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Isabelle Cornelius ist eine junge Studentin, die sich ein Zubrot verdienen muss. An diesem Abend bedient sie auf einer Party der neureichen Gitta Schulenberg. Isabelle hat nur Spott und Verachtung übrig für die Tochter eines Emporkömmlings. Sie schart all diese schönen Menschen um sich herum, die sie tief in ihrem Herzen doch nur wegen ihres Geldes mögen. Als die Verlobung mit Knut von Bolheim verkündet wird und Gitta ihren sündhaft teuren Verlobungsring präsentiert, verspürt Isabelle Mitleid mit dem gut aussehenden Mann. Will er tatsächlich der Schatten dieses schönen, reichen, aber dummen Geschöpfes werden? Isabelle ist sich sicher, dass Gitta sich ihr Glück erkauft hat. Und sie hat nicht unrecht ...
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Seitenzahl: 150
Cover
Der Verlobungsring der reichen Erbin
Vorschau
Impressum
Der Verlobungsring der reichen Erbin
Sie wollte sich das Glück erkaufen
Von Birke May
Isabelle Cornelius ist eine junge Studentin, die sich ein Zubrot verdienen muss. An diesem Abend bedient sie auf einer Party der neureichen Gitta Schulenberg. Isabelle hat nur Spott und Verachtung übrig für die Tochter eines Emporkömmlings. Sie schart all diese schönen Menschen um sich herum, die sie tief in ihrem Herzen doch nur wegen ihres Geldes mögen. Als die Verlobung mit Knut von Bolheim verkündet wird und Gitta ihren sündhaft teuren Verlobungsring präsentiert, verspürt Isabelle Mitleid mit dem gut aussehenden Mann. Will er tatsächlich der Schatten dieses schönen, reichen, aber dummen Geschöpfes werden? Isabelle ist sich sicher, dass Gitta sich ihr Glück erkauft hat. Und sie hat nicht unrecht ...
»Welch ein Mann!«, schwärmte Marianne Lück, und mit glitzernden Augen fügte sie leiser hinzu: »Den spanne ich ihr aus. Das ist so sicher wie das Misslingen dieser Party, mit der Gitta ihren Superbungalow einweihen will.«
»Sie wird ihn sich nicht ausspannen lassen. Sieh doch nur«, sagte Claudia Brunner und trat einen Schritt zur Seite. Damit gab sie den Blick auf den schlanken Herrn im dunklen Anzug frei, der sich mit Gitta Schulenberg unterhielt. »Ein toller Mann«, meinte auch sie, und ein Seufzer begleitete diese Feststellung.
»Bereust du noch immer, die Einladung angenommen zu haben?«, wollte Marianne wissen.
»Nicht mehr so sehr.«
»Weißt du, wer er ist, Claudia?«
»Nein, diesmal bin ich nicht gut informiert. Er scheint die Überraschung des Abends zu sein. Dass es ihm nichts ausmacht, sich so begaffen zu lassen ... Vielleicht gehört er schon zum Inventar?«
Marianne Lück lächelte ihrer blonden Begleiterin zu.
»Du wirst dein Gift mit Maßen verspritzen«, bat sie sich aus. »Verdirb mir nicht diesen Abend. Ich möchte mich amüsieren. Ich möchte diesen bildschönen Mann für mich gewinnen.«
Wieder suchte ihr Blick den gut aussehenden Fremden. Er hatte ein markantes Gesicht, Mund und Kinn, die Energie ausdrückten. Er hatte dichte Brauen, ebenso dunkles Haar, das glänzend und willig bis zum Kragen des Jacketts reichte.
Eine feine Narbe, die oberhalb des linken Mundwinkels begann und bis über die Hälfte der Wange reichte, veranlasste Marianne zu der Frage: »Ob dieser Adonis ein Akademiker ist?«
»Wieso denn das?«, fragte Claudia Brunner verwundert.
