er nur nach Ciudad Juarez zu reiten. Es gab dort genügend willige Frauen, die für Geld alles taten und auch einen älteren Mann in ihr Bett ließen.

Seine Gedanken konzentrierten sich wieder auf die Nachricht, die Steve Pritchard überbracht hatte. Er faltete das Blatt Papier auseinander und las noch einmal die Zeilen, die Martin Gallagher aufgeschrieben hatte:

Señor Carillo,

es wäre mir äußerst wichtig, wenn der Überbringer dieser Nachricht Ihre spezielle Gastfreundschaft genießt. Die Dinge sind in El Paso mittlerweile in Bewegung geraten. Es gibt drei Männer, die sich zu sehr mit Ereignissen beschäftigen, die weit zurückliegen. Ich versuche, diese Angelegenheit auf meine Weise zu regeln. Dafür muss aber sichergestellt sein, dass mir dieser Stern­träger nicht mehr im Weg steht. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dieses Problem auf Ihre Weise aus der Welt schaffen. Ich freue mich darauf, mit Ihnen weitere Geschäfte zu tätigen, und verbleibe für heute

Ihr Martin Gallagher

Erneut runzelte Carillo die Stirn, weil Gallagher einige Andeutungen gemacht hatte, aus denen er nicht schlau wurde. Aber er würde schon dafür sorgen, dass er alles erfuhr, was nötig war. In dem Kellergewölbe unter seinem Haus hatte bisher jeder die Wahrheit gesagt!

*

Als Steve Pritchard wieder die Augen öffnete, wusste er im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Er regis­trierte nur, dass es dämmrig war und die nähere Umgebung nur von einer Fackel erhellt wurde, die in einer Halterung am rauen Mauergestein steckte. In seinem Kopf war ein schmerzhafter Druck zu spüren, und er wollte mit der Hand danach tasten, begriff dann aber, dass er beide Arme nicht bewegen konnte. Das galt auch für seine Beine.

Erschrocken hob er den Kopf und sah dann aus dem hinteren Bereich zwei Männer ins flackernde Licht treten. Sie schauten ihn auf eine Art und Weise an, als wenn sie genau wussten, was gleich mit ihm geschehen würde.

„Hol den Patron, Carlos“, sagte der Mann zu seinem Kumpan. „Der Americano ist wach.“

„Si, Jaime“, antwortete der zweite Mann und ging sofort los. Sekunden später schlug eine Tür hinter ihm zu.

„Was soll das alles?“, stieß Pritchard mit gepresster Stimme hervor. „Bindet mich sofort los. Ich bin der Marshal von El Paso!“

„Dein Stern ist hier nichts wert!“, fiel ihm Jaime ins Wort. „Warte, bis der Patron kommt. Er wird dir einige Fragen stellen, die du besser beantworten solltest. Verstehst du das?“

„Ich verstehe überhaupt nichts“, sagte Pritchard und bäumte sich in den Fesseln auf. Aber dann musste er erkennen, dass das überhaupt nichts nutzte. Er war Rafael Carillo und dessen Leuten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Jaime wollte gerade etwas sagen, unterließ es aber, als er sah, dass in diesem Moment der Haziendero das Keller­gewölbe betrat. Sein Blick war gar nicht mehr freundlich, als er Pritchard anschaute.

„Die mexikanische Gastfreundschaft hat gerade begonnen, Señor Pritchard“, sagte Carillo. „Es liegt nun an ihnen, wie schnell wir zu einem Ergebnis kommen. Erzählen Sie mir, was Sie wissen.“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, was das alles zu bedeuten hat“, antwortete Pritchard wütend. „Mister ­Gallagher hat mir 200 Dollar gegeben und einen Brief für Sie. Den habe ich Ihnen ausgehändigt. Mehr weiß ich nicht.“

„Wirklich nicht?“, fragte ihn Carillo. „Denken Sie genau nach. Und zwar ganz schnell.“

Als Pritchard nicht schnell genug antwortete, gab Carillo dem Mann namens Jaime ein Zeichen. Der ging sofort zu der Bank, auf der man Pritchard abgelegt und so gefesselt hatte, dass er sich kaum bewegen konnte. Jaime holte aus und versetzte Pritchard zwei harte Schläge ins Gesicht, die ihn vor Schmerzen aufschreien ließen.

