Ruhrpott Pärchen - Angie Pfeiffer - E-Book

Ruhrpott Pärchen E-Book

Angie Pfeiffer

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Beschreibung

Eigentlich wartet Elisa auf die ganz große Liebe, doch auf der Hochzeit ihrer besten Freundin läuft ihr der Ex wieder über den Weg. Alfred 'Freddy' Gimpel ist alles andere als ein Traumprinz, das hat Elisa schon vor einiger Zeit festgestellt. Trotzdem heiraten die beiden. Was Elisa nun mit Freddys merkwürdiger Familie erlebt, spottet jeder Beschreibung und versetzt selbst die hartgesottenen Jollenbecks in Erstaunen. Gelsenkirchen in den 70ern. Der zweite Teil der Ruhrpottsaga erzählt von Leben und Lieben zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal.

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Inhaltsverzeichnis

1974

1975

1976

1977

1978

1979

1980

1974

„ … und du kommst ganz bestimmt? Fest versprochen?“ Annerose klang völlig aufgelöst, was zum einen an der schlechten Telefonverbindung und zum anderen an ihrem Zustand lag. Elisa versuchte, beruhigend zu klingen. „Ja klar komme ich, das habe ich dir schon ein Dutzend Mal gesagt. Schließlich heiratet man nur einmal im Leben.“

„Eben, mein Brautkleid ist ein Traum, du wirst es sehen. Ich bin so aufgeregt“, das hätte Annerose nicht extra betonen müssen. Seit sie Elisa vor einiger Zeit erzählt hatte, dass sie und Mario heiraten würden, schwankte sie permanent zwischen Euphorie und Panik hin und her.

Annerose und Elisa kannten sich seit ihrer gemeinsamen Lehrzeit. Anne hatte ein Jahr später als Elisa mit der Ausbildung zur Bürokauffrau bei einem Opelhändler angefangen. Die beiden verstanden sich von Anfang an und wurden schnell Freundinnen. Hinzu kam, dass die Mädchen bald zwei miteinander befreundete Arbeitskollegen kennenlernten, die bereits ihre Lehre abgeschlossen hatten und als Gesellen in der Werkstatt arbeiteten.

Während es zwischen der blonden, vorwitzigen Annerose und dem bulligen Mario Meier gleich funkte, dauerte es einige Zeit und Überredungskunst, bis sich Elisa auf Marios besten Freund, Alfred Gimpel, einließ. Das lag weniger an seinem merkwürdigen Hausnamen, als an dem fehlenden zündenden Funken ihrerseits.

Obwohl Alfred ihr oft genug seine Liebe erklärte, erschien es Elisa so, als ob zwischen ihnen etwas fehlte. Sie hätte gar nicht ausdrücken können, woran es haperte, aber die große Liebe, die sie sich erträumt hatte, war hier offensichtlich nicht vorhanden.

So fiel es Elisa nicht schwer nach der erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung Gelsenkirchen den Rücken zu kehren und zu ihrem Bruder nach Berlin zu ziehen. Peter war lange zur See gefahren, hatte sich dann aber in Berlin niedergelassen und arbeitete als Kellner in einem Restaurant am Kurfürstendamm. Da er bis dato nur ein möbliertes Zimmer bewohnte, mieteten die Geschwister eine Wohnung an.

Von Alfred hatte sie sich vor ihrer Übersiedelung nach Berlin getrennt und hörte nur noch ab und zu über Anne etwas von ihm. In letzter Zeit allerdings erzählte auch die Freundin nichts mehr. Elisa dachte kaum noch an ihn. Sie genoss in vollen Zügen ihre neu erworbene Freiheit und Unabhängigkeit.

Vor einiger Zeit war eine Karte von Annerose und Mario ins Haus geflattert.

Ihre Vermählung geben bekannt: Annerose van der Heidt und Mario Meier

Elisa sah die ganze Geschichte eher skeptisch. Sie wusste zwar, dass ihre beste Freundin nur zu gern von zu Hause ausziehen und so ihrem despotischen Vater entgehen wollte, aber deshalb gleich heiraten? So etwas kam für sie überhaupt nicht infrage. Es war für sie mühsam genug gewesen sich freizustrampeln.

In der Folgezeit warnte Elisa die Freundin oft genug davor vorschnell zu heiraten, denn schließlich war die angehende Braut erst siebzehn Jahre jung. Die ließ sich aber weder von ihrer Freundin, noch von den Formalitäten, die es wegen ihrer fehlenden Volljährigkeit gab, abschrecken. Sie war wild entschlossen, mit Mario vor den Altar zu treten.

