Ronco - Die Tagebücher 34: Zahltag für Lancaster - Alfred Wallon - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 34: Zahltag für Lancaster E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Der Kreis hat sich geschlossen. Meine Schwester Beth wird Zeit brauchen, um die dramatischen Erlebnisse in Mexiko zu verarbeiten.Während Mike und Beth nun auf dem Weg nach Prescott sind, beginnt für mich das letzte Kapitel meiner bewegten Vergangenheit. Ich habe inzwischen genügend Beweise gesammelt, um Titus Lancaster zu überführen. Er soll büßen für das, was er mir angetan hat.Noch glaubt er, dass er sicher vor mir ist.

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Seitenzahl: 201

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker

2727 Dietmar Kuegler Jagd auf Ronco

2728 Dietmar Kuegler Gewehre für Juarez

2729 Dietmar Kuegler Der Weg nach Vera Cruz

2730 Dietmar Kuegler Am Ende aller Wege

2731 Alfred Wallon Alte Spuren

2732 Alfred Wallon Sterben in El Paso

2733 Alfred Wallon Entscheidung in Mexiko

2734 Alfred Wallon Zahltag für Lancaster

Alfred Wallon

Zahltag für Lancaster

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-199-1

Gegenwart

8. Oktober 1891

Prescott/Arizona

Am Morgen gegen 7:00 Uhr

Ich habe seit Langem wieder mal gut geschlafen und keine Albträume gehabt, die mich beunruhigen. Es sieht so aus, als wenn die Schatten der Vergangenheit langsam zu weichen beginnen. Jetzt, wo ich weiß, dass mein weiteres Leben und das meiner Familie in geregelten Bahnen verlaufen wird, bin ich ruhiger geworden und sehe manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel.

Es hat sicher auch etwas damit zu tun, dass meine Schwester Beth und mein Bruder Mike jetzt in Prescott leben. Sie haben auf ihre Weise einen neuen Anfang gewagt und es geschafft. Mike arbeitet wieder auf einer Ranch und ist zufrieden. Auch Beth hat ihre Scheu vor anderen Menschen mittlerweile abgelegt, weil hier niemand etwas über ihre Vergangenheit weiß. Und das soll auch so bleiben. Wenn man keine Schatten mehr auf der Fährte hat, dann gibt es auch keine Zweifel mehr.

Manuela hat die beiden sofort ins Herz geschlossen und betrachtet sie als Familie. Auch Jellico und die Zwillinge sind froh darüber, dass sie nun eine Tante und einen Onkel haben, die beide ganz plötzlich in ihr Leben getreten sind.

Ich habe mich oft gefragt, warum mein Leben in solchen dramatischen Bahnen verlaufen ist. Ich war jahrelang ein Geächteter, und es gab Steckbriefe mit meinem Namen. Kopfgeldjäger und U.S. Marshals waren hinter mir her, und nicht nur einmal hatte ich bereits mit einem Bein im Grab gestanden. Auch wenn ich das alles nicht vergessen habe und es wahrscheinlich auch nicht kann, so spüre ich, dass es nicht mehr so nah an mich herankommt oder mich belastet.

Bald werde ich meine Tagebuchaufzeichnungen endlich abschließen. Es ist viel, was ich in all den Jahren aufgeschrieben habe. Es reicht aus, um damit Bücher zu füllen, falls das jemals überhaupt jemand außer meiner Frau und meinen Kindern lesen sollte. Aber jetzt, wo ich die letzten, noch leeren Seiten vor mir habe, weiß ich, dass es ganz wichtig ist, diese Reise in die Vergangenheit anzutreten. Es ist eine Zeit, die meine Kinder irgendwann nur noch aus Erzählungen oder Büchern kennen werden, weil sie das selbst nicht alles kennengelernt haben. So können sie aber irgendwann etwas lesen, das wirklich passiert ist: Persönliche Aufzeichnungen ihres Vaters, der all das am eigenen Leib erlebt hat.

Ich erinnere mich wieder an den Moment, als Mike und ich unsere Schwester Beth in die Arme schließen konnten. Nach so langer Zeit wieder vereint zu sein, ist ein Gefühl, das man nur verstehen kann, wenn man es selbst erlebt hat. Aber noch gibt es etwas, das geklärt werden muss. Es hat etwas mit dem Mann zu tun, wegen dem meine Geschwister so viel Leid erdulden mussten. Titus Lancaster glaubt noch immer, dass er unbesiegbar ist und dass er alles unter Kontrolle hat. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat!

