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»Ich werde herausfinden, welches Geheimnis dich zu mir geführt hat«, murmelt die alte Gräfin Cronswald entschlossen, während sie zum wiederholten Mal die verblassten Familienfotos durchsieht.
Doch auch diesmal findet sie keinen Hinweis darauf, wer die schöne Fremde ist, die vor einigen Wochen unangemeldet mit ihrem Baby ins Schloss gekommen ist, um - wie sie vorgibt - Gräfin Herlinde beim Verfassen der Familienchronik zu helfen.
Im ersten Moment hat Herlinde gespürt, dass Olivia Marthen etwas zu verbergen hat, und dieser Verdacht hat sich in den letzten Tagen immer mehr verdichtet.
Während die alte Dame einen Detektiv mit den Nachforschungen betraut, bemerkt sie nicht, dass ihr von ganz anderer Seite Gefahr droht: Anja und Martin von Erblach, Herlindes einzige Erben, planen einen Anschlag, der vernichtend sein soll. Denn niemals darf die Gräfin erfahren, wer jene bezaubernde Fremde ist ...
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Seitenzahl: 92
Cover
Wer bist du, schöne Unbekannte?
Vorschau
Impressum
Wer bist du, schöne Unbekannte?
Roman um ein ungewöhnliches Frauenschicksal
Von Birke May
Ich werde herausfinden, welches Geheimnis dich zu mir geführt hat«, murmelt die alte Gräfin Cronswald entschlossen, während sie zum wiederholten Mal die verblassten Familienfotos durchsieht.
Doch auch diesmal findet sie keinen Hinweis darauf, wer die schöne Fremde ist, die vor einigen Wochen unangemeldet mit ihrem Baby ins Schloss gekommen ist, um – wie sie vorgibt – Gräfin Herlinde beim Verfassen der Familienchronik zu helfen.
Im ersten Moment hat Herlinde gespürt, dass Olivia Marthen etwas zu verbergen hat, und dieser Verdacht hat sich in den letzten Tagen immer mehr verdichtet.
Während die alte Dame einen Detektiv mit den Nachforschungen betraut, bemerkt sie nicht, dass ihr von ganz anderer Seite Gefahr droht: Anja und Martin von Erblach, Herlindes einzige Erben, planen einen Anschlag, der vernichtend sein soll. Denn niemals darf die Gräfin erfahren, wer jene Fremde ist ...
Die drei festlich gekleideten Menschen, die auf der Freitreppe des Jagdschlösschens Cronswald standen, sahen sich in diesem Augenblick fast ähnlich. Ihre Gesichter hatten den gleichen misstrauischen Ausdruck. Ihre Haltung und Blicke verrieten Abwehr.
Denn was da auf das Schloss zukam, war nicht der erwartete Männerchor aus dem nahen Städtchen, sondern eine blonde junge Frau, die einen Kinderwagen schob.
Martin von Erblach fasste sich zuerst. Er kniff die dunklen Augen zusammen und meinte mit zynischem Lächeln: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich unsere liebe Herlinde an ihrem siebzigsten Geburtstag eine solche Gratulantin wünscht.«
Seine Frau Anja, eine blutarme, knochige Person, sah schnell zu der Schlossherrin hinüber und zischelte: »Sie gehört wohl kaum zu der Feier, die hier heute stattfinden soll.«
Und wieder richteten sich aus drei Augenpaaren die Blicke scharf und wachsam auf die Frau, die sich auf der sonnenüberstrahlten Allee näherte.
Martin von Erblach reckte sich etwas. Er versuchte, heimlich einen Blick in den Kinderwagen zu werfen. Doch der braune Koffer darauf verwehrte ihm dies.
»Sie haben sich wohl in der Adresse geirrt, junge Frau. Dies hier ist Privatbesitz und kein öffentlicher Park.«
Das blonde Unbekannte sah mit einem schlecht zu deutenden Lächeln zu den dreien und schüttelte sanft den Kopf.