„Herrlich! Endlich muss ich nicht mehr heimlich auf der Toilette rauchen, weil mein Vater sonst ausflippt. Ich muss nicht mehr alles essen, was auf den Tisch kommt und anschließend den Finger in den Hals stecken, damit ich mein Gewicht halte. Ich kann nach Hause kommen, wann ich möchte und niemand macht mir Vorschriften.“

Elisa konnte nur hilflos mit dem Kopf schütteln. „Warum wartest du nicht, bis du achtzehn bist und ziehst dann einfach von zu Hause aus. Dann kannst du erst einmal allein wohnen und wirklich unabhängig sein. Einmal mit Mario verheiratet hast du wieder jemanden auf dem Hals, der dir Vorschriften macht.“

Annerose ließ sich nicht beeindrucken. „Mario frisst mir aus der Hand, er würde mir niemals sagen was ich zu tun und zu lassen habe.“

„Ja dann …“ Elisa gab es auf, die Freundin umstimmen zu wollen und hörte sich geduldig alles an, was es über die anstehende Hochzeit zu erzählen gab.

***

Jetzt fuhr der Zug in den Gelsenkirchener Hauptbahnhof ein.

Elisa konnte sich noch gut an den Tag vor mehr als einem Jahr erinnern: Sie hatte im Zug in Richtung Berlin gesessen und nicht gewusst wie es weitergehen würde. Der Gedanke, nach dort hin zu übersiedeln war ihr spontan gekommen. Auf der Zugfahrt schlotterten ihr aus Angst vor der eigenen Courage die Knie. Doch bei der Ankunft wartete ihr Bruder bereits auf dem Bahnsteig, die Angst war wie weggeblasen. Peter hatte schon im Vorfeld alles organisiert, sodass die Geschwister sofort in die neue Wohnung einziehen konnten, die möbliert war. Das Zusammenleben gestaltete sich problemlos, da Peter als Kellner meistens abends arbeitete, während seine Schwester tagsüber im Büro tätig war. Oft sahen sich die Geschwister nur zwischen Tür und Angel. Einerseits war das schön, weil Elisa tun und lassen konnte was sie wollte, andererseits fühlte sie sich oft allein. Zuweilen dachte sie mit Wehmut an ihren Gelsenkirchener Freundeskreis zurück. In Berlin kam sie sich viel anonymer vor, als das in ihrer Heimatstadt der Fall gewesen war. In letzter Zeit machte ihr einer von Peters Arbeitskollegen heftig den Hof. Sie traf sich oft mit ihm, obwohl sich auch hier die große Liebe nicht einstellen wollte.

„Wahrscheinlich liegt es an mir“, sagte sie sich häufig. „Sicher erwarte ich zu viel und deshalb klappt es nicht mit der Liebe.“

Inzwischen hatte der Zug gehalten, Elisa stieg aus und sah sich suchend um. Sie musste nicht lange schauen, denn ihr Vater kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

„Da bist du ja, Spatz!“

„Es ist schön wieder zu Hause zu sein, Papa. Wartest du schon lange?“

„Eine Weile, aber das ist überhaupt nicht schlimm.“ Er ließ seine Tochter los und griff nach ihrem Koffer. „Den nehme ich schon, der ist viel zu schwer für dich.“

Auf der Fahrt nach Hause schwärmte Kalle von der neuen Wohnung.

„Du wirst es ja endlich selbst sehen, Spatz, die Wohnung ist nicht mit der Bude zu vergleichen, in der wir vorher gehaust haben. Sogar einen Balkon gibt es. Wir sind die ersten Mieter, das Haus ist nagelneu. Erstbezug …“, er ließ das Wort genießerisch über seine Zunge rollen und wiederholte es noch einmal. „Erstbezug! Selbst deine Mutter ist zufrieden. Seit unserem Umzug hat sie noch keine Herzprobleme gehabt, was kein Wunder ist, denn auch finanziell geht es steil bergan. Wir haben uns, wie du siehst, sogar wieder ein Auto zugelegt.“

Kalle, schon mit fünfundvierzig Jahren Frührentner geworden, betrieb mit seiner Frau zusammen eine Trinkhalle, denn seine Rente war mehr als mickerig. Elisa grinste. Ihre Mutter brachte seit Jahren mit ihren eingebildeten Herzproblemen sämtliche Ärzte Gelsenkirchens zur Verzweiflung. Hinzu kam, dass sie, als Elisa zehn Jahre alt war, durch eine Fehlgeburt und den plötzlichen, frühen Tod ihrer Mutter völlig aus der Bahn geworfen wurde. Sie vernachlässigte sowohl sich als auch den Haushalt, ihren Mann und die Kinder. Zu allem Überfluss zog auch noch Adolf, ihr alkoholkranker Vater, in der jollenbeckschen Wohnung ein, was zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten führte.

