Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 10: Tempel des Todes - Andreas Zwengel - E-Book

Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 10: Tempel des Todes E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Im Jahr 1926 macht sich die Expedition einer amerikanischen Universität auf den Weg in den Dschungel des Amazonas. Sie suchen eine bisher unentdeckte Tempelanlage, doch bereits auf dem Weg dorthin entdecken sie veränderte Tiere und Pflanzen. Der Tempel beherbergt ein Geheimnis, das auch Jahrzehnte später noch eine tödliche Bedrohung darstellt.Als die Schattenchronik-Agenten Martin Anderson und Leila Dahlström im New York der Gegenwart eine Terrorzelle ausheben, entdecken sie diese globale Gefahr.

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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 10

In dieser Reihe bisher erschienen:

2901 Curd Cornelius Die andere Ebene

2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee

2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald

2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen

2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald

2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer

2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome

2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland

2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land

2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes

Andreas Zwengel

TEMPELDESTODES

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-570-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Dies ist der Bericht einer Expedition, die von einer ­Universität im Herzen Amerikas organisiert wurde und ein unerforschtes Gebiet im Amazonasdschungel zum Ziel hatte.

In der langen Geschichte der Universität hatte es bis dahin keine Expedition gegeben, die so schnell auf die Beine gestellt worden war. Der gesamte Lehrstuhl riss sich darum, an der Reise teilzunehmen. Selbst Fach­bereiche, die auch mit viel gutem Willen keine Verbindung zu der Thematik besaßen, pochten auf ihre Teilnahme. Die Gruppe besaß dreizehn Mitglieder, angeführt von dem Historiker Alistar Cooper. Zu den weiteren ­Koryphäen gehörten der Biologe Daniel Bridges, der Archäologe Alexander Cunningham, der Anthropologe Marcus Shepherd, der Zoologe Samuel Levin und ­Professor Hannibal Kinderman vom Fachbereich mittelalterliche Metaphysik.

Die Finanzierung war gleich mehrfach gesichert. Im Großen und Ganzen durfte man diesen Erfolg ­Professor Cunningham zuschreiben, der es wie kein anderer verstanden hatte, die wissenschaftliche Bedeutung des bevorstehenden Fundes zu vermitteln. Er sprach mit Finanziers aus der Umgebung, und jeder wollte sich beteiligen. Deshalb konnte die Expedition bereits am zwölften April 1926 aufbrechen. Der Zeitplan sah ein ambitioniertes Tempo vor, das keine Trödelei erlaubte.

Ich will Zeugnis ablegen über die obskuren Entdeckungen, die wir gemacht haben, die Kämpfe, die wir bestehen mussten, gegen äußere und innere Feinde. Der Tod fand reichlich Beute in unserer Mitte. Dass ich in der Lage bin, hier von den Ereignissen zu berichten, ist ein Wunder. Ein gütiger Gott hat mich davor bewahrt, das Schicksal der anderen Expeditionsmitglieder zu teilen.

*

Professor Alistair Cooper war annähernd zwei Meter groß, von massiger Gestalt und mit einem gutmütig wirkenden, fleischigen Gesicht ausgestattet, das viele Menschen über das wahre Ausmaß seines Verstandes täuschte. Objektiv betrachtet dürfte er der intelligenteste Mensch auf dieser Reise sein, was er natürlich niemals laut aussprechen würde, um die unweigerlich folgende Diskussion über dieses Thema zu vermeiden. Cooper legte ohnehin keinen Wert auf eine solche Feststellung.

Er zog seine Weste straff und sah seinen Kollegen dabei zu, wie sie ihre Ausrüstung an Bord bringen ließen. Seine Ermahnung, sich nur auf das Nötigste zu beschränken, schien von allen Kollegen ignoriert worden zu sein. Kinderman schoss natürlich den Vogel ab. Neben einer Bücherkiste, die er nie aus den Augen ließ, hatte er auch einen Koffer mit Chemikalien dabei, zu dem er selbst stets einen respektvollen Abstand hielt. Und natürlich besaß er nicht nur einen Assistenten, sondern gleich zwei. Wüst aussehende ­Halsabschneider, denen niemand eine wissenschaftliche Vorbildung unterstellen würde.

