Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 12: Die Barriere bricht - Andreas Zwengel - E-Book

Schattenchronik - Gegen Tod und Teufel 12: Die Barriere bricht E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Die Grenze zwischen unserer Welt und dem Jenseits ist brüchig geworden. Der negative Einfluss nimmt zu. Nur Mick Bondye und Cassandra Benedikt stehen zwischen der Menschheit und der Bedrohung aus der anderen Ebene. Die Agenten der Schattenchronik kämpfen auf beiden Seiten der Grenze um ihr Leben und um die Existenz der bekannten Welt.

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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 12

In dieser Reihe bisher erschienen:

2901 Curd Cornelius Die andere Ebene

2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee

2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald

2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen

2905 Curd Cornelius & G. G. Grandt Killerkäfer im Westerwald

2906 Andreas Zwengel Die Stadt am Meer

2907 Michael Mühlehner Gamma-Phantome

2908 Curd Cornelius & A. Schröder Dunkles Sauerland

2909 Andreas Zwengel Willkommen auf Hell-Go-Land

2910 Andreas Zwengel Tempel des Todes

2911 Andreas Zwengel Flussvampire

2912 Andreas Zwengel Die Barriere bricht

2913 Andreas Zwengel Die vier Reiter der Hölle

2914 Michael Mühlehner Der Voodoo-Hexer

Andreas Zwengel

DIE BARRIERE BRICHT

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-558-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Der Barkeeper hörte sich die Geschichte des nervösen, kettenrauchenden Walter Hollenbeck an und hätte ihm gerne ein paar beruhigende Worte mitgegeben. Aber was konnte man zu einem Mann sagen, der vor wenigen Stunden durch ein Fenster im zweiten Stock seiner Bonner Firma geflogen war? Vielleicht Glückwünsche zu seiner sicheren Landung, nachdem ein Baum seinen Fall gebremst hatte. Oder Mitgefühl zeigen, weil er sich vom untersten Ast aus direkt vor einen fahrenden Ferrari fallen ließ. Schadenfreude, weil der Ferrari seinem verhassten Stiefsohn gehörte, und dieser ihn vor Schreck gegen einen der steinernen Blumenkästen setzte, die den Parkplatz für Führungskräfte einrahmten. Besorgnis, weil sein Stiefsohn auch sein Chef war. Respekt, weil er mit der Mutter des Chefs schlief. Mitleid, weil dies auch alle anderen taten. Möglicherweise sollte man auch einfach die Klappe halten und dem Mann weiter nachschenken.

Hollenbeck warf den Kopf in den Nacken und hätte den Schnaps um ein Haar an seinem Mund vorbei gekippt. Er hatte bereits mehr als genug getrunken, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, die Erinnerung an die Szene auf dem Parkplatz auszulöschen.

Die neugierigen Angestellten hatten sich schnell verabschiedetet, als der Mann, der dreiundfünfzig Prozent der Aktien von Moeller Enterprises hielt, einen Baseballschläger vom Rücksitz nahm und die Tür des ruinierten Sportwagens aufstieß. Die weiteren Ereignisse konnten sie viel ungefährdeter am nächsten Morgen aus der Zeitung erfahren.

Dieser dramatischen Begegnung auf dem Parkplatz waren fünf Jahre vorausgegangen, in denen sich Walter Hollenbeck in der Forschungsabteilung der Firma nach oben arbeitete, nachdem er die frisch verwitwete Frau des Firmengründers geheiratet hatte. Eine Leistung, die ihm bis heute noch Rätsel aufgab. Die Beweggründe seiner Frau waren ihm schleierhaft geblieben. Nur, dass es nichts mit Liebe zu tun hatte. Das war ihm schnell klargeworden.

Wie viele seiner Kollegen arbeitete auch er intuitiv. Oft entdeckte man bei der Suche nach einer bestimmten Sache etwas völlig anderes, wie beispielsweise Kolumbus einen ganzen Kontinent. Oder Wissenschaftler entwickelten auf der Suche nach einem Impfstoff einen bakteriologischen Kampfstoff. Andererseits fielen bei der militärischen Weiterentwicklung manchmal auch ein paar Happen für die Allgemeinheit ab, so geschehen beim Internet. Vielleicht entdeckte man schon morgen, auf der Suche nach einem Insektizid, das endgültige Heilmittel gegen Krebs?