Bald darauf eröffnete das Ehepaar eine Gastwirtschaft und jetzt war Ilse völlig überfordert. Anfangs hatte man eine Haushaltshilfe, die alle anfallenden Arbeiten erledigte, doch schnell fehlte das nötige Kleingeld. So kümmerte sich Elisa mehr oder weniger gut um den Haushalt. Ihr Bruder Peter war bereits mit sechzehn Jahren zur Handelsmarine gegangen. Er tauchte nur noch sporadisch zu Hause auf, sodass Elisa allein auf weiter Flur stand.

Doch daran wollte Elisa jetzt nicht denken. Sie tätschelte ihrem Vater den Arm.

„Na, dann scheinst du alles im Griff zu haben.“

Wenig später hielt der alte VW-Käfer auf dem Parkplatz, der sich vor einem groß angelegten Plattenbau befand.

„Hier sind wir also. Ist es nicht ein fabelhaftes Haus.“

„Es sieht toll aus“, murmelte Elisa nicht gerade begeistert. Sie konnte es sich nicht vorstellen in einem solchen Wohnsilo zu leben.

„Du musst erst einmal mit reinkommen, es gibt sogar einen Fahrstuhl.“ Kalle stellte den Koffer ab und drückte auf den entsprechenden Knopf. Elisa folgte ihm in die Kabine, wo er ein paar Papierschnipsel aufsammelte.

„Ich bin hier der Hausmeister und für die Sauberkeit zuständig. Wir bekommen dafür einen Mietnachlass von fünfzig Mark! Monatlich!“, erklärte Kalle, als er den Blick seiner Tochter bemerkte.

„Ach, und ihr müsst das gesamte Treppenhaus putzen? Was sagt Mutter dazu?“, fragte Elise interessiert.

„Nein, nein, ich soll nur für Sauberkeit im Fahrstuhl sorgen, deine Mutter will mir sogar mithelfen“, Kalle warf sich in die Brust. „Und ich habe eine Kurbel für den Notfall, falls der Fahrstuhl stecken bleibt, bringe ich sie zum Einsatz.“

„Das ist toll“, murmelte Elisa wenig begeistert. Insgeheim war sie froh, nicht mehr im elterlichen Haushalt zu wohnen, sonst hätte wohl sie für die Sauberkeit im Fahrstuhl sorgen müssen. Ihre Mutter hatte von jeher ein Talent zu delegieren.

Inzwischen waren Vater und Tochter vor der Wohnungstür angelangt. Kalle steckte den Schlüssel ins Schloss, kam aber nicht mehr dazu, sie zu öffnen, denn Ilse öffnete die Tür von innen und begrüßte ihre Tochter ungewöhnlich herzlich. „Es freut mich sehr, dass du dich endlich blicken lässt. Komm schon herein, ich will dir unsere neue Wohnung zeigen.“

„Deine Mutter hat eine Menge neuer Möbel gekauft, sogar mein Lieblingssofa hat sie weggeschmissen, wo ich da so eine schöne Kuhle reingelegen habe“, brummelte Kalle empört, während er Mutter und Tochter hinterher trottete.

***

„Hübsch siehst du aus, Spatz. Pass mal gut auf dich auf“, Kalle sah seine Tochter bewundernd an, die sich einmal um die eigene Achse drehte.

„Möchtest du nicht mitkommen und alle Jungen, die sich für mich interessieren verscheuchen? So wie früher“, fragte Elisa grinsend.

Allerdings war es, als sie ins mannbare Alter kam schwer ihren Vater davon zu überzeugen, dass nicht jeder junge Mann nur das Eine wollte. Kalle versuchte wie eine Glucke über sie zu wachen und schlug so manchen Bewerber in die Flucht. Leider war es ihm nicht immer gelungen, seine Tochter vor allem Schlimmen zu bewahren, denn Elisa musste eine Vergewaltigung über sich ergehen lassen. Sie hatte aus Scham und Verletztheit nie darüber gesprochen und den Vorfall mehr oder weniger verdrängt. Nur Ilse wusste davon, sprach aber nie über die Vorkommnisse.