Kapitel 1

Rafael Carillo fluchte immer noch zum Gotterbarmen, als er gefesselt und nach draußen gebracht wurde. Ich beobachtete meine Schwester Beth dabei und glaubte, Genugtuung in ihren Gesichtszügen zu erkennen. Für sie schien es ausgleichende Gerechtigkeit zu sein, dass ihr Mann endlich als Verbrecher und Waffenhändler enttarnt wurde. Jetzt würde sein makelloser Ruf Schaden bekommen, denn nach dem, was Colonel Wheeler im Tresor entdeckt und gesehen hatte, würde man Rafael Carillo hoffentlich bald vor Gericht bringen und ihn verurteilen. Er musste sogar mit einer Verurteilung zum Tode rechnen, zumindest drüben in Texas.

Draußen auf dem Innenhof hatten die Texas Ranger zwischenzeitlich alles unter Kontrolle. Die beiden Wachposten hatten Mike und ich längst ausgetrickst, und Lobo hatte dafür gesorgt, dass von den restlichen Männern auch keine Gefahr mehr drohte. Es war eine Aktion, die nur wenige Minuten gedauert hatte, aber sie war umso erfolgreicher gewesen.

„Wir nehmen euren Patron mit!“, richtete Colonel Wheeler nun das Wort an die Bediensteten, die sich auf dem Innenhof versammelt hatten und von den Rangern ebenso bewacht wurden wie die Vaqueros, die zum Schutz noch auf der Hazienda del Oro geblieben waren. Viel hatte das jedenfalls nicht bewirkt. Wir hatten sie ganz schnell überrumpeln können, bevor sie überhaupt begriffen hatten, wie ihnen geschah.

„Lassen Sie mich endlich los, verdammt noch mal!“, erklang jetzt die wütende Stimme von Mike Gallagher, der zwischenzeitlich wieder auf beiden Beinen stand, aber noch etwas angeschlagen wirkte. „Ich habe mit all dem hier nichts zu tun!“

„Gallagher, Sie hängen genauso in der Sache mit drin wie Carillo“, erwiderte Colonel Wheeler. „Ausreden und irgendwelche sinnlosen Beteuerungen helfen nicht mehr. Sie werden bald vor einem texanischen Gericht stehen und sich für das verantworten müssen, was Sie getan haben. Ich bin sicher, dass Sie für lange Zeit hinter Gitter kommen, und wenn Sie Pech haben, droht Ihnen auch der Strick.“

Als Gallagher das hörte, senkte er den Kopf und sagte gar nichts mehr. Er war mit den Nerven am Ende. Zwei der Diener Carillos hatten auf Anweisung von Colonel Wheeler einen kleinen Wagen aus der Scheune geholt und ein Pferd eingespannt. Beth sollte ihn benutzen, weil ich vermutete, dass ihr immer noch angeschlagener Gesundheitszustand es nicht erlauben würde, den Weg nach El Paso auf dem Rücken eines Pferdes zurückzulegen.

Beths dankbarer Blick bestätigte mir, dass ich mit dieser Vermutung richtig lag. Sie ließ sich von Mike helfen, als sie auf den Bock stieg. Mike bot sich ebenfalls an, das Gespann zu lenken, nachdem er sein eigenes Pferd hinten am Wagen festgebunden hatte.

Währenddessen richtete Colonel Wheeler das Wort an die Bediensteten, die immer noch erschrocken und eingeschüchtert waren.

„Ihr könnt gehen oder hierbleiben!“, sagte Wheeler. „Die Entscheidung überlasse ich euch. Eins steht aber fest: Euer Patron wird nicht mehr hierher zurückkommen. Er wird sich vor Gericht verantworten müssen für das, was er und seine Leute vor vielen Jahren verbrochen haben.“

Niemand der auf dem Hof versammelten Menschen sagte etwas dazu. Schweigend beobachteten sie, wie Colonel Wheeler und seine Männer aufsaßen. Rafael Carillo wurde ebenfalls gezwungen, aufzusitzen. Weil seine Hände gefesselt waren, musste man ihm helfen. Anschließend dirigierten zwei Ranger ihre Pferde neben ihn und Martin Gallagher, der ebenfalls gefesselt war.