»Na, wegen der Narbe. So etwas gibt es doch nur bei Studenten von schlagenden Verbindungen. Ich denke, das ist verboten? Ist er vielleicht Arzt und hierher bestellt, um für das Wohl der schönen Gitta zu sorgen?«
Die beiden jungen Damen kicherten, als sie die Diele verließen und durch die weit geöffnete Tür auf die Gastgeberin zugingen. Kurz und freundlich fiel die Begrüßung aus. Doch der Blick, mit dem Marianne Lück den Fremden musterte, machte Gitta Schulenberg sogleich nervös.
Stimme und Lächeln hatten etwas Drohendes, als sie verkündete: »Und dies, meine Lieben, ist Knut von Bolheim. Ein sehr guter Bekannter von mir.«
»Verstehe«, meinte Marianne.
»Ein Freund des Hauses, nicht wahr?«, erkundigte sich Claudia Brunner mit scheinheiliger Miene. Und als eisiges Schweigen folgte, setzte sie unbekümmert hinzu: »Nun, neues Haus – neuer Freund. Das ist doch bei dir nichts Außergewöhnliches, Gitta.«
Knut von Bolheim lächelte. Er wurde jedoch ernst, als er die blauen Augen der jungen Gastgeberin zornig aufleuchten sah. Um die Spannung zu mindern, wandte er sich an Marianne Lück und sagte: »Ihre Freundin scheint eine Vorliebe für Scherze zu haben, über die nur Eingeweihte lachen können.«
»Scherze? Aber Herr von Bolheim? Meine Freundin meint es ernst.« Sie lächelte ihn an und fuhr dann fort: »Auch ich wünschte, ich hätte ein so hübsches Haus ganz für mich allein – und dazu einen so netten Bekannten ...« Da sie die drei letzten Worte mit Betonung ausgesprochen hatte, wurde Gitta noch wütender.
»Ihr seid spät dran«, fauchte sie. »Wollt ihr nicht gleich ans kalte Büfett gehen? Wenn ihr esst, könnt ihr nicht so ein dummes Zeug schwatzen. Ich weiß nicht, warum ich euch zwei eingeladen habe.«
»Dafür wissen wir es, nicht wahr, Marianne?«, fragte Claudia. »Gitta hat nämlich anfangs unsere Gesellschaft gesucht«, erklärte sie dem jungen Mann. »Wenn man neu und fremd in der Stadt ist, braucht man Bekannte, um Fuß fassen zu können. Doch leider sieht es so aus, als ob Marianne und ich hier nicht mehr willkommen sind. Liegt das an diesem neuen Haus oder an Ihnen, Herr von Bolheim?«
»An mir?«, fragte er erschrocken. »Aber ich bitte Sie! Ich bin doch auch nur Gast hier.«
»Wirklich?« Marianne trat dicht an ihn heran. Sie tat, als müsse sie von seinem Revers ein Stäubchen entfernen und lachte plötzlich hell auf. »Ein Gast und ein sehr guter Bekannter«, sagte sie bedeutungsvoll.
Dann wandte sie sich ab und ging auf das Büfett zu.
»Ich muss schon sagen«, meinte Knut von Bolheim, als er wieder mit Gitta allein war, »deine Freundinnen habe ich mir anders vorgestellt. Ein bisschen herzlicher und weniger bissig.«
»Sie platzen vor Neid. Das ist es, Knut.«
»Und warum umgibst du dich mit solchen Wesen?«, fragte er.