Elisa schüttelte die unerfreulichen Gedanken ab, denn jetzt sollte es zu Annerose und Marios Hochzeit gehen.

„Darf ich ihnen in die Stola helfen, schöne Frau?“ Galant legte ihr Kalle das selbstgehäkelte Teil um die Schultern. Elisa hakte sich bei ihm unter. „Dann wollen wir mal.“

„Soll ich dich nachher nicht lieber abholen? Wir haben doch jetzt ein Telefon. Du kannst mich zu jeder Zeit anrufen, ich bin unter Garantie wach“, fragte der besorgte Vater, als er seine Tochter vor der Kirche absetzte, wo sich die Hochzeitsgesellschaft bereits versammelte. Wieder musste Elisa grinsen. „Das fehlt mir noch. Danke, Papa, es ist wirklich nett von dir, aber ich nehme mir einfach ein Taxi oder ich lasse mich von einem der schnuckeligen jungen Männer, die ohne Zweifel an meinem Tisch Schlange stehen werden, nach Hause fahren“, fügte sie nach einem boshaften Blick auf ihren Vater hinzu.

Der reagierte prompt. „Ich versohle dir gleich den Hintern, du freche Kröte! Mach mir die Jungen nicht verrückt.“ Mit einem Winken machte sich Kalle auf den Heimweg, während sich seine Tochter zu den Hochzeitsgästen gesellte.

„Hallo, Rosemarie“, begrüßte sie Anneroses ältere Schwester.

„Hi Elisa. Schönes Kleid, das du da anhast. Rot steht dir, aber diese Stola ... Da fällt mir ein, das ist Klaus, meinen Mann.“

„Du eine Ehefrau?“, fragte Elisa erstaunt. Die Spitze überhörte sie geflissentlich. „Das ist mir ganz neu. Herzlichen Glückwunsch nachträglich.“

Von der Hochzeit ihrer Schwester hatte Annerose nichts erzählt. Gut, die Schwestern verstanden sich nicht so besonders, trotzdem hätte sie das Ereignis wenigstens erwähnen können. Rosemarie zuckte mit den Schultern. „Meine kleine Schwester ist manchmal etwas komisch. Das siehst du daran, dass weder du noch ich zu den Trauzeugen gehören. Das managt alles Marios Familie“, mit einem ironischen Grinsen fuhr sie fort. „Aber jetzt lasst uns in die Kirche gehen, um dem großen Ereignis beiwohnen.“

Irritiert von dem bösartigen Kommentar schaute Elisa sie an, folgte dem Paar aber in die Kirche, wo die Hochzeitsgesellschaft zum größten Teil schon Platz genommen hatte.

Zu den feierlichen Klängen der Orgel betrat das Brautpaar die Kirche. Elisa hielt die Luft an, denn Anne war eine wunderschöne Braut. Sie strahlte so viel Liebe und Lebensfreude aus, dass sie alle Blicke auf sich zog und man den schlecht frisierten Mario, der sich zu allem Überfluss nicht einmal rasiert hatte, völlig übersah.

Während der Trauung folgte Elisa mechanisch der Gottesdienstordnung und träumte ansonsten vor sich hin. Wie hübsch Anne doch aussah. Elisa wünschte ihr alles Glück der Welt. Insgeheim sehnte sie sich nach ihrem Traumprinzen, aber der wollte sich so gar nicht einstellen. Der ständige Ehekrieg der Eltern und die schlimmen Erfahrungen, die sie hatte machen müssen taten ein Übriges. Sie hatte ihre Jungmädchenträume schon lange ad acta gelegt.

Die Messe ging erstaunlich schnell vorbei. Man begab sich zum Mittagessen in eine nahe gelegene Gaststätte. Hier hatte Elisa endlich Gelegenheit ihre Freundin einen Moment in den Arm zu nehmen und ein paar Worte allein mit ihr zu wechseln.

„Ich hoffe du bist glücklich, meine Kleine. Du bist die allerschönste Braut der Welt. Mario hat ein sagenhaftes Glück. Du bist viel zu gut für ihn.“

Annerose strahlte. „Hör auf, Mario ist in Ordnung und der Richtige für mich. Ich liebe ihn und er betet mich an. Aber sag mal, du bist doch immer noch solo, nicht wahr?“

Elisa runzelte die Augenbrauen. „Ja sicher, das weißt du doch. Ich habe keinen festen Freund und ich möchte auch zurzeit keinen.“

Die Braut lächelte geheimnisvoll. „Na, dann lass dich überraschen.“

Bevor Elisa sie nach dem Sinn ihres mysteriösen Ausspruchs fragen konnte, entschwebte die Braut in einer Wolke von Tüll.