„Sie sollten endlich reden“, sagte Carillo. „Alles andere würden Sie nicht überstehen. Ist in den letzten Tagen jemand nach El Paso gekommen, der etwas über Dinge wissen wollte, die etliche Jahre zurückliegen?“

„Aber ich weiß doch gar nichts“, begehrte Pritchard auf. „Hören Sie endlich auf damit. Ich bin in friedlicher Absicht gekommen.“

Carillo blickte zu Jaime. Der fasste das als Zeichen auf, mit seiner Spezialbehandlung weiterzumachen, und nach weiteren zehn Minuten redete Pritchard so schnell und hastig, dass Carillo selbst überrascht war, dass Jaime den Americano so schnell zum Sprechen gebracht hatte.

Sein Blick war sehr ernst, als Pritchard ihm von einem Mann namens Ronco berichtete, der in der Tat solche Fragen gestellt hatte. Seine Sinne waren von den ihm zugefügten Schmerzen so benebelt, dass er etwas Zeit gebraucht hatte, um endlich zu begreifen, worauf die ganze Sache hinauslief. Carillo hörte sich alles an, was Pritchard zu sagen hatte, und stellte weitere Fragen. Die Antworten gefielen ihm ganz und gar nicht, und er war erleichtert, dass Gallagher ihm angekündigt hatte, gewisse Dinge auf seine Weise zu regeln.

„Ein Sicherheitsmann von Wells Fargo also“, meinte Carillo, während er sich nachdenklich über das grau­bärtige Kinn strich. „Jemand, der wissen will, was vor vielen Jahren mit den entführten Kindern geschehen ist und was ich damit zu tun habe? Weil er selbst glaubt, dass er noch zwei Geschwister hat? Sehr interessant, wirklich.“

Er hörte das schmerzerfüllte Stöhnen Pritchards überhaupt nicht. Stattdessen gab er Jaime ein kurzes, aber sehr eindeutiges Zeichen. Der Mexikaner zog darauf ein Messer mit einer großen und sehr scharfen Klinge und beugte sich über den misshandelten Americano. Dessen lautes Stöhnen verwandelte sich in ein kurzes, aber sehr grausames Röcheln, als ihm Jaime die Kehle durchschnitt. Blut schoss hervor, während Pritchard noch einmal kurz zuckte und dann stilllag.

„Bringt ihn weg von hier und verscharrt ihn irgendwo da draußen“, sagte Carillo. „Und dann reitest du gleich morgen früh mit einigen Leuten nach Ciudad Juarez, Jaime. Ihr werdet die Augen aufhalten und aufpassen, wenn ein Fremder in die Stadt kommt und viel zu viele Fragen stellt.“

„Si, Patron“, sagte Jaime. „Sollen wir ihn auch beseitigen?“

„Zuerst beobachtet ihr mal, was er vorhat“, entschied Carillo nach kurzem Überlegen. „Dann erstattet ihr mir Bericht. Anschließend wird er ebenfalls erfahren, was mexikanische Gastfreundschaft bedeutet.“

Jaime und der zweite Mexikaner grinsten in stiller Vorfreude, weil sie wussten, was das bedeutete. Wer es wagte, sich gegen Rafael Carillo zu stellen, der stand von Anfang an auf der Verliererseite. Das würde auch mit diesem Wells-Fargo-Mann passieren, wenn er sich mit dem mächtigen Geschäftsmann anlegte.

Carillo sah zu, wie Jaime und der andere Mexikaner den blutigen Leichnam an Armen und Beinen packten und ihn aus dem Keller schafften. Er selbst registrierte das nur am Rande, denn seine Gedanken beschäftigten sich schon längst mit anderen Dingen.

Im ersten Moment war er sehr erstaunt darüber gewesen, dass jemand nach so langer Zeit tatsächlich Nachforschungen über den Siedlertreck anstellte, der vor mehr als dreißig Jahren in einen geplanten Hinterhalt gelockt worden war. Dieser Ronco suchte also seine beiden Geschwister. Woher hatte er all diese Hinweise bekommen, und warum war das so wichtig für ihn nach solch einer langen Zeit? Wenn er Kontakt zu den Texas ­Rangern und möglicherweise noch anderen Behörden hatte, war das mit Vorsicht zu genießen. Wells Fargo war ein mächtiges und überaus einflussreiches Unter­nehmen, und wenn Ronco auf dessen Unterstützung zählen konnte, dann musste er sehr vorsichtig sein.