So ging es auch Hollenbeck im Untergeschoss von Moeller Enterprises. Er machte eine zufällige Ent­deckung, entwickelte darauf basierend ein Konzept, baute in ungezählten Nächten einen Prototyp und marschierte damit ins Büro seines Chefs-Schrägstrich-­Stiefsohns. Naiv? Ganz sicher. Heute plagten ihn nachträglich noch Magenkrämpfe, wenn er an seine Sorglosigkeit zurückdachte. Doch damals war er so im Rausch seiner Entwicklung gefangen gewesen, dass er keinen Gedanken an die Zukunft verschwendete. Schließlich ist der Erfinder nicht dafür verantwortlich, was andere mit seiner Erfindung anstellen. Aber erzählt das mal Otto Hahn.

Als Hollenbeck endlich zur Vernunft kam, schrieb er seine Bedenken nieder und übergab sie seinem Stiefsohn Steven persönlich, der ihm im Gegenzug seine Entlassungspapiere reichte. Hollenbeck hatte von da an keinen Zugang mehr zu seinem Labor. Alle Papiere über die Entwicklung, die Forschungsberichte, Dutzende von Dateien, alles futsch.

Seine Frau wollte sich das Problem nicht einmal anhören, sondern befahl ihm, sich in seinen Bereich der Villa zu verziehen, weil sie bald Herrenbesuch erwartete.

Hollenbeck versuchte, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, doch Stevens Anwälte waren schneller. Ein hausinternes Memorandum bezeichnete ihn als Störenfried, der wegen schlechter Leistung und mangelnder Kompetenz entlassen worden war und nun versuchte, der Firma zu schaden. Seine Kollegen wussten es natürlich besser, aber sie mussten Familien versorgen und einen Sportwagen oder ein Haus abbezahlen. Wer Äußerungen jeglicher Art zu Hollenbecks Gunsten machte, war in der Firma und möglicherweise auch in der Branche erledigt, so lautete die unmissverständliche Botschaft. Ihm selbst drohte man eine Millionenklage an, wenn in den Medien auch nur ein einziges Wort über diese Geschichte ­erscheinen würde, da es sich angeblich um den Missbrauch von Firmengeheimnissen handeln würde.

Am Tag seines Fenstersturzes hatte Hollenbeck einen letzten verzweifelten Versuch unternommen, an seine Unterlagen zu gelangen. Im Verlauf der handgreiflichen Auseinandersetzung mit zwei Mitgliedern des Wachschutzes war er dann vor dem Wagen seines ehemaligen Arbeitgebers gelandet, der sichtlich versucht war, ihm den Schädel einzuschlagen oder wenigstens etwas zu brechen. Nur dem beherzten Eingreifen von Stevens Assistentin, die ihn vor den möglichen Folgen für die Firma und seine Person warnte, war es zu verdanken, dass Hollenbeck mit heiler Haut davonkam.

Er winkte dem Barkeeper und deutete auf sein leeres Glas.

Der Mann kam betont langsam und füllte das Glas nur zur Hälfte. „Letzte Runde. Nur zu Ihrem Besten.“

Hollenbeck nickte, trank aus und bezahlte. Es gab keinen Grund, dem Mann zu widersprechen. Er ließ sein Auto stehen und nahm ein Taxi, weil er die Erniedrigung einer Alkoholkontrolle nicht ertragen würde.