Die verwirrte Freundin ging wieder an ihren Tisch, an dem auch Rosemarie und Klaus saßen. Jetzt allerdings hatte sich ein verspäteter Gast zu ihnen gesellt, der auf Elisas Platz saß und ihr den Rücken zuwandte.

„Entschuldigung, das ist eigentlich mein …“, sie verstummte abrupt, denn der Mann hatte sich zu ihr umgedreht und feixte über das ganze Gesicht.

„Hallo, Perle.“

Elisa stand wie vom Donner gerührt. „Alfred Gimpel! Was machst du denn hier?“

Der Angesprochene schaute sie belustigt an. „Rate mal. Was könnte ich hier wohl machen? Vielleicht die Hochzeit meines besten Freundes feiern?“

Elisa konnte es nicht glauben. Anne, dieses kleine, intrigante Biest, hatte mit keinem Wort erwähnt, dass auch Alfred an der Hochzeit teilnehmen würde. Obwohl - auf den Gedanken hätte sie auch von allein kommen können, denn schließlich war er wirklich der beste Freund des Bräutigams.

Nach der ersten Schocksekunde freute Elisa sich ihren Exfreund nach so langer Zeit wiederzusehen. Sie strahlte ihn an.

„Wie geht es dir? Warum kommst du so spät? Du bist zurzeit beim Bund, nicht wahr? Wo bist du denn stationiert? Bist du schon befördert worden? Hast du eigentlich eine Freundin?“

„Stopp“, rief Alfred lachend. „Eins nach dem anderen. Dass ich beim Bund bin weißt du. Ich habe mich für zwei Jahre verpflichtet, bin Gefreiter und in Norddeutschland stationiert. Deshalb komme ich auch später, bei der Bundeswehr kann man halt nicht immer wie man möchte. Ich hatte bis vor kurzem eine Freundin, mit der ich aber Schluss gemacht habe. Das erzähle ich dir vielleicht mal, wenn wir allein sind.“ Hier musste Alfred erst einmal Luft holen, denn das war eine ungewohnt lange Rede für ihn, der eher von der schweigsamen Art war. „So, jetzt bist du dran“, fügte er nach einer kurzen Pause an. „Wie geht es dir so in Berlin?“

„Gut“, Elisa kam nicht dazu mehr zum Erzählen, denn Rosemarie, die den Neuankömmling neugierig gemustert hatte, mischte sich ein.

„Hey, ihr zwei, die Köpfe könnt ihr später noch zusammenstecken. Jetzt wollen wir der Rede des Brautvaters lauschen und dann darf getanzt werden. Alfred, der erste Tanz ist ja wohl für mich, oder.“

Wirklich hatte sich Anneroses Vater erhoben, um eine Rede zu halten. Elisa lächelte Alfred zu.

„Wir sprechen uns noch.“

„Versprochen?“

„Ja, ganz großes Ehrenwort!“

Es wurde eine rundherum schöne Hochzeitsfeier. Wenn sich Rosemarie auch nach Kräften, und sehr zum Missfallen ihres Ehemannes bemühte, Alfreds Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, so hatte er doch nur Augen für seine Exfreundin.

Das Brautpaar, welches sich zwischendurch kurz zu ihnen gesellte, wechselte einen bedeutungsvollen Blick. Beide grinsten über das ganze Gesicht, denn die Überraschung war ihnen wirklich gelungen.

Nach Ende der Feier stieg Elisa wie selbstverständlich zu Alfred ins Auto, um sich von ihm nach Hause bringen zu lassen.

Vor der Haustür stellte er den Motor ab und nahm sie in den Arm.

„Das wollte ich den ganzen Abend schon“, murmelte er und küsste sie zärtlich.

Elisa erwiderte seinen Kuss und er fühlte sich einfach schön und vertraut an.

Nach einer Weile ließ Alfred sie los. „Wir sehen uns morgen?“, fragte er.

„Ja, ich bin noch die ganze Woche hier.“

„Gut, dann hole ich dich morgen Nachmittag ab und wir frischen die alten Erinnerungen wieder auf. Ich freue mich.“

1975

Elisa bereitete sich vor: Heute sollte sie ihren zukünftigen Schwiegereltern vorgestellt werden und war entsprechend aufgeregt. Während sie sich die Haare zu einer modischen Innenrolle föhnte, ließ sie das letzte halbe Jahr noch einmal Revue passieren.