Wir verließen die Hazienda del Oro und ritten durch das schmiedeeiserne Tor. Ich sah, wie Rafael Carillo sich im Sattel umdrehte und ein letztes Mal zurück zu seinem Anwesen blickte. Für ihn musste sich das so anfühlen, als wenn man einen König vom Thron gestoßen hätte, der schon seit vielen Jahren sein Land mit eiserner Hand regierte und keine Gnade kannte. So schnell konnten sich Dinge aber manchmal ändern. Jetzt hatte er nichts mehr an sich von einem mächtigen Herrscher, sondern er sah eher aus wie ein Mann, der wusste, wann er verloren hatte und diese Niederlage auch vor sich selbst eingestehen musste.

*

In San Isidoro

Chad Corrigan spuckte einen abgebrochenen Zahn aus und fühlte einen pochenden Schmerz in seinem Mund. Sein linkes Auge war stark geschwollen, und in seinem Kopf hämmerte ein Heer von kleinen Teufeln herum, das ihn leise stöhnen ließ. Zusammen mit seinen Kumpanen saß er gefesselt auf dem Platz inmitten des kleinen Dorfes und musste in Kauf nehmen, dass die Texas Ranger ihn und Carillos Leute bewachten.

Für Corrigan war das eine furchtbare Tatsache. Niemals zuvor waren er und seine Leute besiegt worden. Immer hatten sie ihren Job zur Zufriedenheit ihrer Auftraggeber ausgeführt, und jetzt war alles anders gekommen. Wer hätte denn auch damit rechnen können, dass die Texas Ranger plötzlich aufgetaucht waren? Dafür musste es einen Grund geben, den Corrigan gerne gewusst hätte. Aber die Antwort darauf würde er nicht bekommen. Weder jetzt noch hier.

Der Mond war zwischen den Wolken hervorgetreten und übergoss das kleine Dorf mit seinem silbernen Licht. Corrigan sah, dass Jaime Obregon und seine Leute von einigen bewaffneten Dorfbewohnern bewacht wurden. Sie hatten nicht nur Gewehre bei sich, sondern auch Äxte, Mistgabeln und Macheten, und aufgrund ihrer grimmigen Mienen konnte man daraus schließen, dass sie nicht zögern würden, diese Waffen einzusetzen, sobald auch nur einer von Carillos Leuten einen Gedanken an Flucht hegte.

Genauso war es auch bei Corrigan und seinen Männern. Um sie kümmerten sich die Texas Ranger und ließen ebenfalls keinen Zweifel daran, dass sie jeden Funken von Widerstand sofort im Keim ersticken würden.

„Wenn sie uns nach Texas schaffen, dann sind wir geliefert“, murmelte Nolan Stone, der neben Corrigan am Boden hockte und die auf ihn gerichteten Gewehre der Texas Ranger so gut wie möglich zu ignorieren versuchte. „Lancaster muss davon erfahren. Vielleicht kann er ja etwas tun, damit ...“

„Maul halten!“, schnitt ihm einer der Texas Ranger das Wort ab und trat einen Schritt nach vorn. „Verstanden?“

Er hatte das Gewehr erhoben und wollte mit dem Kolben zustoßen, aber dann sah er, dass Stone ab jetzt schwieg. Stones Blicke spiegelten unbändigen Hass wider, weil weder er noch seine restlichen Kumpane solche Situationen kannten. Dabei hatte alles zu Beginn so gut funktioniert. Rafael Carillo hatte ihnen sogar einige seiner Leute zur Seite gestellt, und es war ihnen gelungen, die Frauen und Kinder der Dorfbewohner als Geiseln zu nehmen. Deshalb hatten sie sich schon als Sieger gefühlt, aber dann war leider alles anders gekommen, und sie hatten alle den Kürzeren ziehen müssen, weil die Texas Ranger eingegriffen hatten.