Gedemütigt kehrte er in die Villa seiner ungeliebten Frau am Stadtrand von Bonn zurück und schloss sich in sein Schlafzimmer ein. Sie schliefen schon lange in getrennten Zimmern. Mit der Verachtung seiner angeheirateten Familie hätte er leben können, aber nicht ohne seine Arbeit. Das wurde ihm rasch und sehr schmerzlich bewusst. Die Bedeutung von Arbeit oder überhaupt einer sinnstiftenden Tätigkeit für das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl konnte gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Natürlich war von außen betrachtet der Gedanke reizvoll, den ganzen Tag auszuspannen, aber die meisten Menschen werden nach einer Woche Urlaub schon unruhig. Bei Interviews mit Langzeitarbeitslosen wird oft von ihnen beklagt, dass sie viele Freunde verloren haben. Dies hat meist nicht mit einem gesellschaftlichen Abstieg zu tun oder fehlendem Geld, um in der Kneipe Runden zu geben und Fußballspiele besuchen zu können. Es fehlte einfach das verbindende Glied der Arbeit. Wie oft erzählt man anderen Menschen von seinem Beruf und sei es nur, um über ihn zu klagen.

Hollenbeck legte auf das Gemeinschaftsgefühl mit ­Kollegen wenig Wert, denn er hatte meist alleine in ­seinem Labor gearbeitet, aber er brauchte das Wissen, etwas zu leisten. Allerdings sorgte sein rachsüchtiger Stiefsohn mit seinen Verbindungen dafür, dass Hollenbeck trotz ­seiner Qualifikationen in der Branche zur Persona non grata wurde. Dies führte schließlich zum völligen Absturz. ­Hollenbeck versuchte dreimal, sich umzubringen, und scheiterte jedes Mal. Es war nie seine Schuld gewesen, er war beherzt an die Sache herangegangen, aber gegen höhere Gewalt war er machtlos. Womit er die Naturgewalt meinte, denn er glaubte nicht an ein höheres Wesen und daran, dass es einen Finger krumm machen würde, um gerade ihn zu retten. Beim letzten Mal war es ein Blitz, der ins Verteilerhäuschen vorm Haus einschlug, gerade als er in der Badewanne den Fön einschalten wollte. In der Dunkelheit fand er auch die Rasierklinge nicht, die er für Notfälle ­bereitgelegt hatte. Vorsichtig fuhr er über den Beckenrand, um die Klinge zu ertasten, ohne sich daran zu schneiden. Als ihm die Absurdität dieser Bedenken angesichts seiner weiteren Pläne bewusst wurde, wischte er mit einer schnellen Bewegung über den Rand und die Klinge dadurch auf den Badezimmerboden. Fluchend erhob er sich aus dem angenehm heißen Wasser und setzte nacheinander beide Fußsohlen auf die kalten Fliesen. Er fand die Klinge, als sie seinen linken großen Zeh der Länge nach aufschlitzte. In diesem Moment ging das Licht wieder an, und er konnte sich in dem dreiteiligen Badezimmerspiegel beobachten, wie er eine recht eigenwillige Interpretation von Chuck ­Berrys Dogwalk aufführte und dabei Blutspritzer in großen Klecksen auf dem weißen Dekor verteilte. Sein Geschrei rief das ganze Haus zusammen.

Leider glaubte niemand, dass es ihm mit dem Selbstmord ernst gewesen war. Seine Frau hielt es für einen Hilferuf und drängte ihm professionelle Unterstützung auf, die er nicht wollte. Ihr Anliegen bestand hauptsächlich darin, nicht eines Tages eine Leiche in ihrem Haus vorzufinden, und sei es durch einen versehentlichen Selbstmord. Also beschaffte sie ihm einen Therapeuten und zwei Pfleger, die ihn nicht aus den Augen ließen. Ständig sollte er über Probleme reden, die er einfach nicht hatte. Zumindest keine der Art, die sie erwarteten und bei denen sie ihm vielleicht sogar tatsächlich hätten helfen können. Er wollte einfach nur sterben.

Doch dieser Plan war nun nicht mehr umzusetzen, denn sie überwachten ihn. Alle seine Beteuerungen wurden einfach überhört. Wenn er wütend wurde, begegneten sie ihm mit Verständnis. Keiner von ihnen ließ sich provozieren, so als hätten sie gemeinsam einen Kurs absolviert, der dieses Verhalten trainierte. Alle wollten mit ihm reden. Ständig. Nie über etwas Interessantes. Als gäbe es im Zusammenhang mit ihm nur noch dieses eine Thema. Sie wollten von ihm wissen, was so einschneidend gewesen war, um ihn zu diesem Hilfeschrei zu veranlassen. Wohlgemerkt, nicht zu dieser Tat.