Die anderen Professoren benötigten keinerlei Hilfsmittel für ihre Arbeit, außer ein paar Nachschlagewerken und kleinen Werkzeugen. Sie füllten dafür die begrenzte Fläche auf dem Boot mit einer umfangreichen Garderobe oder ähnlich nutzlosem Gepäck.

Cooper bemühte sich, aufkeimende Streitigkeiten und Rivalitäten frühzeitig zu beenden. An der Universität blieben diese Männer in ihren jeweiligen Fachbereichen wie in natürlichen Refugien, aber hier mussten sie auf engstem Raum miteinander auskommen. Für einige von ihnen eine gewaltige Herausforderung, denn ihr Ego nahm eine gewaltige Fläche in Anspruch und konnte für gewöhnlich nur in Hörsälen artgerecht gehalten werden.

Cooper behielt vor allem Kinderman im Auge, dem es immer in den Fingern juckte, eine Palastrevolte anzuzetteln. Oft genug aus reiner Langeweile. Die meisten seiner Kollegen interessierten sich allerdings ausschließlich für den fachlichen Aspekt der Expedition und würden solche Intrigen überhaupt nicht bemerken. Selbst Shephard schien dafür kein Gespür zu haben, und der war immerhin Anthropologe.

Die Expeditionsmitglieder standen im Hafen von Santa Muerte und versuchten, den Moment hinauszuzögern, bis sie ihr Transportmittel betreten mussten.

„Ich dachte mir schon, dass die Reise gefährlich werden könnte“, sagte Biologe Bridges angesichts der ­Anaconda. „Aber so gefährlich?“

Die Holzaufbauten sahen morsch aus, auf den Rumpf waren an mehreren Stellen Metallplatten geschweißt worden. Das feuchtwarme Klima hatte dem Boot schon vor langer Zeit den Krieg erklärt und drohte nun zu gewinnen. Die Anaconda hatte ihre beste Zeit lange hinter sich, aber das galt für jeden Ausrüstungsgegenstand und jedes Besatzungsmitglied an Bord. Alt, müde und verbraucht, erledigten sie ihre Aufgaben mit der geringen Kraft, die sie noch aufbringen konnten. Sie vermittelten den Eindruck, dass sie es zu schätzen wüssten, wenn man sie einfach in Ruhe sterben ließ. Die Expedition hätte ihnen diesen Gefallen gerne getan, denn beim Anblick des Bootes waren viele Teilnehmer zurückgewichen. Doch es gab keine Alternative. Das einzige andere Boot war schon vor Wochen zu einer anderen Reise aufgebrochen, und Cooper wollte nicht auf dessen Rückkehr warten.

„Der Kapitän macht auch keinen besonders zuverlässigen Eindruck“, raunte Cunningham.

Im Gesicht von Kapitän Vasquez gab es keine Regungen zu beobachten. Die gegerbte Haut war straff über den Schädel gespannt und ließ nicht zu, dass er lächelte oder den Mund öffnete. Es hätte Cooper nicht überrascht, wenn es sich bei ihm nicht um einen lebenden Menschen, sondern um eine hölzerne Statue handeln würde. Cooper hatte ausschließlich mit dem Ersten Offizier verhandelt, der Kapitän Vasquez gegen alle äußeren Kontakte abzuschirmen schien. Die beiden waren ein seltsames Paar und unterschieden sich nicht vom Rest der Mannschaft. Der Anthropologe Shepherd konnte bestimmt ­hochinteressante Studien zu diesen Männern anstellen. Bei dem Maschinisten dürften sogar für den Zoologen Levin noch einige Erkenntnisse abfallen.

Der Erste Offizier hatte für die Reise einen hohen Preis ausgehandelt, wobei Dreiviertel der Summe für das hohe Risiko veranschlagt wurden. Angeblich sei noch niemand aus diesem Seitenarm des Flusses zurückgekehrt. Die Einheimischen mieden ihn wie die Pest und erklärten jeden Fremden für verrückt, der dorthin reisen wollte. Aus diesem Grund mussten die Wissenschaftler auch ihre eigenen Träger mitbringen, anstatt sie in Santa Muerte zu rekrutieren.