»Ich möchte nach Cronswald«, erklärte sie.
»Cronswald liegt dort drüben«, verwies sie Anja von Erblach und deutete kurz nach Westen.
Die Fremde hatte den Blick auf die zierliche alte Dame geheftet, die zwischen Anja und Martin von Erblach stand, mit den schimmernden weißen Löckchen, in dem zartgrauen Kleid aus Spitzen und Chiffon.
»Sie müssen Gräfin Cronswald sein«, stellte noch Namenlose nun mit einer so freundlichen Sicherheit fest, dass Martin von Erblach zornig zu ihr hinabfunkelte.
»Und wer sind Sie?«, fragte Herlinde Gräfin Cronswald.
»Mein Name ist Olivia«, stellte sich die junge Frau vor. Sie lächelte noch immer, doch nicht unterwürfig, sondern stolz.
»Und wie weiter?«, drängte Martin von Erblach in hochmütigem Ton.
Nur kurz zögerte sie. Dann hob sie den Kopf und erklärte: »Ich heiße Olivia Marthen und suche hier Arbeit.«
»Wir haben im Schloss genug Personal«, behauptete Martin von Erblach.
»Außerdem wünscht die Gräfin keine Fremden um sich«, fügte seine Frau hinzu.
»Wer hat Sie zu mir geschickt?«, wollte Gräfin Cronswald wissen.
Olivia sah über den Koffer hinweg in das Innere des Wagens – und dann, wie im jähen Entschluss, wieder fest und offen in die Augen der alten Dame.
»In der Stadt möchten wir nicht leben – mein kleiner Valentin und ich«, antwortete sie. Ihr Gesicht zeigte eine gewisse Spannung, als sie die alte Dame nicht aus den Augen ließ. »Und da ich hörte, dass Sie sich mit der Absicht tragen, die Familiengeschichte der Cronswald aufzuschreiben, hoffte ich, bei Ihnen Arbeit zu finden – und gleichzeitig die Möglichkeit, für das Kind mehr Zeit zu haben.«
Kaum hatte Olivia zu Ende gesprochen, da lachte Martin von Erblach hart und böse auf. Abrupt verließ er seinen Platz an Herlindes Seite und schritt würdevoll die Stufen hinab. Mit einem einzigen Blick wollte er dieses aufdringliche Geschöpf bis hinter die Parkmauer zurückscheuchen.
Stattdessen war er es, der unter dem Blick ihrer meergrünen Augen unsicher und verlegen wurde.
»Martin!«, rief Anja ihren Mann mit schriller Stimme zurück. Doch er blieb auf der untersten Stufe stehen und sah Olivias amüsiertes Lächeln.
»Komm sofort zurück!«, verlangte Anja. Ihr spitzes Gesicht war rot geworden. Sie machte nun keinen Hehl mehr aus ihrer Abneigung. »Kommt mit einem Kind daher und sucht hier Arbeit! Man sollte es dem Jugendamt melden!«
Wie ein Maunzen tönte es da kurz aus dem Kinderwagen. Während sich Olivia vorbeugte und liebevoll ins Wageninnere lächelte, hatte sich Gräfin Herlinde mit einem Ruck von Anjas Hand befreit und ging leicht und behände die vielen Stufen hinab, schob Martin von Erblach unsanft zur Seite und sah lange gedankenvoll in grünen die Mädchenaugen, ehe sie sich dem Kinderwagen zuwandte.
»Der Kleine wird Hunger haben und trockene Windeln brauchen. Und Sie haben keinen Menschen, dem Sie Ihr Kind anvertrauen können?«, erkundigte sie sich.
»Er gehört zu mir, Gräfin«, erwiderte Olivia.