Konnte es möglich sein, dass er aus einem sehr konkreten Grund Fragen gestellt hatte, die auch mit Carillo zu tun hatten? Pritchard hatte ja zugegeben, dass Ronco mit dem Texas Ranger Colonel gesprochen und auch nach Carillo gefragt hatte. Was wusste er schon, was ihm eventuell gefährlich werden konnte? Was würde er tun, wenn er herausfand, dass Carillos Frau eines dieser Kinder war, das man damals entführt hatte?

Fragen über Fragen, auf die er zum jetzigen Zeitpunkt keine Antwort erhalten würde. Aber bis jetzt war er immer in der Lage gewesen, Menschen aus dem Weg zu räumen, die ihm gefährlich werden konnten. Das würde jetzt auch wieder so sein!

Er verließ mit schnellen Schritten den Kellerraum, in dem Pritchard gestorben war. Einer seiner Männer würde das Blut wegwischen und alle Spuren beseitigen, die darauf hinwiesen, dass Pritchard zur Hazienda del Oro gekommen war. Er hoffte, dass es Martin Gallagher gelungen war, diesem neugierigen Wells-Fargo-Mann Einhalt zu gebieten und zu verhindern, dass er hierherkam. Und wenn nicht, dann würde er selbst die notwendigen Schritte veranlassen, damit diese lästige Angelegenheit ein für alle Mal aus der Welt geschaffen wurde!

Kapitel 2

Einen Tag später

Ciudad Juarez – an der Grenzbrücke

Ich verspürte eine seltsame Anspannung in mir, als ich zusammen mit Lobo und meinem älteren Bruder Mike Harper über die Brücke nach Ciudad Juarez ritt. Es war noch früh am Morgen, und die Sonne war gerade erst vor zwei Stunden aufgegangen. Trotzdem herrschte zu dieser Zeit schon ein emsiger Betrieb auf der Brücke, die gleichzeitig auch den Grenzübergang nach Mexiko darstellte. Auf der Texas-Seite wurden die herüberkommenden Mexikaner nur hin und wieder kontrolliert, aber die Kontrollen auf der mexikanischen Seite waren um einiges gründlicher und nicht immer angenehm.

Ich wusste das, weil ich vor einigen Jahren schon einmal diese und ähnliche Prozeduren über mich hatte ergehen lassen müssen, und hoffte deshalb, dass es wenigstens heute keinerlei Verzögerungen oder gar Probleme gab.

Lobo ritt rechts von mir. Sein narbiges Gesicht hatte einen gelassenen Ausdruck angenommen, während Mike, der links von mir ritt, deutlich angespannter wirkte. Als wenn er sich davor fürchtete, von den Rurales, deren Männer auch die Kontrollposten stellten, sofort verhaftet und abgeführt werden würde.

„Bleib ganz ruhig“, sagte ich zu ihm, weil ich das natürlich längst bemerkt hatte. „Wir haben nichts getan, was gegen mexikanische Gesetze verstößt. Wir sind nur Cowboys von der Circle-B-Ranch, die im Auftrag ihres Ranchers Pferde kaufen wollen. Ganz offiziell. Und so verhalten wir uns auch.“

„Du hast gut reden“, meinte Mike. „Ich komme mir vor, als würde ich sehenden Auges in eine Falle tappen.“

„Du warst es, der unbedingt mitkommen wollte“, erinnerte ich meinen Bruder an seinen Vorschlag. „Dass es nicht leicht werden wird, das wissen wir. Also tätest du gut daran, wenn du dich jetzt ganz normal benimmst. Eben wie ein Cowboy, der im Auftrag seines Ranchers unterwegs nach Mexiko ist. Lass mich mal mit den Kon­trolleuren da vorn reden. Wir kriegen das schon hin, keine Sorge.“

„Vielleicht wollen sie auch Geld von uns, damit wir passieren können“, meinte Lobo. „Mal sehen, was uns erwartet. Sie scheinen jedenfalls schon auf uns aufmerksam geworden zu sein. Seht ihr das? Die fünf Rurales am Ende der Brücke schauen direkt zu uns herüber und stecken schon die Köpfe zusammen. Wer weiß, was sie sich ausgedacht haben, um uns ein paar Dollars abzunehmen?“

„Das werden wir gleich sehen“, sagte ich zu Lobo und ritt weiter über die Brücke. Natürlich registrierte ich die neugierigen Blicke einiger Mexikaner, denen wir auf dem Weg zur anderen Seite begegneten, aber das kümmerte mich herzlich wenig. Wir hatten ein Ziel vor Augen, und um das zu erreichen, mussten wir die Grenzkontrollen ohne großes Aufsehen hinter uns bringen.