Ein paar Einheimische hatten von ihrem Reiseziel erfahren und versuchten die ganze Zeit über, den Professoren die Reise auszureden. Allerdings nicht mit Argumenten, sondern mit nackten Tatsachen. Ein alter Mann hob seine beiden Stümpfe anklagend in die Höhe. Die Arme endeten in der Hälfte der Unterarme und sahen nicht so aus, als seien die Wunden durch eine scharfe Klinge verursacht worden. Die Enden waren schief, mit unterschiedlicher Länge und wulstig vernarbt, als habe man die Hände abgerissen oder abgebissen. Eine Frau mittleren Alters entblößte ihre Oberschenkel, die von schlecht verheilten Wunden verunstaltet waren, als sei ihre Haut verätzt worden. Zuletzt trug man einen jungen Mann herbei, dessen obere Gesichtshälfte von eitrigen Geschwüren bedeckt war. Die beiden Mediziner der Expedition, Doktor Charles Webber und sein Assistent Paul Milton, untersuchten fasziniert die präsentierten ­Verstümmelungen. Unter dem Aspekt einer Abschreckung zeigten sie jedoch nicht die geringste Wirkung.

Cooper beruhigte die übrigen Expeditionsmitglieder, die nicht so begeistert von den versehrten Bewohnern von Santa Muerte waren. „Wir haben gleich zwei Mediziner in unseren Reihen. Doktor Webber ist nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, sondern hat sich seine Sporen in einem Feldlazarett im Weltkrieg verdient. Anschließend arbeitete er in einem südamerikanischen Missionskrankenhaus. Sein Assistent Mister Milton gilt trotz seiner Jugend bereits als Spezialist für Infektionskrankheiten. Medizinisch gesehen sind wir also in besten Händen.“

Bis zur Abfahrt untersuchten die beiden Mediziner die unterschiedlichen Verletzungen, während Anthropologe Shephard die Erzählungen und Warnungen der Dorf­bewohner übersetzte. Sie sprachen von Ungeheuern und tödlichen Pflanzen, aber es schien viel mit Aberglauben, heimischer Folklore und überreizter Phantasie zu tun zu haben. Die Vorführung verlor viel von ihrer Glaubwürdigkeit, als die alten Frauen versuchten, ihnen Glücksbringer zu verkaufen und Anhänger, mit denen man die Dämonen des Dschungels nicht vertreiben konnte.

Die Mediziner bestrichen die Geschwüre des Mannes mit lindernder Salbe und hielten es für eine allergische Reaktion, die sie allerdings nicht genauer bestimmen konnten, solange sie den Auslöser nicht kannten.

„Wo sind die beiden Totschläger, Cooper?“, dröhnte Archäologe Cunningham fröhlich.

„Ich nehme doch an, dass sie recht wüste Gesellen zu unserem Schutz engagiert haben?“, sagte Levin.

„Andernfalls müssten wir im Ernstfall hinter Ihrem Wanst Deckung nehmen“, spottete Cunningham gutmütig.

Die Wissenschaftler gingen miteinander um wie die meisten Männergruppen, doch die Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt. Ein guter Beobachter hätte bemerkt, wie manche von ihnen unter dem Spott zusammenzuckten und überlegten, welche versteckte Botschaft hinter dem vordergründigen Scherz verborgen lag. Jede Beleidigung wurde gespeichert und bei passender Gelegenheit doppelt zurückgegeben.

„Solange es nichts zu Erschießen gibt, können sich die beiden auf diesem Kahn ja mit Wasserschöpfen nützlich machen.“

Cunningham wandte sich zu einem jungen Mann, der schweigend neben ihnen Zigaretten auf Vorrat drehte. Der Archäologe runzelte die Stirn, weil er den Mann nicht einordnen konnte. Er sah zu Amerikanisch aus, um ein Träger zu sein, wirkte aber für einen Akademiker zu hemdsärmelig. Vielleicht ein Geologe, dachte Cunningham. Er wusste zwar nicht, was dieser Fachbereich ihnen auf der Expedition nutzen sollte, aber das ging ihm auch bei einigen anderen Kollegen so.

„Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt, Professor ...?“

„Pexton“, antwortete der junge Mann.