Corrigan ahnte, was das bedeutete. Irgendjemand hatte versucht, Ronco und seinen Begleitern zu helfen. Wenn die Texas Ranger es wagten, die Grenze nach Mexiko zu überschreiten und im Grunde genommen eine Aktion durchführten, für die es in Mexiko gar keine rechtliche Handhabe gab, dann bedeutete dies nichts anderes, als dass sich hier Leute mit Einfluss eingemischt hatten. Leute, die sich nicht darum kümmerten, welche Macht Rafael Carillo in dieser Region ausübte. Und das bedeutete zwangsläufig auch, dass Titus Lancaster an seine Grenzen gestoßen war. Für ihn und seine Leute bedeutete das jedenfalls, dass sie sich mit einem Gegner angelegt hatten, der eine Nummer zu groß für sie war. Leider nutzte diese Erkenntnis jetzt nichts mehr.

Seine Gedanken brachen ab, als er in der Ferne Hufschläge hörte, die sich dem Dorf näherten. Sofort breitete sich wieder Hektik im Dorf aus, obwohl es mitten in der Nacht war. Die Männer waren jetzt ganz wachsam, aber die Anspannung legte sich sofort wieder, als sie erkannten, dass es Ronco und seine Begleiter waren, die zusammen mit den Texas Rangern jetzt nach San Isidoro zurückkehrten. Und nicht nur das: Auch Rafael Carillo und ein weiterer Americano waren unter ihnen. Beide waren gefesselt. Auch Beth Carillo, die Frau des Hazienderos, war mitgekommen.

Die Freude unter den Dorfbewohnern war groß, als ihnen klar wurde, was das bedeutete. Der Despot war besiegt worden und stellte keine Gefahr mehr für die Menschen dar. Laute Jubelrufe waren in der Nacht zu hören, und Chad Corrigan begann zu fluchen. Aber das hörte niemand, denn die Freude unter den Dorf­bewohnern überlagerte alles andere.

Corrigan schaute kurz zu Nolan Stone und Diego Cortez. Man konnte den beiden Männern ansehen, dass ihnen ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen wie ihrem Anführer. In diesem Moment wünschte sich Corrigan, dass er diesen Auftrag niemals angenommen hätte. Wer hätte denn damit gerechnet, dass sich ihnen solche Hindernisse in den Weg stellen würden? ­Lancaster hatte in seinem Telegramm nur erwähnt, dass er und seine Leute weitere Instruktionen von Carillo vor Ort bekommen würden. Aber der Mexikaner hatte zu keinem Zeitpunkt erwähnt, wie gefährlich Ronco wirklich war. Jetzt war er ebenfalls darüber gestolpert und hatte das Nachsehen.

Carillo und Gallagher mussten absteigen und sich jeweils zu ihren Leuten gesellen. Gallagher wurde gezwungen, sich zu Corrigan und dessen Leuten zu begeben, während Carillo sich mit gesenktem Kopf zu seinen Vaqueros begab.

Die Blicke der Männer, die die Gefangenen bewachten, richteten sich für einen kurzen Augenblick auf Colonel Wheeler, der nun das Wort an die anwesenden Menschen richtete.

„Wir brechen bald wieder in Richtung Grenze auf!“, sagte er so laut, dass es jeder hören konnte. „Unsere Aktion dürfte sonst einige Probleme verursachen. Wir haben zwar die offizielle Rückendeckung des Staates Texas und auch aus Washington, aber die mexikanischen Behörden haben ihre Zustimmung noch nicht erteilt. Sehen wir also zu, dass wir schnell weiterkommen.“

Als Corrigan das hörte, war es aus und vorbei mit seinem Schweigen.

„Das ist illegal, was hier geschieht!“, protestierte er. „Und das wissen Sie ganz genau!“

In Colonel Wheelers Augen flackerte es wütend auf, und er trat zwei Schritte auf Corrigan zu.

„Das sagt ausgerechnet jemand, der einen hilflosen Menschen von hinten feige erschossen hat?“, sagte er und spuckte verächtlich aus. „Allein dafür droht dir der Strick, du verdammter Hundesohn, und ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass du vor Gericht kommst. Wenn du jetzt noch ein einziges Wort von dir gibst, dann lasse ich dir einen Knebel verpassen. Willst du das?“

Corrigan schüttelte nur stumm den Kopf. Er war so eingeschüchtert von den drohenden Worten des Colonels, dass er jetzt lieber den Mund hielt.