Sollte man dabei nicht gerade mit ihm über andere Dinge reden? Etwas Amüsantes. Lebensbejahendes. Wie auch immer der Kurs hieß, den sie gemacht hatten, er taugte nicht viel.

Hollenbeck sah ein, dass seine einzige Chance auf Selbstmord darin bestand, zuerst alle anderen um sich herum zu töten.

Und dann war da plötzlich diese Stimme in seinem Kopf, die sagte: Ich kann dir helfen.

Walter Hollenbeck erwachte nackt zwischen den Bäumen hinter der Villa. Er hatte keine Erinnerung daran, wie er dorthin gekommen und wo seine Kleidung geblieben war. Das Letzte, an das er sich erinnerte, war die unheimliche Stimme, die plötzlich zu ihm sprach. Er war also endlich verrückt geworden. Wurde auch Zeit.

Kapitel 2

Cassandra Benedikt fand seit Tagen keinen ruhigen Schlaf mehr. Eine Woche lagen die Ereignisse von Köln nun zurück, und Cassy grübelte immer noch über das, was sie dort über sich erfahren hatte. Als hätte die Begegnung mit Esomso einen Schalter in ihr umgelegt, wurde sie seitdem von wirren Träumen gequält, bei denen sie fürchtete, es könne sich um Erinnerungsfetzen handeln. Sie hatte das Gefühl, einiges davon müsse ihr bekannt vorkommen, auch wenn es wie die Phantasien einer Wahnsinnigen wirkte.

Seit Helgoland quälten sie Visionen, die manchmal wie Erinnerungen wirkten. Wie Flashbacks, die sich in ihr Bewusstsein drängen wollten. Noch beunruhigender war der Einsatz in Köln gewesen, als sie das Leck im Dom geschlossen hatte. Auch dort hatte sie mehr Kraft eingesetzt, als ihr eigentlich zur Verfügung stehen dürfte, und Esomso hatte gewusst, dass sie diese Macht besaß. Nach Köln hatte Cassy sich im Labor des Stützpunktes einigen Tests unterziehen lassen, um diesen stärkeren Fähigkeiten auf die Spur zu kommen. Aber sie waren ergebnislos geblieben. Sie glaubte nicht, bisher auch nur in Ansätzen solche Macht verspürt zu haben. Warum hatte es so lange gedauert, bis sich diese Fähigkeiten in ihr regten? Oder hatte es mit Esomsos Erscheinen zu tun? Es war eine naheliegende Vermutung, dass der Silberne dahintersteckte.

Die Eröffnung, dass sie sich damals nahegestanden hatten, war für sie eine größere Überraschung und gleichzeitig ein noch größerer Schock gewesen als ihre neugewonnenen Kräfte. Bisher war sie davon ausgegangen, dass sie die sieben Jahre in der Gruft in einer Art Koma verbracht hatte und deshalb keine Erinnerung an diese lange Zeit habe. Doch wenn es stimmte, was Esomso angedeutet hatte, musste sie diese Zeit auf der anderen Ebene bei vollem Bewusstsein durchlebt haben. Ihre größte Sorge betraf ihre Veranlassung, die Erinnerung an diese Zeit von Esomso löschen zu lassen. Sie fürchtete, dass der Grund dafür schwerwiegender war, als nur der Wunsch, das Verhältnis zueinander zu vergessen. Seit Köln quälte sie sich mit diesen Gedanken herum, weshalb sie momentan dringend etwas Abstand zur Schattenchronik brauchte. Sie hatte sich in ein abgelegenes Hotel zurückgezogen, das trotz seiner Lage groß genug war, um Anonymität zu garantieren.