„Nun, Professor Pexton ...“

„Ohne Professor.“

„Oh, entschuldigen Sie bitte, Doktor Pexton ...“

„Mister.“

„Wie meinen?“

„Mister Pexton“, erklärte der Mann und grinste. „Und das hier ist mein lieber Kollege Mister Bohannon.“ Er nickte zu dem hageren Mann hin, der ausgestreckt neben ihm lag und einen Hut über sein Gesicht gezogen hatte.

„Darf ich die Herren nach ihrer Profession fragen?“, erkundigte sich Professor Cunningham.

„Profession?“ Pexton hob eine Augenbraue.

„Nun ja, wir haben hier an Bord einen Historiker, einen Zoologen, einen Archäologen, einen Anthropologen und, aus welchen Gründen auch immer, einen Fachmann für mittelalterliche Metaphysik.“

Dr. Kinderman verzog das Gesicht wegen der kleinen Spitze auf seine Kosten. Mit seiner Löwenmähne und dem Vollbart sah der Metaphysiker aus wie der alttestamentarische Gott in jungen Jahren.

„Welches ist Ihr Fachgebiet?“, fuhr Cunningham fort.

„Der Tod“, antwortete Pexton nach kurzem Nachdenken.

„Sie sind Mediziner?“

„Nein.“

„Pathologen?“

„Wir untersuchen den Tod nicht“, sagte Bohannon unter seinem Hut hervor und hob kurz die Krempe. „Wir bringen oder verhindern ihn.“

Pexton betrachtete die verdutzten Gesichter und genoss die Sprachlosigkeit der Professoren und Doktoren. „Man hat uns zu Ihrem Schutz engagiert, meine Herren.“

Für einen Moment herrschte Schweigen.

„Sie sind die angekündigten Revolverhelden?“

Die Wissenschaftler waren etwas enttäuscht vom Anblick ihrer Beschützer. Sie hatten muskelbepackte, vollbärtige Wikinger erwartet, die am ganzen Körper mit Waffen aller Art behängt waren, aber diese beiden Männer sahen erschreckend normal aus. Weder besonders kräftig noch in irgendeiner Form bedrohlich, stattdessen wirkte der Jüngere ausgesprochen fröhlich und sein Partner so entspannt, dass man es ihm glatt als Müdigkeit auslegen könnte.

„Sie sehen ziemlich blass aus, meine Herren“, stellte Kinderman fest.

Pexton nickte. „Das liegt daran, dass wir die letzten vier Monate im nördlichen Kanada zugebracht haben, bei ziemlich schlechtem Wetter.“

„Nun, falls Sie sonst nichts zu tun bekommen, können Sie die Sonne genießen und Ihren Teint auffrischen.“

Cunningham nickte zustimmend. „Sie sind sicher die Einzigen, bei denen sich jeder andere Expeditionsteilnehmer freut, wenn Sie nichts zu tun haben.“

„Ja, es wäre dann bedeutend ruhiger“, meinte Pexton.

Die selbstgerechten, gönnerhaften Wissenschaftler ließen jeden spüren, wie unbedeutend sie alle anderen einschätzten. Einige der Träger und sogar manche Assistenten regten sich über das selbstherrliche Verhalten auf. Aber nicht Bohannon, der sie völlig ignorierte, was wiederum die Wissenschaftler ärgerte.

Shephard übernahm die Aufgabe, den Jägern etwas auf den Zahn zu fühlen. „Mister Bohannon, man sagt Ihnen nach, Sie hätten in diesem Land mehr Menschen auf dem Gewissen als die Malaria.“

Bohannon schien diesen Spruch zu kennen und mochte ihn nicht. „Das ist nur ein Gerücht.“

„Ach ja?“

„Wir haben es selbst in Umlauf gebracht“, erklärte Pexton. „Ist gut fürs Geschäft.“

Ein Dampfsignal von der Brücke aus ließ alle an Bord zusammenzucken, mit Ausnahme der beiden Jäger. Einige der Professoren schwenkten aufgeregt ihre Hüte. Das Abenteuer begann.

Kapitel 2

Der Unterschlupf befand sich in einem ehemaligen Ersatzteillager am Rande des John-F.-Kennedy-Airports. Alle Firmen um das Flughafengelände waren bereits umgesiedelt worden, weil dieses Gebiet demnächst einer Flughafenerweiterung dienen sollte. Das bedeutete, alle Gebäude drum herum würden bald dem Erdboden gleichgemacht werden.