Das schien Herlinde nicht zu beeindrucken. Streng prüfte ihr Blick die Fremde. Sie war wirklich auffallend hübsch, sauber und modisch gekleidet. Um den Hals schimmerte silbern ein Kettchen mit einem winzigen Brillant. Darauf heftete die Gräfin ihren Blick so lange, bis auch Anja von Erblach am Fuß der Freitreppe angelangt war und atemlos zischte:
»Schick sie fort! Schnell! Der Chor kommt schon durchs Parktor. Willst du deinen Gästen ein so lächerliches Schauspiel bieten – mit diesem hergelaufenen Mädchen und ihrem Kind, meine liebe Herlinde?«
Die ›liebe Herlinde‹ hatte kurz ein Funkeln in den Augen. Nur zögernd trat sie zur Seite und bestimmte dann in herrischem Ton: »Martin, du bringst die beiden ins Schloss und sorgst dafür, dass es ihnen an nichts mangelt.«
Sie nickte kurz zu Olivia hin und wandte sich dann ab.
»Wenn Sie meinen Koffer tragen, komme ich mit dem Kinderwagen schneller außer Sichtweite«, wandte sich Olivia an Martin von Erblach.
Ehe sich der Mann von diesem Schock erholt hatte, wurde ihm schon der schwere Koffer in die Hand gedrückt.
Olivia hatte den Wagen in die Richtung gewendet, die der Mann mit dem Koffer hastig eingeschlagen hatte. Lächelnd folgte sie ihm, ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, auch nicht durch die herablassende Art, in der er sie der Obhut eines alten Dieners überließ.
»Ich heiße Olivia Marthen«, sagte sie freundlich zu dem Diener.
»Man nennt mich Johann«, gab er mit brüchiger Stimme Auskunft.
»Kommen Sie mit in den Nebentrakt, wo das Personal schläft, isst und sich in der freien Zeit aufhält. Es sind nicht mehr viele Bedienstete im Schloss. Wir brauchen kaum noch Personal, seit ...« Er verstummte, gab auch auf dem Weg durch dämmrige Gänge und Hallen keine Erklärung mehr ab.
Als sie dann in einen großen, hellen Raum kamen, sah sie sich sichtlich erfreut um.
»Schön haben Sie es hier, Johann«, meinte sie anerkennend. »Hoffentlich kann ich eine Weile hierbleiben«, fügte sie hinzu.
»Das Baby ... wir sind nicht darauf eingerichtet«, sagte Johann und schielte verlegen zum Kinderwagen.
»Ich hoffe, Valentin verhält sich ruhig, bis entschieden ist, ob wir zwei bleiben dürfen oder nicht«, erwiderte sie, seufzte vernehmlich und ließ sich auf die mit bunten Kissen bedeckte hölzerne Eckbank nieder.
»Sie – Sie haben einen langen Weg hinter sich, Frau Marthen?«
»Ja, einen unendlich langen Weg. Doch ich bin froh, dass ich nun hier bin!«
♥♥♥
Von dem festlichen Geburtstag der Schlossherrin bekam Olivia nicht viel mit.
Gräfin Cronswald ließ sich an diesem Tag nicht mehr sehen. Es war eine mollige alte Frau, die Olivia und den kleinen Valentin später ins Dachgeschoss des Nebentraktes brachte und ihnen ein geräumiges, helles, praktisch möbliertes Zimmer anwies.
»Und wenn ich nun nicht bleiben darf?«, fragte Olivia.
»Das wird die Herrin morgen entscheiden. Heute muss sie sich ihren Gästen widmen, die anscheinend tagelang nichts zu sich genommen haben, um hier umso mehr verschlingen zu können«, gab die Alte in brummigem Ton zur Antwort. »Und wenn sie alle satt sind, so hat die Herrin noch lange keine Ruhe. Die wird sie wohl nie mehr haben, solange ...« Erschrocken hielt sie inne und sah zu der jungen Frau hin. »Ich bin die Magda«, lenkte sie verlegen ab.