»Wenn man vermögend ist wie ich, kommen solche Typen ganz von selbst. Ich bin gastfreundlich, aber das wissen nur wenige zu würdigen. Freundinnen nennen sie sich.«
»Aber sagtest du nicht vorhin, dass ihre Väter ...?«
»Ja, ja«, unterbrach sie ihn gereizt, »das sagte ich. Marianne Lücks Vater ist hier Oberbürgermeister. Claudias Papa ein tüchtiger und sehr gewitzter Anwalt. Da man nie wissen kann, ob man einen von ihnen mal braucht, darf man sich keinen zum Feind machen und muss die Untugenden ihrer Töchter in Kauf nehmen. Marianne glaubt, sich alles erlauben zu können. Claudia beschränkt sich oft nur auf Worte, die aber ätzend wie Gift sein können.«
»Und warum ziehst du dich nicht etwas von ihnen zurück, Gitta?«
»Das kann ich mir nicht erlauben. Ich erwähnte es ja eben. Noch kann ich es nicht.«
Sie schaute zum Büfett, wo die beiden Mädchen standen und sich von den Delikatessen reichlich auf ihre Teller füllten. Sie schienen äußerst vergnügt zu sein. Sie lachten, warfen die Köpfe zurück und winkten Bekannten zu.
Während Gitta Schulenberg das Glas entgegennahm, das Knut ihr reichte, dachte sie voller Groll daran, dass ihr die meisten der Geladenen nicht willkommen waren. Am liebsten hätte sie diesen Abend nur mit Knut von Bolheim verbracht, dessen Stimme schon genügte, um sie schwach und willenlos zu machen. Einmal in den Bannkreis seiner graugrünen Augen geraten, wollte sie nichts anderes mehr als ihn.
Sie vergaß dabei manchmal, warum sie in dieser Stadt unter den Ersten sein wollte. Sie dachte nur daran, Knut ganz für sich zu erobern. Doch selbst in der zärtlichsten Stunde war es wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Auch wenn er sie umarmte, blieb er fern und unnahbar. War die Tochter eines Emporkömmlings nicht gut genug für ihn? Für seine Zukunftspläne, die ohne finanzielle Unterstützung gewiss trostlos sein würden?
»Schade, dass Papa dies nicht mehr erleben kann«, begann Gitta entschlossen. »Er hat es sich so gewünscht, anerkannt zu werden und nach den harten Jahren des Existenzkampfes Dank und Lob zu finden. Er würde dich als Schwiegersohn herzlich willkommen geheißen haben, Knut.«
Knut schwieg. Er wandte das Gesicht zur Seite. Kein Lächeln erhellte sein Gesicht. Dann starrte er auf ein weißblondes Mädchen, das den alten Diener ablöste und ihm das große, sicherlich sehr schwere Silbertablett abnahm.
»Eine Studentin«, erklärte Gitta in gleichgültigem Ton. »Ich habe sie für den heutigen Abend engagiert, um Albert zu entlasten – und um etwas Gutes zu tun.«
»Um etwas Gutes zu tun?«, wiederholte Knut und sah ihr fragend ins Gesicht.
Sie lächelte und sah in seine ernsten Augen.
»Ja«, entgegnete sie beinahe trotzig, »denn ich besitze etwas, nach dem viele vergebens streben. Und da Papa viel für die Universität übrig hatte und es nie verstand, warum ich nicht Medizin studieren wollte, ist es eine Art letzter Wille, wenn ich einige Studenten unterstütze.«
»Das begreife ich nicht so ganz«, murmelte er.
»Warum ich nicht studieren wollte? Oder warum ich den Studenten Arbeit vermittle?«
»Beides«, erwiderte Knut von Bolheim. Er setzte das Glas an die Lippen und trank es leer.
»Du trinkst den Sekt wie Saft«, stellte Gitta in vorwurfsvollem Ton fest. »Dabei ist es echter Krimsekt.«
»Verzeih«, bat er, und wieder war Neugier in seinem Blick, als sich nun das weißblonde Mädchen näherte und er sein Glas auf dem Tablett abstellte.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Gitta und hakte sich bei ihm ein. »Du weißt ja, dass ich dich liebe, Knut.«
Himmel, was soll das Mädchen denken?, fragte er sich und warf einen prüfenden Blick in das blasse Antlitz, dessen Lider halb gesenkt, dessen Mund wie in bitterem Schmerz zusammengepresst war. Verachtete sie ihn? Litt sie unter den Demütigungen, die Gittas »Großzügigkeit« gewöhnlich mit sich brachten?