*

Ich bemerkte, wie die Menschen im Dorf meine Schwester Beth anschauten und ihr zulächelten. Offensichtlich waren sie genauso erleichtert darüber wie Mike und ich, dass sie nun endlich die Hazienda del Oro verlassen hatte können. Auch wenn es keiner der Menschen von San Isidoro offen ausgesprochen hatte, so schienen jedoch die meisten von ihnen gewusst oder zumindest geahnt zu haben, dass Beth dort kein leichtes Leben gehabt hatte. Jetzt hatte sie ihre Freiheit wiedergewonnen.

Es war ein kurzer, aber emotionaler Abschied von den Dorfbewohnern, denn wir wollten so schnell wie möglich wieder die Grenze erreichen, bevor der neue Tag anbrach. Nachdem sich der Colonel für die Hilfe und Unterstützung der Menschen bei der Bewachung der Gefangenen bedankt hatte, ging ich noch einmal zu Pepe Furtado, um mit ihm zu sprechen.

„Ich wünsche euch allen viel Glück und Zuversicht“, sagte ich zu ihm. „Es wird bessere Zeiten für euch geben.“

„Wir hoffen es“, sagte der alte Mann mit einem kurzen Blick auf Corrigan, der ja einen der Bewohner feige ermordet hatte. „Sorgen Sie bitte dafür, dass dieser Mann seine Strafe erhält. Das ist die einzige Bitte, die wir alle haben.“

„Das wird geschehen“, versprach ich ihm. Ich verabschiedete mich von ihm mit einem kurzen Händedruck und ging dann zurück zu meinem Hengst Fox. Als ich aufsaß, waren auch die Texas Ranger so weit. Sie sorgten dafür, dass Obregon und seine Leute trotz ihrer Fesseln in die Sättel steigen konnten, und das Gleiche taten sie auch mit Corrigan und seinen Revolvermännern.

Lobo und ich ritten jeweils an der Seite des Einspänners, den Mike immer noch lenkte. Davon wollte er sich nicht abbringen lassen, und ich konnte das verstehen. Colonel Wheeler und seine Männer bildeten die Spitze des Trupps, und Lobo, Mike, Beth und ich ritten ganz am Schluss. Was mit einer sehr riskanten Aktion ­begonnen hatte, endete jetzt als Gefangenentransport. Das war wohl die beste Beschreibung für das, was gerade stattfand. Aber ich war froh und erleichtert darüber, dass sich die Dinge zum Guten gewendet hatten, und konnte es kaum erwarten, bis wir endlich die Grenze überquert hatten, denn ich wollte die Dokumente lesen, die Colonel Wheeler aus dem Tresor genommen und als Beweis­mittel sichergestellt hatte. Zusammen mit den Aufzeichnungen, die ich von Don Carpenter bekommen hatte, musste das eigentlich ausreichen, um Titus Lancaster endlich in die Knie zu zwingen. Und genau das hatte ich vor!

*

In der Ferne zeichnete sich im Mondlicht das Band des Rio Grande ab. Ich atmete innerlich auf, weil wir die Grenze ja fast erreicht hatten. Colonel Wheeler hatte mir, Mike und Lobo zwischenzeitlich gesagt, dass er und seine Männer auf diesem Weg nach Mexiko gekommen waren und es niemand bemerkt hatte. Also standen die Chancen gut, dass das jetzt auch wieder so sein würde, vor allen Dingen zu dieser späten Stunde.

Trotzdem wollte sich die Anspannung in mir noch nicht legen, denn endgültige Sicherheit gab es noch nicht. Deshalb hatte Lobo vor einer halben Stunde vorgeschlagen, ein Stück zurückzureiten, um sicherzugehen, dass uns auch niemand folgte. Denn die Grenzpatrouillen der Rurales konnten manchmal sehr hartnäckig und geradezu verbissen sein, wenn sie eine Spur entdeckt hatten und dieser dann folgten.

Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, hörte ich plötzlich in einiger Entfernung ­Hufschläge. Und dann folgten mehrere Schüsse kurz hintereinander. Es bedurfte keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, was geschehen war.