Als es langsam hell wurde, stand Cassy auf und ging ins Bad. Auf dem Weg schaltete sie den Fernseher ein, um die erdrückende Stille zu durchbrechen. Sie betrachtete sich im Spiegel und dachte an ihr jüngeres Ich, vor der Zeit in der Gruft. Die unscheinbare, etwas übergewichtige Cassandra, die einen Vampir anhimmelte, seit sie ihm als Kind begegnet war. Seinetwegen wurde sie sogar Polizistin bei New Scotland Yard. Es war ihr nie seltsam vorgekommen, dass sie nach sieben Jahren der Gruft als schlanke, langmähnige Schönheit entstiegen war. Bis heute. Das größte Geheimnis ihres Lebens, und sie hatte keine Ahnung, wie sie es lösen sollte.

Cassy hörte den Fernseher und erkannte die inzwischen vertraute Stimme von Sandra Bensdorf, die den Sprung von ihrer Internetplattform auf die Fernsehbildschirme geschafft hatte und momentan in zahlreichen Formaten als Expertin für die Ereignisse in Köln und auf Helgoland gehandelt wurde. Auf der Insel schien alles wieder seinen normalen Gang zu gehen. Spezialeinheiten der Polizei hatten die gesamte Insel abgesucht, um auch noch den letzten Clown aufzuspüren. Zwei Tage später wurde die Insel offiziell für clownfrei erklärt und am nächsten Tag durften Bewohner und Touristen wieder zurückkehren. Nicht alle nahmen das Angebot sofort in Anspruch, aber viele wollten den entstandenen Schaden begutachten. Am folgenden Tag kehrten die Bäderschiffe zurück. Ähnliches galt für Köln. Doch an beiden Orten hatte es unzählige Tote gegeben und deren Hinterbliebene verlangten nach Antworten, die ihnen niemand geben konnte oder wollte. Niemand außer Sandra Bensdorf.

Auf ihrem Blog INSIDER gab es tägliche neue haarsträubende Theorien über die Hintergründe und auch Berichte darüber, wie die Ereignisse die Orte verändert hatten. Auf Helgoland hatte sich inzwischen der größte Klub von deutschen Clown-Phobikern gegründet, und es wurde ein jährlicher Feiertag geplant, an dem Hunderte von Clownspuppen verbrannt werden sollen. Wie Köln mit den Ereignissen umgehen würde, musste sich erst noch zeigen. Die Riesenwürmer auf der Sauerlandlinie hinterließen am Ort des Geschehens keinerlei Spuren. Die hessischen Siegerländer waren froh, noch mal mit dem Schrecken davon gekommen zu sein.

Frustriert schlug Cassy mit der Faust auf den Rand des Waschbeckens, sofort sprühten knisternde Funken umher. Gleichzeitig erlosch das Licht in dem fensterlosen Badezimmer, der Fernseher nebenan verstummte.

Kapitel 3

Die Porta Nigra stand bedrohlich vor einem dunkelblauen Gewitterhimmel. Der verwitterte Sandstein wirkte abweisend, trotzdem übte das ehemalige Stadttor einen magnetischen Einfluss auf Trierbesucher aus. An diesem Tag mussten sich die Touristen jedoch darauf beschränken, die Sehenswürdigkeit von den Polizeiabsperrungen aus zu betrachten.

Mick Bondye zeigte dem Mann im Kassenhäuschen einen Ausweis, der ihn als Berater der Polizei auswies. Ein neuer Status nach den zurückliegenden Ereignissen, nachdem sich die Schattenchronik auch in den Augen der Behörden bewährt hatte. Er wurde in einen separaten Raum geführt, in dem man die jüngste Leiche aufgebahrt lag. Ein junger Mann aus Rio de Janeiro, noch keine zwei Stunden tot. Ein gewaltiger Bluterguss bedeckte seinen Oberkörper. Pechschwarz. Nicht wie bei einem Menschen mit dunkler Hautfarbe, sondern wie eine Marmorbüste. Völlig unnatürlich, wenn man den Anblick nicht gewöhnt war.

Drei Tote in drei Tagen hatte es gegeben, ohne jede Beziehung zwischen den Opfern. Sie kamen aus drei unterschiedlichen Ländern und waren sich wahrscheinlich nie zuvor begegnet. Ein Japaner, ein Franzose und ein Brasilianer. Mick kannte schlechte Witze, die so begannen.