»Komm«, forderte Gitta und zog ihn mit sich in den Nebenraum, aus dem in diesem Augenblick flotte Tanzmusik erklang. »Du solltest nur mich sehen«, sagte sie schmollend. »Ich bin heute der Mittelpunkt. Und du bist mein Freund, Knut. Du bist der Mann, der mich so lieben sollte wie ich ihn.«
Er nickte, lächelte und legte den Arm fest um ihre Taille. Doch während des Tanzens ertappte er sich mehrfach dabei, dass er die weißblonde Studentin suchte, die unermüdlich servierte und kein einziges Mal den Blick von dem Tablett hob ...
***
»Es ist gleich Mitternacht«, sagte der alte Diener zwei Stunden später, als er wieder in der Küche erschien. »Ich werde froh sein, wenn der Rummel vorüber ist. Grässlich sind diese Leute! Sie wollen sich amüsieren und richten nur Schaden an. In den Sessel am Kamin hat jemand ein großes Loch gebrannt. Der helle Teppich im Salon hat Likörflecke. Banausen sind das! Wenn ich an früher denke ...« Er ließ sich auf dem Küchenstuhl nieder und seufzte laut.
Misstrauisch beobachtete er, wie die junge Studentin das Geschirr spülte.
»Warum nehmen Sie nicht die Maschine, Fräulein Cornelius?«, fragte er.
»Das ist mir zu umständlich«, erklärte sie lachend. »Und Sie sollten sich jetzt zu Bett begeben. Den Rest schaffe ich schon allein. Wenn die da drinnen so weitermachen, sind sie bald alle betrunken und nicht mehr fähig, wirklich zu feiern und fröhlich zu sein.«
»Und dann dieser Bolheim«, sprach der alte Mann wie zu sich selbst, als habe er ihre Worte nicht vernommen. »Auch einer, der sich hier sanieren will. Er hat nicht mal Geld für Blumen. Aber sie ist wild auf ihn. Wenn er sie heiratet, will er nur ihr Vermögen. Sie passt nicht zu ihm. Das heißt, er passt so wenig hierher wie Sie in diese Küche, Fräulein Cornelius.«
Das Mädchen ließ die Spülbürste ins heiße Seifenwasser zurückgleiten und wandte sich mit freundlichem Lächeln zu dem Diener: »Ich arbeite gern«, sagte sie, »zumal es sehr gut bezahlt wird. Von diesem einen Abend kann ich eine Woche lang ohne Sorgen leben. Wissen Sie, was das für mich bedeutet?«
»Nein, ich verstehe sowieso nicht, warum Mädchen unbedingt studieren wollen. Ins Haus gehören sie. Zu einer großen Familie. Wollen Sie denn nicht heiraten?«
»O ja, wenn der Richtige kommt.«
»Und wenn er nicht kommt?«, fragte er und lächelte nun auch.
»Dann bleibe ich mit dem Beruf verheiratet, den ich erwählen werde.«
»Sagen Sie mal, Fräulein Cornelius«, begann der Diener zögernd und plötzlich verlegen, »Sie haben doch auch diesen Bolheim gesehen. Wie gefällt er Ihnen?«
»Ich habe keinen gesehen«, erwiderte sie schroff. Sie drehte sich der Spüle zu und arbeitete weiter.