„Vorwärts!“, hörte ich Colonel Wheeler rufen, der ebenfalls den Ernst der Lage begriffen hatte und jetzt seinem Pferd die Zügel freigab. Ich drehte mich im Sattel um und sah einen einzelnen Reiter, der direkt auf uns zuhielt. Und er hatte es verdammt eilig, weil ihm ein gutes Dutzend Verfolger oder mehr auf den Fersen waren. Da wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte, denn jetzt war Eile geboten.

„Bring Beth über den Fluss, Mike!“, rief ich meinem Bruder zu. „Beeil dich!“

Mike nickte und trieb die beiden Pferde an. Beth musste sich mit beiden Händen am Sitz festklammern, weil es jetzt besonders schnell voranging. Zwischenzeitlich war Lobo bis auf Rufweite herangekommen. Er hatte die linke Hand erhoben und wies hinter sich.

„Rurales!“, schrie er. „Die verstehen keinen Spaß!“

„Wie zum Teufel haben die uns noch entdeckt?“, rief ich Lobo zu.

„Vielleicht waren sie in San Isidoro“, erwiderte Lobo. „Ich weiß es nicht. Los, reiten wir. Es wird langsam brenzlig!“

Womit mein Freund mehr als recht hatte. Während Colonel Wheeler und seine Ranger mitsamt den Gefangenen schon fast das Ufer des Rio Grande erreicht hatten, waren Lobo und ich die Letzten, die noch ein Stück entfernt waren. Ich duckte mich unwillkürlich im Sattel, als ich wieder Schüsse hörte und registrierte, wie eine Kugel nicht weit von den Hinterläufen meines Hengstes Fox in den Boden schlug. Aber das treue Pferd reagierte instinktiv richtig und schlug einen Haken. Zwei weitere Kugeln, die mich sicher erwischt hätten, wenn Fox nicht ausgewichen wäre, schlugen genau dort ein, wo ich mich eben noch befunden hatte.

Lobo und ich ritten auf das Ufer zu. Colonel Wheeler und seine Ranger sahen, dass es die Rurales ganz besonders auf Lobo und mich abgesehen hatten. Deshalb tat der alte Haudegen genau das Richtige in diesen entscheidenden Sekunden. Fünf seiner Leute gaben uns Feuerschutz, damit wir ungehindert das Flussufer erreichen konnten.

Der größte Teil seiner Männer mitsamt den Gefangenen hatte schon das Texas-Ufer erreicht. Das galt auch für den Einspänner, den Mike sicher durch den Fluss manövriert hatte. Nun galt sein überaus besorgter Blick insbesondere mir und Lobo, aber Colonel Wheeler und seine Ranger sorgten dafür, dass uns nichts mehr zustieß. Erst als er sah, dass wir in Sicherheit waren, rettete er sich mit seinen Männern ebenfalls über den Fluss.

Lobo, Mike und ich übernahmen es jetzt, den restlichen Texas Rangern Feuerschutz zu geben. Wir schickten ein paar Kugeln in Richtung der Grenzpolizisten, aber nicht in der Absicht, diese Männer aus den Sätteln zu holen, sondern wir wollten lediglich für etwas Verwirrung sorgen, bis der Colonel und seine Leute sich in Sicherheit befanden.

Die Rurales zögerten, uns über den Rio Grande zu folgen. Vor allem, weil Wheeler und seine Ranger nun in Stellung gegangen waren und mit weiteren Schüssen die Grenzpolizisten auf Distanz hielten. Aber nur wenige Augenblicke später gaben sie auf und verzogen sich, weil sie wohl keine Lust hatten, sich auf einen Kampf mit uns einzulassen, der nur weitere Tote und Verletzte nach sich ziehen würde. Für sie war dieser Grenzkonflikt erledigt, nachdem wir Mexiko verlassen und Texas wieder erreicht hatten.