Leila und ich saßen in dem geräumigen Mietwagen und beobachteten seit einigen Stunden das Versteck unserer Gegner.

Robert Linder hatte uns nach New York geschickt, als er von neuen Aktivitäten einer Terrorzelle erfuhr, die bereits seine frühere Organisation überwacht hatte. Viele Jahre hatten die Mitglieder dieser Zelle geruht und mit einem Mal eine geradezu hektische Aktivität entwickelt. Eigentlich gehörte die Abwehr von Terroranschlägen nicht zu unserem Einsatzgebiet, sondern wären auf amerikanischem Boden in die Zuständigkeit des FBI oder der Homeland Security gefallen, doch das Elixier, das in ihren Besitz gelangt war, hatte unser Interesse geweckt. Es sollte einen übernatürlichen Ursprung haben und durfte deshalb nicht in die falschen Hände geraten, zu denen Robert in diesem speziellen Fall eben auch das FBI und Homeland Security zählte. Falls es sich hier tatsächlich um eine übernatürliche Massenvernichtungswaffe handelte, mussten wir uns darum kümmern. Denn für einen solchen Stoff gab es garantiert kein Gegenmittel.

Sobald wir die Existenz eines solchen Kampfstoffes bestätigen konnten, würden wir den Unterschlupf stürmen lassen und das mysteriöse Elixier sicherstellen. Eine Aufgabe für unseren Freund Ryan Reese und seine gerade neu geschaffene Eingreiftruppe. Wie die SWAT-Teams oder deutsche SEK-Einheiten, trainierten sie täglich die Eroberung von besetzten Gebäuden.

Bisher hatten wir durch unsere Überwachung die Stimmen von fünf Personen in dem Unterschlupf identifiziert. Die Männer dort drinnen redeten nicht viel, aber wenn sie es taten, sprachen sie sich mit Decknamen an. ­Ausschließlich Städtenamen. Wir waren uns einig, dass es sich dabei um die Ziele der fünf handelte.

„Wir müssen herausbekommen, wann sie losschlagen wollen, Martin. Damit wir sie vorher schnappen können“, sagte meine Partnerin.

Seit unserem letzten Einsatz auf Helgoland war sie schweigsamer als früher und zeigte auch seltener die fröhliche Unbefangenheit, die ich so an ihr schätzte. Ich wusste, dass Leila in Gedanken immer wieder zu jenem Klippenrand auf Helgoland zurückkehrte, wo sie eine Reihe von Gegnern durch eine gewaltige Energieentladung getötet hatte. Sie musste mir, Robert und Paul ­Seyferd bisher eine Erklärung dafür schuldig bleiben, denn sie konnte sich selbst nicht erklären, was auf der Insel vorgefallen war. Im Angesicht des Todes musste sie Kräfte entfaltet haben, die ihr bisher unbekannt gewesen waren. Ihre Vergangenheit schien mehr Geheimnisse zu bergen, als wir bisher vermutet hatten. Ryan Reese hatte ihr seine Beobachtung während des Vorganges beschrieben, aber diese war nicht dazu geeignet, Leila zu beruhigen. Er hatte auch die Leichen gesehen oder was von ihnen übrig geblieben war. Laura, die Königin der Clowns, hatte den größten Teil der Entladung abbekommen. Oder wie auch immer man es nennen wollte.1

Aus dem meist unverständlichen Gemurmel der Männer stach ein Wort hervor, das wir sofort erkannten. Einer der fünf war mit Frankfurt angesprochen worden. Ich setzte den Tarnnamen auf unsere Liste, auf der bereits Lagos, Mumbai, Peking und Lima standen. Frankfurt sollte also der Angriffspunkt in Europa sein.

Die fünf Terroristen stimmten ein Gemurmel an, das noch unverständlicher war als alles Bisherige. Es erinnerte mich an ein Gebet oder eine Beschwörung, aber es ähnelte keiner Sprache, die wir kannten. Leila und ich sahen uns an, sie zuckte mit den Schultern, und ich war ebenso ratlos. Diese Laute klangen nicht einmal menschlich. Sollte es sich nicht nur um eine übernatürliche Waffe handeln, sondern auch ebensolche Attentäter?