»Nun behaupten Sie nur noch, dass Sie ihn nicht angestaunt haben, als sei er ein Weltwunder.«
»Ich sagte ja schon, ich habe nichts gesehen, nichts gehört und nichts bestaunt. Ich bin hier, um zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass Sie entlastet werden. Und wenn Sie auf mich hören, gehen Sie jetzt zu Bett. Ich werde Sie bei Fräulein Schulenberg entschuldigen, wenn sie nach Ihnen fragen sollte.«
»Wie der Wind heult«, murmelte Albert. »Wir sollten auch hier die Rollläden herunterlassen. Im Radio haben sie Sturm angesagt. Da werden die an der Küste wieder zittern und bangen. Vor Jahren, Fräulein Cornelius, da war das Wasser bis zur Straßenkreuzung, die man von hier aus sehen kann.«
»Das war bei der großen Sturmflut, nicht wahr?«, erkundigte sich Isabelle Cornelius, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
»Ja, und dabei ist Herr Schulenberg ums Leben gekommen. Er hat helfen wollen. Aber nicht, weil ihm die Leute leid taten, sondern weil es gefilmt wurde, wie man sie rettete. Er wollte dabei sein, gesehen und bewundert werden. Und er zog sich eine Lungenentzündung zu. Sie kostete ihn das Leben, weil er sich für kräftig und widerstandsfähig genug hielt, um sie ohne Medikamente oder Arzt auszuheilen.«
»Wie lange sind Sie schon bei den Schulenbergs?«, fragte Isabelle.
»Ungefähr zwölf Jahre.«
»Eine lange Zeit.«
»Zu lange. Am liebsten würde ich die Stellung aufgeben.«
»Und warum tun Sie es nicht?«
»Sie würde es nicht zulassen. Fräulein Schulenberg würde mich der Undankbarkeit bezichtigen. Wissen Sie, sie will nur einen Diener, der ein bisschen würdevoll ist und der mit zu dem Rahmen gehört, in dem sie ihr Leben zu führen gedenkt. Aber man kann nicht alles kaufen, wenn man Geld hat. Und ich bin manchmal so müde, dass ich gehen möchte, egal wohin.«
»Ja«, gab Isabelle leise zu und griff nach einem der Geschirrtücher, die neben der Heizung hingen, »ich habe mich auch gewundert, als sie mich einstellte und nur einige Erklärungen gab. Aber ich kam nicht her, um mich zu wundern oder etwas zu verurteilen. Ich bin froh, dass sie mich wählte und dass sie mich wiederhaben will, sobald hier eine neue Fete steigt.«
»Herr des Himmels!«, stöhnte Albert auf. »Soll das denn nie ein Ende nehmen mit den vielen Gästen, die alles kaputtmachen und bis in den Morgen hinein lärmen?«
Isabelle lachte, schwieg jedoch. Sie dachte an den morgigen Tag, an dem sie ausschlafen würde, und daran, dass ihr erlaubt worden war, von den restlichen Köstlichkeiten des kalten Büfetts etwas mit heimzunehmen.
Wieder blickte der Diener mit trüben Augen auf die elektrische Wanduhr. Er gähnte, fuhr sich mit der Hand durch das schüttere graue Haar, stand auf und meinte: »Wenn Sie es wirklich allein schaffen, Fräulein Cornelius ...«
»Ja, ja«, sagte sie und lächelte.
Da schlurfte er langsam hinaus: ein alter, von Schwäche und vielen Gedanken gebeugter Mann, den niemand beachtete, als er durch den Gang schritt.
Isabelle trug die heißen, mit Preiselbeeren gefüllten Törtchen auf, die Gitta Schulenberg im ersten Konditorgeschäft der Stadt hatte backen lassen.
»Das isst man in Kanada«, hatte sie erklärt. Kanada schien für sie das gelobte Land zu sein. Drei Monate war sie dort gewesen, so hatte Albert erzählt. Sie hatte dort sein müssen, weil es etwas zu erben gab, weil wieder etwas zu dem kam, was ohnehin im Überfluss vorhanden war. Nun schwärmte sie von Kanada und verdrehte dabei die Augen. Sie schien ihren knappen Berichten nach, das Land nur auf »irren« Partys und bei ebenso »irren« Cocktails kennengelernt zu haben.
Isabelle lächelte vor sich hin, als sie daran dachte, was sie in zwei Tagen an neuen, aber wenig erfreulichen Eindrücken gewonnen hatte.