„Das war knapp“, murmelte Colonel Wheeler. „Ich vermute, das wird noch etwas diplomatischen Ärger geben. Aber das ist mir egal. Hauptsache, wir haben unser Ziel erreicht.“

„Stimmt“, sagte ich. „Es war riskant genug, aber ich werde trotzdem nicht vergessen, dass wir ohne Sie und Ihre Leute wahrscheinlich längst in der Hölle gelandet wären.“

„Sie kommen noch nicht in die Hölle“, meinte der alte Haudegen. „Ihre Zeit ist längst noch nicht abgelaufen. Sie haben bestimmt noch so einige Pläne, oder?“

„Richtig“, antwortete ich. „Da gibt es noch jede Menge ungeklärte Fragen. Aber ich weiß, von wem ich darauf Antworten bekomme.“

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, meinte ­Wheeler. „Aber reiten wir erst einmal nach El Paso zurück. Senator Vaud F. Wilson wird sich sehr freuen, Sie wiederzusehen.“

*

Die Sonne war gerade hinter den Hügeln aufgegangen, als wir uns El Paso näherten. So langsam wurde mir bewusst, wie knapp Mike, Lobo und ich dem Tod ent­ronnen waren. Es war aber auch eine Verpflichtung für mich, den letzten Schritt konsequent zu Ende zu führen. Aber daran dachte ich jetzt noch nicht im Detail, denn ich war in erster Linie froh darüber, Beth aus den Klauen Carillos entrissen zu haben. Ich konnte mir vorstellen, welche seelischen Qualen sie in den Jahren hatte erdulden müssen, aber ich beschloss, Beth erst darauf anzusprechen, wenn sie dazu auch in der Lage war.

Jetzt zählte erst einmal die Tatsache, dass sie in Sicherheit war und sich erst einmal ausruhen konnte. Zumindest für ein paar Stunden. Die Ruhe, die Beth so dringend nötig hatte, würde allerdings nur von kurzer Dauer sein, denn auf dem Weg nach El Paso hatte ich sowohl mit Mike als auch mit Beth darüber gesprochen, dass ich sie gerne mit nach Prescott nehmen würde. Bis jetzt hatten die beiden weder zugestimmt noch abgelehnt. Ich glaube, das hatte ganz einfach damit zu tun, dass weder Mike noch Beth das Leben kannten, das ich so viele Jahre geführt hatte und wo manchmal schnell Entscheidungen getroffen werden mussten.

Unsere Ankunft in El Paso war trotz der frühen Morgenstunden nicht unbemerkt geblieben. Einige Menschen kamen aus ihren Häusern und beobachteten, was weiter geschah. Colonel Wheeler hatte jedoch keine Zeit, um auf die neugierigen Blicke der Bewohner zu achten, denn er war ein Mann, der immer sehr rasch entschied, was in solch einem Fall zu tun war. Deshalb ordnete er an, dass sowohl Carillo mit seinen Leuten als auch ­Corrigan und seine Kumpane in die unteren Räume der Town Hall gebracht wurden. Dort gab es zwei große Lagerräume, die Wheeler kurz entschlossen als Gefängnis nutzen wollte, bis die Gerichtsverhandlung eröffnet wurde. Und dass dies sehr bald geschehen würde, daran hatte ich nicht die geringsten Zweifel.

„Bring Beth erst einmal ins King’s Hotel“, bat ich meinen Bruder. „Ich komme nach, so schnell ich kann. Ich muss noch einige Dinge mit dem Colonel besprechen und ...“

Ich stoppte meinen Redefluss, als ich einen Mann erkannte, der mit schnellen Schritten auf mich zukam und mich mit einem freudigen Lächeln begrüßte.

„Senator Wilson!“, rief ich dann, nachdem ich den Mann erkannt hatte. „Ich bin froh, Sie hier zu sehen. Danke für Ihr schnelles Eingreifen.“

„Keine Ursache“, antwortete Wilson. „Ich habe ja nur dafür gesorgt, dass Colonel Wheeler schnell eine Legitimation bekam. Ich hoffe, es hat wenigstens ein bisschen geholfen.“

„Nein“, sagte ich, nachdem ich gesehen hatte, dass der Colonel nur mit dem Kopf schüttelte. „Es ging alles viel zu schnell. Wir mussten zusehen, dass wir so schnell wie möglich über die Grenze kamen. Die Rurales saßen uns im Nacken.“

„Das auch noch“, seufzte der Senator. „Gab es Tote oder Verletzte?“

„Zum Glück nicht“, sagte ich. „Wir konnten das Texas-Ufer erreichen, bevor die ganze Sache zu brenzlig wurde.“