Aber noch etwas wurde uns in diesem Moment bewusst, dies war kein Vorbereitungstreffen. Die Endgültigkeit im Klang des Gemurmels ließ nur den Schluss zu, dass die Umsetzung ihres Plans unmittelbar bevorstand. Heute. Jetzt.

Leila hatte bereits ihre Walther in der Hand und die Fahrertür geöffnet. Ich folgte ihrem Beispiel, gemeinsam liefen wir geduckt zu dem Unterschlupf hinüber. Ich informierte auf dem Weg die Schattenchronik über meine Kragencom und bat um Unterstützung. Natürlich war mir bewusst, dass niemand rechtzeitig eintreffen würde. Aus unserer harmlosen Observierung war ein Zugriff geworden.

Unser Einsatz ging von dem Augenblick an schief, als wir versuchten, Lagos lebend zu fassen. Er trat unmittelbar vor uns aus der Tür und stieß bei unserem Anblick einen Warnruf aus. Anscheinend hatten unsere Gegner dieses Versteck gewählt, weil sich hier niemand sonst aufhielt. Wer es doch tat, so wie Leila und ich, musste also in feindseliger Absicht handeln. Deshalb zögerte Lagos bei unserem Anblick keine Sekunde und zog seine Pistole, eine Mini-MP mit extralangem Magazin. Diese Kerle machten keine halben Sachen. Es gelang Lagos noch, einen einzelnen Schuss abzugeben, der uns weit verfehlte, dann rannte Leila in ihn hinein, stieß ihm ihre Walter in den Bauch und feuerte, während sie ihn rückwärts durch die Tür in den Unterschlupf hineinschob.

Im nächsten Moment befanden wir uns inmitten eines Feuergefechts. Die Salve einer Maschinenpistole knatterte über uns hinweg und stanzte Löcher in die Wand. Leilas Hand mit der Walther zuckte vor, sie trieb den Schützen in Deckung. Ich schwenkte meine Laserwaffe durch den Raum und suchte nach einem Ziel. Es mussten sich noch drei weitere Attentäter in dem Unterschlupf aufhalten. In dem Lager befanden sich nur noch Regale und einige ausgemusterte Maschinenteile, für die niemand mehr Verwendung hatte, die aber im Moment für uns einen unübersichtlichen Hindernisparcours darstellten.

Sie versuchten uns in die Zange zu nehmen, was wir natürlich verhindern mussten. Wenn es ihnen gelang, dass einer von ihnen uns beide festnagelte, während der Rest verschwand, um ihren Plan umzusetzen, hatten wir versagt. In diesem speziellen Fall konnte Versagen den Tod vieler Menschen bedeuten. Wobei wir bisher nur vermuten konnten, was diese Kerle überhaupt planten.

Leila und ich trennten uns vor einem raumteilenden Regal. Ich ging nach links, sie wandte sich nach rechts. Sekunden später kam es zum Feindkontakt. Mumbai näherte sich von links, Lima von rechts. Sie wollten die Sache beenden, bevor noch einer von ihnen ausfiel. Trotz ihrer Entschlossenheit gingen sie sehr vorsichtig vor, denn jeder Gefallene bedeutete eine Stadt oder ein Land weniger auf ihrer Liste.

Als Mumbai vor mir um das Regal bog, warf ich mich auf den Boden und schoss ihm in beide Schienbeine. Er konnte sich nicht länger auf den Beinen halten und fiel flach auf den Boden.

Trotzdem beharkte er mit seiner MP die Strecke zwischen uns. Ich rollte mich unter einem Regal hindurch und kam auf der anderen Seite wieder auf die Beine, da die Querschläger in alle Richtungen waagrecht über den Betonboden davonsausten. Ich streckte meinen Arm durch das Regal und schoss ein drittes Mal, um ihn auszuschalten.

Bei einer solchen Übermacht und der Bedrohung, um die es ging, schossen wir nicht, um zu verwunden. Wir mussten unsere Gegner schnell und endgültig ausschalten, denn selbst wenn keiner von ihnen in ein Flugzeug gelangte, befanden wir uns hier sehr dicht an einem der größten Flughäfen der Welt.