Laut Polizeierkenntnissen hatte keiner der drei unter Depressionen gelitten oder in der Vergangenheit Selbstmordgedanken geäußert. Es waren völlig normale, ausgeglichene Männer gewesen, die ihren Urlaub mit ihren Familien genossen. Sie besaßen weder finanzielle Sorgen noch private Probleme. Keiner dieser Männer hätte einen Grund gehabt, sich umzubringen.

Es gab genug Zeugen, um eine Fremdeinwirkung auszuschließen. Unzählige Touristen hatten an den jeweiligen Tagen beobachtet, wie die Männer aus den Fensteröffnungen kletterten und in die Tiefe sprangen. Es gab sogar mehrere Videos, die den gesamten Ablauf dokumentierten.

Die örtliche Polizei war ratlos, deshalb hatte sich die Schattenchronik angeboten. Doch kaum hatte sich Mick Bondye an diesem Morgen auf den Weg gemacht, erreichte ihn die nächste Hiobsbotschaft. Ein weiterer Mann war gesprungen, doch diesmal handelte es sich nicht um einen Einzelfall. Mehrere andere Menschen waren überall an den Fenstern des historischen Bauwerkes aufgetaucht und drohten zu springen.

Mick hatte auf der Fahrt nach Trier mit dem zuständigen Polizeibeamten telefoniert, der mehr als skeptisch reagierte. Eindringlich versuchte Mick, den Mann davon zu überzeugen, Abstand zu bewahren. „Wir müssen davon ausgehen, dass sich Menschen von einer auf die andere Sekunde irrational verhalten. Es gibt keine Anzeichen, an denen man sie erkennt. Seien Sie auf der Hut.“

„Was sollen wir tun, wenn wir jemanden entdecken, der springen will?“

„Halten Sie Abstand und beobachten Sie nur.“

„Wir sollen nichts unternehmen, wenn jemand springen will?“

„Wir wissen nicht, wie die Betroffenen reagieren. Sie könnten angreifen oder ihre Helfer mit in den Tod ziehen. Deshalb ist Vorsicht geboten.“

„Na ja, also ...“

„Glauben Sie mir, Sie haben noch nichts Vergleichbares erlebt. Sie können diese Leute nicht mit anderen Personen vergleichen, mit denen Sie zu tun hatten.“

Mick brauchte das Gesicht des Polizisten nicht zu sehen, um zu wissen, dass der ihm nicht glaubte und wohl dachte, sein Besucher würde maßlos übertreiben, um sich wichtig zu machen. Mit Worten würde Mick die Polizisten nicht überzeugen. Sie mussten es selbst erleben. Aber genau das wollte der Voodoo-Vampir verhindern.

Bereits bei Micks Ankunft gab es Gemurmel unter den anwesenden Beamten. Den Einsatz in Köln hatte man versucht, so gut wie möglich zu vertuschen, doch Gerüchte über Vampire und eine riesige Fledermaus waren trotzdem in Umlauf gelangt. Einige verwackelte Handyvideos wurden von offizieller Stelle nicht ­kommentiert. Was aber von keiner Stelle bestritten wurde, war, dass bei der Zusammenarbeit mit dieser Abteilung die üblichen Regeln der Polizeiarbeit sehr großzügig ausgelegt wurden. An erster Stelle stand die Anweisung, die Leichen unberührt an Ort und Stelle zu belassen, bis ein Mitarbeiter der Schattenchronik sie untersucht hatte.

Mick lernte den Mann zur Stimme kennen. Kommissar Bock war ein unauffällig aussehender und gemütlich agierender Mann Mitte Fünfzig, der den Eindruck machte, nur schwer aus der Ruhe zu bringen zu sein. Doch die Situation, mit der er hier konfrontiert wurde, erschien ihm ebenso suspekt, wie der Kollege, der ihm zur Unterstützung geeilt war.

„Erkennen Sie etwas Besonderes an dem Opfer?“, fragte Bock ohne Spott, sondern mit ernstgemeintem Interesse. Anscheinend war der Kommissar aufgeschlossener, als ihm selbst bewusst war.