Nach Anneroses Hochzeit hatten sie und Alfred sich öfter getroffen. Er besuchte sie so oft wie möglich in Berlin, und wenn ihr Bruder Peter auch nicht begeistert war, so tolerierte er den neuen Freund doch. Alfred gab sich alle Mühe, um Elisa zu gefallen, war zärtlich, zuvorkommend, ging auf alle ihre Launen ein. Er brachte ihr sogar hin und wieder Blumen mit, was so gar nicht seinem Naturell entsprach.

Einmal hatten sich die Neuverliebten in Hamburg getroffen und dort ein tolles Wochenende verbracht, wobei sich auch das frischgebackene Ehepaar einklinkte. Es war wie in alten Zeiten: Annerose und Elisa unterhielten sich über Gott, die Welt und die neuste Schuhmode, während Mario und Alfred sich überlegten, wie sie ihre Autos tunen konnten.

„Wenn du in Gelsenkirchen wohnen würdest, dann können wir uns viel öfter sehen, wäre das nicht schön?“ Alfred versuchte ihr mit allen Mitteln den Umzug schmackhaft zu machen und auch Annerose redete diesbezüglich auf die Freundin ein.

Elisa überlegte hin und her. Einerseits fühlte sie sich in Berlin ganz wohl, konnte tun und lassen, was sie wollte, niemand mischte sich ein. Zudem verstand sie sich gut mit ihrem Bruder, die Wohngemeinschaft funktionierte einwandfrei. Andererseits vermisste sie ihren Freundeskreis, besonders die beste Freundin fehlte. Hinzu kam, dass Alfred niemals aus dem Ruhrgebiet weggehen würde, jedenfalls nicht längerfristig. Er hatte sich sehr zu seinem Vorteil verändert, so wie er sich jetzt gab, gefiel er ihr wirklich gut. Sie war versucht, im Zusammenhang mit ihm an Liebe zu denken.

Letztendlich gab ihr Bruder den Ausschlag. Peter machte ihr klar, dass er nie vorgehabt hatte für immer in Berlin zu bleiben. Auch er plante, sich über kurz oder lang in der alten Heimat niederzulassen.

Einmal entschlossen fackelte Elisa nicht lange. Eine kleine Mansardenwohnung und ein Bürojob in der Arbeitsvorbereitung einer Maschinenfabrik in Gelsenkirchen Schalke waren schnell gefunden. Der Umzug verlief reibungslos. Viel war sowieso nicht einzupacken. Ihr Vater richtete mit Elisa zusammen die neue Wohnung her und sponserte die Kücheneinrichtung. Kalle war nicht begeistert vom neuen und alten Freund seiner Tochter.

„Hätte ich dich nach der Hochzeit mal abgeholt, wie ich es vorhatte. Spatz, ich glaube der Gimpel ist nicht der Richtige für dich. Das habe ich schon gedacht, als er mit den mickerigen Blumen auf dem Geburtstag deiner Mutter aufgetaucht ist.“

Alfred hatte Elisas Mutter ganz zu Anfang ihrer Beziehung zum Geburtstag mit einem ziemlich ramponierten Blumenstrauß aus dem Automaten beglückt. Damit konnte er zwar bei der Mutter punkten, den Vater machte er aber eher misstrauisch.

„Aber Papa, er hat sich so verändert.“

Ihr Vater blieb kritisch. „Wirklich verändern wird sich ein Mann niemals, das muss ich schließlich am besten wissen …“

Ein paar Wochen nach ihrem Umzug überraschte Alfred sie mit einem Verlobungsring, den er ihr, ganz der Romantiker, an einer roten Ampel über den Finger streifte. „Wollen wir uns verloben?“, war sein einziger Kommentar, dann wurde die Ampel auch schon grün und er trat das Gaspedal durch. Elisa wusste im ersten Moment nicht was sie sagen sollte. So akzeptierte sie den Ring einfach wortlos.

Während ihre Mutter mit Begeisterung reagierte, stieß sie bei ihrem Vater und ihrem Bruder auf eisige Ablehnung. „Wie kannst du dich mit diesem Gimpel verloben, weiß du überhaupt, was du tust?“

„Die Welt ist voller Männer und du musst unbedingt DEN komischen Vogel anschleppen!“ Diese und ähnliche Kommentare musste sich Elisa in der Folgezeit anhören.