Natürlich hatte sie auch diesen Bolheim gesehen, jedoch hatte sie ihn nicht bewundert. Wie konnte ein Mann, der so gut aussah, sich für so etwas hergeben? War er nicht drauf und dran, der Schatten dieses schönen, reichen, aber dummen Geschöpfes zu werden? Ein Männchen, das auf den leisesten Wink hin sprang, immer die Millionen vor Augen, die ein ehrgeiziger Vater für seine Tochter angehäuft und sehr klug angelegt hatte.
»Karrieremacher«, murmelte sie, obwohl sie gar nicht wusste, womit er sich beruflich beschäftigte. Arm schien er nicht zu sein. Der Mann war gepflegt und legte wohl den größten Wert auf sein Äußeres. Also tat er nicht viel, wie all die anderen eleganten Gäste.
»Das könnte mir nicht passieren«, sagte Isabelle laut.
Sie hängte die beiden Geschirrtücher zum Trocknen auf, schloss den Schrank und blickte sich mit kritischen Augen in der supermodernen Küche um.
Dann horchte sie auf. Stimmen kamen näher, Gelächter klang auf. Kurze Zeit später erschien Gitta Schulenberg in der Küche. Eine leicht beschwipste junge Dame in einem so engen weißen Abendkleid, dass sie sich kaum darin bewegen konnte. Ein Cape aus schwarzem Nerz hing lässig über ihrer Schulter.
Hinter ihr stand der, an den Isabelle bis jetzt voller Groll gedacht hatte. Er lächelte ihr zu, mit einem verbindlichen, aber nichtssagenden Lächeln, und hielt mit beiden Händen die leicht schwankende junge Hausherrin fest. Isabelle quittierte alles mit einem verächtlichen Blick, ehe sie fragend auf Gitta Schulenberg sah.
»Sie können gehen«, sagte diese und lehnte sich gegen den noch immer lächelnden Mann. »Was hier noch aufzuräumen ist, kann morgen gemacht werden. Die meisten Gäste sind fort. Wir hier«, sie wies hinter sich, »wollen noch einen Bummel machen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortete Isabelle. Sie strich das Haar aus der Stirn. Und als sie die Hand sinken ließ, war sie bereits allein.
Stimmen und Gelächter entfernten sich. Dann hörte man nur noch das Heulen des Sturmes.
Isabelle legte die Schürze ab, hängte sie in den Wandschrank zurück, prüfte, ob das Heißwassergerät ausgeschaltet war und nahm das Päckchen, dessen Inhalt sie daheim in Ruhe verzehren wollte.
Als sie Minuten später von der Diele aus einen Blick in den Wohnraum warf, erschrak sie vor dem Durcheinander. Es sah aus, als habe hier eine Horde Wilder gefeiert. So konnte sie es nicht zurücklassen.
Schon griff Isabelle eifrig zu. Sie leerte Aschenbecher, trug Gläser und Geschirr in die Küche und lüftete. Plötzlich stellte sie erschrocken fest, dass es bereits auf ein Uhr zu ging und der letzte Bus verpasst war.
Isabelle zog den Mantel über und machte einen doppelten Knoten in das Kopftuch. Sie wurde fast in die Diele zurückgeblasen, als sie die Haustür öffnete. Der Wind pfiff an ihr vorbei, nahm ihr den Atem und schien sie am Verlassen des Bungalows hindern zu wollen.
***
»Sauwetter!«, schimpfte Isabelle Cornelis laut, zog mit aller Macht die Tür ins Schloss und stemmte sich gegen den Wind. Als sie zum Gartentor ging, fiel ihr Blick auf eine kleine Gestalt. Es war ein etwa achtjähriger Junge, der sich am Zaun festhielt und am ganzen Körper zitterte. »Junge!«, rief Isabelle entsetzt. »Was machst denn du um diese Zeit hier?«