Freundlich lächelnd blickte Olivia zu der alten Frau hin – ohne zu ahnen, dass sie mit diesem einzigen Blick schon Magdas Herz gewonnen hatte.
»Wenn Sie noch was brauchen ...«, murmelte Magda.
»Danke, ich habe bei mir, was Valentin heute braucht. Und wie es weitergehen wird, werden wir ja morgen erfahren. Was meinen Sie, Magda? Können Sie ein gutes Wort für uns einlegen?«
»Brauchen Sie das denn? Sie sehen nicht aus wie eine, die bisher hat arbeiten müssen, um sich und ihren kleinen Bruder durchzuschlagen.«
»Valentin ist mein Sohn«, erklärte Olivia so stolz und glücklich, dass es der alten Frau für Sekunden den Atem verschlug.
»Ihr – Ihr Sohn?«, wiederholte sie stammelnd. »Ja dann«, sagte sie leise, und es blieb offen, was diese beiden Worte zu bedeuten hatten.
♥♥♥
»Du kannst diese Person unmöglich im Schloss behalten, meine liebe Herlinde«, erklärte Anja am nächsten Morgen beim Frühstück.
»Zumal du jetzt weißt, dass sie ein uneheliches Kind hat«, fügte Martin von Erblach mit sanfter Stimme hinzu. Er hatte einen funkelnden Blick der Gräfin aufgefangen.
»Eine Blamage für uns alle! Ein Skandal für die ganze Familie!«, begann Anja schrill zu klagen.
»Unsere Familie ist nicht mehr sehr groß«, gab die alte Dame ungerührt zur Antwort. »Da eure Tochter gestern nicht kam, brauche ich sie wohl nicht mehr zur Familie zu zählen.«
Das Ehepaar wechselte einen furchtsamen Blick. Dann sagte Martin, wieder mit milder Stimme, so als spräche er zu jemandem, dem alles schwer verständlich war: »Unsere Larissa hat deinen Geburtstag ganz gewiss nicht vergessen, meine liebe Herlinde. Aber du weißt, wie angestrengt sie in diesen Wochen lernen muss.«
»Larissa ist bereits über zwanzig und versucht seit Langem vergeblich, ernsthaft etwas zu erlernen.« Gräfin Herlinde sah zu den beiden hin.
»Unsere Tochter«, meinte Anja beinahe entrüstet, »ist unser einziges Kind – und da du jetzt keinen Erben mehr hast, wird Larissa einmal alles bekommen und gewiss in deinem Sinne verwalten, meine liebe Herlinde.«
»Jedenfalls hat sie mir gestern nicht zu meinem runden Geburtstag gratuliert«, beharrte die Gräfin. »Und da wir schon einmal dabei sind, reinen Tisch zu machen, sollt ihr auch gleich wissen, dass ich nicht länger gewillt bin, für eure Tochter Geld auszugeben. Bisher hat sie nicht den Beweis geliefert, dass sie fleißig und strebsam ist.«
Anja von Erblach wurde noch blasser. Ihr Mann dagegen war rot und zornig geworden. Alle Vorsicht vergessend, beschwerte er sich:
»Du hast unsere Larissa nie gemocht. Du musst dich schon damit abfinden, dass sie unser und auch dein einziger Nachkomme ist. Darum müssen wir drei alles tun, um es Larissa so leicht wie möglich zu machen, die große Verantwortung zu tragen, die eines Tages mit Cronswald auf sie zukommt.«
»Ja«, meinte Anja hastig, »und um ihr die Erbschaftssteuer zu ersparen, solltest du ihr einen Teil schon jetzt schenken, meine liebe Herlinde.«
»Darüber werde ich entscheiden, wenn es an der Zeit ist«, erwiderte die Gräfin. Und da in diesem Augenblick der alte Diener Johann erschien, erkundigte sie sich: »Was macht unser junger Gast, Johann?«